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Das Kachelmann-Verfahren Eine juristische Analyse Eiden Juristische Seminare Rechtsanwalt Jens E. Kastner,

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Das Kachelmann-Verfahren Eine juristische Analyse

Eiden Juristische Seminare

Rechtsanwalt Jens E. Kastner,

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Dieses Seminar bietet keine klassische Schilderung eines Verfahrensbeteiligten und will es auch nicht bieten.

Weder der Dozent, noch der Kollege Doehring waren an dem Verfahren beteiligt.

Was folgt, ist eine Analyse aus der Ferne, mit dem Versuch, Parallelen zu anderen, weniger spektakulären Verfahren des Alltags zu ziehen und aus diesen die eigenen Prozesstaktikten weiterzuentwickeln.

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1. Teil

Chronologie des Verfahrens

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Das Verfahren LG Mannheim (Az. 5 KLs 404 Js 3608/10) hatte seit Bekanntwerden durch die Medien während der gesamten Dauer ständige Präsens in Bild- und Printmedien.

Dies ist für die Verfahrensbeteiligten belastend.

Berichterstattung über die Lebensverhältnisse (oder besser „Liebesverhältnisse“) des Angeklagten einerseits, aber auch der als „Opfer“ titulierten Nebenklägerin andererseits haben zu Gruppierungen in der Öffentlichkeit geführt, die jeweils ein bestimmtes Verfahrensergebnis erwartet (oder besser „gefordert“?) hatten.

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Worum ging es in dem Verfahren?

Die ehemalige Lebenspartnerin hatte unmittelbar nach Beginn seines berufsbedingten Aufenthaltes im Ausland JK angezeigt und ihn der schweren Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt.

In der Nacht vom 08. auf den 09.02.2010 soll JK gegen den Willen der LP sie unter Verwendung eines Messers in ihrer Wohnung zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben und sexuelle Handlungen an sich zu dulden bzw. an ihm vorzunehmen.

Zeugen für diese Handlungen gab es nicht (wenn man einmal davon absieht, dass die Anzeigeerstatterin selbst prozessual als Zeugin zu bezeichnen war).

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Die Aufklärung dieser Vorwürfe hing also vorrangig von den Erkenntnissen aus den Aussagen der beiden Beteiligten (vermeintlich „Täter“ und „Opfer“) ab.

Da sich dabei jedoch sowohl der Beschuldigte als auch die Anzeigerstatterin bereits in ihren eigenen Schilderungen in Widersprüche verwickelten, mussten die Ermittlungen „zwangsläufig“ auch auf weitere Beweismittel ausgedehnt werden.

Letztlich dauerte das Gerichtsverfahren 44 Hauptverhandlungstage lang unter Würdigung von 10 Gutachtern und 30 Zeugen bis zur Urteilsverkündung am 31.05.2011.

Der letztlich verkündete Freispruch ist durch Rücknahme der zunächst dagegen eingelegten Rechtsmittel inzwischen rechtskräftig geworden.

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Eigentlich handelte es sich bei diesem Prozess um einen „normalen Vergewaltigungsprozess“ mit den bekannten Parametern: Verbrechensvorwurf mit der Prognose einer nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafe im Fall einer Verurteilung, widersprüchliche Angaben der beiden Beteiligten ohne unbeteiligte, objektive Zeugen und ein Delikt, bei dem die Meinung der Öffentlichkeit schon zu Beginn des Verfahrens gegen den vermeintlichen Täter (und damit zugleich auch gegen den/die ihn engagiert verteidigenden Anwalt respektive Anwältin) gerichtet ist. Deshalb sollten gerade solche Mandate (Sexualdelikte) nur von Anwälten angenommen werden, die zum einen die – wegen der erheblichen Rechtsfolgenerwartung – erforderliche theoretische und praktische forensische Erfahrung der Strafverteidigung haben sowie zum anderen gewillt sind, sich den zumeist damit verbundenen besonderen psychischen Belastungen zu stellen. Gleiches gilt auch für den Vertreter der Nebenklage.

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Das Besondere war der Beschuldigte selbst: Ein TV-bekannter Täter mit anfänglich hohem Sympathiewert einerseits und Indiskretionen von privaten und intimen Details während der Ermittlungen andererseits, welche ein gänzlich anderes Bild von derselben Person entwickelten – und dadurch extrem gegensätzliche Meinungen in der Öffentlichkeit bildeten. Als wären diese Umstände nicht schon „wahrheitsfeindlich“ genug (je mehr Emotionen Einfluss auf eine Bewertung haben, umso weniger werden objektive Fakten akzeptiert), wurden diese noch um einiges durch die Medien und Personen, die sich damit profilieren wollten, verstärkt. Da waren nicht nur die erwartungsgemäßen Schlagzeilen in den einschlägigen Printmedien, sondern auch diverse Talkshows mit jeweils vermeintlich „sach-und fachkundigen“ Gästen. Allen Berichterstattungen und Statements war eines gleich: Sie hatten das Ziel, zu polarisieren! Für die einen war JK ein verachtenswerter, die Frauen allgemein durch seinen Umgang mit ihnen abwertender Narziss, für die anderen war er das von einer verlassenen Geliebten bewusst diffamierte Opfer enttäuschter Erwartungen.

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Diesen Begleitumständen ist es zu verdanken, dass sowohl die Vorermittlungen selbst (Anfangsverdacht, U-Haft, Ermittlungsdetails) als auch die anschließenden Hauptverhandlungstage in wesentlichen Details und Abläufen auch von denjenigen, die nicht berufsbedingt damit befasst waren oder nicht an den Verhandlungen in den stets bis auf den letzten Platz gefüllten Sitzungssälen teilnehmen konnten bzw. wollten, aufmerksam verfolgt werden konnten.

Natürlich erwartete jeder zunächst mit Spannung die Aussagen der „Hauptakteure“:

Einerseits vom „Täter“, andererseits vom „Opfer“. Aber schon da gab es die ersten Besonderheiten.

Der Angeklagte, der sich noch in der U-Haft detailreich zu den Vorwürfen eingelassen hatte, schwieg in der Hauptverhandlung.

Die Frau, welche die Initiative für das Verfahren gesetzt hatte, wollte sich nicht in öffentlicher Verhandlung dazu äußern.

Die Sachverständigen, welche teilweise zu denselben Beweisfragen ihre Gutachten erstatteten, kamen jeweils mit sachkundigen Ausführungen zu anderen, teilweise gegensätzlichen Erkenntnissen.

Und dann war da noch der Wechsel des „Hauptverteidigers“ mitten im Gerichtsverfahren:

Statt von Dr. Birkenstock ließ sich JK plötzlich von Johann Schwenn verteidigen und überließ ihm nunmehr die Strategie der Prozessführung (von der weiterhin stets teilnehmenden Pflichtverteidigerin Andrea Combé und dem so genannten „Medienanwalt“ Dr. Ralf Höcker als weitere Verteidiger abgesehen).

Mit dem neuen Anwalt kam auch „neuer Wind“ in das Verfahren. Deutlich spürbar verschärfte sich der Umgang der Verteidigung mit den Prozessbeteiligten. Kein Tag ohne neue Anträge oder Beanstandungen seitens der Verteidigung, kein Zeuge ohne „Profiling“ der Verteidigung, kaum eine Äußerung des Vorsitzenden ohne verbale Reaktion der Verteidigung – und nicht zuletzt sogar Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanträge der Verteidigung betreffend Prozessbeteiligte…

Deshalb werden in diesem Seminar die wesentlichen Aspekte aufgezeigt und erörtert, die für dieses Verfahren bezeichnend waren – ohne das Ergebnis damit werten zu wollen. Es geht um die juristische Analyse der Verfahrensabläufe aus anwaltlicher Sicht mit gleichzeitiger kontroverser Klärung strafprozessualer Grenzen und Möglichkeiten unter Beachtung aktueller einschlägiger Rechtsprechung.

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2. Teil

Die Aussage vor dem Haftrichter

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JK wurde am 20.03.2010 auf dem Flughafengelände in Frankfurt/M. aufgrund der Vergewaltigungsanzeige seiner Lebensgefährtin verhaftet. Nach Ansicht der zuständigen Staatsanwaltschaft Mannheim sei Fluchtgefahr gegeben gewesen, weil JK Schweizer Staatsbürger war (somit für ihn die Möglichkeit bestand, sich im Ausland dauerhaft den Ermittlungen bzw. insbesondere einer Verurteilung zu entziehen) und die – auf der Grundlage der Anzeige – zu erwartende Freiheitsstrafe (gemäß § 177 Abs. 4 StPO von 5 bis 15 Jahre) einen erheblichen Fluchtanreiz darstelle. „Sobald die Verurteilungswahrscheinlichkeit bei 51 Prozent liegt, kommt es auch zur Anklage. Nach derzeitigem Stand, und nur nach diesen, liegt die Wahrscheinlichkeit im Fall Kachelmann deutlich höher“, sagte Andreas Grossmann als Sprecher der Mannheimer Staatsanwaltschaft. Das AG Mannheim erließ deshalb am 24.03.2010 antragsgemäß Haftbefehl. Die Verteidigung (zunächst unter „Führung“ des Rechtsanwalts Dr. Reinhard Birkenstock) hatte erst relativ spät - nach Ostern - einen Haftprüfungstermin beantragt mit dem Ziel der Aufhebung des Haftbefehls bzw. Außervollzugsetzung desselben. Am 24.03.2010 fand dann dieser Anhörungstermin beim AG Mannheim statt. Darin äußerte sich erstmals JK umfassend zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Er bestritt die Darstellungen der Frau und behauptete, alle sexuell motivierten Handlungen seien einvernehmlich geschehen. Die Staatsanwaltschaft zweifelte diese Version jedoch an. Tatsächlich – wie sich auch später bestätigte – hatte der Beschuldigte in einzelnen Teilen seiner Einlassung die Unwahrheit behauptet. Als Konsequenz daraus beantragte der anwesende Staatsanwalt Haftfortdauer, welche das AG Mannheim entsprechend anordnete. Die U-Haft dauerte letztlich vier Monate, bis durch das OLG Karlsruhe auf die weitere Haftbeschwerde der Verteidigung der Haftbefehl am 29,07.2010 aufgehoben wurde.

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Das Oberlandesgericht sah – entgegen der Staatsanwaltschaft und dem Haftrichter – den wesentlichen Ansatz für seine Entscheidung in der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ und befand, dass „Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive“ seiner Ex-Freundin nicht auszuschließen seien.

Obwohl die Staatsanwaltschaft bereits am 15.05.2010 zwischenzeitlich Anklage erhoben hatte, waren damit erstmals die Anschuldigungen durch ein Gericht – also nicht seitens der Verteidigung - in Frage gestellt worden.

Trotz dieses Teilerfolges der Verteidigung muss die Überlegung erlaubt sein, ob bis dahin die Strategie einer (frühen) Einlassung dazu beigetragen, oder eher dagegen gewirkt hatte …

Aus diesem Grund werden nachstehend sowohl wesentliche Grundlagen und damit auch wichtige Ansätze für eine Erfolg versprechende Verteidigungsstrategie bei U-Haft dargelegt als auch die prozesstaktischen Erwägungen aufgezeigt, welche Vor- und Nachteile mit einer (frühen) Einlassung verbunden sind.

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Folgende Situation:

Aufgelöste Ehefrau stürmt in die Kanzlei. Der Ehemann sei festgenommen worden.

Der Verteidiger muss sich nun darum bemühen, den potentiellen Mandanten zu finden und Zugang zu ihm zu erhalten.

Sofern dies noch bei der Polizei der Fall sein sollte, entstehen mitunter erhebliche Schwierigkeiten.

Aus §§ 137, 163 Abs. 3 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ergibt sich die Hinweispflicht der Ermittlungsbehörden, den Mandanten auf die Verteidigungsbereitschaft eines Anwaltes hinzuweisen (sofern sich dieser entsprechend gegenüber den zuständigen Stellen dazu bereit erklärt hat).

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Sitzt der immer noch potentielle Mandant in der JVA, ist eine Besuchserlaubnis beim zuständigen Haftrichter zu beantragen. Mitunter auch eine Anbahnungssprechschein im Sinne von Nummer 36 Abs. 3 UVollzO . Sofern das Hauptverfahren bereits eröffnet ist, bei der zuständigen Kammer. Ebenfalls sollte eine Kopie des HB ERBETEN werden. U-Haft-Sachen sind naturgemäß hektisch. Der Mandant erwartet umgehendes Handeln. Damit gibt es weder Urlaub, noch einen freien Nachmittag! Deswegen sollten entweder qualifizierte Kollegen als Vertretung zur Verfügung stehen, oder das Personal soweit geschult sein, die ersten Schritte unternehmen zu können.

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Bei ausländischen Mandanten: Dolmetscher nicht vergessen und auf Dialekte achten (Ehefrau fragen).

Die Kosten werden bei U-Haft übernommen, wenn eine entsprechende Begründung geliefert wird, Art. 6 Abs. 3 e MRK i.V.m. § 185 Abs. 1 S. 1 GVG und §§ 140 ff. StPO.

Zudem ist mit dem neu geschaffenen § 140 I Nr. 4 StPO vieles einfacher geworden.

Zu beachten sind unabhängig von § 148 StPO die Besuchszeiten in der JVA.

Schriftverkehr ist, sofern es sich um solchen handelt, der in dem Strafverfahren anfällt, unkontrolliert zu belassen.

Schriftstücke anderen Inhalts sollten keinesfalls als „Verteidigerpost“ gekennzeichnet werden – weder in die eine, noch in die andere Richtung.

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Im Wege der Haftprüfung nach § 117 StPO wird geprüft, ob die Voraussetzungen für den HB noch vorliegen oder dieser ggf. außer Vollzug gesetzt werden kann:

•Hat Richtiger Richter den HB erlassen? §§ 125, 127 b Abs. 3 StPO (Anordnungsbefugnis)

•Dringender Tatverdacht gem. § 112 I StPO?

•Konkrete Haftgründe? § 112 II, III StPO oftmals zu leichtfertig herangezogen.

•Insbesondere Flucht (§112 Abs. 2 Nr. 1), Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2), Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3) sind wesentlich seltener gegeben, als im HB angenommen.

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Auch der Haftgrund der Schwerstkriminalität i.S.d. § 112 Abs. 3 StPO wird nur selten spezifisch darauf hin geprüft, ob für diesen Beschuldigten Ausnahmegründe nach der einschlägigen Rechtsprechung gegeben sein könnten (Rücktritt vom Versuch? Minder schwerer Fall? Allgemeine Milderungsgründe?).

Auch die Wiederholungsgefahr nach § 112a StPO wird zumeist in der Vergangenheit geprüft, d.h. wurde früher ähnliche Delikte begangen.

Allerdings ist eine Zukunftsprognose zu erstellen mit der Frage, ob zukünftig Delikte von gleicher Art und Güte zu erwarten sind.

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Auf jeden Fall ist die Verhältnismäßigkeit i.S.d. § 112 Abs. 1 S. 2 StPO zu wahren. Danach darf nämlich eine Untersuchungshaft nicht angeordnet werden, wenn die Freiheitsentziehung zur Bedeutung der Sache in keinem Verhältnis steht (BVerfGE 20, 144, 147).

Der Antrag auf Haftprüfung i.S.d. § 117 Abs. 1 StPO ist an keine Form gebunden.

Beantragt der Beschuldigte „Haftprüfung/Haftentlassung“, liegt es im Ermessen des Haftrichters gem. § 118 StPO, ob er diese Frage innerhalb eines schriftlichen Verfahrens oder einer mündlichen Verhandlung klärt.

Dieser Entscheidung geht eine Zuleitung des Antrags an die Staatsanwaltschaft gem. § 33 Abs. 2 StPO voraus. Diese muss sich zu dem Antrag äußern. Mit ihrer Äußerung legt sie die Akten dem Haftrichter vor, der dann nach Aktenlage durch Beschluss entscheidet. Hierfür ist das bis dahin aktenkundige Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft maßgeblich.

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Wenn der Beschuldigte dies beantragt, muss das Haftgericht vor Entscheidung über den Haftprüfungsantrag den Beschuldigten mündlich anhören (§ 118 Abs. 1 StPO). Ausnahme ist Abs. 4. Nach Eingang des Antrags auf mündliche Haftprüfung hat das Haftgericht unverzüglich i.S.d. § 118 Abs. 5 StPO eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese soll „ohne Zustimmung des Beschuldigten nicht über zwei Wochen nach dem Eingang des Antrags“ erfolgen (2. Halbsatz). Die Terminierung ist ohne förmliche Ladung und Frist zulässig. Überschreitet der Haftrichter diese Frist, führt das nicht automatisch zur Aufhebung des Haftbefehls bzw. dessen Rechtswidrigkeit (OLG Köln 2Ws 31/09) – allerdings kann sich daraus eine Besorgnis der Befangenheit des Richters ergeben (BGH 1 BJs 20/75- AK 67/76).

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Die Verhandlung selbst ist von Formalien weitestgehend befreit. Allerdings erfolgt eine Orientierung am Ablauf einer HV.

Der Beschuldigte ist nach § 115 III StPO zu belehren, was seine persönlichen Verhältnisse anbelangt.

Vor der Vernehmung zur Sache hat eine Belehrung nach § 136 StPO zu erfolgen.

Dabei soll dem Beschuldigten das vorläufige Ermittlungsergebnis vorgehalten werden, soweit dadurch nicht der Erfolg weiterer Ermittlungen gefährdet wird. Verteidiger und Staatsanwaltschaft sind gem. § 240 Abs. 2 StPO Fragen zu gestatten.

Die mündliche Verhandlung endet mit den Anträgen des Beschuldigten/Verteidigers und der Staatsanwaltschaft.

Über die mündliche Verhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen, dass die Wesenszüge eines Hauptverhandlungsprotokolls i.S.d. §§ 271 - 273 i.V.m. 118 a Abs. 3 S.2 StPO enthalten muss. Die Entscheidung des Gerichts wird am Ende in Anwesenheit des Beschuldigten/Verteidigers verkündet.

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Nach durchgeführter mündlicher Haftprüfung mit abschließender Entscheidung des Haftrichters hat der Beschuldigte einen Anspruch auf eine weitere mündliche Haftprüfung „nur wenn die Untersuchungshaft mindestens drei Monate und seit der letzten mündlichen Verhandlung mindestens zwei Monate gedauert hat“ (§ 118 Abs. 3 StPO).

Im Gegensatz dazu ist ein Antrag auf Haftprüfung im schriftlichen Verfahren jederzeit wieder zulässig.

Deutliche Hinweise während des Termins sollten ggf. dazu genutzt werden, den Antrag zurückzunehmen um so der Sperrwirkung zu entgehen.#

Der Mandant sollte aber im Vorfeld darüber unterrichtet werden, dass ein solcher Schritt möglich und notwending werden könnte.

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Von der Haftprüfung ist die Haftbeschwerde zu unterscheiden, beides nebeneinander einzulegen ist unzulässig, § 117 II StPO. Die Beschwerde ist subsidiär.

Es hat gem. § 114b StPO eine Belehrung über das Beschwerderecht zu erfolgen, sofern die Fortsetzung der U-Haft angeordnet wird.

Die Beschwerde richtet sich nach § 304 StPO gegen die letzte Anordnung, wodurch die U-Haft aufrechterhalten wurde.

Die Beschwerde ist nicht an eine Form oder Frist gebunden und muss nicht begründet werden, was sich allerdings empfiehlt.

Nach Anhörung der StA gem. § 308 I StPO kann das Beschwerdegericht den HB aufheben oder außer Vollzug setzen. Zurückweisen kann es den Antrag aber auch.

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Gegen den ablehnenden Beschluss ist sodann die weitere Beschwerde nach § 310 StPO zulässig, die wiederum an keine Frist gebunden ist.

Eine Haftbeschwerde ist immer auch an taktischen Erwägungen zu messen, da entsprechende Entscheidungen auch Folgen für eine HV haben können, wenn die Haftgründe in den Akten festgeschrieben sind.

Mitunter kann es sinnvoll sein, z.B. mit einer Haftprüfung einfach zu warten, bis die Haftgründe durch verschiedene Umstände beseitigt werden können.

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Reicht es nicht zu einer Aufhebung des HB, bleibt die Möglichkeit einer Aussetzung nach § 116 StPO.

Gerichte sind eher geneigt, einen HB außer Vollzug zu setzen, weil zum einen die Begründung für ein Belassen des HB unter Auflagen einfacher ist und ein solcher HB nicht wieder neu erlassen werden muss.

Ein Antrag auf Aufhebung sollte mithin hilfsweise mit einem Aussetzungsantrag verbunden werden.

Der Vollzug des HB ist stets ultima ratio, so dass auch mildere Mittel entsprechend in die Erwägung der Gerichte einbezogen werden müssen.

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Auflage bei Fluchtgefahr: Meldauflage gem. § 116 Abs. 1 Nr. 1 StPO, d.h. sich für den Empfang von Ladungen und Zustellungen für die weitere Dauer des Verfahrens bei einer ladungsfähigen Anschrift ordnungsgemäß polizeilich zu melden und aufzuhalten. Darüber hinaus ist dann selbstverständlich jeder Wohnsitzwechsel anzuzeigen und weiteren Vorladungen zum persönlichen Erscheinen unbedingt Folge zu leisten. In besonderen Fällen – beispielsweise bei Kontakten des Beschuldigten ins Ausland – kann der Haftrichter darüber hinaus eine Aufenthaltsbestimmung i.S.d. § 116 Abs. 1 Nr. 2 StPO anordnen, wonach der Wohn- oder Aufenthaltsort nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde verlassen werden darf. In solchen Fällen kann auch zusätzlich von der Verteidigung die Hinterlegung der Ausweisdokumente angeboten werden (wobei dann auch einen Ersatzbescheinigung durch die Justizbehörden in Form einer amtlichen Hinterlegungsbescheinigung ausgestellt werden sollte).

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In ähnlicher Weise kann auch eine Weisung i.S.d. § 116 Abs. 1 Nr. 3 StPO erlassen werden, wonach die Wohnung durch den Beschuldigten nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen ist.

Dabei muss die in dem Auflagenbeschluss benannte Aufsichtsperson mit Übernahme dieser Kontrolle einverstanden sein.

In Analoganwendung dieser Vorschrift wird derzeit auch von Gesetzgeber geprüft, in wie weit die Anwendung so genannter „elektronischer Fußfesseln“ zulässig sein soll: danach würde die Kontrolle nicht durch eine Aufsichtsperson, sondern durch ein elektronisches am Fußgelenk des Beschuldigten befindlichen Überwachungssystem automatisch erfolgen.

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Weiter besteht nach § 116 Abs. 1 Nr. 4 StPO die Möglichkeit der Kaution durch Anordnung einer angemessenen Sicherheitsleistung.

Diese kann gem. § 116 a StPO entweder durch (Bar-) Geld, Wertpapiere oder Bankbürgschaften etc. über die gerichtliche Hinterlegungsstelle geleistet werden.

Dabei ist von der Verteidigung darauf zu achten, dass sich die Höhe der Sicherheitsleistung nicht nur an den tatsächlichen Vermögensverhältnissen des Beschuldigten, sondern insbesondere auch an der Bedeutung der Sache orientieren muss.

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Verdunkelungsgefahr: Der Beschuldigte selbst soll keinen Einfluss auf sachliche oder personelle Beweismittel nehmen oder veranlassen, wodurch die Aufklärung und weitere Ermittlung in dem Verfahren erschwert bzw. verhindert würde. Dieses Verfahrensziel kann im Einzelfall durch ein Kontaktverbot i.S.d. § 116 Abs. 2 StPO erreicht werden, indem der Haftrichter die Anweisung erteilt, „mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen“. Der Haftrichter wird sich einer solchen Anregung eher anschließen, wenn die für das Ermittlungsverfahren wesentlichen Beweismittel gesichert oder die betreffenden Zeugen schon ordnungsgemäß vernommen wurden – was der Anwalt vor dem Haftprüfungstermin durch Akteneinsicht überprüfen bzw. durch Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft klären sollte.

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Wiederholungsgefahr Befürchtung, dass der Beschuldigte ohne Untersuchungshaft weitere erhebliche Taten der gleichen Art begehen würde. Es muss mithin eine Prognose des weiteren Verhaltens des Beschuldigten erstellt werden. Gerade in solchen Fällen wird sich der Haftrichter mit dem Erlass eines Haftverschonungsbeschlusses sehr zurück halten, da er gerade gegen die aus dem Haftbefehl resultierende Wahrscheinlichkeitsprognose handeln müsste. Da in den meisten dieser Fälle krankhafte Verhaltensauffälligkeiten des Beschuldigten die Ursache für seine Straftaten sind (insbesondere bei Sexualdelikten), sollte hier die Verteidigung neben den allgemeinen Möglichkeiten einer Haftverschonung (Meldeauflage, Aufenthaltsbestimmung etc.) mit möglichen gerichtlichen Weisungen i.S.d. § 56 c Abs. 2 Nr. 1 – 3 StGB argumentieren und darüber hinaus die Einleitung einer therapeutischen Heilbehandlung i.S.d. § 56 b Abs. 3 StGB anregen.

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Hilfreich sind die Bereitschaft nebst Zusage eines entsprechenden Therapeuten oder einer ähnlich qualifizierten und geeigneten Person, wonach für diesen Beschuldigten bzw. dessen Problematik gute Heilungschancen bestehen.

In einem solchen Fall bräuchte der Haftrichter die moralische Verantwortung bei einer entsprechenden Außervollzugsetzung des Haftbefehls auch nicht allein zu tragen...

Ebenso kann die Verteidigung bei einer Veränderung in den Lebensverhältnissen des Beschuldigten damit argumentieren, dass die Voraussetzungen für eine solche Wiederholung der betreffenden Straftaten nicht (mehr) gegeben sind.

Eine Sicherheitsleistung i.S.d. § 116a StPO wird allerdings bei diesem Haftgrund für unzulässig bzw. ungeeignet erachtet, wenn es sich dabei um triebhafte Verhaltensauffälligkeiten des Beschuldigten handelt.

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Schwere der Tat:

Als Haftgrund in § 116 StPO nicht erwähnt, ist sie ausdrücklich auch hier zulässig (BVerfGE 19, 342, 351).

Bei diesem Haftgrund wird dem Beschuldigten häufig die hohe Straferwartung als vermeintlicher Fluchtanreiz vorgehalten.

Die Verteidigung sollte in solchen Fällen vorsorglich prüfen, welche Strafrahmenmilderung i.S.d. § 49 Abs. 1 StGB möglich oder welche zusätzlichen Strafmilderungsgründe (beispielsweise i.S.d. §§ 20, 21 StGB) wahrscheinlich sein können – um damit gerade die voraussichtliche Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe zu reduzieren.

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Insbesondere nach einem Geständnis des Beschuldigten und bei Vorliegen sonstiger allgemeiner positiver Gründe in der Person des Beschuldigten bzw. seines Umfeldes, kann die Verteidigung möglicherweise durch allgemeine Verschonungsgründe wie Meldeauflage, Kaution, Kontaktsperre etc. eine Außervollzugsetzung erreichen.

Gerade durch ein glaubhaftes, reumütiges und umfassendes Geständnis zeigt der Beschuldigte, dass er sich seines strafrechtlichen Fehlverhaltens und seiner Verantwortung hierfür bewusst ist.

Nicht selten kann hier das Argument einer materiellen Schadenswiedergutmachung entscheidend sein, welche er durch die Fortdauer des Vollzuges der Untersuchungshaft kaum oder gar nicht leisten könnte.

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Haftunfähigkeit: Neben physischen sind insbesondere psychische Erkrankungen des Beschuldigten für die Frage der Hafttauglichkeit von Bedeutung. Vollzugshindernis nicht erst begründet, wenn für den Untersuchungsgefangenen nahe Lebensgefahr zu besorgen ist – vielmehr ist ein Haftbefehl schon außer Vollzug zu setzen, wenn eine schwerwiegende gesundheitliche Schädigung des Betroffenen durch den Vollzug zu befürchten ist (KG Berlin in StV 92, 584). Es liegt allerdings aufgrund der - üblicherweise - mangelnden Fachkompetenz der Verteidigung nahe, vor einen solchem Haftverschonungsantrages einen qualifizierten ärztlichen Befundbericht zu beschaffen, der als Urkundenbeweis vorgelegt werden sollte. Sofern der Mandant allerdings bereits in Haft befindlich ist – und damit eine externe Untersuchung nicht möglich sein dürfte – sollte frühzeitig ein entsprechender Bericht des Anstaltsarztes beschafft werden oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der erforderlichen Tatsachen beantragt werden.

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Der Mandant befindet sich auf der Grundlage eines Haftbefehls vom 28.03. des Jahres, der nach Festnahme und Anhörung des Mandanten durch das zuständige AG am 04.04. verkündet worden ist, fortdauernd in U-Haft. Auf Anraten seines Verteidigers hat der Mandant bislang zu den Vorwürfen geschwiegen und wegen der – nach Ansicht seines Anwaltes „ungünstigen“ – Beweislage noch keinen Haftprüfungsantrag gestellt und auch keine Haftbeschwerde eingelegt. Nachdem zwischenzeitlich Anklage erhoben wurde, hat das LG mit dem am 17.10. verkündeten Eröffnungsbeschluss gleichzeitig den ursprünglichen Haftbefehl durch einen eigenen ersetzt. Aufgrund dieser neuen Sach- und Beweiswürdigung durch das LG erhofft sich der Anwalt nunmehr bessere Chancen und beantragt eine mündliche Haftprüfung, die am 07.11. vor dem LG verhandelt wird. In dieser Verhandlung muss der Verteidiger allerdings enttäuscht feststellen, dass das LG nicht beabsichtigt, den Haftbefehl aufzuheben oder wenigstens unter Auflagen außer Vollzug zu setzen. Deshalb entschließt er sich, wie mit seinem Mandanten vorher erörtert, seinen Haftprüfungsantrag vor Bescheidung zurück zu nehmen. Am 04.12. beantragt der Anwalt auf Wunsch seines Mandanten – der sich einen „Weihnachtsbonus“ bei der neuen Verhandlung erhofft – erneute mündliche Haftprüfung. Dieser Antrag wird jedoch vom Vorsitzenden mit Verfügung vom selben Tag zurück gewiesen, weil ein Anspruch auf mündliche Haftprüfung gemäß § 118 Abs. 3 StPO nicht bestehe. Dagegen legt der Verteidiger sofort Beschwerde ein mit dem Hinweis, dass zuletzt am 04.04. die letzte Haftprüfung durch das AG erfolgt sei, weil er doch im Termin beim LG am 07.11. seinen Antrag zurück genommen hatte. Wie sind die Erfolgsaussichten dieser Beschwerde?

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3. Teil

Einlassung

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In der Urteilsbegründung verwies der Vorsitzende der Strafkammer, VRiLG Michael Seidling, hinsichtlich der Problematik der Beweiswürdigung zur Glaubwürdigkeit der Aussagen der beiden „Hauptpersonen“ auf folgende Überlegungen hin: „Angesichts des Umstandes widersprechender Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie angesichts der Feststellungen, dass beide in Teilbereichen nachweislich die Unwahrheit gesagt haben, stellt sich die Frage, ob durch außerhalb der Aussagen liegende Beweise begründete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der einen oder anderen Schilderung der Ereignisse … gefunden werden können.“ Diese Erkenntnisse geben grundsätzlich Anlass zu prüfen, welche Vor- und Nachteile mit einer (frühen) Einlassung des Mandanten verbunden sein können und auf welcher rechtlichen Grundlage überhaupt Einlassungen möglich sind. Die nachstehenden Ausführungen geben insoweit nicht nur einen Überblick, sondern beziehen insbesondere die einschlägige Rechtsprechung zu wesentlichen Problemfällen (Teilschweigen etc.) ein.

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Gerade im „Kachelmann-Prozess“ ist wieder eine grundsätzliche, oft vorkommende Verteidigungsstrategie angewandt worden, die in Fachkreisen unterschiedlich kommentiert wird: Der Mandant hatte sich zunächst – in Anwesenheit seines Verteidigers – im Rahmen seiner mündlichen Haftprüfung umfassend eingelassen (richterliches Protokoll). In der Hauptverhandlung hatte der Mandant – noch immer vom selben Anwalt beraten und verteidigt – dann allerdings geschwiegen (sein gutes Recht). Bei dieser – zweifelsfrei rechtlich zulässigen – Verteidigungsstrategie stellt sich zwangsläufig die Frage: Warum erst im Ermittlungsverfahren aussagen, wenn man im Prozess doch schweigen will (und umgekehrt…) – und welche rechtlichen Konsequenzen hat so ein Verhalten bzw. welchen Eindruck (besonders auf die Schöffen) macht so ein Verhalten?

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Widerstreitende Interessen: Mandant das Bedürfnis hat, sich „aktiv“ gegen die ihn belastenden Vorwürfe zu verteidigen und somit möglichst frühzeitig selbst etwas vorzutragen Verteidiger richtet Interesse aus prozesstaktischen Erwägungen auf die anderen Beweismittel und damit gegen eine (zumindest frühzeitige) Einlassung des Mandanten. Keine Regeln Einzelfallabwägung dahingehend, welche Möglichkeiten sich durch eine solche Einlassung ergeben, welche Gefahren sich andererseits daraus ergeben könnten (z.B. durch nachträglich widerlegte Einlassungsdetails) und inwieweit der Mandant selbst zu einer – aus Sicht der Verteidigung – „vernünftigen“ Einlassung aufgrund intellektueller (Un-)Fähigkeiten oder sonstiger (emotionaler) Beeinträchtigungen in der Lage ist.

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Schweigen: Konflikt- oder Strafmaßverteidigung? Mandanten klar machen, dass sein Schweigen keine negativen Folgen hat. Aber auch klar machen, dass ein Teilschweigen womöglich Nachteile nach sich ziehen kann. Darlegen, das das Gericht Adressat des Aufklärungsgebotes im Sinne des § 244 StPO ist. Aufklärung des Sachverhaltes kann Gericht und zur Objektivität verpflichteten Staatsanwaltschaft (§ 160 StPO) überlassen werden. Selbst kann der Angeklagte entweder passiv der Verhandlung beiwohnen oder aktiv durch Fragen (§ 240 StPO), Anregungen und Erklärungen (§§ 257, 258 StPO), Stellung von Beweisanträgen (§§ 244 ff. StPO) in den Verlauf der Hauptverhandlung eingreifen. Andererseits ist der Angeklagte Beweismittel bei der Urteilsfindung, sobald er – wann auch immer – eine Aussage zur Sache gemacht hat (§ 261 StPO).

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Wenn der Mandant bereits im Vorverfahren ausgesagt hatte und erst in der Hauptverhandlung schweigt, muss sich die Verteidigung mit der Problematik der Verlesung von Geständnis- und Vernehmungsprotokollen auseinandersetzen.

Ein richterliches Protokoll kann verlesen werden.

Aus polizeilichen Vernehmungsprotokollen können Vorhalte getätigt werden.

Voraussetzung ist, dass dieser Niederschrift ordnungsgemäß zustande gekommen ist.

Dies ist ggf. nicht der Fall:

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bei unzulässigen Vernehmungsmethoden im Sinne des § 136 a StPO, wenn entgegen § 189 GVG ein nicht vereidigter Dolmetscher mitgewirkt hat, der Angeklagte nicht vorschriftsmäßig im Sinne des § 136 StPO über seine Rechte vor der Vernehmung belehrt worden ist oder andere Grundsätze einer ordnungsgemäßen Vernehmung missachtet wurden. Liegt aus Sicht der Verteidigung ein solcher Fall vor, muss unbedingt zuvor ein Widerspruch gegen die Verlesung bzw. Verwertung protokolliert werden. Sofern der Vorsitzende gleichwohl nach § 238 Abs. 1 StPO die Verlesung bzw. Verwertung anordnen und die Durchführung der Beweisaufnahme insoweit beabsichtigen sollte, müsste ein Gerichtsbeschluss gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt werden.

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Schweigen oder nicht?

Intellekt des Mandaten

Nach der Einlassung geht es weiter!

Schöffen

Psychologische Wirkung des Schweigens

Gründe, die in der Person des Angeklagten liegen, sollen dargestellt werden

Geständnis wirkt strafmildernd

Es steht frei, „zunächst“ keine Aussage zur Sache abzugeben und gleichwohl im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme sich dazu zu entschließen, Angaben zur Sache zu machen – ohne dass dieses zu seinem Nachteil gewertet werden darf (BGH in NStZ 1995, 20 m.w.N.).

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Ein wesentlicher Aspekt für die Entscheidung, keine Aussage zur Sache abzugeben, ergibt sich aus der „Beweislastregel“ der Strafprozessordnung: Nicht der Angeklagte, sondern das Gericht ist Adressat des Aufklärungsgebotes im Sinne des § 244 StPO. Danach hat „das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind“ (Abs. 2). Der Strafprozess ist also kein Parteienprozess wie das zivilrechtliche Verfahren, das von der Verfügungsfreiheit der Parteien beherrscht wird (BGHSt 15, 155, 159). Vielmehr ist es das Ziel des Strafverfahrens, die Wahrheit hinsichtlich der Straftat zu ermitteln und den schuldigen Täter der Strafe zuzuführen. Der Angeklagte muss also nicht seine Unschuld selbst beweisen bzw. zu deren Aufklärung selbst beitragen –z.B. durch eine Einlassung zur Sache – sondern kann sich auf seine Unschuldsvermutung im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 MRK berufen, die erst mit der Rechtskraft der Verurteilung endet (BVerfGE 35, 202, 232).

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Aus dem Schweigen des Angeklagten darf prozessual kein Nachteil resultieren.

Es ist sein gutes Recht, die Aufklärung des wahren Sachverhaltes dem Gericht und der zur Objektivität verpflichteten Staatsanwaltschaft (§ 160 StPO) zu überlassen und selbst entweder passiv der Verhandlung beizuwohnen oder aktiv durch Fragen (§ 240 StPO), Anregungen und Erklärungen (§§ 257, 258 StPO) sowie durch die Stellung von Beweisanträgen (§§ 244 ff. StPO) in den Verlauf der Hauptverhandlung einzugreifen.

Andererseits muss von der Verteidigung unbedingt beachtet werden, dass der Angeklagte als Beweismittel bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden kann und darf, sobald er – wann auch immer – eine Aussage zur Sache gemacht hat (§ 261 StPO).

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Wann ist also der richtige Zeitpunkt? Mitunter ist es wichtig, das Aussageverhalten von Zeugen abzuwarten. Hat der Angeklagte sich zunächst nicht zur Sache eingelassen, so ist die Tatsache späterer Einlassung als wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Grundsätzlich muss der Angeklagte seine Einlassung in eigener Person abgeben. Verteidigererklärung für den Angeklagten: Der Verteidiger trägt (schriftliche) Ausführungen für seinen Mandanten vor. Diese Einlassung darf dem Angeklagten jedoch nur dann als seine eigene zugerechnet werden, wenn der Angeklagte diese Erklärungen als eigene Einlassung verstanden wissen will und dieses auch gegenüber dem Gericht so bestätigt (BGH in NStZ 90,447; 94, 187).

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Gericht gibt sich nicht immer mit dem dann vom Verteidiger vorgetragenen Inhalt zufrieden. Nachfragen des Gerichts zur weiteren Aufklärung an den Angeklagten bzw. seinen Verteidiger könnten sich ergeben. Werden diese Fragen dann wiederum nicht (aus Sicht des Gerichts erschöpfend) beantwortet, besteht die Gefahr, dass die bis dahin vorgetragene Aussage für den Mandanten und das spätere Schweigen („...darüber hinaus gibt mein Mandant keine weitere Erklärung zur Sache ab...“) als unzulässiges Teilschweigen des Angeklagten zu dessen Nachteil gewürdigt werden kann. Über diese Problematik muss sich deshalb der Verteidiger – mit seinem Mandanten – im Klaren sein und deshalb auch in der Vorbereitung dazu entscheiden, ob bzw. inwieweit über die (schriftliche) Verteidigererklärung hinaus weitere Angaben auf Nachfragen erfolgen sollen.

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Der Mandant ist wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung angeklagt. In der Hauptverhandlung beim LG schweigt er – wie auch die Mitangeklagten - zu den Anklagevorwürfen. In seinem Plädoyer beantragt sein Verteidiger „hilfsweise nur für den Fall einer beabsichtigten Verurteilung“ die Beiziehung einer bestimmten Gerichtsakte und die Verlesung einer in der betreffenden, bereits rechtskräftig abgeschlossenen, Hauptverhandlung seinerzeit zu Protokoll genommen schriftlichen Erklärung des Mandanten (die seine damalige Verteidigerin für ihn mit seiner Bestätigung verlesen hatte) als geständige Einlassung. Bei dieser Erklärung soll es sich um „Angaben zur Person und zur Sache handeln, welche dieser Angeklagte eingeräumt hatte und die auch für die Urteilsfindung in diesem Verfahren von Bedeutung zur Entlastung des Mandanten“ seien. Nachdem auch die anderen Anwälte ihre Plädoyers gehalten und alle Angeklagten auch in ihrem letzten Wort geschwiegen hatten, zieht sich das Gericht zur Urteilsberatung zurück. Für den Mandanten (und seinen Verteidiger) völlig überraschend, wird er - gemeinsam mit den Mitangeklagten – ohne weitere Beweisaufnahme gemäß der Anklage zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. In der mündlichen Urteilsbegründung wird u.a. zu diesem Antrag des Verteidigers ausgeführt, dass die Kammer darin keinen Beweisantrag und auch von Amts wegen keine Veranlassung sieht, der beantragten Beiziehung nachzugehen und als geständige Einlassung des Angeklagten zur Sache zu bewerten. Das Gericht ist vielmehr von einem schweigenden Angeklagten ausgegangen und „konnte deshalb kein Geständnis zu seinen Gunsten als Grundlage für eine positive Sozialprognose berücksichtigen“. Der Mandant ist daraufhin enttäuscht von der „tollen Prozesstaktik“ seines Verteidigers und überträgt das Mandat wieder seiner damaligen Anwältin. Von ihr erwartet er, dass sie hinsichtlich des „unterschlagenen“ Geständnisses Revision einlegt. Wie ist diese Sach- und Rechtslage zu würdigen? (vgl. BGH 8 StR 343/03 und BGH 3 StR 390/08)

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Die Rüge einer Verletzung von § 254 StPO ist zulässig erhoben, weil die Revision die den Mangel begründenden Tatsachen vorträgt. Sie bleibt indes im Ergebnis ohne Erfolg. Das Landgericht hat über das "Geständnis" des Angeklagten, das dieser auch im Hinblick auf die ihm hier zur Last gelegten Taten in einem anderen, gegen ihn im Jahr 2000 geführten Strafverfahren abgegeben hat, durch Verlesung einer damals für den Angeklagten vom Verteidiger abgegebenen und als Anlage zum Protokoll genommenen Erklärung nach § 254 StPO Beweis erhoben. Dies hält rechtlicher Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Aussage des Angeklagten nicht in einem richterlichen Protokoll enthalten ist. Wenn sich der Angeklagte bei seiner - geständigen - Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und diese sodann - unnötigerweise - vom Gericht entgegengenommen und als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angeklagte damit mündlich geäußert und das Gericht den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen festzustellen hat. Zum Bestandteil des Hauptverhandlungsprotokolls ist sie dadurch nicht geworden.

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Wenn sich der Verteidiger dazu entscheidet, für seinen Mandanten eine Erklärung zur Sache aktenkundig machen zu wollen, gleichwohl aber seinen Mandanten keinesfalls selbst reden lassen will, bleibt die Möglichkeit einer Verteidigungsschrift (manchmal auch Schutzschrift genannt).

Die rechtliche – aber in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich definierte - Grundlage für eine Vereidigungsschrift ist somit § 137 Abs. 1 StPO i.V.m. § 243 Abs. 4 StPO für die Hauptverhandlung.

Grundsätzlich kann eine solche Verteidigungsschrift in jeder Lage des Verfahrens abgegeben werden.

Sofern letztlich eine Verteidigungsschrift beabsichtigt ist, könnte sie folgenden Aufbau haben:

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Gegengewicht zur Anklage schaffen, d.h. eigene Sicht der Dinge mitteilen.

Darstellung der wesentlichen Verteidigungsargumente. Deren Kenntnis ist für Gericht und StA notwendig, um ggf. zu einem konsensualen Ende des Verfahrens zu kommen.

Vorläufige Beweiswürdigung, auch mit dem Ziel, ggf. ein einvernehmliches Ende des Verfahrens zu erwirken, in Abwägung zu Tipps für das Gericht, Schwachstellen zu schließen.

Verfahrensanträge

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Auf jeden Fall wäre eine solche Verteidigungsschrift eine gute Möglichkeit für eine Erörterung schwieriger Sach- und Rechtsfragen. Hier handelt es sich nämlich um Ausführungen bzw. Verteidigungsansätze, die gerade nicht von dem Angeklagten selbst in das Verfahren (durch seine Einlassung) eingebracht werden können, sondern vielmehr „klassische“ Aufgaben des Verteidigers sind. Der Vorteil, auf diesem Wege (anstatt mündlicher Erörterung in der Hauptverhandlung) diese wesentlichen Punkte der Verteidigung vorzutragen, liegt nicht zuletzt auch darin, bereits im Hinblick auf eine spätere Revision zu dokumentieren, über welche Informationen bzw. Hinweise das Gericht aufgrund einer solchen Verteidigungsschrift bereits zu Beginn des Verfahrens verfügt hatte (und damit beispielsweise später eine Aufklärungsrüge begründet werden könnte).

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Der Inhalt einschließlich der damit beabsichtigten Zielsetzung ist zuvor im Hinblick auf die Verfahrens- bzw. Beweislage realistisch abzuwägen. Dazu sollte nicht nur eine Besprechung bzw. Abstimmung mit dem Mandanten erfolgt sein, sondern nach Möglichkeit auch ein Gespräch mit dem sachbearbeitenden Staatsanwalt zuvor stattgefunden haben. Für den Verteidiger gilt es nämlich zu beachten, dass er mit seiner Verteidigungsschutzschrift nicht nur Erklärungen (z.B. Sacheinlassung für den Angeklagten) vorbringen, sondern insbesondere auch Ziele aus Sicht des Angeklagten definieren und festlegen sollte. Allerdings wäre es dabei unprofessionell (wenn nicht sogar peinlich), im Verlauf der weiteren Hauptverhandlung von diesen Zielen abweichen zu müssen („Rückzieher“), weil zwischenzeitlich Veränderungen bzw. Entwicklungen eingetreten sind, welche die Verteidigung hätte vorhersehen können (oder sogar müssen). In diesem Sinne ist es deshalb ratsam, vor einer solchen Festlegung der Verteidigungsziele mit der Staatanwaltschaft eine Klärung bzw. Abstimmung dahingehend zu versuchen, inwieweit eine Annährung der jeweiligen Verfahrensziele – also sowohl aus Sicht der Verteidigung als auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft – möglich wäre und dann bei der Definition des Verfahrenszieles in der Verteidigungsschrift berücksichtigt werden sollte. Im Ergebnis muss jedenfalls die Verteidigungsschrift so strukturiert und formuliert sein, dass ohne spätere Korrektur sowohl die Ausführungen als auch das erklärte Verfahrensziel bis zum Abschluss des Verfahrens Bestand haben – ansonsten könnte daraus ein Autoritätsverlust zu Lasten des Angeklagten und letztlich ein Nachteil für den Angeklagten resultieren. Ansonsten macht sie keinen Sinn.

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4. Teil

Aussage gegen Aussage

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Gericht und Staatsanwaltschaft unterlassen es bei Belastungszeugen – gleich aus welchem Grunde –, deren Aussageverhalten kritisch zu hinterfragen und statt dessen nach Möglichkeit eine Übereinstimmung zwischen früheren polizeilichen Vernehmungsprotokollen und dem Inhalt ihrer gegenwärtigen Aussage sehen wollen.

Schon vor Beginn einer Zeugenvernehmung muss das Vernehmungsziel aus Sicht der Verteidigung feststehen.

Zeugen der Anklage:

Aussagetendenz aus Ermittlungsverfahren.

Sollen Anklagevorwurf bestätigen.

Deshalb muss hier das Ziel der Verteidigung die inhaltliche Widerlegung der Aussagen und/oder die Darlegung der Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Beweispersonen sein.

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Für Zeugen der Verteidigung gilt naturgemäß das Gegenteil. Diese Zeugen können, da sie mitunter erst im HV erstmals in Erscheinung treten, durch die Verteidigung entsprechend vorbereitet werden. Nicht nur für den Zeugen, sondern auch für Gericht und Staatsanwaltschaft sind Fragen der Verteidigung, die offensichtlich das Ziel der Bloßstellung als Indiz für die Unglaubwürdigkeit der Beweisperson haben, ebenso „unbeliebt“ wie erfolglos. Zum einen werden Zeugen, die sich mit einer solch offensichtlichen Befragungstendenz konfrontiert sehen, besonders vorsichtig und ausweichend (und im Zweifelsfall gar nicht) antworten; zum anderen werden Zeugen der Anklage in solchen Fällen oft von Gericht und/oder Staatsanwaltschaft geschützt, indem solche Fragen der Verteidigung möglichst unterbunden werden.

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In vielen Fällen sind die Möglichkeiten der Befragung durch die Verteidigung schon dadurch erheblich eingeschränkt, dass die Reihenfolge der Befragung durch das Gericht bestimmt wird und die Verteidigung bzw. der Angeklagte als letzter Prozessbeteiligter das Fragerecht erhält. Das bedeutet, dass zuvor bereits Gericht und Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer ersten Befragung ein (vorläufiges) inhaltliches Ergebnis der Zeugenaussage herausgearbeitet haben. Gleichzeitig führt diese vorgegebene Reihenfolge zu der Situation, dass manche Fragen der Verteidigung als „bereits vom Zeugen beantwortet“ und damit als unzulässige Wiederholungen zurückgewiesen werden – auch bzw. gerade, wenn die Verteidigung im Rahmen ihrer Befragung eine ganz andere Beantwortung durch den Zeugen erreichen will. Es empfiehlt sich deshalb für die Verteidigung, bei der jeweils vorausgehenden Befragung der Beweispersonen durch Gericht und Staatsanwaltschaft und der anschließenden eigenen Befragung darauf zu achten, dass sinngleiche Fragen in wesentlichen Punkten eine unterschiedliche Variante in der Fragestellung beinhalten, damit diese Fragen nicht wegen Wiederholung als unzulässig zurückgewiesen werden können.

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Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen sollte von der Verteidigung nach Aussage-Motivation, Aussage-Inhalt, Aussage-Verhalten und Persönlichkeit des Zeugen differenziert werden. Während es bei der Befragung durch Gericht und Staatsanwaltschaft häufig nur auf den (im Sinne der Anklage „erforderlichen“) Aussage-Inhalt ankommt, sollte die Verteidigung den Schwerpunkt ihrer taktischen Befragung nach den vorgenannten Kriterien orientieren bzw. gewichten. Allerdings muss man auch erkennen und akzeptieren, dass es Grenzen dieser Möglichkeiten gibt. Hierzu gehören nicht nur Zeugen, deren Aussageverhalten sich nicht (weiter) durch Befragungen der Verteidigung ändern wird, weil diese entweder sich nicht anders als in der bereits bekundeten Weise erinnern oder weitere Erinnerungen nicht haben. Weitaus problematischer – weil für den Angeklagten „gefährlicher“ – sind solche Zeugen, die sich (bewusst oder unbewusst) in einem bestimmten Kern ihrer Aussage verfestigen und sogar darüber hinaus beginnen, gerade diesen Kernbereich zum Nachteil des Angeklagten noch weiter auszuführen.

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Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen sollte von der Verteidigung nach Aussage-Motivation, Aussage-Inhalt, Aussage-Verhalten und Persönlichkeit des Zeugen differenziert werden.

Während es bei der Befragung durch Gericht und Staatsanwaltschaft häufig nur auf den (im Sinne der Anklage „erforderlichen“) Aussage-Inhalt ankommt, sollte die Verteidigung den Schwerpunkt ihrer taktischen Befragung nach den vorgenannten Kriterien orientieren bzw. gewichten.

Die Auseinandersetzung mit Zeugen bzw. deren Befragung ist Schwerpunkt der Verteidigungsstrategie. Damit verbunden sind die Möglichkeiten, noch in der Hauptverhandlung bereits vermeintlich aktenkundig „festgeschriebene“ Beweismittel im Sinne des Angeklagten verändern bzw. beeinflussen zu können.

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Allerdings muss man auch erkennen und akzeptieren, dass es Grenzen dieser Möglichkeiten gibt.

Hierzu gehören Zeugen, deren Aussageverhalten sich nicht (weiter) durch Befragungen der Verteidigung ändern wird, weil diese entweder sich nicht anders als in der bereits bekundeten Weise erinnern oder weitere Erinnerungen nicht haben.

Problematisch sind solche Zeugen, die sich (bewusst oder unbewusst) in einem bestimmten Kern ihrer Aussage verfestigen und sogar darüber hinaus beginnen, gerade diesen Kernbereich zum Nachteil des Angeklagten noch weiter auszuführen. Eine Fortsetzung der Befragung kann deshalb eher weitere belastende als die erhofften entlastenden Anhaltspunkte in das Verfahren einbringen.

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Typisch für die letztgenannte Gruppe von Zeugen sind solche, die zu dem Angeklagten aus persönlichen Gründen oder aus unmittelbarer Nähe zur Tat (z.B. als Opfer) in besonderer Beziehung stehen.

Von solchen Beweispersonen geht häufig eine extreme Belastungstendenz aus, die es von Seiten der Verteidigung entweder durch geschickte Vernehmungstechnik zu verhindern oder durch rechtzeitige Beendigung der Befragung zu akzeptieren gilt.

Es würde auch jeglicher Lebenserfahrung widersprechen, von einem Tatopfer im Sinne des Angeklagten wohlwollende bzw. entlastende Aussagen zu seiner Person zu erwarten – was die Verteidigung bei ihrer Vorbereitung dieser Zeugenvernehmung einkalkulieren sollte.

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Vielmehr kann es sich aus Sicht der Verteidigung sogar empfehlen, auf die Vernehmung dieser Beweispersonen insgesamt zu verzichten, um ihnen erst gar nicht die Möglichkeit entsprechender Äußerungen zu geben.

Im Übrigen kann es nicht nur strafmildernd bei einem Rechtsfolgenausspruch berücksichtigt werden, wenn der Angeklagte auf die Befragung von Tatopfern verzichtet und ihnen damit eine Anwesenheit erspart hat – manchmal kann es sogar gerade zu sehr ratsam für die Verteidigung sein, dem Gericht nicht erst noch das Bild eines noch immer unter den Folgen der angeklagten Tat leidenden Opfers im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen zu führen ...

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Bekanntlich werden in der Hauptverhandlung nach der Einlassung des Angeklagten (oder seiner Erklärung, nicht zur Sache aussagen zu wollen) zunächst die Zeugen der Anklage gehört.

Deren Aussagetendenz kann aus den im Rahmen des Ermittlungsverfahrens dokumentierten polizeilichen Vernehmungsprotokollen prognostiziert werden.

Diese Zeugen sollen den Anklagevorwurf bestätigen. Deshalb muss hier das Ziel der Verteidigung die inhaltliche Widerlegung der Aussagen und/oder die Darlegung der Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Beweispersonen sein.

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Im Anschluss werden die Zeugen der Verteidigung gehört.

Nicht selten handelt es sich bei diesen Beweispersonen um solche, die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens keine oder nur entlastende Aussagen gemacht haben und sogar teilweise erstmalig in der Hauptverhandlung von der Verteidigung (oder anderen Zeugen) benannt werden.

In diesen Fällen sollte das Ziel der Verteidigung die Bekräftigung der Entlastung des Angeklagten bzw. die Feststellung der Glaubwürdigkeit dieser Beweispersonen sein.

Seitens der Verteidigung muss in solchen Fällen deshalb darauf geachtet werden, dass Widersprüche in den Aussagen dieser Zeugen vermieden werden und die Befragung inhaltlich im Ergebnis geeignet ist, den Angeklagten zu entlasten.

Es kommt dabei nicht nur auf die Quantität bzw. zeitliche Dauer der Befragung solcher Zeugen an, sondern vielmehr auf die Qualität im Sinne der entscheidenden Antworten auf die verfahrensrelevanten Fragen.

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5. Teil

Sachverständigenproblematik

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Diverse Sachverständige unterschiedlicher Fachrichtungen und Qualifikation wurden zu verschiedenen Begutachtungsfragen gehört – von denen wegen der Vielzahl lediglich einige beispielhaft erwähnt nachstehend werden. So kam der Rechtsmediziner Dr. Rainer Mattern zu dem Ergebnis, dass die Verletzungen am Hals und Oberschenkel des vermeintlichen Tatopfers „von einem Messerrücken stammen und die blauen Flecken von Kniestößen des Angeklagten verursacht worden“ sein könnten. Der psychiatrische Sachverständige Hartmut Pleines explorierte JK zur Beurteilung einer möglichen psychischen Erkrankung und zur Schuldfähigkeit. In diesem Zusammenhang stellte er unter anderem fest, dass „Eigensucht und egozentrisches Verhalten“ „nicht fremd“ seien und er somit „ein gutes Stück vom Idealbild einer ausgeglichenen Persönlichkeit“ abweiche, im Ergebnis allerdings eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu verneinen war. Des Weiteren sei bei ihm zwar ein „betont variantenreiches Sexualleben“ festzustellen gewesen, dass jedoch ohne Krankheitswert sei.

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Der psychologische Sachverständige Prof. Dr. Tilman Elliger kam zu dem Ergebnis, dass er die Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Tatopfers „stark anzweifelte“ - seine Reputation in diesem Verfahren jedoch in Frage stellte, indem er noch während des Ermittlungsverfahrens gemeinsam mit J. Kachelmann und seinem damaligen Verteidiger, Dr. Birkenstock, in einem italienischen Restaurant „einen Espresso getrunken“ hatte, um „Herrn Kachelmann kurz persönlich kennenzulernen“.

Darüber hinaus wurden noch Gutachten zu weiteren Beweisfragen erstellt (beispielsweise zu Blutspuren an einem Tomatenmesser), die teilweise widersprüchliche, zumeist jedenfalls aber nicht eindeutige Erkenntnisse („Mischspuren“) lieferten.

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Eine besondere Bedeutung hatte allerdings ein Gutachten der Psychologin Prof. Luise Greuel. Mit dem Ergebnis ihres (vorläufigen) aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubwürdigkeit der Anzeigeerstatterin hatte sie maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des Strafsenats beim OLG Karlsruhe im Rahmen der Haftbeschwerde, Herrn Kachelmann aus der U-Haft zu entlassen. Prof. Greuel kam nämlich zu dem Ergebnis, dass die Schilderung des vermeintlichen Tatopfers zum Tathergang „nicht die Mindestanforderungen an logische Konsistenz, Detailierung und Konstanz“ erfülle. So habe die Frau die Tat „nur vage und oberflächlich“ wiedergegeben und könne auch „zu zentralen Aspekten der Vergewaltigung keine Angaben machen“. Zudem seien bei dieser Person die „Erinnerungslücken außergewöhnlich umfassend“ gewesen.

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Obwohl das Gericht grundsätzlich die Möglichkeit hat, eine Beweiswürdigung aufgrund „eigener Sachkunde“ im Sinne des § 244 Abs. 4 S. 1 StPO vorzunehmen, wird vereinzelt im Rahmen der Aufklärungspflicht von Amts wegen ein Sachverständiger hinzugezogen oder auf Antrag der Verteidigung geladen. Dabei ist aber zwingend zwischen der Beauftragung und Vernehmung eines „Sachverständigen“ einerseits und der Vernehmung eines „sachverständigen Zeugen“ andererseits zu unterscheiden. Wenn eine Person Sachkunde vermitteln soll, handelt es sich dabei um einen Sachverständigen, dessen Aufgabe in der Vornahme bloßer Verrichtungen (z.B. Blutprobenentnahme) bzw. in der Feststellung und Übermittlung von Tatsachen (z.B. Bestimmung der Blutalkoholkonzentration) bestehen kann. Voraussetzung ist dabei jeweils, dass er im Auftrag der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts tätig geworden ist. Soll eine Beweisperson jedoch nur zufällig gemachte Wahrnehmungen bekunden, die sie aufgrund besonderer Sachkunde gemacht hat (z.B. der Arzt während der Operation eines Tatopfers), handelt es sich lediglich um einen sachverständigen Zeugen, für dessen Vernehmung die allgemeinen Grundsätze der Zeugenbefragung gelten. Äußert sich ein Zeuge im Rahmen seiner Vernehmung jedoch auch gutachtlich, muss er nicht schon deshalb unbedingt als Sachverständiger vernommen werden – vielmehr kommt es darauf an, in welchem Bereich der Schwerpunkt seiner Vernehmung liegt (BGH in NStZ 1984, 465).

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Auswahl des Sachverständigen Im Ermittlungsverfahren ist die Strafverfolgungsbehörde gemäß § 161 a Abs. 1 S. 2 stopp berechtigt, einen Sachverständigen zu bestellen (vgl. RiStBV Nr. 70 Abs. 1), im gerichtlichen Verfahren jedoch „erfolgt die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl durch den Richter“ nach § 73 Abs. 1 StPO. Sofern die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren einen Sachverständigen beauftragt hatte, ist selbstverständlich das Gericht nicht im Rahmen der Hauptverhandlung daran gehindert, einen anderen Sachverständigen mit demselben Gutachtenthema zu beauftragen. Ebenso wenig hat die Verteidigung die Möglichkeit, die Anhörung eines bestimmten Sachverständigen zu erzwingen (BGHSt 34, 355, 357). Bei der Auswahl des Sachverständigen ist stets zu prüfen, ob dieser dem maßgeblichen Fachgebiet angehört (BGHSt 34, 355, 357). So kann es beispielsweise von entscheidender Bedeutung sein, ob der Sachverständige ein Psychologe oder aber ein Psychiater ist und zu dem entsprechenden Fachgebiet die erforderliche Sachkunde besitzt (BGH in NStZ 1997,199).

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Es wird empfohlen, von dem Recht zur Stellungnahme bezüglich der Auswahl des vorgeschlagenen Gutachters Gebrauch zu machen und auf die Auswahl Einfluss zu nehmen (so z.B. Krekeler in StraFo 96, 5, 6). Diese Empfehlung ist damit begründbar, dass damit die Beauftragung eines aus Sicht der Verteidigung qualifizierten Sachverständigen erreicht bzw. die Beauftragung eines möglicherweise als wenig qualifiziert bekannten Sachverständigen vermieden werden soll, bevor das Gericht sich auf ein solches Gutachten „festgelegt“ hat. Demgegenüber sollte jedoch stets bedacht werden, dass es der Verteidigung um so schwerer fallen würde, im Nachhinein ein Gutachten anzugreifen, wenn es durch den von der Verteidigung „gewünschten“ Sachverständigen erstellt worden war – allerdings das Ergebnis nicht den Erwartungen bzw. Hoffnungen der Verteidigung entsprach...

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Selbstverständlich steht es der Verteidigung grundsätzlich frei, einen „eigenen“ Sachverständigen zu beauftragen. Voraussetzung dafür ist jedoch neben der finanziellen Grundlage eines solchen Auftrages auch gleichzeitig die Entbindung des Sachverständigen von der Schweigepflicht durch den Mandanten gegenüber den Ermittlungsbehörden bzw. dem Gericht. Aus prozesstaktischen Gründen kann es im Einzelfall ratsam sein, dem Sachverständigen lediglich den Status eines „wissenschaftlichen Mitarbeiters“ einzuräumen, weil dieser dann als Berufshelfer der Verteidigung im Sinne des § 53 a StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte und damit gleichzeitig die Verteidigung selbst über die Ausübung dieses Rechtes bindend entscheiden könnte. Eine solche Konstellation ist jedoch umstritten, so dass es über die Erstellung des Gutachtens hinaus stets einer engen Zusammenarbeit zwischen der Verteidigung und dem Sachverständigen als „wissenschaftlichem Mitarbeiter“ bedarf (OLG Köln in StV 1991, 506). Auf jeden Fall sollte die Verteidigung bei Auftragsvergabe des Gutachters, dessen Umfang bzw. die Beweisfrage möglichst konkret definieren und – soweit vorhanden – dem Sachverständigen eine Kopie der Verfahrensakten überlassen, damit dieser sich ggf. selbständig ergänzende Anknüpfungstatsachen aus den Unterlagen erarbeiten kann (z.B. Begehungsweise einer bestimmten Tat etc.). In der Hauptverhandlung müsste ein solcher Gutachter sodann als „präsentes Beweismittel“ gemäß §§ 220, 38 StPO eingeführt werden – wobei nach Anhörung eines solchen Sachverständigen anschließend die Möglichkeit nach § 220 Abs. 3 stopp besteht, eine Kostenerstattung durch die Landeskasse zu beantragen.

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Sofern bei dem Mandanten die finanziellen Mittel für eine „private“ Beauftragung eines Sachverständigen vorhanden sind, hat die Beauftragung und das Ergebnis der Untersuchung für die weitere Verteidigungsstrategie mehrere Vorteile. So wird zum einen die Beweiskraft eines Objektes oder einer vermeintlichen Tatspur dadurch deutlicher, zum anderen kann/sollte ein entsprechend „negatives“ Ergebnis (aus Sicht der Verteidigung) die „Bereitschaft“ des Mandanten „verstärken“, sich – zumindest teilweise – geständig einlassen zu wollen. Häufig sind Mandanten gegenüber qualifizierten Beratungen ihrer Verteidiger „resistent“, wenn es darum geht, eine für den Mandanten eher „unangenehme“ Verteidigungsstrategie zu akzeptieren. Dann kann eine entsprechende „Bereitschaft“ dazu unter Umständen gerade durch das (vorläufige) Ergebnis einer solchen Expertise herbeigeführt werden. So müsste beim Vorwurf eines Betruges mittels Verwendung einer gefälschten Urkunde die Verteidigungsstrategie darauf eingestellt werden, falls auf dem betreffenden Schriftstück die Fingerabdrücke des Mandanten aufgrund eines daktyloskopischen Sachverständigengutachtens festgestellt wurden…

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Befragung des Sachverständigen Festzuhalten ist zunächst, dass dem SV ein eigenes Fragerecht zusteht, auch an den Angeklagten. Zudem ist der SV in dem meisten Fällen ständig anwesend. Dennoch kann auch der SV nach den Ausführungen zu seinem Gutachten befragt werden. Zur Vorbereitung des Gutachtens kann das Gericht nach § 80 Abs. 1 StPO dem Sachverständigen „auf sein Verlangen“ weitere Aufklärung durch Vernehmung von Zeugen oder des Beschuldigten bzw. Angeklagten verschaffen. Daraus folgt, dass er direkt an die betreffenden Personen Fragen stellen darf. Die Verteidigung sollte in solchen Fällen jedoch darauf achten, dass der Sachverständige sein Fragerecht ordnungsgemäß ausübt (also z.B. Suggestiv-Fragen unterlässt) und andernfalls die Art der Befragung rügen und erforderlichenfalls sogar im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO einen Gerichtsbeschluss dazu herbeiführen. Das Fragerecht des Sachverständigen schließt sich üblicherweise an das der Staatsanwaltschaft an, wobei die Reihenfolge selbstverständlich der Ermessensentscheidung des Gerichts unterliegt und somit grundsätzlich freisteht. Auf jeden Fall gelten die Schweigerechte der zu befragenden Personen auch gegenüber dem Sachverständigen (also sowohl Auskunfts- als auch Zeugnisverweigerungsrechte).

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Der SV gewinnt seine Erkenntnis aus Befundtatsachen (eigene Sachkunde) und Zusatztatsachen (Auswertung von Akte und Zeugenaussagen).

Dafür erhält der SV Akteneinsicht und das Fragerecht.

Die Verteidigung sollte neben der Sachkunde des SV (bisherige wissenschaftliche Tätigkeit) auch erfragen, welche Literatur z.B. für die Exploration genutzt wurde, ob Fortbildungen durchgeführt wurden etc.

Auch sollte erfragt werden, warum ggf. gegenteilige Meinungen ausgeschlossen wurden (Begründung vom Ergebnis her).

Hinsichtlich der Akteneinsicht sollte festgestellt werden, wann diese erfolgt ist, da ggf. bei früher AE weitere Erkenntnisse zur Akte gelangt sind.

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Die Verfahren zeigen, dass die SV nicht alleine arbeiten.

Es ist zu erfragen, ob und in welchem Umfang wissenschaftliche Mitarbeiter und Hilfskräfte an der Erstellung des Gutachtens beteiligt gewesen sind.

Es kommt vor, dass die Befragung des Angeklagten durch den WM erfolgt und dieser nur seine Eindrücke an den SV weitergibt, woraus dieser sein Gutachten erstellt.

Ergebnis: Große Chaos!

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In den Urteilsgründen muss das Gericht letztlich im Sinne des § 261 StPO darlegen, aufgrund welcher Gesichtspunkte es sich einem Sachverständigengutachten angeschlossen oder dagegen entschieden hat und die für und gegen die dabei erörterte Thematik sprechende Gesichtspunkte abwägen (BGH in StV 1994, 228) sowie dabei alle wesentlichen Tatsachen mitteilen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob die Abwägung rechtsfehlerfrei stattgefunden hat (BGH in MDR 1995, 1153).

Folgt aus den Ausführungen des Sachverständigen zwingend eine bestimmte Tatsache im Sinne gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse, muss das Gericht allerdings davon ausgehen (BGHSt 24, 203).

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Ablehnung

Der nach Verteidigerwechsel tätige Anwalt Schwenn stellte am 39. Verhandlungstag einen Befangenheitsantrag gegen den Rechtsmediziner Mattern.

Anlass dafür war dessen gutachterliche Behauptungen, die „Verletzungen am Hals“ seien durch Verletzungen mittels eines „Messerrücken“ zurückzuführen und die „blauen Flecken am Oberschenkel“ würden von „Kniestößen“ herrühren – also so, wie von dem vermeintlichen Tatopfer geschildert.

Nach Ansicht von der Verteidigung habe damit der Sachverständige dem angeblichen Vergewaltigungsopfer ein Tatgeschehen „nahegelegt“, dass es selbst so nicht geschildert hatte. Vielmehr habe die Frau selbst zum einen bis dahin behauptet, die Verletzungen am Hals seien durch die „Messerschneide“ verursacht worden, zum anderen habe sie bislang angegeben, sie habe „gar nicht gewusst, woher die blauen Flecken stammen“.

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Im Gegensatz zu einem sachverständigen Zeugen kann der Sachverständige selbst wegen Befangenheit nach § 74 StPO abgelehnt werden.

Ein solches Ablehnungsrecht steht gemäß § 74 Abs. 2 StPO sowohl der Staatsanwaltschaft, der Nebenklage und dem Privatkläger als auch dem Beschuldigten bzw. Angeklagten selbst zu – wobei die Verteidigung das Ablehnungsrecht nur im Namen des Angeklagten ausüben darf.

Die Ablehnungsgründe entsprechenden den Grundsätzen der Besorgnis der Befangenheit eines Richters (BGH in NStZ 91, 28).

Das Spektrum möglicher Befangenheitsgründe ist dabei so weitreichend, dass im Rahmen dieser Seminarthematik nicht auf alle Facetten eingegangen werden kann.

Generell gelten die Ausschließungsgründe nach § 22 Nrn. 1 – 4 StPO, die einerseits nur auf Antrag zu berücksichtigen sind, bei ihrer positiven Feststellung jedoch zu einem zwingenden Ausschluss führen.

Zu beachten ist noch der Zeitpunkt, wonach ein solches Ablehnungsverfahren im Gegensatz zur Ablehnung von Richtern (dort § 25 StPO) der Sachverständige über § 83 Abs. 2 stopp auch noch nach Erstattung seines Gutachtens bis zur Urteilsverkündung abgelehnt werden kann.

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Im Einzelfall kann die Zuziehung eines weiteren Sachverständigen geboten sein, wenn der Gutachter bis dahin die wesentlichen Beweisfragen nur unzulänglich beantwortet hatte oder beispielsweise seine Meinung wechselt, ohne dafür eine nachvollziehbare Erklärung geben zu können.

Die Prüfung eines solchen Erfordernisses hat das Gericht zum einen stets von Amts wegen zu prüfen, insbesondere jedoch bei einem Beweisantrag nach § 244 Abs. 4 S. 2 StPO.

Ein solcher Anlass wäre danach gegeben, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen vorausgeht, Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über überlegene Forschungsmittel verfügt.

Es gibt allerdings keinen Rechtssatz des Inhalts, dass zur Beantwortung schwieriger fachwissenschaftlicher Fragen grundsätzlich mehrere Sachverständige heranzuziehen sind (BGHSt 23, 176, 187).

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6. Teil

Die Nebenklage

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Die Länge und die Öffentlichkeit eines solchen Verfahrens belasten nicht nur viele Angeklagte, sondern auch andere Prozessbeteiligte, sofern diese in ähnlicher Weise involviert sind. In besonderem Maße gilt das für Nebenkläger(innen) in ihrer „Doppelfunktion“ als Zeugen einerseits und Geschädigte andererseits. Im „Kachelmann-Prozess“ hatte sich die Anzeigeerstatterin dem Verfahren als Nebenklägerin angeschlossen und wurde dabei von Rechtsanwalt Thomas Franz vertreten und betreut. Während sie zu Beginn des Verfahrens noch persönlich anwesend war, verließ sie nach Anklageverlesung die Verhandlung. Erst zu ihrer eigenen (Zeugen-) Vernehmung wollte sie wieder erscheinen. Ihre Befragung verschob sich jedoch einige Male, weil ständig neue Anträge der Verteidigung zu Unterbrechungen bzw. Verfahrensverzögerungen führten. Als sie schließlich vernommen werden sollte, wurde – auf Antrag ihres Anwalts – die Öffentlichkeit für die Dauer ihrer Vernehmung ausgeschlossen. Im weiteren Verlauf des Prozesses musste sich die Nebenklägerin wiederholt – insbesondere nach Verteidigerwechsel auf Verlangen des neuen Verteidigers – den Befragungen und Vorhalten der Prozessbeteiligten (vorrangig der Verteidigung) stellen. Nachstehend werden deshalb die wesentlichen rechtlichen Aspekte der Nebenklage dargelegt.

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Für eine(n) Nebenkläger(in) sind es weniger die strafprozessualen Formalitäten und rechtlichen Grundlagen, sondern die tatsächlichen Möglichkeiten „aktiver Teilnahme“ an einem solchen Prozess.

Schon das Recht auf Akteneinsicht gibt dem Nebenkläger das Gefühl der „Waffengleichheit“ im Vergleich zum Angeklagten.

So kann nämlich einerseits die Aktenlage jederzeit mitverfolgt werden (neue Aussagen, Gutachten etc.), andererseits kann man dadurch oft auch vor der eigenen Vernehmung erfahren, wie sich der Angeklagte dazu verhält (geständig?) und auf erkennbares „Konfliktpotenzial“ einstellen.

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Anschlusserklärung

Die Erklärung über den Anschluss als Nebenkläger bedarf nach § 396 Abs. 1 S. 1 StPO der Schriftform, wobei auch durch Telefax, Fernschreiben oder Telebrief übermittelte Erklärungen zulässig sind.

Wirksam ist ebenfalls die zu Protokoll der Geschäftsstelle

abgegebene bzw. in die Niederschrift des Hauptverhandlungsprotokolls aufgenommene Anschlusserklärung.

Inhaltlich muss die Anschlusserklärung eindeutig sein, und zwar muss sie eine ausdrückliche Erklärung über den Anschluss als Nebenkläger enthalten.

Zur Veranschaulichung sei auf das Musterschreiben im Skript verwiesen.

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Es handelt sich bei dieser Erklärung nicht um einen Antrag, sondern um eine bestimmte Verhaltensweise im Sinne einer prozessualen Bewirkungshandlung. Die in einem Anwaltsschreiben enthaltene Anzeige der Nebenklagevertretung und der Wunsch, im Ermittlungsverfahren beigeordnet zu werden, reicht als eindeutige Erklärung des Anschlusses an die noch nicht erhobene öffentliche Klage nicht aus (SchlHolst OLG, SchlHA 1995, 8). In dem Schriftsatz des Nebenklägers zur Rechtsmitteleinlegung wird eine ausdrückliche Anschlusserklärung oft entbehrlich sein, da die Erklärung über die Einlegung des Rechtsmittels eine solche im Zweifelfall bereits beinhaltet. Im umgekehrten Fall geht dies allerdings nicht. Eine Erklärung, sich als Nebenkläger am Rechtsmittelverfahren beteiligen zu wollen, impliziert nicht zugleich eine eigene Rechtsmitteleinlegung durch den Nebenkläger. Insoweit ist zu beachten, dass dem Nebenkläger in der Rechtsmittelinstanz auch ein isoliertes Beteiligungsrecht analog seiner erstinstanzlichen Verfahrensrolle zusteht, von dessen ausschließlicher Inanspruchnahme in unklaren Antragsfällen speziell dann ausgegangen werden sollte, wenn bereits ein anderer Verfahrensbeteiligter Rechtsmittel eingelegt hat. Dies gilt insbesondere in Ansehung des mit der eigenen Rechtsmitteleinlegung einhergehenden Kostenrisikos des Nebenklägers, dass sich im Falle seiner Verwirklichung in der Übernahme der Auslagen des Beschuldigten nach § 473 Abs. 1 S. 3 StPO niederschlägt.

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Darüber hinaus muss der Nebenkläger prozessfähig sein.

Andernfalls ist die Anschlusserklärung durch den gesetzlichen Vertreter, dem das Personensorgerecht zusteht, abzugeben.

Dieser hat dann auch die Nebenklagerechte wahrzunehmen.

Wenn ein Strafverfahren gegen ein Elternteil des nebenklageberechtigten Kindes geführt wird, muss dieses durch einen Ergänzungspfleger vertreten werden.

Es ist noch besonders darauf hinzuweisen, dass als Nebenkläger nicht der gesetzliche Vertreter sondern das verletzte Kind selbst zugelassen wird.

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Die Anschlusserklärung ist nach § 396 Abs. 1 S. 1 StPO grundsätzlich bei Gericht als zuständigem Adressaten einzureichen - und zwar bei dem Gericht, das über die Anschlussberechtigung zu entscheiden hat oder das mit der Sache befasst ist, also auch gegenüber dem Rechtsmittelgericht.

Die Anschlusserklärung kann ausweislich § 396 Abs. 1 Satz 2 StPO - etwa im Vorverfahren - auch bei der Staatsanwaltschaft eingereicht werden.

Gemäß § 394 Abs. 4 StPO ist der Anschluss in jeder Lage des Verfahrens zulässig und kann auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

Der vor Erhebung der öffentlichen Klage erklärte Anschluss wird erst wirksam, wenn sie erhoben ist, § 396 Abs. 1 Satz2, 3 StPO.

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In der Praxis sollte der Rechtsanwalt unverzüglich nach Übernahme des Mandats anzeigen, dass er den Nebenkläger vertritt und den Antrag auf Zulassung der Nebenklage stellen.

Die frühzeitige Antragstellung empfiehlt sich insbesondere deshalb, weil dem Nebenkläger nach §§ 406 f, 406 g StPO besondere Rechte zustehen können.

Nach Rechtskraft des Urteils kann eine Nebenklage nach § 395 Abs. 3 StPO nicht mehr zugelassen werden, auch wenn sie bereits früher beantragt war (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 11).

Die Nebenklage ist unzulässig, wenn Zweifel bestehen, ob die Anschlusserklärung vor oder nach der Rechtskraft beim zuständigen Gericht eingegangen ist.

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Die Anschlusserklärung wird mit Eingang der Akten mit der öffentlichen Klage sowie der Erklärung bei Gericht wirksam. Wird die öffentliche Klage durch Antrag auf Erlass eines Strafbefehls erhoben, so wird die Anschlusserklärung frühestens nach Anberaumung eines Termins zur Hauptverhandlung gemäß § 396 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. §§ 408 Abs. 3 S. 2, 411 Abs. 1 S. 2 StPO oder mit dem Erlass des Beschlusses über die Ablehnung des Antrages nach § 408 Abs. 2 S. 1 stopp wirksam. Wird der Strafbefehl ohne Durchführung eines Hauptverhandlungstermins erlassen, ergeht ein Beschluss über Zulassung oder Nichtzulassung nur, wenn Einspruch eingelegt und Hauptverhandlung anberaumt wird - nicht aber, wenn ohne Terminsanberaumung das Strafbefehlsverfahren nach §§ 153 ff. StPO eingestellt wird. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in den letztgenannten Fällen die Anschlusserklärung gemäß § 396 Abs. 1 S 3 StPO noch nicht wirksam geworden ist. Wird der Strafbefehl erlassen und nicht angefochten, so ist die Anschlusserklärung gegenstandslos; einer gesonderten Entscheidung bedarf es nicht. Wird ein Strafbefehlsantrag nach § 396 Abs. 1 S. 3, 2. Alt. StPO abgelehnt, muss zugleich eine Entscheidung über die Anschlussbefugnis des Nebenklägers ergehen, damit der Nebenkläger die Möglichkeit hat, selbst sofortige Beschwerde einzulegen oder sich einem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gegen diesen Beschluss anzuschließen. Mit Wirksamwerden der Anschlusserklärung nimmt der Verletzte die Stellung eines Verfahrensbeteiligten mit umfassenden Handlungs- und Mitwirkungsbefugnissen ein.

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7. Teil

Befangenheit

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Bereits zu Beginn des Prozesses wurden verschiedene Befangenheitsanträge von der Verteidigung gestellt. Dabei wird nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern leider auch von Prozessbeteiligten oft die Unterstellung erkennbar, es handele sich um „Nebelkerzen“ der Verteidigung, der Angeklagte versuche nunmehr „mit allen Mitteln“ das Verfahren „zu torpedieren“, weil er seine Verurteilung nicht anders verhindern könne. Diesen Überlegungen gilt es entgegenzutreten. Zunächst einmal hat der Gesetzgeber (also nicht die Verteidigung) diese potenziellen Spannungskonflikte erkannt und dafür entsprechende Regularien (und Konsequenzen: absoluter Revisionsgrund) vorgegeben. Es versteht sich somit von selbst, dass die nach dem Gesetz „befangenen“ Prozessbeteiligten nicht an einer Urteilsfindung mitwirken sollen bzw. dürfen. Zum anderen bestätigt eine unüberschaubare Vielzahl von Entscheidungen (mit denen solchen Befangenheitsrügen stattgegeben wurde und wird), dass tatsächlich immer wieder solche unzulässigen Prozesssituationen vorkommen.

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Es entscheidet sich letztlich also immer im Einzelfall, ob ein solcher Anlass gegeben ist und in der richtigen Weise beanstandet wird.

Die Vorschriften zur Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen finden sich in den §§ 22 ff. StPO (für Berufsrichter und Schöffen, Urkundsbeamte, sonstige Protokollführer), in den §§ 74, 83 StPO (für Sachverständige), in den §§ 189, 191 GVG (für Dolmetscher) und in § 10 RPflG (für Rechtspfleger).

Sinn und Zweck der Vorschriften ist es, zu gewährleisten, „dass die am Verfahren beteiligten Gerichtspersonen dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt und den anderen Beteiligten, gleich einem am Ausgang des Verfahrens uninteressierten Dritten, mit der erforderlichen Distanz begegnen“ (BVerfGE 46, 34, 37).

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Die Ausschließung tritt bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 22, 23 StPO kraft Gesetzes ein; das Ausscheiden wegen Befangenheit demgegenüber nur aufgrund einer konstitutiven Entscheidung des Gerichts, die ein Ablehnungsgesuch (§ 24 StPO) oder eine Selbstanzeige (§ 30 StPO) voraussetzt

Nach § 24 Abs. 2 StPO ist die Besorgnis der Befangenheit begründet, wenn der abgelehnte Richter derart massiv gegen das Strafverfahrensrecht verstößt, dass bei verständiger Würdigung der Sachlage bei den anderen Verfahrensbeteiligten der Eindruck erweckt wird, die innere Haltung des Richters kann die erforderliche Neutralität, Distanz, Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten störend beeinflussen.

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist nur aus der Sicht des Ablehnenden zu beurteilen.

Daher spielt es keine Rolle, ob der Richter tatsächlich befangen oder parteiisch ist (BVerfGE 20, 9, 14).

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Aus seinem eigenen Verhalten kann der Ablehnende keinen Ablehnungsgrund herleiten; er hätte es sonst in der Hand, sich nach Belieben jedem Richter zu entziehen.

Das Ablehnungsgesuch ist daher nicht schon dann begründet, sofern er gegen den Richter Strafanzeige erstattet, Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben oder die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beantragt hat (BGH in JA 84, 574; BVerfG in NJW 96, 2022).

Der Ablehnende benötigt also andere Gründe:

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Fallgruppen, welche die Besorgnis der Befangenheit begründen können, sind insbesondere: • unmissverständliche Äußerungen des Richters, die trotz unsicherer Beweislage die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten erkennen lassen; • zum Nachteil des Angeklagten Einflussnahme auf einen Zeugen, bei dessen Entscheidung von seinem Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen; • ehrverletzende, scharfe Äußerungen gegenüber dem Angeklagten; • massive Einschränkung von Verfahrensrechten der Verteidigung (z. B. des Fragerechts; des Beweisantragsrechts; das Bedrängen des Angeklagten, zur Sache auszusagen; der Versagung einer Terminsverlegung und der der Ablehnung der Beschwerde dagegen - ohne sachlichen Grund); • bei Spannungen zwischen Richter und Verteidiger reichen in der Regel nicht als Ablehnungsgrund aus, es sei denn, das Gericht reagiert auf ein Verhalten des Verteidigers völlig unangemessen (BGH in StV 93, 339). Äußert der Richter aus der Sicht der Verteidigung eine falsche, jedoch vertretbare Rechtsauffassung, rechtfertigt dies keine Ablehnung. Begründet ist sie jedoch bei einem Verhalten von Richtern, das einer prozessualen Grundlage entbehrt oder willkürlich erscheint.

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Ablehnungsberechtigte sind nach § 24 Abs. 3 S. 1 StPO:

• Die Staatsanwaltschaft, die das Ablehnungsrecht auch zu Gunsten desAngeklagten hat;

• Privatkläger und Beschuldigte (auch gesetzliche Vertreter und Erziehungsberechtigte nach § 67 Abs. 1 JGG);

• Nebenkläger im Rahmen ihrer Beteiligung am Verfahren (§ 397 Abs. 1 S. 3 StPO).

Der Verteidiger hat im eigenen Namen kein Ablehnungsrecht; in der Regel ist allerdings anzunehmen, dass er ein Ablehnungsgesuch im Namen des Angeklagten vorbringt, auch wenn es sich auf Vorgänge stützt, die das Verhältnis zwischen Verteidiger und Richter betreffen (vgl. aber BGH in StraFo 2009, 145).

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Den zur Ablehnung Berechtigten sind gem. § 24 Abs. 3 S. 2 StPO auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung bzw. bei Amtshandlungen jeder Art berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

Nur auf diese Weise kann eine Prüfung dahingehend erfolgen, ob bzgl. dieser auch Ablehnungsgründe vorliegen.

Bei Verweigerung der Namhaftmachung ist hiergegen Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO möglich.

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Die Ablehnungszeitpunkte sind in § 25 StPO geregelt. Soweit die Ablehnungsgründe außerhalb der Hauptverhandlung vor deren Beginn entstanden sind, ist § 25 Abs. 1 StPO anwendbar. Hiernach kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse abgelehnt werden. Der Verteidiger muss also darauf achten, unmittelbar nach dem Aufruf zur Sache (§ 243 Abs. 1 S. 2 StPO), das Ablehnungsgesuch anzubringen. Das Gesuch erst im Anschluss an die Vernehmung der persönlichen Verhältnisse, § 243 Abs. 2 S. 2 StPO, zu stellen, könnte verspätet sein. Sind die Ablehnungsgründe zu einem späteren Zeitpunkt, also während der Hauptverhandlung, eingetreten oder bekannt geworden, so verlangt § 25 Abs. 2 StPO, die unverzügliche - also „ohne schuldhaftes Zögern“ erfolgende - Ablehnung. Obwohl von der Rechtsprechung hierfür sehr enge Maßstäbe angelegt werden (BGHSt 21, 334 ff.), muss seitens des Angeklagten nicht auf die Unterbrechung einer laufenden Beweiserhebung – während derer sich der Befangenheitsgrund ergeben hat – hinwirken, sondern er kann zunächst deren Beendigung, etwa die Vernehmung eines einzelnen Zeugen, abwarten.

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Der Vorsitzende hat nach einem Unterbrechungsantrag der Verteidigung zum Zwecke der Prüfung eines unaufschiebbaren Befangenheitsantrages die Verhandlung zu unterbrechen, wozu er allerdings aufgrund des Umstandes, dass das Befangenheitsverfahren nicht Teil der Hauptverhandlung ist, nicht zwingend verpflichtet ist. Im Falle der Weigerung, hat der Verteidiger einen entsprechenden Antrag auf Protokollierung anzubringen, um die Zulässigkeit des dann später ggf. zu stellenden Befangenheitsantrags sicher zu stellen. In Verfahren vor den Landgerichten ist ferner eine Kammerentscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO zu beantragen, weil es sich - im Falle der Nichterteilung des Wortes durch den Vorsitzenden – um eine auf die Sachleitung bzgl. Anordnung handelt, durch die dem Angeklagten gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG der gesetzliche Richter entzogen wird.

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Wird ein Ablehnungsgesuch für begründet erklärt, so ist der Richter von der Mitwirkung an dem Gerichtsverfahren ausgeschlossen. Schon vorher, d. h. ab Eingang des Ablehnungsgesuchs, hat er sich jedoch aller Amtshandlungen zu enthalten, die nicht unaufschiebbar sind. Unaufschiebbar sind Handlungen, die wegen ihrer Dringlichkeit nicht anstehen können, bis der Ersatzrichter eintreten kann, z. B.: • Festsetzung von Ordnungsmitteln nach § 177 GVG; • Erhebung von Beweisen, deren Verlust droht; • Vernehmung von Beweispersonen, die erst nach langer Zeit wieder geladen werden können; • unaufschiebbare Haftentscheidungen; • Terminsanberaumung zum Zweck der Verjährungsunterbrechung; • Bestimmung eines Fortsetzungstermins, sowie Ladung dazu usw.. Die unaufschiebbar gewesene Handlung bleibt wirksam, auch wenn die Ablehnung später für begründet erklärt wird.

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Bei Ablehnung eines Richters während der Hauptverhandlung ist dieselbe nicht sofort zu unterbrechen, sondern sie wird unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zunächst fortgesetzt. Dies soll Verfahrensverzögerungen durch Missbrauch des Ablehnungsrechtes vorbeugen. Die Fortsetzung der Verhandlung setzt stets voraus, dass die Entscheidung über die Ablehnung eine Unterbrechung erfordern würde. Wenn in einer ohnehin vorgesehenen Unterbrechung entschieden werden kann, darf daher nicht weiterverhandelt werden. Ob über ein Ablehnungsgesuch sofort entschieden wird, entscheidet der Vorsitzende. Spätestens muss über das Ablehnungsgesuch am übernächsten Verhandlungstag entschieden werden und zwar vor Beginn der Schlussvorträge. Wird das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt, so muss die Hauptverhandlung insgesamt wiederholt werden – ohne die befangene Person.

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Eine Form für das Ablehnungsgesuch ist nicht vorgeschrieben. Der Antrag kann außerhalb der Hauptverhandlung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle oder während der Hauptverhandlung schriftlich oder mündlich gestellt werden. Die schriftliche Antragstellung nach § 257 a StPO darf nicht angeordnet werden. Inhaltlich sind im Antrag sämtliche Gründe anzuführen, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Der gesamte Sachverhalt ist ausführlich darzustellen; eine Bezugnahme auf Akten ist hierbei nicht zulässig. Der Tatsachenvortrag hat auch Ausführungen zur Rechtzeitigkeit der Antragstellung zu enthalten, da ansonsten durch den Vorsitzenden die Verwerfung wegen Unzulässigkeit nach § 26 a Abs. 1 Nr. 1 StPO droht.

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Die Ablehnung muss sich gegen den einzelnen abzulehnenden Richter, nicht gegen einen Spruchkörper richten (BVerfGE 46, 200).

Ein Kollegialgericht kann jedoch insgesamt durch namentliche Nennung der einzelnen erkennenden Richter abgelehnt werden (BGHSt 23, 200).

Bei der Antragstellung ist zwingend darauf zu achten, dass der Verteidiger im Namen des Angeklagten bzw. namens und in dessen Auftrage die Gerichtsperson(en) ablehnt, da es sich hierbei nicht um ein originäres Recht des Verteidigers handelt, sondern um ein eigenes Recht des Angeklagten, welches der Verteidiger für diesen wahrnimmt.

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Das Gesetz verlangt eine Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe und der Voraussetzungen einer rechtzeitigen Antragstellung, § 26 Abs. 2 S. 1 StPO, es sei denn die Tatsachen sind aktenkundig oder gerichtsbekannt. Glaubhaftmachung bedeutet, dass die behaupteten Tatsachen soweit bewiesen werden müssen, dass das Gericht sie für wahrscheinlich hält und es in die Lage versetzt wird, ohne Verzögerung zu entscheiden. Mittel der Glaubhaftmachung sind nur schriftliche Erklärungen Insbesondere von Bedeutung: • eidesstattliche Versicherungen von Zeugen • anwaltliche Versicherungen • dienstliche Äußerungen des abgelehnten Richters, der weiteren Richter und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft

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Die Benennung von Zeugen ist im Rahmen der Glaubhaftmachung grds. unzulässig, es sei denn, es kann glaubhaft gemacht werden, dass der Zeuge nicht unverzüglich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erreicht werden kann oder sich weigert, eine solche abzugeben; dann kann eine Beweiserhebung von Amts wegen stattfinden. Der Verteidiger sollte, möglichst schon im Ablehnungsgesuch, die Bitte aussprechen, ihm rechtliches Gehör zu der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters, welche dieser nach § 26 Abs. 3 StPO abzugeben hat, zu gewähren. Erhält der Verteidiger die dienstliche Äußerung der abgelehnten Gerichtsperson nicht oder keine Möglichkeit zur Stellungnahme hierzu, ist unverzüglich nach Bekanntgabe des den Befangenheitsantrag ablehnenden Beschlusses der Befangenheitsantrag zu wiederholen.

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Meinungen zu Befangenheitsanträgen: Ein Befangenheitsantrag trägt nicht dazu bei, dass sich die Atmosphäre im Gerichtssaal entspannt; daher sollte ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich die Ultima Ratio sein. Strafverteidigung hat aber auch nicht den Zweck, sich bei Gericht durch eine insbesondere den Interessen des Gerichts bzw. der Staatsanwaltschaft gerecht werdenden Verhandlungsführung beliebt machen. Der angeklagte Mandant (auftragsgemäß) ist mit allen zur Verfügung stehenden strafprozessualen Mitteln zu vertreten und ihm auf diese Weise ein rechtsstaatliches Verfahren zu sichern. Diesen Anspruch sollte jeder Strafverteidiger schon von Grunde auf an sich selbst haben. Nur auf diesem Wege kann man sich als Rechtsanwalt bei Gericht den begehrten und auch notwendigen Respekt erarbeiten – denn diesen bekommt man bekanntermaßen nicht geschenkt. Selbstverständlich soll das nicht heißen, dass nunmehr bei jeder ablehnenden Entscheidungen, Beschlussfassung o. ä. des Gerichts ein Befangenheitsantrag anzubringen ist, da andernfalls dieses prozessuale Mittel von Seiten der Verteidigung missbraucht werden würde. Wenn man schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des Strafrechts als Anwalt tätig ist, bekommt man mit der Zeit ein Gefühl dafür, wann die Verhandlungsleitung des Gerichts etc. die strafprozessualen Grenzen in einer nicht mehr tolerierbaren Art und Weise überschreitet und diesem Umstand durch das Anbringen eines Ablehnungsersuchens mit Nachdruck entgegen getreten werden muss. Manchmal reicht es sogar schon aus, eine Unterbrechung wegen eines unaufschiebbaren Antrages zu begehren bzw. ein solches Ersuchen anzukündigen, um die Verhandlungsführung in ruhigere Bahnen zu lenken sowie das Gericht mit dieser Strategie wieder zur Raison zu bringen.

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Für Staatsanwälte gelten die §§ 22 ff. StPO nach h. M. nicht entsprechend. Das bedeutet nicht, dass es mit dem Gebot eines rechtsstaatlichen Verfahrens vereinbar wäre, dass ein Staatsanwalt in Verfahren mitwirkt, in denen er selbst Verletzter, mit dem Beschuldigten verwandt oder verschwägert, als Richter, Polizeibeamter, Verteidiger oder Anwalt des Verletzten tätig oder sonst mit der Sache vorbefasst gewesen ist. Für die Ausschließung und Ablehnung von Staatsanwälten gibt es jedoch keine allgemeinen Richtlinien. Vielmehr ist es Sache des Staatsanwaltes auf seine Ablösung zu drängen und Aufgabe des Dienstvorgesetzten, einen Staatsanwalt (dessen Mitwirkung unzulässig ist) von den entsprechenden Amtshandlungen zu befreien.

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Das Gericht und die anderen Prozessbevollmächtigten können bei dem dienstvorgesetzten leitenden Oberstaatsanwalt durch entsprechende Antragstellung auf die Ablösung hinwirken, sie aber nicht gegen seinen Willen durchsetzen.

Lehnt dieser eine Ablösung ab, kann hiergegen nur die Gegenvorstellung erhoben werden bzw. gegen den leitenden Oberstaatsanwalt Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt werden.

Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Angeklagten den Staatsanwalt für befangen hält, wobei keineswegs die gleichen Maßstäbe anzulegen sind wie nach § 24 StPO bei der Befangenheit von Richtern, sondern vielmehr schwerwiegendes Fehlverhalten, etwa ständige Einschüchterung des Angeklagten zur Erzwingung eines Geständnisses; unberechtigtes Drohen mit Zwangsmaßnahmen gegen einen für den Angeklagten positiv aussagenden Zeugen; Festlegung auf ein festes Beweisergebnis von Beginn des Prozesses an.

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Dem Angeklagten wird bandenmäßige gewerbsmäßige Hehlerei vorgeworfen. Am 4.Verhandlungstag beim Landgericht stellt sich heraus, dass der Vorsitzende nach der letzten Akteneinsicht der Verteidigers noch vor der Hauptverhandlung neues, den Angeklagten belastendes, Aktenmaterial erhalten und zur Vorbereitung der Hauptverhandlung gesichtet hatte, ohne die Verteidigung davon unverzüglich zu unterrichten. Nachdem der Vorsitzende diese Umstände auf Befragen des Verteidigers in der Hauptverhandlung bestätigt hat, beantragt der Verteidiger sofort eine Unterbrechung. Im Anschluss an die bewilligte Unterbrechung verliest der Verteidiger bei Fortsetzung der Hauptverhandlung einen Antrag des Angeklagten, mit dem der Vorsitzende wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wird. Zur Begründung wird auf die unterlassene, unverzügliche Mitteilung des Vorsitzenden bzgl. des neuen Aktenmaterials verwiesen. Dieses Ablehnungsgesuch wird jedoch unter Beachtung der gesetzlichen Formalien als unbegründet zurückgewiesen. Zwei Verhandlungstage später muss jedoch die Hauptverhandlung aufgrund eines Beweisantrages ausgesetzt werden. Nachdem der Verteidiger zwischenzeitlich vollständige Akteneinsicht erhalten hat, beginnt die neue Hauptverhandlung in unveränderter Besetzung des Gerichts. Nach wiederum streitiger Beweisaufnahme verurteilt das Gericht den Angeklagten voll umfänglich im Sinne der Anklageschrift. Der Verteidiger legt daraufhin Revision gegen dieses Urteil ein mit der Begründung, der von ihm für den Angeklagten abgelehnte Richter hätte bei dem angefochtenen Urteil nicht mitwirken dürfen. Welche Verfahrensrüge ist hier zu prüfen und wie ist die Erfolgsaussicht?

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8. Teil

Verteidigerverhalten

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Übersicht Befangenheitsrüge Grundlage: § 24 Abs. 2 StPO Berechtigung: nur Angeklagter selbst Zeitpunkt: § 25 StPO Abs. 1: bis zu Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Person gem. § 243 Abs. 2 S. 2 StPO Abs. 2 : unverzüglich ; Überlegungsfrist (BGHSt 21, 334) Inhalt: - sämtliche Gründe anführen - auch zur Rechtzeitigkeit - gegen den einzelnen Richter - Glaubhaftmachung - dienstliche Äußerung (§ 26 Abs. 1 StPO) Folgen: § 29 StPO - Abs. 1: nur noch unaufschiebbare Handlungen - Abs. 2: längstens bis zum Beginn des übernächsten Tages Verfahren: - Antrag an das betreffende Gericht (§ 27 StPO) - dienstliche Äußerung des Richters - Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 33 Abs. 3 StPO) Rechtsmittel: Revision (§ 28 Abs. 2 StPO)

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In dem Verfahren XXX AZ XXX „... wird namens und in Vollmacht des Angeklagten der Vorsitzende Richter X am Landgericht Y wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründung: In der heutigen Hauptverhandlung ... (Glaubhaftmachung) Danach ist bei dem Angeklagten die Besorgnis begründet, der abgelehnte Richter nehme eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte ( vgl. BGH in NStZ 88, 467, 510). Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist oder sich selbst für befangen hält (BGH a.a.O.). Zur Glaubhaftmachung wird auf die Einholung der dienstlichen Äußerung von ... Des weiteren wird beantragt, dem Angeklagten die Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Mitglieder namhaft zu machen und dem Angeklagten die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters sowie des in Bezug genommenen ... rechtzeitig vor dem Ablehnungsbeschluss mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.“

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Beendigung der Nebenklage Widerruf ( § 402 1. HS StPO )

•Jederzeit •ohne Zustimmung Dritter •formlos

ohne Kostenerstattung ( § 472 I StPO) Antrag erneut möglich Erlöschen ( § 402 2. HS StPO ) kein Übergang auf Angehörige evtl. eigenes Recht auf Zulassung ( § 395 II Nr. 1 StPO) Verzicht analog Rücknahme Strafantrag erneuter Anschluss unzulässig eindeutige Erklärung Vergleich ( § 405 StPO ) auf Antrag zu Protokoll Vorschlag vom Gericht

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Akteneinsicht

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Grundsätze:

Anspruch auf rechtliches Gehör ( Art. 103 Abs. 3 GG )

Im Vorverfahren ist nur die StA zuständig ( § 147 Abs. 5 StPO )

Keine Einlassung ohne Akteneinsicht

Originalakten einsehen ( Rückseiten! )

Mitnahme außer Beweisstücke ( § 147 Abs. 4 Satz 1 StPO )

Pünktliche Rückgabe ( Aktenbuch )

Vollständige Rückgabe ( Begleitschreiben )

Im Hauptverfahren ist nur das Gericht zuständig

( § 147 Abs. 5 Satz 1 StPO )

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Umfang:

Abgetrennte Verfahren

Beiakten

Beweismittelordner

Dateien, Videos etc.

Gefangenen Personalakten

Haftsonderheft

Lichtbildmappen

Spurenakten

TÜ-Protokolle

Verkehrszentralregisterauszug

BZR

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Zeitpunkt: So schnell wie möglich Spätestens mit Abschluss der Ermittlungen ( § 147 Abs. 2, 1. HS StPO ) Versagung bei Gefährdung des Untersuchungszwecks ( § 147 Abs. 2, 2. HS StPO ) Bei U-Haft „privilegierte“ AE ( § 147 II 2 StPO ) (spätestens vor Entscheidung: BVerfG in NJW 94, 573 ) Während der Hauptverhandlung bei Nachermittlungen ( BGHSt 36, 305 und in StV 2001, 4 ) Aktualisierung kurzfristig vor Hauptverhandlung ( Notizen von StA und/oder Gericht ?! ) Immer unbeschränkte Einsicht nach § 147 Abs. 3 StPO in Vernehmungsprotokolle des Mandanten Richterliche Vernehmungsprotokolle Sachverständigengutachten Schriftliche Stellungnahme des Mandanten

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Rechtsmittel: Aussageverweigerung! Gerichtliche Entscheidung ( § 147 Abs. 5 StPO ) •nach Abschlussvermerk der StA •Versagung bei § 147 Abs. 3 StPO •wenn sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet •Aussetzungsantrag ( § 338 Nr. 8 StPO! ) •Befangenheitsantrag ( OLG Zweibrücken in StV 96, 650 ) Sonstiges: Niemals Originalakten an Mandanten aushändigen ! Weitergabe von AE-Kenntnissen an Mandanten zwar zulässig, aber abhängig von Intention der Information AE für Zeugenbeistand nur, wenn

Verletzter ( § 406 e StPO ) Privatperson ( § 475 Abs. 1+2 StPO )

( „berechtigtes Interesse“ )

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Fallstudie „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ Die Ermittlungen waren sehr umfangreich. Die Polizei und der Zoll hatten u.a. während einer zehn Monate andauernden ordnungsgemäßen TÜ-Maßnahme insgesamt 825 Telefonate abgehört und aufgezeichnet. Zusammen mit der Anklage hatte die Staatsanwaltschaft dem LG letztlich mit Erhebung der Anklage davon 605 von ihr als beweiserheblich eingeschätzte TÜ-Bänder sowie die entsprechenden übersetzten Wortprotokolle vorgelegt. Von den übrigen Telefonaten wurden inhaltliche Zusammenfassungen in deutscher Sprache beigefügt. Diese 220 Telefonate wurden lediglich als Dateien beim LKA auf den dortigen Computern gespeichert und weder der StA noch dem LG zur Kenntnis gebracht. Kurz nach Beginn der Hauptverhandlung hat das Gericht auf entsprechenden Antrag der Verteidigung den Angeklagten und ihren Anwälten DVD’s mit den Originalmitschnitten aller 825 Telefonate in albanischer Sprache zur Verfügung gestellt sowie dafür gesorgt, dass diese in der U-Haft in Gegenwart von Dolmetschern mit den Mandanten abgehört und erörtert werden konnten. Als im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme bekannt wird, dass das LKA im Besitz von deutschen Wortprotokollen sämtlicher 825 Telefonate ist, beantragt die Verteidigung nunmehr „Einsicht in sämtliche beim LKA vorhandener TÜ-Protokolle“ und „bis dahin Unterbrechung hilfsweise Aussetzung der Hauptverhandlung“. Der Vorsitzende lehnt diesen Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass es sich bei den polizeilich gefertigten Dateien nicht um Aktenbestandteile i.S.d. § 147 StPO, sondern um „interne Hilfs- und Arbeitsmittel der Polizei“ handele, welche selbst nicht zu den Beweismitteln gehören und deshalb nicht dem Akteneinsichtsrecht unterliegen. Wie ist diese Sach- und Rechtslage zu würdigen? (vgl. BGH 3 StR 89/09)

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Gegenstand der AE:

Alle mit der Anklage vorzulegenden Akten

das gesamte vom ersten Zugriff der Polizei gesammelte Beweismaterial

Ausnahmen:

Unterlagen und Daten, die lediglich innerdienstliche Bedeutung haben und lediglich der Strukturierung der weiteren Ermittlungen dienen.

Grundsatz:

Vollständige Auswertung der gewonnenen (potentiellen) Beweismittel.

Es muss den Verfahrensbeteiligten überlassen bleiben selbst zu beurteilen, ob es sich um relevante Urteile handelt.

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Eigene Ermittlungen

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Eigene Ermittlungen

(über die Akteneinsicht hinaus!)

Befragung des Mandanten

Zeugenbefragung ( Dolmetscher? )

Tatortbesichtigung

Einsichtnahme in Asservate

Befragung / Beauftragung von Sachverständigen

Kontakt zu Geschädigten ( bzw. deren Anwälten )

Kontakt zu Mitbeschuldigten ( -Verteidigern )

Beauftragung eines Privatdetektivs ( § 53 a StPO )

BGH, NStZ 01, 145, 147: Der Verteidiger kann eigene Ermittlungen führen und Zeugen auch außerhalb der Hauptverhandlung befragen.

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Fallstudie „Friedensangebot“ Der gerichtsbekannte Zuhälter (Z) soll versucht haben, seine Freundin (F) mittels Schlägen – deren Folgen ärztlich dokumentiert sind – zur Prostitution zu zwingen. Dementsprechend ist er wegen versuchten Menschenhandels in Tateinheit mit Körperverletzung angeklagt. Diese Vorwürfe resultieren aus der Aussage von F, welche sie im Vorverfahren sowohl bei der Polizei gemacht als auch gegenüber dem Ermittlungsrichter bestätigt hatte. Gegen diese Anklage wird der schweigende Z sehr engagiert von seiner Anwältin (A) verteidigt – nicht zuletzt, weil er schon wegen Förderung der Prostitution vorbestraft ist und noch unter Bewährung steht. In der Hauptverhandlung verweigert F ihre Aussage. Daraufhin wird der Ermittlungsrichter vernommen und bestätigt ihre damaligen belastenden Angaben. Das Schöffengericht verurteilt Z schließlich entsprechend der Anklage. Nachdem A weisungsgemäß Berufung eingelegt hat, berichtet ihr Z, er habe von seinem Kumpel (K) - dem jetzigen Lebensgefährten von F - erfahren, dass diese ihre „falsche“ Aussage widerrufen wolle, weil sie aufgrund seiner Verurteilung ein schlechtes Gewissen habe. Daraufhin nimmt A Kontakt zu F auf und bittet sie „zur Klärung dieser Sache“ in ihre Kanzlei. Dort erscheint F in Begleitung von K und bestätigt, sie habe Z seinerzeit falsch belastet, weil sie auf seine neue Freundin eifersüchtig war. Tatsächlich habe Z sie zwar geschlagen, aber dadurch nicht zur Prostitution zwingen wollen. In diesem Zusammenhang will F jedoch auch von A wissen, ob sie von Z ein „hohes Schmerzensgeld“ erwarten könne. A erkennt daraus, dass F zu einer entlastenden Aussage bereit sei – diese aber wohl von einer entsprechenden Zahlung abhängig machen würde. Nach Rücksprache mit Z setzt A sogleich eine schriftliche Vereinbarung u.a. mit folgendem Inhalt auf: „F wird ihre Aussage ... in der Berufungsverhandlung dahingehend berichtigen, dass ... und verpflichtet sich, ihren Strafantrag vorher zurück zu nehmen. Im Gegenzug verpflichtet Z sich, seine Körperverletzung einzuräumen und an F einen Betrag i.H.v. ...€ zu zahlen, sofern nur eine Verurteilung wegen dieser Körperverletzung erfolgt.“ Ist ein solches Verteidigerhandeln zulässig? (vgl. BGH 1 StR 106/00)

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Straftat? Strafvereitelung i.S.d. § 258 StGB -Verdunklung des Sachverhaltes - Verfälschung von Beweisquellen Beweismittel: Nicht wissentlich falsche Tatsachen behaupten (BGHSt 29, 99) Zweifel unbedenklich (BGHSt 38, 345) Vereinbarung: Zulässig Erfolgsunabhängig Anspruchsgrund? Vereitelung: Garantenstellung? “Organ der Rechtspflege“ direkter Vorsatz (BGH in NStZ 97, 236) Initiative? (BGH in NStZ 99, 188)

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Anwesenheitsrechte von A bis Z + Augenscheinseinnahme ( §168 d StPO ) - Beschuldigtenvernehmung, polizeiliche ( Ausnahme: § 161 Satz 1 StPO ) + Beschuldigtenvernehmung, staatsanwaltschaftliche ( § 163 a Abs. 3 Satz 2 StPO ) + Beschuldigtenvernehmung, richterliche ( § 168 c Abs. 1 StPO ) + Durchsuchung ( § 106 Abs. 1 Satz 2 StPO ) - Gegenüberstellung + Haftprüfungstermin ( § 118 a Abs. 1 StPO ) + Hauptverhandlung ( § 338 Nr. 5 StPO! ) + Kommissarische Vernehmung ( § 224 Abs. 1 StPO ) - Mitbeschuldigtenvernehmung ( = Zeuge? ) + Sachverständigenvernehmung, richterliche ( § 168 c Abs. 2 StPO ) - Zeugenvernehmung, polizeiliche ( Umkehrschluss aus § 163 a StPO i.V.m. § 168 c Abs. 1-5 StPO ) - Zeugenvernehmung, staatsanwaltschaftliche ( § 161 a StPO im Vergleich zu § 163 a Abs. 3 Satz 2 StPO ) + Zeugenvernehmung, richterliche ( § 168 c Abs. 2 StPO )

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Durchsuchung

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Durchsuchungsanordnung

1.) Richter

grundsätzlich § 105 Abs. 1 S. 1

Ausnahme: bei Gefahr im Verzug

2.) StA/Hilfsbeamte

bei Durchsuchung gemäß § 102, § 103 Abs. 1 S. 1, § 103 Abs. 2

3.) StA

bei Durchsuchung gemäß § 103 Abs. 1 S. 2, s. § 105 Abs. 1 S. 2

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Checkliste für Durchsuchungen - Erste Maßnahmen -

Durchsuchung auf Grund von Beschluss oder Gefahr in Verzug? Ermittlungsführer (Ansprechpartner)? Wartezeit vereinbaren! Verhaltensweisen des Mandanten

Deeskalieren Informieren Kooperieren

Schweigerechte/Pflichten: Schweigerecht des Mandanten Schweigerecht von Angehörigen Schweigepflicht von Mitarbeitern Schweigerecht von Mitarbeitern

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- Anwesenheit - Falls Durchsuchungsbeschluss:

Beschluss aushändigen lassen Beschluss prüfen: > Gültigkeit? > Begründung? > Straftaten? > Räumlichkeiten? > Gegenstände?

Anwesende aufklären

Gefundene Gegenstände vorlegen lassen

Fotokopien/Duplikate erstellen (lassen)

Widerspruch gegen Sicherstellung

Sicherstellungsverzeichnis überprüfen

Beschwerde bzw. Antrag auf gerichtliche Entscheidung!

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Durchsuchungsobjekt

1.) Bei dem Verdächtigen:

gemäß § 102 StPO: Wohnung/Räume/Sachen

-2.) Bei unverdächtigen Personen:

gemäß § 103 Abs. 1 S. 1 StPO: Durchsuchung der Wohnung

gemäß § 103 Abs. 1 S. 2 StPO: Durchsuchung des gesamten Gebäudes

gemäß § 103 Abs. 2 StPO: Durchsuchung von Räumen bei Ergreifung oder Verfolgung

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Fallstudie „Wer suchet, der findet“ Gegen einen Beschuldigten, seines Zeichens ehemaliger Anwalt, wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in bzw. der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB) vorgeworfen, weil er sich mit den gesondert Verfolgten zu der Musikgruppe „Böhse Anwälte“ zusammengeschlossen haben soll, um Lieder mit rechtsradikalem Hintergrund zu verbreiten. Der zuständige Staatsanwalt - der sich noch sehr gut an die konfliktfreudigen Verteidigungen des Beschuldigten erinnert - ist bei seinen Ermittlungen bestrebt, Liedertexte und Kompositionen u.a. insbesondere mit der Handschrift des Beschuldigten zum Nachweis seiner (Mit-)Täterschaft aufzufinden. Deshalb erwirkt er bei dem zuständigen Richter einen Beschluss zur „Durchsuchung der Wohnung der Zeugin (Z), Freundin des Beschuldigten, der dortigen sonst von ihr genutzten Räume und ihrer Sachen einschließlich ihres PKW zur Sicherstellung von Schriftstücken, Tonträgern und anderen Beweismitteln, welche geeignet sind, die Struktur der Band „B.A.“, deren Organisation und Arbeitsweise zu belegen“. Daraufhin erfolgt auch eine entsprechende Durchsuchung, bei der diverse Sachen von der Polizei mitgenommen werden. Nunmehr wendet sich Z an ihre Anwältin um zu erfahren, ob und evtl. was sie dagegen tun kann. Wie ist diese Sach- und Rechtslage zu beurteilen? (vgl. BGH 3 BJs 22/04-4 (9) – StB 20/01 und BGH StB 6/09)

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Lösungsansätze Rechtsmittel Beschwerde gem. § 304 Abs. 2, Abs. 5 StPO Zulässigkeit Im Sinne von Art. § 13 Abs. 1 GG auch nach Abschluss der Durchsuchung möglich (BVerfGE 96, 27) Anlass Durchsuchung bei Nichtverdächtigen i.S.d. § 103 Abs. 1 StPO Voraussetzung Hinreichend individualisierte Beweismittel (BVerfG in NJW 81, 971) Vollziehbarkeit der Beschlagnahme Gattungsmäßige Konkretisierung

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Vernehmungen

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Vernehmung i.S.d. § 136 Abs.1 StPO

Anlass: „Befragung“, informatorische (kein bestimmter Verdacht) „Vernehmung“ (objektive Verdachtsmomente) „Hörfalle“ (BGH 4 StR 317/93)

Zeitpunkt: sobald Vernehmender in amtlicher Eigenschaft Auskunft zu einem bestimmten Vorwurf verlangt (BGH GSSt 1/96 auch in „vernehmungsähnlichen Situationen“ (BGHSt 29, 230, 232 Sobald eine Person „ernstlich als Täter der untersuchten Straftat in Betracht kommt“ (BGH 1 StR 83/94)

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Belehrung:

Hinweis auf das Schweigerecht

Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit Verteidiger

ggfs. Hinweis auf Recht der Pflichtverteidigerbestellung

Hinweis auf Gespräch mit Erziehungsberechtigten

Hinweis auf Benachrichtigung des Konsulats nach Art. 36 Abs. 1 b S 3 WÜK (streitig: BGH 3 StR 318/07)

Hinweis auf das Beweisantragsrecht

Sonderfälle:

Spontanäußerung (ungefragte Äußerung

gegenüber Privatperson

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Checkliste für Beschuldigtenvernehmungen Zweck: Rechtliches Gehör Sachverhaltsaufklärung Grundsätze: bei Polizei keine Pflicht zum Erscheinen ( schriftlich gem. § 133 Abs. 1 StPO ) bei Staatsanwaltschaft Verpflichtung ( §§ 163 a Abs. 3 Satz 1, 133 Abs. 2 StPO ) bei Richter ebenfalls Verpflichtung ( § 162 Abs. 1 StPO ) Durchführung: spätestens zum Abschluss der Ermittlungen ( § 163 a Abs. 1 StPO ) Hinweis auf Aussagefreiheit ( §§ 163 a Abs. 4 und 136 Abs. 1 StPO ) Protokollierung: soll bei Polizei und StA erfolgen ( § 168 b StPO i.V.m. Nr. 45 RiStBV ) muss bei Richter erfolgen ( § 168 Satz 1 StPO )

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Checkliste für Zeugenvernehmungen Zweck: Sachverhaltsaufklärung Grundsätze: bei Polizei keine Pflicht zum Erscheinen ( § 163 a Abs. 5 StPO ) bei Staatsanwaltschaft Verpflichtung ( §§ 161 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO ) bei Richter ebenfalls Verpflichtung ( § 162 Abs. 1 StPO ) Durchführung: Hinweis auf Verweigerungsrechte ( §§ 52, 53 und 55 StPO ) Vereidigung möglich ( § 62 StPO ) Protokollierung: soll bei Polizei und StA erfolgen ( § 168 b Abs. 2 StPO ) muss bei Richter erfolgen ( § 168 Satz 1 StPO )

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Checkliste für Vernehmungsprotokolle Anlass der Vernehmung? ( freiwillig, geladen, vorgeführt? ) Trennung zwischen Bericht und Verhör erkennbar? ( § 69 StPO beachtet? ) Warum bzw. ab wann Wechsel der Aussage? ( Gesprächsführung des Vernehmenden? ) Formulierung in (tatsächlich) eigenen Worten? ( Möglichkeiten der Korrektur bzw. Ergänzung? ) Wie wurde gefragt? ( offen, geschlossen, suggestiv? ) Fragen und Vorhalte dokumentiert? ( „Versteckte Gesprächsführung“? ) Wurden Lücken bzw. Widersprüche hinterfragt? ( ... oder nur „zielgerichtet“ befragt? ) Wurden Beweisanregungen aufgegriffen? ( Objektives Aufklärungsinteresse? ) Warum bzw. wie endete die Vernehmung? ( Wer hat die Beendigung gewollt? )

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Einstellungen

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Bei einem Ermittlungsverfahren, das nicht eingestellt wird, hat der Verteidiger schlecht gearbeitet!!

Wenn die Ermittlungen keinen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten, muss die Staatsanwaltschaft gem. § 170 Abs. 2 StPO das Verfahren einstellen. Allerdings kann dieses Ermittlungsverfahren jederzeit wieder aufgenommen werden.

Diese Einstellung führt deshalb nicht zum Strafklageverbrauch.

Für den Beschuldigten selbst ist mangels Beschwer eine solche Einstellung unanfechtbar.

Der Anzeigeerstatter kann allerdings gegen eine Einstellung aus tatsächlichen Gründen im Sinne der §§ 172 ff. StPO mit dem Klageerzwingungsverfahren vorgehen.

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Einstellung nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit. •Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand

•Schuld des Täters gering

•öffentliches Interesse an der Strafverfolgung fehlt.

Keine Schuldfeststellung (... „wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre“ ...)

Kein Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 2 S. 2 StPO möglich.

Bei Einstellung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts nach § 153 Abs. 1 StPO kein Strafklageverbrauch.

Bei Einstellung durch das Gericht nach § 153 Abs. 2 StPO beschränkte Rechtskraftwirkung.

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Einstellung nach § 153 a StPO. •Vergehen Grundlage des Verfahrens

•Schwere der Schuld darf einer solchen Einstellung nicht entgegenstehen.

•Endgültige Einstellung nach fristgemäßer Erfüllung von Auflagen und Weisungen, die in § 153 a Abs. 1 StPO abschließend definiert sind.

•Grundsätzlich mit Zustimmung des Gerichts.

•Bei geringfügigen Vergehen nicht notwendig (§ 153 a Abs. 1 S. 6 i. V. m. § 153 Abs. 1 S. 2 StPO).

•Zustimmung des Beschuldigten erforderlich, hingegen nicht die einer Zustimmung des Verletzten/Nebenklägers (BGHSt 28, 272 f.).

•Nach fristgerechter vollständiger Erfüllung der Auflagen bzw. Weisungen => endgültiges Verfahrenshindernis, weil dann „die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann“ (Abs. 1 S. 5).

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Fallstudie „Wer zu spät kommt...“ Dem Mandanten (M) wurde von der Staatsanwaltschaft A vorgeworfen, bundesweit gemeinsam mit gesondert verfolgten Mitbeschuldigten gemeinschaftlichen Betrug in 191 Fällen im Zeitraum Februar bis April begangen zu haben, indem sie über SMS-Kommunikation den Geschädigten vorgetäuscht haben sollen, diese würden mit „jungen, aufgeschlossenen Single-Girls“ die Möglichkeit eines persönlichen Treffens haben – tatsächlich jedoch seien es ausschließlich der Mandant und seine männlichen Mittäter gewesen, die für die jeweiligen Telefonverbindungen (SMS) einen erheblichen finanziellen Anteil von dem betreffenden Provider erhielten. Der Verteidiger hatte für seinen Mandanten sämtliche Vorwürfe bestritten. Zudem erhob er Einwände gegen die Zulässigkeit der Art und Weise der Ermittlungen und bezweifelte die daraus resultierende Schadensberechnung. Die zunächst unverteidigten Mitbeschuldigten schwiegen zu den Vorwürfen. Letztlich wurde das Verfahren gegen M mit Verfügung vom 21.06. gem. §§ 153 Abs. 1 S. 2 i.V.m. 153 a Abs. 1 StPO gegen Zahlung von 5.000,00 € („an die Landeskasse in fortlaufenden monatlichen Raten zu je 1.000,00 € ab dem 01.08. zu zahlen“) von der zuständigen Staatanwältin vorläufig eingestellt. Der Verteidiger erklärte mit Schreiben vom 28.06. die Zustimmung. Sein Mandant zahlte darauf die erste Rate weisungsgemäß, als zweite Rate nur 500,00 € und blieb weitere Zahlungen schuldig. Nachdem zwischenzeitlich weitere Ermittlungen einen größeren Schadensumfang und eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft B ergaben, wurden von dort betreffend den Mandanten nach Abgabe mit Verfügung vom 03.10. „die Einstellung gem. § 153 a StPO zurück und die Ermittlungen wieder aufgenommen“. Nunmehr zahlt M den Restbetrag zur Erfüllung der ursprünglichen Auflage und sein Anwalt erhebt den Einwand eines endgültigen Verfahrenshindernisses gegen weitere Ermittlungen. Wie ist diese Sach- und Rechtslage zu beurteilen? (vgl. OLG Stuttgart 2 Ws 41/07)

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Lösungsansätze § 153 a StPO: Bedingtes Verfahrenshindernis Zustimmung: Beschuldigter (§ 153 a Abs. 1 Satz 1 StPO) Gericht (§ 153 a Abs. 1 Satz 7 StPO i.V.m. § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO) Wirksamkeit? Vertrauensschutz (OLG Karlsruhe in NStZ 87, 42) Sperrwirkung? Wegfall bei Nichterfüllung der Auflagen und Weisungen Voraussetzung? Fristsetzung (§ 153 a Abs. 1 Satz 4 StPO)

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Strafbefehl

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Strafbefehl

Zulässigkeit ( § 407 Abs. 1 StPO )

•Auf Antrag der StA

•Strafrichter bzw. Schöffengericht

•Nicht gegen Jugendliche ( § 79 Abs. 1 JGG )

•Gegen Heranwachsende keine Freiheitsstrafe ( § 109 Abs. 3 JGG )

•Inhalt gem. § 409 StPO

•Auch in Abwesenheit möglich ( § 145 a Abs. 1 und 2 StPO! )

•§ 408a StPO

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Rechtsfolgen ( § 407 Abs. 2 StPO )

•Geldstrafe bis 360 Tagessätze ( § 40 StGB )

•Bei Gesamtgeldstrafe bis 720 Tagessätze ( § 54 Abs. 2 StGB )

•Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr > wenn Verteidiger und > wenn Bewährung

•Verwarnung mit Strafvorbehalt ( § 59 StGB )

•Entziehung der Fahrerlaubnis

•Keine sonstigen Maßregeln

( § 419 Abs. 1 StPO )

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Erlass ( § 407 Abs. 3 StPO ) • Ohne Anhörung möglich Rechtsmittel ( § 410 StPO ) •Einspruch •Binnen zwei Wochen •Beschränkung möglich •Übergang in Hauptverhandlung ( § 411 StPO ) •Vereinfachte Beweisaufnahme ( §§ 411 Abs. 2 i.V.m. 420 StPO ! ) •Kein Verschlechterungsverbot ( § 411 Abs. 4 StPO ! ) •Ohne schriftliche Vollmacht Verwerfung möglich ( §§ 412 i.V.m. 411 Abs. 2 StPO ! ) Vorteile Keine Öffentlichkeit Keine Anwesenheitspflicht - Kostengünstiges Verfahren - Keine Nebenklage ! ( § 396 Abs. 1 StPO )

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2. Teil

Erfolgreiche Verteidigung im Hauptverfahren

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Zuständigkeit

sachlich Zuständigkeit nach Rechtsfolgenkompetenz gem. § 6 StPO in jeder Lage von Amts wegen zu prüfen Verteidigung kann, aber muss nicht rügen

örtlich Zuständigkeit gem. §§ 7 – 11 StPO (Wahlrecht der StA) Angeklagter muss gem. § 16 III StPO Rüge spätestens bis zum Beginn seiner Einlassung erheben (Ausschlussfrist!) immer in der ersten Hauptverhandlung erheben; nicht mehr nach Zurückverweisung bei mehreren Angeklagten jeweils bis zur Einlassung des betreffenden Angeklagten Folge: wegen Verfahrenshindernis muss Einstellung durch Urteil gem. § 260 III StPO erfolgen (Abgabe unzulässig: BGHSt 23, 79 82) funktionell Zuständigkeit der Strafkammern gem. §§ 74 ff. GVG bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 6 a S. 1 StPO von Amts wegen zu prüfen danach nur auf Rüge des Angeklagten bis zu seiner Einlassung Folge: Verweisung gem. § 270 StPO

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Fallstudie „Im Märzen der (Cannabis-) Bauer...“ Dem Mandanten M wird zu Last gelegt, ab März 2004 – und damit drei Monate vor Vollendung seines 21. Lebensjahres – bis Sommer 2005 gemeinsam mit seinem Vater eine Cannabisanbauanlage betrieben und damit Betäubungsmittel unerlaubt angebaut und mit ihnen in nicht geringen Mengen gewerblich Handel getrieben zu haben. Nach Eröffnung der Hauptverhandlung vor der Strafkammer - nachdem beide Angeklagte zur Sache erklärt haben, keine Angaben zu machen - hat die Verteidigerin im Hinblick auf das Alter ihres Mandanten zur Tatzeit die Verweisung an ein Jugendschöffengericht beantragt. Auf „wohlwollenden“ Antrag der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer jedoch das Verfahren gegen ihren Mandanten gem. § 154 a StPO auf den Zeitraum ab Oktober 2004 beschränkt und verhandelt zu den übrigen Anklagepunkten. Trotz hervorragender Verdienste um den Stand der Anwaltschaft aufgrund der engagierten Verteidigung durch die Anwälte werden letztlich beide Mandanten zu Freiheitsstrafen verurteilt, deren Vollstreckung „mangels reuiger Einsicht und wegen negativer Sozialprognose“ nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Angeklagte M sowie seine Anwältin wollen dieses Urteil aber nicht akzeptieren. Welche Möglichkeit haben sie und wie wären die rechtlichen Konsequenzen? (vgl. BGH 3 StR 106/05 und BGH 2 StR 242/81)

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Lösungsansatz

Revisionsgrund § 338 Nr. 4 StPO.

Liegt nicht vor, da keine Umgehung durch § 154a StPO

Schwerpunkt lag auf Straftaten, die nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangen wurden.

Zudem ansonsten fast 21.

Tat stellt keine typische Jugendverfehlung dar.

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Besetzungsrüge

Grundlage bei erstinstanzlichen LG- und OLG-Sachen Mitteilungspflicht des Gerichts „spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung“ (§ 222 a I StPO) bei Mitteilung „später als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung“ auf Antrag Unterbrechung (§ 222 a II StPO) Zeitpunkt bei AG- und Berufungssachen jederzeit bei erstinstanzlichen LG- und OLG- Sachen Mitteilungspflicht des Gerichts „spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung“ (§ 222 a I StPO) Form in revisionsmäßiger Form alle Tatsachen gleichzeitig (§ 222 b I S. 2+3 StPO)

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„Zuweisungsmangel“ Sämtliche beteiligte Richter durften sich mit der Sache nicht befassen, weil der eingesetzte Spruchkörper (also Strafkammer oder OLG-Senat) nach dem Geschäftsverteilungsplan zur Verhandlung und Entscheidung nicht berufen war. Prüfung der Gerichtsbesetzung mittels Geschäftsverteilungspläne (mit der daraus ersichtlichen Zuweisung nach Sachgebieten und Buchstaben) sowie deren Ergänzungen durch Präsidialbeschlüsse. Hilfsstrafkammern Andere Art der Regelung für die Verhinderung der Mitglieder der ordentlichen Strafkammer (BGH in StV 83, 9) Hilfsstrafkammer darf nur innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bestehen und nicht etwa zu einer ständigen Einrichtung werden darf. Bildung einer Hilfsstrafkammer kann nur in Betracht kommen, „wenn begründete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie wenn auch nicht im laufenden Verfahren, so doch im folgenden Geschäftsjahr wieder aufgelöst werden wird“ (BGHSt 33, 303, 304). Voraussetzungen für die Bildung einer solchen Hilfsstrafkammer prüfen und ggf. form- und fristgerecht Besetzungsrüge nach den vorstehenden Gesichtspunkten erheben.

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Ist der Berufsrichter tatsächlich für die betreffende Strafkammer zugewiesen bzw. im Fall von Vertretung ordnungsgemäß als Vertreter eingeteilt? Nach § 21 g Abs. 2 GVG sind die Mitwirkungsgrundsätze für die kammerinterne Geschäftsverteilung durch Beschluss aller dem Beschlusskörper angehörenden Berufsrichter vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer zu beschließen. Ein Geschäftsverteilungsplan muss dabei der Schriftform genügen und zum anderen im Voraus die Zuständigkeit der Spruchkörper und der Zuweisung der einzelnen Richter regeln. Dieses gilt auch für den Fall einer Vertretungsregelung innerhalb des Geschäftsverteilungsplanes Ein Vertretungsfall liegt vor, wenn ein Richter aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen (z.B. Ablehnung wegen Befangenheit) an der Mitwirkung verhindert ist. Dabei muss es sich um eine vorübergehende Verhinderung handeln (BGHSt 21, 131). Würde die Verhinderung endgültig sein oder länger andauern, müsste eine Änderung des Geschäftsverteilungsplanes erfolgen. Eine solche Regelung wäre gem. § 21 e Abs. 1 GVG vom Präsidium zu treffen.

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„Reduzierte Strafkammerbesetzung“

Nach § 76 Abs. 2 GVG kann die große Strafkammer bei Eröffnung des Hauptverfahrens beschließen, dass sie in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt ist.

Fehlerhafte Besetzung, falls die reduzierte Besetzung im Einzelfall nicht auf einer kammerinternen Geschäftsverteilung durch den Vorsitzenden beruht, oder die diesbezügliche Geschäftsverteilung nicht schriftlich abgefasst wurde und nicht auf einem System abstrakter Merkmale beruht oder die konkrete Besetzung vom kammerinternen Geschäftsplan abweicht, ohne dass ein Verhinderungsfall vorliegt.

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Ergänzungsrichter

§ 192 Abs. 2 GVG: Bei Verhandlungen von längerer Dauer im Falle der Verhinderung eines Richters.

Ein Ergänzungsrichter gehört nämlich auch bereits vor Eintritt des Ergänzungsfalles zum erkennenden Gericht und ist mit Beginn der Hauptverhandlung bereits „gesetzlicher Richter“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die Regelung des § 222 b StPO unterscheidet daher bei der Frage, ob ein Gericht vorschriftswidrig besetzt ist, nicht zwischen den von Anbeginn an zur Entscheidung berufenen Richtern einerseits und den Ergänzungsrichtern und Ergänzungsschöffen andererseits.

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Schöffen

§§ 30 bis 35 GVG: Schöffenfindung

Schöffenwahl, § 36 Abs. 2 GVG:

Vorschlaglisten von den Gemeindevertretungen bzw. Bezirksverordnetenvertretungen im Beschlusswege „in jedem vierten Jahr“ (Abs. 1) aufzustellen und „in der Gemeinde eine Woche lang zu jedermanns Einsicht auszulegen“ (Abs. 3).

Fehler beim Zustandekommen der Vorschlaglisten, können eine Besetzungsrüge nicht begründen, da sich dieser Bereich der Einwirkungsmöglichkeiten der Gerichte entzieht (BGHSt 38, 47, 51).

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Die Reihenfolge, in der die Hauptschöffen an den einzelnen ordentlichen Sitzungen des Jahres teilnehmen, wird gem. § 45 GVG durch Schöffenauslosung des jeweiligen Amtsgerichts bestimmt (Abs. 2). Die Auslosung selbst hat in öffentlicher Sitzung stattzufinden – wobei „der Richter beim Amtsgericht das Los zieht“ (Abs. 3) – und die Schöffenliste muss anschließend bei einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle als so genannte „Schöffengeschäftsstelle“ geführt werden. Über die Auslosung ist durch diesen Beamten auch ein Protokoll aufzunehmen (Abs. 4). Ein Verstoß gegen diese gesetzlich geregelte Auslosung stellt einen Besetzungsmangel dar (BGH in StV 83, 446). Jugendschöffen werden besonderen Listen entnommen, § 35 JGG.

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Terminierung

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Terminierung Grundlage: Ermessen des Vorsitzenden (§ 213), aber das Gericht ist nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der (Termins-) Belastung des Gerichts verpflichtet, Terminskollisionen der Verteidigung zu vermeiden (OLG Frankfurt in StV 01, 157; LG Wiestra 01, 97 und BGH in NJW 99, 363).

Ladungsfrist 1 Woche (§ 217 I) zw. Zustellung und Termin Aussetzungsantrag fristgebunden (§ 217 II) - Verhinderung kein Aussetzungsgrund (§ 228 II) Rechtsmittel: Beschwerde grundsätzlich unzulässig (§ 305 S.1) „besondere Beschwer“ Willkür -Befangenheit ohne sachlichen Grund Ermessensentscheidung nicht nachvollziehbar Revision Beschluss gem. § 238 II Abwägung mit Beschleunigungsgebot

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Viele Vorsitzende sehen keine Veranlassung, mit der Verteidigung vor Anberaumung eines Termins rechtzeitige Rücksprache zur Vermeidung von Terminkollisionen zu nehmen.

Spätestens nach Kenntnis des Eröffnungsbeschlusses ist es ratsam, mit dem zuständigen Gericht eine Absprache zu suchen und Verhinderungen frühzeitig mitzuteilen.

OLG Brandenburg: Pflicht des Angeklagten bzw. seines Verteidigers sei, entsprechende Belange zu einem Zeitpunkt geltend zu machen, der es dem Gericht ermöglicht, unter Abwägung der verschiedenen rechtlich geschützten Interessen über den Verlegungsantrag zu entscheiden, nach Möglichkeit schon vor der Terminanberaumung ( NStZ-RR 96, 172).

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Entsprechend seiner Befugnis, nach Ermessen zu handeln, ist der Vorsitzende auch zugleich verpflichtet, dieses Ermessen zu betätigen.

Deshalb hat eine Beschwerde gegen eine Entscheidung des Vorsitzenden, die er ohne Begründung getroffen bzw. verkündet hat, ebenso Erfolg, wie auch in den Fällen, in denen das Gericht lediglich mit einer allgemeinen Erklärung („angespannte Terminslage“ oder „außerordentliche Belastung der Kammer“) entschieden hat, weil diese Begründungen dem Beschwerdegericht nicht die Möglichkeit der Prüfung ermöglichen, ob der Vorsitzende von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat oder nicht.

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Fallstudie „Blind Dates“ Der einschlägig mehrfach vorbestrafte Mandant (M) ist wieder einmal rückfällig geworden. Noch in der Untersuchungshaft mandatiert er den erfahrenen Anwalt A, der ihn bereits im letzten Verfahren verteidigt hatte. Das Landgericht eröffnete mit Beschluss vom 02.07. anklagegemäß das Hauptverfahren gegen alle Beschuldigten, setzte zugleich – ohne Absprache mit den Verteidigern – mit Verfügung vom selben Tag Termine zur Verhandlung auf den 13., 20. und 27. des Folgemonats fest und lud für den ersten Verhandlungstag bereits 5 Polizisten als Zeugen (u.a. den Vernehmungsbeamten des Mandanten). Am 08.07. beantragt A, wegen seines längerfristig geplanten Jahresurlaubs die Aufhebung und Neuterminierung der anberaumten Termine, wobei er sich gleichzeitig „im Interesse des Mandanten“ hilfsweise bereit erklärt, diesen Urlaub zu verkürzen und ab dem 27. des betreffenden Monats verhandeln zu können, weil M „nur von ihm“ verteidigt werden wolle. Der Vorsitzende lehnt den Verlegungsantrag „im Hinblick auf die Haft des Mandanten und die angespannte Terminslage der Kammer“ ab und teilte M am 23.07. mit, ihm nunmehr einen Pflichtverteidiger bestellen zu wollen. Daraufhin benennt M die Anwältin B, die wiederum ihrerseits dem Gericht am 05.08. mitteilt, am ersten Verhandlungstag bereits durch eine andere Sache verhindert zu sein und das Mandat deshalb niederlegt. Nunmehr bestellt der Vorsitzende am 08.08. Anwalt C als Pflichtverteidiger in dieser Sache, nachdem er versichert hat, zu den bereits festgesetzten Terminen nicht verhindert zu sein. Allerdings beantragt C zu Beginn des ersten Hauptverhandlungstages „gemäß §§ 228 i.V.m. 145 Abs. 3 StPO und Art.6 MRK Aussetzung hilfsweise Unterbrechung bis zum nächsten Sitzungstag“ mit der Begründung, „trotz sofortiger Bearbeitung der Akte und Besprechung“ mit M „nicht genügend vorbereitet zu sein“. Verärgert weist der Vorsitzende zu Protokoll darauf hin, dass „diese Erklärung verspätet“ sei, da „die Vorwürfe einfach und der Sachverhalt überschaubar“ und somit „genügend Zeit und Gelegenheit zur ordnungsgemäßen Vorbereitung“ gewesen sei. Wie terminiert, verhandelt das Gericht anschließend weiter und verurteilt den Mandanten. Dieser will das Urteil aber nicht akzeptieren. Wie ist diese Sach- und Rechtslage zu beurteilen? (vgl. BGH 5 StR 181/09)

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Die Rüge ist begründet. Das Landgericht wäre entsprechend § 265 Abs. 4 StPO gehalten gewesen, wenigstens dem hilfsweise gestellten Antrag des Pflichtverteidigers auf Unterbrechung der Hauptverhandlung stattzugeben. Diese Vorschrift wäre nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend anzuwenden gewesen. Eine Veränderung der Sachlage kann auch durch verfahrensmäßige Vorgänge und Situationen entstehen, wie es der Fall ist, wenn ein kurzfristig gewählter oder bestellter Verteidiger sich nicht ausreichend auf die Verteidigung vorbereiten konnte (vgl. BGH NJW 1958, 1736, 1737; 1965, 2164, 2165; BGH NStZ 1983, 281; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5 bis 7). Eine Prüfung der Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 145 Abs. 3 StPO ist demnach nicht geboten.

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Die am ersten Tag der Hauptverhandlung bei eingeschränkter Ver-teidigungsfähigkeit durchgeführte substantielle Sachverhandlung hat den Anspruch des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK auf konkrete und wirkliche Verteidigung verletzt (vgl. BGHSt 46, 36, 44 m.w.N.; BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5). Hierin geht der ebenfalls vorliegende Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 lit. b MRK auf (vgl. auch Hammerstein NStZ 2000, 327). Die grundlegende Bedeutung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung als Bestandteil eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens (vgl. BGHSt aaO) führte zu einer Reduzierung des dem Landgericht eingeräumten Ermessens dahingehend, dass die Hauptverhandlung zumindest, wie vom Pflichtverteidiger hilfsweise beantragt, zu unterbrechen gewesen wäre (vgl. BGH NStZ 1983, 281). Die durch den Beschluss des Landgerichts entgegen § 265 Abs. 4 StPO versagte Unterbrechung der Hauptverhandlung mit nachfolgender substantieller Sachverhandlung zum Schuldspruch belegt jedenfalls die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil (vgl. BGHSt 49, 317, 327 f. m.w.N.) und begründet die Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO (vgl. BGH NStZ 1983, 281).

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Vorbereitung der Hauptverhandlung

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Wenn es zur Hauptverhandlung kommt, hat eine vollständige Aufklärung zu erfolgen, wie die Hauptverhandlung voraussichtlich verlaufen und zu welchem Ergebnis sie führen könnte. Sinnvoll ist, eine Zielvorgabe zu definieren, was unter den voraussehbaren Umständen realistisch möglich bzw. im Interesse des Mandanten akzeptabel ist. Nicht immer lohnt der „Kampf für den Freispruch um jeden Preis“, wenn das Verfahren in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerät, langwierig und damit kostenintensiv wird und möglicherweise zur Aufklärung des Sachverhaltes private bzw. unangenehme Details in der Verhandlung erörtert werden müssen. Manchmal ist es daher besser,„kurzen Prozess zu machen“ und damit eine (für den Mandanten akzeptable!) Verurteilung hinzunehmen. Wenn im Rahmen dieser Gespräche mit dem Mandanten nicht zuletzt auch das Honorar für die Verteidigung im Hauptverfahren geklärt wurde (Pflichtverteidigerantrag im Sinne des § 140 StPO?), muss der Anwalt entsprechend der vereinbarten „Zielvorgabe“ seine Verteidigungsstrategie für die Hauptverhandlung entwickeln. Dazu gehören auch – je nach Einzelfall – die Überprüfungen:

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vollständige Akteneinsicht bereits gewährt? neue Akteninhalte hinzugekommen? Eröffnungsbeschluss die ursprüngliche Anklage unverändert oder nur beschränkt zugelassen hat? Zuständigkeit des verhandelnden Gerichts gegeben? Gericht in der gesetzesgemäßen Besetzung? alle benannten bzw. noch zu benennenden Zeugen berücksichtigt? alle Beweismittel (Urkunden etc.) zur Verfügung? Sachverständigengutachten (zu bestimmten Tatsachen oder zur Schuldfrage) vorbereiten? oder ist bereits eines vorhanden? sind für aktenkundige Vernehmungen Beweisverwertungsverbote geltend zu machen? voraussehbare Anträge vorbereiten bzw. fertig formulieren. Absprache mit anderen Verteidigern/Angeklagten?

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Intensives Aktenstudium Vorbereitung der Zeugenvernehmung „Ermittlung“ weiterer Beweismittel für die Verteidigung. Mitunter ergeben sich bei sorgfältiger Vorbereitung der Akten Ansatzpunkte für weitere Zeugen, welche die Staatsanwaltschaft – trotz ihrer Aufklärungspflicht im Sinne des § 160 Abs. 2 StPO – schlicht übersehen oder in ihrer Bedeutung falsch eingeschätzt hat. Ob und in welchem Umfang sollen diese Zeugen benannt bzw. in das Verfahren eingebracht werden. Dazu sind entsprechende Beweisanträge vorzubereiten. Das Ergebnis der Vorbereitungshandlungen sowie die abschließende Einschätzung der „Erfolgsaussichten“ einer bevorstehenden Hauptverhandlung bestimmt die grundlegende Entscheidung des Verteidigers, ob und in welchem Umfang er seinen Mandanten in der Hauptverhandlung schweigen oder aussagen lässt.

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Aussetzung und Unterbrechung

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Unterbrechung Definition: Jeder verhandlungsfreie Zeitraum, der die zeitlichen Grenzen des § 229 StPO nicht überschreitet Dauer bis zu 3 Wochen (Abs. 1) bis zu 1 Monat (Abs. 2) Hemmung bis zu 6 Wochen (Abs. 3) Gesetzliche Gründe verspätete Mitteilung der Gerichtsbesetzung (§ 222 a II StPO) Ausbleiben der Verteidigers (§ 145 III StPO) Nachtragsanklage (§ 266 III StPO) Sonstige Gründe Vorbereitung einer Prozessklärung Besprechung mit dem Mandanten Vorbereitung von Beweisanträgen Vorbereitung eines Ablehnungsgesuches Vorbereitung des Plädoyers Entscheidung grundsätzlich Gericht (§ 228 I S. 1 StPO) Vorsitzender bei kürzerer Unterbrechung (§ 228 I S. 2 StPO

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Aussetzung Definition Abbruch der Hauptverhandlung über den nach § 229 StPO zulässigen Zeitraum hinaus Folge Durchführung selbstständiger neuer Hauptverhandlung Gesetzliche Gründe Nichteinhaltung der Ladungsfrist (§ 217 II StPO) verspätete Namhaftmachung (§ 246 II StPO) neu hervorgetretene Umstände (§ 265 III StPO) veränderte Sachlage (§ 265 IV StPO) Verteidigerausschluss (§ 138 c IV StPO) Sonstige Gründe Beiziehung umfangreicher Beiakten vorübergehende Verfahrenshindernisse weitere Beweiserhebung Entscheidung Gerichtsbeschluss (§ 228 I StPO)

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Unabhängig von einer tatsächlich gegebenen Unterbrechungs- bzw. Aussetzungssituation sollte der Verteidiger im Zweifel immer einen solchen Antrag stellen.

Würde dieser nämlich rechtsfehlerhaft abgelehnt werden, könnte sich daraus ein Ansatz für die Revision im Sinne des § 338 Nummer 8 StPO ergeben.

Sofern die Versagung eines solchen Antrages nicht durch einen Strafrichter erfolgt, muss allerdings jeweils im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO zwingend (!) ein Gerichtsbeschluss herbeigeführt werden.

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Fallstudie „Schiebung“ Gegen den Mandanten wird wegen des Vorwurfs der Einfuhr von Btm in nicht geringer Menge beim Landgericht verhandelt. Am 22.05. hatte die Hauptverhandlung mit der umfangreichen Einlassung des Angeklagten sowie der Vernehmung von 3 Zeugen begonnen. Der nächste Termin war am 06.06. und dauerte nur von 09.03 bis 09.28 Uhr. An diesem Tag erschien nämlich ein anderer Anwalt als der bestellte Pflichtverteidiger und beantragte mit Einverständnis des Mandanten, für den plötzlich erkrankten Kollegen für diesen Verhandlungstag beigeordnet zu werden. Der Vorsitzende gab daraufhin zunächst bekannt, dass ein Ablehnungsgesuch vorliege, über das noch nicht entschieden worden sei. Er ordnete dann an, dass die Verhandlung gem. § 29 Abs. 2 S. 1 St PO fortgesetzt werde und bestellte den erschienenen Anwalt antragsgemäß. Anschließend stellte er fest, dass das am ersten Tag angeordnete Selbstleseverfahren zwischenzeitlich gem. § 249 Abs. 2 S. 3 StPO durchgeführt worden sei und unterbrach danach bis zum 20.06. zur Fortsetzung. Am 20.06. erschien der ursprüngliche Pflichtverteidiger. An diesem Tag wurde die Hauptverhandlung nach abschließender Beweisaufnahme mit Verurteilung zu einer für den Mandanten unerwartet hohen Freiheitsstrafe beendet. Da er mit diesem Urteil nicht einverstanden ist, möchte er seine rechtlichen Möglichkeiten für ein Revisionsverfahren wissen. Wie ist diese Sach- und Rechtslage zu beurteilen? (vgl. BGH 3 StR 254/07)

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Mit Recht rügt der Beschwerdeführer, dass die Hauptverhandlung im Termin vom 6. Dezember 2007 nicht im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fortgesetzt worden ist, deren tatsächliche Fortsetzung somit erst am 20. Dezember 2006 stattgefunden hat und die Hauptverhandlung daher wegen Überschreitung der Frist des § 229 Abs. 1 StPO neu hätte begonnen werden müssen. Ein Fortsetzungstermin ist nur dann geeignet, die Unterbrechungsfristen des § 229 Abs. 1 oder 2 StPO zu wahren, wenn in ihm zur Sache verhandelt (BGH NJW 1952, 1149; 1996, 3019, 3020; NStZ 1999, 521), also das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert wird (BGH NJW 2006, 3077 m. w. N.). Nicht genügend sind dagegen sog. Schiebetermine, die die Unterbrechungsfrist lediglich rein formal wahren, in denen tatsächlich aber keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen. Derartige Schiebetermine liegen darüber hinaus auch dann vor, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge, insbesondere Beweisaufnahmen, willkürlich in mehrerer kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, nur um hierdurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH NJW 1996, 3019, 3020; 2006, 3077; NStZ-RR 1998, 335). Wo dabei zur Wahrung der dem § 229 StPO zu Grunde liegenden Konzentrationsmaxime (zum Zweck der Vorschrift s. BGH NJW 1996, 3019 f.; 2006, 3077, 3078 jew. m. w. N.) die Grenze zu ziehen ist, bedarf vorliegend keiner allgemeinen Erörterung. Sie ist jedenfalls dann überschritten, wenn sich ein "Fortsetzungstermin" in der Abwicklung solcher Formalien erschöpft, die weder für die Urteilsfindung noch für den dorthin führenden Verfahrensgang eigenständiges Gewicht besitzen.

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Hat der Tatrichter gegen § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO verstoßen, so beruht das Urteil regelmäßig auf diesem Verfahrensmangel (§ 337 Abs. 1 StPO; vgl. BGH NStZ 1992, 550, 551; StV 1995, 623, 624; 1996, 3019, 3020).

So liegt es auch hier; denn besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten (s. BGHSt 23, 224, 225; BGH StV 1994, 5), lie-gen nicht vor.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

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Absprachen

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In manchen Hauptverhandlungen empfehlen sich Absprachen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft bzw. Gericht. Inzwischen wurde mit § 257 c StPO für eine solche Verfahrensweise gibt es eine gesetzliche Grundlage in der Strafprozessordnung geschaffen. Diese Norm definiert die einzelnen Voraussetzungen: Geständnis Grundlage einer solchen Verständigung. Alle Prozessbeteiligten einbezogen Verfahrensverlauf und das Ergebnis protokollierungspflichtig. Verschiedene Ergebnisse können vereinbart werden. Gericht nicht entbunden, die Grundlagen dafür – z.B. eines (Teil-) Geständnisses – auf ihre Glaubhaftigkeit in Form einer verkürzten Beweisaufnahme zu überprüfen. Rechtsmittelverzicht darf keine Bedingung sein.

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Absprache empfiehlt sich, wenn kein Freispruch zu erreichen ist.

Wann eine Ansprache getroffen werden soll, ist Sache der Verfahrensentwicklung.

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Beweisanträge

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Form des Beweisantrages:

Gericht kann „den Verfahrensbeteiligten aufgeben, Anträge und Anregungen zu Verfahrensfragen schriftlich zu stellen“ (§ 257 a S. 1 StPO).

Die Verteidigung sollte sich jedoch in solchen Fällen nicht „unter Druck“ setzen lassen, sondern im Einzelfall durchaus erwägen, eine kurze Unterbrechung der Hauptverhandlung „zum Zwecke der Vorbereitung eines Beweisantrages“ zu beantragen und durchzusetzen.

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Inhaltliche Voraussetzungen: Beweisantrag muss eine Tatsachenbehauptung beinhalten; das heißt, es dürfen keine Wertungen oder Schlussfolgerungen unter Beweis gestellt werden, sondern lediglich objektive Tatsachen, deren rechtliche Würdigung dem Gericht im Rahmen der Urteilsfindung vorbehalten bleiben muss. Sofern ein solcher Antrag nicht diesen Minimalvoraussetzungen genügt, kann er vom Gericht als „Beweisanregung“ (im Gegensatz zum Beweisantrag) eingestuft werden mit der rechtlichen Konsequenz, dass darauf nicht die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO angewendet werden müssen, sondern das Gericht lediglich im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO zu entscheiden braucht, ob bzw. inwieweit diesem Beweisthema nachgegangen werden soll.

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Des Weiteren muss für die Tatsachenbehauptung ein bestimmtes Beweismittel im Sinne der Strafprozessordnung angeführt werden.

Einer Begründung des Beweisantrages bedarf es grundsätzlich nicht – hierin können möglicherweise sogar ungewollt von der Verteidigung dem Gericht Ablehnungsgründe (z.B. als „unwesentliche“ Tatsachenbehauptung etc.) gegeben werden.

Allerdings empfiehlt es sich zumindest stets dann, wenn die Verteidigung von vornherein mit der Ablehnung eines solchen Beweisantrages rechnet bzw. ein solcher Beweisantrag möglicherweise auch im Hinblick auf ein Revisionsverfahren gestellt wird, durch eine Begründung des Antrages die Beweggründe und damit die Prozesslage aus Sicht der Verteidigung in das Verfahren darzustellen.

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Auf jeden Fall sollte ein Beweisantrag immer schriftlich als Anlage zu Protokoll verlesen und überreicht werden.

Dieses dient nicht nur zur Vermeidung von Missverständnissen (was die Verteidigung denn nun eigentlich tatsächlich unter Beweis gestellt haben will), sondern ist als Anlage zu Protokoll, damit auch gleichzeitig im Revisionsverfahren nachprüf- und nachvollziehbar.

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Wichtig ist dabei auch immer, dass neben der Beweisbehauptung auch ein bestimmtes Beweismittel von der Verteidigung benannt wird.

Die Strafprozessordnung nennt als mögliche Beweismittel Zeugen, Sachverständige, Urkunden und den Augenschein.

Der Zeuge als am häufigsten benanntes Beweismittel wird bekanntlich durch seine ladungsfähige Anschrift bestimmt. Sofern dieses der Verteidigung jedoch nicht immer möglich sein sollte, müssen hierzu diejenigen Anknüpfungstatsachen angeführt werden, die es dem Gericht ermöglichen, einen Zeugen zu identifizieren bzw. zu ermitteln (BGH in NStZ 1981, 309 ff.).

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Ablehnung von Beweisanträgen Unzulässigkeit der Beweiserhebung § 244 III 1 StPO ) Offenkundigkeit der Beweisbehauptung ( § 244 III 2 StPO ) Bedeutungslosigkeit der Beweisbehauptung ( § 244 III 2 StPO ) Erwiesenheit der Beweisbehauptung ( § 244 III 2 StPO ) Ungeeignetheit des Beweismittels ( § 244 III 2 StPO ) Unerreichbarkeit des Beweismittels ( § 244 III 2 StPO ) Prozessverschleppung ( § 244 III 2 StPO ) Wahrunterstellung ( § 244 III 2 StPO ) wegen eigener Sachkunde des Gerichts ( § 244 IV 1 StPO ) wegen Erwiesenheit des Gegenteils d. Beweisbehauptung ( § 244 IV 2 StPO ) bei Augenschein nach Ermessen ( § 244 V 1 StPO ) bei Auslandszeugen nach Ermessen ( § 244 V 2 StPO )

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Plädoyer

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Plädoyer

Vorbereitungszeit ( Unterbrechung? ) Aufmerksamkeit gewinnen ( rhetorische Kompetenz )

Aufbau: Sachverhalt Beweiswürdigung Rechtliche Einordnung Strafzumessung Nebenentscheidung Problematik: Freispruch – Strafzumessung Vorbereitung des letzten Wortes mit dem Mandanten!

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Strafzumessung

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Wirkung Berücksichtigung der von der Strafe ausgehenden Wirkung für das zukünftige Leben des Täters (Beschluss vom 26.07.1994 – 5 StR 113/94) Schuldausgleich Ausgleich der Schuld durch geringere Strafe bei Freiheitsstrafe trotz schwerer Erkrankung (Beschluss vom 28.10.1994 - 3 StR 467/94) Doppelverwertungsverbot Bei einer Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts darf nicht strafschärfend gewertet werden, dass der Täter den Eintritt des Todes nicht zu verhindern versucht hat (Urteil vom 11.11.1992 – 3 StR 123/92) Regelbeispiel Die Verwendung der „furchterregenden und gefährlichen Waffe“ gehört zur regelmäßigen Verwirklichung der mit einer Schusswaffe begangenen räuberischen Erpressung und darf nicht straferschwerend gewertet werden (Beschluss vom 13.06.1995 – 4 StR 304/95)

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Tatnachverhalten Der Versuch, sich selbst der Strafverfolgung zu entziehen, ist als solcher kein Strafschärfungs-grund (Beschluss vom 11.08.1995 – 2 StR362/95) Verteidigungsverhalten Der Umstand, dass ein Angeklagter die Tat bestreitet und in Folge dessen auch keine Schuldeinsicht und keine Reue zeigt, darf ihm nicht zum Nachteil gereichen (Beschluss vom 02.09.1994 – 3 StR 361/94) Folgen der Tat Nur wenn der Angeklagte die Folgen seiner Tat verschuldet hat – also sie von ihm mindestens vorhergesehen werden konnten und ihm somit vorzuwerfen sind – dürfen sie straferschwerend berücksichtigt werden (BGH-Beschluss vom 08.06.1995 – 4 StR 262/95) Ausländer Die Ausländereigenschaft darf nicht – zum Beispiel mit dem Vorwurf, der Angeklagte habe „das Ansehen anderer Asylbewerber in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung diskreditiert“ – straf-erschwerend berücksichtigt werden, weil es an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dieser Tatfolge und der Tat fehlt (Beschluss vom 16.03.1993 – 4 StR 602/92)

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V-Mann Die Einwirkung eines V-Manns ist kein Verfahrenshindernis und führt auch nicht dazu, gänzlich von Strafe abzusehen – dem ist aber im Rahmen der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten Rechnung zu tragen (Beschluss vom 13.10.1994 – 5 StR 529/94) Einziehung Die Einziehung (z. B. eines Pkw) ist eine Neben-strafe, deren Wirkung grundsätzlich bei der Bemessung de Hauptstrafe zu beachten ist (Beschluss vom 17.10.1995 – 4 StR 549/95) Beruf Die berufliche Stellung eines Täters darf nur dann zu seinen Lasten berücksichtigt werden, wenn zwischen dem Beruf und der Straftat eine innere Beziehung besteht (Beschluss vom 16.02.1993 – 5 StR 3/93) Lebensumstände Die Stabilisierung der Lebensverhältnisse nach der Tat (Eheschließung etc.) ist ein Umstand, der für die Strafzumessung von nicht unerheblicher Bedeutung ist (Urteil vom 20.04.1993 – 5 StR 568/92)

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Vertypte Milderungsgründe Verminderte Schuldfähigkeit Das Versagen der Strafrahmenminderung erfordert eine umfassende Würdigung aller Umstände im Urteil (Beschluss vom 13.01.1993 – 5 StR 642/92) Versuch Die wesentlichen versuchsbezogenen Umstände – Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs, aufgewendete kriminelle Energie – müssen vom Gericht im Rahmen einer umfassen-den Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und der Tatumstände gewürdigt werden (Urteil vom 11.03.1993 – 4 StR 17/93) Beihilfe Zur Begründung des besonders schweren Falles der Beihilfe darf nicht allein auf das vom Haupt-täter verwirklichte Regelbeispiel abgestellt werden (Beschluss vom 26.05.1993 – 2 StR 199/93) Aufklärungsgehilfe Zur Berücksichtigung eines Aufklärungserfolges nach § 31 BtMG zu Gunsten des Angeklagten braucht der Tatrichter nicht abzuwarten, bis andere Stellen entsprechende Ermittlungen durchgeführt haben (Beschluss vom 03.02.1993 – 5 StR 20/93) Minder schwerer Fall Maßgebend ist, ob das Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhn-lich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass der Regelstrafrahmen nicht mehr angemessen ist (Beschluss vom 17.08.1994 – 3 StR 318/94)

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