Das Kiefergelenk im stomatognathen...

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Das Kiefergelenk im stomatognathen System E - learning - Skript Salutaris Akademie GmbH 1

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I. Das „Stomatognathe System“

1. Begriffsbezeichnung:

Unter „Stomatognathe System“ versteht man einen funktionellen Zusammenschluss verschiedener Organe, welche in Bezug auf die Kaufunktion und anderer Funktionen zusammenarbeiten.

Neben dem Begriff „Stomatognathe System“ werden oft synonyme Begriffe verwendet, die jedoch meist nur einen Teil der Funktionen beschreiben:

• Kauapparat• Kauorgan• Maxilofasziales System• Orofasziales System• Craniomandibuläres System

2. Das „Stomatognathe System“ im Netzwerk

Das biologische System „Mensch“ besteht aus vielen, komplex vernetzten Subsystemen welche in einer dynamischen Wechselwirkung miteinander stehen. Die Systemfunktionen werden von jedem System selbst organisiert. Die Selbstorganisation ist eine wesentliche Eigenschaft dynamischer Systeme. Sie sorgt dafür, dass Funktionen störungsfrei, geordnet und stabil ablaufen.Regulationssysteme koordinieren die Subsysteme und sorgen im Sinne einer Selbstregulation für die Funktion des Systems „Mensch“.

Das stomatognathe System ist hochkomplex vernetzt mit den anderen Körpersystemen, wie Schädel, Wirbelsäule, Bewegungsapparat, den Organen und vor allem der Psyche. Dysfunktionen aus anderen Systemen können im stomatognathen System relevant werden. Und umgekehrt: Stomatognathe Dysfunktionen können sich auf andere Systeme störend auswirken.Aufgrund dieser Vernetzungen mit ihren komplexen Wechselwirkungen zwischen den Systemen wird eine lokale, isolierte Betrachtung einzelner Strukturen oder Gelenke dem Problem nicht gerecht.

Die Beschäftigung mit dem stomatognathen Systems, mit seinen Funktionen und Fehlfunktionen, seiner Diagnose und Therapie ist eine spannende und faszinierende Herausforderung für den modernen Therapeuten.

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3. Funktionen des „Stomatognathen Systems“Die moderne Forschung zeigt, dass das „Stomatognathe System“ eines der kompliziertesten Organsysteme des Menschen überhaupt ist.

3. a. Kaufunktion:

• Beissen und Kauen• Saugen und Lecken• Schlucken und Spucken

Dient der Nahrungsaufnahme und Zerkleinerung, der Nahrungsverarbeitung und Transport.

3.b. Lautbildung - SprachfunktionAus dem einfachen Beiss- und Kauorgan unserer Vorfahren hat sich ein einzigartiges, „kompliziertes, faszinierendes Multifunktionssystem“ (Prof. Slavicek) entwickelt. Die Beiss- und Kaufunktion ist sicher für das Überleben eine der wichtigsten Funktionen, aber erst die Entwicklung der Sprachfunktion hat dem Homo sapiens sapiens einen entscheidenden evolutionären Vorteil gegenüber den Primaten gebracht.

Mit der Entwicklung einer individuellen, komplizierten Kommunikationsform, der Sprache, ist die Entwicklung des Gehirns eng verbunden.

3.c. WahrnehmungsfunktionWahrnehmung von Tastempfindungen wie Stellung, Bewegung, Druck und BerührungGeschmack und Geruch.

3.d. Physiognomische FunktionLachen, Weinen, Gesichtsausdruck

3.e. PsycheDas stomatognathe System ermöglicht uns innerste Gefühle der Umwelt mitzuteilen. "Zähne zusammenbeißen", „sich durchbeissen“, "sich die Zähne ausbeißen" oder "Zähne zeigen" ist auch in unserer modernen Welt von großer Bedeutung.

Schöne Zähne sind für unsere Gesellschaft ein Zeichen für Erfolg und Wohlstand.

Ein Funktionsgestörtes Kauorgan kann sich auf die Gesundheit auswirken. Meistens jedoch ist eine Funktionsstörung am stomatognathen System Ausdruck oder Folge von Krankheit. Das stomatognathe System  ist ein Spiegel unserer Seele, unserer Physis,  unseres Selbst!

3.f. Haltung - Statik - GleichgewichtFunktionsstörungen im stomatognathen System führen zu strukturellen und funktionellen Anpassungen (Kompensation) in allen Regionen des Körpers:

• Afferente Reize aus dem Zahnhalteapparat, den Kaumuskeln und den Kiefergelenken werden durch den Nervus trigeminus an das Kleinhirn weitergeleitet und beeinflussen dort die Gleichgewichtsregulation des Körpers.

• Die Folgen der Gleichgewichtsregulation zeigen sich in Veränderungen der Körperhaltung.

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4. Wesentliche Komponenten des stomatognathen Systems: 

4.a. Knöcherne Strukturen

• Das Kiefergelenk liegt im Os temporale direkt vor dem Porus acusticus externus und hinter dem Os zygomaticum.

• Es wird von der Gelenkpfanne (Os temporale) und dem Gelenkköpfchen des Unterkiefers (Mandibuls) gebildet

• Das Kiefergelenk ist ein Dreh-Gleitgelenk und besteht aus der Gelenkpfanne, an der Schädelbasis und den Gelenkköpfen des Unterkiefers, sowie einem zwischen beiden gelegenen Discus. Das ganze Gelenk wird von einer Gelenkkapsel umgeben.

• Die Fläche der Gelenkpfanne (Fossa mandibularis) ist dabei mehr als doppelt so groß als die durch den Condylus gebildete Gelenkfläche.

Kiefergelenk

Bei Neugeborenen ist die Fossa mandibularis flach und die Eminentia articularis noch nicht vorhanden. In dieser Phase überwiegt eine Scharnierachsenbewegung. Im Zuge der Denotation kommt es zu Umbauvorgängen im Kiefergelenk, wodurch sich die knöchernen Strukturen formen [Platzer, 1991; Waldeyer, 1986].

Die paarige Maxila bildet den größten Teil des knöchernen Daches der Mundhöhle

Die Mandibula besteht aus dem Corpus mandibulae und den Ramus mandibulae Der Unterkiefer formt am kranialen Ende den Proc. coronoideus (Ansatz des M.temporalis) und den Proc. condylaris (Kiefergelenksköpfchen).

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Mandibula

Maxila

Os temporale

Processus coronoideus

Das Gelenkköpfchen (Condylus mandibularis) liegt in Ruheposition in der Gelenkpfanne. Diese besteht im Zenit aus einer zarten Knochenstruktur und ist nicht zur Aufnahme von Druck geeignet. Das nach anterior angrenzende Tuberculum articulare wird dagegen aus einer massiven Knochenstruktur gebildet und stellt somit die eigentliche funktionelle Gelenkfläche dar.

Die knöchernen Gelenkflächen sind anders als andere Gelenke, mit dickem fibrösem Bindegewebe überzogen [Schröder, 2000], das hauptsächlich aus Kollagen-Typ-I-Fasern besteht.

4.b. Discus articularis

Diese gefäßfreie Gelenkzwischenscheibe kompensiert die Inkongruenz zwischen der Form und Größe der Condylen und der temporalen Gelenkflächen. Somit fungiert der Diskus als eigentliche Gelenkpfanne. Die Struktur ist bikonkav (verdünnt sich vom dickeren Rand zur Mitte hin) und mit der Gelenkkapsel verwachsen.

Der Diskus besteht aus Typ-I-Kollagen für den elastischen Widerstand und Proteoglycanen für die viscoelastischen Eigenschaften [Tanaka, 2003]. Er hat einen hohen Wassergehalt und heterogen verteilte Fibrozyten, Fibroblasten und Fibrochondrozyten.

Durch den Discus articularis wird das Kiefergelenk in eine obere und eine untere Kammer geteilt:

• in der oberen Kammer (Articulatio discotemporalis) finden die Gleit- und Schiebebewegungen statt

• in der unteren Kammer (Articulatio discomandibularis) finden Drehbewegungen statt.

Die habituelle Kieferöffnung ist eine kombinierte Rotation und Translation, wodurch eine wandernde Gelenkachse entsteht [Ferrario, 1996; Lindauer, 1995; McMillan, 1989; Salaorni, 1994].

4.c. Bilaminäre Zone

Dorsal des Discus articularis liegt lockeres, stark vaskularisiertes Bindegewebe, die „bilaminäre Zone.“

4.d. Die Gelenkkapsel

Das Kiefergelenk wird von einer schlaffen Gelenkkapsel umschlossen.

Die sehr weite Gelenkkapsel kann auf keinen Fall als Halteelement für den Unterkiefer gesehen werden. Sie hat jedoch propriozeptive Funktionen während Kieferbewegungen. Die „äußere“ oder zirkulär angelegte Gelenkkapsel verbindet die beiden knöchernen Anteile des Kiefergelenkes miteinander

Sie übernimmt durch Mechanorezeptoren eine neuroreflektorische Funktion als Schutz vor Überlastungen. Diese werden zum ZNS gemeldet, dadurch hat sie eine Wirkung auf die Kaumuskulatur.

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4.e. Muskuläre Strukturen des kraniomandibulären SystemsDurchmyofaszialeStrukturenstehtdasTMGfunktionellundanatomischmitangrenzendenRegioneninengerVerbindung.DieMuskulaturmitihrenFaszienlassensichunterteilen:

- Kaumuskeln:siesinddermotorischeAntriebderKaufunktion.SiesindmitvielenRezeptorenbestückt.SiereagierenStarkaufEmotionenundsindmitdemBeckenengverschaltet.

- SuprahyoidaleMuskulatur:bildendenMundbodenundsinddieVerbindungvomTMGzumHyoidundzuroberenHWS

- InfrahyoidaleMuskulatur:verbindetdasTMGfunktionellmitderHalsregion,demSchultergebietunddemThorax

- Augen-undmimischeMuskulatur:AlleMuskelndesGesichtesarbeitenengzusammen.DieFunktionalitätdieserMuskelnistfürEssen,Trinken,SprechenundemotionalerAusdruckerforderlich.OftmalssinddieRingmuskelndesMundesreaktivzudenRingmuskelndesAuges.Dasbedeutet,dasseinEntspannenderAugennurmöglichist,wenndie

Mundmuskelnentspanntsind. DerZusammenhangistextremwichtigbeiPatientenmitFascialisparesen aberauchbeiKindernmitLese-Rechtschreib-Schwäche.

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Kaumuskulatur4.e.1. Musculus temporalis

• Der Musculus temporalis entspringt großflächig von der Fossa temporalis des Schädels und von der Fascia temporalis.

• Die weitläufigen Muskelfasern des Musculus temporalis bündeln sich zu einer kräftigen Sehne, die am Processus coronoideus der Mandibula ansetzt.

• Sein anteriorer Bereich wird vor allem beim Pressen in der Interkuspidationsposition (IKP) beansprucht.

• Seine hinteren Fasern dienen dem Zurückziehen des Unterkiefers und werden beim Reiben auf okklusalen Interferenzen (Retrusionsfacetten) kontrahiert.

• Dieser Muskel ist in erster Linie für die Stellung des Unterkiefers verantwortlich.

• Er reagiert empfindlich auf okklusale Interferenzen und kann zu muskulären Spannungskopfschmerzen führen.

4.e.2. Musculus masseter

• Der Musculus masseter ist ein gefiederter Muskel, der sich makroskopisch in einen oberflächliche (Pars superficialis) und einen tiefen Anteil, (Pars profunda) gliedern lässt.

• Der oberflächliche Anteil entspringt mit einer sehnigen Aponeurose von den vorderen zwei Dritteln des Jochbogens und verläuft schräg nach dorsal-kaudal zur Tuberositas masseterica, seinem Ansatz am Angulus mandibulae.

• Der tiefe Anteil entspringt am Unterrand des hinteren Drittels des Jochbogens und verläuft senkrecht nach kaudal zum Ramus mandibulae.

• Die Pars superficialis ist beim Bruxismus besonders betroffen und die Pars profunde besonders beim Pressen.

• Der M. masseter fungiert als Heber der Mandibula und führt Seitwärtsbewegungen und Protrusionen aus.

• Der Musculus masseter ist der mächtigste Kaumuskel und erbringt etwa die Hälfte der Kauleistung.

• Durch die Bewegungen des Musculus masseter im Rahmen des Kauakts wird die Sekretion der benachbart liegenden Glandula parotis durch Ausmassieren der Drüse gefördert.

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4.e.3. Musculus pterygoideus medialis

• Der Ursprung ist an der Fossa pterygoidea des Keilbeins.

• Er verläuft an der Innenseite der Mandibula zu seinem Ansatz an der Tuberositas pterygoidea

• Ist ein Mundschliesser.

• Zusammen mit dem M. pterygoideus lateralis ist er an der Laterotrusion des Unterkiefers beteiligt.

• Der Musculus pterygoideus bildet mit dem Musculus masseter am Außenrand des Kiefers eine kräftige Muskelschlinge. Die Kraftentwicklung dieser Muskelschlinge übertrifft dabei die Kraft des Musculus temporalis, dem stärksten am Kieferschluss beteiligten Einzelmuskel.

4.e.4. Musculus pterygoideus lateralis

• Ist ein zweiköpfiger Skelettmuskel, der zur tiefen Gruppe der Kaumuskulatur gehört. Er ist der einzige Kaumuskel, der die Kieferöffnung einleitet.

• Er ist ein sehr kräftiger Muskel mit dem Ursprung an dem Os spenoidale und dem Ansatz am Diskus und dem Conylus mandibulae

• Zieht den Unterkiefer nach vorn und ermöglicht damit die Kieferöffnung und Mahlbewegungen.

• Die Pars superior stabilisiert das Kiefergelenk bei Unterkieferbewegungen.

4.e.5. Kaumuskulatur - Schädel - Dura mater

Die Kaumuskeln sind im Querschnitt die stärksten Muskeln unseres Körpers. Weil ein Teil dieser Muskeln am Os Spenoidale ansetzt, werden Spannungsstörungen direkt an den Schädel und damit auch an die Dura mater weiter geleitet.

Die Dura mater hat Ansatzstellen am Schädel, den obersten Halswirbeln, dem Kreuzbein und dem Steissbein; dazwischen gleitet die Dura mater schlauchförmig um das Rückenmark der gesamten Wirbelsäule, ist aber in sich total unelastisch.

Fehlstellungen vom Kiefergelenk führen zu Fehlstellungen im Crankiosakralen System und können Ausgangspunkt oder Unterhalter von sehr vielen Krankheitssymptomen sein.

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5. Innervation

Das Kraniomandibuläre System wird hauptsächlich durch den Nervus trigeminus versorgt:

• er hat drei sensiblen Kerne: sie reichen vom Mittelhirn bis ins zweite HWS Segment

• dort landen Informationen über die afferenten Nervenfasern aus dem Zahnhalteapparat, der Kaumuskulatur und den Kiefergelenkkapseln

• die Input-Informationen werden analysiert und über den motorischen Kern des Nervus trigeminus und seinen motorischen Nervenfasern werden die Kaumuskeln sowie Teile der Zungen- und Mundbodenmuskulatur gesteuert.

Viele Zahnmediziner und Therapeuten sehen dieses System als in sich geschlossen und unabhängig vom Rest des Körpers funktionierend. Funktionelle Diagnostik und Therapie des Kraniomandibulären Systems sind daher auf die Okklusion, die Kaumuskulatur oder das Kiefergelenk ausgerichtet. Das biologische System „Mensch“ ist jedoch ein „offenes System“ und ist vielen Einflüssen, besonders auch psychischen ausgesetzt. Die Emotion „somatisiert“ besonders über das stomatognathe System.

Psychische Einflüsse spielen für die Funktion des Nervus trigeminus eine große Rolle. Besonders sichtbar wird dies beim „Bruxismus“:

• Psychoemotionaler Stress gibt aus dem Limbischen System Input auf den motorischen Kern des Nervus trigeminus und veranlasst die Kaumuskulatur zu Knirschen und Pressen mit den Zähnen

• das kann zu schmerzhaften Verspannungen der Kaumuskeln und Schädigungen der Kiefergelenke, der Zähne und des Zahnhalteapparats führen

Der Trigeminus hat Verbindungen zu übergeordneten Nervenzentren, die mit der Regulierung der Körperhaltung und des Gleichgewichts zu tun haben: Kleinhirn, Nackenmuskulatur, Okulomotoren und Innenohr.

Die Kraniomandibuläre Funktion ist davon abhängig, welche Informationen der Nervus trigeminus aus seinen Verbindungen erhält:

• Störungen und Dysfunktionen aus jedem Teil des Nervensystems können für den Nervus trigeminus und damit für die Kraniomandibuläre Funktion relevant werden.

• Umgekehrt ist wichtig, welchen Input der Nervus trigeminus in das Netzwerk eingibt.

Kraniomandibuläre Dysfunktionen können überall im Körper als störender Input relevant werden. Das gilt besonders für die Steuerung und Regulierung der Körperhaltung.

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6. Begriffsbestimmung

6.1. Okklusion „Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ definiert Okklusion:

Jeder Kontakt zwischen den Zähnen des Ober- und Unterkiefers!

• Statische Okklusion: Zahnkontakte ohne Bewegung des Unterkiefers, in Schlussbissstellung• Dynamische Okklusion: Zahnkontakte, die infolge einer Bewegung des Unterkiefers entstehen.• Habituelle Okklusion: Gewohnheitsmäßig eingenommene statische Okkasion• Zentrische Okklusion: Statische Okklusion in zentrischer Kondylenposition.

6.2. RuheschwebelageIn Ruhe wird der Unterkiefer in einem geringen Abstand vom Oberkiefer gehalten. Die Ruheschwebelage ist eine Ausgangs- und Ruheposition für alle Funktionen des Kraniomandibulären Systems.Aufgrund der Vernetzungen ist die Ruheschwebelage abhängig von der motorischen Steuerung des Nervus trigeminus und von den Spannungsverhältnissen im Fasziensystem.

Bei spannungsfreiem Fasziensystem hält der Nervus trigeminus den Unterkiefer bei minimalem Energieverbrauch der Adduktorenmuskulatur in 3 bis 4 Millimeter Abstand vom Oberkiefer.

Die Kondylen der Kiefergelenke liegen in zentrischer Position in den Kiefergelenkspfannen.

6.3. BruxismusAls Bruxismus (griech. Brygmus) bezeichnet man das unbewusste Pressen und Knirschen der Zähne. Der dabei entstehende Druck kann bis zu 480 kg/cm2 und mehr betragen. Das entspricht mehr als dem 10-fachen des normalen Kaudrucks.

Zähneknirschen kann in Ausnahmefällen bis zu 45 Minuten täglich dauern.Es handelt sich dabei um unbewusste Bewegungsabläufe, die auch als Parafunktion bezeichnet werden.

Sowohl nachts als auch tagsüber kann sich der Bruxismus in mehr oder weniger starker Intensität äußern. Man spricht dabei auch von Wachbruxismus und Schlafbruxismus.

Psychoemotionaler Stress gibt aus dem Limbischen System Input auf den motorischen Kern des Nervus trigeminus und veranlasst die Kaumuskulatur zu parafunktionellem Knirschen und Pressen mit den Zähnen. Dies kann auf Dauer zu Beschwerden innerhalb und außerhalb des stomatognathen Systems führen. Deshalb ist es für den Therapeuten wichtig, die Wechselwirkung zwischen Psyche und stomatognathen System beim Knirschen und Pressen zu verstehen und zu berücksichtigen.

Frauen sind von diesem Phänomen häufiger betroffen als Männer, die am häufigsten betroffene Altersgruppe liegt zwischen 30 und 45 Jahren.

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7.ErkrankungenamKiefergelenk

7.1.Kiefergelenkentzündung

Ursachen:

• BakterienimMundraum,diesichimmerweiterbishinzumGelenkausbreiten.

• eineGelenkverletzung

AufgrundderdauerhaftenBewegungundsomitReizungvomKiefergelenkisteineselbstständigeHeilungoftmalsschwer,wodurcheszueinerchronischenKiefergelenkentzündungkommt.

7.2.RheumatischeArthritis

DasKiefergelenkistbei>50%derErwachsenenundKindermitRAbetroffen,jedochinderRegelmitalsletztesGelenk.BeiKindernführtdieZerstörungdesKondyluszuStörungendesUnterkieferwachstumsundzuGesichtsdeformierungen.EineAnkylosekannfolgen.

Symptomatik: Schmerzen,SchwellungundeingeschränkteBeweglichkeitsinddie häuRigstenBefunde.

Therapie:

• ÜberweisungzumInternisten

• Antirheumatika

• Physiotherapie

7.3.NichtHixiertehabituelleLuxation

Funktionsstörung,beiderdieGelenkköpfeamEndejederÖffnungsbewegungvordieGelenkhöckertretenundbeiMundschlußwiederzurückgleiten.DasKrankheitsbildentwickeltsichausderMyoarthropathievomTypderDiskoordinationmitverstärkterVorschubbewegung,diezueinerAbRlachungderGelenkhöckerführt.

Symptomatik:

• Auftretenumdas20Lebensjahr,FrauenhäuRigerbetroffen

• BeiweiterMundöffnungspringendieGelenkköpfeüberdieGelenkhöcker,wodurcheinterminalesKnackenentsteht

• BeilängeremBestehentretenGelenk-undMuskelschmerzenauf

• ImweiterenVerlaufkannsichnachAbrasionderknorpligenGelenkRlächeneineArthrosisdeformansentwickeln

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7.4.FixiertehabituelleLuxation

Auslöser:Gähnen,ruckartigeUnterkieferbewegungen,weiteMundöffnung

Ursachen:

• PsychischesFehlverhalten

• SchlaffeGelenkkapsel

• TieferBiss,derbeimAbbeißenzumaximalerMundöffnungzwingt.

• MyoarthropathievomTypderDiskoordinationmitverstärkterVorschubbewegung

Symptomatik:

DerluxierteUnterkieferstehtinVorbissstellung,derMundisthalboffenundkannnichtgeschlossenwerden.BeieinseitigerLuxationistderUnterkieferzurGegenseiteverschoben.NichtseltensinddiePatienteninderLage,denKieferdurchmanuelleHilfeselberzureponieren.

Therapie:

• EinrenkendesUnterkiefers

• Psychotherapie

• Verriegelungsoperation

7.5.Osterarthrose-Osteoarthritis

DieKiefergelenksköpchensindmitKnorpelüberzogen.ZwischenKnorpelundKnochenbeRindetsicheineSchichtausundifferenziertemMesenchymgewebe.DieseskannuntervermehrterBelastungzuKnorpelzellendifferenzieren.DasVolumenderKnorpelschichtsteigtunddieBelastbarkeitwirdvergrößert.DieswirdalsprogressiveAdaptationbezeichnet.

IstdieserMechanismusderVolumenvergrößerungausgereizt,müssenbeibestehenderBelastungandereMechanismenentstehen.DiephysiologischeReaktionistdanndieOberRlächenvergrößerung,dieimRöntgenbildoftals„Arthrose“sichtbarist.DieswirdregressiveAdaptationgenannt.

BeideMöglichkeitenderAnpassunganvermehrteBelastungverlaufenweitestgehendohneSymptomeab.

WeitereBelastungenkönnendieKnorpeloberRlächeaufrauen.Dasisteinentzündungsfreier,reinmechanischerVorgangderzueinerOsterarthroseführt.EsentstehenReibegeräusche(„Crepitation“).InvielenFällenistdasdasEndstadiumdesBelastungsvorgangs.

Osteoarthritis:ZudenVeränderungenderKnorpeloberRlächekommenbegleitendeEntzündungsprozessehinzu.DieReibegeräuschesindschmerzhaft.

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7.6.Myoarthropathien

7.6.a.DeHinitionderInternationalAssociationfortheStudyofPain:„DieMAPdesKausystemswerdenalseineGruppevonmiteinanderverwandtenSchmerzzuständenindenKiefermuskeln,demKiefergelenkundangegliedertenStrukturen,dasheißtalseineFormdesmuskuloskelettalenSchmerzesgesehen.“

MyarthropathiensindinbekannterunterdemBegriffCraniomandibuläreDysfunktion(CMD)oderTempormandibuläreDysfunktion(TMD).BeideBegriffesindSynonyme.

DerBegriffCMDistproblematischwegendesunklarenBegriffsderDysfunktion:hierunterwerdenoftharmloseBefundeunddiagnostischeZeichensubsummiert,diekeinerleiKrankheitswerthaben.DazugehörenAsymmetrienderBewegungsbahnendesUnterkiefers,dasGelenkknacken,sowievielevoneinemtheoretischenIdealabweichendeZahnkontakte.

7.6.b.CMD–DeHinitionausklassischerSichtCMDisteinkollektiverTerminusfürverschiedeneklinischeProblemeundSymptomewelcherdieKiefergelenke,dieKaumuskulaturundalleanderenStrukturendesstomatognathenSystemsberücksichtigt.

8. Zahnärztlichen CMD-Diagnostik und Therapie

• Mit Hilfe von symptombezogener Anamnese, klinischer (manueller) und instrumenteller Funktionsanalysen werden lokale, das Kausystem betreffende Befunde erhoben.

• diese führen zu relativ unspezifischen, deskriptiven Diagnosen: Craniomandibuläre Dysfunktion, Myopathie, Arthropathie, Myoarthropathie, aktivierte Arthrose, Capsulitis, myofaszialer Schmerz ….

• Der enorme (auch finanzielle) Aufwand, die nichtssagende Diagnose (ähnlich einer klassischen Diagnose „WS - Syndrom) führt praktisch immer zu einer lokalen, allgemeinen Symptomtherapie: Schiene!

Bei etwas Glück wird zusätzlich noch eine lokale Behandlung am Kiefergelenk verordnet, welche von PT`s mit Traktion, Übungen oder Muskelbehandlung durchgeführt wird. Das geht am Wesen dieser Pathologie vorbei!

An jedem Zahn, an jedem Kauorgan „hängt“ ein ganzer Mensch, daher verdient dieses Kauorgan gebührenden Respekt und die Wertschätzung „seines“ Therapeuten. Apparate und Computerprogramme können tolle Befunde erstellen und uns höchste medizinische Kompetenz vorgaukeln. Sie können jedoch nicht das Wesen des Menschen erfassen! Wenn in der modernen Medizin dieses wichtige Feld frei ist, dann machen wir es doch zu unserem Aufgabengebiet!!!

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II.Spannungsstörung

Über90%allerSchmerzenimBereichdesBewegungsapparateswerdenvonFehlspannungenimfaszial–muskulärenSystemsverursacht.

1.Tensegrity:einneuesKörperverständnis

UnsertherapeutischesHandelnwirdauchdadurchbestimmt,wiewirunsdenmenschlichenKörpervorstellen.WirmachenhäuRigdieErfahrung,dasslokaleTherapieanStrukturennichtzudengewünschtenErgebnissenführt.

ForschungsergebnissehabendazugeführtdenmenschlichenKörpernachdem„PrinzipTensegrity“zusehen:einSpannungsnetzwerkauslangenMuskel-Faszien-KettenundKnochen!

DiesesSystemreagiertbeiBewegungensehrfein,esistdynamisch:WennwireineStrukturaneinerStelleaktivieren,gibtesüberdieFaszienketteneineReaktionananderenKörperstellen.Muskelnarbeitenalsonichtisoliert,sondernimmerverbundenimkörperweitenfaszialenNetz.

DieseAnsichtgehtüberdieklassischeAnatomiemitihrerBetrachtungsweiseeinzelnlokalisierbarerMuskelnhinaus.SieidentiRiziertgrößerefunktionalemyo–faszialeEinheitenimKörper.

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2.Triggerpunkte

a.WassindTriggerpunkte?

GesundeMuskulaturspanntsichanundentspanntsichwieder.Triggerpunktesindkleinste,„verkrampfte“BereichederMuskulatur.BetroffeneMuskelarealekönnennichtmehrandernormalenAnspannungundEntspannungdesMuskelsteilhaben.AufDauerführtdieszueinerSpannungsstörungdesentsprechendenMuskels.

DieseZonensendenSchmerzsignaleaus,dieentwederanderStelledesGeschehensverspürt,oderbisinweitentfernteKörperregionen„projiziert“werden.TriggerpunkteimMuskelführenzuVerspannungimFasziensystem,mitÜber-bzw.FehlbelastungenvonGelenkenundderWirbelsäule.

Triggerpunkteentstehennichteinfachvonalleine.UrsacheisteineäußereoderinnereStörungmitungünstigerAuswirkungaufdenEnergiestoffwechsel,diedenMuskelzumAuRbaueinesodermehererTriggerpunkteveranlasst.

b.DiezelluläreEnergiekrise:istzurZeitdasplausibelstepathophysiologischeModellzurErklärungderTriggerpunkte

MuskelkontraktionwirdnochoftalsderenergieverbrauchendeProzessangesehen.DieRelaxationderMuskulaturwirddagegenalspassiverVorgangbetrachtet.Diesesgiltalsüberholt:

- ZellenhabeneinMembranpotential

- NervenimpulseführenzueinerDepolarisationanderMembranundderMuskel kontrahiert.AusSichtderMuskelzelleistdieseKontraktioneinpassiverVorgang

- EineRepolarisationunddamitdieEntspannungderMuskelzelle,istdereigentlich aktive,energieverbrauchendeProzess.

- ZurHerstellungdesentspanntenBereitschaftszustandesmussATPhergestelltwerden. (ATP=„Weichmacher“).

c.DasZielderTriggerpunkttherapieistdieVerstärkungundUnterstützungderSelbstheilungskräftedurch:

• VerbesserungderDurchblutungunddervenösenundlymphatischenEntsorgung

• SteigerungdernervösenundchemischenInformationsübertragung

Merke: MyofaszialeStrukturenmitTriggerpunktensollmanwederdehnennoch kräftigen.BeidesversuchtdasErgebnis(Folge)zuverändernundnichtdie Ursachen.DehnungoderBelastungverschlechtertdieTriggerpunkte!

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Lernkontrolle

01. Unter „Stomatognathe System“ versteht man:

____ einen Zusammenschluss von Funktionen um das Kauen zu ermöglichen

____ einen funktionellen Zusammenschluss verschiedener Organe, welche in Bezug auf die Kauen, Kommunikation und Wahrnehmung zusammen arbeiten

02. Welche Bedeutung hat das stomatognathe System für die Psyche

___ hier somatisieren Gefühle

___ Gefühle werden hier an die Umgebung mitgeteilet

___ das stomatognathe System  ist ein Spiegel unserer Seele

03. Zum stomatognathe System gehören unter anderem

___ die Kiefergelenke

___ die Kaumuskulatur

___ N. opticus

___ N. trigeminus

___ Mittelohr mit dem Gleichgewichtsorgan

04. Das Kiefergelenk ist ein Dreh-Gleitgelenk und besteht aus

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05. Die Gelenkpfanne

___ kann starken Druck des Köpfchens verarbeiten

___ ist nicht zur Aufnahme von Druck geeignet

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06. Die Gelenkflächen der Kiefergelenke sind

___ von festem Knorpel überzogen

___ fibrösen Bindegewebe überzogen

___ sind stark durchblutet

___ nicht innerviert

07. Der Discus articularis

___ gleicht die Inkongruenz zwischen den Gelenkparner aus

___ teilt das Gelenk in zwei Kammern

___ hat sensorische Funktion

___ besteht überwiegend aus Kollagen und Wasser

08. Welche Kaumuskeln gehören zu den Mundschliesser?

09. Welche Beziehung besteht zwischen Kaumuskulatur und Dura mater?

10. Welches ist der Hauptnerv im Craniomandibulären System?

11. Wo befinden sich seine sensiblen Kerne?

12. Zu welchen wichtigen Zentren hat der Nerv enge Verbindungen?

13. Was verstehen Sie unter Okklusion?

14. Was verstehen Sie unter einer „Ruheschwebelage“?

15. Wovon hängt die Ruheschwebelage ab?

16. Was verstehen Sie unter „Bruxismus“?

17. Was sind Triggerpunkte?

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