Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in Wilhelm Landigs Roman...

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School of Education, Culture and Communication Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in Wilhelm Landigs Roman Götzen gegen Thule Herkunft, Gestaltung und Weiterentwicklung eines Mythos in der rechtsesoterischen Nachkriegsliteratur Specialarbete i tyska, 15hp Daniel Hertel Betreuer/handledare: Thorsten Päplow Herbstsemester 2012/ht12

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  • School of Education, Culture

    and Communication

    Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in Wilhelm

    Landigs Roman Götzen gegen Thule Herkunft, Gestaltung und Weiterentwicklung eines Mythos in der

    rechtsesoterischen Nachkriegsliteratur

    Specialarbete i tyska, 15hp Daniel Hertel

    Betreuer/handledare: Thorsten Päplow

    Herbstsemester 2012/ht12

  • 2

    1. Einleitung …………………………………………………………………………..3

    1.1. Biographie Wilhelm Landigs …………………………………………………...5

    1.2. Der Roman Götzen gegen Thule ………………………………………………..7

    2. Analyse des Motivs der „Schwarzen Sonne“ …………………………………….8

    2.1. Hintergrund, Mythologie und literarische Popularisierung ……………………8

    2.2. Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule ………13

    2.3. Zur Funktion der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule …...15

    2.4. Zur Weiterentwicklung der „Schwarzen Sonne“ nach Götzen gegen Thule …..27

    3. Zusammenfassung und Diskussion ………………………………………………35

    Literaturverzeichnis und Quellen …………………………………………………..42

    Anhang ………………………………………………………………………………..45

  • 3

    1. Einleitung

    Am 11. Februar 2012 hatte die Science-Fiction-Komödie Iron Sky1 auf der 62. Berlinale

    Weltpremiere: Ende 1945 ist eine Gruppe von Wissenschaftlern und SS-Soldaten von dem

    geheimen deutschen Antarktisstützpunkt „Neuschwabenland“ mit Raumschiffen zu der

    dunklen Seite des Mondes geflüchtet und hat dort eine Nazibasis „Schwarze Sonne“

    angelegt.2

    Das Ziel der ‚Mondnazis‘ ist es, die Erde wiederzuerobern und damit die

    Weltherrschaft zu ergreifen. Als Mittel dazu stehen ihnen unter anderem sogenannte

    ‚Reichsflugscheiben‘3, also ‚fliegende Untertassen‘, zur Verfügung, die neben dem

    Hakenkreuz auch das Balkenkreuz der Wehrmacht als Hoheitszeichen tragen. In dem Film

    taucht darüber hinaus mehrmals ein zwölfspeichiges Sonnenrad auf, welches sich auch in

    Form eines Bodenmosaiks in der bei Paderborn gelegenen Wewelsburg findet. Die Idee für

    den Film hatte angeblich ein Freund des Regisseurs, dem in einem Traum Nazis begegneten,

    die auf dem Mond wohnen und die Erde erobern wollen.4

    Googelt man allerdings nach Begriffen wie „Schwarze Sonne“, ‚Reichsflugscheiben‘,

    ‚Neuschwabenland‘ oder ‚Nazi-Ufos‘ dann stellt sich schnell heraus, dass es eine Unzahl von

    Büchern und Internetartikeln gibt, in denen diese Wörter vorkommen. Gemeinsam ist den

    meisten, dass sie in ein verschwörungstheoretisches, rechtsesoterisches Ideenkonglomerat

    eingehen, welches man sowohl als Teil einer Nachkriegserinnerungskultur an den

    Nationalsozialismus als auch einen Zweig populärkultureller Verschwörungstheorien bzw.

    -mythen betrachten kann. Bei der Frage, wie „Schwarze Sonne“, Reichsflugscheiben,

    geheime unterirdische deutsche Stützpunkte und die SS miteinander zusammenhängen, stößt

    man immer wieder auf den Österreicher Wilhelm Landig und die von ihm verfassten Romane

    1 Homepage: www.ironsky.net. Der Film ist eine finnisch-deutsch-australische Ko-Produktion und wurde

    teilweise durch „Crowdfunding“ finanziert. Für den Film konnte man immerhin einen renommierten

    Schauspieler wie Udo Kier gewinnen. Die Filmmusik wurde von der kontroversiellen slowenischen

    Avantgardegruppe Laibach beigesteuert. Ein Computerspiel zum Film ist bereits erschienen und ein Comic in

    Vorbereitung. 2 Vgl. Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=wx_mk_kxi-s (Zuletzt abgerufen am 23.2.2013) und Anhang 1

    3 Der Terminus ‚Reichsflugscheibe‘ bzw. ‚Flugscheibe‘ (vereinzelt wird auch der Begriff ‚Flugkreisel‘

    angewendet) ist ein etablierter Begriff in der rechtsesoterischen Literatur, welcher sich auf scheiben- oder

    diskusförmige Luft- und Raumfahrzeuge bezieht, die im nationalsozialistischen Deutschland unter Verwendung

    von ‚Geheimtechnologie‘ gebaut worden sein sollen. In der englischsprachigen Literatur werden dagegen die

    Begriffe ‚Nazi-UFO‘ oder ‚German flying saucer‘ verwendet. Um die verschiedenen für diese Arbeit relevanten

    Motive und Mythen der rechtsesoterischen Literatur untersuchen zu können, werden diese Begriffe deshalb so in

    dieser Arbeit übernommen. 4 Vgl. Anhang 2

  • 4

    der sogenannten Thule-Trilogie.5 Ein wichtige Rolle scheint hier der erste Band der Trilogie,

    der 1971 erschienene Roman Götzen gegen Thule einzunehmen, da in ihm das erste Mal die

    literarische Gestaltung eines Geheimbundes „Schwarze Sonne“ auftritt, und der Autor

    völkische Mythen mit populärkulturellen Nachkriegsmythen verschmelzen lässt.

    Ein herausstehendes Charakteristikum dieses Romans ist, dass er sich aus einer Vielzahl

    teilweise schwer zu überschauender ideologischer und religiöser Symbole und Motive

    zusammensetzt, welche in die Mythenkonstruktion der „Schwarzen Sonne“ eingehen.

    Die auf den ersten Anblick eklektisch wirkende Vermischung von Verschwörungstheorien

    mit völkischen, religiösen und populärkulturellen Mythen ist jedoch Ausdruck eines in sich

    kohärenten Weltbildes des Autors. In dieser Untersuchung ist jedoch kein Platz, die Vielzahl

    heterogener Quellen, die Wilhelm Landig in dem Roman Götzen gegen Thule verarbeitet, im

    Detail zu beschreiben. Zum besseren Verständnis werden notwendig erscheinende

    Erklärungen und Informationen zu den Mythen und Symbolen, die von dem Autor benutzt

    werden, hauptsächlich in den jeweiligen Fußnoten kurz erklärt und mit relevanter

    Sekundärliteratur komplettiert.

    Man muss sich als Leser immer bewusst sein, dass es ein Charakteristikum der zu

    untersuchenden Primärliteratur ist, dass sie sich aus vielen unterschiedlichen Quellen

    zusammensetzt, die miteinander verwoben werden. Die mitunter schwer nachvollziehbare

    Vernetzung dieser Quellen ist aber ein Teil der rechtsesoterischen literarischen Tradition. Um

    zu verdeutlichen, wie dies bei einem Autor wie Wilhelm Landig geschieht, wurde bewusst

    gewählt, längere Passagen des Romans Götzen gegen Thule im Abschnitt 2.2. zu zitieren.

    Dadurch kann illustriert werden, dass sich das Motiv der „Schwarzen Sonne“ aus einer

    Vielzahl unterschiedlicher Symbole und Traditionen zusammensetzt, die vom Autor zu einem

    sinnstiftenden Mythos miteinander verwoben werden.6

    Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Roman Götzen gegen Thule anhand von Textstellen und

    Sekundärliteratur in Hinsicht auf die folgenden Fragestellungen zu untersuchen: In welchem

    Kontext taucht das Symbol der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman auf? Welche Funktionen

    lassen sich ihm zuordnen? Was möchte der Autor mit dem Mythos der „Schwarzen

    Sonne“ bezwecken? Wie wird das Motiv der „Schwarzen Sonne“ von anderen Autoren

    aufgegriffen und literarisch gestaltet? Welche Funktionen werden übernommen und

    5 Wilhelm Landig: Götzen gegen Thule, Hannover, Hans Pfeiffer, 1971; ders.: Wolfszeit um Thule, Wien,

    Volkstum-Verlag, 1980; ders.: Rebellen für Thule, Wien, Volkstum-Verlag, 1991. 6 Dasselbe gilt für die Weiterentwicklung des Symbols der „Schwarzen Sonne“ (Abschnitt 2.4.). Auch hier

    verarbeiten die jeweiligen Autoren eine Vielzahl heterogener Quellen, übernehmen einzelne Aspekte dieses

    Symbols von Wilhelm Landig und fügen ihm neue hinzu.

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    inwieweit werden neue Inhalte hinzugefügt? Wie kommt es zur heutigen Verbindung der

    „Schwarzen Sonne“ mit dem zwölfspeichigen Sonnenrad der Wewelsburg?

    Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Symbol bzw. Mythos der „Schwarzen Sonne“, was

    im 2. Teil dieses Aufsatzes untersucht wird. Dort wird erst Hintergrund, Mythologie und

    relevante Literatur zur „Schwarzen Sonne“ präsentiert. Danach werden die wichtigsten

    Textstellen des Romans, in denen das Motiv der „Schwarze Sonne“ auftaucht ausführlicher

    zitiert, um dann eine Analyse dieses Symbols anhand von Primär- und Sekundärliteratur

    durchzuführen. Zum besseren Verständnis der Thematik ist es jedoch von Interesse, in

    Kapitel 1.1. den Autor Wilhelm Landig kurz zu präsentieren, sowie in Kapitel 1.2. den Inhalt

    des zu untersuchenden Buches Götzen gegen Thule wiederzugeben. Abschließend sollen in

    Kapitel 3. die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und diskutiert werden. Am Ende des

    Aufsatzes befinden sich zudem die in dieser Arbeit verwendeten Internetquellen als Anhang.

    1.1. Biographie Wilhelm Landigs

    Wilhelm Landig7 wurde am 20. Dezember 1909 in Wien geboren und gilt als ein früher

    Anhänger Adolf Hitlers. Er erhielt eine militärische Ausbildung als Mitglied eines

    „Mittelschul-Freikorps“ und trat anscheinend schon früh der NSDAP bei. Da diese 1933 in

    Österreich verboten wurde, wurde er zum ‚Illegalen‘. Nach Teilnahme an dem 1934 in

    Wien gescheiterten nationalsozialistischen Putschversuch floh er ins Deutsche Reich, wo er

    einen hohen Status als Mitglied der in Österreich verbotenen NSDAP erhielt. Im selben Jahr

    trat er auch der SS bei, wobei er gleichzeitig Mitglied des Sicherheitsdienstes SD und der

    Waffen-SS war, weil ihm die Freikorpszeit als militärische Dienstzeit anerkannt wurde.

    Anstellung fand er von 1937-38 beim Arbeitswissenschaftlichen Institut in Berlin, welches

    der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstand.

    Unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs kehrte er aufgrund einer Sondergenehmigung

    Heinrich Himmlers nach Wien zurück, wo er von 1938-41 als Sachberater des SD für

    geheime Reichssachen tätig war. Obwohl er offiziell direkt dem NSDAP-Mitglied und

    7 Die biographischen Daten Landigs sind eher spärlich. Lediglich die Autoren Heller/Maegerle scheinen direkt

    mit dem Autor im Gespräch gewesen zu sein, und es ist möglich, dass Landig seine eigene Biographie und sein

    Wirken im Dritten Reich beschönigt hat. Allgemein zu Landig vgl. Friedrich Paul Heller und Anton Maegerle:

    Thule, Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten, Stuttgart, Schmetterling-Verlag, 1998, S. 96-102.

    Nicholas Goodrick-Clarke: Black Sun, Aryan cults, esoteric Nazism and politics of identity, New York, New

    York University Press, 2002, S. 128-150. Göran Dahl: Radikalare än Hitler? De esoteriska och gröna

    nazisterna, Inspirationskällor, Pionjärer, Förvaltare, Ättlingar, Stockholm, Bokförlaget Atlantis, 2006, S. 157ff.

    Die einzige bekannte Videoaufnahme Landigs ist das Interview Wilhelm Landig ‒ Ein Zeitzeuge berichtet:

    http://www.youtube.com/watch?v=eA23BVO79WY. Zuletzt abgerufen am 23.2.2013.

  • 6

    Reichsstatthalter Baldur von Schirach unterstellt war, war er bei Beschlüssen oft direkt mit

    den zuständigen in Berlin ansässigen SS-Instanzen in Verbindung, weil er aufgrund seiner SS-

    typischen elitären Einstellung die NSDAP und deren Mitglieder als minderwertig und von

    Opportunisten durchsetzt ansah.8 Laut Landigs eigener Auskunft war er in Wien auch mit der

    Koordination und Konstruktion von Flugscheiben beschäftigt9, welche eine zentrale Rolle in

    seiner nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Thule-Trilogie spielen. Von 1942-44 kämpfte

    Wilhelm Landig in den besetzten Balkanländern gegen Partisanen. 1944 kehrte er aufgrund

    einer Verwundung nach Wien zurück, und arbeitete in der Abteilung I (Inland) des SD.

    Nach dem Kriegende 1945 war er bis 1947 in einem britischen Kriegsgefangenenlager

    interniert. Danach gehörte er einigen nationalsozialistischen Organisationen (Verband der

    Unabhängigen, Demokratisch-nationale Arbeiterpartei) und Zirkeln (Arbeitsgemeinschaft für

    demokratische Politik, Wiener Zirkel) an. Publizistisch tätig war Landig u.a. in der monatlich

    erscheinenden Zeitschrift Kommentare zum Zeitgeschehen und der von ihm ab 1955

    herausgegebenen Europa-Korrespondenz. Er gründete auch einen eigenen Buchverlag, den

    Volkstum-Verlag, in dem er u.a. Teil 2 und 3 der Thule-Trilogie herausgab.10

    Landig war auch nach dem Krieg noch politisch aktiv. Er war in regem Kontakt mit

    ehemaligen Mitgliedern der SS11

    und nahm 1951 an dem sogenannten Malmötreffen teil, bei

    dem sich die wichtigsten Nachkriegsnationalsozialisten (u.a. der ehemalige Führer der Hitler-

    Jugend Karl-Heinz Priester, der Schwede Per Engdahl und der Brite Oswald Mosley) trafen

    und eine ‚faschistische Internationale‘, das European Social Movement (ESB) gründeten, für

    welche Landig Vorsitzender des österreichischen Zweigs wurde. 1971 übernahm Landig

    ebenfalls den österreichischen Vorsitz für die 1967 in Taiwan gegründete World Anti-

    Communist League (WACL).12

    Zu den letzten Lebensjahren Landigs lassen sich keine Daten

    finden, er starb 1998.

    8 Vgl. Heller/Maegerle, S. 97.

    9 Ibid.

    10 Ibid. S. 98f. Gründungsdatum des Verlags 1958 oder 1961. Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 137 und Dahl, S.

    157. 11

    Er scheint umfangreiche Kontakte mit der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der Waffen-

    SS (HIAG) gehabt zu haben und gab u.a. die Bücher des SS- Untersturmführers Lothar Greil heraus. Zu seinem

    Freundeskreis gehörten außerdem Hans-Ulrich Rudel, Savitri Devi, Miguel Serrano und der Rechtsanwalt Jürgen

    Rieger, alle Zentralfiguren im rechtsradikalen und rassistisch-neuheidnischen Nachkriegsuntergrund. Vgl. Dahl,

    S. 159. 12

    Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 137 und Dahl, S. 157.

  • 7

    1.2. Der Roman Götzen gegen Thule

    In dem Roman Götzen gegen Thule wird die Odyssee von vier Offizieren der Luftwaffe und

    der Waffen-SS im Rahmen einer „Aktion Ultima Thule“ in der Zeitspanne vom Ende des 2.

    Weltkrieges bis ca. 1950 geschildert.

    Im ersten Teil des Romans werden die Luftwaffenoffiziere Recke und Reimer mit einem

    geheimen Auftrag von Norwegen zu der geheimen, in der Nähe des Nordpols gelegenen,

    arktischen SS-Basis „Punkt 103“ geschickt. Dieser unterirdische Stützpunkt beherbergt

    modernste Hochtechnologie des Dritten Reiches, vor allem Flugscheiben, mit denen der

    Kampf für eine Neugestaltung der Welt auch nach dem Kriegsende fortgesetzt wird. „Punkt

    103“ erklärt sich nach dem Kriegsende zu einem geheimen selbstständigen Reich mit der

    „Schwarzen Sonne“ als Symbol. „Punkt 103“ versteht sich als das wahre „Ultima Thule“,

    dessen Gegner die freimaurerische Weltverschwörung und der sich hinter dieser verbergende

    „Berg Zion“ ist. Für diesen Kampf hat sich „Punkt 103“ mit anderen über die ganze Welt

    verstreuten geheimen Logen und Orden, vor allem tibetanischen Lamas in Form des

    Geheimbundes „Schwarze Sonne“ alliiert. Als esoterische Mentoren dienen den zwei

    Luftwaffenoffizieren die SS-Offiziere Gutmann und Juncker, die als Mitglieder eines

    geheimen elitären Kreises innerhalb der SS die zwei Luftwaffenangehörigen im Laufe des

    Buches in geheimes Wissen einweihen. Das Ziel der geheimen Bruderschaft der „Schwarzen

    Sonne“ ist die spirituelle Wiedergeburt der weißen Rasse in Form eines paneuropäischen

    Vierten Reiches beim Anbruch des Wassermannzeitalters.

    Im zweiten Teil des Buches fliegen die Protagonisten nach Frankreich um einen in die

    Mysterien des Grals und der Tradition der Katharer eingeweihten französischen Kollaborateur

    mit Namen Belísse zum „Punkt 103“ zu holen. Dieser stirbt aber durch die Hand alliierter

    Soldaten und die Helden des Buches müssen nach Spanien fliehen. Ständig von den

    Verbündeten der feindlichen Freimaurer verfolgt, werden sie dazu gezwungen, von Spanien

    nach Marokko, Ägypten, Libanon, Syrien, Irak, Kuwait, Iran, Pakistan und schließlich Indien

    zu fliehen, immer wieder darum bemüht, einen Weg für die Rückkehr zu dem „Punkt 103“ zu

    finden und immer wieder auf Mitglieder geheimer Logen treffend, die sich mit ihnen zum

    Kampf für die Wiedergeburt eines ‚arischen’ Zeitalters verbündet haben.

    Im dritten und letzten Teil des Buches werden die Hauptfiguren von Mongolen gegen ihren

    Willen von Indien nach Tibet entführt und dort in einem Kloster unter Hausarrest gestellt. In

    philosophischen und mythologischen Diskussionen gibt der Lama des Klosters zu verstehen,

    dass das Zusammenarbeiten von Nationalsozialisten und Vertretern Tibets ein nahes Ende

  • 8

    haben wird, da die Tibeter eine eigene Agenda bei der Errichtung eines ‚gelben’ Reiches mit

    Bezugnahme auf das unterirdische Reich von „Agarthi“ verfolgen. Deshalb beschließen sich

    die Deutschen aus dem Kloster zu fliehen, was ihnen auch gelingt, bis sie in Indien in einem

    britischen Kriegsgefangenenlager interniert werden. Nachdem sie freigelassen worden sind,

    kehren sie nach Deutschland und Österreich zurück. Der Nachkriegswelt treten sie mit

    Abscheu entgegen, und bei einem letzten Zusammentreffen wird resigniert konstatiert, dass

    der „Punkt 103“ alle Aktivitäten bis zu dem Tag, an dem die Vision von Thule bei allen

    weißen Völkern erwacht sein wird, eingestellt hat.

    2. Analyse des Motivs der „Schwarze Sonne“

    2.1. Hintergrund, Mythologie und literarische Popularisierung

    Die „Schwarze Sonne“ ist heute das wichtigste esoterische Symbol verschiedenster

    neurechter, neuvölkischer, neuheidnischer und rechtsokkultistischer Gruppierungen.13

    Grafisch dargestellt wird sie am häufigsten durch das Bodenornament (ein aus zwölf S-Runen

    zusammengesetzten Sonnenrad) des sogenannten Gruppenführersaals der in Nordrhein-

    Westfalen gelegenen Wewelsburg. Diese diente im Nationalsozialismus als 1934 von

    Heinrich Himmler initiiertes Forschungszentrum der SS für ‚germanische Zweckforschung‘

    dessen Schwerpunkte u.a. auf archäologischen Ausgrabungen und Studien zur germanischen

    Vor- und Frühgeschichte lagen.14

    Das zwölfspeichige Sonnenrad ist, umgeben von zwölf

    Marmorsäulen, als dunkelgrüne Marmorkrustation in den hellgrauen Marmorboden des Saals

    eingelassen; weder zum Zweck des Saales noch zur Bedeutung des Symbols lässt sich

    Eindeutiges sagen. Es kann lediglich vermutet werden, dass dort Zeremonien für höhere SS-

    Generale abgehalten wurden, und dass das Symbol auf bei Ausgrabungen gefundenen, die

    Sonne symbolisierenden germanischen Zierscheiben basiert.15

    Die Verknüpfung des Begriffs bzw. Symbols „Schwarze Sonne“ mit dem Bodenornament der

    Wewelsburg scheint jedoch erst in den 1990er Jahren erfolgt zu sein.16

    Am wichtigsten

    hierfür ist der 1991 im rechten Arun-Verlag erschienene Roman Die schwarze Sonne von

    13

    Vgl. Rüdiger Sünner, Schwarze Sonne: Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und

    rechter Esoterik, Freiburg i. Br., Herder/Spektrum, 1999, S. 144. Ebenso Goodrick-Clarke 2002, S. 148ff. 14

    Vgl. Sünner, S. 103-109 und Goodrick-Clarke 2002, S. 125ff. 15

    Vgl. Sünner, S. 148. 16

    Vgl. Ibid, S. 45 und die Diskussion unten im Abschnitt 2.4.

  • 9

    Tashi Lhunpo eines unbekannten Autors mit dem Pseudonym Russell McCloud.17

    In diesem

    wird die SS zu einem gegen Freimaurerei und Weltverschwörung kämpfenden mystischen

    Orden stilisiert. Das war zwar schon in den Romanen des Österreichers Wilhelm Landig

    literarisch gestaltet worden (siehe unten), neu ist aber nun die Verbindung des

    Bodenornamentes im Nordturm der Wewelsburg mit dem Begriff „Schwarze Sonne“. So

    zeigt das Cover des Romans Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo die Ansicht der

    Wewelsburg und auf dessen Deckblatt ist das zwölfspeichige Sonnenrad des

    Gruppenführersaals abgebildet.

    Ab den 1990er Jahren taucht die Verbindung SS - Schwarze Sonne - zwölfspeichiges

    Sonnenrad - Wewelsburg dann immer wieder auf, und hat sich in den letzten 20 Jahren zu

    einem fest etablierten Zweig der Verschwörungsliteratur von rechts entwickelt. Das

    Bodenornament der Wewelsburg ziert (stilisiert oder als Originalfoto) zahlreiche

    Büchercover18

    und Cd-Hüllen19

    Mittlerweile hat sich darüber hinaus ein regelrechter

    ‚Schwarze-Sonne-Kitsch‘ entwickelt: Das zwölfspeichige Sonnenrad gibt es heute als Motiv

    für Uhren, Anstecker, Krawattennadeln, Flaggen, Ringe, Manschettenknöpfe, Armreifen,

    Unterhosen und T-Shirts.20

    Zur Popularisierung der „Schwarzen Sonne“ trug sicherlich auch

    der 1997 erschienene Dokumentarfilm Schwarze Sonne. Kultorte und Esoterik des 3. Reiches

    von Rüdiger Sünner bei, auf dessen Cover ebenfalls das zwölfspeichige Bodenornament der

    Wewelsburg abgebildet ist.

    Seit den 1990er Jahren ist eine Vielzahl von Publikationen veröffentlicht worden, in denen

    die „Schwarze Sonne“ in Zusammenhang mit Verschwörungstheorien um die SS, der

    Wewelsburg und dem zwölfspeichigen Sonnenrad gebracht wird. Man kann diese Literatur in

    drei Bereiche einteilen: Seriöse Forschungsliteratur, spekulative Wahrheitsanspruch

    proklamierende Sensationsliteratur (rechts-)esoterischer Herkunft sowie literarische

    Gestaltungen in Romanform, in denen die „Schwarze Sonne“ irgendwie auftaucht.

    Die zwei wichtigsten wissenschaftlichen Werke, in denen das Motiv der „Schwarzen Sonne“

    untersucht wird, sind Rüdiger Sünners Schwarze Sonne: Entfesselung und Missbrauch der

    17

    Russell McCloud: Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo, Engerda, Arun, 3. Auflage, 1997. Laut dem

    Internet-portal welt-buerger.org verbirgt sich hinter dem Pseudonym der deutsche Publizist Stephan Mögle-

    Stadel. Vgl. Anhang 3. 1995 erschien auch ein „Drehbuch“ des Romans, ebenfalls wieder mit dem

    zwölfspeichigen Sonnenrad der Wewelsburg auf dem Buchumschlag. 18

    Beispielsweise M.B. Hasler: Die schwarze Sonne, Göttliches Licht der Erkenntnis, Schleswig, Walknut-

    Verlag, 2002. Kai Breidenbach: Die Zeit ist reif, Das Erbe um Thule im 21. Jahrhundert, Wagner-Verlag, Berlin,

    2007. James Twinning: Die schwarze Sonne, Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach, 2008. Stephen E. Flowers u.

    Michael Moynihan: The secret king, The Myth and Reality of Nazi Occultism, Feral House, Los Angeles, 2007. 19

    Z.B. auf dem Cover der CD In eine neue Zeit des rechten Liedermachers Veit und auf dem Cover der CD

    Gotos=Calanda der österreichischen Avantgardegruppe Allerseelen. 20

    Z.B. unter dem Suchbegriff „Schwarze Sonne“ bei google.de oder ebay.de.

  • 10

    Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik und Nicholas Goodrick-Clarkes Black

    Sun. Aryan cults, esoteric Nazism and politics of identity.21

    Als Beispiel für Verschwörungsliteratur, die behauptet, Fakten zum Hintergrund der

    „Schwarzen Sonne“ wiederzugeben, sind vor allem M.B. Haslers Die Schwarze Sonne.

    Göttliches Licht der Erkenntnis, Rudolf J. Mund und Gerhard von Werfensteins Mythos

    Schwarze Sonne. Karl Maria Wiligut/Weisthor, der heilige Gral und das Geheimnis der

    Wewelsburg22

    , Jan von Helsings Die Innere Welt. Das Geheimnis der Schwarzen Sonne23

    und

    Kai Breidenbachs Die Zeit ist reif. Das Erbe um Thule im 21. Jahrhundert zu nennen.

    Romane, in denen die „Schwarze Sonne“ in Verbindung mit Verschwörungstheorien um die

    SS auftaucht sind u.a. Wilhelm Landigs Thule-Trilogie, Russell McClouds Die schwarze

    Sonne von Tashi Lhunpo und James Twinings Die schwarze Sonne.

    Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ ist aber älteren Ursprungs als die seit den 1970er Jahren

    publizierten Bücher. Die mythologischen Wurzeln der „Schwarzen Sonne“ gehen zum einem

    wahrscheinlich auf die in der Alchemie bekannte Sol niger und zum anderen auf den

    Terminus „Schwarze Sonne“ bei der Begründerin der Theosophie, Helena Blavatsky, zurück.

    Diese nennt in ihrem 1901 erschienenen Hauptwerk Die Geheimlehre mehrmals eine

    „Zentralsonne“24

    , die als unsichtbarer Mittelpunkt des Universums existiert, und um die alle

    anderen Sonnen- und Planetensysteme kreisen. Diese Sonne ist bei Blavatsky der Ursprung

    allen Daseins, ähnlich dem indischen Atman-Brahman. In der jüdischen Kabbala taucht diese

    Zentralsonne laut Blavatsky auch als „schwarzes Licht“25

    auf. Der eigentliche Ursprung

    dieser Zentralsonne ist aber gemäß Helena Blavatsky „bei den geheimen Lehren der Arier“ zu

    suchen, und da die Arier ursprünglich aus dem hohen Norden stammen, wird der Mythos der

    (schwarzen) Zentralsonne bei ihr mit dem Mythos von einem legendären polaren Urvolk der

    Arier (der „hyper-boreischen Rasse“) verknüpft.26

    Diese Vorstellungen werden dann später

    bei völkischen Autoren weiterentwickelt. Zu nennen wären beispielsweise der Begründer der

    Ariosophie, Guido von List, der 1910 in seinen Schriften von einem unsichtbaren „Urfeuer“

    21

    Deutsch: Nicholas Goodrick-Clarke: Im Schatten der Schwarzen Sonne: Arische Kulte, Esoterischer

    Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung, Marixverlag, 2009. 22

    Rudolf J. Mund und Gerhard v. Werfenstein: Mythos Schwarze Sonne, Karl Maria Wiligut/Weisthor, der

    heilige Gral und das Geheimnis der Wewelsburg, Riga, DHV-Verlag, 2004. 23

    Jan Udo Holey: Die innere Welt, Das Geheimnis der Schwarzen Sonne, Ama-Deus-Verlag, 1998. Jan Udo

    Holey ist einer der bekanntesten rechten Verschwörungstheoretiker Deutschlands, der unter dem Pseudonym Jan

    van Helsing zahlreiche Bücher veröffentlicht hat. Vgl. Heller/Maegerle, S. 167-170. 24

    Zitat nach Sünner, S. 146. 25

    Zitat nach Sünner, S. 146, vgl. auch Dahl, S. 124. 26

    Zitate nach Sünner, S. 146. Vgl auch Goodrick-Clarke 2002, S. 79-81.

  • 11

    spricht, und der Esoteriker Peryt Shou, der die Idee von der „dunklen Ursonne“27

    mit der

    astrologischen Idee von unterschiedlichen Weltzeitaltern verknüpft. Für die Zeit des

    Nationalsozialismus lassen sich keine eindeutigen Beweise für die Beschäftigung mit dem

    Begriff der „Schwarzen Sonne“ nachweisen. Ob dies beispielsweise innerhalb der SS, wie

    dies z.B. von Rudolf J. Mund in der Schrift Das Mysterium der Schwarzen Sonne28

    behauptet

    wird, geschah, lässt sich anhand der heute zugängigen Quellen nicht zweifelsfrei belegen.29

    Oft wird behauptet, der Runenmystiker Karl Maria Wiligut, von 1933-1939 Mitglied der SS

    und u.a verantwortlich für die Gestaltung des SS-Totenkopfringes, hätte sich während der Zeit

    des Nationalsozialismus mit der „Schwarzen Sonne“ beschäftigt.30

    Als Beweis dafür werden

    oft die zwischen 1920-1928 entstandenen „Hagalrita“- Sprüche Wiliguts angeführt. Diese

    Sprüche sind von Wiligut in Form einer von ihm erfundenen Runenschrift niedergeschriebene

    Gedichte, die von Wiliguts Schülern Emil Rüdiger und Werner von Bülow ‚übersetzt‘ und

    kommentiert worden sind. Ein Beleg für die „Schwarze Sonne“ soll der Spruch 27 sein, der

    laut den Übersetzern ein „20.000 Jahre alter Sonnensegen“31

    ist. Der Spruch lautet:

    Sunur saga santur toe

    Sintyr peri fuir sprue (e)h

    Wiligoti haga tharn

    Halga fuir santur toe32

    Die Transkription des Spruches lautet wie folgt:

    1. Zeile: Die Sage meldet, dass der Sonnen zwei Heilsam im Wechsel-Waltung UR und SUN

    der Sanduhr glichen, welche umgedreht der einen stets zum Sieg verhilft.

    2. Zeile: Der Sinn des göttlichen Irr-Wandels-Wegs, der Schlackensintern in des Feuers Sphäre

    ward so in Feuersprache offenbar dem Erd-Ich-Lauf der Paradiesgeschlechter.

    3. Zeile: Gottwillige Führer leiten zum Guten durch ihre Hege in der Weltallrunde, was sichtbar

    und bald vertarnt erschien, in dem sie lenkten Phantasie der Menschheit.

    27

    Zitate nach Sünner, S. 146. Allgemein zur Ariosophie in Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des

    Nationalsozialismus, Wiesbaden, Marix-verlag, 2004. Zu Guido von List und Peryt Shou vgl. Sünner, S. 147. 28

    Rudolf J. Mund: Das Mysterium der Schwarzen Sonne. In: Mund/Werfenstein 29

    Vgl. Hans Jürgen Lange: Im Zeichen der Schwarzen Sonne (Internetquelle, vgl. Anhang 4) und Sünner S. 148. 30

    Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 135ff. Das Standardwerk zu Wiligut ist Hans Jürgen Lange: Weisthor, Karl

    Maria Wiligut, Himmlers Rasputin und seine Erben, Engerda, Arun, 1998. 31

    Mund, S. 12. Dort findet sich auch ein Bild des Runenspruchs. 32

    Ibid. S. 12. Ebenso in Lange 1998, S. 215.

  • 12

    4. Zeile: Polar im Wechselspiel von UR zu SUN im Opferdienst von Werden und Vergehen, im

    heiligen Feuer Santur so versprüht zwiespältig, doch zum Segen siegreich wendet.33

    Die Übersetzung des Spruchs nennt hier zwei Sonnen, die in einer „polaren“ Beziehung,

    gleich einer „Sanduhr“ zueinander stehen und sich gegenseitig zum „Sieg“ verhelfen. Diese

    Sonnen haben auch einen Zusammenhang mit Geburt und Tod, „Werden und Vergehen“ und

    von ihnen geht ein „heilige[s] Feuer Santur“ aus. Die Übersetzer behaupten nun, dieses

    „Feuer Santur“ sei eine erloschene Zentralsonne, die vor 230.000 Jahren über den

    Hyperboreern des Nordpols geleuchtet habe und ihnen zur spirituellen Entwicklung gedient

    habe.34

    Diese Sonne kreise heute als erloschener Stern um die Erde und, obwohl sie

    unsichtbar sei, beeinflusse sie immer noch als „Schwarze Sonne“ das Leben der Menschen.35

    Was auffällt, ist, dass von Wiligut selber überhaupt keine Deutung des Spruches und damit

    auch keine Nennung einer „Schwarzen Sonne“ vorliegt. Zum anderen gibt es keine Datierung

    der Übersetzung des Spruchs.36

    Erst 1954 wird das Gedicht im Zusammenhang mit der

    „Schwarzen Sonne“ erstmalig bei Rudolf J. Mund erwähnt,37

    so dass die Behauptung, man

    habe während des Nationalsozialismus mit dem Begriff „Schwarze Sonne“ innerhalb der SS

    laboriert, äußerst fragwürdig bleibt.38

    Die Popularisierung und ideologische Instrumentalisierung der „Schwarzen Sonne“ begann

    erst in den 1950er Jahren und hier sind es vor allem die zwei ehemaligen SS-Mitglieder

    Wilhelm Landig und Rudolf J. Mund, welche als Stifter eines revisionistischen Bildes der SS

    genannt werden müssen: Die SS wird in den Schriften dieser Autoren zu einem mystischen

    Geheimorden verklärt, der über umfangreiches bis in die Vorzeit reichendes esoterisches

    Wissen verfügt, und für die Wiedergeburt eines arischen Zeitalters kämpft. Das Symbol für

    diesen Kampf ist die „Schwarze Sonne“.39

    Literarisch gestaltet wird dieser Kampf das erste

    Mal in Wilhelm Landigs Thule-Trilogie und in dem im nächsten Abschnitt zu

    untersuchendem ersten Roman der Trilogie, Götzen gegen Thule.

    33

    Zitiert nach Hasler, S. 45. 34

    Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S.136 und Mund, S. 12-32. 35

    Ibid. 36

    Laut Forschungsliteratur wurden die Sprüche das erste Mal 1994 publiziert, vgl. Goodrick-Clarke 2002, S.

    327, Fußnote 19. 37

    Vgl. Mund, S. 12. Verwirrend ist hier, dass der Text Das Mysterium der Schwarzen Sonne (Mund 2004) das

    erste Mal 1954 unter dem Titel Vom Mythos der Schwarzen Sonne erschien, die Texte sind aber identisch. Vgl.

    Lange: Im Zeichen der Schwarzen Sonne, Fußnote 9. 38

    Vgl. Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krishna, Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis

    heute, Wien, Uebberreiter, 2002. S. 414. 39

    Vgl. Sünner, S. 149f.

  • 13

    2.2. Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule

    Um zu zeigen, wie und in welchem Zusammenhang das Motiv der „Schwarze Sonne“ bei

    Wilhelm Landig auftaucht, werden im Folgenden die wichtigsten Passagen des Buches zitiert,

    in denen der Autor die „Schwarze Sonne“ nennt. Es wurde bewusst gewählt, zuerst

    ausführliche Zitate des Romans Götzen gegen Thule aufzuführen, um ein übergreifendes Bild

    zur Verwendung des Motivs der „Schwarzen Sonne“ geben zu können, und zu verdeutlichen,

    in welchen unterschiedlichen Kontexten es auftreten kann. Einzelne Aspekte bzw. Funktionen

    des Symbols der „Schwarzen Sonne“ werden dann näher im Kapitel 2.3. analysiert. Dort

    werden die relevanten Zitate dann zielgerichteter verwendet als in diesem Kapitel. Diese

    Vorgehensweise scheint aufgrund des Charakters des zu untersuchenden Materiales

    sinnvoller, als bei der Textanalyse nur mehr oder weniger losgerückte Zitate ohne Kontext zu

    verwenden. Es ist ja außerdem, wie schon in der Einleitung erwähnt, ein Charakteristikum der

    rechtsesoterischen Literatur, dass in ihr oft auf eine mitunter willkürlich erscheinende Art und

    Weise eine Vielzahl von Motiven, Symbolen und Mythen miteinander verwoben wird, was

    dem Leser die Orientierung im Text erschweren kann. Diese Tatsache gilt auch für den

    Roman Götzen gegen Thule und kann durch das Wiedergeben längerer Zitate untermauert

    werden.

    Die „Schwarze Sonne“ ist nur ein Motiv bzw. Mythos von vielen, die in dem Buch Götzen

    gegen Thule auftauchen.40

    Es soll anhand der Zitate vor allem gezeigt werden, wie in dem

    Buch der Grundstein für eine Mythenbildung um die SS anhand des Motivs der „Schwarzen

    Sonne“ gelegt wird, welche Teile dieser Mythenbildung später von anderen Autoren

    übernommen worden sind, und sich dadurch sowohl als ein fester Bestandteil aktueller

    rechtsesoterischer Verschwörungstheorien als auch ein Teil der Populärkultur etabliert haben.

    Das Symbol der „Schwarzen Sonne“ wird in Götzen gegen Thule im ersten Teil des Buches

    eingeführt:41

    Am nächsten Morgen erlebten die Hauptleute eine neue Überraschung. Sie befanden sich, in

    warme Pelzparkahs [sic] gekleidet, eben auf einem Morgenspaziergang im Freien, als eine

    Maschine auf der Startbahn ausrollte, die anstelle des erwarteten Hoheitszeichens eine fremde

    40

    Der Roman könnte auch hinsichtlich einer Anzahl anderer Gesichtspunkte untersucht werden: Man könnte

    beispielsweise den Fokus darauf richten, wie des Motiv bzw. der Begriff ‚Thule‘ in dem Roman auftaucht, oder

    wie die Motive ‚Atlantis‘, ‚Gral‘ und ‚Arier‘ auftauchen. Man kann den Roman ebenso als Teil der Genres

    ‚Verschwörungsliteratur‘ oder ‚UFO-Literatur‘ untersuchen. Ein anderer Aspekt wäre ‚Antisemitismus nach

    1945‘. Der Fokus dieser Arbeit liegt aber auf dem Mythos bzw. Symbol der „Schwarzen Sonne“. 41

    Alle Seitenangaben dieser Untersuchung beziehen sich auf die Faksimileausgabe des Romans.

  • 14

    Signatur trug. [...] Sie verhielten beide den Schritt und starrten auf die Tragflächen und den

    Rumpf des himmelwärts steigenden Apparates, wo als Kennzeichen schwarze Punkte

    prangten.42

    Die noch uneingeweihten Hauptfiguren Recke und Reimer suchen den SS-Soldaten Juncker

    auf, um mehr über das Symbol zu erfahren, bekommen doch vorerst von diesem nur die

    Antwort, dass das „unser Flugzeugkennzeichen“43

    sei.

    Mehr Klarheit verschafft ein anderes Mitglied der SS, Gutmann, welcher den Hintergrund des

    neuen Hoheitszeichens darlegt:

    Ich will es ohne viel Einleitung begründen, warum wir hier kein Balkenkreuz auf den Maschinen

    haben und gerade eine schwarze Ronde als Zeichen wählten. Vor allem ist es uns doch schon

    klar geworden, dass die Heimat über kurz oder lang kapitulieren muss. [...]. Wenn nun wirklich

    der Fall eintreten sollte, dass Deutschland kapitulieren muss oder nach einer Besetzung des

    Reiches der Krieg für beendet erklärt wird, sind ab einem Zeitpunkt X alle Feindseligkeiten

    einzustellen. Das würde bedeuten, dass die deutsche Wehrmacht zu bestehen aufgehört hat und

    niemand mehr befugt wäre, unter Fahnen oder Kennzeichen des Reiches weiter zu kämpfen.

    [...]. Wenn dennoch weitergekämpft wird, dann darf das Reich nicht kompromittiert werden,

    weil sonst die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung durch Repressalien die Not und das

    Elend vergrößern würden. Aus diesem Grunde haben wir beschlossen, als selbständige

    Organisation, von der später noch ausführlicher die Rede sein wird, ein neues Kennzeichen für

    unsere Maschinen zu führen. Dieser schwarze Punkt, wie ihr ihn bezeichnet, ist Sol nigra, oder

    die schwarze Sonne, wie es auf deutsch heißt. Sie hat eine tiefe symbolische Bedeutung und

    sollte eigentlich anstelle des optisch sichtbaren Schwarz ein Tiefdunkelrot zu sehen sein. Es ist

    die sol nigra der Alchemie, in der Farbe eine bestimmte Phase des Lapis andeutend.44

    Auf die Frage, was dies mit Alchemie zu tun habe, antwortet Gutman: „[...] Zuerst die

    Bedeutung der Sonne: es ist dasselbe Symbol wie das Gammadium, jedoch unter dem Aspekt

    der Kreuzigung. Eben genau: Unser Balkenkreuz.“45

    Er erklärt weiter:

    Es kann die runde Form der Sonne zum Heilszeichen werden und das im Zeichen des Kreuzes

    zur Opferung bestimmte deutsche Volk retten! Weltpolitik wird ja nicht nur von Regierungen

    allein betrieben, sondern von Kräften, die über den sichtbaren Gewalten stehen.46

    42

    Wilhelm Landig, Götzen gegen Thule, S. 86. 43

    Ibid. 44

    Ibid. S. 88. 45

    Ibid. 46

    Ibid.

  • 15

    Nachdem Reimer den Stützpunkt als „das Reich der Schwarzen Sonne“47

    bezeichnet hat,

    erklärt Gutmann weiter:

    Ja, es ist das Reich der Schwarzen Sonne! Es ist der Sammelpunkt der esoterischen Kreise der

    Schutzstaffel, deren Wissen auch Herr Himmler ahnt, aber nicht teilhaftig wurde. Es ist jener

    Kreis von Männern, die gemäß den Hinweisen eines unserer geistigen Führer, des

    Standartenführers Rahn, das Recht und das Rechte suchen, die ungeachtet der mosaischen zwölf

    Gebote aus eigenem Recht und Pflicht gefunden haben; Männer, die eigenmächtig und stolz

    nicht vom Berg Sinai Hilfe erwarten, sondern zu einem ‚Berg der Versammlung in der fernsten

    Mitternacht‛ gegangen sind, um Hilfe zu holen und den Menschen ihres Blutes zu bringen.48

    Das Motiv der „Schwarzen Sonne“ taucht wenig später wieder in dem Roman auf. Zeitlich

    spielt das Geschehen kurz nach der Kapitulation Deutschlands am 8. bzw. 9. Mai 1945. Alle

    Bewohner des „Punkt 103“ sind zu einer Versammlung zusammengerufen worden. Dem

    höchsten Befehlshaber fehlen jegliche Rangabzeichen. Er proklamiert:

    Die fallenden Runenstäbe der Geschichte haben entschieden: Deutschland hat derzeit zu

    bestehen aufgehört! Es gibt keine staatliche Autorität mehr und vier Militärregierungen haben

    im gevierteilten Reich die Macht übernommen. Dazu teile ich Ihnen den Entschluss des

    Kommandeurs unseres Stützpunktes mit: Punkt 103 gilt ab sofort als vom Reiche losgelöst und

    ist in seiner militärischen Einheit der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht nicht unterworfen.

    Sämtliche Hoheitsabzeichen des Deutschen Reiches sind sofort von den Uniformstücken zu

    entfernen! Das Zeichen der Schwarzen Sonne ist vorläufig das alleinige Symbol unseres

    geheimen selbstständigen Reiches.49

    2.3. Zur Funktion der „Schwarze Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule

    Die „Schwarze Sonne“ hat in dem Roman Landigs also fünf Funktionen: Erstens dient sie als

    Hoheitszeichen und ersetzt das Balkenkreuz der Deutschen Wehrmacht. Zweitens steht sie in

    Zusammenhang mit der alchemistischen Sol niger. Drittens ist die „Schwarze Sonne“ der

    „Sammelpunkt“ der „esoterischen Kreise der Schutzstaffel“.50

    Dadurch verkörpert sie einen

    inneren Kreis der SS, der ein umfangreiches Geheimwissen besitzt, d.h. eine Elite innerhalb

    47

    Landig, S. 90. 48

    Ibid. 49

    Ibid. S. 160. 50

    Ibid. S. 90.

  • 16

    der Elite. Viertens ist die „Schwarze Sonne“ ein militärisch organisierter Geheimbund oder

    Geheimorden, der in seiner Struktur der SS ähnelt.51

    Fünftens verbirgt sich hinter der

    „Schwarzen Sonne“ ein in der Arktis liegender militärischer Stützpunkt „Punkt 103“, der nach

    dem Untergang des Dritten Reiches ein „geheimes selbstständiges Reich“52

    bildet, in dem

    Menschen und (Geheim-)Technologie gehortet werden. Nachfolgend sollen nun die einzelnen

    Funktionen näher anhand von Zitaten und Sekundärliteratur analysiert werden.

    Als grafisches Zeichen für die „Schwarze Sonne“ wird in dem Roman eine „schwarze

    Ronde“53

    genannt, welches als Ersatz für das Balkenkreuz der Wehrmacht dient: Die

    Kapitulation Deutschlands ist nicht mehr abzuwenden. Um weiter kämpfen zu können, wird

    eine „selbstständige Organisation“ gegründet, deren Zeichen ein „schwarze[r] Punkt“ bzw.

    eine „schwarze Ronde“ ist, welche grafisch an „die runde Form der Sonne“ erinnert.54

    Dieses

    Symbol soll, ähnlich dem Hakenkreuz des Dritten Reiches, ein neues „Heilszeichen“ werden,

    unter dem das „zur Opferung bestimmte deutsche Volk“ gerettet wird.55

    Der schwarze Punkt

    ist eine andere Form des „Gammadiums“56

    (des Balkenkreuzes) und dient als militärisches

    Hoheitszeichen des „Punkt 103“, welcher „in seiner militärischen Einheit der Kapitulation der

    Deutschen Wehrmacht nicht unterworfen“57

    ist. Dadurch erhält der „Punkt 103“

    (möglicherweise in den Augen des Autors Wilhelm Landig) auch den juristischen Status einer

    militärischen Organisation und unterliegt dem internationalen Kriegsrecht und den damit

    verbundenen Rechten und Pflichten, darf also beispielsweise nicht als Partisanenbewegung

    behandelt werden. Da Landig selbst Mitglied der SS war, und an der Partisanenbekämpfung

    teilgenommen hat, kann man vermuten, dass er es als wichtig erachtet, die Organisation der

    „Schwarzen Sonne“ in dem Roman auch gemäß militärischem Etikett zu verankern.

    Der schwarze Punkt hat in dem Roman Götzen gegen Thule aber neben der Funktion als

    alternatives Hoheitszeichen auch einen Bezug zur Alchemie, deren „Sol nigra“58

    er entspricht.

    Die „Schwarze Sonne“ steht in Verbindung mit der alchemistischen „Sol nigra“ und deutet

    eine „bestimmte Phase des Lapis“ an.59

    Worauf sich dieser „Lapis“ bezieht, wird jedoch nicht

    näher von der Figur des Romans, dem SS-Mitglied Gutmann, erklärt. Wohlmöglich wird hier

    auf den alchemistischen Stein der Weisen (Lapis philosophorum) verwiesen. In der Alchemie

    51

    Ein Hinweis dafür wäre auch die Abkürzung für Schwarze Sonne, SS. 52

    Landig, S. 160. 53

    Ibid. S. 88. 54

    Ibid. 55

    Ibid. 56

    Ibid. 57

    Ibid. S. 160. 58

    Ibid. S. 88. Eigentlich korrekt lat. Sol niger. 59

    Landig, S. 88.

  • 17

    ist der Stein der Weisen die Substanz60

    , mit deren Hilfe man unedle Metalle in Gold

    umwandeln kann, ein Vorgang, der Opus magnum („Das Große Werk“) genannt wird. Die Sol

    niger ist die erste Stufe des Opus magnum, die der ‚Schwärzung-Fäulnis‘ (lat. nigredo-

    putrefactio) des zu transformierenden Stoffes dient. Die zweite Stufe ist die ‚Weißung‘ (lat.

    albedo) und die dritte Stufe ist die ‚Rötung‘ (lat. rubedo).61

    In der neuzeitlichen Esoterik kann der Stein der Weisen auch für die mystische Erleuchtung

    des Menschen stehen.62

    Hier entsprechen die drei Stufen erstens ‚Individuation/Ausbrennen

    von Unreinheit‘ (nigredo-putrefactio), zweitens ‚Vergeistigung/Erleuchtung‘ (albedo) und

    drittens ‚Vereinigung des Menschen mit Gott‘ bzw. ‚Vereinigung des Begrenzten mit dem

    Unbegrenztem‘ (rubedo).

    Eine Interpretation der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule ist demnach,

    dass sie die mystische Erleuchtung63

    und das ‚Gottwerden‘ der Romanfiguren

    veranschaulicht: Der schwarze Punkt deutet „eine bestimmte Phase des Lapis“64

    an. Der

    Hinweis, dass der schwarze Punkt eigentlich die Farbe „Tiefdunkelrot“65

    habe, veranlasst die

    Annahme, dass hier die 3. Stufe, die ‚Rötung‘ (rubedo), des alchimistischen Opus magnum

    gemeint ist. In diesem Zusammenhang symbolisiert das Motiv der „Schwarzen Sonne“ die

    Entwicklung und Transformation der Hauptpersonen des Romans. Zu Beginn des Buches sind

    die zwei Luftwaffenoffiziere Recke und Reimer noch unwissend bezüglich der „Kräfte […],

    die über den sichtbaren Gewalten stehen.“66

    Nach und nach werden sie aber in die

    Zusammenhänge und Hintergründe der Weltgeschichte von den zwei Waffen-SS-Offizieren

    Juncker und Gutmann eingeweiht, so dass sie am Ende die alchemistische, mystische

    Reinigung vollzogen haben, und in den Kreis der Erleuchteten, als Mitglieder des „geheimen

    selbstständigen Reiches“67

    der „Schwarzen Sonne“ aufgenommen worden sind.68

    60

    In Form eines pulvrigen Stoffes, der den verschiedenen Metallen zugesetzt wird, und diese in Gold

    umwandelt. Vgl. Karl Hoheisel: Christus und der philosophische Stein, Alchemie als über- und nichtchristlicher

    Heilsweg. In: Christoph Meinel: Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte,

    Wiesbaden, Harrassowitz, 1986, S. 65. 61

    Vgl. Ibid. S.66f. Allgemein zu den alchemistischen Grundbegriffen vgl. Carl Gustav Jung: Psykologi och

    alkemi, Stockholm, Natur och Kultur, 1999. S. 271-287. 62

    Vgl. Jung, S. 309. 63

    Ähnlich bei Jung, welcher von der „seelischen Verwandlung“ des Menschen als ein Ziel der Alchemie spricht.

    Jung, S. 349. 64

    Landig, S. 88. 65

    Ibid. 66

    Ibid. 67

    Landig, S. 160 68

    Diese Art von (alchemistischer) Initiation hat eine lange Tradition in der abendländischen Esoterik: Der

    Unwissende wird in geheimes Wissen eingeweiht und transformiert sich dadurch selbst mit dem letztendlichen

    Ziel der ‚Vergöttlichung‘ im Diesseits. Vgl. Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik, Kleine Geschichte des

    geheimen Wissens, Verlag C.H.Beck, München, 2004. S. 39f.

  • 18

    Eine weitere Funktion der „Schwarzen Sonne“ in dem Roman Götzen gegen Thule ist, dass

    sie ein „Sammelpunkt der esoterischen Kreise der Schutzstaffel [ist], deren Wissen auch Herr

    Himmler ahnt, aber nicht teilhaftig wurde.“69

    Dass Heinrich Himmler und die Mitglieder des

    SS sich als militärische und weltanschauliche Elite des nationalsozialistischen Deutschlands

    sahen, ist nicht abzustreiten.70

    Ebenso ist das Interesse Himmlers für Esoterik, Okkultismus,

    Astrologie, germanische Mythologie und das Mittelalter gut belegt.71

    Um den

    wissenschaftlichen Beweis für die ‚Überlegenheit der Arier‘ zu bringen, gründete Heinrich

    Himmler 1935 zusammen mit dem niederländischen Privatforscher Hermann Wirth das

    „Deutsche Ahnenerbe, Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte“.72

    Man kann vermuten,

    dass der in Götzen gegen Thule genannte „Sammelpunkt der esoterischen Kreise der

    Schutzstaffel“73

    im näheren Umfeld des Ahnenerbes der SS liegt, vielleicht sogar mit ihm

    identisch ist, denn auf einen Teil der Themen, die im SS-Ahnenerbe untersucht wurden, wird

    in dem Roman Landigs angespielt.74

    Ebenfalls werden Personen, die innerhalb des SS-

    Ahnenerbes tätig waren, auch direkt beim Namen genannt. So bezieht sich beispielsweise die

    Aussage, die Mitglieder der „Schwarzen Sonne“ seien „[...] jener Kreis von Männern, die

    gemäß den Hinweisen eines unserer geistigen Führer, des Standartenführers Rahn, das Recht

    und das Rechte suchen [...]“75

    auf den Gralsforscher Otto Rahn, der 1933 das Buch Kreuzzug

    gegen den Gral veröffentlichte. Die Hauptidee des Buches ist, dass die Gralsburg

    Montsalvatge (Montsalvatsch), die in Wolfram von Eschenbachs Parzival genannt wird,

    identisch mit der in den französischen Pyrenäen liegenden Burg Montségur sei. Diese Burg

    war der letzte Zufluchtsort der ‚Katharer‘, die aufgrund ihrer von der antiken Gnosis

    inspirierten, vom Dogma der christlichen Religion abweichenden Lehren von der

    mittelalterlichen Inquisition verfolgt und hingerichtet wurden.76

    Rahn behauptet in dem Buch,

    der Glaube der Katharer ginge auf eine uralte gnostische Untergrundreligion arisch-

    westgotischen Ursprungs zurück. Diese Art, historische Ereignisse mythologisch zu

    69

    Landig, S. 90. 70

    Vgl. Heinz Höhne: Der Orden unter dem Hakenkreuz, Die Geschichte der SS, Verlag Der Spiegel, Hamburg,

    1966. S.125. 71

    Goodrick-Clarke 2002, S. 123-127. 72

    Das Standardwerk zum SS-Ahnenerbe ist: Michael Kater: Das Ahnenerbe der SS 1935-1945, Ein Beitrag zur

    Kulturpolitik des Dritten Reiches, München, R. Oldenbourg-Verlag, 3. Auflage, 2001. Zur Entstehung des SS-

    Ahnenerbes Ibid. S. 11-24. 73

    Landig, S. 90. 74

    Zu nennen wären beispielsweise die Suche nach dem Heiligen Gral, den sagenhaften Inseln Atlantis und

    Thule, die Frage nach dem Ursprung der ‚Arier‘ bzw. der ‚nordischen Rasse‘, die Beschäftigung mit

    Runenmystik und nordischer bzw. indogermanischer Mythologie, sowie die Suche nach verborgenen

    esoterischen Zentren in Asien. Diese Themen wurden sowohl innerhalb des SS-Ahnenerbes untersucht, als auch

    von Wilhelm Landig in dem Roman Götzen gegen Thule verarbeitet. Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 122-150. 75

    Landig, S.90. 76

    Vgl. Hans-Jürgen Lange: Otto Rahn und die Suche nach dem Gral, Arun, Engerda, 1999. S. 15-19.

  • 19

    verklären, passt zweifellos in das Geschichtsbild Heinrich Himmlers. Dieser hatte das Buch

    Rahns gelesen und via Vermittlung des oben erwähnten Karl Maria Wiligut, für den Otto

    Rahn von 1935-1936 arbeitete, persönlich Kontakt zu dem Autor aufgenommen. Rahn war ab

    1936 Mitglied im „Stab des Reichsführers SS“ 77

    und veröffentlichte 1937 sein zweites Buch

    Luzifers Hofgesind, welches innerhalb großer Teile der SS gelesen wurde und sogar in Form

    einer Luxusausgabe in Pergament als Geburtstagsgeschenk Heinrich Himmlers an Adolf

    Hitler überreicht wurde.78

    Die Thesen Rahns um den Gralsmythos und die Katharer sind wichtige Motive in Wilhelm

    Landigs Roman Götzen gegen Thule. Der Autor war sicherlich gut mit dem Werk Rahns

    vertraut. Zum einen spielt das Geschehen des Romans in den französischen Pyrenäen und in

    der Nähe der Burg Montségur, zum anderen ist folgende Textstelle unzweifelhaft von Rahn

    inspiriert:

    [...] Männer, die eigenmächtig und stolz nicht vom Berg Sinai Hilfe erwarten, sondern zu einem,

    Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht‛ gegangen sind, um Hilfe zu holen und den

    Menschen ihres Blutes zu bringen [...].79

    In Otto Rahns Buch Luzifers Hofgesind findet sich folgende Textstelle:

    Unter Luzifers Hofgesind verstehe ich diejenigen, die nordischen Geblütes inne und ihm getreu,

    einen ‚Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht’ als Ziel ihrer Gottsucht sich erkoren

    hatten und nicht die Berge Sinai oder Zion in Vorderasien.80

    Identisch ist in den beiden oben angeführten Zitaten das Nennen des „Berg Sinai“ und des

    „Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht“, welche im Kontrast zueinander stehen.

    Der Berg Sinai ist der Ort, wo im Alten Testament Moses die zehn Gebote von Gott

    empfangen hat. Damit hat ist er sowohl für die christliche als auch die jüdische Tradition von

    Bedeutung.81

    Der bei Rahn in Luzifers Hofgesind genannte Berg Zion ist ein Hügel in

    Jerusalem und hat ebenfalls biblische Bezüge. Dort befindet sich laut jüdischer Tradition der

    77

    Ibid. S. 60 und S. 177ff. 78

    Ibid. S. 65. 79

    Landig, S. 90. 80

    Otto Rahn: Luzifers Hofgesind, Eine Reise zu den guten Geistern Europas, Verlag Zeitenwende, 2. Auflage,

    Dresden, 2006. S. 81. Ursprünglich 1937 erschienen. 81

    Der Berg Sinai ist auch heute noch eine Wallfahrtsstätte für Gläubige aus aller Welt. Auf dem Gipfel des

    Berges befindet sich sowohl eine christliche Kapelle als auch eine Moschee.

  • 20

    Sitz Jahwes.82

    Dieser Berg Zion taucht auch mehrmals an anderer Stelle in dem Roman

    Götzen gegen Thule auf.83

    Er steht bei Landig in Zusammenhang mit einer

    „Weltbrüderschaft“ von Freimauerlogen, deren Ziel das „One World Government“ ist.84

    Die Kräfte hinter dem Berg Zion werden von dem SS-Offizier Gutmann wie folgt definiert:

    „Es ist eine Macht, die über allen anderen Kräften ihr Netz hat und mit allen zusammen gegen

    den Mitternachtsberg anstürmt.“85

    In beiden Textstellen findet sich damit eine

    weltanschaulich fundierte Ablehnung der jüdisch-christlichen Tradition, wie sie innerhalb der

    SS praktiziert wurde.86

    In dem Nachkriegsroman Landigs wird der Berg Zion außerdem in

    Zusammenhang mit einer mittlerweile in weiten Kreisen der Populärkultur etablierten

    Verschwörungstheorie um Freimaurerlogen, den sogenannten ‚Illuminaten‘87

    , gebracht. Dem

    entgegen stellen beide Autoren einen „Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht“88

    ,

    zum welchem sich bei Rahn die Menschen „nordischen Geblütes“89

    wenden. Diese

    Formulierung findet sich bei Landig nicht, aber auch er benutzt mit der Formulierung

    „Menschen ihres Blutes“90

    eine Sprache, die mit der nationalsozialistischen Blutsymbolik

    assoziiert werden kann. Zwei übereinstimmende Aspekte der Romane Luzifers Hofgesind und

    Götzen gegen Thule sind demzufolge, dass sie sich zum einen von der jüdisch-christlichen

    Religion und Tradition abzuwenden, und dieser zum anderen eine Verherrlichung des

    ‚nordischen Menschen‘ entgegenzustellen. In diesem Zusammenhang steht bei Otto Rahn

    auch das Ziel der „Gottsucht“ 91

    des Menschen, was sich in ähnlicher Form auch bei Wilhelm

    Landig findet, vgl. den obigen Abschnitt über Alchemie und deren Bezug zum Symbol der

    „Schwarzen Sonne“. Auch worauf sich der „Berg der Versammlung in der fernsten

    Mitternacht“ bezieht, wird bei Rahn in Luzifers Hofgesind erläutert: „Im höchsten Norden

    82

    Allgemein zur Mythologie um die Berge Sinai und Zion bei: Friedrich Heiler: Die Religionen der Menschheit,

    Reclam-Verlag, Stuttgart, 1959. S. 562-576. 83

    Landig, S. 109, 296, 398. 84

    Ibid. S. 109. 85

    Ibid. 86

    Vgl. Josef Ackermann: Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen, Musterschmidt, 1970, S. 53-96 zu

    Himmlers Kampf gegen das Christentum und dem Bestreben nach der Schaffung eines „neuen Glaubens“

    innerhalb der SS mit eigenen Symbolen, Brauchtum, Liturgie und Riten. Die Ablehnung des Christentums ist

    genauso wie die Ablehnung des Judentums ein immer wiederkehrendes Motiv in Götzen gegen Thule, vgl.

    Landig, S. 89, 109, 164ff, 169, 232f, 235, 296, 299, 337. So behauptet eine der Romanfiguren beispielsweise,

    dass die „[…] Hebräsierung der griechisch-römischen und dann der nordischen Welt […] zum Großteil dem

    Christentum zu verdanken ist […]“. Landig, S. 165. 87

    Beispielsweise in der der zwischen 1969 und 1971 entstandenen Roman-Trilogie Illuminatus der

    amerikanischen Autoren Robert Anton Wilson und Robert Shea. Der ‚Illuminatenorden‘ ist auch Gegenstand des

    2003 erschienenen Romans Angels and demons (dt. Illuminati) des Erfolgsautors Dan Brown. 88

    Rahn 2006, S. 81. Landig, S. 90. 89

    Rahn 2006, S. 81. 90

    Landig, S. 90 91

    Im gleichen Abschnitt schreibt Rahn auch: „Unter Luzifers Hofgesind verstehe ich diejenigen, die ihr

    Menschenmöglichstes getan [haben], um einer Vergottung würdig zu sein.“ Rahn 2006, S. 81.

  • 21

    muss dieser Berg gelegen haben, denn der Norden ist das Mitternachtsland.“92

    Wenn man das

    Auftauchen von Blutmystik und Verherrlichung des ‚Nordischen‘ bei Rahn und Landig

    vergleicht93

    , kann man konstatieren, dass Wilhelm Landig beim Konstruieren des Mythos der

    „Schwarzen Sonne“ klar auf Mythenkonstruktionen innerhalb der SS zurückgreift, und diese

    in seinem nach dem 2. Weltkrieg erschienenen Roman verarbeitet.

    Die „esoterischen Kreise der Schutzstaffel“94

    lokalisiert Landig im Umfeld Otto Rahns und

    damit vermutlich innerhalb (oder jedenfalls in der ideologischen Nähe) des Ahnenerbes der

    SS. In dem Roman Götzen gegen Thule werden außerdem weitere Thesen und Forscher, die

    direkt oder indirekt mit dem SS-Ahnenerbe in Verbindung standen, genannt. Landig nennt

    beispielsweise den Begründer der sogenannten Welteislehre Hanns Hörbinger95

    und dessen

    Schüler Edmund Kiß.96

    Ebenso wird die teils vom SS-Ahnenerbe finanzierte deutsche Tibet-

    Expedition (1936) Ernst Schäfers von Landig erwähnt.97

    Auch der niederländische Philologe

    Herman Wirth, Gründungsmitglied des Ahnenerbes, wird mehrmals in dem Roman beim

    Namen genannt. Wirth prägte mit seiner Theorie von einer uralten atlantisch-nordischen

    Rasse das Weltbild der SS.98

    Dieser atlantisch-nordische Rassenmythos ist ein von Landig

    übernommenes und immer wieder rekurrierendes Motiv in Götzen gegen Thule99

    , welches der

    mythologisch-rassischen Verherrlichung des Nordens dient. An gleicher Stelle wird der

    ebenfalls dem SS-Ahnenerbe nahestehende italienische Philosoph und Rassentheoretiker

    Julius Evola genannt, der u.a. für die angebliche rassische Überlegenheit der Arier und für

    eine „urnordische Tradition“100

    propagierte.

    Kann man so weit gehen, zu behaupten, dass das „Reich der Schwarzen Sonne“ als

    „Sammelpunkt der esoterischen Kreise der Schutzstaffel“101

    identisch mit dem SS-Ahnenerbe

    ist, oder im Umfeld der ihm ideologisch nahestehenden Kreise zu suchen ist? Wilhelm

    Landigs Nennungen von unterschiedlichen Theorien, die innerhalb des SS-Ahnenerbes

    rezipiert und propagiert wurden, könnte ein Indiz dafür sein. Damit würde Landig dann auch

    die Behauptung aufstellen, es habe schon während des Nationalsozialismus einen

    92

    Ibid. S. 80f. 93

    In Götzen gegen Thule wird die Verherrlichung des Nordens auch an anderer Stelle von dem SS-Soldaten

    Gutman proklamiert: „Unsere Parole lautet: Nicht ex oriente lux, sondern aus dem Norden kommt das Heil und

    das Licht.“ Landig, S. 84. 94

    Ibid. S. 90. 95

    Ibid. S. 37. 96

    Ibid. Am Ende des Romans Götzen gegen Thule zitiert Landig auch aus Edmund Kiß Buch Singschwäne von

    Thule, vgl. Landig, S. 469. 97

    Ibid. S. 89. 98

    Zur Rolle der Thesen Wirths für das Weltbild der SS vgl. Goodrick-Clarke 2002, S.129f und Kater, S. 11-16. 99

    Landig, S. 159, 163ff, 296f, 337, 396. 100

    Ibid. S. 162. Zu Evola und dessen Einfluss auf die Ideologie der SS vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 129. 101

    Landig, S. 162.

  • 22

    ‚Geheimbund Schwarze Sonne’ innerhalb der SS gegeben, dessen Existenz Heinrich Himmler

    „ahnt[e] aber nicht teilhaftig wurde“102

    , womit der Autor einen Beitrag zur Mystifizierung

    bzw. Verklärung der SS nach dem 2. Weltkrieg leisten würde. Dagegen spricht vor allem,

    dass Himmler in alle Forschungsbereiche des Ahnenerbes eingeweiht war und diese gutheißen

    musste, womit das Existieren eines ‚geheimen esoterischen Kreises’ innerhalb der SS

    fragwürdig erscheint.

    Die Organisation der sich mit Esoterik beschäftigenden Kreise der SS erfolgt in Form eines

    Geheimbundes mit militärischen Strukturen, was eine vierte Funktion der „Schwarzen Sonne“

    ist. Zu diesem „Kreis von Männern“103

    gehören aber nicht nur Mitglieder der SS, sondern

    auch Menschen anderer Nationen und Kulturen. So erhält der „Punkt 103“ Hilfe von

    Verbündeten aus den USA und Kanada104

    und hat Kontakte zu tibetischen Lamas.105

    Auf ihm

    befinden sich ebenso japanische Offiziere des Geheimbundes „Schwarzer Drache“106

    . Es gibt

    außerdem einen „Kommandeur“107

    des „Punkt 103“, der den Soldaten nach dem

    Zusammenbruch des Dritten Reiches befiehlt, „sämtliche Hoheitszeichen [...] von den

    Uniformstücken zu entfernen.“108

    Das „Stammpersonal des geheimen Stützpunktes“109

    besteht

    eigentlich überhaupt nur aus anderen (geheimen) „Ordensgemeinschaften“110

    , deren

    Mitglieder aufgrund ihres geheimen Wissens wichtig für den Kampf um die Wiedergeburt

    eines atlantisch-arischen „Groß-Thules“111

    sind. Dieses Beschreiben der „Schwarzen Sonne“

    als ein militärisch organisierter Geheimbund mit Ordensstruktur ist sicherlich von Landigs

    Mitgliedschaft in der SS inspiriert worden.

    Die SS wurde von Himmler ab 1929 nach Vorbild des mittelalterlichen „Deutschritter-

    Ordens“ und der „Gesellschaft Jesu“ (Den Jesuiten) aufgebaut.112

    Die Organisation als

    klösterliche Gemeinschaft, das Selbstbild einer vorbestimmten, religiös verklärten

    Auserwähltheitsmission, das Diktum vom unbedingtem Gehorsam und ein klare Aufteilung in

    Ränge findet sich sowohl beim ursprünglichen Deutschritter-Orden, der SS113

    und in

    ähnlicher Form auch bei dem Geheimbund „Schwarze Sonne“. Dieser Geheimbund ist ein

    102

    Landig, S. 90. 103

    Ibid. 104

    Ibid. S. 85. 105

    Ibid. S. 89. 106

    Ibid. S. 95. 107

    Ibid. S. 160. 108

    Ibid. 109

    Ibid. S. 93. 110

    Ibid. 111

    Wie dies am Ende des Romans formuliert wird. Vgl. Landig, S. 468. 112

    Vgl. Höhne, S. 53 und Ackermann, S. 101-106. 113

    Zur Rolle des Jesuitenordens für den Aufbau der SS vgl. Lange 1998, S. 280ff.

  • 23

    reiner Männerbund, denn Frauen befinden sich nicht auf dem „Punkt 103“. Das Leben auf

    dem Stützpunkt ist militärisch als „Dienst“ „in vollster Disziplin“ organisiert.114

    Von den

    Mitgliedern wird „höchste Einsatzbereitschaft“115

    und „unbedingter Gehorsam“116

    gefordert,

    womit „Punkt 103“ einer Militärkaserne der SS oder Wehrmacht nicht unähnlich ist.

    Eine fünfte Funktion der „Schwarzen Sonne“ ist, dass sich hinter ihr auch ein geheimer, in der

    Nähe des Nordpols gelegener „Punkt 103“ verbirgt, welcher nach der deutsche Kapitulation

    1945 „als vom Reiche losgelöst“ proklamiert wird, und in Form eines „geheimen

    selbstständigen Reiches“ existiert.117

    Die Aufgabe dieses militärisch organisierten Reiches ist

    es, zum einen Verbündete zu sammeln und (Geheim-)Technologie zu horten, und zum

    anderen, aktiv in das Weltgeschehen einzugreifen. Am Ende des Romans gibt einer der

    Protagonisten dann Hinweise darauf, dass man den „[…] Punkt 103 aufgelöst [hat] und alles

    getan hat, um gehortetes Material unauffindbar zu machen!“118

    Es gäbe zwar noch ein

    „Restkommando“ und „eine Widerstands- und Beobachtungsgruppe“, wo diese aber

    lokalisiert sein könnte, ist den Romanfiguren nicht bekannt.119

    Mythen über geheime deutsche Stützpunkte außerhalb des Dritten Reiches haben sich seit

    1945 in unterschiedlichster Form etabliert. Basis bilden oft tatsächliche nationalsozialistische

    (wissenschaftliche) Expeditionen, welche in schillerndster Weise verklärt werden.120

    Die zwei spektakulärsten Expeditionen sind zweifellos die deutsche Antarktis-Expedition

    1938/39121

    und die vom SS-Ahnenerbe teilfinanzierte Tibetexpedition Ernst Schäfers

    1938/39.122

    Eine deutsche Expedition an den Nordpol hat jedoch während der Zeit des

    Nationalsozialismus nicht stattgefunden, dagegen eine 1936 ebenfalls vom SS-Ahnenerbe

    finanzierte Expedition nach Schweden und Norwegen unter der Leitung von Hermann

    Wirth.123

    1937 fand auch eine ‚Nordlandfahrt‘ von 20 SS-Männern nach Island statt, um dort

    nach mythischen Spuren der Insel Thule zu forschen. An dieser Expedition nahm auch der

    oben erwähnte Otto Rahn teil.124

    Die SS-Expeditionen nach Schweden, Norwegen und Island

    114

    Landig, S. 168. 115

    Ibid. S. 166. 116

    Ibid. S. 176. 117

    Ibid. S. 160. 118

    Ibid. S. 397. 119

    Ibid. S. 398. 120

    So soll es beispielsweise unterirdische deutsche Stützpunkte in der Antarktis, den Anden und Tibet gegeben

    haben bzw. auch heute noch geben. Für einen Überblick vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 107-126. 121

    Vgl. Heinz Schön: Mythos Neu-Schwabenland, Für Hitler am Südpol, Bonus-Verlag, Selent, 2004. 122

    Offizielle Bezeichnung: „Tibet-Expedition Ernst Schäfer. Unter Schirmherrschaft des Reichsführer SS

    Himmler und in Verbindung mit dem Ahnenerbe Berlin e.V.“ Vgl. Trimondi, S. 119-128. 123

    Vgl. Heather Pringle: Härskarplanen, Himmlers jakt på det ariska ursprunget, Historiska Media, Falun, 2008.

    S. 76-87. 124

    Vgl. Trimondi, S. 268.

  • 24

    werden in Götzen gegen Thule nicht erwähnt, vermutlich weil sie in den Augen des Autors zu

    unspektakulär waren. Dagegen wird die deutsche Tibetexpedition in dem Roman erwähnt und

    mythologisch verklärt.125

    Die deutsche Antarktis-Expedition spielt in dem Roman Götzen

    gegen Thule keine Rolle.126

    Landig greift sie aber im 2. Teil der Thule-Trilogie auf und

    integriert sie in den von ihm geschaffenen Mythos um die „Schwarze Sonne“.127

    Eine Erklärung dafür, warum der Autor einen geheimen deutschen Stützpunkt in die Nähe des

    Nordpols legt wäre, dass dort die Heimat des ‚legendären polaren Urvolks der Arier‘ und der

    Sitz der Insel Atlantis gewesen sein soll,128

    und damit wären die Protagonisten des Romans in

    der Nähe des eigenen mythologischen Ursprungs. Eine andere mögliche Erklärung wäre, dass

    der Autor die Mythologie um das Symbol der „Schwarzen Sonne“ noch nicht voll entwickelt

    hat, denn in den folgenden Romanen der Thule-Trilogie werden die geheimen Stützpunkte

    dann nach Lateinamerika und in die Antarktis verlegt.

    Die Hortung von ‚Geheimtechnologie‘ ist neben dem Sammeln eines elitären kampfbereiten

    Männerbundes die wichtigste Aufgabe des „geheimen selbstständigen Reiches“129

    der

    „Schwarzen Sonne“.130

    Im Zusammenhang mit der „Schwarzen Sonne“ verbindet der Autor

    in dem Roman Götzen gegen Thule zwei Nachkriegsmythen miteinander und gestaltet als

    einer der ersten den ‚Flugscheibenmythos‘131

    literarisch. Das Motiv der Flugscheiben, also

    von deutschen Forschern bzw. von Abteilungen der SS entwickelter ‚fliegender Untertassen‘

    ist ein immer wiederkommendes Leitmotiv des Romans.132

    Der Autor Wilhelm Landig hat

    nach Ende des 2. Weltkrieges behauptet, selber an der Entwicklung und Koordination dieser

    125

    So heißt es, die Expedition habe „gewisse esoterische Aufgaben“ gehabt. Landig, S. 89. Dort wird auch

    Schäfer namentlich genannt. Die Expedition wird an anderer Stelle in Verbindung mit der Forschung nach

    „Geheimwissen“ gebracht. Ibid. S. 326. 126

    Die Antarktis wird jedoch einmal als möglicher Zielort von Absetzbewegungen deutscher U-Boote nach der

    deutschen Kapitulation erwähnt. Vgl. Landig, S. 169. 127

    Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 144. 128

    Allgemein zum Polmythos in Verbindung mit dem Mythos der Arier vgl. Joscelyn Godwin: Arktos, The polar

    myth in science, symbolism and nazi survival, Kempton, Adventure unlimited press, 1996. Ebenso Léon

    Poliakov: Der arische Mythos, Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus, Hamburg, Junius, 1993. 129

    Landig, S. 160. 130

    Vgl. Ibid. S. 78, 96, 115, 168, 173, 397f. 131

    Die Begriffe ‚(Reichs-)Flugscheibe‘ und ‚Nazi-UFO‘ sind mittlerweile (neben der Verbreitung in

    rechtsesoterischer Verschwörungsliteratur) auch fest etablierter Bestandteil der Populärkultur. Filmatisiert sind

    diese Nazi-Ufos inzwischen, wie schon in der Einleitung erwähnt, in dem 2012 erschienenen Film Iron Sky. Zum

    Film ist inzwischen auch Computerspiel erschienen, in dem man Nazi-Ufos abschießen kann. Auf dem

    Auktionsportal ebay.de kann man inzwischen auch Modellbausätze, Tassen und T-Shirts von Flugscheiben

    bestellen. 132

    Landig S. 67, 71ff, 79, 122, 234, 336, 438, 455.

  • 25

    Flugscheiben beteiligt gewesen zu sein,133

    was von ihm auch explizit im Vorwort des Romans

    Götzen gegen Thule zur Sprache gebracht wird.134

    Als Hintergrund für diesen Mythos sind zum einen die Entwicklung von (geheimen)

    ‚Wunderwaffen‘ am Ende des Dritten Reiches, und zum anderen die Sichtung von

    ‚unbekannten Flugobjekten‘ (engl. unidentified flying objects, UFOs) im hauptsächlich

    englisch- und europäischsprachigen Raum ab Ende der 1940er Jahre zu nennen. Dass es eine

    Reihe unter Geheimhaltung entwickelter deutscher Technikinnovationen am Ende des 2.

    Weltkrieges gab, ist nicht abzustreiten. Beispiele sind u.a. die sogenannte ‚Vergeltungswaffe‘

    V1, die erste ballistische Rakete V2, das erste Flugzeug mit Jetmotor (Messerschmitt Me

    262), sowie neuartige, elektrisch betriebene U-Boote. Ebenfalls gab es innerhalb der

    Flugzeugproduktion Prototypen, die in ihrer Form an fliegende Untertassen erinnern, aber

    nicht über das Teststadium herausgekommen sind.135

    Die Verbindung nationalsozialistischer

    (Geheim-)Technologie mit den fliegenden Untertassen begann in Deutschland 1950 in einem

    vom Spiegel136

    publizierten Interview mit dem Flugkapitän Rudolf Schriever, welcher

    behauptete, er habe zusammen mit dem Ingenieur Otto Habermohl in den BMW-Werken bei

    Prag einen senkrecht startenden diskusförmigen ‚Flugkreisel‘ mit einem Gewicht von drei

    Tonnen, einer Fluggeschwindigkeit von 4200 km/h und einer Reichweite von 6000 km

    entwickelt. Dieser Flugkreisel soll im April 1945 noch testgeflogen und kurz vor Einmarsch

    der Sowjetarmee gesprengt worden sein.137

    Dieser Vorgang wird auch von Wilhelm Landig in

    das Romangeschehen von Götzen gegen Thule eingebaut: Die Protagonisten des Romans

    reisen im Auftrag des Geheimbundes „Schwarze Sonne“ am Kriegsende 1945 nach Prag. Dort

    haben sie den Auftrag, den von Schriever, welcher in dem Roman explizit genannt wird,

    entwickelten Flugkreisel vor dem Zugriff der sowjetischen Armee sicherzustellen.138

    Die Vermutung liegt nahe, dass Landig die nach dem 2. Weltkrieg erschienenen Interviews

    und Berichte über UFOs und ‚nationalsozialistische Geheimtechnologie‘ zumindest teilweise

    als Inspiration bei der Konstruktion seines Flugscheibenmythos verwendet hat. Dazu kommt,

    dass Teile der SS ab 1942 nachweisbar an der Entwicklung von sogenannten Wunderwaffen

    133

    Vgl. Heller/Maegerle, S. 97. 134

    Dort meldet sich Landig als „Verfasser“ und proklamiert, dass „Im vorliegenden Buche […] authentische

    Begebenheiten […] der geheimen Rüstungstechnik […] aufgetaut [werden].“ Landig, S. 5. 135

    Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 151-172. Siehe auch Rudolf Lusar: Die deutschen Waffen und Geheimwaffen

    des 2. Weltkrieges und ihre Weiterentwicklung, J.F. Lehmanns Verlag, 2. Auflage, München, 1958. Der Major

    Lusar hatte während des Dritten Reiches im Deutschen Patentamt gearbeitet, und überraschenderweise findet

    sich in dem Buch neben einem seriösen Durchgang der unterschiedlichsten Waffengattungen auch ein Abschnitt

    über „Fliegende Untertassen“ und ein Bild einer „Fliegenden Scheibe“, vgl. Lusar, S. 146f. 136

    Vgl. Anhang 5. 137

    Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 154f. 138

    Vgl. Landig, S. 122.

  • 26

    und Geheimtechnologie, vor allem in der Flugzeug- und Raketenproduktion, beteiligt

    waren.139

    Auch innerhalb des SS-Ahnenerbes gab es Versuche, Wunderwaffen herzustellen.

    Nennenswert ist hier beispielsweise der misslungene Versuch einer Konstruktion eines

    ‚Strahlengerätes‘, welches Lebewesen töten oder lähmen sollte.140

    Andere Projekte waren der

    Versuch der Konstruktion eines Erdölortungsgerätes und die Goldsuche mit

    Wünschelruten.141

    Inwieweit der Autor Wilhelm Landig in eines oder mehrere dieser innerhalb der SS

    organisierten und von Himmler sanktionierten Projekte involviert gewesen ist, lässt sich heute

    nicht mit Sicherheit nachweisen. Sicherlich hat die aussichtslose Kriegslage mehr und mehr

    zu immer desperateren Versuchen geführt, den Untergang des Dritten Reiches zu verhindern.

    Auch innerhalb der SS muss es fieberhafte Versuche gegeben haben, technische Innovationen

    und Prototypen zu entwickeln, um doch noch den Krieg gewinnen zu können. Diese

    ‚Wunderwaffen‘ und ‚Geheimtechnologien‘, auch wenn sie nur auf dem Papier oder als

    Gerüchte vorkamen, sind möglicherweise von Wilhelm Landig dann später literarisch

    verarbeitet und mit dem Mythos der „Schwarzen Sonne“ zu folgender Einheit verknüpft

    worden: Ein esoterischer Kreis innerhalb der SS rettet am Ende des 2. Weltkrieges

    Geheimtechnologie vor dem Zugriff der Alliierten, schafft diese in Sicherheit zu einem

    geheimen Stützpunkt in der Nähe des Nordpols und kämpft nach Kriegsende für ein neues

    Reich. Neben den Flugscheiben erwähnt der Autor in dem Roman auch noch ein neuartiges

    Navigationsgerät und verschiedene Flugzeugmodelle, welche als Prototypen tatsächlich

    existiert haben, so dass es nicht ohne weiteres möglich ist, alle Aussagen des Autors als

    Phantasie abzuwerten.142

    Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass man dem Symbol der „Schwarzen Sonne“ in

    dem Roman Götzen gegen Thule fünf Funktionen zuweisen kann: Erstens die Verwendung als

    Hoheitszeichen anstelle des Balkenkreuzes der Wehrmacht. Zweitens steht sie im

    Zusammenhang mit der Alchemie und symbolisiert einen Schritt bei der ‚Veredlung‘ des

    Menschen. Drittens verkörpert sie die umfangreiches Geheimwissen besitzenden esoterischen

    Kreise der SS. Viertens ist sie ein militärisch organisierter Geheimbund oder Geheimorden

    mit Verbündeten aus aller Welt. Fünftens verbirgt sich hinter ihr ein geheimer Stützpunkt

    „Punkt 103“, welcher als selbständiges Reich geographisch in der Nähe des Nordpols

    139

    Vgl. Kater, S. 218-226. 140

    Kater,Ibid. S. 220. 141

    Ibid. S. 220ff. 142

    Landig, S. 14, 119.

  • 27

    lokalisiert ist, und auf dem Geheimtechnologien deutscher Herkunft, vor allem sogenannte

    Flugscheiben, gehortet werden.

    2.4. Zur Weiterentwicklung der „Schwarzen Sonne“ nach Götzen gegen Thule

    Wie oben gezeigt werden konnte, tauchen bei Wilhelm Landig im Zusammenhang mit dem

    Mythos der „Schwarzen Sonne“ eine Reihe unterschiedlicher Traditionen und Mythen auf143

    ,

    die letztendlich alle für eine Verklärung der SS nach 1945 verwendet werden. Der Roman

    Götzen gegen Thule ist nach seinem Erscheinen selber ein Teil dieser Mythenbildung um die

    SS geworden, dessen Symbol die „Schwarze Sonne“ ist. Dies beruht teilweise auf dem

    Wahrheitsanspruch, der im Vorwort des Romans von dem Verfasser proklamiert wird, als

    auch der Autorität Wilhelm Landigs als ehemaliges Mitglied der SS.144

    Der Roman Götzen

    gegen Thule lässt sich übergreifend dem Genre der rechtsesoterischen Verschwörungsliteratur

    zuordnen, genauer einem Zweig dieser Literatur, den man als ‚SS-Mystizismus‘ bezeichnen

    kann.145

    Landigs Mythos bzw. Motiv der „Schwarzen Sonne“ wird ab den 1990er Jahren von

    einer Reihe nachkriegsgeborener Autoren übernommen und in die rechtsesoterische

    Mythenbildung146

    integriert. In diesem Abschnitt soll deshalb die Weiterentwicklung des

    Symbols der „Schwarzen Sonne“ nach dem Erscheinen des Romans Götzen gegen Thule

    untersucht werden. Welche Aspekte der fünf im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen

    Funktionen wurden von anderen Autoren übernommen, welche Funktionen sind in späteren

    Darstellungen der „Schwarzen Sonne“ weggefallen oder dazugekommen? Auffällig ist vor

    allem, dass die bereits in der Einleitung dieser Arbeit erwähnte heute gängige Kopplung

    Schwarze Sonne - zwölfspeichiges Sonnenrad - Wewelsburg (Symbol - grafisches Symbol -

    Lokalität) in dem Roman von Wilhelm Landig nicht vorkommt. Die Wewelsburg, die nach

    143

    Völkische Mythen, Verbindungen zur abendländischen Esoterik, vor allem der Alchemie und

    Nachkriegsmythen (UFO-Mythologie, Mythen über geheime deutsche Stützpunkte). 144

    Als ‚Einem, der dabei gewesen ist‘. 145

    So beispielsweise bei Trimondi, in der englischsprachigen Literatur verwendet man dagegen den Begriff

    esoteric SS, so bei Goodrick-Clarke 2002. 146

    Man muss sich bewusst sein, dass es seine Vielzahl esoterischer Mythen um das Dritte Reich gibt und der

    Mythos der „Schwarzen Sonne“ nur einer davon ist. Einige dieser Mythen werden in dieser Untersuchung kurz

    angerissen, aber aus Platzgründen nicht näher diskutiert. Der Fokus dieser Arbeit liegt darauf, wie das Symbol

    der „Schwarzen Sonne“ bei Wilhelm Landig auftaucht, und wie es von anderen Autoren später verarbeitet

    worden ist.

  • 28

    dem 2. Weltkrieg als Zentrum esoterischer Praktiken der SS verklärt worden ist,147

    wird in

    Götzen gegen Thule überhaupt nicht erwähnt, obwohl der Autor ausdrücklich von sich selber

    behauptet, in das geheime Wissen und die geheimen Praktiken der SS eingeweiht gewesen zu

    sein.148

    Die Wewelsburg wurde ab 1934 von Himmler gepachtet, wobei es seine Absicht war, diese

    als Ordensburg und weltanschauliches Zentrum der SS aufzubauen. Dabei war es der schon

    oben erwähnte Karl Maria Wiligut, der Himmler zuerst auf die Wewelsburg aufmerksam

    machte.149

    Die weltanschauliche Schulung bzw. der Lehrbetrieb führender SS-Spitzen fand

    jedoch nicht statt.150

    Vielmehr beschränkte sich die Funktion der Wewelsburg während des

    Nationalsozialismus auf einen „zentralen Versammlungsort für die Führungsspitze der SS“151

    mit jährlichen Gruppenführertagungen und Vereidigungen von neubeförderten SS-

    Gruppenführern. Der Gruppenführersaal mit dem zwölfspeichigen Sonnenrad diente

    vermutlich für Zusammenkünfte zeremonieller Art und der ideologische Gedanke dahinter ist

    wahrscheinlich eher in der Zahlensymbolik der Ziffer 12 zu suchen, als in einem

    metaphysischen Konstrukt der „Schwarzen Sonne“ als einen geheimen Kreis innerhalb der

    SS. Die zwölf Speichen des Sonnerades korrespondieren mit den zwölf Säulen des

    Gruppenführersaales und den zwölf in Stein gemeißelten Sitzen in der Krypta „Walhalla“

    unterhalb des Gruppenführersaales. Das Selbstverständnis der SS-Gruppenführer als

    politischer und rassischer Neuadel basierte ja auf einer von Himmler sanktionierten

    Verklärung des mittelalterlichen Rittertums, und so ist die Wahl der Zahl 12 vielleicht eher

    durch Inspiration von der Sage um die zwölf Ritter der Tafelrunde zu erklären.152

    Die Verklärung der Wewelsburg als ‚SS-Kloster‘, ‚Ordens- und Gralsburg‘, ‚Kultstätte‘,

    ‚Himmlers Walhall‘ bis zum ‚Mittelpunkt der Welt‘ begann schon in den 1950er Jahren.153

    Deshalb ist es verwundernd, dass weder die Wewelsburg noch das zwölfspeichige Sonnenrad

    bei der Verklärung der SS und dem Konstruieren des „Schwarze Sonne“-Mythos bei Wilhelm

    147

    Vgl. Goodrick-Clarke 2002, S. 125ff. Siehe auch die fantastische Verklärung der Wewelsburg bei E.R.

    Carmin: Das schwarze Reich, Geheimgesellschaften, Templerorden, Thule-Gesellschaft, Das Dritte Reich, CIA,

    Hamburg, Nikol Verlagsgesellschaft, 2002. S.137ff. 148

    So z.B. im Vorwort zu Götzen gegen Thule und in dem Videointerview Wilhelm Landig ‒ ein Zeitzeuge

    berichtet. 149

    Vgl. Stuart Russell u. Jost W. Schneider: Heinrich Himmlers Burg, Das weltanschauliche Zentrum der SS,

    Bildchronik der SS-Schule Haus Wewelsburg 1934-1945, Esse, Heitz & Höffkes, 1989, S. 7f. 150

    Vgl. Jan Erik Schulte: Himmlers Wewelsburg und der Rassenkrieg, Eine historische Ortsbestimmung. S. 7. 151

    Ibid. S. 9. 152

    Vgl. Ibid. 153

    Vgl. Daniela Siepe: Die Rolle der Wewelsburg nach 1945. S. 488. Zur Verklärung tragen sicher auch

    sensationsheischende Buchtitel wie Heinrich Himmler´s Camelot. The Wewelsburg, ideological center of the SS

    1934-1945 bei.

  • 29

    Landig eine Rolle spielen, obwohl in dem Roman ein Großteil von nationalsozialistischen und

    rechtsesoterischen Mythen aufgegriffen und literarisch verarbeitet werden.154

    Dadurch lässt sich die Behauptung aufstellen, dass die Wewelsburg mit dem sich dort

    befindlichen zwölfspeichigen Sonnenrad bei Wilhelm Landigs ursprünglicher literarischer

    Konstruktion des „Schwarze Sonne“-Mythos keine Rolle gespielt hat, was einen der

    wichtigsten Unterschiede zu späterer rechtsesoterischer Literatur, die das Symbol der

    „Schwarzen Sonne“ aufgreift, ausmacht.

    Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass in dem Roman Götzen gegen Thule die

    „Schwarze Sonne“ auch unter dem Aspekt der (alchemistischen) Transformation zu

    betrachten ist, und deshalb möglicherweise nur eine ‚Übergangsphase‘ darstellt. So erklärt der

    Stabschef des „Punkt 103“: „Das Zeichen unseres Stützpunktes wird zur rechten Zeit abgelöst

    werden durch das Farbsymbol der Wende, der Sonne in silberweiß.“155

    Der Kriegsschluss und

    die deutsche Kapitulation von 1945 werden als „kosmische Winterwende“ empfunden, die

    sich jedoch als „[…] Sonnenwende der Thuatha-Deutschen, die mit ihrer Wiedergeburt das

    alte Heilszeichen und das Licht des Nordens in die Welt tragen werden […]“ 156

    entpuppen

    wird.157

    Damit ist die „Schwarze Sonne“ auch ein Symbol für die metaphysische Katharsis

    der Romanfiguren, welche den Weg der alchemistischen Selbstveredlung158

    mit dem Ziel

    einer ‚diesseitlichen Vergöttlichung‘ durchgehen. Dass Transformation ein wichtiger Aspekt

    der „Schwarzen Sonne“ ist, bestätigt sich auch an anderer Stelle des Romans. Als die

    Romanfiguren auf einen arabischen Gelehrten treffen, sagt dieser zu ihnen:

    „Ihr gehört zu den geheimnisvollen Männern der Sonne, die bisher schwarz und seit kurzem

    weiß leuchtet. Die Sol nigra hat die Farbe des strahlenden Lichts angenommen.“159

    Damit

    könnte man die Funktion der Transformation sowohl esoterisch als auch exoterisch deuten:

    Die esoterische Transformation geschieht in Anlehnung an die alchemistische Tradition auf

    individueller Ebene. Die zwei Romanfiguren Recke und Reimer werden im Laufe des

    Romangeschehens in esoterisches Wissen eingeweiht, bis sie schließlich um die wahren

    Geschehnisse ‚hinter den Kulissen der Weltgeschichte‘ Bescheid wissen. Die exoterische

    154

    Das wären der neben den schon diskutierten Grals- und Flugscheibenmythos, der Thule-Mythos,

    Atlantismythos, Polmythos, Runen- und Eddamystik, antisemitische metaphysisch motivierte

    Verschwörungstheorien, Rassenmythos der Arier, Tibetmythos, Grals- und Katarermystik, Vrilmythos,

    Welteislehre, rassisch fundiertes Antichristentum, SS-Mystizismus, Agarthi- und Shambala-Mythos sowie

    Verklärung des Nordens und des ‚Nordischen‘. 155

    Landig S. 166. 156

    Ibid. 157

    Ibid. 158

    Sprich Vergeistigung bzw. Veredlung in Korrelation mit der alchemistischen zweiten Stufe der ‚Weißung‘,

    siehe Kapitel 2.2. 159

    Landig S. 305.

  • 30

    Transformation symbolisiert die Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der

    Romanfiguren nach der deutschen Kapitulation, welche sich nach und nach aber in

    Gewissheit der eigenen vorbestimmten Mission und Hoffnung auf die Wiedergeburt eines

    arischen „Groß-Thules“ als „geistiges Reich über alle Staatsgebilde hinweg“160

    verwandelt.