Das Mysterium der weißen Heide Stationen einer...

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Das Mysterium der weißen Heide Stationen einer spirituellen Suche

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  • Das Mysterium der weißen HeideStationen einer spirituellen Suche

  • Hans-Jörg Gruber

    Das Mysterium der weißen HeideStationen einer spirituellen Suche

    Erzählung

  • Hans-Jörg Gruber, »Das Mysterium der weißen Heide ›Stationen einer spirituellen Suche‹«

    © 2012 der vorliegenden Ausgabe: Edition Octopus im Verlagshaus Monsenstein und

    Vannerdat OHG Münster. www.edition-octopus.de

    © 2012 Hans-Jörg Gruber

    Alle Rechte vorbehalten

    Satz: Markus Behnisch

    Umschlaggestaltung: MV-Verlag

    Umschlagfoto: iStockphoto, lovelens

    Druck und Einband: MV-Verlag

    ISBN 978-3-86991-567-8

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    I‘m standing at the crossroadsThere are many roads to takeBut I stand here so silentlyFor fear of a mistakeOne road leads to paradiseOne road leads to painOne road leads to freedomI swear they all look the same

    Calvin Russell »Crossroads«

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    Vorwort

    Der Lauf der menschlichen Existenz gleicht einem Fluss, den wir auf unserer Lebensreise hinab fahren. Wir erleben die vielfältigsten und unterschiedlichsten Landschaften während dieser Fahrt, sehen unzählige Menschen ein- und aussteigen. Manche begleiten uns für eine Weile, sind Weggefährten, anderen begegnen wir nur kurze Augenblicke, doch bleiben diese unvergesslich. Der Fluss strömt lärmend und tosend in ständigem Wechsel durch enge Felsschluchten, um dann wie-der majestätisch, ruhig und gelassen durch weite Landschaf-ten zu gleiten. Am Ende seines Laufs ergießt er sich ins Meer und gibt seine Individualität für das größere Ganze endgültig auf. Damit ist der Fluss ein Sinnbild für die menschliche Ent-wicklung, die alle Erfahrungen machen muss, um am Ende wieder in die Unendlichkeit einzugehen.

    So wie der Fluss im ewigen Kreislauf unaufhörlich weiter fließt, scheinbar ohne Anfang und Ende, beginnt das Leben nicht mit der Geburt und endet nicht mit dem Tod. Das Le-ben war schon vor unserer Geburt da und geht nach unserem Ableben weiter. Indem wir dies verstehen lernen, wird uns be-wusst, dass die individuelle Entwicklung in ein viel größeres Kontinuum eingebettet ist, den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. So können wir auch besser begreifen, warum die Weisen Indiens die Welt der Materie »Maya« nannten. Maya bedeutet Illusion, mit anderen Worten, alles was ver-gänglich ist, ist Illusion, Täuschung und damit Maya.

    Die Quantenphysik sagt: »es gibt keine Materie, Materie ist geronnener Geist«. Was vergeht, ist lediglich die materielle

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    Erscheinung. Der Geist war schon vorher da und besteht in alle Ewigkeit weiter. In der vorliegenden Erzählung, erlebt der Protagonist Albin auf seiner Lebensreise, die der Wahr-heitssuche dient, eine neuzeitliche Odyssee mit unzähligen Erfahrungen und Schicksalsschlägen, die ihn schließlich nach vielen Versuchen und Irrwegen ans Ziel führen. Er gleicht da-mit einem modernen Buddha, der sich wie der ursprüngliche vor 2500 Jahren ebenfalls auf den Weg machte, um Erleuch-tung zu finden.

    Dieses Buch ist all denen gewidmet, die sich schon auf der Suche befinden, mit dem Zuruf, niemals den Mut zu verlie-ren, auch die dunkelste Nacht geht irgendwann zu Ende. Der Weg ist das Ziel! Für andere könnte es eine Anregung sein, sich auf die Reise zu sich selbst zu begeben.

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    Prolog

    Vor vielen Jahren hatte Albin schon einmal die schottischen Highlands erkundet mit ihren wilden, einsamen und regen-reichen Bergen, über die ständig große, tiefe Wolken ziehen und dabei seltsame Muster von Licht und Schatten erschaffen. Damals war er auf der Suche nach einer Bleibe für die Nacht in eine abgelegene Region gekommen, mit einem kleinen Dorf, das aus einer alten Kirche und wenigen, verfallen wirkenden Steinhäusern bestand, die typisch sind für die dortige Gegend. Endlos lange enge einspurige Straßen hatten ihn zu diesem Ort geführt, der buchstäblich im Nichts zu liegen schien. Er kam gegen Abend dort an und mit der einsetzenden Dämme-rung erwartete ihn ein unverwechselbares Farbenschauspiel am Himmel, das er in dieser Form selten gesehen hatte, obwohl er schon in vielen Regionen dieser Erde gewesen war.Mit einem Wort: mystisch und magisch.

    Im einzigen Gasthaus, das er vorfand, wurde er zu seinem Erstaunen vom Hauswirt freudig begrüßt, so wie ein verlo-rener Sohn, der nach langer Zeit endlich in die Heimat zu-rückgekehrt ist. Das seltsame daran war, dass er nie zuvor in diesem Leben dort gewesen war, geschweige denn jemanden kannte. Der Wirt versicherte ihm jedoch, dass er ihn bereits erwartet hätte und sein Zimmer vorbereitet sei. Jetzt, vier Jahrzehnte später, hatte er diesen abgeschiedenen Ort, aus einer Eingebung heraus erneut aufgesucht, mit dem sicheren Gefühl, dass sich hier der Kreis schließen würde. Auf seiner Lebensreise, die stets der Wahrheitsfindung, dem Sinn hinter allem diente, hatte er viele Stationen aufgesucht, war in über fünfzig Ländern gewesen, dabei Tausende von Menschen ge-

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    troffen, von denen einige wenige wegweisend für sein Leben waren.

    Es konnte folglich kein Zufall sein, der ihn erneut hierher geführt hatte, besser gesagt, war er sich sicher, dass hier etwas auf ihn wartete, dass der Abschluss und Höhepunkt seiner Suche sein würde. Müde, nach einem langen Wandertag, ku-schelte er sich in das warme Bett seiner Herberge und lauschte dem Rhythmus des heftigen Regens, der von starkem Wind begleitet, pausenlos gegen die Fensterscheibe peitschte. In der Erwartung des morgigen Tages ging er noch einmal die wich-tigen Stationen seines Lebens durch und hielt Zwiesprache mit seiner inneren Stimme, die ihn zurück nach Schottland, dieses urweltliche, sagenumwobene Land, geführt hatte…

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    Teil I

    Albin

    Albin, an einem eiskalten Dezembertag mitten im harten, entbehrungsreichen Kriegswinter des Jahres 1944 geboren, hatte sich eine schwierige und belastete Zeit für seinen Le-benseintritt ausgesucht. Die Apokalypse war Realität gewor-den und hatte dafür gesorgt, dass die Welt in Trümmern lag, buchstäblich in Schutt und Asche.Millionen Tote waren das Endergebnis der Idee von einer neu-en Weltherrschaft des »größten Führers aller Zeiten«, Adolf Hitler. Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatte es einen schrecklicheren Krieg gegeben, waren furchtbarere Ver-brechen an Unschuldigen verübt worden. Zeitgleich begann an diesem Tag, dem 16. Dezember, im Westen die Arden-nenoffensive, ein letzter verzweifelter Versuch der Deutschen, die heranrückenden Amerikaner noch aufzuhalten, doch die Front brach im Westen wie im Osten ein, der Siegeszug der Alliierten war nicht mehr aufzuhalten.Fast wäre er ein Sonntagskind geworden, doch es war Sams-tag, der Tag des Saturns. In der Astrologie deutet der Planet Saturn als positive Verwirklichungsweise das Streben eines Menschen nach Struktur an. Alchemistisch entspricht er dem Metall Blei, die chaotische Verstrickung in die Materie do-miniert.Mit Saturn können wir in unserem Leben realisieren, was be-reits in uns selbst als erstrebenswertes Ziel angelegt ist. Das oder die Ziele sollten jedoch aus echten Lebensinhalten beste-hen, denn unsere Wahrheiten werden von Saturn permanent überprüft und entsprechend sanktioniert, wenn wir daran

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    vorbeileben. Die eigentliche Aufgabe der menschlichen Ent-wicklung besteht in einer Überwindung von Zeit und Raum zum Zwecke der positiven Beeinflussung der Materie, be-sonders für Heilzwecke zur Erlangung optimaler Gesundheit sowie einer harmonischen Beeinflussung aller natürlichen Vorgänge.Bei Saturn geht es auch darum, in wie weit wir eine gewisse Belastbarkeit und Reife aufweisen. Was uns heute nicht mög-lich ist, kann durch unsere Lebensentwicklung morgen ein leichtes Spiel sein. Mit einem starken Rücken lässt sich mehr tragen. Ein schwacher Rücken dagegen kann nur das verkraf-ten, was im Moment geht. Saturn konfrontiert uns mit Pro-blemen, die große Hindernisse sein können, sich manchmal wie eine Wand in den Weg stellen. So werden wir geprüft, ob unsere Träume oder Ziele realisierbar sind. Wer diese wieder-holten Prüfungen übersteht, gewinnt jedoch eine feste Basis, auf der er aufbauen kann.Die Russen standen bereits bedrohlich nahe vor dem kleinen Kurort, der als Perle der Märkischen Schweiz bekannt, ein-gebettet in einer hügeligen, durch die letzte Eiszeit geform-ten Wald- und Seenlandschaft, vor dem Kriege ein belieb-ter Wohnort und Anziehungspunkt reicher und berühmter Persönlichkeiten war. Zu den Prominenten zählte auch der Dichter Berthold Brecht, der mit seiner Ehefrau Helene Wei-gel dort ein Sommerhaus am See besaß, in dem regelmäßig literarische Gespräche mit anderen Berühmtheiten stattfan-den.

    Buckow, die Rosenstadt, einer seit alters her symbolträchti-gen Blume, die in der Antike als Rest der Morgenröte auf Erden beschrieben wurde, steht für allumfassende Liebe und sollte zeitlebens Albins absolute Favoritin unter allen Blumen werden, er zog sie der schönsten Orchidee vor. Die Rose,

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    gleichzeitig ein Symbol für geheimes Wissen sowie Geheim-haltung und Verschwiegenheit, hatte für alle Religionen und Mysterienkulte stets hohe Bedeutung.

    Doch nun war Buckow zum Fluchtpunkt für werdende Müt-ter geworden, die hier fernab der geschundenen, zerbombten Hauptstadt, ihre Kinder vorerst noch relativ gefahrlos zur Welt bringen konnten.

    Albins Name, der aus dem Latein stammt (albus = weiß), war wohl von den Eltern unbewusst richtig ausgesucht worden, denn die Farbe weiß steht nicht nur symbolisch für den Win-ter, sondern darüber hinaus auch für Unschuld, Reinheit und höchste Erkenntnis. Somit war es kein Zufall, dass sowohl seine Namenswahl wie sein Geburtsort, die Rosenstadt, da-rauf hindeuteten, was sein eigentliches Lebensziel sein sollte.

    Sein Horoskop mit dem Sternzeichen Schütze und dem As-zendenten Krebs, eine Mischung aus Feuer und Wasser, ließ den Kundigen auf ein schwieriges und schmerzhaftes Schick-sal schließen, es sollte ihm kein einfaches Leben beschieden sein.

    Nachdem er nun in dieser Welt angekommen war, blieben ihm, seiner Mutter und der älteren Schwester nur wenig Erholungs-zeit in der ländlichen Idylle, denn die Front, in Gestalt der Ro-ten Armee, rückte täglich näher und Tausende von Flüchtlin-gen, ausgemergelt, durch leidvolle Strapazen gekennzeichnet, schleppten sich müheselig mit Karren und Pferdegespannen über die verschneiten, vereisten Landstraßen Richtung Westen. Sein Vater, berufsbedingt in Berlin zurückgeblieben, schickte im letzten Moment einen PKW, um dass Trio in die völlig zer-störte Reichshauptstadt zurück zu holen.

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    Doch dort, in angstvoller Erwartung des Feindes, gemäß dem lateinischen Spruch: »vae victis« (Wehe den Besiegten!) war auf Dauer kein Bleiben mehr möglich. Man musste täglich mit dem Schlimmsten rechnen. So wurde die kleine Fami-lie ohne ihr Oberhaupt, gerade noch mit Mühe und Not zum letzten Zug gebracht, der Berlin am Anhalterbahnhof, Richtung Süden, verlassen sollte. Unbeschreibliche Szenen spielten sich dabei ab, erinnerten an Schillers Gedicht von der Glocke: »Alles rennet, rettet, flüchtet.« Die Menschen, voller Angst, die letzte Ausreisemöglichkeit zu verpassen, ver-suchten verzweifelt durch die Fenster in den wartenden Zug einzusteigen, da sich die Menge an den Türen bereits end-los staute. Schließlich waren die Mühen seiner Mutter und Schwester doch noch von Erfolg gekrönt, im letzten Moment gelang es ihnen mit Albin, der im Kinderwagen lag, in ein Abteil hineinzukommen. Er wurde für die Reise mitsamt sei-nem Wagen zwischen den Puffern zweier Wagons unterge-bracht. Nach dreitägiger Fahrt, durch häufige Fliegerangriffe unterbrochen, erreichte der Zug dann endlich das ebenfalls völlig zerstörte München.

    Müde, ausgehungert und völlig entkräftet, fand man zu-nächst in der am Ammersee gelegenen Villa eines Verwand-ten Unterschlupf, doch währte dieses Glück nur solange, bis die Amerikaner angekommen waren. Der Onkel, Nazi und Inhaber eines hohen Amtes, flüchtete in letzter Minute, das Haus wurde okkupiert und die kurze Zeit des Aufatmens war zu Ende. Alle, die Verwandte in München hatten, wurden wenige Tage später auf Lastwagen aufgeladen und von den Amerikanern nach München gebracht. Albins Großeltern väterlicherseits, besaßen dort ein großes Mietshaus und so wurden die Drei, zähneknirschend in deren Wohnung aufge-nommen, die jedoch mit drei von der Größe her relativ be-

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    scheidenen Zimmern, Küche und Bad, für sechs Personen zu klein war, da ihre Tochter, Albins Tante, ebenfalls dort wohn-te. Immerhin war es noch das kleinere Übel, Verwandten ein Dach über dem Kopf zu geben als fremde Menschen beher-bergen zu müssen, die aufgrund der Wohnraumknappheit, einfach zugeteilt wurden.

    Die Bevölkerung, nach dem Ende des verheerenden Krieges seelisch und körperlich gebrochen, desillusioniert und völlig ausgezehrt, versuchte zu retten, was noch zu retten war. Jeder war sich dabei der Nächste. So wurde wenig Rücksicht auf andere genommen. Der Schwarzmarkt blühte, überall wurde getauscht, umgetauscht und organisiert. Ohne diese verbote-ne Praktik, wäre für viele ein Überleben nicht möglich gewe-sen. Wer Verwandte auf dem Land hatte war noch gut dran, die meisten brachen zu Hamsterfahrten auf, bei denen oft zum Vorteil der Bauern, kostbare Gegenstände gegen Nah-rungsmittel getauscht wurden.

    Besonders hart war der Hungerwinter 1946, in dem die Temperaturen bis auf minus zwanzig Grad absanken. Albin erkrankte an einer schweren Lungenentzündung und verwei-gerte jegliches Essen, der sichere Tod war greifbar nahe. Doch wie durch ein Wunder wurde er schließlich mit Malzbier doch noch gerettet, erholte sich wieder.

    Alles in allem gestalteten sich die Jahre nach Ende des Krie-ges für die Großeltern und die durch die Not bedingt, neu hinzugekommene Berliner »Mischpoke«, zu einem regel-rechten Martyrium, denn man braucht nicht viel Fantasie, sich vorstellen, wie schwer es war, mit den kärglichen, auf Lebensmittelkarten zugeteilten Nahrungsmitteln und unter derart beengten Wohnverhältnissen, auf Dauer miteinander

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    auszukommen zu müssen. Die Atmosphäre permanent von gereizter Stimmung und Streitereien beherrscht, erschien al-len Beteiligten schier unerträglich. Hinzu kam für die kon-servativen Großeltern noch der Makel, Verwandtschaft aus Preußen zu beherbergen, das bei den Bayern auf Grund der historischen Vergangenheit alles andere als beliebt war.

    So waren die frühesten Eindrücke Albins, ein ständiger Wech-sel zwischen dem kalten, dunklen Zimmer, in dem er mit Mutter und Schwester in wahrsten Sinn des Wortes »hausen« musste und der Küche, die der einzige beheizte Raum war und als gemeinsames Wohnzimmer diente. Einen Kinder-garten sollte er nie besuchen, meist spielte er mit anderen Kindern zwischen den Ruinen der benachbarten Häuser, was zwar aufregend, aber nicht ungefährlich war. Mit fünfeinhalb Jahren wurde er schließlich vorzeitig eingeschult. Er konnte sich später noch gut an diesen Tag erinnern und war ganz stolz auf seine rote, mit Süßigkeiten gefüllte, metallisch glän-zende Schultüte, die ihm seine Mutter gekauft hatte.

    Bereits in diesem frühen Stadium zeigte sich, dass er ein gebo-rener Träumer war, der oft auf dem Nachhauseweg bei einem Schulkameraden hängen blieb, um zu spielen oder Spielzeug zu tauschen und dabei völlig vergaß, dass er zum Mittages-sen erwartet wurde. Dieser Vergesslichkeit wurde dann auch gelegentlich mit dem Kochlöffel auf seinem Po ordentlich nachgeholfen.

    Die Amerikaner, die nach Ende des Krieges ganz in der Nähe, dem früher als Naziversammlungsort berüchtigten Bürger-bräukeller, Quartier bezogen hatten, waren sehr kinderlieb und seine Freunde. Meist wurde er mit Orangen, Bananen, Popcorn und Schokolade bedacht, wenn er dort mit seiner

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    Tante oder Schwester vorbeikam, da alle das hübsche Kind mit den blonden Locken bewunderten.

    Was ihm aus dieser schweren Zeit traumatisch im Gedächtnis blieb, war das kalte und dunkle Zimmer, in dem er mit Mut-ter und Schwester leben musste, und die Angst vor den Sprit-zen, die er aufgrund seiner häufigen Erkrankungen bekam. In seiner Erinnerung waren diese riesengroß, taten furchtbar weh und der Arzt, der sie ihm verabreichte, reichlich barsch.

    Was sich jedoch letztlich genau zwischen den an diesem Le-ben Beteiligten abspielte, blieb ihm als kleines Kind verbor-gen, erst viel später verstand er, welche Hölle seine Mutter, die an Krebs erkrankt war, durchgemacht haben musste. Da-ran hatten nicht nur der Krieg und die daraus resultierende Not ihren Anteil, sondern vor allem auch ihre unglückliche Ehe. All das summierte sich zu einer ausweglosen Situation, aus der sie, die früher einmal sehr hübsche und ansehnliche Frau, ohne Geld, ohne Perspektive, krank und schwach, nicht mehr herausfinden sollte. So war es nicht verwunderlich, dass sie bereits mit 49 Jahren starb. Ihr früher Tod beraubte Al-bin seiner engsten Bezugsperson und damit auch der müt-terlichen Liebe und Fürsorge, die ein kleines Kind für seine gute Entwicklung, ebenso wie die Luft zum Atmen, dringend benötigt. Dazu kamen zusätzlich all die psychischen Belas-tungen, denen er bereits in Berlin, noch ungeboren, im Mut-terleib ständig ausgesetzt war. Diese bestanden hauptsächlich aus häufigen, manchmal bis zur Handgreiflichkeit gehenden Streitereien zwischen seinen Eltern, wie auch die tägliche Angst vor den Fliegerangriffen der Alliierten, die bedrücken-de Enge im Luftschutzbunker, der Lärm der Detonationen und das bange Warten auf die erlösende Entwarnung.

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    Die unguten Ereignisse jener Zeit hatten die Kriegskinder, zu denen auch Albin gehörte, schwer geschädigt, doch erst fünfzig oder sechzig Jahre später sollten die Auswirkungen bei vielen der Betroffenen, in Form von Schlaflosigkeit, Ängsten bis hin zu Panikattacken, voll zum Tragen kommen. Solange die Menschen ihre Haut retten mussten, mit dem nackten Überleben beschäftigt waren, hatten sie keine Zeit, sich mit ihrer Problematik zu beschäftigen, alles Negative wurde ver-drängt, ins Unterbewusstsein verschoben, nie aufgearbeitet. Heute weiß man, dass sich negative Gefühle, pessimistische Überzeugungen und traumatische Erfahrungen neben ihrer Auswirkung auf die Psyche auch im Körper verfestigen, die Zellen belasten und dort gewissermaßen verhärten. Sie un-terliegen den gleichen Gesetzen wie Teilchen und Wellen in der Quantenphysik und verursachen Störungen im elektro-magnetischen Energiefeld des Körpers, die zu krankhaften Prozessen führen.

    Je länger und schwerer das biophysikalische Feld des Körpers belastet ist, desto problematischer wird es, diese Störungen wieder abzubauen. In der modernen energetischen Psycho-therapie, einem Verbundsystem mehrerer Therapien, wie TCM (traditionelle chinesische Medizin), Meridiantherapie, Kinesiologie, Hypnotherapie und speziellen Atemtechniken wird daher neben der Psyche auch immer die physikalische Seite des Körpers mit behandelt. Diese Zusammenhänge wa-ren damals weitgehend unbekannt.

    Noch während Albins Mutter im Krankenhaus lag, holte ihn sein Vater, der in einer entfernt liegenden süddeutschen Kleinstadt lebte, in der er nach dem Kriege eine neue Stellung gefunden hatte, zu sich, damit er fortan bei ihm aufwachsen solle. Auf diese Weise wurde er nun auch noch von seiner

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    Schwester, die sich neben der Mutter immer liebevoll um ihn gekümmert hatte, getrennt. Sie blieb in München zurück.

    Bislang war sein Vater für ihn immer ein Fremder gewesen, der nur selten zu Besuch kam und ihm manchmal ein Spiel-zeug mitbrachte. Eigentlich kannte er ihn gar nicht und hatte somit auch keinerlei Beziehung zu ihm. Er konnte sich später nur noch erinnern, dass dieser, zusammen mit einem Chauf-feur gekommen war und ihn aus seiner gewohnten Umge-bung herausgerissen hatte. Ein brauner Volkswagen diente als Transportmittel. Bei der Fahrt faszinierte Albin besonders die blaue Signallampe des Fernlichts, außerdem war ihm auf dem Rücksitz schlecht geworden und er hatte sich übergeben müssen.

    Sein neues Zuhause in der besagten Kleinstadt, wurde zu-nächst ein Gasthof, in dem sich der Vater einquartiert hatte. Dort wurde Albin täglich mit Mahlzeiten versorgt, hatte so-gar eine eigene Bedienung, die sich um ihn kümmerte. Das Kind erlebte die neue Umgebung mit ihren andersartigen Gegebenheiten zunächst wie im Traum.

    Durch den großen Schmerz über den Verlust seiner Mutter, mit der er die ersten sechs Lebensjahre eng verbracht hat-te, war er bar jeglicher Gefühle, hatte abgeschaltet, einfach alles verdrängt. Sein inneres Kind hatte zugemacht, wollte sich nicht erinnern. Als eines Tages sein Vater mit ernstem Gesicht erschien und ihm mitteilte, dass seine Mutter, ge-storben sei, hatte er daher keinerlei Empfindungen oder gar Trauer, es schien, als ob er alles vergessen hatte, was davor lag. Eine der wenigen Erinnerungen an seine Mutter, die in seinem Gedächtnis haften blieben, war eine Szene, bei der sie ihn einmal, bereits todkrank, nach der Rückkehr von einem