Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung

20
Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung Author(s): Hans Peter Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 2, H. 1 (1934), pp. 41-59 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40865748 . Accessed: 15/06/2014 03:27 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Transcript of Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der SteuerverteilungAuthor(s): Hans PeterSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 2, H. 1 (1934), pp. 41-59Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40865748 .

Accessed: 15/06/2014 03:27

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at .http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp

.JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new formsof scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected].

.

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access toFinanzArchiv / Public Finance Analysis.

http://www.jstor.org

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung

von

Hans Peter

Die Maßnahmen, die der Staat zum Wohle der Gesamtheit trifft, kommen, - wenigstens der Idee nach - den einzelnen Gliedern des Volkes in gleicher Weise zugute. Die finanziellen Mittel, die zu ihrer Durchführung erforderlich sind, müssen vom Volk in seiner Gesamt- heit aufgebracht werden. Die Schultern der einzelnen, denen diese Lasten auferlegt werden, sind aber nicht von gleicher Kraft. Seit jeher wird es deshalb als Aufgabe der Finanzwissenschaft aufgefaßt, die Begel zu finden, nach der die Gesamtlast auf die einzelnen Schul- tern zu verteilen ist. Wenn schwachen Schultern große Lasten und starken kleine aufgebürdet werden, wie es die Geschichte oft genug zeigt, so empört sich unser Bechtsgefühl. Aber auf das Gefühl allein läßt sich die Begründung einer bestimmten Begel nicht stützen. Es muß untersucht werden, wieweit die angeschnittene Frage exakt be- handelt werden kann.

Schon die Fragestellung bedarf einer sorgfältigen kritischen Siche- rung, wenn sie vor Verzerrungen bewahrt werden soll, die durch partei- politische Vorurteile in sie hineingetragen werden können und fast immer hineingetragen worden sind. Die Frage der gerechten Steuer- verteilung berührt sich eng mit der Frage nach der gerechten Ver- teilung von Besitz und Einkommen. Eine Zeit der Herrschaft des un- gezügelten Kapitalismus ist ihrer Behandlung sicher weniger günstig als eine Zeit der sozialistischen Entwicklung, in welcher eindringlich die Frage gestellt wird, welcher Besitz erhaltungswürdig ist und wel- chem der Schutz des starken Staates versagt bleiben soll. Wenn unter- schieden wird zwischen Bauernnahrungen, die erhalten und gefördert, já neu geschaffen werden sollen, und Latifundien, die dem Eigennutz

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

42 Hans Feter

entzogen und dem Gemeinnutz zugeführt werden sollen; wenn die Beseitigung von „Star"gehältern im staatlichen und privaten Be- reiche erstrebt und der Not der Erwerbslosen nach Kräften gesteuert wird, dann drängt sich geradezu die Frage auf, wie die Bichtlinien zu sichern sind, nach denen eine solche Korrektur der Verteilung von Besitz und Einkommen von statten gehen soll. Und wenn keine ratio- nale Lösung gefunden wird, so können doch Scheinlösungen als solche aufgedeckt und abgewiesen werden.

Gerechtigkeit besteht sicher nicht in schematischer Gleichmache- rei. Für unser gegenwärtiges Gefühl erscheint aber eine Antwort auch noch zu blutleer, die sich in der rationalistischen Formel erschöpft, daß eine Verteilung gerecht ist, wenn sie nicht höherwertige Inter- essen zugunsten geringer wertiger zurücksetzt. Diese Formel ist gewiß richtig, aber sie gibt nur eine notwendige Bedingung an, sie reicht als politisches Ideal noch nicht aus. Die Formel Gemeinnutz geht vor Eigennutz richtet ihre Schärfe gegen die Übertreter, die zum Schaden anderer rücksichtslos ihr Ich in den Vordergrund rücken. Ihren vollen Gehalt bekommt sie erst, wenn das, was als dem Wohle der Allgemein- heit dienlich angesehen wird, durch ein positives Ideal gekennzeichnet wird. Dieses positive Ideal kann sich im Laufe der Zeiten wandeln und ist verschieden von Volk zu Volk.

Klarheit des politischen Zieles und Anerkennung, daß es vor aller ökonomischen Erwägung gegeben sein müsse, ist die Vorbedin- gung für die Lösung des angeschnittenen Problèmes. Damit ist die Abkehr von einer Methode gefordert, die man als ökonomistischen Monismus in der Finanzwissenschaft bezeichnen könnte. Es ist neben dem „rein finanziellen" Standpunkt in -der Finanzwissenschaft der von AdolphWagner1), Gustav Schmoller2) und ande- ren geltend gemachte sog. „sozialpolitische" Standpunkt in Erwägung zu ziehen, und zwar vorweg in Erwägung zu ziehen. Das iat keines- wegs ein Widerspruch, wie F. K. M a n n 8) annehmen zu müssen meint. Wagner z. B. stellt a. a. 0. nicht zwei Gerechtigkeitsprin- zipien als gleichberechtigt nebeneinander, sondern er lehnt 4) den rein finanziellen Standpunkt „als richtige Konsequenz einer falschen Theo-

*) Finanzwissenschaft, zweiter Teil. Theorie der Besteuerung. II. Aufl., 1890, S. 372 ff.

«) Die Gerechtigkeit in der Volkswirtschaft. Jahrbuch, 1881. *) Grundsätze der Besteuerung. Schmollers Jahrbuch 50, S. 74, 1926, *) S. 376/377.

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung. 43

rie44 ab, und fordert die Berücksichtigung der „sozialpolitischen" als der eigentlichen Gerechtigkeit. Man braucht inhaltlich Wagners Gerechtigkeitspostulat gar nicht zuzustimmen, die methodologische Haltbarkeit seiner Konstruktion muß man zugeben.

Die Gegner der wegen ihres „ethischen" Charakters als unwissen- schaftlich befehdeten jüngeren historischen Schule versuchen in der verschiedensten Form die nlethodologische Unhaltbarkeit dieses Dua- lismus darzulegen. Als ein Beispiel für viele seien die Ausführungen Alfred Amonns hier näher betrachtet 1). A m o n n schreibt : „Das „Prinzip der Gerechtigkeit" ist als solches wie alle andern Prin- zipien des Handelns ein rein praktisches. Unser Handeln kann aber von verschiedenen praktischen Prinzipien zugleich beherrscht sein. Man kann es aber nicht in seiner gleichzeitigen Be- herrschtheit von verschiedenen Prinzipien unter einem betrach- ten. Sondern die wissenschaftliche Betrachtung muß „isolieren". Das geschieht dadurch, daß wir eben inverschieden an Wissen- schaften das Handeln anders, als von verschiedenen Prinzipien beherrscht, in jeder in seiner Beherrschtheit von einem andern Prinzip betrachten. Wir wählen jeweils ein anderes praktisches Prinzip zum theoretischen Prinzip der Betrach- tung, das heißt zu einem logischen oder methodologi- schen Gesichtspunkt, unter welchem wir die an sich möglichen Handlungsweisen betrachten und die „richtige" von der „unrich- tigen" unterscheiden."

Abgesehen von der merkwürdigen Vorstellung, als könne man ein praktisches Prinzip zum theoretischen Prinzip der Betrachtung machen, kann ich mich mit der hier vorgeschlagenen „Isoliermethode" in keiner Weise einverstanden erklären. Wenn es mehrere praktische Prinzipien gibt, so kann es den damit auftretenden Problemen gegen- über nur die eine wissenschaftliche Einstellung geben, daß man sich über die Hierarchie der in Eede stehenden Prinzipien klarzuwerden versucht. Es ist übrigens noch zu erörtern, ob das ethische und das ökonomische Prinzip wirklich logisch in einer Ebene liegen. Keinesfalls kommt man den Problemen aber dadurch näher, daß man Teilgebiete des gesellschaftlichen Prozesses so „isoliert", daß sie jeweils nur von einem Prinzip beherrscht sind und von den andern gar nicht berührt werden.

1) Zur Frage der steuerlichen Lastenverteilung. Conrads Jahrbücher 123, S. 168, 1925.

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

44 Hani Peter

Mit den Methoden der ökonomischen Theorie kann man im Be- reiche der Finanzwissenschaft nur das behandeln, was rein natürlicher wirtschaftlicher Ablauf ist. Es sind das insbesondere die Steuerwir- kungen und ganz allgemein die Wirkungen irgendwelcher finanzpoli- tischer Maßnahmen auf das organische Ganze der Volkswirtschaft. Um diese Wirkungen als solche handelt es sich aber bei dem Problem der gerechten Besteuerung gar nicht. Vielmehr wird hier danach ge- fragt, ob der Zustand, der sich infolge einer bestimmt gearteten Be- steuerung schließlich einstellt, vor dem Ideal der Gerechtigkeit be- stehen kann. Die Auffassung, daß man damit aus dem Bereich der Wissenschaft hinausgeriete, wäre bei einem Fachwissenschaftler immer noch eher zu verstehen als die A m o n n sehe. Man müßte, bestünde sie zu Recht, die Zielsetzung als letzten Endes rein gefühlsmäßig be- dingt, als persönliche oder nationale Besonderheit ansehen, aber man käme wenigstens nicht zu dem fragwürdigen Versuch, die ethische Erörterung durch eine andere, ihr gänzlich wesensfremde zu ersetzen.

Die in unserer Wissenschaft wie in jeder andern von jeher geübte Isoliermethode besteht in einem ganz anderen Verfahren. Man faßt einen einzelnen Umstand ins Auge, untersucht seine Bedeutung für das Ganze sowie die Wirkung von Veränderungen dieses Umstandes und nimmt dabei an, daß sich sämtliche übrigen Umstände nicht irgendwie wandeln. Diese Methode läßt sich anwenden, wenn es sich um die Untersuchung von Steuerwirkungen handelt. Sie ist aber auch immer nur anwendbar, wenn eine theoretische Frage bearbeitet wird. Theorie ist hier nicht in dem verwaschenen Sinne des obigen Zitates zu nehmen, sondern in dem strengen, wonach sie die Zurückführung von Erscheinungen auf ihre zureichenden Ursachen bzw. die Erkennt- nis der funktionalen Zusammenhänge zum Gegenstande hat.

Zwischen solchen im strengen Sinne theoretischen Erörterungen und der praktischen Beurteilung der Verteilung auf Grund eines Ge- rechtigkeitsideales besteht ein grundsätzlicher Unterschied. Es sind zwei verschiedene Qualitäten der Erkenntnis, die hier nebeneinander treten. Der logische Gedankengang der Untersuchung ist deshalb, wie immer man auch sachlich zu den theoretischen und zu den ethischen Problemen stehen mag, der folgende: Es wird untersucht, in welcher Weise die in Rede stehende Steuer (im weitesten Sinne) die gegebene Besitz- und Einkommensverteilung verändert (Problem der Steuer- wirkung) und es wird dann gefragt, ob sie dem für die Gemeinschaft gül- tigen Gerechtigkeitsideal entspricht (Problem der Steuergerechtigkeit).

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung. 45

Wir haben ans hier nur die Erörterung des Problems der Steuer- gerechtigkeit vorgenommen. Die erste Feststellung, die wir aus rein methodologischen Gründen machen müssen, ist, daß das Problem mit Mitteln der ökonomischen Theorie grundsätzlich nicht gelöst werden kann. Wir begnügen uns aber nicht mit dieser allgemeinen Bemer- kung, wir wollen vielmehr auf typische Theorien eingehen, deren Grundirrtum darin besteht, daß sie das praktische Problem der Steuer- gerechtigkeit mit Hilfsmitteln der Theorie zu lösen versuchen. Die allgemeine Deduktion der Unmöglichkeit einer solchen Lösung ge- stattet uns von vornherein den Fehler in einer ganz bestimmten Bich- tung zu suchen. Es muß sich bei diesen Theorien stets ein praktischer Satz einschleichen, der naturgemäß nicht begründet wird, dessen eigen- artige, nichttheoretische Qualität unerkannt bleibt. Gewöhnlich wird er einfach mit einem ähnlich lautenden theoretischen Satze zu Un- recht identifiziert.

Um die folgenden Überlegungen möglichst einfach gestalten zu können, sehen wir ganz ab von den Einkünften aus öffentlichen Unter- nehmungen, staatlichen Hoheitsrechten u. dgl. sowie von den Gebüh- ren für die Benutzung irgendwelcher Staatsanstalten und von Um- lagen für bestimmte Interessentengruppen. Wir betrachten also nur die Steuern, die erforderlich sind, die Verwaltungskosten des Staates im weitesten Sinne sicherzustellen. Um hier die Verhältnisse mög- lichst durchsichtig darstellen zu können, nehmen wir an, es gebe in der betrachteten Volkswirtschaft keine indirekten Steuern, sondern nur eine einzige direkte Einkommensteuer. Es wird gefragt, wie eine bestimmt geartete Verteilung dieser Steuern auf die Gesamtheit unter dem Gesichtspunkte der Gerechtigkeit zu beurteilen ist.

Wir betrachten zunächst diejenigen Begründungen von Steuer- tarifen, die sich in irgendeiner Form auf die sog. subjektive Preis- theorie aufbauen. Diese Tarife sind durchweg progressiv. Letzten Endes gehen sie alle auf das erste Gossensche Gesetz zurück. Die subjektive Bangordnung der Bedürfnisse bringt es mit sich, daß der „Grenznutzen", d. h. der Nutzen der letzten beschaffbaren Güter- menge um so kleiner ist, je größer das Einkommen ist. Das gilt streng genommen nur für den einzelnen, weil sich die Bedürfnisintensitäten verschiedener Personen nicht vergleichen lassen. Man wird aber wenig- stens im großen und ganzen zugeben können, daß auch für eine inter- popsomlle Betrachtung der Grenznutzen großer Einkommen unter dein kleiner Einkommen liegt. Wollte man allerdings auf diese Tat-

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

46 Hans Peter

sache wirklich ein praktisches Prinzip der Steuerverteilung gründen, so wäre man zum Nachweis einer solchen Vergleichbarkeit verpflich- tet. Da uns diese Absicht hier fernliegt, ist es methodisch gerecht- fertigt, wenn wir diese Vergleichbarkeit hier - per inconcessum - unterstellen. Es ist nur ein Entgegenkommen gegenüber der angegriffe- nen Theorie.

Wenn man nicht ein anderweit begründetes Prinzip auf die Steuerverteilung anwenden will, sondern das Prinzip in den ökono- mischen Gegebenheiten selbst sucht, so ist das Nächstliegende, die Steuer so auf die einzelnen Zensiten zu verteilen, daß das wirkliche Opfer an Nutzen, welches dem einzelnen auferlegt wird, bei allen gleich ist. Gleiches Nutzenopfer wird aber erreicht, wenn der Be- zieher eines großen Einkommens mehr Geld entrichtet als der Be- zieher eines kleinen Einkommens. Der Eeichere verzichtet damit zwar auf eine größere Menge an objektiven Gütern als der Arme. Aber das Verhältnis zwischen den wenigen Gütern, die der Arme opfert, und der größeren Menge, auf die der Eeiche vernichtet, wird so bemessen, daß sie subjektiv den gleichen Nutzenbetrag ausmachen. In Geld- beträgen ausgedrückt, leistet der Eeiche eine Steuer, die einen größe- ren Teil seines Einkommens ausmacht, als der Geldbetrag, den der Arme zahlt, von dessen Einkommen.

Kritisch läßt sich gegen diesen Tarif zweierlei sagen. In sachlicher Hinsicht dütfte es sehr zweifelhaft sein, ob das gleiche Nutzenopfer> Armen wie Eeichen auferlegt, wirklich als gerecht angesehen werden kann. Wenn allerdings die Einkommen wenig voneinander verschieden sind, sich also eng um ein mittleres Einkommen scharen, dann könnte man sich vielleicht damit zufrieden geben - freilich auch nur, weil der geringen Unterschiede wegen kaum eine große Ungerechtigkeit unterlaufen kann. Aber unter diesen Voraussetzungen wäre im gleichen Falle schließlich sogar eine Kopfsteuer zu ertragen. Ist jedoch die Ver- teilung sehr ungleich, dann dürfte sich unter den gemachten Voraus- setzungen eine Steuerprogression ergeben, die so schwach ist, daß sie nicht als gerecht empfunden werden kann.

Für die vorliegende Untersuchung wichtiger ist der methodologi- sche Einwand gegen diese Lehre als Steuer „théorie". Sie enthält eine petitio principii. Es müßte begründet werden, inwiefern das gleiche Opfer an Nutzen eine gerechte Steuer darstellt. Das geschieht aber nicht. Vielmehr wird es als ganz selbstverständlich hingenommen* daß bei beliebiger Einkommensverteilung gerade diese Eegelung als ge-

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Bas Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der SteuerverteüniiÄ. 47

recht oder angemessen anzusehen ist. In Wirklichkeit ist überhaupt nicht die geringste Begründung gegeben.

Den gleichen Einwendungen ist auch die Steuertheorie ausgesetzt, die in Analogie zum geldlichen proportionalen Tarif ein proportionales Nutzenopfer au begründen sucht. Hier ist die geldliche Progression stärker als beim Tarif des gleichen Opfers. Sachlich kommt dieser Tarif deshalb unseren Vorstellungen von einem gerechten Tarif viel- leicht etwas näher als der Tarif des gleichen Opfers. Von einer wirk- lichen Ableitung dieses Tarifes aus dem Gerechtigkeitsideal kann je- doch ebensowenig die Bede sein.

Sehr viel scheint zugunsten eines dritten Tarifés zu sprechen, der auch aus dem Ideenkreis der subjektiven Theorie stammt. Er wird durch das Prinzip des kleinsten Opfers gekennzeichnet. Niemand soll eine Mark Steuern bezahlen, solange der Nutzen, den er damit opfert, größer ist als der subjektive Nutzen einer Mark,, über die ein anderer noch frei verfügen kann. Der gesamte aufzubringende Steuerbetrag einer Gesellschaft müßte demnach so verteilt werden, daß nur die größten Einkommen besteuert würden. Und zwar wäre soviel zu er- heben, daß schließlich bei allen Zensiten der Grenznutzen gleich würde. Kleinere Einkommen, denen somit höhere Grenznutzen entsprechen, blieben steuerfrei. Voraussetzung für die Anwendung dieses Grund- satzes wäre die Möglichkeit, interindividuell die Nutzenintensitäten zu vergleichen. Nehmen wir das einmal vorerst - per inconcessum - an.

Grundsätzlich gelten hier die gleichen Bedenken wie vorhin. Man könnte aber vorweg geltend machen, daß der Gedanke der Nivellierung der Grenznutzen hier noch gar nicht zu Ende gedacht ist. Es ist nicht einzusehen, weshalb man die Ungleichheit der Grenznutzen bei den kleineren Einkommen, die die fragliche Grenze nicht erreichen, be- stehen bleiben läßt. Es spricht nichts dagegen, durch eine entsprechend weitergehende Besteuerung der großen Einkommen die Mittel aufzu- bringen, um die kleineren von Staats wegen zu ergänzen, so daß der Grenznutzenausgleich allgemein wird. Sachlich ergibt sich sofort das Bedenken, daß eine solche Gleichmacherei niemals gerecht sein kann. Aber ist die Nivellierung der Einkommen oberhalb einer bestimmten Grenze weniger bedenklich ?

Über die Schwierigkeit des interpersonellen Vergleiches der Nutzenintensitäten käme man vielleicht hinweg; jedenfalls wollen wir zunächst von ihr absehen. Ist damit aber etwas gewonnen? Die

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

48 Hans Peter

Verteilung wäre wegen des Nutzenbegriffes der subjektivistischen Schule (der als solcher durchaus richtig ist !) an der faktischen Stärke der Interessen orientiert. Das ist eine rein natürliche Qualität, die in den Bereich des Hedonismus und wenn man will, des Materialismus gehört. Das Gerechtigkeitsideal fordert aber einen objektiven „Wert"- maßstab, Wert nicht im ökonomischen, sondern im sittlich-ethischen Sinne verstanden.

Die Übereinstimmung zwischen dem Gereohtigkeitspostulat und dem Prinzip des kleinsten Opfers wäre infolgedessen nur teilweise und rein formal. In beiden Fällen liegt ein Abwägungsprinzip vor, auf Grund dessen ein Ausgleich gefordert wird. Sachlich liegt aber eine unüberbrückbare Kluft zwischen beiden Prinzipien. Im Grenznutzen- prinzip wird nach dem rein natürlichen Stärkegrad der Bedürfnisse verglichen. Im Gerechtigkeitspostulat ist ein praktisch-ethischer Wert als Entscheidungsgrundlage gefordert.

Daß alle diese finanzwissenschaftlichen Lehren, die auf die moderne Nutzwerttheorie aufgebaut sind,, scheitern, liegt nicht an einem Mangel, der dieser Theorie als solcher anhaftet und der in einer besseren Theorie irgendwie behoben werden könnte. Es liegt vielmehr daran, daß es schlechthin unmöglich ist, die Frage der gerechten Be- steuerung auf Grund theoretischer Erwägungen zu lösen. Es ist über- haupt bedenklich, das Steuerproblem ganz in Analogie zum Preis- problem zu behandeln. Im Ausgangspunkt der Lehren, die das ver- suchen, liegt freilich ein Fünkchen Wahrheit. Betrachtet man näm- lich den Kreislauf des Geldes und der Güter in der modernen Ver- kehrswirtschaft, so muß man die Steuern mit den Preisen in eine Linie stellen, da sie der einzelne an den Staat zahlt, während er Nutznießer der staatlichen „Dienste" ist. Aber schon der Vergleich der staat- lichen Funktionen, die durch die Steuern finanziert werden, mit Dien- sten, die er dem einzelnen leistet, hat etwas Gezwungenes. Die Steuer beruht nicht auf einem solchen Tausch von Diensten. Das Verhältnis zwischen dem Staat und dem Steuerzahler ist ein grundsätzlich anderes.

Die Unhaltbarkeit einer ökonomischen Steuertheorie zeigt sich am deutlichsten in der Überspitzung, die sie z. B. bei De Viti de Marco1) erfährt. Hier wird die Steuer nicht in der angeführten un- bedenklichen Weise mit einem Preise verglichen, sondern sie wird als

*) I primi principii dell' oeconomia finanziaria, Roma 1928, deutsche Über- setzung von Dr. Hans Fried, mit einer Einführung von Luigi Einaudi, Tübingen 1932, J. G. B. Mohr (Paul Siebeck).

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung. 49

Preis aufgefaßt. Das involviert weiterhin, daß das ganze Verhältnis zwischen Staat und Steuerzahler als Tausohverhältnis begriffen wird. Das heißt aber, es auf ein Prokrustesbett spannen. Mit gleichem Bechte könnte man die Grossoikenwirtschaft eine Tauschwirtschaft nennen, weil in ihr die Dienste der Sklaven gegen die Nahrungsmittel „ge- tauscht" werden, die man ihnen gewährt. Schließlich wäre dann jede kommunistische Wirtschaft Tauschwirtschaft.

Es gibt im Bereiche des Finanzwesens allerdings Fälle, in denen die Analogie zum Tausch Berechtigung hat. In einigen der Staats- einkünfte, die wir oben ausdrücklich aus der Betrachtung ausgeschie- den haben, lassen sich in der Tat die Steuern als Preise für staatliche Leistungen auffassen, so z. B. wenn der Bau von Automobilstraßen durch eine Treibmittel- oder ähnliche Steuer finanziert wird. Diese Fälle sind es aber gerade nicht, die das hier in Bede stehende Pro- blem aufgeben. Eine solche Straßenverwaltung können wir ökono- misch als ein Unternehmen ansehen, das nur zufällig in staatlicher Begie betrieben wird und das ebensogut privat organisiert sein könnte. Hier kann sich auch der Konsument in gewissem Bahmen so verhal- ten, wie er es andern Waren gegenüber zu tun pflegt; er kann seine Nachfrage nach den Preissignalen des Marktes richten, er kann sie einschränken oder ausdehnen, wenn die „Preise", in diesem Falle also die Benzinsteuern, es ihm geboten erscheinen lassen.

Bei dem Problem der gerechten Steuerverteilung besteht aber überhaupt keine nachfrageähnliche Beziehung zwischen der Zahlung und dem geleisteten „Dienste" des Staates. Es hat einfach keinen Sinn, sich auf die Frage einzulassen, ob die Höhe des Einkommens als Index für die Nachfrage nach „öffentlichen Diensten" aufgefaßt werden kann. Deshalb entbehrt auch der Versuch De Viti de Marcos1), die Einkommenshöhe als Mittelwert für diese Nach- frage anzusehen, jeder Grundlage und ist, wie V 1 e u g e 1 s bemerkt, eine willkürliche Annahme 2).

Ebensp sinnlos ist es, die öffentlichen Dienste als Produktions- mittel aufzufassen, und sie auf diese Weise in den ökonomischen Pro- zeß einzugliedern. Freilich ist die Gewährleistung der Sicherheit von Person und Eigentum eine notwendige Bedingung jedes geordneten Wirtschaftslebens. Es hieße aber den Bereich der Wirtschaft über

*) 1. c •) Über Wesen und Grenzen der finanzwirtschaftlichen Theorie. Finanz-

archiv, Neue Folge 1, S. 393, 1932. Finanzarchiv. N. F. 2. Heft 1. 4

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

50 Hans Peter

Gebühr und sehr zu Unrecht erweitern, wollte man die Beziehungen zwischen Staatsbürger und Staat, die doch auf einer anderen Grund- lage beruhen, mit den Mitteln der ökonomischen Theorie ableiten und erklären. Hier ist das Gebiet anderer Kategorien der Gesellschafts- lehre, Freilich spielen die Steuern in der privatwirtschaftlichen Er- wägung des einzelnen eine Bolle. Wenn ein Tarif festgelegt ist, so ver- sucht er, sich diesem in geeigneter Weise anzupassen. Und um zu be- urteilen, wie er sich auf eine bestimmte Steuer einstellt, ist es durch- aus erlaubt, die auf den einzelnen entfallenden Steuerbeträge als Kosten seiner Produktion anzusehen und zu fragen, welches die op- timale Gestaltung seiner Produktionstätigkeit unter Berücksichtigung einer Steuerreform sein würde. Das ist aber eine rein privatwirtschaft- liche Überlegung, bei welcher die Steuer als Datum einbezogen wird. Die De Viti de Marcosche Theorie versucht etwas ganz anderes, sie will die staatspolitische Erwägung, in welcher Weise die Steuer zu staffeln ist, auf die ökonomische Erwägung gründen, daß zwischen Steuer und öffentlichem Dienst eine dem statischen Preise entsprechende Beziehung hergestellt wird. Darin erst liegt die fiera- ßamc elç tò äXko yévoç.

Betrachten wir die methodischen Bedenken, die sich gegen die rein ökonomische Begründung eines Steuertarifes geltend machen lassen, noch genauer. Es ist stets eine petitio principii, und sie be- steht darin, daß der Gleichgewichtszustand der Wirtschaft oder die Gleichheit der Grenznutzen oder des Nutzenopfers mit dem Gerechtig- keitspostulat der Ethik verwechselt oder an dessen Stelle gesetzt wird. Nun könnte dieser logische Fehler immer noch in einer mangelhaften Ableitung der Kriterien für die gerechte Besteuerung aus den Grund- lagen der ökonomischen Theorie begründet sein. Es ist deshalb er- forderlich, zu zeigen, daß die Ableitung eines irgendwie gearteten praktischen Prinzips aus der ökonomischen Theorie überhaupt un- möglich ist.

Das wirtschaftliche Prinzip ist eine Maxime für die Handlungen einer einzelnen wirtschaftenden Person. Die wirtschaftliche Über-

legung gründet sich einerseits auf die individuelle Bangordnung der Bedürfnisse, andererseits auf die technischen Bedingungen der Pro- duktion. Geht man über zu Problemen der Gesellsch^ftswirtschaft, so läßt sich die Maxime nicht unmittelbar anwenden, weil sich die Bedürf- nisse verschiedener Personen nicht hinsichtlich ihres subjektiven Wer- tes vergleichen lassen. Das wirtschaftliche Prinzip kann deshalb auf

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung. 51

die Gesellschaft nur angewendet werden, wenn ein objektiver Wert dem Vergleich der Bedürfnisse verschiedener Personen zugrunde ge- legt wird. Diese Voraussetzung darf man theoretisch zunächst für den Gesamthaushalt einer kollektivistisch organisierten Wirtschaft machen.

Hat man es nicht mit einer kollektivistischen Wirtschaft, sondern mit einer freien Marktwirtschaft zu tun, so läßt sich das wirtschaft- liche Prinzip auf den Gesamtprozeß der Volkswirtschaft überhaupt nicht anwenden. Wohl aber ist das möglich für die Staatswirtschaft, die einen mehr oder weniger großen Teil der gesamtwirtschaftlichen Aufgaben betreut. Die Problematik liegt für diesen Fall genau wie bei der kollektivistischen Wirtschaft. Man kann sich auch hier die gesamte Volkswirtschaft als einen einheitlichen Haushalt vorstellen. Der Staat überläßt einen mehr oder weniger großen Teil der Wirt- schaftstätigkeit der privaten Initiative und greift nur zur Durch- führung gewisser ihm verbleibender oder von ihm für besonders dring- lich angesehener Aufgaben ein. Verfährt der Staat hier nach dem durch ein objektives Wertungsprinrip ergänzten wirtschaftlichen Prin- zip, so muß er die Einkommensverteilung, die sich in dem gesellschaft- lichen Prozeß der marktwirtschaftlichen Sphäre bildet, korrigieren.

Die Maxime, die der Staat in einem solchen Falle der Besteuerung zugrunde legt, würde der des kleinsten Opfers äußerlich sehr ähnlich sehen. Es besteht aber ein grundsätzlicher Unterschied im erkenntnis- mäßigen Charakter dieser Maxime. Der Ausgleichsgedanke des G o s - senschen Gesetzes kommt zur Geltung, aber zu seiner Anwen- dung auf gesellschaftliche Verhältnisse ist die Heranziehung eines anderweitigen Prinzipes erforderlich, das seiner Natur nach in den Bereich praktisch-ethischer Erkenntnis gehört.

Sucht man also nach der Bechtfertigung irgendeines Steuer- tarifes, so betritt man, man mag wollen oder nicht, das Gebiet der Ethik. Das strittige Gerechtigkeitspostulat erschöpft sich nicht in der Definition irgendeines Verteilungsprinzipes für Einkommen und Steu- ern, sondern es erfordert noch den Nachweis der allgemeinen Ver- bindlichkeit der aufgewiesenen Begel. Ich muß deshalb die These Manns ablehnen, der für die Finanzwissenschaft aus methodologi- schen Gründen außerökonomische Maßstäbe abweisen zu müssen meint 1). Es scheint mir auch unmöglich, die Mannsche These durch die Erwägung zu retten, daß er nur als Finanzwirtschaftstheo-

l) Die Gerechtigkeit in der Besteuerung. Schanz-Festechrift II, S. 139, 1928. 4*

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

52 Hans Peter

retiker spricht, und daß „die Diskussion außerwirtschaftlicher Ideale sehr leicht zur Folge haben kann, die Finanz Wirtschaftslehre in der Beantwortung der ihr gestellten Hauptprobleme ganz empfind- lich zu stören, ohne daß eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, daß viel Wertvolles für die Beantwortung anderer finanzwissenschaft- licher Fragen dabei herauskäme, deren Untersuchung niemals Gegen- stand eines Teiles der Wirtschaftslehre als solcher sein kann", wie das Yleugels1) versucht. Die Finanzwissenschaft erschöpft sich nicht in der Lehre von den Steuerwirkungen, und das in dieser Abhandlung angeschnittene Problem kann nicht als ausreichend behandelt an- gesehen werden, wenn man nur die möglichen Steuertarife auf ihre Wirkungen hin untersucht. Das alles ist freilich nichts anderes als an- gewandte Theorie und läßt keinen Baum für Betrachtungen über die Gerechtigkeit in der Lastenverteilung. Diese letzteren gehören aber auch zur Finanzwissenschaft, sogar im engsten Sinne, und sind metho- dologisch nicht der Wirtschaftstheorie, sondern der Wirtschaftspoli- tik zuzurechnen. Daß es notwendig zu Verwirrungen führen muß, wenn man beide Zweige zu ihrem Becht kommen läßt und jeden unter den ihm eigenen Prinzipien behandelt, vermag ich nicht einzusehen. Ich halte es mit Teschemacher für unmöglich, aus Skepsis gegenüber einem möglichen Mißbrauch das in Frage kommende prak- tische Prinzip innerhalb seines berechtigten Anwendungsgebietes preis- zugeben 2).

Mit dem Nachweis der Notwendigkeit einer außerökonomischen Fundierung des Prinzips der Steuergerechtigkeit sind wir noch nicht am Ende unserer Untersuchung. Wir müssen uns fragen, welche prak- tischen Folgerungen sich ziehen lassen. Mann behauptet 8), daß für das praktische Verhalten kein Fingerzeig zu gewinnen ist, wenn man die Gerechtigkeit nur formal definiert, und daß man sie mit histori- schen Zufälligkeiten verquicken muß, wenn man dieser Bedenklich- keit durch eine materiale Definition zu entgehen sucht. Mir scheint keine dieser Alternativen zu dem Schluß zu zwingen, daß man des- halb die Gerechtigkeit aus der wissenschaftlichen Erörterung ver- bannen müßte. Im Falle einer bloß formalen Definition bliebe immer noch die Möglichkeit, die Erörterung so weit zu fördern, daß nachher

*) A. a. 0. S. 371. s) über den traditionellen Froblemkreis der deutschen Jbinanzwissensctiatt.

Schanz-Festschrift II, S. 437, 1928. *) Schnellere Jahrbuch 60, S. 76, 1926.

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Bas Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteitang. 53

nur die materialen Prinzipien eingefügt zu werden brauchen, um zu konkreten Ergebnissen zu gelangen. Aber auch die spezielle Unter- suchung materialer Prinzipien kann sich durchaus im wissenschaftlichen Eahmen halten. Schon AdolphWagner betonte die Notwendig- keit kasuistischer Behandlung der finanzwissenschaftlichen Probleme.

Wir müssen in der Analyse des angeschnittenen Problems noch einen Schritt weiter gehen. Bis jetzt haben wir uns die Dinge so vor- gestellt, als käme es bei der Frage nach der gerechten Besteuerung lediglich einerseits auf die in der Wirtschaftsgesellschaft gerade ge- gebene Einkommensverteilung an. Das ist zur Herausarbeitung der einen Grundbeziehung, auf die es uns hier ankommt, methodisch zweckmäßig. Es tritt auf diese Weise deutlich hervor, daß die beiden Daten unseres Problems aus zwei verschiedenen Wurzeln stammen. Von einer allgemein befriedigenden Lösung kann aber noch nicht ge- sprochen werden. Die Einkommensverteilung eines Volkes erscheint bei dieser Vereinfachung der Frage als eine starre Eelation, die durch einen willkürlichen, an irgendwelchen abstrakten Idealen orientierten Eingriff verändert werden kann. Dem ist aber nicht so. Die Gesell- schaft ist ein lebendiges Gebilde, das auf den äußeren Eingriff, den die Auferlegung einer Steuer stets darstellt, in eigentümlicher Weise reagiert. Die Glieder dieses Ganzen sind aufeinander abgestimmt. Es besteht, wie es die mathematische Schule ausdrückt, allgemeine Inter- dependenz der ökonomisch relevanten Faktoren. Ändert man einen, so zieht diese Änderung Folgen in den verschiedensten Teilen des Ganzen nach sich. Das Ganze ändert sich, indem jeder einzelne in be- stimmter Weise auf die Änderung seiner Existenzbedingungen reagiert.

Nach zwei Eichtungen wirkt sich unter den gemachten Voraus- setzungen die Steuer aus. Die erste können wir hier kurz abtun, weil sie keine besonderen theoretischen Probleme aufgibt. Die Abspaltung eines Teiles des Volkseinkommens durch die Steuer bewirkt eine Um- schichtung in der Nachfrage, auf die sich der Produktionsapparat der Gesellschaft umstellen muß. Quantitativ können auch diese Ver- schiebungen wesentlich sein. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt kann sich ändern, indem Kauf kraft vom Import auf den Binnenmarkt ab- gelenkt wird oder umgekehrt u. a. m. Da vorausgesetzt wird, daß die Steuer im Interesse des Volksganzen verwendet wird, so läßt sich über diese Folgen nur sagen, daß sie eben wegen dieses Interesses in Kauf genommen werden müssen.

Anders liegen die Verhältnisse bei dem zweiten Punkte. Die Auf-

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

54 Hans Peter

erlegung der Steuer verändert die Existenzbedingungen eines jeden individuellen Haushaltes. Die allgemeine Maxime des Wirtschaften ist, die Bedürfnisse unter günstigster Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Mittel möglichst weitgehend zu befriedigen. „Bedürfnis" ist dabei in seinem weitesten Sinne als all das zu fassen, worin der Handelnde ihm aufgegebene Zwecke erblickt. Keineswegs ist er auf die „egoistischen" Zwecke beschränkt. Wer es als seine Aufgabe oder Pflicht ansieht, von sich aus dem Gemeinwohl freiwillige Opfer zu bringen, befriedigt damit im Sinne der ökonomischen Theorie ein Be- dürfnis. Die Steuer ist dagegen als zwangsmäßig auferlegtes Opfer ein Moment, das in der haushälterischen Überlegung des wirtschaftenden Menschen wie die Kosten der Produktion berücksichtigt wird. (Wo- mit keineswegs angedeutet werden soll, daß sie notwendigerweise un- gern entrichtet werde.)

Wird nun eine bisher nicht bestehende Steuer in die Überlegung des Wirtschaftenden einbezogen, so geschieht das in der Weise, daß nach den Produktionsbedingungen gesucht wird, unter denen die Be- dürfnisbefriedigung wiederum maximal ist. Das ist in einer arbeits- teiligen Wirtschaft, in welcher Produktion und Konsumwirtschaft im allgemeinen getrennt sind, der Fall, wenn die* Produktion möglichst rentabel gestaltet wird. Es kann nun sein, daß man nach Einführung der Steuer bei Einschränkung der Produktion besser fährt, als wenn man deren alten Umfang aufrecht erhält, es kann auch umgekehrt sein. Was der Fall sein wird, hängt einerseits von der allgemeinen Kostengestaltung in jedem einzelnen Erwerbszweige und andererseits von der Gestaltung des Steuertarifes ab.

Ein Urteil über einen bestimmten Steuertarif läßt sich infolge- dessen immer erst fällen, wenn man die Wirkung der Steuer auf das Ganze der Volkswirtschaft betrachtet, und nicht schon dann, wenn man nur das Tarifschema auf die als starr angesehene Einkommens- verteilung anwendet.

Wollen wir uns über den Anpassungsvorgang klar werden, so haben wir von folgender Erwägung auszugehen. Jeder versucht zu- nächst einmal, sich etwaige günstige Folgen der Steuerreform zu er- halten und etwaige ungünstige auf seine Kontrahenten abzuwälzen. Je nach den Nachfrageverhältnissen wird es dabei zu einer Überwäl- zung der Steuer auf die Abnehmer oder auf die Lieferanten kommen. Auf Einzelheiten können wir an dieser Stelle nicht eingehen. Auf alle Fälle sucht sich ein neues Gleichgewicht einzuspielen.

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilnng. 55

Die Hauptfrage, die man sich vorzulegen hat, ist nun die, wie die Steuer auf den Volkswohlstand im ganzen einwirkt. Insbesondere wird man sein Augenmerk darauf zu richten haben, ob die Steuer etwa zu Einschränkungen der Produktion anreizt oder doch die Aus- dehnung hemmt. Eine einheitliche allgemeingültige Antwort dürfte sich für keinen Tarif geben lassen. Wenn man sich nicht in Gemein- plätzen bewegen will, muß man auf die Kasuistik eingehen.

In vielen Fällen wird eine stark progressive Steuer, etwa eine nach der Maxime des kleinsten Opfers gestaffelte, gewiß hemmend auf die Produktion einwirken. Man wird sich kaum bemühen, sein Einkommen zu steigern, wenn der ganze Mehrbetrag dem Fiskus zu- fällt. Man muß aber auch hier an den Gesamtprozeß denken. Einmal kann die Nachfrageumschichtung - von der Notwendigkeit der staat- lichen Aufgaben ganz abgesehen - günstig wirken. Dann aber muß man in Bücksicht ziehen, daß gerade bei diesem Tarif damit gerechnet werden darf, daß er an die Stelle eines früheren tritt, bei welchem die kleinen Einkommen mehr oder weniger stark belastet waren. Die in- folgedessen sich ergebende Stärkung der Kaufkraft breiter Schichten mit geringem Einkommen verändert die Wirtschaftsstruktur sehr wesentlich. Ob man diese Wirkung als günstig ansieht oder nicht, ist an dieser Stelle nicht zu untersuchen. Das Urteil darüber ist aus dem vorausgesetzten praktischen Prinzip abzuleiten.

Auch je nach der Struktur einer Volkswirtschaft sind die Tarife noch verschieden zu beurteilen. Ich kann hier keine breite Kasuistik bringen, sondern muß mich auf die Behandlung der wesentlichsten Typen beschränken. Es kommt bei der Beurteilung eines Tarifes in erster Linie darauf an, ob die Volkswirtschaft, in welcher er zur An- wendung kommen soll, stationär oder fortschreitend ist. Für eine stationäre wird man aus ethischen Gründen bei großer Einkommens- verschiedenheit einen stark progressiven Steuertarif nicht nur für tragbar, sondern für äußerst erwünscht halten. Die Einkommen dienen in diesem Falle - das ist die theoretische Definition einer stationären Wirtschaft - ausschließlich dem Konsum. Auch bei langsamem Ent- wicklungstempo, wenn also die Sparquote im Durcbsohnitt und im einzelnen nicht erheblich ist, dürfte ein progressiver Tarif kaum die Kritik herausfordern. Allerdings liegt hier auch die Gefahr am nächsten, daß die starke Beschneidung der großen Einkommen zu einer Ein* sohränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit führt und eine allgemeine Schrumpfung der Produktion in Erscheinung tritt.

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

56 Hans Peter

Überlegungen dieser Art haben dazu geführt, einen Steuertarif zu empfehlen, der den einmal vorhandenen Gleichgewichtszustand möglichst wenig beeinträchtigt. (Leave them as you find them.) Ge- wonnen ist damit nicht viel. Eine Störung des Gleichgewichtes stellt jede neue Steuer dar. (Damit soll nicht Canards Lob der alten Steuer unterstrichen werden.) Ob etwa eine proportionale Steuer oder eine stark progressive Steuer das Gleichgewicht am wenigsten verändert, läßt sich nicht entscheiden. Dem Prinzip der geringsten Störung würde eine Steuer entsprechen, die in ihrem Gesamtumfange so gering wie

möglich ist. Man käme auf diesem Wege deshalb vom Problem der

gerechten Steuerverteilung zu dem Problem der vernünftigen Steuer- grenze, d. h. zur theoretischen Begrenzung des Steueraufkommens in seiner Gesamtheit. Das aber ist ein Problem, das sich weder auf Grund theoretischer Erwägungen noch auf Grund ethischer Maximen ent- scheiden läßt. Die Gesamthöhe der Steuern hängt einerseits von den besonderen Erfordernissen der Zeit ab, zum andern aber davon, wie- weit der Staat es für erforderlich erachtet, Aufgaben selbst in die Hand zu nehmen, die auch der privaten Initiative überlassen blei- ben könnten. Hier muß sich der Finanzwissenschaftler eine Grenze setzen, wenn er nicht Gefahr laufen will, bei scheinbar objektiver Diskussion der Grundlagen seiner Disziplin die Empfehlung oder

Ablehnung wirtschafts- oder gar allgemeinpolitischer Eeformen einzubeziehen. Die theoretischen und die praktischen Grundlagen der Wirtschaftspolitik dürfen aber nicht miteinander vermengt werden.

Wenn aber auch eine schematische Gleichmacherei keineswegs als gerecht angesehen werden kann, weil die Menschen eben nicht

gleich sind, so scheint doch auf der anderen Seite eine größere Gleich-

mäßigkeit in der Besitzverteilung gefordert zu sein, als sie etwa in der Differenz zwischen Arbeiterlöhnen und Stargehältern oder anders-

artigen großen Einkommen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in Erscheinung tritt, Wollte man nun einen Steuertarif anwenden, der die ursprünglich gegebene kapitalistische Einkommensverteilung auf ein gerechtes Maß korrigiert, so würden die großen Einkommen in einem Maße beschnitten werden, wie das kaum jemals durch einen

progressiven Steuertarif geschehen ist. Das aber bedeutet eine außer- ordentliche Hemmung des wirtschaftlichen Fortschrittes, da diese Einkommen eine wesentliche Grundlage der Spartätigkeit des Volkes sind. Man wird sich fragen müssen, ob es wirklich eine unumstößliche

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung. 57

Folgerung aus dem Gerechtigkeitspostulat sein kann, durch eine über- mäßig progressive Steuer den Fortschritt zu hemmen.

Nun ist in der Tat bei der Formulierung des Gerechtigkeitspostu- lates in der Eegel nur an die Konsumeinkommen gedacht, oder es ist unterstellt, daß die Bezieher verschieden hoher Einkommen hinsicht- lich ihres Beitrages zur Neubildung von Vermögen im wesentlichen als gleich wichtig angesehen werden können. Für die stationäre Wirt- schaft kann man sich allerdings mit einem Prinzip begnügen, das nur die Verteilung des Konsumeinkommens regelt. Für eine langsam fort- schreitende Wirtschaft mag die Unterstellung berechtigt sein, daß alle Einkommensgrößen in gleichem Maße zur Vermögensbildung bei- tragen. Im allgemeinen wird man das aber für die fortschreitende Wirtschaft nicht annehmen können.

Um das modifizierte Prinzip möglichst klar herauszuarbeiten, wollen wir uns die fortschreitende kapitalistische Wirtschaft in weit- gehend idealisierter Form vorstellen. Wir nehmen an, daß die Spar- quote ganz wesentlich von der Höhe des Einkommens abhängt, so daß also von den größeren und größten Einkommen der bedeutendste Teil zur Kapitalneubildung verwendet wird. Sinngemäß kann man das Gerechtigkeitspostulat nunmehr unmittelbar nur auf denjenigen Teil der Einkommen anwenden, der wirklich konsumiert wird. Die der Ersparnis dienenden Teile wären zu schonen, weil sie gar nicht un- mittelbar dem Einkommensbezieher zur Bedürfnisbefriedigung dienen. Sie tragen vielmehr wesentlich dazu bei, die durchschnittliche Be- dürfnisbefriedigung der Gesamtheit zu steigern. Es ließe sich also sehr wohl rechtfertigen, wenn man durch den Steuertarif die gegebene Einkommensverteilung im wesentlichen bestehen läßt und die Be- schränkung der faktischen Konsumeinkommen der Spartätigkeit über- läßt. Es darf auch hier nicht heißen: Fiat iustitia, pereat mundus. Man darf dieses Argument, das gegen eine übermäßige Steilheit des progressiven Tarifes spricht, nun nicht gleich überschätzen und etwa mit ihm den progressiven Tarif überhaupt ablehnen wollen. So ideal ist die wirkliche kapitalistische Wirtschaft denn doch wieder nicht.

Im Bereiche der reinen Finanzwissenschaft haben wir noch eine besondere Problemstellung unbeachtet gelassen. Indem man die Finanzwissenschaft enger auffaßt, in ihr nicht so sehr die Lehre von der Staatswirtschaft als vielmehr nur die Lehre von den Einnahmen und Ausgaben des Staates sieht, engt sich das hier behandelte Pro- Wein auf die Frage nach der sog. Steuergerechtigkeit ein. Es wird

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

58 Hans Peter

nicht danach gefragt, wie die Staatswirtschaft als Ganzes gerecht ge- ordnet werden kann, sondern nor, wie bei beliebig gegebenen Verhält- nissen die steuerliche Belastung der einzelnen gerecht gestaltet wer- den können. Nun sind freilich auch alle bisher besprochenen Auflagen- verteilungen eine Antwort auf diese Frage. Aber diese Antworten sind unter Berücksichtigung der Gesamtinstitution, des Ganzen der Volkswirtschaft überhaupt gegeben. Das ist meines Erachtens nicht nur berechtigt, sondern sogar der einzig mögliche Weg der Lösung unseres Problems. Ich möchte aber nicht versäumen, auch die im Be- reiche des engeren Gebietes versuchte Antwort einer näheren Kritik zu unterziehen.

Wü: haben uns also, wenn wir unsere bisherigen Voraussetzungen beibehalten, eine beliebige Einkommensverteilung vorzustellen und anzunehmen, daß ein bestimmter Staatsbedarf aufgebracht werden muß. Wir fragen, in welcher Weise diese Last den einzelnen, ver- schieden starken Schultern gerechterweise aufzuerlegen ist. Als Lösung stehen nach heutigem Rechtsempfinden nur solche Tarife in engerer Wahl, die mindestens nicht regressiv sind. Wir wollen einen Tarif be- trachten, der die Begründung der Steuerpflicht an eine Mindest-

einkommensgrenze knüpft und für alle diese Freigrenze überschreiten- den Einkommen eine progressive Besteuerung vorsieht. Überdies sei die Steuer nach sozialen Gesichtspunkten abgestuft.

Man kann nun geltend machen, daß eine solche Besteuerungsart nicht nur einer regressiven Steuer und einer Kopfsteuer, sondern auch einer proportionalen Steuer vorzuziehen ist. Welcher Grad von Pro-

gression aber in irgendeiner Weise vor andern ausgezeichnet ist, läßt sich schwer sagen. Eine Freigrenze muß es zweifellos geben; denn es wäre sinnlos, von Einkommen, die als unzureichend angesehen wer- den müssen, erst eine Steuer einzuziehen, um sie nachher wieder als

Wohlfahrtszuwendung zurückzugeben. Man kann andererseits für eine sehr niedrige Freigrenze sein, um auch dem Armen das Bewußtsein zu geben, an seinem Teile für das Staatsganze verantwortlich zu sein. Daß dann der Steuersatz für niedrige Einkommen klein sein muß, leuchtet auch ein. Vom Gesichtspunkte der Praxis ist noch zu be- achten, daß die Einziehung von Steuerbeträgen sinnlos ist, die so

niedrig sind, daß sie die Erhebungskosten nicht einbringen. Über die absolute Höhe der Steuersätze läßt sich nichts Grundsätzliches aus-

sagen. Sie hängt wesentlich von dem Gesamtumfang des Staatsbe- darfes ab. Ist dieser sehr groß, so wird sich kaum vermeiden lassen,

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions

Das Problem der Gerechtigkeit und die Theorie der Steuerverteilung. 59

auch die kleinen Einkommen schon ziemlich stark heranzuziehen, da bei der gewöhnlichen Einkommensstaffelung die Zahl der kleinen Ein- kommen relativ sehr bedeutend ist. Wie schnell und wie hoch nun der Steuerfuß steigen soll, läßt sich auch schlechterdings nicht aus- machen. Denn die Zugrundelegung irgendwelcher praktischer Maxi- men würde immer wieder zur Eechtfertigung von Tarifen führen, die die Einkommensverteilung korrigieren. Und dieses Problem haben wir an dieser Stelle gerade ausgeschaltet. Wir sind heute weit entfernt, einen progressiven Tarif als graduated robbery zu bezeichnen, wie es noch Mill tat. Die Gründe, die gegen eine stark progressive Steuer ins Feld geführt werden, sind denn auch in erster Linie Zweckmäßig- keitserwägungen. Man fürchtet Steuerhinterziehung, Kapitalflucht und Minderung der Spartätigkeit. Von Gerechtigkeit ist in diesem Zu- sammenhang wenig die Bede.

Die Schonung der großen Einkommen ließe sich auch nur recht- fertigen, wenn man einerseits annehmen wollte, daß sie ausschließ- lich der überragenden Tüchtigkeit der Bezieher verdankt werden - was in gewissen Fällen besonders großer individueller Qualifikation vorkommen kann - und wenn man sich auf einen rein individualisti- schen Standpunkt stellen und die Verpflichtung nicht anerkennen wollte, die sich aus der Verbundenheit der Volksgenossen ergibt.

Es lassen sich also, wenn man die Einkommensverteilung als ge- geben hinnimmt, einige Gründe für die progressive Besteuerung finden, aber die eindeutige Deduzierung einer bestimmten Progression aus irgendeinem praktischen Prinzip oder dem Gerechtigkeitspostulat ge- lingt nicht. Diese Unmöglichkeit mag mit den Grund für die allge- meine Ablehnung des Gerechtigkeitspostulates in der Finanzwissen- schaft abgegeben haben.

Aber das ist nur eine Flucht vor der Entscheidung. Die Lösung des angeschnittenen Problems bleibt nicht offen, weil im Gerechtig- keitspostulat ein heterogenes Moment in die Erörterung hineingetragen würde, sondern sie bleibt unmöglich, weil die Fragestellung als solche einen inneren Widerspruch enthält. Man kann nicht zugleich eine gerechte Besteuerung verlangen und die zufällige Einkommensver- teilung im wesentlichen unberührt lassen wollen. Dieser Fehler dürfte seine zureichende soziologische Ursache haben. Er stammt aus einer Zeit, in welcher das Eigentum in jeder Form noch fast ausschließlich als ein Becht und weniger als eine Verpflichtung gegenüber der All- gemeinheit empfunden wurde.

This content downloaded from 185.44.77.128 on Sun, 15 Jun 2014 03:27:28 AMAll use subject to JSTOR Terms and Conditions