Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren

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Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren Ermittlungsverfahren Von Privatdozent Dr. Marco Mansdörfer , Freiburg i. Br./Saarbrücken I. Das moderne Ermittlungsverfahren im Spannungsfeld von Medienöffentlichkeit und Persönlichkeitsrechten Strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Politiker, Wirtschaftsgrößen und an- dere Prominente werden fast immer öffentlich bekannt 1 . Spektakuläre Strafver- fahren sichern den Medien so hohe Auflagen, dass für Exklusivinformationen sechsstellige Summen bezahlt werden 2 . Die Öffentlichkeit bildet sich dann auf- grund dieser Darstellungen den für das Image des Betroffenen entscheidenden ersten Eindruck über das Geschehen. Der Beschuldigte wird dadurch fast zwangsläufig in eine Verteidigungsposition gedrängt und in seinem öffentlichen Ansehen oft erheblich geschädigt 3 . Rechtstatsächlich gehen die Ermittlungsbehörden – und insbesondere auch die Polizei – mit solchen Informationen eher nachlässig um. Verstöße gegen den Vorbehalt des Gesetzes, gegen wesentliche Bestimmungen des Datenschutzes, die Missachtung von Beteiligungsrechten des Beschuldigten oder das Unterlassen notwendiger Maßnahmen zu dessen Schutz 4 , werden seitens der Ermittlungs- behörden als bloße Fragen guten Stils eingestuft 5 . Gerade bei „veröffentlichten Strafverfahren“ 6 muss der Beschuldigte als Subjekt des Verfahrens deshalb auch aktiv auf das veröffentlichte Verfahren einwirken 7 oder zumindest seinen per- 1 Ebenso die Einschätzung von Schaefer , NJW 2003, 2210, 2210; Kühne, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2010, Rdn. 104.2; prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit schildern Lehr , NStZ 2009, 409, 410, und Trüg, NJW 2011, 1044. 2 Zu ökonomischen Einflüssen auf die Qualität der Presseberichterstattung und zu im Einzelfall gezahlten Summen aus der Sicht eines Medienvertreters Wagner , Strafprozeßführung über Medien, 1987, S. 18 f., 97 ff.; Tillmanns, ZRP 1999, 339, 339 ff., nennt Forderungen bis zu einer Million DM und bezahlte Summen bis zu 250.000 DM. Das Opferanspruchsicherungsgesetz (OASG, dazu ausführlich Kläver , JR 2004, 177), das dem Opfer ein gesetzliches Pfandrecht an den Forderungen aus Vermarktungsverträgen des Täters sichert und deshalb die Vermarktung der Tat durch den Täter zurückdrängen könnte, ist in der Praxis bislang weitgehend unbe- achtet geblieben (vgl. etwa Cymutta, ZRP 2008, 67; Kläver , JR 2004, 177). 3 Lindner , StV 2008, 210; Neuling, Inquisition durch Information, 2004; Weiler , StraFo 2003, 186. 4 Deutlich zur Rechtserheblichkeit solcher Versäumnisse auch Schroers, NJW 1996, 969, 970. 5 Selbstkritisch insoweit Schaefer , NJW 2003, 2210, 2211, sowie Schroers, NJW 1996, 969, 970 f., die freilich innerhalb der Staatsanwaltschaft insofern eine Sonderstellung einnehmen, als beide maßgeblich an der Entwicklung der „Richtlinien für die Zusammenarbeit der hessischen Staatsanwaltschaften mit den Medien“ beteiligt waren vgl. NJW 1996, 979, 979. 6 Marxen, JZ 2000, 294, 295 f., versteht ein solches „veröffentlichtes Strafverfahren“ als neuen Verfahrenstyp sui generis. 7 Zu den notwendigen (in der Praxis freilich sehr selten anzutreffenden) Rahmenbedingungen, damit sich Medienöffentlichkeit positiv für den Beschuldigten auswirken kann, siehe aus der ZStW 123 (2011) Heft 3 Brought to you by | Memorial University of Newfoundland Authenticated | 134.153.184.170 Download Date | 6/7/14 10:41 PM

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Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung imDas Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung imErmittlungsverfahrenErmittlungsverfahren

Von Privatdozent Dr. Marco Mansdörfer, Freiburg i. Br./Saarbrücken

I. Das moderne Ermittlungsverfahren im Spannungsfeld vonMedienöffentlichkeit und Persönlichkeitsrechten

Strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Politiker, Wirtschaftsgrößen und an-dere Prominente werden fast immer öffentlich bekannt1. Spektakuläre Strafver-fahren sichern den Medien so hohe Auflagen, dass für Exklusivinformationensechsstellige Summen bezahlt werden2. Die Öffentlichkeit bildet sich dann auf-grund dieser Darstellungen den für das Image des Betroffenen entscheidendenersten Eindruck über das Geschehen. Der Beschuldigte wird dadurch fastzwangsläufig in eine Verteidigungsposition gedrängt und in seinem öffentlichenAnsehen oft erheblich geschädigt3.

Rechtstatsächlich gehen die Ermittlungsbehörden – und insbesondere auchdie Polizei – mit solchen Informationen eher nachlässig um. Verstöße gegen denVorbehalt des Gesetzes, gegen wesentliche Bestimmungen des Datenschutzes,die Missachtung von Beteiligungsrechten des Beschuldigten oder das Unterlassennotwendiger Maßnahmen zu dessen Schutz4, werden seitens der Ermittlungs-behörden als bloße Fragen guten Stils eingestuft5. Gerade bei „veröffentlichtenStrafverfahren“6 muss der Beschuldigte als Subjekt des Verfahrens deshalb auchaktiv auf das veröffentlichte Verfahren einwirken7 oder zumindest seinen per-

1 Ebenso die Einschätzung von Schaefer, NJW 2003, 2210, 2210; Kühne, Strafprozessrecht,8. Aufl. 2010, Rdn. 104.2; prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit schildern Lehr,NStZ 2009, 409, 410, und Trüg, NJW 2011, 1044.

2 Zu ökonomischen Einflüssen auf die Qualität der Presseberichterstattung und zu im Einzelfallgezahlten Summen aus der Sicht eines Medienvertreters Wagner, Strafprozeßführung überMedien, 1987, S. 18 f., 97 ff.; Tillmanns, ZRP 1999, 339, 339 ff., nennt Forderungen bis zu einerMillion DM und bezahlte Summen bis zu 250.000 DM. Das Opferanspruchsicherungsgesetz(OASG, dazu ausführlich Kläver, JR 2004, 177), das dem Opfer ein gesetzliches Pfandrecht anden Forderungen aus Vermarktungsverträgen des Täters sichert und deshalb die Vermarktungder Tat durch den Täter zurückdrängen könnte, ist in der Praxis bislang weitgehend unbe-achtet geblieben (vgl. etwa Cymutta, ZRP 2008, 67; Kläver, JR 2004, 177).

3 Lindner, StV 2008, 210; Neuling, Inquisition durch Information, 2004; Weiler, StraFo 2003,186.

4 Deutlich zur Rechtserheblichkeit solcher Versäumnisse auch Schroers, NJW 1996, 969, 970.5 Selbstkritisch insoweit Schaefer, NJW 2003, 2210, 2211, sowie Schroers, NJW 1996, 969, 970 f.,

die freilich innerhalb der Staatsanwaltschaft insofern eine Sonderstellung einnehmen, als beidemaßgeblich an der Entwicklung der „Richtlinien für die Zusammenarbeit der hessischenStaatsanwaltschaften mit den Medien“ beteiligt waren vgl. NJW 1996, 979, 979.

6 Marxen, JZ 2000, 294, 295 f., versteht ein solches „veröffentlichtes Strafverfahren“ als neuenVerfahrenstyp sui generis.

7 Zu den notwendigen (in der Praxis freilich sehr selten anzutreffenden) Rahmenbedingungen,damit sich Medienöffentlichkeit positiv für den Beschuldigten auswirken kann, siehe aus der

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sönlichen Achtungsanspruch wahren können8. Das Instrumentarium dazu grün-det nicht nur in Vorschriften des Presserechts und der Rechtsprechung zur Ver-dachtsberichterstattung9, sondern in einem subjektiv-öffentlichen Recht des Be-schuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren. Dieses Recht erweistsich de lege lata als derart voraussetzungsvoll, dass eine in der Literatur gefor-derte positive Normierung eines solchen Rechts in der Strafprozessordnung oderim Gerichtsverfassungsgesetz nicht notwendig erscheint10.

II. Das Recht auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren

Grundlage des Rechts auf Selbstdarstellung des Beschuldigten im Ermittlungs-verfahren ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die eigenständige Gewährleis-tung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat das Bundesverfassungsgerichtspätestens im ersten Lebach-Urteil aus dem Jahr 1973 aus der Zusammenschauvon Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG entwickelt11. Der Verweis auf Art. 1Abs. 1 GG verdeutlicht den unmittelbaren Bezug des allgemeinen Persönlich-keitsrechts zur Menschenwürde. Im Ermittlungsverfahren steht die Achtung desallgemeinen Persönlichkeitsrechts daher in einer Reihe mit anderen in der Men-schenwürde wurzelnden Prinzipien, wie insbesondere der Unschuldsvermutungund dem Recht auf ein faires Verfahren12.

1. Die verfassungsrechtliche Verankerung des Rechts auf Selbstdarstellung undderen Konsequenzen für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verbürgt all denjenigen Elementen der Per-sönlichkeit verfassungsrechtlichen Schutz, die nicht schon Gegenstand der beson-deren Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer persönlich-

Sicht eines die Einbeziehung der Medien nicht grundsätzlich ablehnenden StrafverteidigersHamm, Große Strafprozesse und die Macht der Medien, 1997, S. 75 ff.

8 Siehe zur hier zu berücksichtigenden Subjektstellung des Einzelnen nur BVerfGE 5, 85, 204 ff.;6, 32, 36 ff.; 7, 198, 205; 57, 250, 275.

9 Zu diesem Ansatz stellvertretend Lehr, NStZ 2009, 409, 410 oder Hohmann, NJW 2009, 881,881 ff.

10 Zu entsprechenden Vorschlägen in der Literatur siehe Lehr, NStZ 2009, 409, 411 m. w. N.11 BVerfGE 35, 202, 219 ff.12 Zur Ableitung des Gebots des fairen Verfahrens (auch) aus Art. 1 Abs. 1 GG stellvertretend

BVerfGE 57, 250, 275 und NJW 1981, 1943, 1947; Beulke, Strafprozessrecht, 11. Aufl. 2010,Rdn. 28; vgl. etwa LG Düsseldorf NJW 2003, 2536, 2538, wonach „durch die Nichtbeachtungder Grundsätze des fairen Verfahrens auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt wer-den kann“. Näher liegt es freilich, direkt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts durch die Missachtung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgender verfahrens-rechtlicher Vorgaben anzunehmen. Speziell zur Bedeutung der Unschuldsvermutung indiesem Zusammenhang Marxen, GA 1980, 365, 372 f. und Bornkamm, NStZ 1983, 102, 104,die Unschuldsvermutung ausdrücklich als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts bzw. der Menschenwürde verstehen. Zur Begründung der Unschuldsvermutung mitder Menschenwürde in ihrer historischen Entwicklung siehe nur Hruschka, ZStW 112 (2000),S. 285, 285 ff.

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keitskonstituierenden Bedeutung in nichts nachstehen. Es hat damit eine Lückenschließende Funktion und wurde vom Bundesverfassungsgericht schrittweisekonkretisiert. Heute gehören zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach gesi-cherter Rechtsprechung die Rechte auf Selbstbestimmung13, Selbstbewahrung14

und insbesondere das Recht auf Selbstdarstellung15. Im Hinblick auf die Entwick-lung der Gesellschaft zu einer Informations- und Mediengesellschaft und die mitihr verbundenen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit wurden Rechtegeschaffen,die denWert und dieWürde der Person,die in freier Selbstbestimmungals Glied der Gesellschaft wirkt, in den Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ord-nung stellen16. Der Ableitungszusammenhang aus der Menschenwürde ist ver-fassungssystematisch insofern von Bedeutung, als Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG denStaat sowohl zur Achtung als auch zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet.Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ist eine der wenigen Stellen des Grundgesetzes, an denendie staatliche Gewalt ausdrücklich zum Tätigwerden aufgefordert wird. Auch dieStrafverfolgungsbehörden können daher zu speziellen Handlungen verpflichtetwerden. Zwar steht die Gestaltung des Ermittlungsverfahrens gem. § 161 StPOgrundsätzlich im Ermessen der Staatsanwaltschaft17; sie ist dabei aber nicht vongesetzlichen Bindungen und Regelungen freigestellt18. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG schränkt den staatsanwaltschaftlichen Spielraum ge-rade dort ein, wo in besonderem Maß die Würde und der daraus folgende all-gemeine Achtungsanspruch des Beschuldigten betroffen sind19.

2. Inhalt des Rechts auf Selbstdarstellung

Das Recht auf Selbstdarstellung beinhaltet ein über den grundrechtlichen Schutzdes persönlichen Achtungsanspruchs hinausgehendes individuelles Selbstbestim-

13 Siehe dazu näher BVerfGE 35, 202, 219 ff. (Resozialisierung); 65, 1, 41 ff. (informationelleSelbstbestimmung); 72, 155, 170 f.; 90, 263, 270 f.; 96, 56, 61; BVerfG NJW 2000, 1859, 1860(Lebach II).

14 Dazu stellvertretend BVerfGE 80, 367, 373 (Tagebuchaufzeichnung); 101, 361, 380 ff.; zumRecht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Beweiserhebung und in der Hauptver-handlung Riepl, Informationelle Selbstbestimmung im Strafverfahren, 1998, 3. und 4. Ab-schnitt.

15 Zum darin enthaltenen Ehrschutz BVerfGE 54, 208, 217 f.; zum Recht auf das eigene BildBVerfGE 35, 202, 219 ff.; zum Recht auf Gegendarstellung bzw. Berichtigung BVerfGE 63,131, 142 f. bzw. 97, 125, 146; grundsätzlich zu diesen speziellen Ausformungen des allgemei-nen Persönlichkeitsrechts Pieroth/Schlink, Grundrechte – Staatsrecht II, 27. Aufl. 2011,Rdn. 397 ff.

16 BVerfGE 65, 1, 41. Siehe in diesem Zusammenhang insbesondere auch Luhmann, Grund-rechte als Institution, 1965, S. 61, der die grundrechtliche Menschenwürde gerade auch als„Bedingung gelingender Selbstdarstellung eines Menschen als individueller Persönlichkeit“definiert und als Resultat erfolgreicher Identitätsbildung versteht.

17 Näher zur Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ BVerfG NStZ 1996, 45,45 f.; Beulke (Anm. 12), Rdn. 312; Wohlers, in: Systematischer Kommentar StPO, 27. Lfg.2002, § 160 Rdn. 43 ff.

18 Siehe dazu nur Nelles, StV 1986, 74, 77.19 Siehe explizit für den Bereich des Strafvollzugs BVerfG NJW 1993, 3190, 3190; OLG Hamm

MDR 1967, 1024, 1024 f.

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mungsrecht über die Öffentlichkeit der eigenen Person20. Wegen des Bezugs zurMenschenwürde ist das Recht auf Selbstdarstellung in besonderem Maß zeit- undsituationsabhängig21 und es steht damit in einem engen Bezug zum zivilisatori-schen und kulturellen Gesamtzustand einer Gesellschaft22. Es ist vor allem dannverletzt, wenn der Wert, der dem Menschen aufgrund seines Personseins zu-kommt, missachtet wird23. Gegenwärtig lässt sich der Inhalt des Rechts aufSelbstdarstellung vor allem in drei Richtungen näher konkretisieren:

a) Der grundsätzliche Schutz vor herabsetzenden, verfälschenden undentstellenden Darstellungen und das Recht auf Darstellung der eigenenSicht der Vorwürfe

Das Recht auf Selbstdarstellung schützt den Einzelnen zunächst vor herabset-zenden, verfälschenden, entstellenden und insbesondere auch unerbetenen öf-fentlichen Darstellungen. Der Einzelne soll selbst entscheiden können, wann undinnerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden24.Das gilt auch in Bezug auf von dieser Person möglicherweise begangene Straf-taten25.

Dem Beschuldigten wird im Stadium des Ermittlungsverfahrens regelmäßigam besten gedient sein, wenn er zu den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfenzunächst schweigt. Auch der tatsächlich Unschuldige kann sich schließlich erstdann sinnvoll verteidigen, wenn er hinreichend klar erkennt, welches Geschehenihm konkret zur Last gelegt wird, auf welche Tatsachen die Staatsanwaltschaftihren Verdacht stützt und wie er sich am besten auf die Sache einlassen sollte. DerSchutz vor Selbstbezichtigungen im Strafverfahren betrifft freilich nicht nur dasStaat-Bürger-Verhältnis. Die Grundrechte strahlen auch auf das privatrechtlicheVerhältnis zwischen Medien und Beschuldigtem aus, bilden insofern eine objek-tive Wertordnung, die den Beschuldigten auch vor Übergriffen der Medienschützen soll.

Entscheidet sich der Beschuldigte, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfenöffentlich Stellung zu nehmen, so ist er grundsätzlich an keinerlei Vorgabengebunden. Er kann sich sowohl zur Sache selbst aus seiner Sicht, ganz oder teil-

20 Siehe dazu stellvertretend Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 39. Lfg.2001, Art. 2 Abs. 1 Rdn. 166.

21 BVerfGE 30, 1, 25 (Abhör-Entscheidung).22 Weitergehend zur Menschenwürde als Wert Vitzthum, JZ 1985, 201, 205 f. Konkret ist eine

Gefährdung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine übermäßige Pressearbeit zu-nehmend in den letzten gut 20 Jahren zu beobachten; siehe zur Entwicklung der Pressearbeitder Staatsanwaltschaft in dieser Zeit Schroers NJW 1996, 969, 969.

23 BVerfGE 30, 1, 26; dazu speziell für den Bereich des Strafrechts Vitzthum, JZ 1985, 201, 204m. w. N.; für den Strafvollzug explizit etwa OLG Hamm MDR 1967, 1024, 1024 f.

24 BVerfGE 65, 1, 42.25 BVerfGE 56, 37, 41 ff.; Di Fabio (Anm. 20), Rdn. 169 spricht von einer „Intensivierung des

Selbstdarstellungsschutzes bei Angriffen auf die persönliche Ehre und den sozialen Geltungs-anspruch“.

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weise, parteiisch und ohne jede Verpflichtung zur Objektivität und zu einerintersubjektiv vermittelbaren Wahrheit äußern, als auch die Tat öffentlich, pau-schal und ohne nähere Begründung bestreiten. Der Beschuldigte kann sich seinenGesprächspartner ebenso frei wählen wie die Art des Mediums. So kann er zumBeispiel Exklusivverträge mit einzelnen Medienvertretern schließen26 oder nureinzelne Medienvertreter auswählen, von denen er eine Berichterstattung erwar-tet, die in seinem Interesse liegt27. Ebenso steht es ihm frei, den Zeitpunkt seinerÄußerung selbst zu bestimmen. Es ist daher grundsätzlich nicht zulässig, einemUntersuchungsgefangenen Kontakte zu einem Journalisten nur zu erlauben,wenn sich der Journalist verpflichtet, die Äußerungen des Beschuldigten erstnach der Hauptverhandlung zu veröffentlichen28. Eine solche Auflage beinhaltetregelmäßig einen Verstoß gegen das auch im Ermittlungsverfahren grundsätzlichzu beachtende Gebot der Waffengleichheit29.

Das Recht auf aktive Selbstdarstellung gewährleistet außerdem die notwen-digen Voraussetzungen zur Ausübung dieses Rechts. Dazu gehört zunächst einadäquater Zugang zu den Medien, um sich über sein öffentliches Ansehen zuinformieren und sich gegebenenfalls selbst äußern zu können. Der Beschuldigtehat daher das Recht, Vertreter der Presse auch dann zu empfangen, wenn er sichbereits in Untersuchungshaft befindet. Die fernmündliche Äußerung gegenübereinem Journalisten, der Empfang eines Vertreters der schreibenden Presse30 undsogar ein Fernsehinterview aus der U-Haft heraus31 wird vom Recht auf Selbst-darstellung ebenfalls erfasst. Anderes gilt nur, wenn einem solchen Interviewgerade die Gründe entgegenstehen, aus denen die Untersuchungshaft angeordnetwurde32. So kann ein Fernsehinterview etwa dann verboten werden, wenn kon-krete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte die Situation aus-nutzt, um durch Dritte Beweismittel beseitigen zu lassen (Verdunkelungsgefahr)

26 Dazu Tillmanns, ZRP 1999, 339, 340 ff.27 Zu einer groben Kategorisierung verschiedener Medien siehe beispielhaft Wagner (Anm. 2),

S. 98 ff.28 So aber etwa eine Auflage des LG Berlin Beschluss vom 6. 2. 1996 536-7/95 (teilweise wie-

dergegeben bei Geisler ZStW 111 [1999], S. 212, 218 f.).29 Zur (eingeschränkten) Geltung des Gebots der Waffengleichheit im Ermittlungsverfahren

Beulke (Anm. 12), Rdn. 148; Safferling, NStZ 2004, 181, 184 f.; EGMR NJW 2000, 2883, 2885(Nivolova); 2001, 51, 52 (Aquilina).

30 Zum Empfang eines Vertreters der schreibenden Presse in der Untersuchungshaft siehe etwaOLG Düsseldorf NStZ 1996, 354, 354.

31 Das erste Fernsehinterview eines Untersuchungsgefangenen aus der Haft gab im März 1984der Fälscher der sog. Hitler-Tagebücher Konrad Kujau dem Journalisten Stefan Aust imRahmen der NDR-Sendung „Panorama“, näher dazu und zu der damit verfolgten Verteidi-gungsstrategie Wagner (Anm. 2), S. 11 f. Ein solches Recht grundsätzlich bejahend BVerfGNStZ 1995, 566, 567; dazu kritisch aus staatsanwaltschaftlicher Perspektive Nehm, NStZ 1997,305, 310 ff.; BGH NStZ 1998, 205; Marxen, JZ 2000, 294, 294.

32 Allgemein zu dieser Problematik Meyer-Goßner, 54. Aufl. 2011, § 119 Rdn. 13 m. w. N. sowieausführlich Geisler ZStW 111 (1999), S. 212, 216 ff. und aus der Sicht der Staatsanwaltschaft füreine stärkere Restriktion der Beschuldigtenrechte Nehm, NStZ 1997, 305, 310 ff.

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oder um seine Flucht zu organisieren (Fluchtgefahr)33. Vor einem absolutenVerbot solcher Handlungen, ist stets zu prüfen, ob den konkreten Gefahren nichtdurch eine andere, die Rechte des Beschuldigten weniger einschränkende Maß-nahmen begegnet werden kann34. Ein bloßer Verweis auf die durch solch einInterview gestörte Anstaltsordnung genügt regelmäßig nicht, um dem Beschul-digten den Gebrauch seines Rechts auf Selbstdarstellung zu versagen35.

Das Recht auf Selbstdarstellung berechtigt andererseits nicht zu Äußerungen,die ihrerseits eine Straftat darstellen, also etwa Dritte in ihrem verdienten Ehr-anspruch verletzen oder in eine Werbung für kriminelle oder terroristische Ver-einigungen münden. Versteht man das Recht auf Selbstdarstellung zumindestauch als Ausfluss der verfassungsrechtlich verbürgten Menschenwürde und alsAchtungsanspruch in einer konkreten Gesellschaft, so kann dieser Achtungs-anspruch nur im Rahmen der für die gesellschaftliche Ordnung wesentlichenVerhaltensvorgaben eingefordert werden. Verstöße gegen Strafgesetze indizierenaber meist einen Verstoß gegen diese Verhaltensvorgaben.

b) Die besondere Bedeutung des ergänzenden Schutzes durch das Recht ameigenen Bild

In Ergänzung zum Schutz vor verfälschenden oder einseitigen Darstellungengewährleistet das Recht am eigenen Bild dem Einzelnen, selbst darüber zu ent-scheiden, ob und unter welchen Umständen Photographien und Aufzeichnungenseiner Person verwendet werden dürfen36. In Ermittlungsverfahren sind solcheÜbergriffe in das Selbstdarstellungsrecht des Beschuldigten in den letzten Jahrenimmer häufiger bei unangemeldeten Durchsuchungen und überraschenden Zu-griffen auf die Person selbst zu beobachten. Typisch sind etwa Filmsequenzen, indenen der Beschuldigte allein oder zusammen mit Familienmitgliedern – dieHände vor dem Gesicht – die Wohnung verlässt und zu einer Vernehmung ver-bracht wird. Der Einzelne wird damit in einer absoluten Extremsituation miteiner verkrampften Körperhaltung und entstellter Mimik und Gestik gezeigt.Oftmals wird der Beschuldigte auch schlicht in Form eines ihm äußerst unvor-teilhaften Portraitphotos gezeigt. Die Aufzeichnung und Veröffentlichung sol-cher Bilder wird dem Willen des Beschuldigten regelmäßig widersprechen.

In besonderem Maß gilt dies in Situationen, in denen dem Beschuldigten dergegen ihn erhobene Vorwurf überhaupt noch nicht in vollem Umfang eröffnetwurde, so dass ihm eine angemessene Selbstdarstellung noch insgesamt unmög-

33 Zum Erfordernis von konkreten Anhaltspunkten für ein solches Vorgehen BVerfG NStZ1995, 566, 567 (Leeson).

34 Zu möglicherweise eine Erlaubnis zu einem Fernsehinterview flankierenden Auflagen siehebeispielhaft LG Berlin Beschluss vom 6. 2. 1996 536-7/95 (teilweise wiedergegeben bei GeislerZStW 111 [1999], S. 212, 218 f.).

35 Ebenso BVerfG NStZ 1995, 566, 567; im Einzelnen zu weitgehend auch Nehm, NStZ 1997,305, 309 f., der das Selbstdarstellungsrecht des Beschuldigten fälschlicherweise bei der all-gemeinen Handlungsfreiheit verortet (S. 309).

36 BVerfGE 101, 361, 381.

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lich ist. Angesprochen sind damit insbesondere frühe Phasen eines Ermittlungs-verfahrens. § 152 StPO erlaubt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens be-reits, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen,wenn also nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eineverfolgbare Straftat vorliegt37. Bloße Vermutungen der Staatsanwaltschaft genü-gen hierfür zwar noch nicht38; jedoch reicht es aus, wenn schon entfernte Indi-zien auf die Begehung einer Straftat hindeuten39. In solchen Situationen wird nurausnahmsweise ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an einer Identifizie-rung der Person des Verdächtigen bestehen.

Dem Recht am eigenen Bild kommt im Strafverfahren im Hinblick auf dieöffentliche Vorverurteilung aber auch mit Rücksicht auf das weitere Verfahrennoch eine spezielle Bedeutung zu: Bilder beeinflussen die Meinungsbildung inder Öffentlichkeit in besonderem Maße. Unvorteilhafte Aufnahmen können denEindruck „des Bösen“, des „Kriminellen“ oder einfach des „Unsympathischen“,„Unappetitlichen“ oder „Schmutzigen“ verstärken. Sie können das Bild von derTat auch gänzlich verfälschen, indem sie ein Bild des Beschuldigten wiedergeben,das dem Bild des Täters zum maßgeblichen Zeitpunkt – zum Beispiel in seineraktuellen Statur oder im Alter – nicht entspricht. Veröffentlichte Bilder könnendie Rechte des Beschuldigten aber selbst noch im Stadium der Hauptverhandlungverletzen, wenn etwa die Erinnerung von Zeugen manipuliert wird und an dieeigentliche Erinnerung an die Tat unbewusst die Erinnerung an veröffentlichteBilder tritt40.

c) Selbstdarstellungsrecht auch als Recht auf „Freiheit von Öffentlichkeit“

Aus dem bisher Gesagten ist nicht zu folgern, dass Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1Abs. 1 GG dem Beschuldigten ein allgemeines Verfügungsrecht über die Dar-stellung der eigenen Person gewährleisten würde41. Ein solches Recht wird demEinzelnen gerade nicht zugebilligt. Der Einzelne soll das von ihm gezeichneteBild also nicht verzeichnen oder instrumentalisieren können. Geschützt ist nurder soziale Achtungs- und Wertanspruch des Einzelnen42 bzw. subjektiv gewen-det die Achtung der geistig-seelischen Integrität43. In gewissem Umfang gehörtdazu aber auch ein Recht auf „Freiheit von Öffentlichkeit“44:

Dem Grunde nach ist ein Recht auf „Freiheit von Öffentlichkeit“ in derRechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht anerkannt und bedarf

37 BGH NJW 1989, 96, 97.38 Beulke (Anm. 12), Rdn. 114.39 BVerfG NJW 1994, 783, 783.40 Zu dieser Gefahr aus der Sicht der Praxis etwa Nehm, NStZ 1997, 305, 311; OLG Karlsruhe

NJW 1973, 1291, 1292; BGHSt. 22, 289, 294 f.41 So ausdrücklich BVerfGE 101, 365, 380.42 BVerfGE 45, 187, 228.43 BVerfG NJW 1982, 375, 375 (Lügendetektor).44 Den Begriff der „Freiheit von Öffentlichkeit“ hat namentlich von Becker, Tatverdächtige in

den Massenmedien, 1979, S. 91 ff. geprägt.

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an dieser Stelle keiner eigenständigen Begründung45. In der als „Magna Chartader Bildberichterstattung“46 bezeichneten Entscheidung des Bundesverfas-sungsgerichts über die Zulässigkeit der Veröffentlichung von privaten Photosder Caroline von Monaco47 wurde dem Grundsatz, dass Bildnisse einer Personnur mit deren Einwilligung verbreitet werden dürfen, Verfassungsrang zuge-messen.

Eine einwilligungsfreie Veröffentlichungsbefugnis besteht gem. § 23 Abs. 1Nr. 1 KUG ausnahmsweise für Bildnisse der Zeitgeschichte. Der Bereich derZeitgeschichte ist freilich auch bei strafrechtlichem Fehlverhalten nicht immerund noch nicht in jedem Stadium des Verfahrens betroffen. Der Begriff der Zeit-geschichte lässt sich vor allem von zwei Richtungen aus näher konkretisieren:Zeitgeschichte schreiben zum einen besonders schwere und spektakuläre Straf-taten (sog. inhaltszentrierter Ansatz) oder zum anderen Straftaten von Personen,die aus anderen Gründen zu Personen der Zeitgeschichte gehören (sog. per-sonenfokussierter Ansatz). Der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren ist freilichnicht schon wegen der begangenen Straftat eine Person der Zeitgeschichte. DerBegriff der „Person der Zeitgeschichte“ muss als normativer Begriff die Wertun-gen der menschenrechtlich verbürgten Unschuldsvermutung aufnehmen. Dernormativ Unschuldige ist deshalb allein wegen seiner Verstrickung in ein Straf-verfahren regelmäßig gerade keine relative Person der Zeitgeschichte. Andereskann nur bei Straftaten von erheblichem Gewicht und gewichtigen Hinweisenauf die tatsächliche Beteiligung des Beschuldigten an der Straftat, die keine ernst-haften Zweifel mehr zulassen, gelten48.

Auch wenn bei Straftaten der Zeitgeschichte ein größeres Informationsinte-resse der Öffentlichkeit hingenommen werden muss, muss im Einzelfall dochnach dem Maß des Eingriffs in den Bereich der persönlichen Lebensführungdifferenziert werden: Eingriffe in die private Lebenssphäre durch eine medialeZurschaustellung des Beschuldigten sind umso kritischer zu würdigen, je weitersie sich vom Bereich der sog. offenen Individualsphäre entfernen und in diegeschützte Privatsphäre bzw. in die vor der Öffentlichkeit abgeschlossene Intim-sphäre eindringen49. Einen speziellen Schutz erfährt das allgemeine Persönlich-keitsrecht außerdem durch die Judikatur des EGMR. Der Europäische Gerichts-hof beschränkt die Freiheit der Medienberichterstattung auf Beiträge zu eineröffentlichen Diskussion über eine Frage von allgemeinem Interesse. Insbesonde-re bei einer identifizierenden Bildberichterstattung wird es regelmäßig an einem

45 BVerfGE 65, 1, 42 (Volkszählungsurteil und informationelle Selbstbestimmung); 101, 361,382 ff. (Caroline von Monaco); BVerfG NJW 1996, 581, 583 (Bildberichterstattung über Ge-richtsverfahren bei n-tv).

46 Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2000, 2466, 2467.47 BVerfGE 101, 361.48 In diesem Sinne Müller, NJW 2007, 1617, 1618.49 Zu dieser Unterscheidung grundlegend bereits Hubmann, JZ 1957, 521, 524.

Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren 577

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allgemeinen Interesse fehlen50. Neugier und Sensationslust rechtfertigen eineBildberichterstattung grundsätzlich nicht51. Nach den Maßstäben des EGMRkann bei der Verdachtsberichterstattung über Straftaten damit nur ausnahms-weise eine einwilligungsfreie Veröffentlichungsbefugnis i. S. v. § 23 KUG ange-nommen werden52. Eine identifizierende Bildberichterstattung kann unter die-sen Voraussetzungen etwa dann gerechtfertigt sein, wenn der Fall seinespezifische Bedeutung aus der Person des Beschuldigten gewinnt oder wennStraftaten mit besonderen Bezug zu Fragen von öffentlichem Interesse – wiez. B. Straftaten mit Bezügen zur Politik oder zur Wirtschaft – begangen wur-den53.

d) Abgrenzung des Rechts auf Selbstdarstellung gegenüber ähnlichen Rechten

Das Recht auf „Freiheit von Öffentlichkeit“ unterscheidet sich zunächst deutlichvom einfachen Schweigerecht des Beschuldigten gem. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO:Das Schweigerecht gewährleistet dem Beschuldigten das Recht, im Ermittlungs-verfahren keine Angaben zur Sache machen zu müssen. Dieses Recht ist von demRecht, nicht zum Gegenstand einer Berichterstattung Dritter gemacht zu wer-den, grundlegend verschieden. Der in den Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG wurzelndeGrundsatz des „nemo tenetur se ipsum accusare“ ist in erster Linie ein in allenPhasen des Strafverfahrens gewährleistetes Schutzrecht gegenüber der Staats-macht54. Das Schweigerecht gilt daher im Ermittlungsverfahren ohne jede Ein-schränkung und jeder Verstoß hat wegen der das öffentliche Interesse an einerfunktionierenden Strafverfolgung weit überragenden Bedeutung des Grundsat-zes ein Verwertungsverbot zur Folge55. Demgegenüber sind Einschränkungendes Rechts auf „Freiheit von Öffentlichkeit“ leichter zu rechtfertigen und Ver-stöße wiegen insgesamt weniger schwer.

Vom ebenfalls aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitetenRecht auf informationelle Selbstbestimmung unterscheidet sich das Recht aufSelbstdarstellung durch seinen Bezugspunkt. Während das Recht auf Selbstdar-stellung die Integrität der äußeren Wahrnehmung einer Person schützt, schütztdas Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Herrschaft über die einerPerson zugeordneten Daten und das daraus ableitbare Persönlichkeitsprofil. DasRecht auf informationelle Selbstbestimmung schützt daher primär vor Durch-leuchtung des Einzelnen seitens einer all zu wissbegierigen Hoheitsgewalt und

50 Ebenso BGH Beschl. vom 7. Nov. 2006 Az. VI ZR 74/06, dargestellt bei Müller, NJW 2007,1617, 1619.

51 EGMR NJW 2004, 2647, 2649 (Caroline von Hannover) mit zustimmender AnmerkungStürner, JZ 2004, 1018, 1019 bzw. EGMR NJW 2006, 591, 592 (Karhuvaara).

52 Müller, NJW 2007, 1617, 1619.53 Beispielhaft dafür sind Fälle mit Bezügen zu allgemein gesellschaftlichen Themen der Zeit

(siehe dazu etwa BGH NJW 1962, 32 und NJW 1964, 1471) oder aus der jüngeren Vergan-genheit etwa die Strafverfahren um „schwarze Kassen“ im Rahmen der Parteienfinanzierung(BGH NJW 2007, 1760) sowie das Mannesmann-Verfahren (BGH NJW 2006, 522).

54 BGHSt. 38, 214, 218 ff.55 BGHSt. 38, 214, 220 ff.

578 Marco Mansdörfer

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damit vor Ausforschung56. Das Recht auf Selbstdarstellung schützt das allgemei-ne Persönlichkeitsrecht des Einzelnen dagegen in seiner Ausformung als Rechtauf eine dem Willen des Beschuldigten entsprechende, verdiente Außendarstel-lung.

Zuletzt ist das Recht auf Selbstdarstellung von kommerziellen Eigeninteres-sen an der eigenen Person zu unterscheiden. Verwertungsinteressen an persönli-chen Bildnissen und an der eigenen Biographie fallen nicht unter das Recht aufSelbstdarstellung, sondern unter den spezielleren Schutz des Eigentums ausArt. 14 GG57. Nach hier vertretener Auffassung berührt daher auch das Opfer-anspruchsicherungsgesetz (OASG) nicht das Recht des Einzelnen auf Selbstdar-stellung. Das OASG begründet ein gesetzliches Pfandrecht des Tatopfers anForderungen, die ein Straftäter im Hinblick auf eine öffentliche Darstellungder Tat gegen einen Dritten erwirbt. Damit wird aber nicht das Recht auf Selbst-darstellung als solches betroffen, sondern nur die wirtschaftliche Verwertung derTat verhindert und damit das Eigentumsrecht des Einzelnen eingeschränkt.

3. Gewährleistungsdimensionen des Rechts auf Selbstdarstellung

Das Recht auf Selbstdarstellung wirkt in alle aus der allgemeinen Grundrechts-dogmatik bekannten Richtungen:

– Es sichert dem Beschuldigten seinen status negativus im Sinne eines Abwehr-rechts gegen Verkürzungen seiner Rechte durch Eingriffe der hoheitlichenGewalt (dazu unten a);

– es gewährleistet zumindest minimale verfahrensrechtliche Befugnisse, um dasRecht auf Selbstdarstellung hinreichend wirksam wahrnehmen zu können(dazu unten b);

– es verpflichtet die hoheitliche Gewalt zum Schutz des Einzelnen, wo dieser aufstaatliche Hilfe angewiesen ist (dazu unten c), und

– es entfaltet als Teil der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes eine mit-telbare Drittwirkung auch gegenüber Privaten (dazu unten d).

a) Abwehrrechtliche Dimension des Rechts auf Selbstdarstellung und dieSchwere verschiedener Eingriffe

Im Zentrum der meisten grundrechtlichen Rechtsgewährleistungen steht dieAbwehrfunktion eines Grundrechts. Dies gilt auch für das Recht des Beschul-digten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren. Die Ermittlungsbehördensind (auch) durch das Recht auf Selbstdarstellung zunächst der nicht-öffentlichen

56 Zu Beschränkungen der behördeninternen Informationsverarbeitung siehe an dieser Stelle nurBVerfGE 115, 320, 347 ff.

57 So ausdrücklich BVerfGE 101, 361, 361 2. LS.

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Grundkonzeption des Ermittlungsverfahrens verpflichtet58. Insbesondere dieUnschuldsvermutung gebietet eine generelle Zurückhaltung bei Äußerungengegenüber der Öffentlichkeit59. Das Zurückhaltungsgebot bezieht sich grund-sätzlich auf alle Aspekte der Straftat. Es gilt für die Frage, ob überhaupt eineStraftat begangen wurde, was für eine Straftat und wie die Tat begangen wurdeund wer die Straftat mutmaßlich begangen hat. Eingriffe in das Recht auf Selbst-darstellung erfolgen naturgemäß in erster Linie durch informationsbezogenesHandeln der Staatsanwaltschaft; denkbar sind aber auch Eingriffe durch dieArt und Weise, in der einzelne Ermittlungshandlungen vorgenommen werden.Rein faktisch sind die Eingriffe in das Recht auf Selbstdarstellung äußerst viel-gestaltig. Im Folgenden werden daher nur Eingriffe in das Recht auf Anonymitätund praktisch häufige Eingriffe in das Recht auf Selbstdarstellung durch Einzel-informationen entsprechend dem Ablauf des Ermittlungsverfahrens erörtert:

Die Veröffentlichung des Namens des Beschuldigten oder von Tätermerkma-len, die eine Identifizierung des Beschuldigten erlauben, sind nur unter engenVoraussetzungen zulässig. Identitätsdaten verleihen einer Nachricht besondereAuthentizität60, sodass vom Empfänger bereits bloße Verdachtsmomente oftschon als Fakten wahrgenommen werden und den Beschuldigten besonders be-lasten. Gerade im Bereich leichterer und mittlerer Kriminalität ist daher eineNamensnennung, Abbildung oder Identifikation des Täters grundsätzlich zuvermeiden61. Anderes kann in Fällen schwerer und schwerster Kriminalität gel-ten, wenn der Tatverdacht sich hinreichend auf den Beschuldigten konkretisierthat und die Tat bereits öffentliches Aufsehen erregt hat62. Dies gilt nicht nur fürden Hinweis, dass gegen eine Person ein Ermittlungsverfahren geführt wird,sondern schon zuvor für Hinweise auf die Einleitung von Vorermittlungsver-fahren. Da ein Vorermittlungsverfahren bereits bei einem sehr vagen Verdachteingeleitet werden kann, der deutlich hinter einem die Einleitung eines Ermitt-lungsverfahrens legitimierenden Anfangsverdacht zurücksteht, würde die Personbereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf einer sehr unsicheren Tatsachen-grundlage in den Fokus der Öffentlichkeit gedrängt. Bei hoheitlichen Handlun-gen auf einer derart ungesicherten und gerichtlich nur eingeschränkt überprüf-baren63 Prognosebasis über die tatsächliche Verwicklung einer Person in eineStraftat sind personenbezogene Auskünfte regelmäßig gänzlich unzulässig64.

58 Zur nichtöffentlichen Grundkonzeption des Ermittlungsverfahrens nur Neuling (Anm. 3),S. 110 ff.; Marxen, JZ 2000, 294, 295; Weigend ZStW 113 (2001), S. 271, 280 ff.

59 BVerfGE 35, 202, 232; ebenso für Äußerungen der Staatsanwaltschaft Nehm, NStZ 1997, 305,311.

60 Bornkamm, NStZ 1983, 102, 103.61 BVerfGE 35, 202, 232; BGH NJW 1994, 1950, 1952; Nr. 23 Abs. 1 RiStBV.62 BGH NJW 1994, 1950, 1952 mit zust. Anm. Lücke, JuS 1995, 393, 394. Aus dem strafrecht-

lichen Schrifttum Ostendorf, GA 1980, 445, 447, 451 f.; Bottke, ZStW 93 (1981), S. 425 ff.63 Zum Bestehen eines Beurteilungsspielraums bei der Prüfung eines Anfangsverdachts OLG

Düsseldorf, NJW 2005, 1791, 1792; BVerfG 1984, 1451, 1452.64 Noch weitergehend Weiler, StraFo 2003, 186, 187; speziell zum Einfluss der Medien auf die

Einleitung von Vorermittlungen Keller/Griesbaum, NStZ 1990, 416, 417.

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Ebenfalls nur in Ausnahmefällen ist es den Ermittlungsbehörden erlaubt,konkrete Ermittlungsmaßnahmen anzukündigen. Dabei müssen Ermittlungs-behörden umso zurückhaltender sein, je schwerer Ermittlungsmaßnahmen wie-gen und je stärker der individuelle Personenbezug der Ermittlungsmaßnahmeist65. Ermittlungsmaßnahmen, die in besonderem Maß in Rechte des Beschuldig-ten eingreifen oder nur bei Vorliegen eines gesteigerten Tatverdachts zulässig sind,sind generell geeignet, den Beschuldigten in seinem persönlichen Achtungs-anspruch weiter zu schädigen. Soweit Ermittlungsmaßnahmen gegen den Be-schuldigten vorgenommen werden, sind diese in einer Art und Weise durchzufüh-ren, dass jede über das unvermeidbare Maß hinausgehende Stigmatisierung desBeschuldigten unterbleibt66.

Ein Eingriff in das Recht auf Selbstdarstellung liegt grundsätzlich auch in deröffentlichen Mitteilung der wesentlichen Ergebnisse der Ermittlungen. EinenHinweis darauf, dass die wesentlichen Ergebnisse der Ermittlungen gerade nichtöffentlich gemacht werden dürfen, folgt bereits aus dem einfachen Recht: § 243Abs. 3 Satz 1 StPO beschränkt das Verlesen der Anklage auf den Anklagesatz67.Die wesentlichen Ermittlungsergebnisse sind nach der gesetzgeberischen Grund-entscheidung also ausdrücklich nicht Gegenstand der öffentlichen Hauptver-handlung. Grundlage der Verurteilung des Angeklagten sollen nur die in derHauptverhandlung reproduzierten Tatsachen sein. Anders kann dies sein, wennder insbesondere Medienvertretern bei komplexen Strafverfahren Teile der An-klageschrift mitgeteilt werden. Sobald der Eröffnungsbeschluss des Gerichtsgem. § 203 StPO vorliegt, steht fest, welcher Sachverhalt Gegenstand der öffent-lichen Verhandlung wird. Die Mitteilung der Anklageschrift und insbesonderedes Anklagesatzes können bei schwierigen Sachverhalten Missverständnissenvorbeugen und den Angeklagten vor einer entstellenden Berichterstattung schüt-zen.

Das Recht auf Selbstdarstellung steht grundsätzlich auch jeder informellenWeitergabe von Informationen seitens von Vertretern der hoheitlichen Gewalt

65 Siehe etwa mit Recht differenzierend LG Düsseldorf NJW 2003, 2536 (einerseits S. 2538,Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Mitteilung an die Presse, dass eineWeisung zur Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens erteilt werden wird, und S. 2539, Mittei-lung, dass eine Durchsuchung geplant wird; andererseits S. 2539, keine Verletzung des all-gemeinen Persönlichkeitsrechts bez. der Information, dass das LKA eingeschaltet und eineSonderkommission eingerichtet wurde); für eine konsequente Zurückstellung der Informati-on der Öffentlichkeit Schaefer NJW 2003, 2210, 2211, der allerdings eine generelle Auskunfts-sperre zugleich ablehnt.

66 Ablehnend gegenüber einer gezielten Ausnutzung der stigmatisierenden Wirkung von Ermitt-lungshandlungen auch Kühne (Anm. 1), Rdn. 352; zur inszenierten Festnahme Marxen, JZ2000, 294, 296; zur faktischen Stigmatisierung des Beschuldigten Schaefer, NJW 2003, 2210,2211.

67 Für ein Recht auf Abgabe eines Gesamtüberblicks über das Ermittlungsverfahren dagegen LGDüsseldorf NJW 2003, 2536, 2539; kritischer unter Hinweis auf eine mögliche Beeinflussungvon Laienrichtern Weiler, StraFo 2003, 186, 187.

Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren 581

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entgegen68. Dieselben rechtlichen Bindungen der hoheitlichen Gewalt durch dieGrundrechte bestehen auch bei der informellen Weitergabe von Informationen.Die informelle Weitergabe von Informationen kann den Beschuldigten sogarstärker belasten, da es ihm in solchen Fällen oft besonders schwer fallen dürfte,etwaige Eingriffe in seine Rechte zu erkennen und den daraus folgenden Be-lastungen entgegen zu wirken.

Nicht minder problematisch erweist sich unter verfassungsrechtlichenAspekten die praktisch häufige Veröffentlichung von Informationen über denTäter in Pressekonferenzen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmungverlangt eine spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gerade auch in sol-chen Fällen, in denen Informationen zu Zwecken weitergegeben werden, dienicht mit der Erfüllung der Aufgabe, die die Erhebung der Informationen recht-fertigen, in Zusammenhang steht69. Beispielhaft für Fälle, in denen eine solcheWeitergabe gerechtfertigt ist, sind die Normen zum Akteneinsichtsrecht Dritter.In den §§ 474 ff. StPO kommt eine den Forderungen des Bundesverfassungs-gerichts im Volkszählungsurteil nachfolgende, klare gesetzgeberische Entschei-dung darüber zum Ausdruck, wer außer dem Beschuldigten ein berechtigtesInteresse an einer Einsicht in die Ermittlungsakten hat70. Insoweit sollte selbst-verständlich sein, dass die in den §§ 474 ff. StPO enthaltenen Regelungen ab-schließend sind, und nicht etwa dadurch umgangen werden können, dass dieAkten oder wesentliche Inhalte der Akten im Rahmen von Pressekonferenzender allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Akteneinsichtbzw. Auskunft aus Strafakten an Dritte kann nur in Ausnahmefällen erteilt wer-den71.

b) Verfahrensrechtliche Dimension des Rechts auf Selbstdarstellung?

Neben den klassischen Abwehrfunktionen folgen aus dem Recht des Beschul-digten auch konkrete Verfahrensbefugnisse. Dem Beschuldigten müssen ins-gesamt solche Verfahrensbefugnisse eingeräumt werden, dass er von seinemRecht auf Selbstdarstellung angemessen und rechtzeitig Gebrauch machen kann.Die Strafverfolgungsbehörden müssen dem Beschuldigten dafür zwar keinePlattform für eine Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache bieten; indessen folgenaus dem Recht auf Selbstdarstellung in Verbindung mit dem Anspruch auf einfaires Verfahren doch eine Reihe von Partizipationsrechten und Rücksichtnah-mepflichten der Strafverfolgungsbehörden72:

68 Zu gezielten Indiskretionen von Ermittlungsbehörden gegenüber Presseorganen (sog.„Durchstecherei“) siehe exemplarisch Wagner (Anm. 2), S. 23 ff., 32 ff.

69 Siehe dazu nur BVerfGE 57, 170, 202.70 Zum ausdrücklichen Bezug der Neuregelung der §§ 474 ff. StPO durch das Strafverfahrens-

änderungsgesetz 1999 auf das Volkszählungsurteil mit umfangreichen Hinweisen auf die Ge-setzesmaterialen Hilger, in: Löwe-Rosenberg, 25. Aufl. 2001, vor § 474 Rdn. 1.

71 So etwa OLG Koblenz NJW 1986, 3093, 3094 f.; OLG Stuttgart NStZ-RR 2000, 349, 349,sowie OLG Hamm NJW-RR 1997, 1489, 1490 (für ein Akteneinsichtsrecht gem. § 299 ZPO).

72 Siehe dazu stellvertretend Safferling, NStZ 2004, 181, 182 f. m. w. N.

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Nahezu selbstverständlich ist zunächst das Recht des Beschuldigten aufSelbstdarstellung gegenüber der Öffentlichkeit im Ermittlungsverfahren selbst.Dem Beschuldigten muss Gelegenheit gegeben werden, den Tatvorwurf aus sei-ner Sicht darzustellen und auf Umstände aufmerksam zu machen, die seine Sichtder Tat stützen oder von den Ermittlungsbehörden in den Hintergrund gedrängtwerden, weil sie der vorläufigen Bewertung der Tat widersprechen. GesteigerteBedeutung erlangt dieses Recht bei Pressekonferenzen und Pressemitteilungender Ermittlungsbehörden. Soweit solche Presseerklärungen eine persönlicheIdentifizierung des Beschuldigten ermöglichen, muss dem Beschuldigten regel-mäßig die Möglichkeit einer Gegendarstellung – etwa durch eine Stellungnahmeseines Verteidigers – eingeräumt werden. So kann eine den Vorgaben der Straf-prozessordnung entsprechende Verteidigung, die Umstände, die den Verdachteiner Tatbeteiligung des Beschuldigten begründen, in Zweifel ziehen oder denBeschuldigten insgesamt in ein günstigeres Licht rücken, und damit einer unge-schützten öffentlichen Vorverurteilung entgegen wirken.

Aus diesem primären Partizipationsrecht des Beschuldigten an einer öffent-lichen Darstellung seiner mutmaßlichen Straftatbeteiligung im Ermittlungsver-fahren lassen sich weitere Beteiligungsrechte ableiten. Das Gebot effektivenGrundrechtsschutzes beeinflusst nach ständiger Rechtssprechung auch die Aus-gestaltung des Verfahrens im Allgemeinen73. Für das strafrechtliche Ermittlungs-verfahren hat dies zur Folge, dass der Beschuldigte vor Pressekonferenzen, indenen die Staatsanwaltschaft Äußerungen beabsichtigt, die eine Identifizierungdes Beschuldigten erlauben, grundsätzlich vorher zu informieren ist. Dabei ver-steht es sich von selbst, dass die vorherige Information des Beschuldigten recht-zeitig erfolgen muss. Die von der Rechtsprechung aufgestellte Frist für eine Be-nachrichtigung des Verteidigers vor einer geplanten Pressemitteilung von einemTag kann freilich nur eine Mindestfrist für einfach gelagerte Fälle sein74. Beikomplexen Sachverhalten muss diese Frist angemessen verlängert werden, sodassetwa bei schwierigen Wirtschaftsstraftaten regelmäßig eine Frist von drei Tagenangezeigt sein dürfte. Für die Vorbereitung seiner öffentlichen Verteidigung istdem Beschuldigten zumindest soweit Einsicht in die Ermittlungsakten zu gewäh-ren, wie dies für eine verteidigende Stellungnahme im Ermittlungsverfahren not-wendig und erforderlich ist75. Im Zweifel können diese Rechte auch dazu führen,dass die Staatsanwaltschaft, wenn dem Verteidiger gem. § 147 Abs. 2 StPO einezur Gewährleistung des Rechts auf Selbstdarstellung hinreichende Akteneinsichtverwehrt bleiben soll, die Information der Öffentlichkeit zurückstellen muss.

Verfahrensrechtliche Bedeutung hat das Recht des Beschuldigten auf Selbst-darstellung freilich nicht nur bei der Information der Öffentlichkeit durch Pres-

73 Siehe nur BVerfGE 55, 171, 182; 67, 43, 58 f.; 69, 315, 363 f. sowie BVerfG, 1 BvR 605/02 vom21. 6. 2002, Absatz-Nr. 15.

74 So etwa VG Kassel NJW 2001, 3802, 3802.75 Dafür grundsätzlich auch Lindner, StV 2008, 210, 216.

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sekonferenzen oder Pressemitteilungen. In hohem Maße gefährdet ist das Rechtauf Selbstdarstellung auch dort, wo Dritten ein direkter Einblick in die Ermitt-lungsakten gewährt wird. Verfahrensrechtlich gebietet das Recht auf Selbstdar-stellung in diesen Fällen eine vorherige Anhörung des Beschuldigten. Ein solcherAnspruch auf Anhörung des Beschuldigten analog § 33 StPO besteht nach herr-schender Auffassung bei einer Akteneinsicht des Verletzten gem. § 406 e StPO76.Auch im Fall des § 478 StPO ist eine Anhörung des Beschuldigten aber verfas-sungsrechtlich geboten77.

Direkte Einwirkungen auf das Ermittlungsverfahren entfaltet das Recht aufSelbstdarstellungdort,woeseinePflichtderErmittlungsbehördenzurEinstellungdes Ermittlungsverfahrens begründet. Zwar kann die Entscheidung der Staats-anwaltschaft, gegen einen Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren zu führen,vom Gericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit über-prüft werden78. In besonderen Fällen kann die Staatsanwaltschaft allerdings zurEinstellung eines Ermittlungsverfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO verpflichtet sein.So hat der Staatsanwalt, soweit es um den Zeitpunkt für erforderlich erachteterErmittlungsmaßnahmen – wie zum Beispiel der Einstellung des Verfahrens – geht,nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden und entsprechend den Gegeben-heiten des Einzelfalles das Beschleunigungsgebot und den Grundsatz der Verhält-nismäßigkeit zu beachten79. Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 170 Abs. 2StPO und insbesondere zur Auswertung des erzielten Ermittlungsergebnissessteht der Staatsanwaltschaft in der Regel ein Bearbeitungszeitraum von einemMonat zu, ehe das Unterlassen einer Einstellung amtspflichtwidrig wird80.

c) Aus dem Recht auf Selbstdarstellung abzuleitende Schutzpflichten

In verschiedenen Situationen gewährt das Recht des Beschuldigten auf Selbst-darstellung nicht nur Abwehransprüche und Partizipationsrechte, sondern auchdie berechtigte Erwartung auf einen Schutz und die Achtung des Privatlebensdurch die Hoheitsgewalt81.

Der Anspruch auf Schutz und Achtung des Privatlebens durch die Hoheits-gewalt hat zunächst Auswirkungen auf den Inhalt von Presseerklärungen zum

76 Für die Gewährung einer Akteneinsicht gem. § 406 e StPO siehe nur BVerfG NStZ-RR 2005,242, 242.

77 Tendenziell auch LG Düsseldorf NJW 2003, 2536, 2538; restriktiv LG Dresden StV 2006, 11,12 sowie aus der Literatur Lindner, StV 2008, 210, 216; Hilger, in: Löwe-Rosenberg (Anm. 70),§ 478 Rdn. 7 (dort auch mit Nachweisen zur Gegenauffassung) sowie monographisch Gran-del, Die Strafakteneinsicht durch Verletzte und nicht verfahrensbeteiligte Dritte im Lichte desRechts auf informationelle Selbstbestimmung, 1989, S. 238 ff.

78 Siehe dazu nur BGH NJW 1989, 96, 97.79 Ausführlich dazu und zu den dabei erforderlichen Interessensabwägungen BVerfG NJW

1974, 307, 307 ff.; speziell zur Einstellung eines Ermittlungsverfahrens BGH NJW 1989, 96,98.

80 Richterrechtlich wurde diese Frist etwa in BGH NJW 1989, 96, 98 aufgestellt.81 Siehe etwa für den Schutz der Privatsphäre gem. Art. 8 EMRK EGMR NJW 2004, 2647, 2648

(Caroline von Hannover) sowie EGMR NJW 2006, 591, 592 (Iltalethi).

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Ermittlungsstand. Ausdruck findet diese Verpflichtung in Nr. 4 a RiStBV. Danachhat die Staatsanwaltschaft alles zu vermeiden, was zu einer nicht durch denZweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten füh-ren kann. Für den Umgang mit der Presse folgt daraus das „Gebot der zurück-haltenden Presseinformation“82. Insbesondere bei noch nicht öffentlich bekann-ten Straftaten sollte daher die Bezeichnung des Beschuldigten regelmäßigunterbleiben83. Ein berechtigtes Informationsinteresse seitens der Öffentlichkeitbesteht primär in Bezug auf das grundsätzliche Tätigwerden der Staatsanwalt-schaft und den allgemeinen Stand der Ermittlungen. Nur in Ausnahmefällenbesteht ein Informationsinteresse in Bezug auf die Tat selbst.

Die Schutzpflichten der Staatsanwaltschaft betreffen nicht nur die eigenenInformationstätigkeiten der Staatsanwaltschaft. Sie können in Einzelfällen auchweitergehen. So wird etwa diskutiert, ob die Staatsanwaltschaft aufgrund ihresSchutzauftrags verpflichtet ist, falsche und den Beschuldigten belastende Presse-spekulationen durch eigene Informationstätigkeit zu berichtigen84. Eine solchePflicht besteht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen und in einem eng begrenz-ten Umfang85. Unstreitig besteht keine Pflicht der Staatsanwaltschaft, alle Spe-kulationen in der Presse über den Ablauf einer Straftat und die an der Straftatbeteiligten Personen entsprechend dem fortlaufenden Stand der Ermittlungen zukorrigieren. Eine solche Pflicht könnte nur zu leicht dazu missbraucht werden,die Tat und den Kreis der Verdächtigen durch Spekulationen bewusst einzugren-zen und so ein quasi-öffentliches Ermittlungsverfahren durch die Hintertüreeinzuführen. Eine Pflicht zur Berichtigung von Fehlspekulationen wird somitnur in eng begrenzten Fällen bestehen. Dabei sind vor allem zwei Fallgruppen zuunterscheiden: Situationen, in denen die Berichtigung falscher Presseberichteoriginär aus den Schutzpflichten der Staatsanwaltschaft abzuleiten ist, und Fälle,in denen die Staatsanwaltschaft die Folgen eigenen Fehlhandelns korrigiert. Inder ersten Fallgruppe muss die Ermittlungsbehörde den Beschuldigten vor nachdem Stand der Ermittlungen offensichtlich nicht haltbaren Spekulationen, dieden Beschuldigten in besonderem Maß belasten, schützen. Wurden Fehlspeku-lationen durch eine ungenaue Informationstätigkeit der Staatsanwaltschaft oder

82 In diesem Sinne auch Nehm, NStZ 1997, 305, 311.83 BGH NJW 2000, 1036, 1036 f.; NJW 2000, 656; OLG Stuttgart NJW 2001, 3797, 3798: über-

prüfbare Ermessensentscheidung; zu den hier nicht näher zu diskutierenden Voraussetzungender Berichterstattung seitens der Presse selbst siehe stellvertretend aus der neueren Recht-sprechung BGH NJW 2006, 599, 600 (Ernst August von Hannover); OLG Stuttgart NStZ-RR2000, 349; näher zu der einer solchen Erklärung notwendig vorausgehenden Abwägung Schro-ers, NJW 1996, 969, 970.

84 In diesem Sinne auch OLG Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1801; restriktiver insoweit unterVerweis auf private Selbstschutzmöglichkeiten die Vorinstanz LG Düsseldorf NJW 2003,2536, 2539; tendenziell weiter auch BVerfGE 71, 206, 216 f.; für eine solche – gegebenenfallsdurch Hintergrundgespräche flankierte – Pflicht Schroers, NJW 1996, 969, 971; aus demSchrifttum zurückhaltend Lorz, NJW 2005, 2657, 2659.

85 Grundsätzlich für eine stärkere Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zu SchutzmaßnahmenSchaefer, NJW 2003, 2210, 2211.

Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren 585

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durch informelle Informationstätigkeit seitens der Behörden veranlasst, bestehtregelmäßig eine Pflicht zu einem Eingreifen zugunsten des Beschuldigten. EinErmessen besteht dann nur noch bezüglich der zum Schutz des Beschuldigten zuergreifenden Mittel. Grundsätzlich sind aber diejenigen Mittel zu ergreifen, diedie Interessen des Beschuldigten am besten wahren und den Zweck des Ermitt-lungsverfahrens nicht gefährden.

Die Mittel, mit denen die Ermittlungsbehörde ihrer Schutzpflicht gegenüberdem Beschuldigten nachkommt, variieren je nach der konkreten Handlungssitua-tion und sind rechtstatsächlich vielgestaltig: So kann die Ermittlungsbehörde etwaverpflichtet sein, Bildberichterstattern, die im Vorfeld Hinweise auf eine Haus-durchsuchung bekommen haben, einen Platzverweis zu erteilen, um so die Pri-vatsphäre des Beschuldigten zu wahren und dessen öffentliche Vorführung zuverhindern. In geeigneten Fällen kann eine Ermittlungsmaßnahme – etwa eineAnhörung des Beschuldigten – auch verschoben oder an einen anderen Ort verlegtwerden. Praktisch bedeutsam ist auch eine besondere Sensibilität der Ermittlungs-behörden bei der Gewähr von Akteneinsicht. Soweit hier Reporter versuchen,sich über grundsätzlich akteneinsichtsberechtigte Personen – insbesondere übereine Instrumentalisierung des Tatopfers – Einsicht in die Ermittlungsakten zuverschaffen, kann die Akteneinsicht dieser Personen aufgrund von allgemeinenRechtsmissbrauchserwägungen zumindest zeitweilig versagt werden.

In bestimmten Situationen kann der Beschuldigte außerdem auf die Mithilfeder Träger hoheitlicher Gewalt geradezu angewiesen sein, um von seinem Rechtauf Selbstdarstellung überhaupt Gebrauch machen zu können. Ein typischesBeispiel hierfür ist der in Untersuchungshaft genommene Beschuldigte. Die zu-ständigen Behörden müssen in diesen Fällen grundsätzlich die erforderlichen undzumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um dem Beschuldigten im ange-messenen Umfang auch eine Selbstdarstellung aus der Untersuchungshaft herauszu ermöglichen86.

d) Das Recht auf Selbstdarstellung als Element der verfassungsrechtlichenWertordnung

Da die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen in allen Bereichen desRechts gelten87, ist auch das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung imErmittlungsverfahren Teil der von der Verfassung etablierten objektiven Wert-ordnung. Von Bedeutung wird die Ausstrahlungswirkung des Rechts auf Selbst-darstellung des Beschuldigten insbesondere im Verhältnis zu Vertretern der Me-dien.

Eine Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung, Abbildungoder Darstellung des Beschuldigten beinhaltet regelmäßig einen schweren Ein-

86 So auch BVerfGE NStZ 1994, 604, 604 f. für staatliche Handlungspflichten, die sich aus dembesonderen Schutz der Familie ergeben.

87 Siehe dazu grundlegend bereits BVerfGE 5, 85, 134 ff. oder 7, 198, 205.

586 Marco Mansdörfer

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griff in dessen Persönlichkeitssphäre88. Die Verfasser solcher Berichte haben hierpenibel auf die Ausgewogenheit ihrer Berichterstattung zu achten und in ange-messenem Umfang eine etwaige Selbstdarstellung des Beschuldigten zu berück-sichtigen. Die Berichterstattung muss objektiv sein und darf keine Vorverurtei-lung des Beschuldigten beinhalten89. Eine auf Sensationen ausgehende, bewussteinseitige oder verfälschende Darstellung ist daher unzulässig; die Berichte müs-sen vielmehr auch auf die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenenTatsachen und Argumente eingehen90. Hat sich der Beschuldigte bislang nochnicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen geäußert, so verpflichtet die ver-fahrensrechtliche Dimension der Grundrechte auch die privaten Presseorgane,dem Beschuldigten eine Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen91.

III. Berechtigte Anliegen zur Einschränkung des Rechts aufSelbstdarstellung?

Die grundrechtsdogmatische Verortung des Rechts auf Selbstdarstellung beiArt. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG legt es zunächst nahe, die für dieallgemeine Handlungsfreiheit normierte Schrankenregelung auch auf das Rechtauf Selbstdarstellung anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass das Recht aufSelbstdarstellung in erster Linie durch die verfassungsmäßige Ordnung be-schränkt wird92. Zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören alle Normen, dieformell und materiell mit der Verfassung übereinstimmen93. Wegen des beson-deren Bezugs des Rechts auf Selbstdarstellung zur Menschenwürde wird derGesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG allerdings auf Parlamentsgesetze be-schränkt.

Einschränkungen des Rechts auf Selbstdarstellung zum Schutz eines kollidie-renden Rechtsguts müssen darüber hinaus insgesamt verhältnismäßig sein. Dazumüssen sie zum Schutz des Rechtsguts nicht nur geeignet und erforderlich sein,sondern auch zur Art und Intensität der Rechtsgütergefährdung in einem ange-messenen Verhältnis stehen94. Notwendig ist damit eine Gesamtabwägung zwi-schen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigendenGründe95.

88 BVerfGE 35, 202, 230.89 Siehe stellvertretend BGH NJW 2000, 1036, 1036 f.90 Vgl. BVerfGE 35, 202, 232.91 BGH NJW 2000, 1036, 1037 m. w. N. aus der Rechtsprechung.92 Näher dazu stellvertretend Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl.

2009, Art. 2 Rdn. 89 ff.93 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 6, 32, 38 f.94 Siehe aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur BVerfG NJW 1963, 1597;

BVerfGE 92, 277, 327 f.; BVerfG NJW 2002, 2378, 2378.95 So die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. BVerfG NJW 1996, 3067;

NJW 2002, 2378, 2378.

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Als kollidierende Rechtsgüter werden in der juristischen Diskussion desSelbstdarstellungsrechts des Beschuldigten neben ermittlungstaktischen Grün-den immer wieder die Informationsinteressen der Presse, das Kontrollinteresseder allgemeinen Öffentlichkeit, das Selbstdarstellungsrecht der Ermittlungs-behörden und Rechte Dritter genannt.

1. Einschränkungen des Rechts auf Selbstdarstellung aus ermittlungstaktischenGründen?

Damit das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung hinter ermittlungstakti-schen Gründen zurückzustehen muss, muss im Grunde ein Vorrang der Funk-tionsfähigkeit der staatlichen Strafrechtspflege vor dem Recht auf Selbstdarstel-lung begründet werden96. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtszeigt, dass ein solcher Vorrang nur in ganz bestimmten Grenzen besteht. DieEntscheidungen zum großen Lauschangriff97, zur präventiven Rasterfahndung98

und zur Online-Durchsuchung von Computern99 haben die Bedeutung des all-gemeinen Persönlichkeitsrechts gerade gegenüber Maßnahmen der hoheitlichenStrafrechtspflege und Gefahrenabwehr deutlich gestärkt. So wurde zunächst diedie besondere Intensität dieser Art von Eingriffen verdeutlicht und ein Kriterien-katalog entwickelt, anhand dessen der Grad der Intensität gemessen werden kann.Maßgebliche Faktoren sind insbesondere die Art der konkreten Information unddie dem Grundrechtsträger aufgrund der Maßnahmen drohenden Nachteile100.Informationenmüssendanach umso zurückhaltender verwendet werden, jehöherihre Persönlichkeitsrelevanz101 einzustufen ist und je stärker die normativ zuge-standenen Vertraulichkeitserwartungen102 in bestimmte Informationen sind.

Praktische Konsequenzen ergeben sich aus diesen Grundsätzen speziell fürMaßnahmen zur Sicherstellung der Strafverfolgung gem. §§ 131 ff. StPO, also zurÖffentlichkeitsfahndung in Form der Aufklärungsfahndung, der Identitätsfahn-dung, der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung oder der Fahndung zur Fest-nahme: Die Intensität dieser Eingriffe in das Selbstdarstellungsrecht des Betrof-fenen verlangt den Ermittlungsbehörden zunächst eine sorgfältige Prüfung derErforderlichkeit einer Öffentlichkeitsfahndung ab103. Die Ermittlungsbehördenhaben daher vorrangig weniger belastende Ermittlungsmethoden anzuwenden.Dazu gehören Nachfragen bei Behörden, Ermittlungen im Umfeld der Personoder der Kontakt mit dem möglicherweise vorhandenen Verteidiger, ob sich eine

96 So zum Beispiel OLG Frankfurt NJW 1971, 47 ff.97 BVerfGE 109, 279, 325 ff.98 BVerfG NJW 2006, 1939, 1940 ff.99 BVerfG NJW 2008, 822, 827 f., 829 ff.

100 BVerfG NJW 2006, 1939, 1942.101 BVerfGE 100, 313, 358.102 BVerfGE 109, 279, 313 f., 325, 327 f.103 Zur Belastung eines Beschuldigten durch eine Öffentlichkeitsfahndung siehe Hilger, Fest-

schrift für Rieß, 2002, S. 171, 173.

588 Marco Mansdörfer

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Öffentlichkeitsfahndung ganz vermeiden lässt104. Erst wenn solche Maßnahmennicht ergriffen werden können oder keinen hinreichenden Erfolg versprechen,darf zur Maßnahme der Öffentlichkeitsfahndung gegriffen werden. Dabei dürfenzwar Lichtbilder des Beschuldigten zu dessen Beschreibung verwendet werdenund einer Personenbeschreibung Daten wie die Körpergröße, Haar- oder Augen-farbe beigefügt werden. Anderes gilt indessen für Daten aus dem Intimbereich desOpfers, die etwa aufgrund von Maßnahmen zur Informationsgewinnung gem.§ 110 a ff. StPO durch verdeckte Ermittler, aus Tagebüchern, privaten Videos oderärztlichen Unterlagen gewonnen wurden. In solche Informationen dürfen nor-mativ besondere Vertraulichkeitserwartungen gesetzt werden, sodass diese Infor-mationen einer öffentlichen Ausschreibung des Beschuldigten nicht beigefügtwerden dürfen. Die in diesem Punkt weiter gefasste Vorschrift des § 131 Abs. 4StPO ist an dieser Stelle verfassungskonform restriktiv auszulegen.

2. Einschränkungen des Rechts auf Selbstdarstellung aufgrund vonInformationsinteressen der Presse?

Auch die Presse ist nicht zu beliebigen Eingriffen in das Selbstdarstellungsrechtdes Betroffenen befugt. Für die Presse besteht vielmehr grundsätzlich ein Gebotzurückhaltender Verdachtsberichterstattung, da die berechtigten Interessen, dieeine Verkürzung der Subjektstellung des Beschuldigten hinreichend legitimierenkönnen, vor allem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht und desEGMR von verschiedenen Seiten eingegrenzt werden:

So verfolgt das Bundesverfassungsgericht einen ereigniszentrierten Ansatzund setzt für ein berechtigtes Berichterstattungsinteresse der Presse voraus, dassein Ereignis zeitgeschichtliche Bedeutung haben muss105. Dabei verbietet es dieUnschuldsvermutung, eine Person allein schon wegen ihrer Verstrickung in einErmittlungsverfahren zur relativen Person der Zeitgeschichte zu machen106.Anderes kann allenfalls dann gelten, wenn die Tat ihrer Art nach oder wegender Verknüpfung mit einer bestimmten Person eine Qualität erhält, die sie ausdem Feld der gewöhnlichen Kriminalität herausragen lässt107. Der EuropäischeGerichtshof für Menschenrechte qualifiziert die Anforderungen an legitime Ge-geninteressen der Presse diskurstheoretisch dahin, dass die Informationsansprü-che der Presse über die allgemeine Befriedigung von Neugier und Sensationslusthinaus Grundlage einer Diskussion von allgemeinem Interesse sein müssen108.

104 Hilger (Anm. 103).105 Zu den Gewährleistungen der Pressefreiheit ausführlich BVerfGE 101, 361, 388 ff.106 So etwa Lampe, NJW 1973, 217, 218, der aber bei Verhaftung wegen des erforderlichen

gesteigerten Verdachtsgrads dazu neigt, ein Ereignis der Zeitgeschichte anzunehmen unddie Unschuldsvermutung auf ein Gebot beschuldigtenfreundlicher Berichterstattung redu-ziert. Ein solches Recht auf positive Berichterstattung wurde hier indessen bereits grund-sätzlich abgelehnt.

107 So zu recht differenzierend Marxen, GA 1980, 365, 375, 377.108 EGMR NJW 2004, 2647, 2650.

Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren 589

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Der EGMR formuliert damit einen konkreten Qualitätsanspruch an die Bericht-erstattung. Die Lücke im Grundrechtsschutz, die das Bundesverfassungsgerichtden Medien durch eine Definitionshoheit über das berechtigte öffentlicheInteresse eröffnet hatte, weil es eine Trennung zwischen Information und Un-terhaltung in der modernen Medienlandschaft für nicht durchführbar gehal-ten hatte, ist damit vom EGMR geschlossen worden109. Ein qualifiziertesInformationsinteresse der Öffentlichkeit besteht heute vor allem dort, wo dieKontrollfunktion der Medien und die Rolle der Medien in der politischen Mei-nungsbildung von besonderer Weise betroffen sind. Dazu gehören etwa Straf-verfahren mit politischem Hintergrund110, oder Strafverfahren, in denen sichbesondere wirtschaftliche, soziale oder moralische Konflikte zuspitzen111.

Neben der Frage, ob überhaupt ein berechtigtes Interesse an einer Bericht-erstattung über die Verstrickung einer Person in ein strafrechtliches Ermittlungs-verfahren besteht, ist die weitergehende Frage zu klären, wie dieses Recht inhalt-lich ausgestaltet ist. Jede Berichterstattung setzt dabei zunächst eine sorgfältigeRecherche voraus. Anforderungen aus dem Recht auf Selbstdarstellung dürfenfreilich nicht so weit gehen, dass dadurch das Recht auf Pressefreiheit ersticktwird112. Die Recherchepflichten der Presseorgane sind auf ein insgesamt verhält-nismäßiges Maß einzugrenzen113. Da regelmäßig die besten Informationen beiden Ermittlungsbehörden selbst vorhanden sind, liegt es nahe, die erforderlichenInformationen direkt bei den Ermittlungsbehörden zu erfragen. EntsprechendeAuskunftsansprüche bestehen jedoch regelmäßig nicht114. Die Gewähr von Aus-künften und Einsichtsrechten muss ihrerseits verfassungskonform ausgeübt wer-den. Da die Pressefreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 GG keinen grundrechtlich geschütz-ten Informationsanspruch gegenüber dem Staat beinhaltet, ist dem Schutz desSelbstdarstellungsrechts des Beschuldigten regelmäßig der Vorrang einzuräumen.Dabei besteht auch kein Unterschied zwischen Printmedien und Bildbericht-erstattung. Ein spezifischer Eigenwert bewegter Bilder ist regelmäßig nicht an-zuerkennen115.

109 Insoweit kritisch gegenüber der Rechtsprechung des BVerfG Stürner, JZ 2004, 1018: „SelbstVoyeurismus ließe sich auf diese Weise zum Bildungsereignis und zur medialen Tugend hoch-stilisieren“.

110 Zur durch die Presse ausgeübten Kontrolle in der als Flick-Affäre bekannten Parteispenden-affäre zu Beginn der 1980er Jahre siehe Wagner (Anm. 2), S. 14 f.

111 Beispielhaft sind etwa Fälle wie der der Fälschung der Hitler-Tagebücher, in dem auch dieAuswirkungen des Scheckbuchjournalismus deutlich wurde (Wagner [Anm. 2], S. 15 f.), derMannesmann-Fall, in dem auch die grundsätzliche Vergütung von Topmanagern zur gesell-schaftlichen Frage wurde oder Strafverfahren etwa der aktiven Sterbehilfe, anlässlich dererauch die Moral einer Gesellschaft diskutiert wird.

112 BGH NJW 2000, 1036, 1037.113 Zum Umfang der presserechtlichen Recherchepflichten beispielhaft BVerfGE 85, 21, 25; BGH

NJW 1998, 3047, 3049.114 Dazu Lindner, StV 2008, 210, 216.115 Ebenso Stürner, JZ 1995, 297.

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3. Einschränkungen des Rechts auf Selbstdarstellung zugunsten von Informa-tionsinteressen der allgemeinen Öffentlichkeit?

Das Recht auf Selbstdarstellung muss prinzipiell auch nicht hinter Informations-interessen der allgemeinen Öffentlichkeit zurückstehen. Zwar ist ein Informati-onsinteresse der Öffentlichkeit darüber, wer die Täter einer Straftat sind, welcheMotive sie hatten, was geschehen ist, um die Täter zu ermitteln, zu bestrafen undkünftige Taten zu verhindern, verfassungsrechtlich anerkannt116. Dieses Interes-se beinhaltet indessen kein Recht der Öffentlichkeit auf Anprangerung des Be-schuldigten117. Verfassungsrechtlich begründbar ist ein solches Recht nur in demUmfang, in dem dies die notwendige Kontrollfunktion der Öffentlichkeit gegen-über den staatlichen Institutionen und die Öffentlichkeit als Korrelat zum Straf-zweck der (positiven) Generalprävention erforderlich machen118.

Aus der genauen Begründung der Informationsinteressen der Öffentlichkeitfolgt indessen zugleich deren beschränkte Bedeutung für das Ermittlungsverfah-ren. Der Ort, an dem diese Interessen im Strafverfahren regelmäßig bedientwerden, ist die Hauptverhandlung. Die Information der Öffentlichkeit im Er-mittlungsverfahren darf daher nicht in eine „öffentliche Verhandlung im Ermitt-lungsverfahren“ münden119.

Regelmäßig wird daher dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit bereitsin einer Weise Rechnung getragen werden können, bei der die Identität desBeschuldigten verdeckt bleibt. Dazu genügen oft nähere Erläuterungen zumäußeren Bild einer Straftat oder Informationen darüber, dass in einem Ermitt-lungsverfahren Ermittlungen aufgenommen wurden, dass bereits tatverdächtigePersonen ausgemacht wurden oder dass das Ermittlungsverfahren kurz vor demAbschluss steht. Alle Formen konfrontativer Öffentlichkeit, die eine direkteAuseinandersetzung des Beschuldigten mit der Öffentlichkeit verlangen würden,verletzen hier das Selbstdarstellungsrecht des Beschuldigten. Deutlich wird diesdurch die Rechtsprechung zu § 169 GVG, wonach auch vor verfassungsrecht-lichem Hintergrund selbst in der Hauptverhandlung nur bestimmte Formen vonÖffentlichkeit zulässig sind und das Informationsinteresse der Öffentlichkeitinsbesondere nicht durch eine Fernsehberichterstattung befriedigt werdenkann120.

116 BVerfGE 35, 202, 231.117 Zur Anprangerung des Beschuldigten im Strafverfahren stellvertretend Hamm (Anm. 7),

S. 12 f.118 Dazu Hamm (Anm. 7), S. 15; LG Düsseldorf NJW 2003, 2536, 2538: Unterstützen einer

Pressekampagne.119 Zu Beispielen zweifacher Prozessführung (zuerst in den Medien und dann im Gerichtssaal)

Wagner (Anm. 2), S. 32 ff.120 Auf dieser Linie liegt auch BGH NJW 1966, 2353, wonach die Grenzen bei einer Bildbericht-

erstattung über Personen und ihre Lebensverhältnisse, die zum Schutze des Persönlichkeits-rechts notwendigen Grenzen, anders und enger zu ziehen sind als bei der Wort- und Schriftbe-richterstattung.

Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahren 591

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4. Einschränkungen des Rechts auf Selbstdarstellung zugunsten derSelbstdarstellung der Ermittlungsbehörden?

Das Selbstdarstellungsrecht des Beschuldigten kann auch nicht durch das Selbst-darstellungsinteresse der Ermittlungsbehörden – also der Staatsanwaltschaft oderder Polizei – eingeschränkt werden.

Staatsanwaltliche Öffentlichkeitsarbeit folgt grundsätzlich dem Gebot zu-rückhaltender Informationstätigkeit121. Pressehinweise, die eine Identifizierungdes Beschuldigten in einem bestimmten Strafverfahren erlauben, sind nur unterengen Voraussetzungen zulässig. Bei der Veröffentlichung personenbezogenerInformationen gilt wieder der Grundsatz, dass Informationen über den Beschul-digten umso vorsichtiger zu behandeln sind, je tiefer sie in die Privat- und Intim-sphäre des Beschuldigten hineinreichen.

Polizeiliche Pressearbeit verfolgen neben der Ermittlung des Täters haupt-sächlich zwei Ziele: Die Durchsetzung von Strafverfolgungskonzepten sowieden politischen Nachweis für den Schutz der inneren Sicherheit122. Alle dreiZiele konfligieren grundsätzlich mit dem Anspruch des Beschuldigten auf Selbst-darstellung, wenn die Pressearbeit einen Bezug zu einem konkreten Fall undeinen bestimmten Beschuldigten hat. Grundsätzlich nicht zu rechtfertigen sindaußerdem polizeiliche Pressekonferenzen. Die Kompetenzen der Behörden undBeamten des Polizeidienstes sind durch die §§ 161 Abs. 1, 163 StPO inhaltlichbeschränkt. Ein Recht auf Informationstätigkeit in einem konkreten Ermitt-lungsverfahren lässt sich aus diesen Befugnissen grundsätzlich nicht ableiten.Ein Verbot polizeilicher Selbstdarstellung mit Bezug zu einer konkreten Einzel-tat führt auch nicht zu einem vollständigen Verbot polizeilicher Öffentlichkeits-arbeit. Die an sich legitimen Ziele lassen sich grundsätzlich auch auf eine vonkonkreten Strafverfahren losgelöste Art und Weise – etwa durch interne Berichtean das Innenministerium oder eine nachträgliche Berichterstattung – errei-chen123.

Die Informationstätigkeit der Ermittlungsbehörden kann gerichtlich unbe-schränkt überprüft werden. Die gerichtliche Kontrolle ist also nicht auf die Ver-tretbarkeit der Information der Öffentlichkeit beschränkt, sondern führt zu einervollständigen Rechtmäßigkeitskontrolle124.

121 In einzelnen Bundesländern wurden Richtlinien für die Zusammenarbeit der Staatsanwalt-schaften mit den Medien erlassen; vgl. für Berlin NJW 1998, 1376; Hessen NJW 1996, 979 oderfür Sachsen NJW 1995, 2699.

122 So pointiert Wagner (Anm. 2), S. 100.123 Auch die Staatsanwaltschaft selbst sieht eine zu offensive Informationspolitik seitens der

Polizei im Einzelfall durchaus sehr kritisch; vgl. Wagner (Anm. 2), S. 102 f. mit Beispielenaus der Praxis.

124 BGH NJW 1994, 1950, 1951.

592 Marco Mansdörfer

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5. Einschränkungen des Rechts auf Selbstdarstellung zugunsten von RechtenDritter, sonstigen Gütern mit Verfassungsrang und besonderen Interessender Allgemeinheit

Zuletzt kann das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungs-verfahren durch Rechte Dritter oder Sicherungsinteressen des Staates eingegrenztwerden. Das Recht auf Selbstdarstellung erlaubt grundsätzlich keine Verletzungvon Achtungsansprüchen Dritter und insbesondere des Opfers, die über das imRecht auf Bestreiten der Tat notwendig mit enthaltene Maß hinausgehen. Weretwa wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung beschuldigt wird,kann die Tat zwar leugnen; die Grenze seines Rechts auf Selbstdarstellung liegtfreilich dort, wo er darüber hinaus den Achtungsanspruch des Opfers selbstverletzt. Das Recht auf Selbstdarstellung rechtfertigt mit anderen Worten keineweitere Viktimisierung des potentiellen Tatopfers. Den Ehranspruch des Opfersangreifende Meinungsäußerungen sind daher im Ermittlungsverfahren zurück-zustellen und dürfen erst gerichtsöffentlich im ordnenden Rahmen der Haupt-verhandlung vorgebracht werden.

IV. Zusammenfassung und Schlussbemerkungen

Das rechtliche Postulat, den Beschuldigten nicht als Objekt, sondern als Subjektdes Verfahrens zu behandeln, ist zwischenzeitlich zum juristischen Allgemeingutgeworden. Die öffentliche Vorführung der Beschuldigten spektakulärer Strafta-ten lässt beim unbefangenen Betrachter Zweifel aufkommen, ob der Beschuldigtetatsächlich immer als Verfahrenssubjekt behandelt wird und ob hier schon allesNotwendige erreicht ist. Auch in der Rechtswissenschaft wird eine weitere Stär-kung der Rechtsstellung des Beschuldigten für dringend erforderlich gehalten125.Das Recht des Beschuldigten auf Selbstdarstellung im Ermittlungsverfahrenkann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Die Konzentration auf das Verfah-rensstadium vor der Hauptverhandlung erlaubt es, verschiedene Schutzdimen-sionen der Subjektstellung des Beschuldigten zusammenzufassen und ihren Ge-halt zu einem eigenständigen Recht zu bündeln.

Eine stärkere Achtung des Rechts des Beschuldigten auf Selbstdarstellungwird der häufigen Vorverurteilung von Personen in der modernen massenme-dialen Berichterstattung allein zwar nicht entgegen wirken. Das sollte die Ver-antwortlichen aber nicht daran hindern, die Subjektstellung des Verdächtigenernst zu nehmen und sich darauf zurück zu besinnen, dass der Ort, an demÖffentlichkeit nach der Grundkonzeption der Strafprozessordnung eigentlichstattzufinden hat, die öffentliche Hauptverhandlung ist. Wer den Beschuldigten

125 Siehe nur Wohlers, in: SK StPO (Anm. 17), § 160 Rdn. 117 mit umfassenden Nachweisen ausdem Schrifttum.

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bereits zuvor an den Pranger der Öffentlichkeit stellt, begeht einen Rechts-bruch.

594 Marco Mansdörfer

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