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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 1 Dasein, Sprache, Welt Sein und Zeit als Gegenentwurf zur cartesianischen Ontologie

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Dasein, Sprache, Welt

Sein und Zeit als Gegenentwurf zur cartesianischen Ontologie

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I. Einführung............................................................................................................ 3II. Daseins Skizze – Abriß des ersten Teils............................................................. 5

Sein und das Denken darüber............................................................................. 5Dasein ................................................................................................................. 7

III. Ein Modus der Bedeutsamkeit – In-der-Welt-sein............................................ 10Daseins Verständnishorizont – Welt.................................................................. 10Artikulierte Bewandtnis – Sprachlichkeit............................................................ 12Daseins soziales Wesen – Mitsein .................................................................... 13

IV. De- and Rekontextualisierung – Genese der Vorhandenheit........................... 14Wissenschaft als Form der Rekontextualisierung.............................................. 16

V. Die cartesianische Perspektive und ihre Zurückweisung.................................. 18Descartes Argumentation und die auftretenden Dilemmata .............................. 18Das Primat der Praxis – Heideggers Kritik ........................................................ 20Die Auflösung der Dilemmata............................................................................ 22

VI. Spiel auf der Lichtung – Ausblick..................................................................... 25VII. Literatur .......................................................................................................... 28

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„Noch lebe ich, noch denke ich:ich muß noch leben, denn ich muß noch denken.

Sum, ergo cogito: cogito, ergo sum.”Friedrich Nietzsche (Die fröhliche Wissenschaft; Buch 4)

I. Einführung

„Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.“ Ludwig Wittgenstein1

Seit Platon2 und Aristoteles3 gilt als Quelle der Philosophie das Staunen darüber,

daß überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, über „das Wunder aller Wunder:

daß Seiendes ist.“ (Heidegger 1929; 47) Schien dieses Wundernehmen aus dem

Gesichtsfeld der traditionellen Philosophie gerückt zu sein, so geht Martin Heidegger

zurück und nimmt abermals beim Staunen Anfang. Einsehend, daß sinnvolles

Fragen nach dem Daß-Sein der Welt nicht möglich und die Seinsfundierung

abgänglich ist, verbleibt er im Beschreiben der conditio humana, den Formen

unseres Seins.4

In Sein und Zeit entwickelt Martin Heidegger eine originäre Antwort auf die Frage

nach dem Sinn von Sein. Heidegger versucht sich nicht in der Konstruktion, sondern

verbleibt in der Deskription, in der methodischen Absage an Versuche der

philosophischen Erklärung, deren Möglichkeit nur Chimäre ist. Der deskriptive Ansatz

weist die Beziehung zur Transzendentalphilosophie auf; beschreibt Bedingungen der

Möglichkeit von Phänomenen existentieller Natur. Heidegger wendet die Frage nach

dem Sinn von Sein in das Fragen nach den Möglichkeitsbedingungen eines Wesens,

das sich jene stellt. Indem die Frage auf die Fragenden zurückgeworfen wird,

beschreibt Heidegger die Vorraussetzungen täglichen Handelns und Verstehens, der

Möglichkeit eines Verhaltens zu sich und der Rede darüber. (Rentsch 1985; 16)

„Wenn nur Dasein sinnverstehend ist, dann wird die Frage nach dem Sinn von Sein

zur Frage nach dem Sein des Daseins.“ (Ibid; 157) So nähert sich Heidegger der

philosophisch-anthropologischen Frage nach der conditio humana, nach den

1 1921; 6.44.2 Theaitetos; 155d.3 Metaphysik I 2; 982b.4 Die interessante Parallele zum Werk Ludwig Wittgensteins wird im Verlauf dieser Betrachtungstellenweise durchscheinen und zum Schluß aufgenommen werden. Siehe hierzu besonders Rentsch1985 und Guignon 1990; weiterhin auch Apel 1973 & 1992 und Richard Rorty: „Wittgenstein,Heidegger, and the Reification of Language“; in: Guignon 1993a; S. 337-357.

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transzendentalen Formen menschlichen Seins. Diese unhintergehbare

Kennzeichnung unserer Seinsweise nennt er Existentiale.

Die Probleme der traditionellen Philosophie hoben an, weil die Frage nach

menschlicher Seinsweise und Sprachpraxis gar nicht oder schief gestellt und damit

die Antwort verstellt worden ist. Dieser Einsicht schließt sich die Kritik der gesamtem

ontologischen Tradition der „abendländischen“ Philosophie, der Ontologie der

Vorhandenheit, an. So stellt Heidegger die Seinsfrage erneut und untersucht das

Verhältnis von Sprache und Leben. Die Analyse von Dasein ist eine ontologisch-

pragmatische Herangehensweise, um die dem Sein unterliegenden Strukturen und

die modi essendi des täglichen Lebens in den Blick zu setzen. Im Zurückgehen hinter

die Grundannahmen der cartesianischen Tradition lösen sich unter Heideggers

Betrachtungen gleichwohl zwei enorme Schwierigkeiten dieser Tradition auf. Die

beiden Dilemmata betreffen die Möglichkeiten des sicheren Wissens über die Welt

und von der Existenz anderer Geister. In doppelt kritischer Stoßrichtung wendet sich

Heideggers systematischer Entwurf gegen idealistische Metaphysik einerseits und

psychologisierenden Materialismus auf der anderen Seite. Wie sich noch zeigen

wird, werden diese beiden Ansätze dem Vorwurf der Verdinglichung ausgesetzt.

Heidegger wählt den Titel „Anthropologie“ nicht, da auch diese ein Seinsverständnis

schon voraussetzen muß. Heidegger zielt aber nicht auf den Menschen, sondern auf

Dasein, die Seinsweise des Menschen, und zählt diesem Verständnis ein Primat vor

den Einzelwissenschaften, folglich auch vor der Anthropologie, zu.

Die vorliegende Untersuchung möchte sich Heideggers Position in Sein und Zeit

unter dem Gesichtspunkt der Herausforderung der „westlichen“ Philosophietradition

und der Zurückweisung ihrer Dilemmata als absurd widmen. Um Heideggers

Argumentation durchdringen zu können, werden wir zunächst die existentialen

Strukturen der Seinsweise des Daseins herausstellen. Dann werden wir das

Phänomen des In-der-Welt-sein nach den Aspekten Welt, In und Mit-Sein

untersuchen und dabei Welt und Sprachlichkeit als unhintergehbare existentiale

Formen herausstellen. Auf dieser Grundlage werden wir Heideggers Kritik an den

Basisannahmen der cartesianischen Philosophie und ihren selbstgeschaffenen

Dilemmata folgen.

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II. Daseins Skizze – Abriß des ersten Teils

“>>Ich bin da<< markiert eine Katastrophenmeldung aus dem Sein, in der dieMeldung und die Katastrophe eins sind. In jedem aktuellem Da tickt heimlich undunheimlich zugleich die Zeitbombe der Seinsfrage. Das ohne weitere Zusätzegesprochene Da reißt die Szene auf, in der ich weiß, daß ich schlechthin>>herausgesetzt<< bin.“ Peter Sloterdijk5

Sein und das Denken darüber

In Sein und Zeit stellt Heidegger die Frage nach dem Sinn von Sein. Diese

Seinsfrage soll das Sein des Seins ergründen. Nicht zufällig kommt im Prolog Plato

zu Wort, für den das Fragen nach dem Sinn von Sein einer Gigantomachie, einer

Gigantenschlacht, glich.6 Im einleitenden Zitat aus dem Sophistes ist der Kern von

Heideggers Fragen bereits freigelegt. Heidegger ist der Auffassung, daß wir in jener

„Verlegenheit“ (1)7, den Sinn des Seins nicht zu verstehen, noch immer stecken.

Offenbar spielend wissen wir die verschiedenen Sinne8 von Sein in unserer Sprache

zu gebrauchen und zu verstehen. Werden wir aber nach dem Sinn von Sein gefragt,

verstummen wir. Im täglichen Leben bereitet uns die Seinsfrage kein

Kopfzerbrechen, halten wir aber inne, beginnt es. So ist unser Seinsverständnis

ontisch offensichtlich und das Gegenteil ist der Fall, wenn wir die ontologische Ebene

betreten – das ontisch Allbekannte wird ontologisch als Fremdes gesehen. Wir haben

ein pre-ontologisches Verständnis und „bewegen uns immer schon in einem

Seinsverständnis.“ (5) „Dieses durchschnittliche und vage Seinsverständnis ist ein

Faktum.“ (Ibid.)

5 1993; 279.6 (Sophistes; 246a) „Die fundamentalontologische Grundlegung der Metaphysik in "Sein und Zeit" mußsich als Wiederholung verstehen. Die Stelle aus Platons "Sophistes“, die die Betrachtung eröffnet,dient nicht zur Dekoration, sondern als Hinweis darauf, daß in der antiken Metaphysik dieGigantomachie über das Sein des Seienden entbrannt ist. In diesem Kampf muß schon – mag dieSeinsfrage dort noch so allgemein und vieldeutig gestellt sein – sichtbar werden, in welcher Weise hierdas Sein als solches verstanden wird. Sofern aber in dieser Gigantomachie die Seinsfrage allererst alssolche erkämpft und noch nicht in der gekennzeichneten Weise als Problem der inneren Möglichkeitdes Seinverständnisses ausgearbeitet wird, kann weder die Auslegung des Seins als solchen nochgar der hierzu notwendige Horizont der Auslegung als solcher ausdrücklich ans Licht kommen. Und soeindringlicher gilt es bei der Wiederholung des Problems hineinzuhören in die Art und Weise, wie sichdas Philosophieren in diesem ersten Kampf um das Sein gleichsam spontan über dieses ausspricht.“(Kant und das Problem der Metaphysik; GA3; 239f)7 Alle Seitenzahlen beziehen sich hier wie im folgenden auf Martin Heidegger 1927: Sein und Zeit;Tübingen 182001.

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Heideggers Frage ist also eine ontologische. Die Ontologie beschäftigt sich mit

dem “furniture of the universe” (Brandom; 48), ordnet und kategorisiert es. Da gibt es

eine Vielzahl von Entitäten (Seiendes). Wo soll eine Ontologie beginnen? Die

philosophische Tradition kategorisiert seit Aristoteles alles Seiende nach entweder

Substanzen oder Attribute dieser. Die Welt zerfällt in Dinge und deren Eigenschaften.

Den Substanzen wird als ‚eigenständigen’ Dingen Priorität eingeräumt. (Frede; 44f)

Dieser Grundgedanke zieht sich bis zu den heutigen philosophischen Positionen

durch und ist, wie wir noch sehen werden, das Hauptziel von Heideggers Kritik. Um

nicht in dieser Kategorienlehre gefangen zu werden, enthält sich Heidegger

naturwissenschaftlicher und psychologischer Unterscheidungen. So fragt er zunächst

nach den Möglichkeitsbedingungen der Seinsfrage. Um überhaupt gestellt werden zu

können, muß sie immer schon irgendwie verstanden sein, sei es noch so vage.

Dieses Seiende, das die Seinsfrage versteht und stellen kann, nennt Heidegger

Dasein. (7) Es ist das Sein der Menschen. (11) Dieses „Dasein ist Seiendes, das sich

in seinem Sein verstehend zu diesem Sein verhält.“ (53) So fragt Heidegger zunächst

nach diesem Vorverständnis und gelangt in dieser Zurückwendung zu den

Fragenden selbst. Daraus ergibt sich für Heidegger die Aufgabe, die Strukturen des

Daseins, dessen Existenz herauszuarbeiten. Aspekte dieser Struktur nennt

Heidegger Existenziale. (44) Entitäten anders als Dasein haben zwei Weisen des

Seins. Diese sind Vorhandenheit (88) und Zuhandenheit (69). Zu diesen werden wir

zurückkehren. Die Bestimmungen für Dinge bezeichnet Heidegger als Kategorien.

(44) Weiterhin legt er Bedacht auf die Bedingungen der Möglichkeit dieser

Unterscheidung in existenziale und kategoriale Rede. Für ihn sind die Kategorien

Derivate. Dasein ist immer schon und zuallererst, also primär, in der Welt. So kommt

Heidegger zu seinem Begriff des In-der-Welt-Seins (53) und ist darauf besonnen,

dessen Formen zu analysieren.

Um die ontologischen Strukturen des Seins zu greifen oder zu ihnen zu gelangen,

ergreift Heidegger eine besondere Methode, die Fundamentalontologie. (13) Diese

fundamentale Ontologie muss unterschieden werden von der üblichen, traditionellen

Ontologie. Ordnet diese gedanklich alles Seiende, so fragt die Fundamentalontologie

nach dem Sein des Seins und ist somit “tieferer” Art, ihr Ziel ein grundlegenderes.

8 So kann „ist“ zum Beispiel Existenzbehauptung sein („Krieg ist auf der Welt“), zurPrädikatszuschreibung dienen („Der Apfel ist rot“) oder in mathematischer Formsprache auftreten(„Eins plus eins ist zwei.“).

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Die Fundamentalontologie legt somit die Grundlagen aus für alle anderen

Ontologien.

“Alle Ontologie, mag sie über ein noch so reiches und festverklammertes Kategoriensystem

verfügen, bleibt im Grunde blind und Verkehrung ihrer eigensten Absicht, wenn sie nicht zuvor

den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Fundamentalaufgabe begriffen

hat.“ (11)

Weiterhin führt Heidegger ein originäres Begriffsganzes ein. Da seine Konzeption

hinter die Unterscheidungen der Tradition zurückgehen will, vermeidet Heidegger die

Verwendung bereits existierender und damit besetzter Termini. Anstatt neue Worte

zu kreieren greift er zumeist auf alltagssprachliche, deutsche Begriffe zurück, denen

er zum Teil die Bedeutung ihrer etymologischen Wurzeln zuweist und die daher

bereits intuitiv erschlossen sind. So gelangt Heidegger zu einer vorurteilslosen Vor-

Konzeption. So gerüstet widmet sich Heidegger nun der ontologischen Struktur des

Daseins und arbeitet die Seinsweisen, modi essendi, heraus. Jene Existenziale sind

miteinander verbunden und sind zu verstehen als Aspekte des Daseins. Daher

zirkuliert Heideggers Untersuchung um die existenziale Struktur herum, um sie zu

greifen, faßbar zu machen; dieses Da-Seiende zu erschließen.

Dasein

Dasein ist weder ein Subjekt, noch ist es in der Bedeutung von „Bewußtsein“ oder

„Ego“ zu verstehen, denn in diesen klingt die substanzielle, verdinglichte Rede

bereits durch. (46) Dasein ist ein Seiendes, dessen Weise zu sein, auch die

menschliche Seinsweise ist.9 Dasein hat ein Verständnis von Sein, dessen Sinn und

damit der das eigene Sein ihm erschlossen ist. (12) Dies unterscheidet es von allem

anderen Seienden.

Dem Dasein eignen zwei Charakteristiken. Erstens besitzt Dasein eine Existenz10,

ein Zu-sein. (12) Dasein ist da, um zu sein. Dem Dasein ist das eigene Sein

aufgegeben: „Dasein’s Being is an issue for it.” (Mulhall; 36) Die Essenz – möchte

9 Dasein kann mit Individuen, Personen, identifiziert und auf diese eingeschränkt angewendet werden.So führt Schatzki fünf Gründe für eine solche exklusive Lesart an. (82ff) Andere Autoren undAutorinnen sehen Dasein als umfassender als nur auf Menschen bezogen. Haugeland zum Beispielschreibt, daß Dasein ist „anyone and everything instituted by it.” (19) Dann würde auch jedemenschliche Praxis Dasein sein, weil sie teilhat an der Seinsform des Daseins.10 Später nennt Heidegger dies Ek-sistenz – „Hinaus-stehen in die Wahrheit des Seins.“ (Heidegger1946; 17)

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man an diesem Term festhalten – des Daseins ist seine Existenz. (42) Die zweite das

Dasein auszeichnende Eigenschaft nennt Heidegger Jemeinigkeit: „Dasein ist ferner

Seiendes, das je ich selbst bin.“ (53) Die Jemeinigkeit ist Ausdruck dessen, daß ich

in meiner – mir je eigenen – Existenz nicht vertreten werden kann.11

Das Sein des Daseins ist das In-der-Welt-sein. Wie wir im nächsten Abschnitt

sehen werden, referiert dieser Terminus nicht in einem räumlichen Sinn zu einem

Sein zwischen anderen Entitäten, sondern zu einem Netz von Signifikanzen. In

diesem Verweisungszusammenhang ist Dasein Zuhause, wohnt und haust in ihm.

„Being-in-the-world is a condition of the possibility of comportment to entities.”

(Gorner; 71) Zum Phänomen der Welt tritt über das Existenzial des Sinns die

Sprachlichkeit hinzu, der wir uns in einem weiteren Abschnitt widmen werden.

Ferner ist Dasein Erschlossenheit. (132) „Der Mensch west so, daß er das

>>Da<<, das heißt die Lichtung des Seins ist.“ (Heidegger 1946; 18) Auf der

Lichtung begegnen dem Dasein die innerweltlich seienden Entitäten, erschließt sich

ihm Welt. Erschlossenheit öffnet die Lichtung des Daseins, welche die Ganzheit des

Daseins Möglichkeiten ist. (Polt; 85) Die zwei Modi der Erschlossenheit des Daseins

sind die Befindlichkeit und das Verstehen. (133) Befindlichkeit läßt sich als der

passive Aspekt der Erschlossenheit charakterisieren. Das Dasein ist da in seiner

Welt, befindet sich in einer Situation. Diese erschließt sich das Dasein in seiner

Befindlichkeit durch die Gestimmtheit. (134) In der Befindlichkeit begegnet dem

Daseins ferner seine Geworfenheit, auch Faktizität genannt. (135) Dasein erschließt

sich als geworfen in eine bestimmte Situation.

“Der Begriff der Faktizität beschließt in sich: das In-der-Welt-sein eines >>innerweltlichen<<

Seienden, so zwar, daß sich dieses Seiende verstehen kann als in seinem >>Geschick<<

verhaftet mit dem Sein des Seienden, das ihm innerhalb seiner eigenen Welt begegnet.“ (56)

In der Geworfenheit sind die Möglichkeiten des Daseins an es selbst überantwortet.

(134-40) Das Existential der Befindlichkeit verweist darauf, daß Dasein in jeder

Situation immer schon gestimmt ist: „Es ist die Welt der existentiellen Sorge, die in

Stimmungssätzen ausgesagt wird.“ (Rentsch 1985; 136)

11 Jemeinigkeit führt zu zwei Weisen, in welchen Dasein sein kann: eigentlich oder uneigentlich. Wiees möglich wird, eigentlich zu existieren, obwohl das Man, welchem man im uneigentlichen Seinverfällt, als Existenzial vorgestellt wird, ist eine Erörterung anderswo wert: „Das eigentliche Selbstseinberuht nicht auf einem vom Man abgelösten Ausnahmezustand des Subjekts, sondern ist eineexistentielle Modifikation des Man als eines wesenhaften Existenzial.” (130)

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Der aktive Aspekt der Erschlossenheit ist das Verstehen. (142) Verstehen verweist

auf des Daseins Seinkönnen; seine Fähigkeit oder Kunst zu sein. (144) Dasein

versteht sich in den Möglichkeiten, in welche es geworfen ist, und versteht seine

zukünftigen Möglichkeiten zu sein. Auf diese projiziert es sich hin, denn es besitzt die

Fähigkeit zum Entwurf. (145) Dasein kann als geworfene Möglichkeit charakterisiert

werden: „Das Dasein ist die Möglichkeit des Freiseins für das eigenste Seinkönnen.“

(144) „To exist is to take a stand on what is essential about one’s being and to be

defined by that stand.” (Dreyfus 1991; 23) Dasein Sein ist die Interpretation des je

eigenen Seins in der Projektion in diese eigenen Möglichkeiten. Dergestalt ist Dasein

ein Selbstverhältnis: im Verstehen der eigenen Existenz bezieht es sich zu sich

selbst und auf seine Möglichkeiten.

Das Sein des Daseins ist die Sorge. (182) Dasein ist besorgt mit und sorgt für

inmitten einer Welt, einem System, einem Ganzem von Signifikanzen, Sinn und

Zwecken. „Die das Besorgen erhellende Übersicht empfängt ihr >>Licht<< aus dem

Sein des Daseins, worumwillen das Besorgen als Sorge existiert.“ (359) Dieses

Worumwillen ist des Daseins eigene Existenz, seine Möglichkeit zu sein.12 Sorge

drückt sich aus in einem Sich-vorweg-sein des Daseins, da sie die eigenen

Möglichkeiten betrifft. (192) Sorge ist eng verknüpft mit Existenz, Faktizität und

Verfallen und damit mit Entwurf und Geworfenheit. Darüber hinaus wird die Sorge mit

den „drei Ekstasen der Zeitlichkeit“ verbunden: Zukunft, Vergangenheit und

Gegenwart. Die Zeitlichkeit ist eine Form des Lebens. Wir sind immer schon vor

ihrem Horizont aufgespannt, wie wir uns immer schon in Situationen befinden.

Daseins Selbstverhältnis ist zukünftig. „Das menschliche Sich-zu-sich-Verhalten

kommt ‚auf sich zu’, indem es ‚sich-vorweg’ auf ‚Möglichkeiten des Seinkönnens’

‚entwirft’.“ (Rentsch 1985; 124)

Existentialien bilden Heidegger zufolge Grundzüge der menschlichen Situation,

die sich umfassen läßt als ein In-der-Welt-sein. Die Existentiale geben isoliert

betrachtet wenig Aufschluß und müssen im Kontext mit den jeweils anderen gesehen

und in ihrer „vollständigen Interkorrelation“ (Ibid; 262) betrachtet werden, die

Gleichursprünglichkeit mitgedacht. Die herausgestellten Existenziale werden als ein

„Strukturganzes“ verstanden. (180) Heidegger beschreibt einen Pfad, der zum

beschreibenden Freilegen der Möglichkeitsbedingungen von Bedeutung führt, dem

Aufzeigen der Grenzen menschlichen Seins, das nun einmal in der Welt ist. Ist

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menschliches Dasein Selbst- und Weltbezug, so gehören zur Form des Daseins die

gleichursprünglichen Phänomene Welt und sprachliche Verfaßtheit. Um Heideggers

Gegenentwurf zur traditionellen Weltsicht zu verstehen, wird im folgenden Abschnitt

das Phänomen des In-der-Welt-seins in Augenschein genommen und nach den

Aspekten Welt, Sprache und Mitsein charakterisiert.

III. Ein Modus der Bedeutsamkeit – In-der-Welt-sein

„In-Sein wird üblicherweise abgeleitet von der Erfahrung gewöhnlicherBehälterbeziehungen. Wir sind in einem Zimmer, dieses Zimmer ist in einer Stadt,die Stadt ist in einem Land, das Land ist auf der Erde, die Erde ist im Weltraum.Das ergibt eine Babuschka-Physik, orientiert am Enthaltensein von Etwas inEtwas, vom kleinsten >>In<<halt bis zum Behälter aller Behälter, dem All.Heidegger hat mit dieser Gewohnheit, das In-Sein alltagsphysikalisch auszulegen,gebrochen und gezeigt, daß das menschliche In-etwas-Sein gar keineBehälteranalogien zuläßt, sondern im Gegenteil ein Hinausstehen, eineekstatische Positionalität oder ein Hinausgehaltensein bedeutet.“ Peter Sloterdijk13

Daseins Verständnishorizont – Welt

Das Existential des In-der-Welt-seins ist der Aspekt des Sinnzusammenhangs der

Situationen, in welchen sich der Mensch schon immer befindet. Das ist die conditio

humana: „Sobald der Mensch lebt, sich zu sich verhält, versteht und spricht,

geschieht dies im Zusammenhang einer Welt.“ (Rentsch 1985; 266) Wird Dasein

nicht als Bewußtsein oder Subjekt verstanden, so ist es auch nicht abgeschnitten von

anderen Entitäten. Dasein ist Welt- und Selbstverhältnis und dieses ist charakterisiert

in Daseins Sein als In-der-Welt-sein. Welt14 in Heideggers Sinn darf nicht als

räumliches Konzept verstanden werden, sondern ist das Worin das Dasein wohnt.

(65) Das ist der Aspekt des In-Seins. Wir bewohnen die Welt, hausen in ihr. Wie

Heidegger herausstellt ist dies der ursprüngliche Sinn von „in” als Derivat von

„innan“, welches die Bedeutung des lateinischen „habitare“ mit „vertraut sein“

zusammenbringt. (54) Heidegger zufolge erschließen wir die innerweltlichen

Entitäten während wir mit ihnen zu tun haben. Oder besser: sie zeigen sich uns. (66f)

Das Seiende, welches sich uns zeigt, während wir mit ihnen zu tun haben, hantieren,

12 Diese Möglichkeit des Seins (In-der-Welt-sein-können) überhaupt ist dem Dasein zum Beispieldurch die Angst erschlossen. (191)13 2001; 175.14 Heidegger unterscheidet zwischen mindestens vier möglichen Verwendungsweisen des WortesWelt. (64f)

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nennt Heidegger Zeug. Da ist nicht nur ein einzelnes Zeug, ein Stück, sondern eine

Zeugganzheit. (68f) Ein Einzelnes ist immer nur aus dieser Ganzheit heraus

verständlich. Obwohl Heidegger vorrangig Beispiele mit Werkzeugen heranzieht, darf

die Zeugbezeichnung nicht mißverstanden werden. Es bezeichnet ein jedes mit dem

wir zu tun haben oder können. Ein Buch ist genauso ein Zeug wie es ein Hammer

oder ein Wegweiser ist. Das Sein des Zeugs nennt Heidegger Zuhandenheit. (69) Es

ist uns zuhanden. Dies ist der ursprüngliche Modus in welchem sich die Dinge uns

offenbaren, für uns zeigen. Wir ent-decken Zeug durch die Handhabung, den

Umgang mit ihm, beim Manipulieren, nicht durch einfaches Anstarren.

Während wir mit den Zeug umgehen, sind wir präokkupiert. Man ist derart

beschäftigt in der Handhabung, daß man sich „vergißt“, von sich absieht. Dreyfus

unterscheidet den Modus des Zeugumgangs als „absorbed intentionality“ von der

cartesianischen repräsentationalen Intentionalität. (1991; 61) Die erstere sei

ursprünglicher. Wir kommen auf diese absorbierte Intentionalität zurück.

Im Kontrast zu den Entitäten im Modus der Vorhandenheit, welche Eigenschaften

haben, ist Zeug geeignet für einen oder mehrere Zwecke, eignet sich ihm die

Handhabung an, während für andere nicht. Diese Geeignetheit in bestimmten

Umständen gibt dem Zeug Bewandtnis, Signifikanz. (84) Die Bewandtnis liegt darin,

oder besser innerhalb der Zeugnisganzheit. Wir nehmen Zeug als etwas.15 Dieses

etwas als etwas nehmen darf nicht verstanden werden als Addition einer Bedeutung

zu einem bereits existierendem Ding. Dies wäre die cartesianische Beschreibung wie

Bedeutung entsteht. Genau diese aber weist Heidegger zurück:

„Sie [die Auslegung; T.P.] wirft nicht gleichsam über das nackte Vorhandene eine

>>Bedeutung<< und beklebt es nicht mit einem Wert, sondern mit dem innerweltlichen

Begegnenden als solchem hat es je schon eine im Weltverstehen erschlossene Bewandtnis, die

durch die Auslegung herausgelagert wird.“ (150)

Das Zeug charakterisiert Heidegger als Um-Zu. (69) Man greift zum Zeug um es zu

handhaben und etwas ins Werk zusetzen, zu erzeugen: das Wozu. (70) Worumwillen

nennt Heidegger das Ziel des Werkelns. Dieses ist immer das Dasein selbst ist, oder

präziser: es geht dem Dasein um eine „Möglichkeit seines Seins willen.” (84) In der

Umsicht wird der Zeuggebrauch vollzogen. Man darf in den Modus dieses

praktischen Gebrauchs keine mentalen Zustände hineininterpretieren, wie es mit der

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klassischen Intentionalität geschieht. „[A]ctivity can be purposive without the actor

having in mind a purpose.” (Dreyfus 1991; 92) In einer Vielzahl alltäglicher Aktivitäten

bedenken oder planen wir unsere Handlungen. Während wir zum Beispiel eine Tür

öffnen, denken wir wirklich darüber nach was wie zu tun ist und daß wir die Tür

öffnen, um hindurchzugehen?

Wie es kein einzelnes Zeug gibt ohne ein Zeugganzes, so ist auch Bewandtnis

nicht isoliert vorstellbar. Bewandtnis wird durch einen Verweisungszusammenhang

konstituiert. (82) Diese Verweisungsstruktur ist Heideggers Welt, sie ist „the condition

of possibility of the encountering of entities within the world.” (Gorner; 70)

„Das Worin des sichverweisenden Verstehens als Woraufhin des Begegnenlassens von

Seiendem in der Seinsart der Bewandtnis ist das Phänomen der Welt. Und die Struktur dessen,

woraufhin das Dasein sich verweist, ist das, was die Weltlichkeit der Welt ausmacht.“ (86;

Heideggers Emphase)

Die Weltlichkeit des Daseins darf nicht im Lichte des Determinismus als Limitation

gesehen werden, denn das In-der-Welt-sein ist eine der Bedingungen von des

Daseins Sein. (Mulhall; 61f) Welt konstituiert unser Verstehen und macht den

Umgang mit Dingen erst möglich. Als eine zugrundeliegende Struktur, welche wir

nicht explizit machen können, interpretieren wir die „interpretation already in the

practices.” (Dreyfus 1991; 22)

Artikulierte Bewandtnis – Sprachlichkeit

Das Phänomen der Sprachlichkeit zeigt sich in den alltagspraktischen

Interpretationen von Welt, in denen sich etwas als etwas zeigt. Der durch die

Auslegung konstituierte Sinn ist sprachlich vermittelt. Auf die Gefahr der

Verdopplung, die in der Formulierung „etwas als etwas“ steckt und zu

mentalistischen oder subjektivistischen Modellen (ver-)führt, haben wir bereits

hingewiesen. Die Kontexte, in denen sich Dasein immer schon befindet, sind

sprachlicher Art, Dasein befindet sich immer schon in Sprachsituationen. „Die Rede

ist mit Befindlichkeit und Verstehen existenzial gleichursprünglich.“ (161) In der Rede

artikuliert sich die Verständlichkeit der Erschlossenheit, der Sinn. „Sinn ist ein

Existenzial des Daseins, nicht eine Eigenschaft, die am Seienden haftet, >>hinter<<

15 Zur Struktur dieses etwas als etwas nehmen siehe Brandom; S. 48f. Mit dem Wesen derInterpretation beschäftigt sich Paragraph 32 in Sein und Zeit. Hier entwickelt Heidegger den

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ihm liegt oder als >>Zwischenreich<< irgendwo schwebt.“ (151) Nur Dasein hat

Seinsverständnis, eignet Sinn, „kann sinnvoll oder sinnlos sein.“ (Ibid.) „[D]er Mensch

ist ontisch bestimmt, onto-logisch zu sein.“ (Rentsch 1985; 263)

Es sind die existentialen Möglichkeitsbedingungen von Sinn, auf die Heidegger

abzielt und insofern läßt sich Sein und Zeit als eine Bedeutungstheorie

charakterisieren. Heidegger legt die Vorraussetzungen des Fragens frei: die

Möglichkeit eines Verhaltens zu sich und die Rede. Diese Bedingungen von

Sinnverständnis, der „existentiale Kontext“ (Ibid; 161), sind nicht zu leugnen, da in

solchem Versuch auf sie zurückgegriffen werden müßte. Es sind „irreduzible und

unerklärliche Sinnphänomene; sie sind die Möglichkeitsbedingungen allen

Sprechens.“ (Ibid; 264)

Die sprachliche Verfaßtheit verweist auf das soziale Wesen des Daseins,

schließlich ist Sprache ein soziales Phänomen. Sie setzt mehrere Teilnehmende

voraus, da eine aus einer einzigen Person bestehende Sprachgruppe nicht

vorstellbar ist.

Daseins soziales Wesen – Mitsein

Dasein ist keine Insel.16 Es ist ein soziales Wesen. „Dasein’s inherently worldly Being

is essentially social.” (Mulhall; 66) Daseins Welt hat eine soziale Struktur, sein Sein

ist Sein mit anderen, ist Mitsein. (118) „Auf dem Grunde dieses mithaften In-der-Welt-

seins ist die Welt je schon immer die, die ich mit den Anderen teile. Die Welt des

Daseins ist Mitwelt.“ (Ibid.) Wir treffen andere in ihrem In-der-Welt-sein, teilen mit

ihnen diese Welt. Wir erkennen sie während ihrer Verhaltungen zu und im Umgang

mit innerweltlich Seiendem. Wir sehen sie „bei der Arbeit”. (120) Wir entdecken die

anderen in ihren sozialen Rollen und in den Entitäten, die zu ihnen gehören: „Im

umweltlich Besorgten begegnen die Anderen als das, was sie sind; sie sind das, was

sie betreiben.“ (126) Mitsein ist verschieden von Zuhandenem weil wir nicht nur

andere anerkennen, sondern auch sie Anerkennende („recognizers“) sind. (Brandom;

54)

berüchtigten hermeneutischen Zirkel.16„No self is an island: each exists in a fabric of relations […] a person is always located at ‘nodalpoints’ of specific communication circuits […] Or better: one is always located at a post through whichvarious kinds of messages pass.” Jean-Francois Lyotard: The Postmodern Condition: A Report onKnowledge; Manchester 92001; S. 15.

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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 14

Mitsein heißt nicht, daß die Anderen zufällig um Dasein herum sind. Mitsein ist

existenzial zu verstehen. Es drückt das Teilen von beidem aus: sozialen Praxen und

dem Verständnis von Sinn und Signifikanz. Auch bevor er Freitag traf, war Robinson

Crusoes Inseldasein von der Form des Mitseins charakterisiert. Wir sind sozialisiert

durch Praxen und in Praxen. Diese „embody pervasive responses, discriminations,

motor skills, etc., which add up to an interpretation of what it is to be a person, an

object, an institution, etc.” (Dreyfus 1991; 17) Welt gründet auf einen Horizont des

sozialen Lebens. Wir sind in ein soziales und kulturelles System eingebettet, mit

Normen und Werten, Traditionen und Riten, in eine Bedeutungswelt, einen

Signifikanzenkontext. Wir sind angewiesen auf ein „pre-established network of

purposes.” (Polt; 57) Dieses Netzwerk ist es, auf das Heidegger abzielt. Er kann es

aber nicht explizieren, kann nur darauf hinzeigen, da dieser „nonexplicitable

background” uns zum sinnvollen Besorgen mit Dingen erst befähigt. (Dreyfus 1991; 4

& vgl. Mulhall; 51)

Beide Welten – die der Zuhandenheit und Vorhandenheit – sind also

intersubjektiv. Wie aber entsteht Vorhandenheit, wann begegenen uns die Dinge als

vorhanden? Und wann tritt die Subjekt-Objekt-Unterscheidung auf?

IV. De- and Rekontextualisierung – Genese der Vorhandenheit

„Die Geschichte der Wissenschaft besteht ja nicht bloß aus Tatsachen und Schlüssen aus

Tatsachen. Sie enthält auch Ideen, Deutungen von Tatsachen, Probleme, die aus

widerstreitenden Deutungen entstehen, Fehler und anderes mehr. Bei genauerer Untersuchung

stellt sich sogar heraus, daß die Wissenschaft überhaupt keine >>nackten<< Tatsachen kennt,

sondern daß alle >>Tatsachen<<, die in unsere Erkenntnis eingehen, bereits auf bestimmte

Weise gesehen und daher wesentlich ideell sind.“ Paul Feyerabend17

Die Dinge zeigen sich uns nicht nur als Zeug im Modus der Zuhandenheit. Sie

können ihrer Bewandtnis entkleidet werden und gerieren dann zu jenen Objekten der

traditionellen Subjekt-Objekt-Unterscheidung. Den für uns nun isoliert in der Welt

vorhandenen Objekten schreiben wir Eigenschaften zu. In dieser Betrachtung

erscheint uns das innerweltlich Seiende im Modus der Vorhandenheit. Diese ist ein

Derivat des Zuhandenen.

17 Wider den Methodenzwang; Frankfurt / Main; 21983; S. 15f.

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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 15

Wie wir gesehen haben, ist Zeug ein etwas mit dem man etwas tun und umgehen

kann. Zeug hat darin Bewandtnis, weil es geeignet ist für einen Zweck, eingebettet in

das Netz des Bewandtnisganzen. Zudem ist dem Zeug eigen, sich „zurückzuziehen“

um Zeug zu sein. (69) Solange das Zeug geeignet bleibt für den Umgang mit ihm ist

es transparent, unauffällig, nicht „sichtbar“. Funktioniert jedoch zu irgendeinem

Moment das Zeug nicht mehr, hört es auf geeignet zu sein und verliert seine

Bewandtnis. Durch die Unverwendbarkeit büßt das Zuhandene die charakteristische

Verfügbarkeit ein. In der Bewandtnisganzheit tritt eine Störung der Verweisung auf.

(74) Drei Arten der Störung weist Heidegger aus: „Die Modi der Auffälligkeit,

Aufdringlichkeit, Aufsässigkeit haben die Funktion, am Zuhandenen den Charakter

der Vorhandenheit zum Vorschein zu bringen.” (Ibid.) Bricht ein Zeug, wird es

auffällig. Normalerweise verschwindet diese Auffälligkeit nach dem Moment der

Reparatur und wir nehmen die Arbeit wieder auf. Hier könnte das Konzept der

traditionellen Intentionalität Platz finden, wie Dreyfus vorschlägt. Als Beispiel nennt er

einen klemmenden Türgriff. Dieser stört den gewohnten Ablauf des Türöffnens. Für

einen Moment halten wir inne und könnten nun intendieren, den Griff kräftiger zu

drehen, zu wünschen, man hätte eine Axt, oder zu einem Gott zu beten um die Tür

zu öffnen. Laufen wir dann letztlich durch die Tür hindurch, fallen wir in den Modus

der „absorbed intentionality“ zurück. (Dreyfus 1991; 70) Eine Störung zweiter Art ist

die Aufdringlichkeit. (73) Sie tritt bei vorübergehenden Zusammenbrüchen („temporal

breakdowns”; Dreyfus 1991; 72) auf, wenn geeignetes Zeug nicht zur Hand,

unzuhanden, ist. Doch wohnt dieser Feststellung keine theoretische Attitüde inne.

Wir sind weiterhin involviert und sehen das Objekt als fehlend an, weil es nicht zur

Hand ist. Zum Dritten erweist sich die Aufsässigkeit als Störung. (74) Hier steht

etwas unserem Handeln im Wege, welches sich als „Unzuhandenes in der Weise

des Nichthergehörigen“ zeigt. (73)

Für Dreyfus (1991; 73-83) ist es nur die Aufsässigkeit, welche das Erscheinen der

Vorhandenheit ermöglicht. Für diese Interpretation sehe ich bei Heideggers Position

nicht genügend Hinweise, schreibt er doch allen drei Phänomenen eine ähnliche

Wirkung zu, nämlich jene „am Zuhandenen den Charakter der Vorhandenheit zum

Vorschein zu bringen.“ (74)18

In Störungssituationen, Störfällen, zeigt sich das Zeug als un-zuhanden, weil es in

der ein oder anderen Art unverfügbar ist. Es ist in seiner Unverfügbarkeit ent-borgen.

18 Vgl. zum Beispiel Mulhall (48-51) und Brandom (55-63).

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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 16

Dies stört das Netz der Signifikanzen und ein „ein Bruch […] der

Verweisungszusamenhänge” (75) stellt sich ein. Fokussieren wir in diesen

Situationen unsere Aufmerksamkeit auf jene Unzuhandenheit, dann zeigen sich die

Dinge als bloß Vorhandenes. Durch das Abstreifen ihrer Bewandtnis, dem

Herauslösen aus dem Verweisungszusammenhag, stehen sie dekontextualisiert in

der Welt. So wird die Vorhandenheit entdeckt in der Unzuhandenheit, indem am

Zuhandenen durch die Unverfügbarkeit gerade die Zuhandenheit verdeckt ist. Dann

ist es möglich vom praktischen Kontext abzusehen und von der interpretatorisch-

praktischen Ebene des Etwas-gebrauchens in jene der Aussage zu wechseln.19

Durch die Aussage tritt ein Wechsel in der Interpretation auf: „Das zuhandene Womit

des Zutunhabens, der Verrichtung, wird zum >>Worüber<< der auszeichnenden

Aussage.“ (158) Die Vorhandenheit wird in der Sprache artikuliert, die Dinge im

Modus der Vorhandenheit entdeckt und ihnen Eigenschaften zugesprochen. Durch

die Performance der Aussage wird das (dekontextualisierte) Unzuhandene

rekontextualisiert. Ihm wird nun Bedeutung im Spiel unserer Sprache zugewiesen.

Die Genese der Vorhandenheit vollzieht sich folglich nicht in der De-, sondern in der

Re-Kontextualisierung.

Wissenschaft als Form der Rekontextualisierung

Ein besonderer Modus der Rekontextualisierung ist die Praxis der Wissenschaft, also

das Wechseln vom bloßen Betrachten und der Rede darüber zu Beobachtung und

Analyse. (Dreyfus 1991; 79) In dieser Praxis wird einem einzelnem „Ding“ oder

Phänomen intensive Beachtung geschenkt und Gesetze auf es angewendet.

Möglichst gesicherte Erfahrungssätze werden in ein theoretisches Gerüst überführt.

„Our findings about the ‚world’ of present-at-hand objects are just a narrow class of

data that we can extract [...] from what we experience.” (Polt; 58) Nach dieser Sicht

ist Naturwissenschaft nicht jene objektive Weltinterpretation, wie die

Wissenschaftlerin geneigt ist sie zu sehen. Wissenschaft ist eine, heute gewiß die

deutungsmächtigste, Methode der De- und Rekontextualisierung, des Herauslösens

aus einem und Einbettens in einen anderen Bewandtniszusammenhang. Das Objekt

19 Brandom: „It is then possible to adopt a special stance, shifting from the original practical context tothat of assertion.” (60)

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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 17

der Naturwissenschaften ist die rekontextualisierte Natur20 in einem System von

Theorien.

Durch Abweisen der ursprünglichen Signifikanz, dem Worumwillen, entdeckt die

Wissenschaft Eigenschaften an der Vorhandenheit und kann über deren

Beziehungen zueinander spekulieren und diskutieren. „That is, it discovers the

physical properties of nature by leaving out all relevance to human purposes.”

(Dreyfus 1991; 120f) Im Rückgriff auf Natur als Vorhandenheit kann nur das

Funktionieren von Zeug (warum) erklärt werden, nicht aber die Zuhandenheit, denn

die Weltlichkeit liegt zugrunde. (Dreyfus 2001; 75) Natürlich kann die Wissenschaft

den Rahmen ihrer eigenen Zwecksetzung nicht überschreiten. Wissenschaft ist

eingebettet in Daseins Seinsweise. (11) Genauso wie Dasein21 eingebettet ist in

Situationen, so ist auch sie eingebettet in den Kontext der Wissenschaft und die

wissenschaftliche Methode ist selbst ein Derivat der alltäglichen Verwicklungen.

Wissenschaft kann nicht sich selbst einen Sinn geben oder ein Verständnis dafür

entwickeln, was Wissenschaft ist. „The lifeworld is what gives all facts their meaning.”

(Polt; 58)

Wissenschaftsgeschichtlich zeichnet sich allerdings ein anderes Bild: hier wird das

Vorhandene als sichere Ausgangsbasis aller Erklärungen von Welt angesehen.

Diese Vorstellung zieht sich von Descartes bis zu den Modellen sogenannter

künstlicher Intelligenz22; man konzentrierte sich auf materielle Gegenstände oder

Sinnesdaten als Grundlage allen Weltverständnisses. (Dreyfus 1991; 69) Wie Dinge

Wert erhalten, kann die Tradition allerdings nicht zeigen. Diese Ontologie der

Vorhandenheit muß alles auf diese Basis der „Fakten“ reduzieren können. Getragen

wird dieses Ansinnen von der Illusion, das Ganze von Welt aus Einzelteilen

zusammensetzen zu können. Dieser Vorstellung hält Heidegger entgegen, daß

Bedeutung eben nicht isoliert ist von ihrem Kontext und zeigt auf, „that not only mind

but matter as well is a theoretical construct with no indispensable role to play in

making sense of the everyday life-world.“ (Guignon 1993b; 10) Erst durch den Schritt

20 Auch hier sei darauf hingewiesen, daß Heidegger vier Sinne herausstellt, in welchen „Natur”verstanden werden kann: als „available”, „unavailable”, „occurent” and „primitive and romantic”Konzepte. (Dreyfus 1991; 109-12)21 Wie wir schon erwähnt haben, läßt sich Dasein auch als umfassender lesen, als ausschließlich denMenschen betreffend. (Vgl. Fußnote 6) Dementsprechend würde nach Haugeland zum BeispielWissenschaft selbst unter Dasein subsumiert werden.22 Wenn auch kein Beweis für die philosophische Unmöglichkeit künstlicher Intelligenz so sind diepraktisch-technischen Schwierigkeiten in der Durchführung, welche sich aus den zugrundeliegendenRepräsentationsmodellen ergeben, Aufweis genug. Dreyfus stützt sich maßgeblich auf Heidegger um

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zurück, dem Rückzug aus dem involviertem Standpunkt, verlieren die Dinge ihre

alltagspraktische Bewandtnis. Die Verkennung dieser Entlokalisierung als

Vorraussetzung der Neulokalisierung in einen wissenschaftlichen

Bewandtniszusammenhang und der damit entstehende Prius des Theoretischen ist

für Heidegger der Hauptfehler der Tradition.

V. Die cartesianische Perspektive und ihre Zurückweisung

„Das Ich ist kein Gegenstand.“23

Den traditionellen Rückgriff auf die Vorhandenheit als Basis für ein Verständnis von

Welt und Sein weist Heidegger als Verdinglichung zurück. Die auf Aristoteles

zurückgehende Substanzpriorität führte in der cartesianischen Philosophie und dem

Idealismus zu einer Verdoppelung der Phänomene. Diese aufgeblähte Metaphysik

barg den szientistischen Reduktionismus der materialistischen (naturalistischen)

Philosophie schon in sich. (Rentsch 1985; 237) Daraus ergab sich Heideggers

Überzeugung, hinter die beiden Strömungen zugrundeliegenden Annahmen

zurückgehen zu müssen. Die Unterscheidung nach Innen- und Außenwelt, Subjekt

und Objekt, ist für ihn nicht primär, sondern ein Derivat. Die Konzentration auf diese

Unterscheidung als Basis allen Philosophierens wird hervorgerufen durch die

Vergessenheit der Situation.

Descartes Argumentation und die auftretenden Dilemmata

Das Dilemma das Wissen über die vermeintlich externe Welt betreffend ist direkt auf

Descartes’ dualistische Grundunterscheidung zurückzuführen. Für diese

argumentiert er in der sechsten seiner Meditationen, die da heißt Über das Dasein

der materiellen Dinge und den substanziellen Unterschied zwischen Seele und

Körper. (AT VII; S.71-90) Hier werden die Dinge schon beim Namen genannt. Im

Versuch, einen Weg aus der Skeptik zu finden, nahm Descartes beim „ego cogito“,

beim „ich denke“, Anfang. Dem Hinweis von Wrights folgend, daß Descartes den

Begriff „Denken“ weiter fasste, als er heute gebräuchlich ist, verwenden auch wir

für jene Unmöglichkeit argumentieren. Vgl. What Computers Still Can’t Do; The Key Reporter; Vol. 59;#2; Winter 1993/94.23 Ludwig Wittgenstein; Tagebucheintrag vom 7.8. 1916; Tagebücher 1914-1916; in: Werkausgabe;Bd. I; Frankfurt / Main 1984; S. 175.

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„Bewusstsein“.24 Dieses menschliche Bewußtsein, den Geist, nahm Descartes als

Grundlage seines Theoriegebäudes. Dieser Bewußtseinssubstanz, der res cogitans,

wird die res extensa, eine Welt der Ausdehnung extern zum Geist,

gegenübergestellt. Die Welt wird sonach als Behälter verstanden. Die zwei

Substanzen sind kategorisch von einander unterschieden, keine ist auf die andere

rückführbar. Durch die Einführung dieser binären Opposition hat Descartes es

scheinbar gewährleistet, die Vorstellungen von menschlicher Willensfreiheit und der

unter kausalen Gesetzen stehenden Natur zu vereinen.

Die Frage jedoch, die sich aus diesem Dualismus ergibt, ist, wie diese zwei

Substanzen wohl in Verbindung stehen. Wie können diese zwei Verschiedenheiten

kausal interagieren? Wie können mentale Ideen materielle Dinge repräsentieren,

kann der Geist Wissen haben von der Außenwelt? Descartes gibt keine klare Antwort

auf diese Frage und verweist letztlich auf Gott als finale Begründung.25 Aufgrund der

Historizität dieses Arguments gab und gibt es weitere Versuche, die dualistische

Position zu verteidigen. Doch auch diese sind nicht zufriedenstellend. Entweder wird

Welt reduziert auf die Funktionsweise unserer Sinne oder die wirkliche Welt ist uns

nicht zugänglich. Monistische Erklärungsversuche, die sich an diesen

Schwierigkeiten des cartesianischen Dualismus orientieren und ihn auf die materielle

Substanz reduzieren scheinen ebenso wenig ergiebig.

Das „Problem der anderen Geister” ist ein ähnliches Dilemma. Es beinhaItet die

Frage, wie es möglich ist, Wissen von der Existenz anderer Geister, Bewußtseine, zu

haben und zwischen Mensch und ihnen gleichenden Maschinen zu unterscheiden.

24 „In addition to what we would call ‚thoughts’ or thought-like phenomena such as beliefs,recollections, and expectations, he also included among thoughts sensations and acts of will(‚volitions’). The best modern word for Descartes’s ‚thought’ or ‚thinking’ is perhaps conciousness.”Georg Henryk von Wright: In the Shadow of Descartes – Essays in the Philosophy of Mind; Dodrecht(u.a.) 1998; S. 125.25 Für Descartes ist der Körper ein Automat, der zur Welt der Ausdehnung gehört und wie diesemechanischen Erklärungen unterliegt. Deshalb faßt Descartes die Physiologie als ein Teilgebiet derPhysik auf, und sie ist als solches auch deren Gesetzen unterworfen ist. (Röd; 132) Die Interaktionerklärt Descartes über die Zirbeldrüse. Der Körper leitet die von der Außenwelt aufgenommenenReize an dieses Organ weiter. Und dort werden sie vom Geist wahrgenommen, aufgenommen,empfangen. Dieses sind nur Metapher, denn wie genau das geschehen soll, erklärt Descartes nicht.(Vgl. Perler 1996; 123 / 26ff) Auch andersherum erfolgt die Interaktion ebenso. Die Seele lenkt dieBewegung des Körpers mittels Einwirkung auf die Zirbeldrüse. Die Bewegung selbst aber werde imKörper erzeugt. (Röd; 136) Das reichte für Descartes als Antwort aus. Selbst als seine Umwelt ihn aufeine Klärung dieser Funktionsfrage ansprach, ging er kaum darauf ein. In einem Gespräch mit Burmangab er als Antwort: „Dies ist sehr schwer zu erklären. Doch hier reicht die Erfahrung, die so klar ist,daß sie in keiner Weise geleugnet werden kann.“ (AT V; 163) Eine wissenschaftliche Erklärung ist diesallerdings nicht. Letztlich, so Descartes, funktioniere die Leib-Seele-Interaktion aufgrund der GüteGottes und seiner Allmacht. (AT VII; 87f)

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Das Primat der Praxis – Heideggers Kritik

Diesem cartesianischen „dogma of the Ghost in the Machine” (Ryle; 17) tritt

Heidegger entgegen, indem er nach der ontologische Grundlage der binären

Opposition des Dualismus fragt. Wie wir gesehen haben unterscheidet Heidegger

zwei ontologische Kategorien von Seiendem, Zuhandenheit und Vorhandenheit, und

zusätzlich Dasein. Daseins Sein ist wesentlich Besorgen, welches als

„atheoretisches“ (59) Verhalten verstanden ist. Im praktischen Lebensvollzug

begegnen Dasein die Dinge als Zuhandenes. Erst im Innehalten, im Halt der

praktischen Verhaltungen, entdeckt Dasein Seiendes im Modus der Vorhandenheit.

Daher sind für Heidegger praktische Verhaltungen vorgängiger als die

Kontemplation. Dieser Denkansatz stellt die Grundhaltung der philosophischen

Tradition geradewegs auf den Kopf, war für diese die unbeteiligte, reine (Wesens-)

Schau allen praktischen Verwicklungen vorzuziehen.26 Diesen Vorzug der Theorie

vor der Praxis verwirft nun Heidegger.

Leben ist Selbstverhältnis, sich zu sich selbst verhalten. Dieses ist durch Welt und

Sprache vermittelt. Leben findet Vollzug in Lebenswelt und Sprachwelt. Diese

„vorgängige Erschlossenheit“ ist immer schon Voraussetzung für alle Fragen nach

dem Menschen, auch nach dem Verhältnis von Mensch und Natur. „Sum, ergo

cogito. – Ich bin, also denke ich.“ Diese Umkehrung von Descartes’ Ausspruch

pointiert Heideggers zentralen Punkt:

„Ich-bin-in-einer-Welt. Als so Seiendes >>bin ich<< in der Seinsmöglichkeit zu verschiedenen

Verhaltungen (cogitationes) als Weisen des Seins bei innerweltlichem Seienden.“ (211)

In der Tradition wurde die Existenz als Essenz vorgestellt, wodurch nun Dasein im

Licht der Kategorien wahrgenommen worden ist und „die Seinsauslegung zunächst

ihre Orientierung am Sein des innerweltlichen Seienden“ (201) nahm. Im Zug der

unangemessenen Interpretation der Seinsverfassung drängt sich das Bild der

Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung als einzig plausibles auf: „Denn was ist

selbstverständlicher, als daß sich ein >>Subjekt<< auf ein >>Objekt<< bezieht?“ (59)

Indem die existentiale Struktur der Seinweise des Daseins übersehen und Dasein als

vorhandenseiende Entität verstanden ist wird es verdinglicht, der Blick auf die

existentialen Strukturen verstellt.27

26 Bei Aristoteles beispielsweise ist die theoria die höchste Form des Lebensvollzuges.27 Diese Selbstinterpretation an innerweltlich Seiendem geschieht auch im täglichen Leben. Daseinsvor-ontologisches Seinsverständnis verstellt sich gewöhnlich durch die Vorstellung, dem Dasein wäre

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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 21

Im einzelnen sind es drei grundsätzliche Annahmen der Tradition, die Heidegger

verwirft:28

Erstens wird das Modell mentaler Repräsentationen abgelehnt. Dieses wiederum

basiert auf zwei unreflektierten Annahmen: der Existenz eines internen und irgendwie

privaten Raumes, in welchem menschliches Leben Platz hat, und einem Bereich

externer Objekte. (Polt; 55 & 80) Diese Mißkonzeption beruht auf der cartesianischen

Verwendung von Begriffen der mittelalterlichen Scholastik. Durch die unterschlagene

Unterscheidung von ego und sum, so Heidegger, bleibt auch die Seinsweise der

cogitans unbestimmt. (24f) Das cartesianische Ich scheint nicht zu existieren. Die

Seinsweise des innerweltlich Seiendem wird für das Dasein übernommen. Diese

Vorstellung überträgt sich weiterhin auf Descartes’ Konzeption von „Welt“ (res

extensa)29, welche ebenfalls als Vorhandenes gedacht wird. (Marion; 79) Erst auf der

Grundlage dieser Vorstellung kann Skepsis über die Verläßlichkeit unserer

Sinnesdaten aufkommen. Doch wie wir gesehen haben ist die inner-äußere

Erfahrung ein Derivat eines ursprünglicheren Modus.

Die zweite Annahme nimmt es für gewiß, daß jedes und alles erklärt werden kann

und durch Theorien expliziert werden kann. Allerdings ist gerade das

Seinsverständnis, auf welches Heidegger abzielt, nicht explizierbar. Darauf kann nur

hingezeigt, verwiesen sein. (Dreyfus 1991; 4)

Zum Dritten und wie wir schon gesehen haben, verneint Heidegger die

traditionelle Grundhaltung, daß ein distanzierter Stand, ein objektiver

Beobachtungspunkt der Theorie, eingenommen werden kann, welcher der

praktischen, involvierten Perspektive überlegen wäre. (Ibid; 6) Im Zurückziehen liegt

die Antwort auf die Frage nach dem Leben nicht. Anstatt „[to] explore the nature of

human contact with the world from the viewpoint of a detached observer of that

world,” (Mulhall; 39) ist Heideggers Blick auf Akteure gerichtet.

ein Wesen, eine Essenz, gegeben. Diese Fehlinterpretation, in der Dasein „zunächst und zumeist beider besorgten >>Welt<<“ ist, bezeichnet Heidegger mit „Verfallen”. (175) „Yet Dasein alwaysunderstands itself as having some specific essential nature. It grounds its actions in its understandingof human nature, and feels at home in belonging to a certain nation or a certain race.” (Dreyfus 1991;25)28 Dreyfus weist drei traditionelle Annahmen aus, welche Heidegger nicht teilt. (Dreyfus 1991; 4-7)Doch reicht es für unsere Arbeit aus, sich auf drei zu konzentrieren.29 Weil Descartes die res extensa als Charakteristik von Welt anführt, wird auch der Begriff desRaumes betroffen. In Heideggers Sicht ist das cartesianische Koordinatensystem nur einwissenschaftliches Derivat eines ursprünglicheren Distanzverständnisses. Zunächst nämlich erlebenwir Nähe und Ferne – Fremdes und Vertrautes – in der Befindlichkeit. Zum Beispiel ergreift uns Furchtauf dem Weg durch den nächtlichen Clara-Zetkin-Park und wir fühlen uns nah zu einer Freundin,welche tausend Kilometer entfernt weilt. (110-3) „In full-fledged time and space things matter to us.”(Polt; 59)

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Die Auflösung der Dilemmata

Welt ist nach diesem Verständnis kein Gegenstand der Erfahrung, sondern

transzendentale Lebensform. Wir haben immer schon eine Welt, sind immer schon in

der Welt. Welt ist kein Container, kein materieller Raum, in dem wir uns irgendwie

aufhalten. Dieser Gefangenschaft im cartesianischen Bild der Subjekt-Objekt-

Unterscheidung gilt es zu entkommen, denn indem auch die cogitans als Substanz

vorgestellt wurde, ward der Blick verstellt. Dem Körper stand nun die Entität des

Geistes inkommensurabel gegenüber. Auf diese dualistische Verdopplung folgte die

Reduktion eines materialistischen Monismus. Der Mensch wurde zur (biologischen)

Maschine. Beiden Vorstellungen wohnt die Vergegenständlichung menschlichen

Seins, die Verdinglichung unseres Selbstverständnisses, inne. Deshalb übt

Heidegger Kritik an diesen Modellen der Beziehung zwischen Mensch und Natur und

verweist auf den kategorialen Unterschied zwischen der Rede vom Menschen und

gegenständlichen Prädikationen. Er geht hinter diese Vorstellung zurück, indem er

die Umkehr des traditionellen Vorrangs des Unbeteiligten vollzieht. Daseins Sein ist

sonach Involviertsein. Anstatt einer externen Welt unbeteiligt gegenüberzustehen ist

Dasein immer schon in der Welt, in Kontexte eingebunden, in Situationen verwoben,

„In Geschichten verstrickt“30. Das Phänomen der Welt ist Möglichkeitsbedingung

dieser „Situationalität“ (Rentsch 1985; 14). Dasein bewegt sich stets in

Bedeutungshorizonten – Sprachspielen um mit Wittgenstein zu sprechen – aus

denen heraus Einzelbedeutungen verstanden sind.31 Daher muß Welt holistisch

verstanden werden. Sie ist ein Ganzes und nicht zusammengesetzt aus Einzelfakten,

denn sie ist jener Verstehenshorizont vor dem Einzelaspekte erst verstehbar sind.32

Die Welt wird uns nicht vermittelt, sie ist ein Konstitutivum für unser Dasein; wir sind

unvermittelt da. Der Mensch ist immer schon eingebettet in ein Bedeutungsganzes,

30 Wilhelm Schapp: In Geschichten verstrickt – Zum Sein von Mensch und Ding; 42004: „WirMenschen sind immer in Geschichten verstrickt. Zu jeder Geschichte gehört ein darin Verstrickter.Geschichte und In-Geschichte-verstrickt-sein gehören so eng zusammen, daß man beides vielleichtnicht einmal in Gedanken trennen kann.“ (1) „Die Geschichte jedenfalls läßt sich nicht als Gegenstanduntersuchen, weil etwas Geschichte nur insoweit ist, als ich in die Geschichte verstrickt bin. DiesesVerstricktsein läßt sich nicht so aus der Geschichte lösen, daß auf der einen Seite die Geschichteübrigbliebe und auf der anderen Seite mein Verstricktsein oder so, daß die Geschichte überhauptnoch iregend etwas wäre ohne den Verstrickte, oder der Verstrickte noch irgendetwas wäre ohne dieGeschichte.“ (86)31 Rentsch spricht in diesem Zusammenhang von einem „Situationsapriori“ beziehungsweise„Geschehnisapriori“. (1985; 15)

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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 23

in ein Weltbild und Bezugssystem (Wittgenstein 1969; §§ 83 & 93), einen

Verweisungszusammenhang (82).

Gleichursprünglich zum „Verstehensmedium“ (Stegmüller; 148) Welt ist die

Sprachlichkeit. Denn Menschsein findet Vollzug in Lebenswelt und Sprachwelt, und

unser Selbstverhältnis ist sprachlich verfaßt genauso wie sich der Sinn von Welt in

der Sprache artikuliert. So konstituieren Welt und Sprache die Grenzen unseres

Verstehens. Ein Hintergehen beider Phänomene ist uns unmöglich, sind sie immer

schon Vorraussetzung jeglichen Verstehens. Nur scheinbar ist der Rückzug aus der

Welt möglich. Von alltäglicher Praxis distanziert ist die theoretische Perspektive

einnehmbar. Doch ist auch diese nicht frei von Situationalität. So ist es nur

scheinbare Möglichkeit, wie Descartes den Wachsball zwischen den Fingern zu

rollen und in der Draufschau die Welt nach Subjekten und Objekten, Innen und

Außen, zu sezieren. Dieser Unterscheidung wird der Vorrang gegeben, weil

übersehen wird, daß sie nur Derivat eines ursprünglicheren Phänomens ist. Denn der

Zweifel an der Existenz einer Außenwelt setzt Welt schon voraus. „Das

Realitätsproblem [...] erweist sich als ein unmögliches [,...] weil das Seiende selbst,

das in diesem Problem im Thema steht, eine solche Fragestellung gleichsam

ablehnt.“ (206) Die Skeptikerin agiert vor einem Verstehenshorizont, den sie immer

schon hat und daher voraussetzen muß, um überhaupt skeptisch zu sein. Somit wird

Welt zur Möglichkeitsbedingung des skeptischen Zweifelns. „Die Welt ist ebenso

unmittelbar >>da<< wie das menschliche Dasein selbst.” (Stegmüller; 143) Unsere

vorgängige Erschlossenheit oder mit Wittgenstein: Lebensform, das Daß wir immer

schon in der Welt sind und darum verstehen, ist Voraussetzung für alles Fragen nach

dem Menschen, auch nach dem Verhältnis von Mensch und Natur. Dahinter kann

nicht zurückgegangen werden und darum muß auch ein naturalistischer

Reduktionismus die Situationalität immer mitbedenken, welche er nicht in eigene

Termini fassen kann.

Dasein ist Welt- und Selbstreferenz. Wir sind in der Welt und darum denken und

verstehen wir. Sonach greifen jene Bedeutungstheorien zu kurz, welche auf

Grundlage der Subjekt-Objekt-Differenz die mysteriösen sinnstiftenden Vorgänge

zwischen mentalen Zuständen und materiellen Gegenständen erklären. Heidegger

weist dieses Bild mentaler Repräsentation der Wirklichkeit zurück, denn Sinn läßt

sich nicht über Objekte stülpen. Zu Tatsachen Bedeutung zu addieren, konstituiert

32 Analog könnte gefragt werden, wie wir denn unser Leben begreifen. Fassen wir es auf als ein

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Tobias Prüwer – Dasein, Sprache, Welt 24

keinen, macht keinen Sinn. Die cartesianische (kognitivistische) Wiedergabe von der

Genese der Bedeutung und davon, wie wir fähig sind, zu verstehen und besorgt zu

sein, ist nicht plausibel. „Worldliness cannot be understood in terms of nature.”

(Dreyfus 1991; 113) Wenn sich etwas für uns zeigt, in einer intelligibelen Weise,

dann geschieht dies auf dem Grunde, daß wir immer schon ein (Vor-)Verständnis

haben für Bedeutung. Dieser Hintergrund, die Bewandtnisganzheit, ist

vorrausgesetzt; das Sichzeigende ist eingebettet in eine Verweisungsganzheit. Die

traditionelle Subjekt-Objekt-Unterscheidung setzt diesen Hintergrund geteilter Praxen

im alltäglichen Leben immer schon voraus.33 „Welt aber ist mit dem Sein des Daseins

wesenhaft erschlossen.“ (203) Die Möglichkeit Urteile zu fällen wird erst möglich vor

dem Hintergrund eines Bewandtniskontextes und dieser muß bereits verstanden

sein, ehe etwas als etwas erfaßt werden kann. „Alle Auslegung, die Verständnis

beistellen soll, muß schon das Auszulegende verstanden haben.“ (152) Um an

Heidegger anzuknüpfen: Eine Kombination aus Holz und Eisen trägt seine

Bedeutung als Hammer nicht in sich, sondern erlangt diese im Zusammenhang mit

Nagel, Brett und Zweck des Heimwerkelns. Und auch Holz und Eisen bekommen

erst Bedeutung vor dem Hintergrund der Materialkunde.

Analog zum Zweifel an der Welt läßt sich auch das zweite Dilemma auflösen, jene

Frage, wie wir andere Menschen entdecken und um deren Menschsein wissen

können. Das cartesianische Modell stellt sich Menschen als herumlaufende Körper

vor, an denen irgendwie der Geist befestigt ist. Andere Menschen begegnen uns

dem gemäß als sich in der Welt bewegende Körper. In diesen Bewegungen

erkennen wir eine Ähnlichkeit zu unseren eigenen und ziehen hieraus den

Analogieschluß, daß da etwas wie Geist in diesen Körpern stecken muß. Das eigene

Sein wird auf die Andere projiziert: „der Andere ist eine Doublette des Selbst.” (124)

Aber solch ein Schluß entbehrt der Grundlage: „Die in Anspruch genommene

Voraussetzung dieser Argumentation, daß das Sein des Daseins zu ihm selbst das

Sein zu einem anderen sei, trifft nicht zu.“ (Ibid.)

Als In-der-Welt-sein ist Dasein zugleich Mitsein. (117) Das Konzept der Anderen,

ihr Mitdasein (Ibid.), ist ein Aspekt unseres Weltverständnisses. Da Mitsein

Ganzes oder nur als Häufung von Einzelerlebissen?33 Dies zeigt sich zum Beispiel daran, daß die übliche Unterscheidung zwischen „Widerfahrnis“ und„Handlung“ zwar als Aspekte einer Geschehnisbeschreiben zulässig, nicht aber konstitutiv für einGeschehen sind, von dem sie nur abgeleitet sind. Diese Differenzierung erst führt zur Subjekt-Objekt-Unterscheidung. (Rentsch 1985; 6)

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gleichwohl ein Existential ist, so ist die Frage nach der Existenz anderer Menschen

genauso unsinnig wie jene nach der Außenwelt. Ist die Frage nach dem Daß der

Welt nicht sinnvoll, so trifft dies gleichermaßen zu für den Zweifel an der Existenz

anderer Geister. Wie die Skeptikerin an der externen Welt die eigene Situationalität

vergißt, so ersteigt solch solipsistische Skepsis vor dem sinnkonstitutiven

Hintergrund sprachlicher Verfaßtheit und zieht dadurch die eigenen Fundamente in

Zweifel. Sprachlichkeit wird nicht als jenes soziale Phänomen erfaßt, welches sie

ist.34

VI. Spiel auf der Lichtung – Ausblick

Ich kann mir wohl denken, was Heidegger mit Sein und Angst meint. Der Mensch hat den Trieb

gegen die Grenzen der Sprache anzurennen. Denken Sie z. B. an das Erstaunen, daß etwas

existiert. Das Erstaunen kann nicht in Form einer Frage ausgedrückt werden, und es gibt auch

keine Antwort. Alles was wir sagen mögen, kann apriori nur Unsinn sein. Ludwig Wittgenstein35

Wie wir gesehen haben wird die traditionelle Sichtweise, daß reine Anschauung

Priorität besitzt vor praktischem Handeln, in Sein und Zeit zurückgewiesen. In

Heideggers Sicht verhält es sich genau andersherum und besorgendes Verhalten ist

vorgängig zu distanzierter Kontemplation. Während auch Heidegger keine

Letztbegründung offeriert, gibt er im Hinterfragen der cartesianischen Position und

ihrem cognitivistischen Erklärungen eine profunde Alternativbeschreibung der

conditio humana und der Beziehung zwischen Mensch und Welt. Heideggers

ontologisch-pragmatische Konzeption ist in der Lage Fragen zu beantworten, für

welche die Tradition keine plausible Erwiderung gefunden hat. Die überlieferten

Dilemmata werden im Hintergehen der cartesianischen Position aufgelöst.

Gewiß weist Sein und Zeit stellenweise Lücken auf, was meines Erachtens

ohnehin Wesenszug des – als prozeßhaftes Fragens verstandenen –

Philosophierens ist.36 Entdeckt Dasein beispielsweise nur in negativer Befindlichkeit

sein Sein oder ist nicht auch in überschwänglicher Freude solches Erschließen

34 Zusätzliches Gewicht erhält diese Position im Lichte von Wittgensteins sogenanntem„Privatsprachenargument“, durch welches er solipsistische Zweifel als absurd ausweist. (1953; §241ff) Siehe weiterhin Saul A. Kripke: Wittgenstein on Rules and Private Language; Oxford 1982.35 Zu Heidegger; 68) „Was Heidegger als Sein des Seienden, als Welt, als das allgemeine Wesen derDinge benennt, das sich nur anzeigen läßt, eben das benennt Wittgenstein als Wesen allen Seins, alsWelt-Hintergrund, als die allgemeine Form des Satzes, die sich nur zeigt.“ (Rentsch 1985; 208)Wittgensteins Affirmation von Heideggers Thesen über Sein und Angst betreffen dessen Kernthesen.

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möglich? Soll auch Fundamentalontologie nicht selbst als Anthropologie verstanden

werden, so bleibt zumindest das Verhältnis zur philosophischen Anthropologie

unklar. Zu fragen wäre weiterhin, wie Daseins Leiblichkeit vorzustellen ist. Heidegger

weiß um diese Schwierigkeit, verschiebt sie aber: „Die Verräumlichung des Daseins

in seiner >>Leiblichkeit<< [...ist] eine eigene hier nicht zu behandelnde Problematik“

(108), welcher sich insbesondere Merleau-Ponty in seiner Phänomenologie der

Wahrnehmung widmet. Überhaupt erwies sich Sein und Zeit als impulsgebend für

philosophische Strömungen wie Existenzialismus und Hermeneutik und jene

Philosophierende, welche gern unter dem problematischen Titelwort

„Poststrukturalismus“ summiert werden.37

Sein und Zeit weist Daseins Lebensform als Selbstinterpretation aus und eröffnet

die Möglichkeit, die Standardinterpretation unserer Selbst in Frage zu stellen,

genauso wie unser überliefertes Verständnis von Welt und Umwelt. Menschen sind

eingebettet in Kontexte, welche durch soziale Praxen und kulturelle Interpretation

definiert werden. Wir verstehen uns selbst aus jenen Möglichkeiten heraus, in

welchen wir wohnen. Wir stehen in der Lichtung unseres Seins und verstehen uns

selbst aus den Möglichkeiten heraus, in welche wir geworfen sind während wir uns in

Interpretationen unserer selbst entwerfen. Menschsein findet sonach statt in einer

Welt, die sprachlich verfaßtes Bezugssystem ist und durch gemeinsame Praxen

erworben wird. Ist (Welt)-Verständnis kontextuell, dann müssen kulturelle

Organisation und Sinngebung einer Gesellschaft Basis und Verständnishorizont für

die Frage nach dem Menschen sein. Aus der Mitte täglicher Praxis heraus liegt der

gelingende Ansatz in der Beschreibung jener Bedingungen, welche die Möglichkeit

menschlicher Praxen eröffnen und beschließen. Seinsweisen sind an Existenziale

gebunden; Sprachspiele an Lebensformen um mit Wittgenstein zu sprechen. Weil sie

ihnen zugrunde liegen, sind diese Formen des menschlichen Lebens unhintergehbar.

Sie sind Möglichkeitsbedingungen unseres Seins ohne selbst fundamentiert werden

zu können. Eine finale Begründung, ein Tieferes hinter dem Leben, bleibt versagt:

„Es gibt kein Draußen; draußen fehlt die Lebensluft.“ (Wittgenstein 1953; §103) Wir

kommen aus den Grenzen von Leben und Sprache nicht heraus, wir handeln und

fällen Unterscheidungen vor dem Hintergrund eines Gesichtskreises, der als Ganzes

nicht zu rechtfertigen oder „gut begründet“ ist. In der Zirkelstruktur des Verstehens

36 Im weiteren Wirken vollzieht Heidegger die sogenannte Kehre zur Seinsgeschichte hin, weil er imAnsatz von Sein und Zeit eine anthropozentrische Tendenz ausmacht.37 Hier seien nur genannt Michel Foucault und Jacques Derrida.

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gibt es kein vorraussetzungsloses Wissen. Der hermeneutische Zirkel ist hermetisch

geschlossen.

Ein jeglicher Begründungsdrang stößt irgendwann an sein Ende, aber dieses “ist

nicht die unbegründete Voraussetzung, sondern die unbegründete Handlungsweise.“

(Wittgenstein 1969; §110) Eine transzendente Sicherheit gibt es nicht. Dieser

Unverfügbarkeit von Sinn des Daß sind wir ausgesetzt, menschliches Sein ist

grundlos und abgründig. Der Mensch hat, um es mit Stirner zu sagen, sein’ Sach’ auf

Nichts gestellt.

Menschliches Leben ist kontingent, endlich, kontextualisiert. Dasein vollzieht sich

in einer Welt intersubjektiver Bedeutungen und Sprache ist Trägerin dieser. Die

Hervorhebung der sozialen Kategorie durch Heidegger trägt diesem Rechnung. Das

darf allerdings nicht gedeutet werden als empirischer Pragmatismus oder die

Reduktion philosophischen Fragens auf die Soziologie. Denn die Rede führt

ausschließlich über die Möglichkeitsbedingungen menschlichen Seins, deren

ontischen (tatsächlichen) Manifestationen sich die Einzelwissenschaften widmen.

Sogleich zeigt das Apriori der Situationalität einen wissenschaftskritischen Zug.

Entgegen der selbstproklamierten Distanz ist auch die naturwissenschaftliche

Betrachtungsweise eingebettet in praktische Lebensbezüge und ist somit nur ein

Zugang und nicht der privilegierte zur Welt; lebensleitender Status kommt ihr nicht

zu. Der Kontext der Wissenschaften gilt neu überdacht, Die Frage nach der Technik

weiterhin gestellt zu werden.38 Die eindimensionale Erzählung vom Menschen kann

zugunsten eines Perspektivismus aufgeben werden, ohne dem Vorwurf des

Relativismus zu erliegen.39 Ferner muß der Grundlosigkeit des Daseins keine

Verzweiflung folgen, denn die Unfundiertheit läßt sich auch als das Offenstehen für

den Selbstentwurf lesen. Ist Philosophie die Infragestellung des bislang

Selbstverständlichen, so wäre es für sie an der Zeit sein, den Drang nach

Letztbegründung zu hintergehen und zu erkennen, daß sie wie jegliche Praktiken der

Lebenspraxis erwächst. So wird Denken zur Therapie gegen das Verstelltsein

unseres Verständnishorizonts durch irrtümliche Bilder objektivierter Rede. Unsere

Einbettung in das Gewebe von Sprache, Welt und Sein rückt näher ins Gesichtsfeld

38 Martin Heidegger: „Die Frage nach der Technik“; in: Ders.: Vorträge und Aufsätze; Pfullingen 1954.39 Zu denken wäre zum Beispiel an einen hermeneutischen Pluralismus wie ihn Alan D. Schrift imAnschluß an Nietzsche, Heidegger und Derrida entwickelt. (Nietzsche and the Question ofInterpretation – Between Hermeneutics and Deconstruction; London & New York 1990.

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und das Staunen vor der Welt ließe sich erneut affirmieren. Denn: „Nicht wie die Welt

ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.“ (Wittgenstein 1921; 6.44)

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