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DAVID WEBER IMTASCHENBUCH-PROGRAMM:

HONNOR HARRINGTON

23 194 Band 1 Auf verlorenem Posten23 199 Band 2 Die Ehre der Königin23 205 Band 3 Ein schneller Sieg23 211 Band 4 Mit Schimpf und Schande23 217 Band 5 Im Exil23 223 Band 6 Ehre unter Feinden23 229 Band 7 In Feindeshand23 235 Band 8 Die Siedler von Sphinx

mit David Drake und S. M. Stirling23 241 Band 9 Der Stolz der Flotte

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BASTEI LÜBBE TASCHENBUCHBand 23 253

1. Auflage: Oktober 20022. Auflage: Januar 2003

Vollständige Taschenbuchausgabe

Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint derVerlagsgruppe Lübbe

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Ashes of Victory� 2000 by David M. Weber

� für die deutschsprachige Ausgabe 2002 byVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Published by arrangement withBAEN PUBLISHING ENTERPRISE

This book was negotiated through Literary AgencyThomas Schlück GmbH; 30827 GarbsenLektorat: Ruggero Leo / Stefan Bauer

Titelillustration: David Mattingly / Agentur SchlückUmschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg

Satz: Heinrich Fanslau, Communication/EDV, DüsseldorfDruck und Verarbeitung:

Brodard & Taupin, La Fleche, FrankreichPrinted in France

ISBN 3–404–23253–4

Sie finden uns im Internet unterhttp://www.luebbe.de

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlichder gesetzlichen Mehrwertsteuer.

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Admiral Lady Dame Honor Harrington stellte sich demstummen emotionalen Wirbelsturm auf der Hangar-galerie von ENS Farnese und kämpfte gegen ein starkesSchwindelgefühl an.

Durch das Armoplastfenster im Galerieschott blicktesie in den strahlend hell erleuchteten, makellosen Han-gar und versuchte, dessen ungerührte Sterilität als geisti-gen Schild gegen den Gefühlsorkan zu wenden, ohnedass ihr dieser Kniff sonderlich viel nutzte. Wie tröstlich:Sie brauchte sich dem Gefühlschaos wenigstens nichtallein zu stellen; als sich der Baumkater im Traggestellauf ihrem Rücken rührte, verzog sie unwillkürlich diebewegliche Hälfte ihres Mundes zu einem schiefen Grin-sen. Nimitz hatte die Ohren halb an den Kopf gelegt,denn auf ihn drangen die gleichen emotionalen Böenein. Wie alle Angehörigen seiner empathisch begabtenSpezies war er für die Gefühle anderer Wesen jedoch weitempfänglicher als Honor, und er wusste scheinbar nichtso recht, ob er der schieren Intensität des Augenblickspanikartig entfliehen oder das euphorische Hochgefühlgenießen sollte, das ihm durch den Endorphin-Über-schuss seiner Umgebung erwuchs.

Honor sagte sich, dass sie und ihr ’Kater Situationenwie diese immerhin gewöhnt seien. Schon über drei Stan-dardwochen lag der umwerfende Moment zurück, indem ihre Leute begriffen hatten, dass ihre zusammenge-schusterte und improvisierte Kampfgruppe – von ihnenselbst halb-spöttisch ›Elysäische Navy‹ genannt – tatsäch-lich einen kompletten havenitischen Kampfverband ver-nichten und genügend Schiffsraum kapern konnte, umjeden Häftling in die Freiheit zu transportieren, derden Gefängnisplaneten Hades verlassen wollte. Damals

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hatte Honor geglaubt, nichts könne dem Triumphsturmgleichkommen, der in diesem Augenblick des Begreifensdurch ihr ehemals havenitisches Flaggschiff donnerte –nur für sie und Nimitz hörbar. Doch in mancher Hinsichterschien ihr das Frohlocken, das nun auf sie einströmte,noch stärker. Während der Reise von der Gefängniswelt,welche die Volksrepublik Haven für die ausbruchsi-cherste Strafanstalt aller Zeiten gehalten hatte, war dieVorfreude der ehemaligen Gefangenen auf ein Leben inFreiheit zu einem regelrechten Siegestaumel angewach-sen. Einige Entkommene, wie etwa Captain HarrietBenson, die Kommandantin von ENS Kutuzov, hatten seitüber sechzig T-Jahren nicht mehr die Luft eines freienPlaneten geatmet. Diesen Menschen blieb kein Rückwegin das Leben, aus dem sie gerissen worden waren, dochbrannte in ihnen heiß das Bedürfnis, ein neues zu be-ginnen. In ihrer Ungeduld waren sie nicht allein. Kriegs-gefangene, die nur wenig Zeit im Gewahrsam des have-nitischen Amts für Systemsicherheit verbracht hatten,wollten ihre Lieben wiedersehen; und im Gegensatz zuden ehemaligen Häftlingen, die Jahrzehnte auf dem Pla-neten verbracht hatten, den alle Hell, Hölle, nannten,konnten sie das Leben wieder aufnehmen, mit dessenEnde sie sich bereits abgefunden hatten.

Diesem Verlangen nach einem Neubeginn stand einebenso starkes Gefühl im Wege, das man mit gewissemRecht Bedauern nennen durfte: das Bewusstsein, aneiner Geschichte teilgenommen zu haben, die andereimmer wieder erzählen und ausschmücken würden, bissie größer geworden war als die Wirklichkeit – und diebittere Erkenntnis, dass alle Geschichten einmal enden.

Honors Leute waren sich bewusst, dass sie einen unbe-zwingbar anmutenden Widerstand überwunden hattenund nun deshalb diesen Augenblick erleben durften:in diesem Sonnensystem auf dieser Hangargalerie zu

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stehen. Angesichts dieser Leistung konnten alle Aus-schmückungen nur unnötig erscheinen, welche dieGeschichte – gewiss von allein – im Laufe der Jahreerführe. Sie wären nichts als oberflächlicher, belangloserZierrat.

Hier aber lag das Bedauern begründet: Sobald HonorsLeute die Farnese verließen, ließen sie auch die Gefähr-ten zurück, mit denen sie diese wahre Geschichte ge-schaffen hatten.Unausgesprochen wussten sie alle, dass esMenschen nicht vergönnt ist, Augenblicke wie diese zu be-wahren – solche Momente berühren sich mit dem Lebennur flüchtig. Nie würden sie vergessen, was sie erlitten undwas sie unternommen hatten, aber ihnen gehörte nur dieErinnerung, die Wirklichkeit entzog sich ihrem Besitz.Und je mehr die beklemmende Furcht und das Entsetzennachließ, die sie in ihrem Herzen auch nach der Fluchtnoch immer empfanden, desto kostbarer und unerreich-barer würde ihnen die Wirklichkeit sein.

Die Gefühle, die Honor umbrandeten, erfuhren erstdurch diesen Zwiespalt ihre wahre Stärke – und dieseStärke konzentrierte sich auf Honor, die Anführerin, dasSymbol des Triumphs und Verlustes zugleich.

Ihr war es entsetzlich peinlich, vor allem, weil ihreLeute nicht ahnten, dass Honor deren Gefühle spürte.Sie kam sich vor, als würde sie bei Menschen, die ihr ver-trauten, draußen unter dem offenen Schlafzimmerfens-ter hocken und geflüsterte Gespräche belauschen, dienicht für ihre Ohren bestimmt waren. Dass sie keineWahl hatte – dass sie die Gefühle der Menschen in ihrerNähe nicht mehr auszusperren vermochte –, flößte ihrnur ein umso grimmigeres Schuldgefühl ein.

Am meisten aber bedrückte Honor, dass sie ihren Leu-ten niemals vergelten könnte, was sie ihr gegeben hatten.Die ›Elysäer‹ glaubten zwar, Honor habe das meiste ge-leistet, doch da irrten sie sich. Die Flucht war allein

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deshalb gelungen, weil ihre Leute nicht nur alles getanhatten, was Honor von ihnen verlangte, sondern sogarmehr. Die Elysäer stammten aus den Streitkräften Dutzen-der Sternennationen und hatten ihren Peinigern dieschwerste Niederlage zugefügt, die diese bisher hinneh-men mussten: Sie hatte sich vereinigt und erhoben,obwohl die Haveniten glaubten, sie bereits auf die Müllde-ponie der Geschichte verfrachtet zu haben. Die Nieder-lage Havens bedeutete nicht etwa solch einen schwerenSchlag,weil Millionen Tonnen von Schiffsraum vernichtetworden waren, und die Aufständischen hatten auch keineinziges Sonnensystem erobert – nein, die Niederlagehatte etwas erschüttert, das man in der Volksrepublik vonjeher für unantastbar gehalten hatte. Die Erhebung aufHell hatte dem wichtigsten Terrorinstrument im Arsenalder Unterdrückung den Garaus gemacht: dem Mythosvon der Allmacht des Amts für Systemsicherheit.

Getan aber hatten die Elysäer es für Honor. Als sie ver-suchte, ihnen nur einen winzigen Bruchteil ihrer Dank-barkeit zu zeigen, war sie gescheitert. Anderen Men-schen fehlte der zusätzliche, empathische Sinn, denHonor entwickelt hatte: die Fähigkeit, gefühlsmäßig zuerkennen, was mit dem behäbigen Verständigungsmittelder menschlichen Sprache kaum auszudrücken war. Sosehr Honor sich bemüht hatte, sie konnte nicht einmaleine Kerbe in die Ergebenheit schlagen, die diese Men-schen für sie empfanden.

Wenn, ja wenn . . .Ein klares, melodisches Glockensignal – nicht laut,

aber eindringlich – unterbrach ihre Gedanken. Die erstePinasse steuerte den Hangar an, und Honor atmete tiefdurch. Dem führenden Raumfahrzeug folgten weitereBeiboote, darunter Dutzende Pinassen der drei Schlacht-geschwader, von denen die Farnese abgefangen wordenwar, und über ein Dutzend Schwerlast-Personenshuttles

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vom Planeten San Martin. Hinter der Führungspinassebildeten sie eine Warteschlange und hielten Position, bissie an die Reihe kamen. Als Honor klar wurde, was dieAnkunft der Personenshuttles bedeutete, verbarg sie aufder Stelle ihre Erleichterung. Sie und Warner Caslet, derErste Offizier der Farnese, hatten den Schlachtkreuzerwie die anderen Schiffe der Elysäischen Navy bis zumBersten voll stopfen müssen, um alle Flüchtigen unterzu-bringen. Da bei den Lebenserhaltungssystemen vonKampfschiffen grundsätzlich gewaltige Sicherheitsreser-ven eingeplant wurden, hatten sie die Überlast (geradeeben) verkraftet, doch war der Platz in den Schiffenäußerst knapp gewesen. Nachdem die Lebenserhaltungs-systeme so viele Tage lang derart übermäßig beanspruchtworden waren, mussten sie unbedingt gewartet wer-den. Die Personenfähren, die nun vor dem Hangar aus-harrten, waren nur die erste Welle der Beiboote, dieHonors Leute aus der sardinenbüchsenhaften Enge desSchlachtkreuzers befreien und nach San Martin bringensollten. Durch seine hohe Schwerkraft eignete sich dergebirgige Planet nicht gerade als Erholungsort, aberwenigstens gab es dort sehr viel Platz. Nach vierundzwan-zig T-Tagen in den überfüllten Mannschaftsräumen derFarnese ließ es jeden ziemlich kalt, ob er oder sie plötzlichdoppelt so viel wog wie sonst – Hauptsache, man durftedafür den unfassbaren Luxus genießen, sich behaglichausstrecken zu können, ohne dabei jemand anderem mitdem Daumen ein Auge auszustechen.

Honor spürte, wie sehr sich ihre Leute das Ende derBeengung herbeisehnten, und richtete ihre Aufmerk-samkeit auf die Führungspinasse. Sie wusste, welcherOffizier in dem Beiboot saß. Mehr als zwei T-Jahre warenvergangen, seit sie ihm begegnet war, und sie hattegeglaubt, die zwiespältigen Gefühle, die sie für ihn emp-fand, mittlerweile überwunden zu haben. Nun aber

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musste sie erkennen, dass sie sich getäuscht hatte, dennmit weit verworreneren und aufgewühlteren Gefühlenals alle Flüchtigen ringsum sah sie dem Moment entge-gen, in dem sie ihn begrüßen müsste.

Der Admiral der Grünen Flagge Hamish Alexander, Earlvon White Haven und Kommandeur der Achten Flotte,konzentrierte sich ganz darauf, eine völlig reglose Mienezu bewahren, während die Pinasse das Rendezvous mitdem Schlachtkreuzer ausführte, dem sein Flaggschiff,GNS Benjamin the Great, entgegengekommen war. DieserSchlachtkreuzer, ENS Farnese, war ein Schiff der haveni-tischen Warlord-Klasse. Was zum Teufel soll das sein, ein›ENS‹?, überlegte White Haven. Hätte ich doch gleichdanach gefragt.

Der Schlachtkreuzer schwebte weit systemauswärts vorden stecknadelspitzengroßen Sternen, wo keines Men-schen Auge ihn zufällig erblicken und seine havenitischeHerkunft entdecken konnte. Noch ist es nicht so weit,dachte White Haven, während er durch das Sichtfensterdas Schiff betrachtete, das sich jeder logischen Überle-gung zufolge dort nicht hätte befinden dürfen. Noch kön-nen wir nicht bekannt geben, dass eine ENS Farnese existiert.

Die Farnese zeigte die typische grazile Arroganz einesSchlachtkreuzers, obwohl sie sogar noch größer war alsein Schiff der manticoranischen Reliant-Klasse. Vergli-chen mit White Havens Flaggschiff, einem Superdread-nought, erschien sie natürlich winzig, aber objektiv warsie ein großes und sehr kampfstarkes Schiff. Der Admiralkannte die Warlords; er hatte die Analysen des ONI unddie Bewertungen dieser Schlachtkreuzer-Klasse gelesen.Er war auch Zeuge gewesen, wie Schiffe unter seinemBefehl Warlords vernichtet hatten. Zum ersten Mal abernäherte er sich einem solchen Schiff dicht genug, um es

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mit bloßen Augen sehen zu können. Nie im Leben hätteWhite Haven erwartet, einen Warlord aus der Nähe zuerblicken, es sei denn in der fernen Zukunft, wenn in die-sem Teil der Milchstraße wieder Frieden herrschte.

Und das wird so bald nicht der Fall sein, sagte er sich grim-mig hinter der Bastion seines ungerührten Gesichts.Wenn ich mir dahingehend irgendwelche träumerischen Illu-sionen gemacht hätte, dann sollte mich allein der Anblick dieserFarnese schleunigst davon kuriert haben.

Er biss die Zähne zusammen, während der Pilot be-fehlsgemäß der Steuerbordseite des Schlachtkreuzersfolgte. Eingehend musterte White Haven die Gefechts-schäden der Farnese. Die schwere, mehrschichtige Pan-zerung hatte sich tatsächlich gewellt. Die oberen Lagenaus projektilbremsendem Panzermaterial wirkten ver-schlackt und zerflossen; die dazwischen liegenden ab-lativen Schichten, die unter Hitze verdampften unddadurch die Energie forttrugen und zerstreuten, hattenBlasen geworfen und waren teilweise verkohlt; ausge-weidet waren die Sensoren und Lasercluster der Nah-bereichsabwehr, die einst die Flanke des Schlachtkreu-zers bedeckt hatten. Es hätte White Haven überrascht,wenn auch nur die halbe Breitseitenbewaffnung nochgefechtsklar gewesen wäre; keinesfalls konnten dieSteuerbord-Seitenschildgeneratoren noch wirksam vorfeindlichem Beschuss schützen.

Das sieht ihr ähnlich, dachte er missgestimmt, fast ärger-lich. Warum in Gottes Namen kann diese Frau kein einzigesSchiff intakt zurückbringen? Was zum Teufel treibt sie . . .?

Er brach den Gedanken ab und verzog widerwilligbelustigt den Mund. Ein solcher Gedanke steht einem Offiziermeines Rangs in einem Augenblick wie diesem nicht an,ermahnte er sich. Bis vor – er warf einen Blick aufdas Chronometer – sieben Stunden und dreiundzwan-zig Minuten hatte er wie die gesamte Manticoranische

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Allianz Honor Harrington für tot gehalten. Er kannteden garstigen HoloDrama-Bericht über ihre Hinrich-tung; noch jetzt schauderte ihm, wenn er an den schreck-lichen Augenblick dachte, in dem sich die Falltür desSchafotts öffnete und sie . . .

Er verdrängte das Bild und schloss die Augen. SeineNasenflügel bebten, als er sich ein anderes Bild in Erin-nerung rief, ein Bild, das er weniger als acht Stundenzuvor auf seinem Comdisplay erblickt hatte: ein starkes,grazil gemeißeltes, halbseitig gelähmtes Gesicht, dasvon einem kurzen Schopf halb zerzauster Locken einge-rahmt wurde. Ein Gesicht, von dem er bis dahin geglaubthatte, es niemals wiederzusehen.

White Haven blinzelte und atmete nicht zum erstenMal tief durch. Myriaden Fragen schossen ihm durch denKopf, sämtlich aufgeworfen durch die bloße Möglich-keit, Honor Harrington könne doch überlebt haben.Ganz gewiss war er damit nicht allein. Wenn es sich erstherumsprach, stürzte sich jeder einzelne Journalist inder Allianz – und ohne Zweifel die Hälfte aller solarischenReporter, dachte er – auf Honor und jeden, der sie be-gleitet hatte. Jedes Versteck würden sie ausfindig undunsicher machen. In ihren Anstrengungen, noch dieallerkleinste Einzelheit der unglaublichen Geschichte zuerfahren, würden sie ihre Opfer bitten, anflehen, be-drängen, bestechen und möglicherweise sogar zu Dro-hungen Zuflucht nehmen. Obwohl die Fragen, die dieseReporter stellen würden, auch White Haven keine Ruheließen, verblassten sie vor der Tatsache, dass Honor Har-rington überlebt hatte.

Harrington gehörte zu den besten Raumoffizierenihrer Zeit. Nun war das unschätzbare militärische Poten-zial, das sie darstellte, der Allianz sozusagen aus demReich der Toten wiedergegeben worden. White Havenmusste jedoch gestehen, wenn auch nur sich selbst, dass

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er ihrer Wiederkehr nicht nur aus militärischen Grün-den solche Bedeutung zumaß.

Seine Pinasse folgte einer bogenförmigen Bahn unterder gewölbten Flanke der Farnese und steuerte den Han-gar an. Hamish Alexander spürte einen sanften Stoß, alsdie Traktorstrahler das kleine Beiboot ergriffen, und risssich zusammen. Er hatte bereits einmal einen Kardinal-fehler begangen und versehentlich – irgendwie – bekun-det, dass er in der Frau, die über zehn Jahre lang seinProtege gewesen war, plötzlich mehr sah als eine brillanteUntergebene und ein wertvolles Instrument für die RoyalManticoran Navy. Noch immer konnte er sich nichterklären, wie er sich damals verraten hatte, er wusstenur, dass es geschehen war. Er hatte gespürt, welcheGezwungenheit plötzlich zwischen ihnen herrschte, undnie hatte er vergessen können, dass Honor Harringtonfrüher als nötig in den aktiven Flottendienst zurück-gekehrt war, um eben dieser Gezwungenheit zu ent-gehen. Zwei Jahre lang musste White Haven mit demWissen leben, dass sie nur aufgrund ihrer vorzeitigenRückkehr den Einsatz zugeteilt bekam, bei dem sie ineinen havenitischen Hinterhalt geriet und gefangengenommen wurde – sodass die Haveniten an ihr einExempel statuieren konnten.

Wie Säure nagte dieses Wissen an ihm, und immer wie-der bestrafte er sich, indem er den HD-Bericht vonHonor Harringtons Hinrichtung ansah. Durch eineneigenartigen Mechanismus hatte ihr Tod es ihm erspart,sich mit den Gefühlen auseinander zu setzen, die er ihrentgegenbrachte – und dieses Versäumnis wog nun umsoschlimmer, da er wusste, dass sie nicht tot war. Wiesomusste er sich auch ausgerechnet in eine Frau verlieben,die halb so alt war wie er und nie auch nur das leisesteromantische Interesse an ihm gezeigt hatte! Er war miteiner anderen Frau verheiratet, die er tief und leiden-

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schaftlich liebte, obwohl ihre Verletzungen sie seit fastfünfzig T-Jahren an einen Lebenserhaltungssessel fessel-ten. Kein Mann von Ehre hätte es so weit kommen lassen,er jedoch schon, und er war sich selbst gegenüber zu auf-richtig, als dass er sein Fehlverhalten verleugnet hätte,nachdem es ihm erst zur Gänze bewusst geworden war.

Oder gefalle ich mir nur zu sehr in der Rolle des ach so Selbst-kritischen, als dass ich mir etwas vormachen würde?, überlegteer sarkastisch, während die Traktorstrahler seine Pinasseaus der tiefen Schwärze des Alls in die hell erleuchteteHangaröffnung zogen. Natürlich musste ich erst warten, bissie tot war, bevor ich diesen plötzlichen Ausbruch von Aufrichtig-keit mir selbst gegenüber wecken konnte. Wenigstens bin ich amEnde so weit gekommen . . . ach, verdammt noch mal!

Mit Hilfe ihrer Schubdüsen und Kreisel rollte diePinasse und setzte sich auf die Pralldämpfer. WhiteHaven gab sich im Stillen ein Versprechen. Was für einMann er auch sein mochte, Honor Harrington warjedenfalls eine Frau von Ehre. Seiner eigenen Gefühlekonnte er sich vielleicht nicht erwehren, aber er konntesehr wohl verhindern, dass sie jemals etwas von ihnenbemerkte, und das nahm er sich fest vor. So viel konnte ernoch immer tun.

Die Pinasse kam zur Ruhe, Dockarme schlossen sich,Nabelschnüre schlängelten sich herbei. Hamish Alexan-der stand von seinem gepolsterten Sitz auf. Lächelndblickte er die Reflexion auf dem Armoplast des Sicht-fensters an und musterte dabei sein Gesicht. Erstaunlich,wie natürlich ich aussehe, dachte er und nickte seinem Spie-gelbild zu. Dann straffte er die Schultern und wandte sichzur Luke.

Über der Personenröhre zeigte ein grünes Licht dichtenVerschluss und Luftdruck an. Honor legte die Hand auf

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den Rücken, als die galeriewärtige Luke zur Seite glitt.Noch immer erstaunte es sie, wie unbeholfen sie sich mitnur einer Hand vorkam. Sie schüttelte den Gedanken abund nickte Major Chezno zu, dem Befehlshaber desMarineinfanteriedetachments der Farnese. Chezno erwi-derte das Nicken, machte auf dem Absatz kehrt undwandte sich der Ehrenwache zu, die hinter den angetre-tenen Navyleuten stand.

»Ehrenwache, Aach-tunk!«, bellte er, und Händeklatschten auf die Kolben von ehemals havenitischenPulsergewehren. Parademäßig nahmen die ehemaligenGefangenen Haltung an. Honor beobachtete sie mitgewissem Besitzerstolz und war nicht einmal versuchtzu lächeln. Gewiss, mancher hätte es absurd gefunden,dass Männer und Frauen, die so eng in ihr Schiff gepacktworden waren wie eiserne Rationen in die Büchsen, ihreZeit mit Exerzieren verschwendeten; noch absurdererschien es, dass sie dabei auch noch so etwas wie Perfek-tion anstrebten – zumal sie wussten, dass ihre Einheitaufgelöst wurde, sobald sie ihr Ziel erreicht hätte. DieBesatzung der Farnese hingegen hielt es keineswegs fürabsurd – und Honor Harrington ebenfalls nicht.

Wahrscheinlich bekunden wir auf diese Weise, wer und waswir sind. Wir sind keine gewöhnlichen Kriegsgefangenen oderpolitischen Häftlinge, die sich zum Trost wie die Schafe aneinan-der drängen, während sie vor den Wölfen fliehen. Hier sind wirdie ›Wölfe‹, und bei Gott, wir wollen, dass jeder es weiß! Honorschnaubte amüsiert. Nicht, dass sie sich über die Marinesund ihren Drill belustigt hätte, nein, sie amüsierte sichüber sich selbst. Honor schüttelte den Kopf. Was dieseLeute angeht, machen wir uns wahrscheinlich doch ein wenig zusehr der Hybris schuldig.

Kaum schwebte der erste Pinassenpassagier durch dieRöhre, als die Navyleute ebenfalls Haltung annahmen.Honor atmete noch einmal tief durch und wappnete sich

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für das Kommende. In der Royal Manticoran Navy war esTradition, dass der ranghöchste Offizier als letzter Passa-gier an Bord eines Beiboots ging und es als Erster wiederverließ. Schon lange bevor der hoch gewachsene, breit-schultrige Mann im makellosen Schwarz und Gold einesRMN-Admirals die Haltestange ergriff und sich aus derSchwerelosigkeit der Röhre ins künstliche Gravitations-feld des Schiffes schwang, wusste sie, wer vor sie tretenwürde.

Bootsmannspfeifen schrillten – die altmodische, mitLungenkraft betriebene Variante, eine Konzession andie Traditionalisten innerhalb der Elysäischen Navy –,und der Admiral nahm Haltung an. Er salutierte vordem Ersten Offizier der Farnese, der die Seite komman-dierte. Trotz seiner sechzigjährigen Erfahrung im Flot-tendienst zeigte sich der Admiral erstaunt, und Honorkonnte es ihm nicht verdenken. Sie spürte, dass einbreites – wenngleich halbseitiges – Grinsen durch dieFassade der Disziplin auf ihrem Gesicht zu brechendrohte. Während der Comgespräche mit den Verteidi-gungskräften von Trevors Stern, in denen sie die Ver-trauenswürdigkeit ihres Schiffes beweisen musste, hattesie es mit Absicht unterlassen, die Identität ihres I.O.spreiszugeben. Der Earl von White Haven verdientedurchaus die eine oder andere Überraschung, und erhätte wohl als Letztes erwartet, an Bord dieses Schiffesvon einer Seitenmannschaft begrüßt zu werden, die einMann in der Paradeuniform der Volksflotte von Havenkommandierte.

Der Befehlshaber der Seitenmannschaft erwiderte dieEhrenbezeugung des Admirals, und Hamish Alexanderbemühte sich um Fassung. Ein Havie? Hier? Trotz allerAnstrengung zeigte sich sein Erstaunen, aber White

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Haven glaubte kaum, dass irgendjemand es ihm übelnahm. Nicht unter diesen Umständen.

Er ließ den Blick über das kunterbunte Durcheinanderhinter dem Haveniten schweifen, während die Boots-mannspfeifen weiter schrillten. Erneut überkam ihn Er-staunen. Dieses visuelle Chaos gehorchte keiner durch-dachten Farbkomposition, und einen kurzen Momentlang wusste er nicht einzuordnen, was er dort eigentlichsah. Im nächsten Augenblick aber begriff er und empfandAnerkennung. Woran auch immer es den GefangenenaufHadesgemangelthatte, aufdemPlanetengabesoffen-sichtlich Gewebeextruder und Nähautomaten, und unterden Gefangenen war jemand, der sie zu bedienen wusste.Die Leute auf der Galerie trugen die Uniformen der-jenigen Streitkräfte, in denen sie gedient hatten, bevordie Volksrepublik sie auf dem ›ausbruchsicheren‹ Gefäng-nisplaneten abgesetzt hatte, und wenn die kunterbunteZusammenstellung von Farben, Litzen und Kopfbede-ckungen auch verwirrender war, als es dem auf Sauberkeitund Ordnung bedachten militärischen Verstandzusagte –wen scherte es? Viele der Raum- und Bodenstreitkräfte,zudenendieseUniformengehörten,existierten seit mehrals einem halben T-Jahrhundert nicht mehr. Sie waren vondem Moloch Volksrepublik Haven unterworfen worden;oft hatten sie mit Zähnen und Klauen bis zum Endegekämpft, doch unweigerlich bestand dieses Ende ineiner bitteren Niederlage – aber wiederum: Wen schertees? Diese Menschen hatten sich das Recht erworben, ihreUniformen zu neuem Leben zu erwecken, und HamishAlexander ereilte der deutliche Verdacht, dass es recht . . .unklug gewesen wäre, ihre Garderobe zu kritisieren.

Endlich verstummten die Pfeifen, und White Havenließ die Hand vom Rand seines Baretts herabsinken.

»Bitte um Erlaubnis, an Bord zu kommen, Sir«, sagteer förmlich.

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Der Havenit nickte. »Erlaubnis erteilt, Admiral WhiteHaven«, antwortete er und trat mit einer höflich-einla-denden Geste zurück.

»Vielen Dank, Commander.« White Haven stand sei-nem Gegenüber an Höflichkeit in nichts nach, und einZuschauer, der nicht bemerkte, wie geistesabwesendseine Freundlichkeit war, hätte ihm gewiss kein Versäum-nis nachgetragen.

Andererseits konnte niemand ahnen, welche Gefühlehinter White Havens kühlen, eisblauen Augen loderten,als er den Blick von dem Haveniten abwandte und diegroße, einarmige Frau ansah, die gleich hinter der Sei-tenmannschaft wartete.

Sie hafteten an ihr, diese Augen, doch auch hier gab esnichts zu verargen. Zweifellos war auch Lazarus von denMenschen angestarrt worden.

Sie wirkt, als hätte sie die Hölle hinter sich – und sie siehtwunderbar aus, dachte er und bemerkte, dass sie dieblaue Uniform der Grayson Space Navy trug, und nichtdie weltraumschwarz-goldene der RMN. Dass er sichdarüber freute, hatte nur einen Grund, der überdiesausschließlich persönlicher Natur war. In der Navy vonGrayson hatte Honor Harrington einen höheren Ranginne als er in der RMN. Sie war zweithöchster Offizierdieser explosionsartig wachsenden Raumstreitkraft, unddiese Tatsache erleichterte White Haven sehr, denn so-mit konnte er die überragende Autorität beiseite lassen,die ein manticoranischer Admiral gegenüber einemCommodore besaß. Die Uniform stand ihr gut, wie erfand, und er gab ihrem unbekannten Schneider einegute Note.

So gut sie aussah, er konnte den Blick nicht von demleeren linken Ärmel ihrer Uniform lösen oder von ihrergelähmten linken Gesichtshälfte. Auch ihr künstlichesAuge war völlig leblos. Neue Wut stieg mit der Hitze flüs-

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siger Lava in ihm auf. Die Havies mochten sie nicht hin-gerichtet haben . . . aber anscheinend hatte nicht vielgefehlt.

Mal wieder.Sie muss damit aufhören, dachte er, und seine innere

Stimme klang geradezu beiläufig. Bei allem gibt es eineGrenze – man kann nicht ewig auf der Schneide einer Rasier-klinge tanzen und heil davonkommen.

Nicht dass Honor Harrington ihm zuhören würde,wenn er sie darauf anspräche. Bei vertauschten Rollenhätte White Haven sie genauso wenig beachtet. Dochmusste der Earl zugeben, dass es nicht das Gleiche war.In einer fast ununterbrochenen Reihe von Siegen hatteer Geschwader, Kampfverbände und Flotten ins Ge-fecht geführt. Er hatte Schiffe explodieren sehen undgespürt, wie sein Flaggschiff erbebte und sich schüttelte,wenn feindlicher Beschuss durch die eigenen Abwehr-systeme brach. Wenigstens zweimal war er dem Tod nurknapp entkommen. Trotzdem war er während derganzen Zeit niemals im Gefecht verwundet worden, undkein einziges Mal hatte er einem Feind Auge in Augegegenübergestanden. Er war in keine Handgemengeverstrickt worden, sondern hatte über Lichtsekunden-entfernungen hinweg gekämpft, mit kohärenten Licht-,Röntgen- und Gammastrahlen und mit Nuklearspreng-köpfen. Nach allem, was er wusste, achteten seine Un-tergebenen ihn, machten ihn aber zu keiner Helden-gestalt.

Nicht wie die Menschen aus Honor Harrington eineHeroine machten, ein Idol. Einmal hatten die Reporterdoch etwas Richtiges gesagt: Sie hatten Honor Harring-ton den ›Salamander‹ getauft, weil sie immer dort war, wodas Feuer am heißesten brannte. Für jemanden, der wiesie noch relativ jung war, hatte sie White Havens Art vonGefecht schon allzu oft geführt. Sie besaß jene Ausstrah-

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lung, jene persönliche Zauberkraft, die Crews dazubringt, ohne mit der Wimper zu zucken neben ihr in denFeuerofen zu marschieren. Im Gegensatz zu WhiteHaven hatte sie jedoch schon Menschen, die sie zu tötenversuchten, so nah gegenübergestanden, dass sie ihnenin die Augen sehen und ihren Schweiß riechen konnte.Gott allein wusste, wie sie ihren Arm verloren hatte.Gewiss würde White Haven es bald erfahren, undgenauso gewiss würde er sich daraufhin noch häufigerum sie sorgen und sich fragen, ob sie sich in nächsterZukunft wieder in solch unmittelbare Todesgefahrbringen wollte. Und das war unvernünftig von ihm.Schließlich ging sie nicht hin und suchte nach Gelegen-heiten, sich umbringen zu lassen, auch wenn es einemZuschauer manchmal so erscheinen musste. Es warnur . . .

White Haven begriff, dass er einen Augenblick zu langvor ihr gestanden hatte wie eine Salzsäule. Er spürte dieNeugierde der zahllosen Leute, die ihn beobachteten. Erzwang sich zu lächeln. Eins durfte er keinesfalls zulassen:dass irgendjemand erriet, was ihm durch den Kopfgegangen war. Er streckte Honor Harrington die Handhin.

»Willkommen daheim, Lady Harrington«, sagte er,und sie schloss ihre langen, schlanken Finger um seineRechte – mit der bedachtsam gebändigten Kraft, dietypisch war für Menschen, welche auf einer Welt mithoher Schwerkraft geboren worden waren.

»Willkommen daheim, Lady Harrington.«Die Worte hörte Honor wohl, doch schienen sie zu

leise zu sein und aus weiter Entfernung zu kommen – wievom anderen Ende einer schlechten Comverbindung.Sie ergriff die Hand, die White Haven ihr entgegen-

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streckte. Seine tiefe, sonore Stimme klang genauso, wieHonor sie in Erinnerung hatte. Sie erinnerte sich sogargenauer an sie, als ihr lieb war –, und doch erschien ihrdie Stimme so neu, als hätte sie ihn noch nie zuvor spre-chen hören. Honor vernahm den Admiral auf mehrerenEbenen zugleich. Schon seit geraumer Zeit vermutetesie, dass sich ihre Empfänglichkeit für anderer LeuteEmotionen weiter verstärkt hatte; nun wusste sie es defi-nitiv. Es sei denn, überlegte sie, ich bin für White HavensEmotionen besonders empfänglich – doch fand sie dieseMöglichkeit noch bestürzender als die andere. Wasauch immer hier geschah, sie hörte nicht nur seine Worteund verstand nicht nur die Botschaften, die ihr seinelachenden blauen Augen verrieten. Nein, sie hörteauch, was er unausgesprochen ließ. Honor spürte, woge-gen er so tapfer ankämpfte und welch bewundernswerteSelbstbeherrschung er aufbrachte, um auf keinen Fallauch nur anzudeuten, was er ihr vielleicht gern gesagthätte.

All das hätte er ihr genauso gut aus vollem Hals zubrül-len können und ahnte doch nicht im Mindesten, wie sehrer sich ihr offenbarte.

Einen flüchtigen Augenblick lang ergab sich Honorder Maßlosigkeit und ließ die Gefühle, die White Havenhinter seiner Miene verbarg, als berauschenden Wirbelauf sich einströmen. Sie konnte gar nicht anders, dennsie spürte . . . nein, sie schmeckte, wie sehr es ihn freute,dass sie überlebt hatte. Auf dem Fuße folgten Verwunde-rung, Wiedersehensfreude – und das Verlangen, sie engin die Arme zu schließen. Nicht die Spur davon äußertesich in seinem Gesicht oder seinem Gebaren, und dochvermochte er sie in keiner Weise vor ihr zu verbergen. Inder intensiven Anspannung des Augenblicks schlugendiese Empfindungen blitzartig ihr über zu, wie dieDruckwelle einer Explosion.

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Dann überkam White Haven das Bewusstsein, dasskeiner seiner Wünsche sich je erfüllen würde.

Das war noch schlimmer, als Honor befürchtet hatte.Der Gedanke durchbrauste sie und deprimierte sie nachdem eben erst ausgekosteten Moment des Entzückensumso mehr. Sie hatte gewusst, dass er ihr nicht aus demKopf und aus dem Herzen gegangen war. Nun aberbegriff sie, dass er sie ebenfalls nicht vergessen hatte, esihr gegenüber aber niemals zugäbe.

Alles hatte seinen Preis – und je größer die Gabe, destohöher fiel dieser Preis aus. Davon war Honor Harringtonseit jeher überzeugt gewesen, tief in ihrem Innersten, inden Regionen, in die sich die Logik nur selten verirrt. ImLaufe der letzten beiden Jahre hatte sie erkannt, welchenPreis sie für den Bund mit Nimitz zahlen musste. Keineandere Bindung zwischen Mensch und ’Katz war je soeng gewesen und hatte einen echten Austausch vonGefühlseindrücken gestattet. Die Tiefe des Bands zuihrem Gefährten war ihr jeden Preis wert.

Auch diesen, versicherte sie sich; auch zu wissen, dassHamish Alexander sie liebte . . . und zu ahnen, was hättesein können, wenn das Universum anders beschaffengewesen wäre. Doch wie er ihr niemals eingestehenwürde, dass er sie liebte, würde sie umgekehrt ebensoewig schweigen. Ist es für mich nun ein Segen oder einFluch, dass ich im Gegensatz zu ihm stets weiß, was er ver-schweigt?

»Vielen Dank, Mylord«, antwortete Lady Dame HonorHarrington mit ihrer Sopranstimme, die kühl und klarwar wie Quellwasser; nur das leichte Nuscheln, das sie derhalbseitigen Lähmung ihres Mundes zu verdanken hatte,trübte den Eindruck ein wenig. »Es ist gut, wieder zuHause zu sein.«

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White Havens Pinasse legte im Gegensatz zu den anderenBeibooten, die ihr in den Hangar gefolgt waren, fast leervon der Farnese ab. Er und Honor saßen, wie es ihremhohen Rang anstand, auf den beiden Sitzen gleich an derLuke. Diese Sitze bildeten eine Insel inmitten der Leere,die ihre Untergebenen schufen, indem sie Abstand hiel-ten. Nur Andrew LaFollet, Honors persönlicher Waffen-träger, saß direkt hinter ihnen, und Lieutenant Robards,White Havens Flaggleutnant, hatte wiederum zwei Rei-hen hinter dem Major Platz genommen. Warner Caslet,Carson Clinkscales, Solomon Marchant, Jasper Mayhew,Scotty Tremaine und Senior Chief Horace Harknesssaßen noch weiter hinten. Auch Alistair McKeon hätte anBord sein sollen, doch war er mit Jesus Ramirez, HonorsStellvertreter, in der Farnese geblieben und half dabei, dieElysäer zum Boden zu verschiffen. Honor wollte eigent-lich an Bord bleiben und die Organisation selbst über-nehmen, doch White Haven hatte höflich aber unerbitt-lich darauf bestanden, dass sie ihn zu vorgesetzten Stel-len begleitete und dort persönlich Bericht erstattete. Ihrwar nichts anderes übrig geblieben, als McKeon zusam-men mit den übrigen Überlebenden von der PrinceAdrian, die sie seit der Gefangennahme im Adler-Systembegleitet hatten, an Bord der Farnese zurückzulassen. Einletztes Mal warf sie einen Blick über die Schulter auf dieHand voll Leute, die während der nächsten Reiseetappeihre Gefährten sein würden, dann richtete sie ihre Auf-merksamkeit auf den Mann neben ihr.

Es fiel ihr nun leichter. Augenblicke stürmischer Lei-denschaft haben – das wusste sie inzwischen – auch etwasGutes an sich: Sie lassen sich einfach nicht ausdehnen. Jeintensiver sie sind, desto schneller scheinen die Leute

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von ihnen zurückweichen und innerlich Atem schöpfenzu müssen – zumindest, wenn besagte Leute ihr bisheri-ges Leben fortsetzen wollen. Zum Glück beabsichtigteWhite Haven dies ebenso sehr wie Honor. Zwar verbliebzwischen ihnen eine gewisse emotionale Unterströ-mung, die nur Honor spürte, doch damit kam siezurecht. Das konnte sie ertragen, wenn nicht sogar igno-rieren.

Aber sicher. Ich brauche es mir bloß ständig einzureden.»Ich glaube bestimmt, dass einige Monate ins Land zie-

hen, bevor wir alle Einzelheiten verstanden haben,Mylady«, sagte der Earl, und Honor verkniff sich ein iro-nisches Grinsen über seine Förmlichkeit. Offensichtlichbeabsichtigte er in keiner Weise, sie mit dem Vornamenanzureden – und das war wohl auch sehr klug von ihm.»Weiß Gott haben wir gerade erst die Oberfläche ange-kratzt! Trotzdem, einige Fragen möchte ich Ihnen vor-weg stellen.«

»Zum Beispiel, Mylord?«»Vor allem eins: Was zum Teufel heißt ›ENS‹?«»Verzeihung?« Honor sah ihn mit geneigtem Kopf

an.»Ich verstehe, weshalb die Schiffe nicht die Desig-

nation ›HMS‹ tragen, denn Sie haben sich Ihrer graysoni-tischen, und nicht Ihrer manticoranischen Persönlich-keit bedient«, sagte White Haven mit einem Wink auf ihreblaue Uniform. »In Anbetracht dessen hätte ich erwartet,dass Sie Ihre Schiffe als graysonitische Einheiten desig-nieren. Das haben Sie aber nicht getan, und außer dererewhonischen Navy fällt mir keine andere Truppe ein,zu der die Designation ENS passen würde.«

»Ach so.« Honor lächelte ihn schief an und zuckte mitden Schultern. »Das war Commodore Ramirez’ Idee.«

»Sie meinen den großen San Martino?«, fragte WhiteHaven und runzelte die Stirn. Angestrengt versuchte er,

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dem Namen das zugehörige Gesicht zuzuordnen, das ernur vom Combildschirm kannte.

»Den meine ich«, antwortete Honor. »Er war der rang-höchste Offizier in Camp Inferno – ohne seine Hilfewären wir aufgeschmissen gewesen. Er dachte, wir könn-ten uns die Elysäische Navy nennen, weil wir einem Pla-neten entkommen sind, der offiziell den Namen Hadesträgt. Und so nannten wir uns dann auch.«

»Ich verstehe.« White Haven rieb sich das Kinn undgrinste sie an. » Aber Sie sind sich hoffentlich bewusst,dass Sie damit eine juristisch reichlich verzwickte Situa-tion geschaffen haben?«

»Verzeihung?«, wiederholte Honor in ganz anderemTon. Angesichts ihrer offenkundigen Verwirrung lachteer auf.

»Nun, sie haben als Grayson agiert, Mylady – und Siesind Gutsherrin. Wenn ich mich richtig erinnere, enthältdie graysonitische Verfassung einige recht interessantePassagen, was bewaffnete Streitkräfte angeht, die demBefehl eines Gutsherrn unterstehen.«

»Wir . . .« Honor verstummte und starrte ihn an, dieAugen weit aufgerissen; im nächsten Moment hörte sie,wie der Waffenträger hinter ihr scharf und vernehmlichLuft holte.

»Gewiss sind Sie besser informiert als ich«, sagte WhiteHaven in die plötzliche Stille, »doch soweit ich weiß, sindeinem Gutsherrn ausdrücklich maximal fünfzig Waffentragende Gefolgsleute wie der Major gestattet.« Über dieSchulter hinweg bedachte er LaFollet mit einem höfli-chen Nicken.

»Da haben Sie Recht, Mylord«, stimmte Honor ihmnach kurzem Nachdenken zu. Sie trug nun schon solange den Titel der Gutsherrin von Harrington, dass esihr nicht mehr widernatürlich erschien, zu einer Feudal-magnatin geworden zu sein. Nicht eine Sekunde lang

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hatte sie an die möglichen verfassungsrechtlichen Kon-sequenzen ihres Tuns auf Hell gedacht.

Sie hätte jedoch von selbst auf den Gedanken kom-men müssen, denn in diesem Punkt war die Verfassungerbarmungslos. Jeder Waffenträger im Dienste des Gutsvon Harrington gehorchte Honor auf die eine oderandere Weise, die meisten aber nur indirekt über dieVerwaltungsmaschinerie der Gutspolizei. Nur fünfzigWaffenträger waren ihre persönlichen Gefolgsleute undhatten einen Eid auf sie abgelegt, nicht auf das Gut. JederBefehl, den sie einem dieser fünfzig Männer erteilte,besaß Gesetzeskraft, solange er nicht gegen die Verfas-sung verstieß, und wenn doch, so beschützte die Tat-sache, dass sie ihn erteilt hatte, den Befehlsempfängervor allen rechtlichen Folgen. Dafür konnte nur sie selbstzur Verantwortung gezogen werden, die Waffenträgernicht; aber diese fünfzig Mann bildeten die einzige per-sönliche Streitmacht, die der Gutsherrin von Harringtongestattet war.

Gutsherren konnten innerhalb der Befehlskette vonHeer oder Navy militärische Einheiten kommandieren,doch die Verfassung verlangte, dass diese Einheitenunbedingt den regulären Streitkräften angehören muss-ten und dass die Befehlsübernahme vom Herrscherdes Planeten zu genehmigen war. Und Protector Ben-jamin IX. hatte sich mit keinem Wort zu einer irregu-lären Einheit geäußert, die ›Elysäische Navy‹ genanntwurde.

Honor drehte sich zu LaFollet um, und der Waffenträ-ger erwiderte ihren Blick. Sein Gesicht war ruhig, nur inseinen grauen Augen regte sich Sorge. Honor zog dieBraue hoch.

»Bin ich mir denn schlimm aufs Schwert getreten,Andrew?«, fragte sie ihn. Widerwillig lächelte er, denndas Wort ›Schwert‹ besaß für jeden Grayson eine sehr

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