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Demokratische Jugendhilfe im demografischen Wandel Projektbericht 4/2011 - 10/2013 DEMO-

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Demokratische Jugendhilfe im demografischen WandelProjektbericht 4/2011 - 10/2013

DEMO-

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Gliederung

Vorwort 1

Was war die Idee von DEMO?

Ausgangssituation 2

Die DEMO-Projektstandorte

Jugendwerkstatt Hindenburg/ Diakoniewerk Osterburg e.V. 3

Evangelische Stadtjugendarbeit Görlitz esta e.V. 6

Evangelische Jugend Schwerin 6

Auswertung der Projekte 8

Ein Einblick in die Praxis des DEMO-Projektes

Ein Interview mit der Projektmitarbeiterin der Evangelischen Jugend Schwerin 8

Thesen 12

Ausblick 12

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Liebe Leserin, lieber Leser,

die Veränderungen durch den demografischen Wandel beschäftigen uns bei der BAG EJSA schon seit einigen Jahren. Welche Konsequenzen haben sie auf die Lebenssituation und Perspektiven der Jugendlichen, für die wir in der Jugendsozialarbeit zuständig sind? Bringen sie ihnen Chancen oder Risiken? Führen die Veränderungen dazu, dass Jugendliche mit schlechten Startchancen bessere Zugänge zu Bildung und Ausbildung erhalten?Der Prognose, die vor einigen Jahren häufig zu hören war, das Problem der „unversorgten“ Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz löse sich durch den demografischen Wandel von allein, haben wir immer hinterfragt. Inzwischen wissen wir, dass unsere Einschätzung dazu richtig war. Es gibt keinen Automatismus! Es gibt nicht automatisch nur Demografie-Gewinner in der jungen Generation! Durch den Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt (der sich im Übrigen branchenbezogen sehr unterschiedlich darstellt) können sich die Chancen für eine berufliche Integration von benachteiligten Jugendlichen tatsächlich erhöhen. Es besteht jedoch auch das Risiko, dass sie „abgehängt“ werden, wenn bestehende Förderangebote wegfallen.Das zeigt sich besonders deutlich in den östlichen Bundesländern, in denen der Anteil Jugendlicher seit 1991 um zehn Prozent zurückgegangen ist und dazu langfristig ein erheblicher Bevölkerungsrückgang einhergehend mit Alterungsprozessen aufgrund von Abwanderungen insbesondere junger Menschen erwartet wird. Schon jetzt kann man hier einen massiven Abbau der Infrastruktur für Jugendliche feststellen. Die Folge ist die Zunahme von Regionen, in denen Jugendliche wegen steigender Ausgabenkürzungen in der Jugendhilfe nicht mehr erreicht werden.

Vor diesem Hintergrund startete vor drei Jahren das von der BAG EJSA und der aej gemeinsam durchgeführte Projekt „DEMO – Demokratische Jugendhilfe im demografischen Wandel“, dessen Abschlussbericht Ihnen nun vorliegt. An drei Standorten wurden landkreisübergreifende, tragfähige Steuerungsinstrumente und Maßnahmen der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit entwickelt und erprobt. Über die sehr unterschiedlichen Wege und Erfahrungen in den einzelnen Projektstandorten gibt diese Dokumentation Auskunft. Zusätzlich ist im Projekt DEMO eine Fotoserie entstanden, auf die ich Sie schon an dieser Stelle aufmerksam machen möchte. Hinweise dazu finden Sie auf Seite 12.Die Auswertung der Projektarbeit bot die Grundlage für die Entwicklung von 13 Thesen. Sie geben Hinweise, wie Politik und Jugendhilfe tätig werden müssen, um den Herausforderungen des demografischen Wandels im ländlichen Raum zu begegnen – damit die Jugendlichen dort nicht „abgehängt“ werden, sondern Anschluss erhalten und für sich eine positive Perspektive entwickeln können.Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf unsere Gesellschaft werden in den nächsten Jahren noch stärker, ja sehr dramatisch spürbar werden. Um einzelne Jugendliche in Ausbildung und zu einem Berufsabschluss zu bringen, müssen wir daher in den nächsten Jahren mehr Geld in die Hand nehmen. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und freue mich, wenn sie dazu anregt, dass sich sowohl die in der Politik Zuständigen als auch die Fachkräfte in der Jugendhilfe (weiterhin) mit der Situation junger Menschen im ländlichen Raum beschäftigen.

Michael Fähndrich Mike CorsaGeschäftsführer (BAG EJSA) Generalsekretär (aej)

Vorwort

 

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Ausgangssituation: Jugendhilfe agiert am Kern gesellschaftlicher Wandlungsprozesse. So können regionale Akteure der Jugend(sozial)arbeit Veränderungen, ausgelöst oder beschleunigt durch den demografischen Wandel, mit als Erste spüren. Besonders Träger in sehr ländlichen, häufig strukturschwachen Regionen, nehmen schon seit langem Alterungsprozesse, starke Abwanderung und eine erhebliche Abnahme junger Menschen und somit immer klarer werdende Segregationsprozesse wahr. Natürlich gibt es deutliche regionale Unterschiede in den ländlichen Regionen bezüglich den demografischen Entwicklungen und der sozialen, kulturellen und verkehrstechnischen Infrastruktur, aber es gibt auch einige Gemeinsamkeiten: Aus diesen Regionen ziehen vermehrt die jungen gut qualifizierten Menschen weg und dadurch kommt es zu einer „zurückbleibenden“ Bevölkerungsgruppe, deren Anteil aufgrund von diesen Segregationsprozessen einen besonders hohen Jugendhilfebedarf hat. Leider ist diese Situation oft kombiniert mit einem finanziell wie auch personell sehr instabilem Jugendhilfesystem. Deshalb war die Idee des DEMO-Projektes, lokale Strategien und Ansätze zu entwickeln, die in andere Regionen, zumindest teilweise, übertragbar sind. In den ostdeutschen ländlichen Regionen sind die beschriebenen Entwicklungen besonders weit fortgeschritten. Demografische Entwicklungen und Prognosen, die zurzeit in der deutschen Politik diskutiert werden, sind hier bereits Realität. Die Bevölkerung wird älter und sie schrumpft. Allerdings fällt auf, dass trotz des Wissens wenige politische Reaktionen auf diese Herausforderungen und Prognosen stattfinden. Schon heute ist die jetzige Kindergeneration um ein Drittel kleiner als ihre Elterngeneration. Zwischen Stadtregionen und Landregionen liegen hierbei große Entwicklungsunterschiede. Es gibt einige bevölkerungsstabile Städte in den neuen Bundesländern. Im ländlichen Raum dagegen sieht es im Schnitt insgesamt nicht gut aus. Einige gemeinsame Aussagen für die ostdeutschen Bundesländer machen dies deutlich: 64 Prozent der Dörfer hier haben zwischen

2003 und 2008 mehr als 5 Prozent ihrer Bevölkerung verloren. Nur hier gibt es Regionen in denen 25 oder weniger Einwohner pro Quadratkilometer leben (zum Vergleich: die Bevölkerungsdichte des gesamten Bundesgebietes beträgt 231 Personen pro Quadratkilometer), der Anteil der Bevölkerung, der unter 19 Jahre alt ist, nahm in den zwanzig Jahren nach der Wiedervereinigung von knapp 22 Prozent auf 13 Prozent ab. In Westdeutschland nahm diese Gruppe nur um circa drei Prozent ab. Auch ist hier die Abwanderung - es kann schon von Landflucht gesprochen werden - besonders von jungen qualifizierten Menschen am stärksten. Zusätzlich zu den 5,4% schon Abgewanderten in den letzten zehn Jahren sagen die Zukunftsprognosen einen weiteren Verlust von bis zu 12,5% bis 2030 vorher. Die seit Jahrzehnten niedrige Geburtenrate verschärft diese Situation noch und die Migration aus dem Ausland konzentriert sich fast nur auf die urbanen Räume Deutschlands, im ländlichen Raum kommt davon kaum jemand an. Was zurück bleibt ist eine Bevölkerungsgruppe, deren jugendlicher Anteil aufgrund von Segregations-prozessen einen besonders hohen Jugendhilfebedarf hat, kombiniert mit einem finanziell wie auch personell instabilem Jugendhilfesystem. Junge Menschen in Ostdeutschland sind deutlich öfter von relativer Armut betroffen und die Arbeitslosenquote für junge Menschen unter 27 ist fast doppelt so hoch wie in Westdeutschland.Gleichbeleibende Jugendhilfestrukturen bei diesen sich schnell verändernden Rahmenbedingungen? Das sollte im Rahmen des Demo-Projektes hinterfragt, reflektiert und aufgebrochen werden. Bewerben konnten sich regionale Akteure, Träger oder Netzwerkinitiativen der evangelischen Jugendarbeit und/oder Jugendsozialarbeit aus ostdeutschen ländlichen Regionen oder Landkreisen, die die besonderen Anforderungen an Fachkräfte und Einrichtungen in dem vom demografischen Wandel veränderten Raum mit gestalten möchten. Das Ziel des Projektes waren die Strukturen, die zur Verbesserung der Chancen-gerechtigkeit, sowie die gesellschaftliche Teilhabe von Jugendlichen und die Vermittlung demokratischer Werte weiterzuentwickeln.

Was war die Idee von DEMO?

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Jugendwerkstatt Hindenburg/ Diakoniewerk Osterburg e.V.:- Zukunft auf dem Land?-Das Ziel der Jugendwerkstatt Hindenburg im Rahmen des DEMO- Projektes war es, jungen Menschen in der sehr ländlich geprägten Region der Altmark lebensnahe Angebote der Hilfe zu unterbreiten. Lebensnah bedeutet: Die

Angebote sind nach ihren Wünschen, Nöten und Vorstellungen entwickelt. Das Projekt sollte mit schon bestehenden Angeboten der Jugendwerkstatt wie zum Beispiel der mobilen Jugendarbeit verknüpft werden.Die Altmark ist eine Region im Norden von Sachsen-Anhalt mit diversen negativen Besonderheiten: Sie ist die bevölkerungsärmste Region Deutschlands und hat eine verkehrstechnisch schlechte Infrastruktur. Daraus folgt, dass die Menschen hier fast ausschließlich auf einen privaten PKW angewiesen sind. Die hohe

Die DEMO-Projektstandorte:

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Arbeitslosigkeit von 16 % und die Jugendarbeitslosigkeit von fast 11 % (Bundesmittel nur 3,5%) führen unter Anderem zu einer hohen Kinderarmut.Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendwerkstatt haben in den letzten Jahren beobachtet, dass die Anzahl Alleinerziehender stark zunimmt und gleichzeitig die Mütter immer jünger werden. Insgesamt bekommen schon 10% der Mütter hier ihr erstes Kind unter 20 Jahren. Das Problem dabei ist, dass diese Entwicklung sehr häufig mit einem fehlenden Schulabschluss und/oder einer fehlenden Berufsausbildung einhergeht. Das Ziel des Projektes war es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Dies setzt voraus, dass sich die Hilfsangebote an den Problemen und Bedürfnissen der Alleinerziehenden und ihrer Kinder orientieren. Dazu wurde als erstes eine Bedarfsanalyse durchgeführt. Deutlich wurde, dass Ein-Elternteil-Familien keineswegs eine homogene Gruppe sind, sondern abhängig von dem Familienstand des alleinerziehenden Elternteils, der Kinderzahl und dem Alter der Kinder, sowie dem jeweiligen Einkommen etc. unter sehr verschiedenen Bedingungen leben. Überlastung, rechtliche, materielle, berufliche und andere Probleme von Ein-Elternteil-Familien sind oft eng miteinander verbunden. Ziel sollte es sein, bei der Bewältigung dieser Probleme unterstützend zu wirken.

HilfsangeboteDie geplanten Hilfen umfassten Einzelbetreuungen und verschiedene Formen der Gruppenarbeit. Ziel der Einzelbetreuungen war es, die Hilfe zur Selbsthilfe im Sinne der Nutzung vorhandener Eigenpotentiale zu installieren.Die verschiedenen Formen von Gruppenarbeit sollten neben dem Abbau der Isolation zum Erleben von Gemeinschaft, gegenseitigem Verständnis und wechsel-seitiger Hilfe dienen und insgesamt zur Entlastung im Alltag und zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls beitragen. Entsprechend den individuellen Fähigkeiten und Bedarfen wurden den jungen Menschen folgende Hilfen angeboten, die auch genutzt wurden:

• Auskünfte allgemeiner Art z.B. über besondere Hilfen und Angebote im örtlichen Bereich

• Unterstützung bei der Suche nach Wohnraum • Unterstützung bei der Erlangung eines Hauptschulabschlusses• Unterstützung bei der Arbeitssuche (z. B. gemeinsames Formulieren

eines Bewerbungsschreibens, Training für Vorstellungsgespräche, Lesen von Stellenanzeigen etc.)

• Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Kinderbetreuungs-möglichkeiten, damit Berufstätigkeit oder Schul- und Berufsausbildung möglich werden (z.B. Krippenplatz, Kindergartenplatz)

• Einübung in Pflege und Versorgung des Kindes• Anleitung in praktischen Fragen des Alltags (Kochen, Wäschepflege,

Umgang mit Geld etc.) • die Mutter-Kind-Beziehung fördern durch Anleitung zur Beschäftigung

mit dem Kind • Gruppenarbeit zu Themen wie Gesundheit, Drogen etc.

ProjektverlaufIn Gesprächen mit MitarbeiterInnen des Jobcenters (zu den Themen Ausbildung, Stellenvermittlung, Teilzeitausbildung…), Kirchengemeindevertretern, Kita-Mitarbeit-erinnen, Hebammen und Beratungsstellen wurde schon vorab eine Zusammenarbeit zugesichert.Die Arbeit mit den Klientinnen war anfangs mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Geplant wurde die Durchführung des Projektes in drei Gemeinden der Altmark, sowie eine Anbindung an das bereits bestehende Projekt „Starthilfe“. Die Mitarbeiterinnen des Demo-Projektes stellten sich und das Projekt zunächst in den jeweiligen Kitas der drei Gemeinden und in der „Starthilfe“ vor. Es wurden Termine für erste Treffen vereinbart. Das Angebot wurde jedoch nur von den alleinerziehenden Müttern und Vätern des „Starthilfe“-Projektes regelmäßig genutzt und von niemandem darüber hinaus. In einer Gemeinde kam es sporadisch

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zu Treffen, die nach drei Monaten aus unterschiedlichen Gründen immer seltener und dann gar nicht mehr zu Stande kamen. In den anderen beiden Gemeinden gelang es auch nach mehreren Versuchen nicht, das Projekt einzuführen. Auch eine Öffnung für alle sozial benachteiligten Familien mit kleinen Kindern änderte an dieser Situation nichts.Die Bereitschaft einer Alleinerziehenden an einer Gruppe teilzunehmen ist ein erster Schritt zur Bewältigung von Isolation. Dennoch kam für einen guten Teil der Klientinnen Gruppenarbeit nicht in Betracht, da sie nicht willens oder in der Lage waren, sich einer Gruppe anzuschließen. Um effektiver und flächendeckender arbeiten zu können, wurden dann seit September 2012 stärker bereits vorhandene Strukturen genutzt und ausgebaut. Demo wurde an die „Mobile Jugendarbeit“ der Jugendwerkstatt in der nördlichen Altmark angekoppelt. Die „Mobile Jugendarbeit“ bietet pädagogische Freizeit-angebote für Kinder und Jugendliche an. Im vierzehntägigen Turnus werden zehn Gemeinden (Aulosen, Krüden, Pollitz, Falkenberg, Geestgottberg, Lichterfelde, Heiligenfelde, Lückstedt, Flessau, Ballerstedt) in der nördlichen Altmark angefahren. Es findet eine umfassende offene Kinder – und Jugendarbeit statt. Durch die starke zeitliche Einschränkung konnte keine bzw. nur in sehr geringem Umfang, Familienarbeit geleistet werden. Dies ändert sich derzeit zusehends durch das zusätzliche Angebot von Demo. Kontinuität und Regelmäßigkeit, konnten nicht nur tragfähige und verbindliche Beziehungen zu den AdressatInnen, sondern auch zu den Eltern und anderen Mitgliedern der Gemeinden ermöglichen. Durch den schon hohen Bekanntheitsgrad der Pädagogin gibt es in den Gemeinden weniger Zugangsbarrieren. Mit Demo gibt es nun auch materielle Ressourcen. Die bedeutendste Ressource besteht in der zusätzlichen Zeit um mit den Eltern arbeiten zu können. Zu diesen ersten Gruppenarbeiten fanden sich vorerst junge Mütter mit ihren Kleinkindern und zwei Pädagoginnen von Demo zusammen. Leider konnten zu der Zeit „nur“ aktive, schon im Arbeitsbeziehungsweise Ausbildungsprozess stehende junge Frauen zur Teilnahme aktiviert werden. Ergebnis dieser

Gruppenarbeiten war die Erstellung einer konkreteren Bedarfsanalyse. Dabei wurde festgestellt, dass ein zusätzlicher Bedarf in der Kinderbetreuung besteht und auch die Organisation und Durchführung von Babyflohmärkten in kurzen Intervallen gewünscht wird.Weil die Arbeitszeitregelungen nicht immer deckungsgleich mit Betreuungszeiten von Kindern in öffentlichen Einrichtungen (speziell in den Kitas auf den Dörfern) sind, ist ein ergänzendes Angebot zur Kinderbetreuung von großer Bedeutung. Im November und Dezember 2012 wurden dazu Gespräche mit den Kindertageseinrichtungen und dem Hort in den jeweiligen Gemeinden geführt, um flexiblere Zeiten einzuführen beziehungsweise ergänzende Kinderbetreuungszeiten anzubieten. Flexible Betreuungszeiten sind nicht zuletzt auf Grund der langen Fahrtwege in diesem ländlichen und flächenmäßig großen Landkreis notwenig. Ergänzende Angebote am Samstag wären besonders für Arbeitnehmer im Einzelhandel und der Gastronomie wichtig, aber würden auch eine Entlastung für viele andere alleinerziehende Eltern darstellen. In welcher Form diese Angebote gestaltet werden können und realisierbar sind, ist immer noch im Klärungsprozess, aber ein Dialog wurde im Rahmen von DEMO angestoßen.Dem Bedarf nach regelmäßig stattfindenden Babyflohmärkten sollte ebenfalls nachgekommen werden. Ziel war es, in einem zweimonatigen Rhythmus kleinere, dafür lokalere Veranstaltungen in den Gemeinden vor Ort durchzuführen, um lange Anfahrtswege zu vermeiden.Die beschriebenen Gruppenarbeiten sollen fortgesetzt werden, da sie mittlerweile großen Anklang bei den Müttern finden. Sie zeigten sich sehr konstruktiv und offen. Sie erarbeiteten eine aufschlussreiche Beschreibung ihrer Ist-Situation und denken immer wieder konstruktiv über ihre Änderungsvorstellungen nach. Die zeitgleich angebotene Kinderbetreuung wurde dankbar angenommen. Es wird versucht, derartige Gruppenrunden auch mit Klientel aus sozial schwachen Schichten durch zu führen. Hiefür laufen derzeit vorsichtige Kontaktanbahnungen und Absprachen mit lokalen Akteuren (Wann? Warum? Was soll das? Wer kommt da noch?).

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Evangelische Stadtjugendarbeit Görlitz esta e.V.:- nah dran- Zwischen 1990 und 2005 verlor die Stadt Görlitz mehr als ein Viertel seiner Einwohner. Gleichzeitig stieg der Altersdurchschnitt von 41 Jahren auf knapp 46 Jahre. Im Landkreis um Görlitz gibt es kaum mehr Gemeindepädagogen, der esta e.V. deckt das in den Dörfern abwechselnd ab. Dementsprechend sank das kulturpädagogische Angebot für Kinder und Jugendliche immer weiter. Der esta e.V. in Görlitz wollte Angebote an der Schnittstelle offener und verbandlicher Jugendarbeit anbieten um möglichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen.Im Rahmen des DEMO-Projektes sollten Jugendliche gefördert werden um sie zu sozialen Akteuren in ihrem eigenen Leben zu machen. Durch die gemeinsam geplanten Aktivitäten und die begleiteten, aber von den Jugendlichen selbstständig durchgeführten Ideen, lernen sie Verantwortung zu übernehmen und ihren eigenen Wohn- und Lebensraum mit zu gestalten. Die Wünsche und Ideen der Jugendlichen stehen im Vordergrund. Durch das Zusammenführen mit schon bestehenden Angeboten aus der Jugendverbandsarbeit können Jugendliche Neues ausprobieren, sich ausprobieren und kennenlernen. Die Schwerpunkte liegen hier immer auf dem sozialen Lernen miteinander und der gegenseitigen Toleranz, zum Beispiel bei gemeinsamen Aktionen mit polnischen Jugendlichen Es hat sich gezeigt, dass hierfür eine Vernetzung mit anderen Akteuren wie dem Jugendhilfeausschuss, Trägern der Jugendberufshilfe, dem lokalen Diakonischen Werk und dem Jugendverband des CVJM wichtig ist. Außerdem bedarf es verlässlicher Öffnungszeiten und gleichbleibende Ansprechpartner. So wichtig ehrenamtliche Unterstützung besonders in den ländlichen Regionen auch ist, genauso wichtig ist eine hauptamtliche belastbare Basis. Aber das ist ohne jede öffentliche Förderung sehr schwer und verstärkt bei den Jugendlichen das Gefühl gesellschaftlich nicht voll anerkannt zu sein.Ziel des esta e.V. ist es, den Jugendlichen eine Bleibeorientierung zu geben. In dem sie ihr kulturpädagogisches Angebot mit den Jugendlichen gemeinsam

konzipieren, die älteren Jugendliche durch ehrenamtliche Aufgaben mit einbeziehen wird ein Lebensraum geschaffen, den die Jugendlichen wertschätzen. Um wirklich allen interessierten Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, sich zu beteiligen, bietet der esta e.V. Fahrdienste in die umliegenden Gemeinden zu ihren Veranstaltungen am Wochenende an. Diese werden stark genutzt.

Evangelische Jugend Schwerin:- Nichts ist egal! Jugendliche mischen sich ein-Das Projekt „Nichts ist egal! Jugendliche mischen sich ein!“ findet im Landkreis Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern statt. In dieser Region gibt es immer wieder große Probleme mit rechten Aktivitäten. Außerdem ist eine Starke Ostnostalgie zu spüren.Das Hauptziel dieses Projektes war es, Jugendliche aus ländlichen und oft vom Ortsmittelpunkt abgehängten Plattenbausiedlungen an der Entwicklung von neuen und auf ihre spezifischen Lebenslagen zugeschnittenen Angeboten zu beteiligen und sie verantwortlich einzubinden. Erfahrungen, die dabei in einer Gemeinde gesammelt werden, sollten durch regelmäßige Vernetzung und einen Evaluationsprozess weiterentwickelt und verstetigt werden.Im Rahmen des Projektes konnten Konzeptentwicklungen für lokale Angebote sowie neue Antragsstellungen und Partnersuchen unterstützt werden. Zum Beispiel wurde ein ehemaliger Schlosser dabei unterstützt in einem leerstehenden Haus, gemeinsam mit Jugendlichen, eine von den Jugendlichen gewünschte Fahrradwerkstatt aufzubauen. Hier wurden besonders gute Erfahrungen mit der Einbindung älterer Ehrenamtlicher gemacht.Ein weiterer wichtiger Baustein war die Initiierung eines Runden Tisches, mit allen am Kindeswohl beteiligten Akteuren des Landkreises. Diese Vernetzung hilft, Versorgungslücken aufzuzeigen, Ressourcen zu teilen sowie Symbiosen zu bilden. Durch diese Vernetzung kam es zum Beispiel zu der Feststellung, dass es in Hagenow eine Siedlung ohne jedes Angebot für Jugendliche gibt. Daraufhin wurde hier die „Adventswohnung“ geschaffen. Der Evangelischen

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Jugend Schwerin wurde in dieser Siedlung eine leerstehende Wohnung von der Wohnungsbau-genossenschaft überlassen, sie war im Advent jeden Tag ab 14 Uhr geöffnet. Die Wohnung wurde von einer DEMO- Mitarbeiterin plus wechselnd einer Gemeindepädagogin, einer Schulsozialarbeiterin etc. betreut. Das Ziel ist es, aus dieser Wohnung - finanziert und unterstützt von der Kommune - eine Bildungswohnung zu machen. Die Evangelische Jugend Schwerin ist in diesem Prozess einer von fünf beteiligten Trägern. Aktuell läuft die Konzeptentwicklung. Zielgruppe der Bildungswohnung sind Kinder und Jugendliche.

Ein wichtiges Ergebnis dieses DEMO- Teilprojektes ist die Erkenntnis, dass Angebote in dieser Region flexibel und zum Teil auch mobil sein müssen. Sie müssen auch kurzfristig in der Lage sein, auf Anregungen und Wünsche der Jugendlichen zu reagieren und diese zu beteiligen. So können möglichst viele junge Menschen erreicht werden. Auch zeigte sich: Wenn Jugendliche in diesen sozialen Brennpunkten nicht nur „versorgt“ werden, sondern sie zu Akteuren im Verbesserungsprozess ihres Lebensumfeldes gemacht werden, sich ihr Selbstbewusstsein stärkt und ihre Bleibeorientierung wächst.

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Auswertung der Projekte:Die drei oben beschriebenen Projektstandorte wurden im Zuge der Projektauswertung gebeten, sechs Fragen zu beantworten. Die Fragen beruhen auf der ursprünglichen Ausschreibung aus dem Frühjahr 2011, mit der damals geeignete Praxisprojekte gesucht wurden. Ziel der Befragung war es, vor dem Hintergrund der zu Beginn geplanten, gewünschten und anvisierten Ziele des DEMO-Projektes die Erfahrungen und Ergebnisse zu reflektieren.Die Fragen lauten wie folgt:

1. Wenn ihr an „eure“ Jugendlichen denkt, was sind aus eurer Sicht die stärksten Einflüsse des demografischen Wandels auf das Leben junger Menschen?

2. Wie würdet ihr die Erreichbarkeit der Jugendlichen im Rahmen des Projektes bewerten? Mit welchen Methoden habt ihr versucht, mehr Jugendliche zu erreichen?

3. Wie würdet ihr die Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen im Rahmen des Projektes bewerten? Mit welchen Methoden habt ihr versucht, die Partizipation zu steigern?

4. Gab es während der Demo- Projektlaufzeit (neue) Kooperationen zwischen Trägern der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit oder der Verwaltung und Politik? Wie wirksam waren diese Kooperationen?

5. In wie weit hat das von euch umgesetzte Projekt zur Verbesserung von Chancengerechtigkeit, zur Erhöhung von gesellschaftlicher Teilhabe und/oder der Vermittlung von demokratischen Werten für Jugendliche beigetragen?

6. Was aus dem Projekt wird „überdauern“? Welche Erfahrungen waren neu und vielleicht sogar unerwartet? (Lerneffekt)

Die Fragebögen wurden durch die Projektleitung im Projektbüro ausgewertet. Beispielhaft findet sich im Folgenden einer der bearbeiteten Fragebögen.

Ein Interview mit der Projektmitarbeiterin der EvangelischenJugend Schwerin, die für DEMO im Landkreis Ludwigslust/ Mecklenburg-Vorpommern tätig war:

Charlotte Bamberger/ Projektleitung: Wenn ihr an „eure“ Jugendlichen denkt, was sind aus eurer Sicht die stärksten Einflüsse des demografischen Wandels auf das Leben junger Menschen?Henrike Ogilvie: Der demographische Wandel verursacht in unserer Region eine gewisse Entmischung der Bevölkerung. Starke, gut oder sehr gut ausgebildete oder studierte Erwachsene/ Studenten sind kaum da – damit ist eine Orientierung an ihnen, auch im sozialen Sinne einer Orientierung „nach oben“, kaum mehr möglich. Die „Intelligenz“ fällt hier im mecklenburgischen ländlichen Raum so gut wie weg, zurück bleiben meist Arbeiter, Arbeitslose und Alte. Mittlerweile wissen die Jugendlichen hier, dass sie nur „was werden“ können, wenn sie stark genug sind, auch an anderen Orten in Deutschland Fuß zu fassen.Schwächere haben nur die Arbeitslosigkeit vor sich und fühlen sich als dummer Rest. So wird Hartz 4, beziehungsweise das Leben vom Staat zu ihrer Lebensplanung, die häufig kaum hinterfragt wird.

C.B.: Wie würdet ihr die Erreichbarkeit der Jugendlichen im Rahmen des Projektes bewerten? Mit welchen Methoden habt ihr versucht, mehr Jugendliche zu erreichen?H.O.: Methodisch waren und sind wir sehr vielfältig. Hauptsächlich arbeiten wir mit Streetwork, das heißt wir gehen auf die Straße und an die Plätze, wo Jugendliche sind. Darüber hinaus bieten wir erlebnispädagogische Angebote an wie Monkeyklettern (Baumklettern) in den Kleinstädten oder Pfadfinderarbeit an

Ein Einblick in die Praxis des DEMO-Projektes

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Schulen. Als mobiles Volxmobilteam bieten wir Teamtraining an Förderschulen an, organisieren Straßenküchen, also mobile Eintopfküchen. Speziell in Boizenburg arbeiten wir eng mit dem lokalen Jugendclub zusammen.Generell sind die Jugendlichen sehr schwer zu erreichen, und die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme sind rar. Aufsehen erregende Aktionen, wie z.B. Baumklettern mitten in der Stadt, oder Eintopfküche auf dem Parkplatz bieten jedoch immer wieder Kontaktmöglichkeiten.Dörflich haben wir kaum gearbeitet, denn auf den Dörfern sind die Jugendlichen in der Regel nicht mehr sichtbar.

C.B.: Wie würdet ihr die Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen im Rahmen des Projektes bewerten? Mit welchen Methoden habt ihr versucht, die Partizipation zu steigern?H.O.: Nachdem klar war, dass der Jugendclub in Boizenburg in seiner alten Form nicht weiter existieren kann, haben wir mit den Jugendlichen nach neuen Formen gesucht. Gewünscht haben sie sich eine Moped- und Fahrradwerkstatt und die Umsetzung wurde in Angriff genommen. Die Jugendlichen waren bei der Konzepterstellung beteiligt und werden in der zukünftigen Werkstatt Reparaturen übernehmen und Kinder anleiten, selber zu basteln und zu reparieren.Die Partizipation steht im Stadtteilbüro (STB) des Volxmobils in Neustadt- Glewe an vorderer Stelle. Die Jugendlichen gestalten das Programm mit und organisieren mittlerweile selber für das STB Aktionen und Veranstaltungen. In der Pfadfinderarbeit, die über das STB läuft, gestalten die Pfadfinder alles mit und die Selbständigkeit und besonders die Verantwortung der Großen für die Kleinen, stehen vorne an. Beim wöchentlichen Kanufahren ist es gelungen, 3 Jugendliche als Steuerleute auszubilden, die verantwortlich mit anderen im Boot unterwegs sein können. Das Abholen der gespendeten Gemüse/Obstkisten, beim Erstellen des Kochplaners, bei Vorbereitungen von Festen oder thematischen Tage u.v.m. geschieht größtenteils durch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst. Mittlerweile gibt es ein Ehrenamtlichenteam, das sich wöchentlich trifft und unter der Leitung der hauptamtlichen Mitarbeiterin die Woche plant.

Im Projekt „Kunst aus Holz“, ebenfalls in Neustadt-glewe, haben wir im Frühsommer mehrere Holzkünstler besucht und ihnen über die Schulter geschaut. Im Sommer begann die Themenfindung mit den Jugendlichen und die Teams, jeweils ein Jugendlicher und ein Erwachsener , zum Beispiel Eltern- oder Großelternteil, arbeiten an einem Werkstück, entscheiden sich selbst für ein eigenes Thema und die Arbeitsweise am Holz.

C.B.: Gab es während der Demo- Projektlaufzeit (neue) Kooperationen zwischen Trägern der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit oder der Verwaltung und Politik? Wie wirksam waren diese Kooperationen?H.O.: An vielen kleinen und großen Stellen gab es neue Kontakte, Abbau von Vorurteilen und ein Zusammenführen verschiedener Träger, Verwaltung und Politik. Stellvertretend hierfür möchte ich zwei Beispiele nennen: Die Ausgangssituation in Hagenow war der fast nicht vorhandene Kontakt der verschiedenen Träger der Jugendarbeit und der Stadtpolitik zum Einen, und zum Anderen das Fehlen jeglichen Engagements im Neubauviertel „Kiez“ – hier gab es keinen Jugendclub, kein Freizeithaus, kein Angebot, nichts. Durch das Sponsoring der ortsansässigen Wohnungsbaugesellschaft eröffneten wir im November 2012 eine „Adventswohnung“ im Hagenower Kiez. In der gesamten Adventszeit war diese Wohnung vom ersten Tag an ein Anlaufpunkt für bis zu 60 Kinder und Jugendliche. Täglich gab es ein Nachmittagsprogramm mit Gesang, Geschichte, Bastelei, Sitzen bei Kerzenschein und vielem mehr. Für die beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen Träger unter der Leitung der Volxmobil und Demo-Mitarbeiterinnen (plus psychosozialer Dienst, Kirchengemeinde, ASB, Diakonie, Schulsozialarbeit, Kompetenzagentur, IB) war überraschend, wie schnell und einfach Kontakt herzustellen war. Aus der Adventswohnung ist mittlerweile eine „Bildungswohnung für frühe Hilfen“ geworden, in der die verschiedenen Träger im Netzwerk weiterhin zusammen arbeiten – wir haben als Demo-Projekt und Volxmobil angeleitet und initiiert und diese Bildungswohnung wird nun erfolgreich von den Trägern vor Ort betrieben.

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In Boizenburg wurden im Rahmen des DEMO- Projekts Netzwerkkonferenzen einberufen, eine im April, eine im Juni und eine im September 2012. Hintergrund ist, dass den MitarbeiterInnen des Volxmobils von verschiedenen Seiten immer wieder „pädagogische“ Fragen gestellt wurden (z.B. zum Thema Kinderwohlgefährdung etc.). Ziel der Netzwerkkonferenzen war zum Einen konkrete Themen (aus gegebenen Anlässen heraus: Kindeswohlgefährdung und jugendliche Prostitution in Boizenburg) zu besprechen und zum Anderen, die verschiedenen Träger und verantwortlichen Multiplikatoren der Stadt an einen Tisch zu holen um die jeweiligen Kompetenzen füreinander nutzbar zu machen. Nachdem die erste Netzwerkkonferenz kaum besucht war, waren bei der zweiten dann schon alle Geladenen da (Stadtjugendpflegerin, Leitung des Internationaler Bund, Jugendamt, Schulsozialarbeiter, Kompetenzagentur, ehrenamtliche Streetwork, Team Streetwork Boizenburg und die Kirchgemeinde Boizenburg). Diese weitergeführten Netzwerkkonferenzen haben das Ziel, zukünftige Probleme konkurrenzlos anzugehen, beziehungsweise sie zu lösen. Das ist bis jetzt mehrmals gut gelungen.

C.B.: In wie weit hat das von euch umgesetzte Projekt zur Verbesserungvon Chancengerechtigkeit, zur Erhöhung von gesellschaftlicher Teilhabe und/oder der Vermittlung von demokratischen Werten für Jugendliche beigetragen?H.O.: Chancengerechtigkeit bedeutet für uns, die Hilfe zu bekommen, die man benötigt. Besonders im STB in Neustadt-Glewe und durch die Adventswohnung in Hagenow ist es uns gelungen, und gelingt es uns noch, Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Beratung und Therapie zu vermitteln, die zum Teil seit Jahren dringend notwendig sind. Es ist gelungen, Jugendliche in Ausbildungsplätze zu vermitteln und auch sonst den Jugendlichen verschiedene Form der Hilfe zugänglich zu machen. Gesellschaftliche Teilhabe heißt für uns, raus zu kommen aus der Isolation der Platte oder des Dorfes, rein zu kommen zu den Veranstaltungen und Angeboten, die für alle Menschen zugänglich sind, beziehungsweise sein sollten. Durch den gemeinsamen Besuch von Festen, die Teilnahme an Bürgersprechstunden oder öffentlichen Sitzungen der Stadt (in denen es um Jugendthemen geht), sowie Städtetouren (viele der Kinder und Jugendlichen waren vorher noch nie in Hamburg

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oder Berlin, sind noch nie S- oder U-Bahn gefahren) oder Kunstprojekte (Kultur und Kunst muss man (kennen-)lernen) vergrößert sich die Teilhabe an dem Leben, das eigentlich für alle zur Verfügung steht. In den Städten, in denen wir aktiv waren und sind, werden die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir zu tun haben, wieder mehr in den Blick genommen. Gemeinden stellen dadurch finanzielle und sachliche Mittel bereit, um diese besonders zu fördern und damit auch Teilhabe zu ermöglichen, zum Beispiel durch die Finanzierung der Städtereisen und des Holzkunstprojekten.Die Vermittlung von demokratischen Werten steckt in all unserer Arbeit ursächlich drin. Bei den verschiedensten Kontakten zu den jungen Leuten, sei es im Kanu beim Paddeln, in der Berliner U-Bahn bei einer unserer Städtereisen, beim Hämmern an einem Holzwerkstück, nebeneinander an der Werkbank in der Fahrradwerkstatt…, überall ist es uns möglich, auf all die leisen und lauten demokratiefeindlichen Sprüche, die nicht zu Ende gedachten Stammtischslogans zu reagieren, dagegen zu halten, zu diskutieren. Die menschenverachtende verbale Ausgrenzung muss ständig thematisiert werden, dagegen müssen wir angehen. Ein christliches Menschenbild ist die Grundlage unseres pädagogischen Handelns und ursächlich für die vielfältigen Projekte. In den verschiedenen Projekten und Einsatzorten ist es besonders durch den Wechsel der Perspektive immer wieder gelungen, dass sich Kinder und Jugendliche in die Lebenssituationen von Fremden und Ausgegrenzten hineinversetzen können, es zumindest versuchen. Besonders „delikat“ ist es, wenn sie erkennen, dass sie selbst oft genug/ viel zu oft, in unserer Gesellschaft zu den Ausgegrenzten gehören.

C.B.: Was aus dem Projekt wird „überdauern“? Welche Erfahrungen waren neu und vielleicht sogar unerwartet? (Lerneffekt)H.O.: Überdauern werden viele konkrete Kenntnisse und Fähigkeiten, die die Kinder und Jugendlichen erworben haben wie schnitzen, Fahrrad reparieren, Suppe kochen, Gemüse verarbeiten, paddeln, ein Stück mehr für sich selber sorgen und vieles mehr. Auch die Erfahrung, dass sich jemand kümmert, uneigennützig da ist

(immer wieder die verwunderte Frage: „Warum macht ihr das eigentlich hier?“), bleibt bestehen und prägt. Viele der Kinder und Jugendlichen haben in den letzten Jahren nicht nur neue Fähigkeiten erlernt, sondern auch sich selber besser kennen gelernt, mehr über die eigenen Schwächen und vor allem Stärken erfahren. Davon werden sie in ihrem zukünftigen Leben profitieren. Auch „Toleranz“ ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen; Toleranz als Lebenshaltung erst einmal kennen zu lernen und zu akzeptieren, Toleranz nicht nur den Fremden und Ausländern gegenüber, sondern auch den Schwächeren, den alten Menschen, den Andersdenkenden, Toleranz nicht nur in Form von Duldung des Anderen…, das war und ist Ziel unserer Arbeit und leider stehen wir an vielen Stellen immer noch am Anfang. Ganz praktisch werden überdauernd die Moped- und Fahrradwerkstatt in Boizenburg, das Holzkunst-Projekt in Neustadt-Glewe und die Bildungswohnung in Hagenow. Für uns nicht wirklich neu, aber immer wieder überraschend, war zu erkennen und zu erleben, wie schwer es für Kinder und Jugendliche ist (und damit auch für uns, als Helfende, als Begleitpersonen), ihrem familiären „Erbe“ entgegen zu wirken. Es ist kaum möglich, aus einem familiären Kreislauf von Alkohol, Gewalt, Armut, psychischer Erkrankung, genetischer Disposition, pränatalen Schädigungen, oft schon in der 3. Generation, heraus zu kommen. Toll und zugleich traurig war die Erfahrung, wie leicht es oft war, Kontakte aufzubauen, Netze zu knüpfen zu den anderen Trägern und Verantwortlichen in Jugendarbeit und Sozialarbeit, wenn diese Netzwerkpartner erkennen, dass unser Tun uneigennützig ist, dass wir keinen Profit für unserer Träger „rausschlagen“ wollen und ihnen nicht „die Felle wegnehmen“.

Im Rahmen der regelmäßig in Berlin stattgefundenen Vernetzungstreffen mit den MitarbeiterInnen der Standorte sind Thesen entstanden, die auf den Erfahrungen und den Ergebnissen der lokalen Arbeit beruhen. Sie sollen jedem als Gedankenanstoß dienen, der sich in Zukunft mit dem Thema „Demografischer Wandel im ländlichen Raum“ auseinander setzen möchte.

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Thesen:

1. In Zukunft werden die Unterschiede in Lebensperspektiven und Aufwachsen von jungen Menschen nicht Ost-West-Disparitäten sondern Stadt-Land-Disparitäten unterliegen.

2. Strukturschwache Regionen in ländlichen Räumen können zur Benachteiligung für junge Menschen werden.

3. Es gibt keinen allgemeingültigen Umgang, keine universale Strategie zum Umgang mit dem demografischen Wandel, nur regionale Ansätze.

4. Weniger Jugendliche heißt nicht automatisch weniger Jugendhilfebedarf.

5. Jugendhilfe muss kontinuierlich sein.

6. Lokale Bedürfnisse und Teilhabemöglichkeiten bestimmen die Lösungsansätze.

7. Ziel ist es nicht, die Jugendlichen in den Regionen festzuhalten, sondern ihnen eine Wahlfreiheit zu vermitteln.

8. Ziel ist es, sozial un- bzw. unterversorgte Räume gar nicht erst entstehen zu lassen.

9. Es darf nicht sein, dass sich Jugendliche von undemokratischen Angeboten angesprochen fühlen, nur weil dies die einzigen Angebote vor Ort sind.

10. Mobilitätsangebote sind im ländlichen Raum zur Sicherung von Teilhabe entscheidend.

11. Eine Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen, vor allem auch der älteren Bevölkerung, soll gefördert werden.

12. Lokale Jugendhilfe ist der Experte für das Soziale.

13. Jugendhilfe ist ein elementarer Teil lokaler Daseinsvorsorge.

Zusätzlich zu diesen Thesen ist im Rahmen des Projektes eine Fotodatenbank zu dem Thema entstanden, die den Mitgliedern der BAG EJSA und der aej zur Verfügung steht. Ein Ziel des Projektes wäre schon damit erreicht, wenn seine Ergebnisse andere dabei unterstützen, sich auch weiterhin mit dem Leben junger Menschen im ländlichen Raum zu beschäftigen. Die Fotos können bei Gisela Würfel, Bereichsleitung interne und externe Kommunikation, [email protected] und bei Dr. Karsten Schulz, Referent für Evangelische Jugend in ländlichen Räumen, [email protected], angefragt werden.

Ausblick:Mit dem Ende des Projektes haben sich die Herausforderungen durch den Demografischen Wandel nicht erledigt. Im Gegenteil, die Komplexität des Themas wurde zwar etwas aufgelöst, aber gleichzeitig wurde deutlich in welchen Bereichen noch viel zu tun ist. Eine weiterführende Perspektive muss sein, den Demografischen Wandel als Querschnittsthema in allen Bereichen der Jugendhilfe mitzudenken. Dafür wäre es sinnvoll von der exklusiven Sichtweise auf Ostdeutschland wegzukommen und alle ländlichen, strukturschwachen Regionen Deutschlands in den Blick zu nehmen. Noch kann die Zukunft im Sinne der jungen Menschen mitgestalten werden.

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Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. (BAG EJSA)

Büro Stuttgart:Wagenburgstraße 26-2870184 StuttgartTel. 0711/16489-0Fax. 0711/16489-21

Büro Berlin:Auguststraße 8010117 BerlinTel. 030/28395-414Fax. 030/28395-418

Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej)

Bundesgeschäftsstelle:Otto-Brenner-Str. 930159 HannoverTel. 0511/1215-0

© photocase, Titelbild (M

anuel Langer)

Projektleitung: Charlotte Bamberger (BAG EJSA)Projektkoordination: Hans Steimle (BAG EJSA) und Karsten Schulz (aej)

Fotos im Innenteil: Julia Vogel