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Dr. Andreas Fisahn Demokratie: Aufhebung der Besonderung des Staates A. Das Problem abstrakter Staatlichkeit I. Abstrakte Staatlichkeit und die Friedensfunktion Das Konzept der hierarchischen Demokratie [1] basiert auf traditionellen staatstheoretischen Prämissen, die nicht oder nicht mehr plausibel sind. Hinterfragt man diese Prämissen, ergeben sich notwendig Konsequenzen auch für das Verständnis des Demokratiegebots in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG. Grundlegend für das Staatsverständnis des Konzepts der hierarchischen Demokratie ist die Auffassung, dass der abstrakten Staatlichkeit, dem Staat an sich, d.h. unabhängig von seiner Form als Rechtsstaat oder demokratischer Staat eine friedensstiftende Funktion zukomme. Der Staat wird verstanden als Friedensordnung. [2] Folgt man dem und nimmt an, dass der abstrakte Staat eine Friedensordnung darstellt, ist das Legitimationsproblem, wie es die Konzeption der hierarchischen Demokratie formuliert, schon zur Hälfte gelöst: der Staat ist in seiner abstrakten Staatlichkeit wegen seiner friedensstiftenden Funktion legitim. Die "demokratische Legitimation" tritt gleichsam zusätzlich zur legitimen Existenz des Staates hinzu mit der weiteren Folge, dass Demokratie staatszentriert konzipiert werden muss, durch die demokratische Form das "Wesen" des Staates nicht tangiert werden darf. Der Staat bleibt in seiner traditionellen, historisch entwickelten Form der Demokratie nicht empirisch, sondern normativ vorgängig. Wie steht es also um die Berechtigung dieser Prämisse? Sie kann sich immerhin auf berühmte Vordenker und geistesgeschichtlich schwergewichtige Traditionen berufen. Gleichsam die Blaupause für den Legitimationsdiskurs um die abstrakte Staatlichkeit hat Hobbes geliefert. Der Staat beendet in seiner Theorie den Zustand des Krieges aller gegen alle und gewährleistet mit der starken Hand des absolutistischen Herrschers den Frieden bzw. beendet den kriegerischen Naturzustand. [3] Die Legitimation des Staates als Friedensordnung bekommt bei Hobbes ein derart starkes Gewicht, dass der Gesellschaftsvertrag als Unterwerfungsvertrag konzipiert werden kann, die absolute Monarchie - im Vergleich zum (Bürger)-Kriegszustand - als gerechtfertigt erscheint. Diese weitreichenden Konsequenzen werden von nachfolgenden Denkern nicht übernommen. Gleichwohl bleibt als Basis der "Legitimation des Staates" die Überwindung des Naturzustandes, der als unfriedlicher, unsicherer Zustand charakterisiert wird. Die Spur dieser Argumentationsstruktur muss nicht ausführlich verfolgt werden, es genügt auf ein weiteres einflussreiches Beispiel zu verweisen: Kant postuliert eine Rechtspflicht [4] aus dem Naturzustand in den bürgerlichen Zustand einzutreten. Es sei nur der bürgerliche Zustand, oder der Staat, der die Sicherheit des Eigentums garantieren könne. Daraus folgt für ihn das Interesse oder Motiv der Einzelnen wie die Pflicht, sich den staatlichen Gesetzen zu unterwerfen. [5] Die Gewährleistung des Eigentums gerät aber auch Kant in einer tieferen Schicht zum staatlichen Schutz vor Gewalttätigkeit [6] oder zur Sicherung des Friedens: "Man kann sagen, dass diese allgemeine fortdauernde Friedensstiftung nicht bloß einen Teil, sondern den ganzen Endzweck der Rechtslehre" ausmache. [7]

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Dr. Andreas Fisahn

Demokratie: Aufhebung der Besonderung des Staates

A. Das Problem abstrakter Staatlichkeit

I. Abstrakte Staatlichkeit und die Friedensfunktion

Das Konzept der hierarchischen Demokratie[1] basiert auf traditionellen staatstheoretischen Prämissen, die nicht oder nicht mehr plausibel sind. Hinterfragt man diese Prämissen, ergeben sich notwendig Konsequenzen auch für das Verständnis des Demokratiegebots in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG.

Grundlegend für das Staatsverständnis des Konzepts der hierarchischen Demokratie ist die Auffassung, dass der abstrakten Staatlichkeit, dem Staat an sich, d.h. unabhängig von seiner Form als Rechtsstaat oder demokratischer Staat eine friedensstiftende Funktion zukomme. Der Staat wird verstanden als Friedensordnung.[2] Folgt man dem und nimmt an, dass der abstrakte Staat eine Friedensordnung darstellt, ist das Legitimationsproblem, wie es die Konzeption der hierarchischen Demokratie formuliert, schon zur Hälfte gelöst: der Staat ist in seiner abstrakten Staatlichkeit wegen seiner friedensstiftenden Funktion legitim. Die "demokratische Legitimation" tritt gleichsam zusätzlich zur legitimen Existenz des Staates hinzu mit der weiteren Folge, dass Demokratie staatszentriert konzipiert werden muss, durch die demokratische Form das "Wesen" des Staates nicht tangiert werden darf. Der Staat bleibt in seiner traditionellen, historisch entwickelten Form der Demokratie nicht empirisch, sondern normativ vorgängig. Wie steht es also um die Berechtigung dieser Prämisse?

Sie kann sich immerhin auf berühmte Vordenker und geistesgeschichtlich schwergewichtige Traditionen berufen. Gleichsam die Blaupause für den Legitimationsdiskurs um die abstrakte Staatlichkeit hat Hobbes geliefert. Der Staat beendet in seiner Theorie den Zustand des Krieges aller gegen alle und gewährleistet mit der starken Hand des absolutistischen Herrschers den Frieden bzw. beendet den kriegerischen Naturzustand.[3] Die Legitimation des Staates als Friedensordnung bekommt bei Hobbes ein derart starkes Gewicht, dass der Gesellschaftsvertrag als Unterwerfungsvertrag konzipiert werden kann, die absolute Monarchie - im Vergleich zum (Bürger)-Kriegszustand - als gerechtfertigt erscheint. Diese weitreichenden Konsequenzen werden von nachfolgenden Denkern nicht übernommen. Gleichwohl bleibt als Basis der "Legitimation des Staates" die Überwindung des Naturzustandes, der als unfriedlicher, unsicherer Zustand charakterisiert wird. Die Spur dieser Argumentationsstruktur muss nicht ausführlich verfolgt werden, es genügt auf ein weiteres einflussreiches Beispiel zu verweisen: Kant postuliert eine Rechtspflicht[4] aus dem Naturzustand in den bürgerlichen Zustand einzutreten. Es sei nur der bürgerliche Zustand, oder der Staat, der die Sicherheit des Eigentums garantieren könne. Daraus folgt für ihn das Interesse oder Motiv der Einzelnen wie die Pflicht, sich den staatlichen Gesetzen zu unterwerfen.[5] Die Gewährleistung des Eigentums gerät aber auch Kant in einer tieferen Schicht zum staatlichen Schutz vor Gewalttätigkeit[6] oder zur Sicherung des Friedens:

"Man kann sagen, dass diese allgemeine fortdauernde Friedensstiftung nicht bloß einen Teil, sondern den ganzen Endzweck der Rechtslehre" ausmache.[7]

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Hatte die Argumentation vor dem Hobbeschen Erfahrungshintergrund noch ihre Berechtigung, erscheint sie doch heute angesichts der geschichtlichen Erfahrung mit unterschiedlichen Staaten höchst fragwürdig. Hobbes entwickelt sein Staatsverständnis vor dem historischen Hintergrund einer langen Periode von Bürgerkriegen in England und kaum überwundenen feudalen Strukturen mit regionalen Kriegsherren und privaten Fehden. Der absolute Staat mit modernem "Gewaltmonopol" erschien ihm als einzige Alternative zur Fortsetzung des Blutvergießens. Die Möglichkeit, dass eben dieses "Gewaltmonopol", die bis dato unbekannte Konzentration von Machtmitteln, gerade dazu eingesetzt würde, um Menschen in bisher ebenfalls ungekanntem Ausmaß zu unterdrücken oder zu vernichten, konnte Hobbes noch nicht ahnen.[8] Inzwischen sollten wir klüger geworden sein.

Die deutsche Geschichte von 1933 bis 1945 liefert ausreichend Anschauungsmaterial für einen Staat, der selbst für den Kriegszustand zunächst nach innen und anschließend nach außen verantwortlich ist, der den Krieg selbst proklamiert hat. Weitere Beispiele sind Legion, so dass man die Auffassung, eine abstrakte Staatlichkeit erfülle an sich eine friedensstiftende Funktion getrost ad acta legen kann. Daraus sind nun keine anarchistischen Konsequenzen zu ziehen, denn auch der Hobbesche Erfahrungshorizont hat bis heute seine Relevanz. Die Gewalt mafiöser Organisationen angesichts schwacher oder zerfallender staatlicher Institutionen[9] kann nicht die Alternative sein.

Die Folge ist zunächst nur: Nicht abstrakte Staatlichkeit ist normativ zu rechtfertigen, sondern nur bei einem Arrangement staatlicher Institutionen, das eine zivile Austragung gesellschaftlicher Konflikte und eine zivilisatorische Beschränkung der staatlichen Machtmittel ermöglicht, kann zunächst ein Minimum an normativer Rechtfertigung unterstellt werden. Diese vorsichtige Formulierung soll anzeigen, dass ein Minimum an normativer Rechtfertigung nicht nur einem demokratischen institutionellen Arrangement zugeschrieben werden kann. In der klassischen Unterscheidung kann nicht erst der Demokratie, sondern schon der Rechtsstaat mit verbürgten individuellen Rechten und berechenbaren allgemeinen Gesetzen[10] diese beschränkte normative Rechtfertigung aufgrund der friedensstiftenden oder den Machtgebrauch zivilisierenden Funktion erreichen.

II. Entzauberung abstrakter Staatlichkeit

Nun scheint die Unterscheidung zwischen abstrakter Staatlichkeit von deren besonderen Ausgestaltung, der empirisch-historischen Form des Staates prima facie Sinn zu machen. Demokratien lassen sich ebenso wie autoritäre Diktaturen oder Gottesstaaten dem Staatsbegriff subsumieren; in der abstrakten Staatlichkeit müssen bei allen Differenzen gemeinsame Grundmerkmale vorhanden sein. Um dieses Gemeinsamkeit zu erfassen gibt es die unterschiedlichsten Definitionsversuche, wobei sich aus den verschiedenen Perspektiven der Fakultäten unterschiedliche Definitionen ergeben sollen.[11] Diese können und müssen hier nicht alle rekapituliert werden, erinnert sei nur an einige wenige.

Für die juridische Staatslehre, insbesondere den völkerrechtlichen Staatsbegriff, ist Jellineks Lehre von den drei Elementen des Staates, Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatsvolk, noch heute von Bedeutung.[12] Diese Lehre mag zur völkerrechtlichen Abgrenzung geeignet sein, jedoch lässt sich mit ihr die problematisierte Gemeinsamkeit kaum fassen, da das Spezifikum des Staates, nämlich die Staatsgewalt nicht definiertes, sondern definierendes Merkmal ist.[13] Es ist die spezifische Form der Staatsgewalt, die "den Staat", abstrakte Staatlichkeit von vorstaatlichen Formen der Herrschaft oder der Organisation einer Gesellschaft unterscheidet. Das Problem der Staatsgewalt wird in Max Webers Definition zentral:

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"Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwangs für die Durchführung der Ordnung in Anspruch nimmt"[14]

Die Definition hat in Webers Systems zwei Implikationen. Erstens: Der Begriff Verwaltungsstab passt richtig nur auf eine Form der "legitimen Herrschaft", nämlich auf die "legale Herrschaft". Mit Blick auf die traditionale Herrschaft meint Weber, der Verwaltungsstab setze sich aus persönlichen Dienern zusammen, der Herrscher sei persönlicher Herr[15] - das ist zumindest kein Verwaltungsstab im modernen Sinne. Anders der Verwaltungsstab der "legalen Herrschaft", Vorbild ist hier die "bürokratische Herrschaft".[16] Das zweite Problem ergibt sich aus dem Postulat der Legitimität des psychischen Zwangs. Für die legale Herrschaft ergibt sich die Legitimität aus dem Legalitätsglauben, der wiederum aus der rechtlichen Organisation hervorgeht, auf gesatztem Recht beruht. Dieser Aspekt wird in Kelsens Definition des Staates weiter zugespitzt:

"Die Erkenntnis des Staates kann sich seines Wesens nicht anders bemächtigen, als indem sie dieses soziale Gebilde als eine Ordnung menschlichen Verhaltens begreift. Nähere Untersuchung zeigt, dass es eine soziale Zwangsordnung ist und dass diese Zwangsordnung mit der Rechtsordnung identisch sein muss, da es dieselben Zwangsakte sind, die beide charakterisieren ... Der Staat ist eine Rechtsordnung."[17]

Allerdings müsse diese Rechtsordnung "gewisse arbeitsteilig funktionierende Organe" ausgebildet und einen "gewissen Grad von Zentralisation" erreicht haben.[18] Nun erscheint es höchst zweifelhaft, ob schon der absolutistische Staat mit der Rechtsordnung identisch ist, ob nicht vielmehr der Wille des absoluten Monarchen an die Stelle des Rechts tritt. Ähnliches gilt dann auch für die unterschiedlichsten Diktaturen in allen Teilen der Welt, die sich eher auf die "Macht des Bajonette" als auf diejenige des Rechts stützen. So ist es um deren Legitimität bei der Ausübung physischen Zwangs, um Webers Definition wieder aufzunehmen, nicht gut bestellt. Trotzdem handelt es sich um Staaten, wie vergänglich oder instabil sie auch sein mögen.

Kennzeichnender scheint deshalb für den modernen Staat die in den zitierten Definitionen - fast nebenbei - anklingende Organisationsform zu sein. Dazu gehören eine gewisse institutionelle Zentralisation von Macht- oder Zwangsmitteln[19] sowie die unpersönliche, bürokratische[20] und arbeitsteilige Organisation dieser Institutionen[21] und deren intentionale Wirkung auf die Gesellschaft, stelle sie eine Ordnung oder "Un-Ordnung" her und unabhängig davon, ob die beabsichtigte Wirkung eintritt oder misslingt[22]. Schließlich tritt das (Wieder)-Erkennen der Institutionen als staatliche Institutionen durch die Bürger des Staates und ihre Re-Produktion durch das Handeln der Bürger hinzu, wobei "Erkennen" nicht Akzeptanz oder Einverständnis meint, sondern sich auf ein Identifizieren des Staates als Staat beschränkt.

Moderne Staaten lassen sich auf diese Weise von tribalistischen Strukturen ebenso unterscheiden wie von vorstaatlichen, feudalen Strukturen, die auf persönliche Folgebereitschaft (bei der Organisation der Zwangsmittel) und persönliche Abhängigkeiten angewiesen waren. Dieses Staatsverständnis führt nicht dazu, dass Staaten über das Recht, die rechtliche Organisation oder auf andere Weise von vornherein Legitimität, Integrationsleistungen[23], einheitsstiftende Wirkungen[24] oder andere Mystifikationen[25] zuerkannt werden müssten. Die Legitimität hängt u.a. vom Arrangement der staatlichen Institutionen ab und kann höher oder niedriger ausfallen, womit man sich dem Problem der Demokratie nähert, die einen hohen Grad von Legitimität für sich in Anspruch nimmt. Nur

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darauf, nicht auf die Geschlossenheit der Bestimmungen der Spezifika des Staatsbegriffs kommt es hier an.

B. Demokratie und die Besonderung des Staates

I. Die Besonderung des Staates

Diese genannten Bestimmungen des Staates implizieren eine Besonderung[26] oder eine Unterscheidung des Staates von der Gesellschaft. Die Besonderung des Staates von der Gesellschaft ist empirisch zu fassen. Die Herausbildung des modernen Staates im genannten Sinne ist Ergebnis der Trennung von ökonomisch-sozialen Funktionen und Machtstellungen von politischen Funktionen und Machtstellungen. Die Trennung erscheint in historischer Sicht als das charakteristische Merkmal des Übergangs von der feudalen zur kapitalistischen Gesellschaft. In der feudalen Gesellschaftsordnung waren politische und ökonomische Funktionen nicht getrennt, die Stellung als Lehnsherr war mit ökonomischen Implikationen, Dienstpflichten der Leibeigenen usw. und politischen Funktionen, der Stellung als Richter, Kriegsherr usw. verbunden. Die historische Entwicklung zur Trennung dieser Funktionen, die sich als Entstehungsgeschichte des modernen Staates beschreiben lässt, wird unterschiedlich interpretiert. Unterscheiden lassen sich herrschaftsorientierte und funktionsorientierte Erklärungsansätze, die z.T. kombiniert werden oder fließende Übergänge aufweisen.[27]

Die funktionalistischen Erklärungen interpretieren die Besonderung des Staates als notwendige Differenzierung verschiedener Funktionsbereiche. Dabei sind die angeführten Gründe, die "Antriebskräfte" für die Differenzierung, unterschiedlich und überschneiden sich z.T. mit der herrschaftsorientierten Sicht. So argumentiert Durkheim, die zunehmende Arbeitsteilung der Gesellschaft habe notwendig zu einem Funktionszuwachs des "Zentralorgans", d.h des Staates, führen müssen. Er entwickele sich als Folge der Umwandlung von Gesellschaften des segmentären Typs mit geringe Arbeitsteilung in Gesellschaften des organisierten Typs mit hoher Arbeitsteilung.[28] Nach Weber ist die Herausbildung des modernen Staates, d.h. der legalen Herrschaft mit bürokratischem Verwaltungsstab, ebenso wie diejenige der kapitalistischen Wirtschaft und des Rechts, auf die (formale) Rationalisierung der Lebensführung zurückzuführen, die wiederum ihre Wurzeln in religiösen Verschiebungen hatte.[29] Luhmann schließlich konstatiert, dass der Staat sich in Folge der Stratifikation der Gesellschaft herausbildet, da die notwendigen Ordnungsleistungen der tribalen Gesellschaft nicht durch Schichtenbildung allein ersetzt werden könnten. Dabei lässt er explizit offen, ob die Oberschicht sich einen politischen Organismus schaffe, um ihre Privilegien zu schützen, oder ob der politische Zentralismus, die an ihm Beteiligten zur Oberschicht mache.

"Jedenfalls kommt es, gesellschaftsgeschichtlich gesehen, nicht zu ausgeprägter Stratifikation ohne danebengesetzten politischen Zentralismus. Insofern dient der Übergang zu stratifizierten Gesellschaften zugleich der Vorbereitung einer funktionalen Ausdifferenzierung des politischen Systems."[30]

Der neuzeitliche Staat diene im Ergebnis der "Restabilisierung" der politischen Zentralisierung.[31] Die Funktionalität ist in dieser Erklärung der Entstehung des neuzeitlichen Staates nicht enthalten, vielmehr wird sie dem politischen System oder der Systemdifferenzierung an sich nachträglich unterlegt. Die entstehungsgeschichtliche These liegt nahe bei herrschaftsorientierten Erklärungsansätzen.

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Der Staat ist nach einer herrschaftsorientierten Lesart der historischen Entwicklung ein Ergebnis der Entwicklung der Produktivkräfte. Engels findet den Ursprung des Staates ebenfalls in der Arbeitsteilung, die kombiniert mit neuen Methoden der Produktion zu der Schaffung von überschüssigen über den eigenen Bedarf hinausgehenden Reichtümern führte, die die juristische Form des Eigentums erhielten. Noch in vorstaatlichen Gesellschaften differenzierte sich über die Arbeitsteilung zunächst die Produktion, dann weitere außerhalb der Produktion liegende Bereiche. Die entwickelte Arbeitsteilung habe einerseits die Klassenspaltung der Gesellschaft zur Folge, wobei die Klassenspaltung sowohl als Spaltung zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden als auch als funktionale Spaltung zwischen Produzenten und Nicht-Produzenten gefasst wird. Andererseits steigerte die Entwicklung der Produktivkraft - modern ausgedrückt - die Komplexität der Gesellschaft, stellte über Münzwirtschaft und ausgedehnten Handel ein Band unter Bedingungen fehlender Kopräsenz her. Diese neuen Bedingungen der Produktion hätten ebenso wie die sich zuspitzenden Klassengegensätze neue Organe der Koordination erfordert, nämlich staatliche, wobei "ein wesentliches Kennzeichen des Staates in einer von der Masse des Volkes unterschiedenen öffentlichen Gewalt" auszumachen sei.[32] Die aufgezeigte Kombination der klassenorientierten mit der funktionalistischen Erklärung führt zu entsprechenden Ambivalenzen beim Staatsverständnis: er sei einerseits "eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht", die nötig geworden sei, um die Konflikte der Klassen zu dämpfen, sie innerhalb der Schranken der Ordnung zu halten.[33] Andererseits: der Staat, da er "mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittels seiner auch politisch herrschende Klasse wird."[34] Die deutsche Unart, ein substanzhaftes "Wesen" ausmachen zu wollen, hat sich hier auch in das kritische Denken eingeschlichen und verwickelt es in ganz undialektische Widersprüche.[35]

Neuere herrschaftsorientierte Untersuchungen, die vor einem strukturalistischen Hintergrund soziale Praktiken zu erfassen suchen, führen die Besonderung der politischen Gewalt von ökonomischen Stellungen auf die Dynamik der "Konkurrenz um Herrschaftsbesitz" in feudalen Gesellschaften zurück.[36] Das Zusammenfallen von ökonomischer Macht und politischer Stellung, insbesondere "militärischer" Stellung bildete danach im Feudalismus Konkurrenzverhältnisse heraus, die nicht markt-, sondern gewaltförmig verliefen. Markt und Recht blieben so dem "Strukturzusammenhang des Gewaltbesitzes unterworfen."[37] "Im Laufe der Zeit" habe sich der Konkurrenzkampf um den Gewaltbesitz verteuert, nämlich durch die Entwicklung der Kriegstechnik einerseits und die Erforderlichkeit des Einsatzes von "juristisch geschulten Fachpersonal" in nicht-kriegerischen Auseinandersetzungen der Herren und in der Aneignung der "Definitionshoheit über lokalen Brauch" andererseits.[38] Beide Elemente führten gleichzeitig zum sozialen Aufstieg neuer Schichten, die nach formaler Anerkennung strebten. Die Abwehrstrategie der unterlegenen Herren, derjenigen, die im Kostenwettlauf nicht mehr mithalten konnten, habe in einer Verallgemeinerung der Herrschaft bestanden, was als Übergang zur Herrschaftsform des Ancien Régime, ausgemacht wird.

"Basierte feudale Herrschaft auf unmittelbaren Gewaltverhältnissen, so stand Herrschaft vom Strukturtypus 'Ancien Régime' im Zusammenhang versachlichter sozialer Beziehungen: verallgemeinertes Recht und Markt wurden Strukturvoraussetzungen für Herrschaftspraxis."[39]

Der persönliche Herrschaftsbesitz des Adels sei gleichzeitig begrenzt und durch die Konstituierung eines Adelsstandes mit rechtlich garantierten Privilegien zu einer Herrschaft mit verallgemeinerter Gewalt integriert worden. Die Herrschaft des Ancien Régime sei aber personale Herrschaft geblieben, erst durch die bürgerliche Revolution habe die "Enteignung

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des personalen Herrschaftsbesitzes, einschließlich ständischer Privilegien" stattgefunden, sei der "Aneignungscharakter von Herrschaft" beseitigt, Herrschaft auf Politik reduziert und damit Politik strikt von der Ökonomie getrennt worden.[40] In dieser Analyse wird also mit der Herrschaft des Ancien Régime eine Zwischenstufe zwischen feudale, nicht staatliche, persönliche Herrschaft, die die politische und ökonomische Machtstellungen umfasste, und bürgerliche, unpersönliche politische Staatsorganisation ohne ökonomische Aneignungsbefugnisse eingefügt. Zu Grunde liegt ein historischer Vergleich zwischen England und Frankreich, was erklären mag, dass die Unterscheidungen zwischen Ancien Régime und bürgerlichem Staat für Deutschland nicht ganz überzeugen, wo jedenfalls fließende Übergänge und keine Brüche, die auf die Enthauptung des Monarchen datiert werden können, in der Trennung von Politik und Ökonomie ausgemacht werden müssen.

Vor diesem Hintergrund ist es wenig überzeugend, unabhängig davon welcher Erklärungsstrategie man folgt, der Trennung von Staat und Gesellschaft eine normative Funktionalität zu unterschieben. Eine solche normative Funktionalität ist aber eine der Grundlagen der Konzeption der hierarchischen Demokratie: die Trennung von Staat und Gesellschaft erfüllt danach nämlich eine freiheitssichernde Funktion. Sie schütze die Gesellschaft vor der unbegrenzten Intervention des Staates[41] und - muss man hinzufügen - den Staat vor dem unbegrenzten Zugriff durch die Gesellschaft[42]. Das erscheint nach obigen Ausführungen als eine Verdrehung der Zusammenhänge. Mit der historischen Entwicklung zu einem von der Gesellschaft besonderten Staat, d.h. mit der Zentralisation der Macht und Gewaltmittel in besonderen politischen Institutionen entstand gleichsam erst das Problem der Beschränkung und Kontrolle dieser zentralisierten Macht, bzw. die Machtfülle staatlicher Institutionen konnte als Problem Eingang in den gesellschaftlichen Diskurs finden. Erst wenn die öffentliche Gewalt "nicht mehr unmittelbar zusammenfällt mit der sich selbst als bewaffnete Macht organisierenden Bevölkerung"[43], kann deren Kontrolle und Beschränkung zu einem Problem des öffentlichen Diskurses[44] werden. Die Trennung von Staat und Gesellschaft lässt sich dann schwerlich funktional auf Freiheitssicherung beziehen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die Besonderung des Staates von der Gesellschaft machte es notwendig, Vorkehrungen für die Freiheitssicherung gegen die bis dahin ungekannte, zentralisierte Machtfülle zu treffen.

II. Aufhebung der Besonderung des Staates

Die Mittel oder Wege, die zum Zwecke der Machtkontrolle, -beschränkung oder -steuerung des von der Gesellschaft besonderten Staates im historischen Prozess nach und nach "gefunden" wurden, werden heute unter den Begriffen Rechtsstaat oder rule of law[45] einerseits und Demokratie[46] andererseits zusammen gefasst.

Im Rechtsstaat, der sich historisch in Deutschland eindeutig, z.B. in Frankreich weniger deutlich zuerst durchsetzte[47], der historisch zuerst entwickelt wurde, wird die Besonderung von Staat und Gesellschaft zum unangetasteten Ausgangspunkt für die Machtbegrenzung des Staates. Ausgehend von der Unverletzlichkeit der Person[48] und der Glaubensfreiheit[49], die sich wiederum historisch als vordringliche Problembereiche herausgestellt hatten und über soziale Kämpfe abgesichert und zu natürlichen Rechten erklärt wurden[50], entwickelte sich ein Set von individuellen Rechten, die als Menschen- oder Grundrechte der Staatsmacht Grenzen setzten, für den Staat unantastbare Freiheitsräume der Individuen schufen. Daneben wurden über die Form der Herrschaft, über Herrschaft vermittels des allgemeinen Gesetzes[51], über die Verpflichtung der Staatsgewalt nur auf der Grundlage eines allgemeinen Gesetzes zu handeln, Berechenbarkeit und Rechtsgleichheit der Gesetzesunterworfenen hergestellt, die

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ebenfalls Freiheitsräume für den Einzelnen sicherten. Das gilt zunächst unabhängig vom Urheber des Gesetzes, also vom demokratischen Element der Legalität.

Hier liegt der wahre Kern der Behauptung, die Trennung von Staat und Gesellschaft diene der Freiheitssicherung. Die Sphäre gesellschaftlicher Freiheit scheint durch diese Vorkehrungen vor dem Zugriff der staatlichen Macht geschützt zu werden. Verlässt man aber die Sphären-Metapher, löst sich vom räumlichen Denken, braucht es nicht die Trennung von Staat und Gesellschaft, um individuelle Freiheiten zu sichern. Individuelle Rechte und das allgemeine Gesetz können auch als inhaltliche Beschränkung der staatlich/ gesellschaftlichen Regulierung individueller Handlungen oder Nicht-Handlungen gefasst werden. Sie erscheinen vor einem demokratischen Hintergrund als Selbstbeschränkung der vermittels staatlicher Institutionen agierenden, sich selbst regulierenden Gesellschaft, als selbst gesetzte inhaltliche Grenze der Normierung. Die Sphärentrennung erscheint dann nur als ein gedankliches Hilfsmittel, um die inhaltliche Selbstbegrenzung zu beschreiben, nicht als reale Voraussetzung der Freiheitssicherung.

Lässt sich der Rechtsstaat noch mit der Sphärentrennung vereinbaren, schließt Demokratie die Sphärentrennung als normatives Postulat aus, wenn sie nicht zu einem Formalismus, einem formalen Legitimationsmodus verkümmern soll. Demokratie lässt sich wiederum in historischem Ablauf als Ringen um oder als Suche nach Möglichkeiten und institutionellen Formen interpretieren, über die die Macht des Staates nicht einfach eingehegt, sondern inhaltlich an die Gesellschaft zurückgebunden werden kann. Es geht in den sozialen Auseinandersetzungen um Demokratie nicht mehr nur um die Beschränkung der Macht eines Herrschers, fremder Herrschaftsgewalt, sondern um den Versuch, zunächst staatliche Macht - später auch soziale Macht[52] - inhaltlich durch die Gesellschaft zu binden, durch die Gesellschaft zu programmieren.

Kurz: es geht darum die Besonderung der Staates von der Gesellschaft aufzuheben. Die staatlichen Institutionen werden bewahrt, aber sie sollen zu Institutionen werden, mit denen die Gesellschaft sich selbst organisiert und programmiert, was die herrschaftsbezogene Besonderung negiert, womit drittens die staatlichen Institutionen schließlich eine andere Qualität erhalten. Und diese andere Qualität ist es, die - im Unterschied zu abstrakter Staatlichkeit - die Legitimation des demokratischen Staates prinzipiell möglich macht. Im Rechtsstaat geht es um die Beschränkung der besonderten Staatsgewalt; der Demokratie ist es um die Aufhebung der Besonderung des Staates zu tun.

Die Aufhebung der Besonderung staatlicher Macht ist dabei genausowenig wie der Rechtsstaat als abgeschlossener Vorgang zu begreifen, sondern als Prozess. Wie im Rechtsstaat gelegentlich neue individuelle Rechte, man denke an das vergleichsweise junge Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder die Kehrseite der Schutzpflichten, hervorgebracht oder "gefunden"[53] werden, so ist die Demokratie nicht als abgeschlossener Legitimationsmodus von Herrschaftsgewalt zu denken, sondern als Prozess, durch den die Gesellschaft versucht, über verschiedene Formen und Institutionen die Besonderung des Staates aufzuheben, sie zu Organen der sich selbst organisierenden Gesellschaft zu machen. Dies ist zu denken als ein historischer Prozess, in dem verschiedene zentrale Institutionen - etwa die Volksvertretung mit Gesetzgebungskompetenz - gefunden und etabliert wurden, andere - etwa "runde Tische" - neu hervorgebracht werden und/oder wieder verschwinden können, wieder andere - etwa Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung - ihre Funktion oder ihren Bedeutungsgehalt ändern können.

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Die Etablierung der parlamentarischen Vertretung nimmt im Gefüge der Demokratie und im Prozess der sozialen Auseinandersetzungen um diese einen zentralen Stellenwert ein. Dabei sind die historischen Auseinandersetzungen in deren Verlauf sich das Parlament als zentrale Institution der Demokratie durchsetzen konnte, schwerlich als Auseinandersetzungen um den Legitimationsmodus um eine ansonsten unangetastete, qualitativ unveränderte Staatlichkeit zu deuten. In diesen Auseinandersetzungen ging es vielmehr um den Einfluss der Gesellschaft über ihre Vertretungskörperschaft auf die konkrete Ausübung der Staatsgewalt. Die Programmierung der administrativen Macht, die Festlegung ihrer Handlungskompetenzen ex ante über das Gesetz ist Kern der Funktion des Repräsentativorgans Parlament und Ergebnis politisch-sozialer Auseinandersetzungen mit dem Ziel die Staatsgewalt an die Gesellschaft inhaltlich zurückzukoppeln, d.h. die Besonderung des Staates aufzuheben. Dabei scheint in den Zeiten des bürgerlich-demokratischen Aufbruchs bewusst gewesen zu sein[54], was erst spät wieder entdeckt wurde, nämlich dass eine vollständige Programmierung der Exekutive über allgemeine Gesetze nicht gelingen kann und aufgrund abstrakter Formulierungen Handlungsspielräume der Exekutive entstehen, die anderweitig an die Gesellschaft zurückgebunden werden müssten. Die Wählbarkeit und Absetzbarkeit der exekutivischen Spitzen ist - in Deutschland - ein vergleichsweise spätes Element im institutionellen Arrangement des Staates, das die Rückbindung des Staates[55] an die Gesellschaft sicher stellen soll.[56]

Wenn man Demokratie als Prozess der Aufhebung der Besonderung des Staates versteht, folgt, dass dieser Prozess mehr oder weniger gut gelingen kann, dass auch unter Aufrechterhaltung zentraler demokratischer Institutionen sich der Staat mehr oder weniger weit von der Gesellschaft entfernen, seine Besonderung beibehalten kann. Demokratie als Verfassungsgrundsatz ist dann nicht nur zu verstehen als Staatsstrukturprinzip, das über staatsorganisationsrechtliche Bestimmungen eine abgeschlossene Form erhalten hat, ein für alle mal "in Form gegossen", positiv normiert und fixiert wurde, sondern gleichzeitig als von der Verfassung gestellte Aufgabe an Staat und Gesellschaft.[57] "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" ist ebensowenig wie der Satz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" als Tatsachenfeststellung zu begreifen, sondern als normatives, zu gewissen Teilen kontrafaktisches Postulat, das in beiden Fällen durch weitere Bestimmungen der Verfassung schon konkretisiert ist, in anderen Bereichen noch offen ist, d.h. der Konkretisierung und Ausgestaltung in der sozialen Wirklichkeit bedarf.

Nur wenn man Demokratie - wie in der Konzeption der hierarchischen Demokratie - als Herrschaftsverhältnis begreift, erhält und behält die Frage nach der Legitimität dieser Herrschaft, als Frage nach ihrer normativen Rechtfertigung und als Frage nach dem Ursprung der Akzeptanz von Entscheidungen ihre Schärfe und ihre mystische Dimension. Diese Variante der Demokratietheorie basiert hier auf einem spätabsolutistischen Staatsverständnis. Wie der Monarch als Träger der Souveränität durch das Volk abgelöst wurde, ersetzt die "demokratische Legitimation" der Herrschaft, deren Legitimation durch "Gottes Gnaden", in beiden Fällen bezieht sich Legitimation nicht auf Zustimmung oder Akzeptanz, sie bleibt - im schlechten Sinne - abstrakte Staatsrechtfertigung.

Begreift man Demokratie dagegen als Versuch die historische Besonderung des Staates von der Gesellschaft aus der Perspektive der Gesellschaft in dem Sinne aufzuheben, dass der Staat zum Ensemble von Institutionen wird, mit denen die Gesellschaft sich selbst organisiert und über sich selbst entscheidet, verliert die Frage nach der Legitimität staatlicher Entscheidungen zunächst einen Teil ihrer Bedeutung. Sie wird nicht mehr zur Frage der Legitimation von Herrschaft, da die Zustimmung der Gesellschaft zu den sie selbst betreffenden

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Entscheidungen im ersten Zugriff die Akzeptanz oder Legitimität der Entscheidungen in sich schließt.

Die Gesellschaft bildet aber in den seltensten Fällen einen einheitlichen Willen, existiert nicht als geschlossener Verband, der einheitlich zustimmen kann, sondern in ihr existieren in vielen wichtigen Fragen unterschiedliche Auffassungen und Interessen. So wird die Legitimationsfrage zur Frage nach der Zustimmung zu oder Akzeptanz delegierter (Mehrheits)-Entscheidungen. In einer pluralistischen, vielfach gespaltenen Massengesellschaft kann die Zustimmung aller zu kollektiv verbindlichen Entscheidungen nicht erreicht werden, da Entscheidungskompetenzen delegiert werden müssen und Konsense und Kompromisse in vielen Fragen ausgeschlossen bleiben. Eben hier liegt die Rechtfertigung von Institutionen, die eine Selbststeuerung der Gesellschaft ermöglichen und gleichzeitig die Gefahr der Besonderung, d.h. der Entkopplung von der Gesellschaft in sich bergen; eben hier liegt also die Rechtfertigung staatlicher Institutionen, so dass die Aufhebung der Besonderung die Bewahrung der Institutionen einschließt.

Legitimität wird dann nicht nur durch Zustimmung zu den konkreten Entscheidungen erreicht, sondern entspringt überwiegend aus der Anerkennung der Entscheidungsbefugnis und der darauf basierenden Akzeptanz der konkreten Entscheidung. Der Ursprung der Anerkennung der Entscheidungsbefugnis muss empirisch mehrdimensional konzipiert werden und verweist auf das Problem der Übereinstimmung der sozialen Praxis oder hegemonialen vorbewussten Ordnung mit reflexivem, institutionellen Entscheidungen, die allerdings mit der Praxis rückgekoppelt sind.[58] Aus der Perspektive einer (normativen) Demokratietheorie kann die Anerkennungsfähigkeit von Entscheidungsbefugnissen und damit Legitimation nur in Relation zur Möglichkeit gedacht werden, angemessen repräsentiert zu werden, Entscheidungen selbst beeinflussen zu können oder zukünftig korrigieren zu können.

Die Legitimation des Staates, der staatlichen Institutionen kann dann nicht ein durch die Verfassung festgeschriebenes Merkmal formaler Organisation sein, dem zudem noch feststehende Niveauunterschiede zugeordnet werden können, sondern ist zu denken in Relation zum geglückten oder missglückten Versuch, die Besonderung des Staates aufzuheben. Hier scheinen einige Überlegungen zum Begriff der Legitimation angebracht.

C. Probleme der Legitimation

I. Legitimation und Politische Integration

Legitimation[59] ist mehrdimensional anzulegen, ohne dass eine Aufspaltung in Begriffe verschiedener Fakultäten, einen soziologischen und einen juridischen Begriff der Legitimation, wie es teilweise vorgeschlagen wird, sinnvoll wäre: Unterschieden wird zwischen einem normativen und einem empirischen Begriff der Legitimation, wobei der normative der Domäne der Jurisprudenz, der empirische Begriff der Domäne der Sozialwissenschaft zugeordnet wird[60] und eine Kombination der Fragestellungen ausgeschlossen wird. Die zunächst plausibel erscheinende Unterscheidung wird fragwürdig, wenn man die Fragestellungen der Disziplinen betrachtet. Die normative Frage sei: Ist eine konkrete Herrschaft - für mich - legitim? Die empirische Frage sei: Findet eine Herrschaft bei der Gesamtheit oder der Mehrheit der "Herrschaftsunterworfenen" Anerkennung, werden ihre Befehle tatsächlich befolgt?[61] Beide Fragen gehen am Problem vorbei. Weder die subjektiven Verschrobenheiten einer staatsphilosophischen Rechtfertigung von Herrschaft, noch die statistische Erfassung der tatsächlichen Befolgung[62] eines "herrschaftlichen" Befehls können Auskunft über die Legitimität der Herrschaft geben. Die staatsphilosophischen Überlegungen

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müssen von Niemandem geteilt werden, so dass sie keine Auskunft über die tatsächliche "Legitimität der Herrschaft" geben können. Und die Missachtung konkreter staatlicher Entscheidungen oder Gebote gibt allenfalls ein Indiz für das Verhältnis der "Herrschaftsunterworfenen" zur Legitimation der "Herrschaft", beantwortet nicht die Frage, ob Entscheidungskompetenzen grundsätzlich anerkannt sind, und aus welchen Gründen etwa Einzelentscheidungen missachtet werden.

Sollen sich Untersuchungen zur normativen Legitimation von staatsphilosophischen Überlegungen unterscheiden, müssen sie zurückgebunden werden an die empirische Anerkennung der staatlichen Institutionen durch die Mitglieder der Gesellschaft. Umgekehrt müssen empirische Analysen der Zustimmung oder Akzeptanz befragt werden auf die Motive[63] oder die Funktionsmechanismen[64], die der Zustimmung zugrunde liegen, um über die empirische Zustimmung zu Entscheidungen zum Problem der Legitimation zu gelangen.[65]

Legitimität soll deshalb unter Berücksichtigung beider Aspekte verstanden werden als generalisierte Anerkennungsbereitschaft von Entscheidungskomptenzen. Normative Rechtfertigungen rücken so unter Berücksichtigung der empirischen Bereitschaft Entscheidungen anzuerkennen ins Blickfeld; die empirische festzustellende Bereitschaft Normen zu folgen wird an die Frage der normativen Anerkennung von Kompetenzen rückgekoppelt. Legitimität soll hier verstanden werden als Ergebnis eines Prozesses, in dem Zustimmung oder Anerkennung gewonnen oder verschafft wird, so dass im Begriff Legitimation die prozesshafte Dimension erfasst wird. Bindet man Legitimation in diesem Sinne an die empirische Anerkennungsbereitschaft (delegierter) Entscheidungskompetenzen, können sie betreffende Aussagen nur als Aussagen über Wahrscheinlichkeiten oder Möglichkeiten getroffen werden, über das Arrangement von staatlichen Institutionen Legitimität zu erlangen.

Gleichwohl lassen sich mit Blick auf die Rechtfertigung staatlicher Institutionen zwei Dimensionen von Legitimität unterscheiden: Die erste Dimension, die Dimension der sozialen Legitimation, bezieht sich auf die Sozialordnung insgesamt, d.h. die soziale Integration einer Gesellschaft, einschließlich des Arrangements der staatlich-politischen Institutionen. Legitimation wird hier konzipiert im Wissen, dass die Zustimmung zur und Akzeptanz der reflexiven Ordnung abhängig ist von der gesamten Regulationsweise der Gesellschaft[66] oder von der Konvergenz der reflexiven Ordnung mit der symbolischen Ordnung und der Ordnung struktureller Zwänge.[67]

Ein engerer politisch-juridischer Begriff der Legitimation bezieht sich nur auf das Arrangement der staatlich-rechtlichen Institutionen. Es geht um deren Anerkennung, die wiederum vor dem Hintergrund des evolutionär erreichten Stands der symbolischen Ordnung erfolgt, aber Faktoren, die sich nicht auf die politisch-staatliche Ordnung beziehen, analytisch ausklammert. Politisch-jruidische Legitimität erfasst die generalisierte Anerkennungsbereitschaft von Entscheidungskompetenzen staatlicher Institutionen oder des politisch-institutionellen Arrangements einer Gesellschaft. Diese Unterscheidung - und ihr Wechselverhältnis - kann an wichtigen Beispielen des Legitimationsdiskurses exemplifiziert werden.

Der Legitimationsdiskurs setzt überhaupt erst dann ein, wenn (staatliche) Herrschaft hinterfragt wird, rechtfertigungsbedürftig wird, d.h. nicht mehr fraglos als naturwüchsig hingenommen wird und trägt den Keim des Zweifels notwendig in sich, des Zweifels an der Möglichkeit der Rechtfertigung von Herrschaft selbst. Die traditionale Antwort des politisch-

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juridischen Legitimitätsbegriffs umfasst zwei Ebenen. Die erste betrifft, wie gesehen, die Rechtfertigung der Existenz des Staates an sich, die Rechtfertigung der abstrakten Staatlichkeit nämlich als Friedensordnung. Die Legitimation bezieht sich noch nicht auf die Form der Staatlichkeit und erst recht nicht auf die gesellschaftliche Regulationsweise, deren Bestandteil die abstrakte Staatlichkeit ausmacht.

Die zweite Ebene wird damit gleichsam entlastet. Zu rechtfertigen ist (nur noch) eine bestimmte Form der Staatlichkeit. Historisch relevant als traditionale Legitimation wurde das Gottes-Gnadentum als Legitimation monarchischer Herrschaft. Auch diese Legitimationsquelle bezieht sich ausschließlich auf die staatlich-politischen Institutionen, nicht auf weitere Faktoren der empirisch sozialen Integration der Gesellschaft. Beide Ebenen enthalten jedoch den Verweis auf die Zustimmung oder Akzeptanz, den Verweis auf die Zustimmung zur abstrakten Staatlichkeit und zur Regierungskompetenz des Monarchen, die auf traditionale, religiöse Bindungen gestützt wird, nur auf diesem Wege eine legitimierende Kraft entfalten kann.

Bei Weber erscheint diese Form als Legitimität der traditionalen Herrschaft. Obwohl er darauf hinweist, dass Legitimität neben die "nur materiellen oder nur affektuellen oder nur wertrationalen Motive als Chancen des Fortbestandes" der Herrschaft tritt[68], werden diese Motive zum zentralen Bestandteil der Legitimation traditionaler Herrschaft, sie ist ohne diese Motive, die sich kurz als traditionale Bindungen zusammenfassen lassen, nicht denkbar.[69] Die Zustimmung zu den rechtlich-politischen Institutionen wird nicht getrennt und kann nicht getrennt werden von der sozialen Integration der Gesellschaft insgesamt. Anders bei der legalen Herrschaft: ihr Legitimitätsgrund ist für Weber ausschließlich der Legalitätsglaube, der wiederum aus der Form der Herrschaft, dem gesatzten Recht und bürokratischem Verwaltungsstab entspringt.[70] Der Legalitätsglaube tritt hier als spezifische Rechtfertigung der politisch-staatlichen Institutionen unabhängig neben Faktoren der sozialen Integration, bleibt aber gerade deshalb mit Blick auf die politisch-juridische Legitimität schwach, wenig plausibel. Der Legalitätsglaube ist eher zu verstehen als eine Hilfskonstruktion, mit der Weber versucht, Legitimität ohne Rückgriff auf demokratische Selbstorganisation zu retten, auch wenn die traditionale Legitimation unwiderruflich verloren ist und die charismatische Legitimation exzeptionell bleibt.

Bei Luhmann erhält der Legalitätsglaube eine prozedurale Gestalt und damit gleichzeitig wiederum eine sozial-integrative Dimension. Durch unterschiedliche Verfahren, Gerichtsverfahren, Wahlverfahren usw. werde sozialer Protest klein gearbeitet, isoliert und schließlich absorbiert, um so Entscheidungen und Entscheidungsgewalt zu legitimieren.[71] Obwohl die Analyse an den politisch-staatlichen Institutionen ansetzt, scheinbar nur deren Legitimität erläutern will, greift sie über auf die Stabilität der Gesellschaftsordnung insgesamt, wird zur funktionalen Erklärung sozialer Integration, die hier nicht durch aktive Zustimmung, sondern ausschließlich durch passive Hinnahme erzeugt wird.

Die analytische Trennung von politisch-juridischer und sozialer Legitimation wird in den zitierten Diskursen zur Legitimation nicht aufrecht erhalten, gerät gleichsam unter der Hand in ein dialektisches Verhältnis, über das sich Legitimation auch in der sozialen Realität erfassen lässt. Politisch-juridische und soziale Legitimation können in ein Spannungsverhältnis treten[72] und umgekehrt lassen sich Gesellschaften finden, in denen trotz demokratisch-rechtsstaatlich Organisation des Staates mehr oder weniger offener Bürgerkrieg herrscht[73]. Dazwischen müssen fließende Übergänge angenommen werden.

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Schließlich kann es eine "geglückte" Kombination politisch-juridischer Legitimation und sozialer Legitimation geben. Die politisch-juridische Legitimation wirkt als ein Faktor neben anderen als Element der Legitimation der Sozialordnung oder der sozialen Integration. Soziale Integration ist dann nicht als vorgängige Voraussetzung demokratischer Gesellschaften zu verstehen, sondern auch als deren Resultante. Trotz vielfacher Spaltungen und pluralistischer Interessen ermöglichen demokratische Institutionen Lernprozesse, die über zivile Strategien der Konfliktbewältigung, über eine anspruchsvolle Anerkennung der Selbstentscheidungsrechte der Anderen und Toleranz als Elemente des Bürgerstatus selbst zu einer Zustimmung zu eben dieser Organisationsform führen. Demokratische Prozeduren können über verschiedene Mechanismen der Einbeziehung, Kooperation, Kompromiss und Konsenssuche, über Lernprozesse zur hegemonialen Praxis werden, die auf die anspruchsvollen demokratischen Prozeduren zurückwirken, diese stabilisieren können. Dabei ist als untere Stufe der politischen Integration die Akzeptanz ziviler, nicht-gewaltförmiger Konfliktbewältigung auszumachen. Es sind weitere Zwischenstufen einzufügen, bis man in glücklichen Fällen über die politisch-juridische Legitimation zu sozialer Integration gelangt.[74]

Mit dieser Konzeption des Zusammenhangs von Legitimation und sozialer Integration verortet man sich zwischen einer Position einerseits, die Demokratie von anspruchsvollen sozialen Voraussetzungen abhängig macht, etwa von der Existenz einer nationalen Homogenität des Volkes[75], von sozialer Homogenität[76] oder von der Existenz solidarischer Gemeinschaften[77] bzw. gesellschaftlicher Solidarität[78] oder einer politischen Ethik[79], wie immer diese herzustellen sei. Gegenüber dieser Position ist darauf hinzuweisen, dass Demokratie, die nicht als Legitimationsmodus von Herrschaft konzipiert ist, geeignet erscheint zur politischen Integration in welchem Ausmaß auch immer beizutragen. Auf der anderen Seite steht eine Position, die die soziale Integration im Arrangement der politischen Institutionen aufgehen lässt. Exemplarisch dafür ist Kants Diktum aus "Zum Ewigen Frieden", wonach nämlich das Problem der Staatserrichtung "selbst für ein Volk von Teufeln auflösbar" sei.[80] Gegenüber einer solchen Position ist die Mehrdimensionalität der Prozesse sozialer Integration, die von Faktoren jenseits des Arrangements politischer Institutionen abhängt, zu betonen.

Die Qualität politisch-juridischer Legitimation ist dann daran zu messen, wie gut es gelingt, über die Zustimmung zu politischen Institutionen als Teil der sozialen Legitimation zu fungieren, sozial integrativ zu wirken. Das bedeutet, dass politisch-juridische Legitimation nicht wie in der Konzeption der hierarchischen Demokratie abgeschlossen und mechanistisch konzipiert werden kann. Sie steht beständig auf dem Prüfstand; Zustimmung und Anerkennung muss immer wieder über Inklusion und Beteiligung organisiert werden, kann sich nicht auf ein Verfahren mit Ewigkeitsgarantie zurückziehen. Das schließt erst recht aus, in einer säkularisierten Welt[81] den Legitimationsmodus "Gottes-Gnadentum" aus seinem traditionalen Kontext zu lösen und durch die allgemeine Volkswahl als Legitimationsmodus zu ersetzen. Das bleibt Mystik, der die Dialektik zwischen normativer und sozialer Legitimation nicht in den Blick gerät.

Dieser Begriff der Legitimation führt schlielich zu der Konsequnez, auf ihn in der staatsrechtlichen Bestimmung des Demokratieprinzips zu verzichten. Legitimität ist das Ergebnis gelungener demokratischer Prozesse, der gelungenen Aufhebung der Besonderung des Staates. Sie ist begrifflich untauglich, bestimmte Verfahren und Institutionen a priori als demokratisch auszuweisen, andere davon auszuschließen.

II. Legitimation und hierarchische Verwaltung

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Die überkommene Frage nach der "demokratischen Legitimation" als Frage nach der Übereinstimmung mit dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip muss, diesen Legitimationsbegriff vorausgesetzt, so formuliert wrden: Ist das Arrangement des Ensembles staatlicher Institutionen geeignet, die Besonderung des Staates aufzuheben, die Staatsgewalt an Willensbildungsprozesse in der Gesellschaft zurückzubinden? Dabei macht das Grundgesetz mit den staatsorganisationsrechtlichen Bestimmungen zentrale Vorgaben. Zentraler Mechanismus ist das Wahlverfahren und die Einbeziehung gesellschaftlicher Willensbildung an der abstrakten Programmierung der Staatsgewalt über die Repräsentativorgane. Ein weiterer zentraler Mechanismus ist die demokratische Wahl der Exekutive entweder direkt durch das Volk wie in den Kommunen[82] oder durch die parlamentarischen Vertretungen.

Die hierarchische Organisation der Verwaltung, Weisungsrechte der und Verantwortlichkeit gegenüber der Spitze der Exekutive, die im Konzept der hierarchischen Demokratie als "organisatorisch-personelle Legitimation" bezeichnet wird, nehmen hinsichtlich ihrer demokratischen Dimension dagegen eine ambivalente Stellung ein. Sie enthalten einerseits ein Element der Rückbindung der Staatsgewalt über die Spitze der Exekutive und das Parlament an die Gesellschaft. Diese Rückbindung fällt im Grundgesetz durch das Institut des konstruktiven Misstrauensvotums nur gegenüber dem Kanzler allerdings schwach aus. Die hierarchischen Organisationsprinzipen der Exekutive sind so eher aus Gesichtspunkten der Effektivität, der einheitlichen Steuerung sinnvoll als unter dem Gesichtspunkt ihrer demokratischen Rückbindung, der Aufhebung der Besonderung des Staates. Die Grundsätze des Art. 33 Abs. 2 GG zur Auswahl der Beamten deuten ebenfalls in diese Richtung. Der Beamtenapparat wird als leistungsstark, aber nicht als über die Spitze der Exekutive an den Mehrheitswillen gebunden konstituiert.

Die Ambivalenz dieses Organisationsprinzips mit Blick auf die Demokratie ergibt sich daraus, dass es eine Verselbständigung der Verwaltung selbst von der politischen Spitze, die Entwicklung von Eigeninteressen befördert, eine Tendenz die Großorganisationen und Bürokratien prinzipiell zu eigen ist.[83] Das bürokratische Organisationsprinzip gerät so in Konflikt mit der demokratischen Aufgabenstellung, d.h. der Aufhebung der Besonderung des Staates, und ist nicht etwa eine sakrosankte Ausformung des demokratischen Prinzips.[84] Das Konfliktpotenzial wächst, wenn die Rückbindung der Verwaltungseinheiten an die politische Spitze der Exekutive gekappt oder geschwächt wird, was in den "neuen Steuerungsmodellen" geschieht. Effektivität und Demokratieprinzip können eben in Widerspruch geraten, bzw. stehen in einem konfliktreichen Verhältnis zueinander. Es widerspricht dem Demokratieprinzip dann nicht, sondern ist dessen Ausdruck, wenn durch zusätzliche Institutionen der Beteiligung, Kooperation, Mediation o.ä. versucht wird, die eigenwillige Tendenz zur Besonderung von Verwaltungseinheiten aufzufangen. Das kann zu einem Zuwachs an Legitimität von Verwaltungsentscheidungen führen, selten deren Legitimität reduzieren.

D. Inklusion und Rückbezüglichkeit

Fasst man Demokratie als besonderes Arrangement des Ensembles staatlicher Institutionen, die die Aufhebung der Besonderung des Staates von der Gesellschaft zum Ziel haben, was den prozesshaften Charakter umfasst, stellt sich die Frage nach möglichen Bedingungen der Ausübung von Einfluss, des gesellschaftlichen Einwirkens auf Entscheidungen staatlicher Institutionen. Offenbar ist die Transformation wirtschaftlich/sozialer oder gar finanzieller Macht kleiner Eliten in politische Entscheidungen kein Bestandteil der Demokratie, sondern eher ein Problem für diese. Das bedeutet, nicht jedem gesellschaftlichen Einfluss auf

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staatliche Institutionen kann ein demokratischer Status zugesprochen werden, ein solcher Status ist an bestimmte Bedingungen geknüpft.

Diese Bedingungen lassen sich ausgehend von den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die unterschiedlichen Wahlverfahren entwickeln. Postuliert wird bekanntlich u.a. die allgemeine, gleiche und freie Wahl. Der Grundsatz der allgemeinen Wahl wird als Verbot des Ausschlusses bestimmter Bevölkerungsgruppen von der Wahl verstanden, die Gleichheit als Verbot unterschiedlicher Gewichtung der Stimmen.[85] Aus historischer Perspektive ist dies keine Selbstverständlichkeit. Die normativen Anforderungen an das Wahlverfahren zeichnen sich durch eine zunehmende Inklusion aus. Hatte noch Kant das Wahlrecht auf männliche Eigentümer beschränkt, so sah das preußische Wahlrecht nach 1852 und das deutsche nach 1871 immerhin schon eine Stimmrecht für alle erwachsenen Männer vor. Das preußische Wahlrecht kannte die Ungleichgewichtigkeit der Stimmen im Dreiklassen-Wahlrecht. Inklusion bedeutete auch die Ungleichheit des Einflusses aus dem Verfahren herauszunehmen. Mit der Revolution von 1918 erhielten auch die Frauen das Wahlrecht in Deutschland, womit das Ende der Inklusion noch nicht erreicht ist. Die Absenkung des Wahlalters von einundzwanzig auf achtzehn[86] ist ebenso als Inklusion zu deuten, wie das Kommunale Wahlrecht für EU-Ausländer oder der Versuch, "Ausländern" oder "Halb-Ausländern" - wie auch immer - ein Wahlrecht einzuräumen.

Normativ lässt sich diese Tendenz zu weiterer Inklusion als gegenseitige Anerkennung gleicher Freiheit oder eines Selbstbestimmungsrechts deuten. Die Anerkennung des anderen Menschen als mit gleicher Freiheit ausgestattetem Individuum schließt ein Herrschaftsverhältnis aus. Umgekehrt schließt das Selbstbewusstsein des Individuums als mit gleicher Freiheit ausgestatteter Persönlichkeit ein Untertanenverhältnis aus und führt zur geschichtsmächtigen Forderung nach gleicher Beteiligung an allgemeinverbindlichen, auf die Gesellschaft rückwirkenden Entscheidungen. Verfassungsrechtlich wird aus dem Prinzip der Menschenwürde gefolgert[87], dass aus dem gleichen Wert jedes Menschen, der in der Menschenwürde verankert ist, das gleiche Recht folge, über sein Schicksal mitzuentscheiden.[88] Die Freiheit und Gleichheit der Warenbesitzer lässt sich - bei allen Gegentendenzen - als ein Element verstehen, das zur Formung einer hegemonialen symbolischen Ordnung beiträgt, über die die Prinzipien gleicher Freiheit in den politischen Bereich ausdehnt werden.

Wie die Anerkennung gleicher Freiheit die normative Voraussetzung für eine Konstitution ist, die bestrebt ist, die Besonderung des Staates aufzuheben, wird sie gleichzeitig normative Bedingung dieser Aufhebung. Ein ungleicher Einfluss auf staatliche Entscheidungen, der sich aus besonderen wirtschaftlich/sozialen Stellungen oder rechtlichen Privilegien ergibt, ist mit der Anerkennung gleicher Selbstbestimmungsrechte nicht vereinbar. Die in den Wahlrechtsgrundsätzen des Grundgesetzes formulierten normativen Anforderungen lassen sich also nicht nur als Bedingungen demokratischer Wahlen verstehen, sondern als aus abstrakteren Prinzipien der Demokratie abgeleitete - vergleichsweise - konkrete Regelungen für das Wahlverfahren.

Diese prinzipiellen Anforderungen an eine demokratische Aufhebung der Besonderung des Staates gelten aber nicht uneingeschränkt, stoßen an bestimmte "natürliche" Grenzen der Inklusion. So bleibt mit den Nicht-Wahlberechtigten immer ein Kreis von Personen, denen der gleiche und freie Einfluss auf die politischen Institutionen "ihrer" Gesellschaft verwehrt bleibt. Zu rechtfertigen ist dies über die mangelnde Einsichtsfähigkeit und das daraus folgende eingeschränkte Selbstbestimmungsrecht mit umgekehrten Schutzvorkehrungen für Minderjährige oder Entmündigte. Schwieriger ist die Rechtfertigung des Ausschlusses vom

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gleichen, freien Zugang zu räumlich oder zeitlich grenzüberschreitenden Entscheidungen. Es hat sich herumgesprochen, dass die Wirkungen nationalstaatlicher Politik z.B. im - vor allem unterlassenen - Umweltschutz oder der Geldpolitik großer Staaten sich nicht auf das nationalstaatliche Territorium beschränken, nicht auf diejenigen beschränken, die mehr oder weniger Einfluss auf diese Entscheidungen ausüben können. Gleichzeitig werden durch heutige Entscheidungen immer künftige Generationen tangiert, deren Lebensbedingungen vorstrukturiert.

Dies erhellt nicht nur die "natürlichen" Grenzen des Prinzips der freien und gleichen Beteiligungsmöglichkeiten, sondern zeigt gleichzeitig, dass die Aufhebung der Besonderung des Staates normativ im demokratischen Prinzip nur verankert ist, soweit die Angelegenheiten eben derjenigen berührt werden, an deren Willen, Interessen oder Meinungen die staatlichen Entscheidungen zurückgebunden werden. Die "natürlichen" Grenzen der freien und gleichen Beteiligung sind also nur Grenzen, soweit die Reflexivität der Entscheidung vorausgesetzt wird, d.h. die Rückbeziehung auf diejenigen, die auf ihre Entstehung Einfluss nehmen konnten. Umgekehrt: unterstellt man die Reflexivität der Entscheidung nicht als Voraussetzung für das Gebot gleicher Teilhabe , macht es keinen Sinn von den Grenzen dieses Gebots zu sprechen.

Dann folgt: das demokratische Prinzip verlangt die freie und gleiche Beteiligung derjenigen, auf deren Leben sich die Entscheidungen auswirken können. "Die Gesellschaft", an die staatliche Entscheidungen rückgebunden werden sollen, sind diejenigen, deren Angelegenheiten, Lebensbedingungen usw. von diesen Entscheidungen betroffen sind, reguliert werden.[89] Die Beschlüsse, die sich auf das Leben von Personen auswirken, müssen an die "Willensbildung", wie mittelbar auch immer - eben dieser Personen rückgekoppelt sein.[90] Die genannten "natürlichen" Grenzen weisen darauf hin, dass das Gebot der freien und gleichen demokratischen Teilhabe an rückbezüglichen Entscheidungen - ebenso wie die Aufhebung der Besonderung des Staates - gleichzeitig als strikte normative Regel (z.B. im Wahlrecht) wie als Prinzip im Sinne eines Optimierungsgebotes[91] oder als regulative Idee fungiert, also prozesshaft zu denken ist.

Ein Verständnis von Demokratie als Aufhebung der Besonderung des Staates über die freie und gleiche Teilhabe an rückbezüglichen Entscheidungen ermöglicht und gebietet es, zentrale und dezentrale Ebenen der Teilhabe zu kombinieren und als Ausformung des Demokratieprinzips zu begreifen. Geboten erscheint diese Kombination, weil die Aufhebung der Besonderung des Staates nur auf zentraler Ebene an Grenzen stoßen muss, die sich aus dem Problem der raum-zeitlichen Koordination von Akteuren in unterschiedlichen Stellungen, wie Entscheidungsträgern und Entscheidungsadressaten ergeben. Anders: Die Grenzen zentraler Demokratie liegen dort, wo es nicht gelingen kann und auch unter Effektivitätsgesichtspunkten kontraproduktiv ist, dezentralisierte Einzelfallentscheidungen ausreichend zu programmieren.[92] Die Kombination dezentraler und zentraler Momente der Demokratie erscheint möglich, weil das Gebot der Teilhabe nur an rückbezüglichen Entscheidungen es gestattet, "autonome", dezentrale Bereiche abzugrenzen und mit Kompetenzen auszustatten, über die die Teilhabeberechtigten begrenzt werden können ohne gegen das Gebot freier und gleicher Teilhabe zu verstoßen.

Konkret: Die Bewertung der kommunalen Vertretungskörperschaften als demokratische Organe macht anders als in der Konzeption der hierarchischen Demokratie im hier vorgestellten Demokratiekonzept keinerlei Schwierigkeiten, und hilft über deren etwas holperige Interpretation[93] der Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG hinweg, bzw. ermöglicht erst ein adäquates, nämlich demokratisches Verständnis dieser Bestimmung. Das gilt auch für

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die funktionale Selbstverwaltung. Sie lässt sich als Rücknahme oder Rückgabe bestimmter Funktionen und Aufgaben an Einheiten der Gesellschaft verstehen, die für diesen autonomen Funktionsbereich[94] den genannten demokratischen Anforderungen, nämlich gleiche, freie Wahl usw., genügen.

Dabei ist nicht zu verkennen, dass zwischen zentralen und dezentralen Institutionen, über die die Staatsgewalt an gesellschaftliche Willensbildungsprozesse zurückgebunden wird, unter dem Aspekt der freien und gleichen demokratischen Teilhabe Konflikte und Reibungsflächen auftreten können. Diese sind insbesondere zu erwarten, wenn die räumlichen oder funktionalen Grenzen nicht scharf zu ziehen sind, Entscheidungen entgrenzende Wirkungen haben. Wenn nicht auszuschließen ist, dass Entscheidungen dezentraler demokratischer Institutionen Auswirkungen auch auf Bereiche der Gesellschaft haben, die keinen Einfluss auf die Zusammensetzung oder Willensbildung dieser Institutionen haben. Hier entsteht ein analoges Problem wie bei der Abgrenzung der Auswirkungen staatlicher Entscheidungen über seine räumlichen Grenzen hinweg, das als "natürliche" Grenze der gleichen Teilhabe bezeichnet wurde. Für dieses Problem können allerdings innerstaatlich über die allgemeinen verfassungsrechtlichen Konfliktlösungsmechanismen, wie das Optimierungsgebot, mehr oder weniger adäquate Ergebnisse produziert werden. Das impliziert gleichzeitig, dass der zentrale Gesetzgeber die verfassungsrechtliche prärogative Pflicht und Möglichkeit haben muss, zentrale und dezentrale Elemente der Demokratie aufeinander abzustimmen.[95]

Schließlich lässt sich die Willensbildung und -äußerung in offenen Prozessen, d.h. ohne definitive Entscheidungsmacht und ohne klare Eingrenzungen und Ausgrenzungen hinsichtlich der Teilhaber zwanglos als Ausformung des demokratischen Prinzips verstehen. Das gilt zunächst für die Grundrechte, denen eine demokratische Dimension zugeschrieben wird, insbesondere für die Art. 5[96], 8[97] und 9[98] GG, aber auch für andere Beteiligungsrechte. Sie lassen sich verstehen als Ausformung und Element des Versuchs, die Besonderung des Staates aufzuheben. Anders als in der Konzeption der hierarchischen. Demokratie erschöpft sich ihre Bedeutung nicht in der Willensbildung der Gesellschaft, die angesichts hierarchischer "Legitimation" der Staatsgewalt nur im Wahlakt Bedeutung erlangen kann[99], ansonsten eher ein Konfliktpotenzial für die demokratische Ausübung von Staatsgewalt darstellen muss. Die genannten Rechte sind nicht nur Grundlage der Demokratie im Sinne einer Vorbereitung der "Legitimationsvermittlung" im Wahlakt, sondern Element und Ausformung der Demokratie in dem Sinne, dass die Staatsgewalt an gesellschaftliche Meinungs- und Willenbildungsprozesse auf der Grundlage pluraler Interessen und Anschauungen zurückgebunden wird. Die Rechte eröffnen und garantieren die Möglichkeit der demokratischen Einflussnahme. Die normativen Anforderungen an die freie und gleiche Teilhabe treten hier aufgrund der Offenheit der Prozesse in den Hintergrund. Freie und gleiche Teilhabe ist formal sehr wohl, aber faktisch-organisatorisch nicht oder selten möglich.

Der hier unterbreitete Vorschlag das Demokratieprinzip zu fassen, muss sicherlich auf die Möglichkeit der Integration anderer Elemente oder Teilhaberechte untersucht werden. Und er ist daraufhin zu prüfen, ob sich adäquate normative Vorgaben für die Demokratie in Europa[100], für einen demokratischen Prozess der europäischen Integration ergeben. Dies kann an dieser Stelle nicht geschehen. Prima facie ist die hier vorgestellte Konzeption aber - anders als die Konzeption der hierarchischen Demokratie - nicht an nationalstaatliche Grenzen und die Demokratie national homogener[101] Völker gebunden.

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[1] Als Konzept der hierarchischen Demokratie wird eine Demokratiekonzeption bezeichnet, die wesentlich auf theoretischen Arbeiten von Böckenförde (vgl. vor allem Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 289) beruht und von Teilen der Staatsrechtslehre (z.B. Schmitt-Glaeser, VVDStRL 31 (1973), S. 179; Ossenbühl, Gutachten B zum 50. Deutschen Juristentag, München 1974; Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46; Schmidt-Assmann, AöR 1991, S. 329) übernommen wurde. Es fand schließlich Eingang in die Rechtsprechung des BVerfG (E 93, 37), ein Urteil, das vor allem wg. der dogmatischen Festschreibung einer unter anderen gleichberechtigten Konzeptionen der Demokratie kritisiert wurde (Rinken, KritV 1996, S. 282; zur Kritik auch: Albers, PersR 1995, S. 501; Dopatka, KJ 1996, S. 224; Kisker, PersV 1995, S. 529; Neumann, PersR 1995, S. 449; Schuppert, Funktionsfähigkeit der Verwaltung und Mitbestimmung, Gutachten zur BVerfGE v. 24.5.1995; Fisahn, KritV 1996, S. 267). Kritisch zu dieser Konzeption, die er leicht polemisch "Volksdemokratie" nennt: Bryde, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1994, S. 305 ff.

[2] Böckenförde, Sittlicher Staat S. 12 f; Diese Auffassung wird in vielen Lehrbüchern zum Staatsrecht übernommen; vgl. z.B. Katz, Staatsrecht, Rdnr.21; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 17 II; Maurer, Staatsrecht, Rdnr. 12; als Begründung für die notwendige Einheit des Staates bei Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 6.

[3] Für Hobbes besteht aufgrund eines natürlichen Gesetzes eine Notwendigkeit in den bürgerlichen Zustand einzutreten, denn das natürliche Gesetz ist eine Vorschrift, "welche die Vernunft lehrt, nach welcher keiner dasjenige unternehmen darf, was er als schädlich für sich selbst anerkennt." (Hobbes Leviathan, Kap. 14, S. 118).

[4] Kant, Metaphysik der Sitten (MdS), § 44.

[5] Kant, MdS, § 8.

[6] Kant, MdS, § 44.

[7] Kant, MdS, § 62, Beschluss. Ähnlich ist die Konzeption der "Grundstruktur" aus dem Urzustang auch noch bei Rawls, (Theorie der Gerechtigkeit, S. 68).

[8] Bei den Nachfolgenden wird immerhin versucht die Macht des legitimen, friedensstiftenden Staates zu zivilisieren.

[9] Der Verweis auf die Entwicklung in Russland dürfte hier als Beispiel ausreichen.

[10] Franz Neumann hat dargelegt, dass das allgemeine Gesetz, auch wenn es "ungerecht" ist, aufgrund seiner Berechenbarkeit ein "ethisches Minimum" gegenüber unberechenbarer Willkürherrschaft gewährleiste. (Neumann, Herrschaft des Gesetzes S. 302; ders., Der Funktionswandel des Gesetzes, in: Demokratischer und autoritärer Staat, S. 50) So konnte er die qualitativen Unterschiede des vordemokratischen deutschen Kaiserreichs zum Nationalsozialismus erfassen ohne auf vage, unpräzise moralische Beurteilungen zurückgreifen zu müssen. Nur auf dieses Minimum im Unterschied zur diktatorischen Willkür soll hier abgestellt werden. Das gegen den möglichen Einwand, dass auch Demokratien und Rechtstaaten repressiv nach innen sein können. Und: einer der Irrtümer Kants bestand darin zu glauben, dass eine Welt demokratischer Republiken zum "ewigen Frieden" führe (Kant, Zum ewigen Frieden, in: Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie Ethik und Politik, S. 115 ff). Die Geschichte hat gelehrt, dass auch Demokratien zu kolonalistischen oder sonstigen

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Aggressionen neigen, ihre Nachbarn mit Krieg überziehen ohne sich auf den völkerrechtlich gerechtfertigten Verteidigungsfall (oder eine andere völkerrechtliche Rechtfertigung) berufen zu können (Unvollständige Beispielsfälle aus der jüngeren Vergangenheit: Vietnam, Grenada, Panama, Kosovo, Tschetschenien).

[11] Vgl. dazu exemplarisch: Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, passim, insb. S. 7 f; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 14 ff. Diese Methode den Begriffen je nach Fakultät unterschiedliche Bedeutungen zuzuweisen, zeugt m.E. von der Untauglichkeit der Begriffe. Niemand käme auf den Gedanken, in der Chemie einen anderen Begriff des Atoms zu verwenden als in der Physik.

[12] Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 174 ff.

[13] Die Elementen-Lehre gibt keine Antwort auf die Frage, was aus einem Gebiet das Staatsgebiet, aus einem Volk das Staatsvolk, aus einer Gewalt die Staatsgewalt macht und die drei heterogenen Elemente zu einer Einheit werden lässt, kritisiert Stein (Staatsrecht, § 2 I 1).

[14] Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 29.

[15] Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 130.

[16] Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 126.

[17] Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 117; dazu: Reisinger, Der Staatsbegriff Kelsens, in: Krawietz u.a., Ideologiekritik, S. 483 ff.

[18] Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 117 f.

[19] Das Gewaltmonopol kann hier nicht postuliert werden, da es Staaten gibt, die sich vergeblich bemühen, ihr Gewaltmonopol durchzusetzen (man denke nur an das Verhältnis von Staat und Mafia in Sizilien), umgekehrt ist nicht jede Organisation, die ein Gewaltmonopol beansprucht (so Webers Definition) auch schon ein Staat (man denke etwa an von Guerilla-Kämpfern eroberte oder befreite Gebiete).

[20] Das knüpft an die Begriffsbestimmungen Max Webers an, was bedeutet: die modernen Staaten sind idealtypisch nicht als persönliche Herren-Knecht oder Herren-Diener, als persönliche Abhängigkeitsverhältnisse konstruiert, was selbstverständlich nicht ausschließt, dass sich faktisch persönliche Abhängigkeitsverhältnisse aufgrund besonderer Konstellationen und Machtstrukturen ergeben können. Auch charismatische Führer sind in modernen Gesellschaften, trotz möglicherweise gegenteiliger Symbolik, wie dem persönlichen Treueeid, zur Verstetigung ihres Führungsanspruchs auf mehr oder minder bürokratische Organisationen angewiesen.

[21] Im Begriff der Institution ist impliziert, dass sich Strukturen über Raum und Zeit hinweg erstrecken.

[22] Auch Staaten, die dem Untergang geweiht sind, weil sie jeglichen Einfluss auf die Gesellschaft verloren haben, sind zunächst noch Staaten. Außerdem kennen selbst "entwickelte", "modellhafte" Staaten das sog. Vollzugsdefizit, was nichts anderes heißt, als dass beabsichtigte Wirkungen von Entscheidungen ausbleiben.

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[23] Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 18 ff; ders., Integrationslehre, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 475; kritisch polemisch dazu schon: Kelsen, Der Staat als Integration, passim.

[24] Heller, Staatslehre, S. 228 ff; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 5 ff.

[25] Durkheim definiert den Staat als System, das "wie das zerebrospianle System des sozialen Organismus funktioniert. Dieses System bezeichnet man in der Umgangssprache mit dem Namen: Staat." (Über Soziale Arbeitsteilung, S. 276).

[26] Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW Bd. 1, S. 282.

[27] Vgl. ausführlicher zu Theorien der Staatsentstehung: Haas, The Evolution of the prehistoric state; Service, Origins of the state and Civilization; Godelier, Zur Diskussion über den Staat; Eisenstadt, Vergleichende Analyse der Staatenbildung.

[28] Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 276 ff.

[29] Weber, Wirtschft und Gesellschaft, S. 321 ff; Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, passim.

[30] Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 681 f.

[31] Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 489.

[32] Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, S. 135. Engels bezieht dies auf antike Staaten, in Rom und Athen ebenso wie auf die neuzeitlichen Staaten.

[33] Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, S. 188.

[34] Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, S. 190.

[35] Den hier aufgezeigte Widerspruch der Bestimmung des Staates als Klassenstaat oder als Staat des Klassenkompromisses hat die marxistische Staatstheorie - kritikunfähig gegenüber den Klassikern - auch in ihrer Blüte nicht überwunden.

[36] Gerstenberger, Die subjektlose Gewalt, passim/ S.38; ähnlich Elias, Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 2, S. 123 ff.

[37] Gerstenberger, Die subjektlose Gewalt, S. 506.

[38] Gerstenberger, aaO. S. 508.

[39] Gerstenberger, Die subjektlose Gewalt, S. 510.

[40] Gerstenberger, Die subjektlose Gewalt, S. 525.

[41] Auch im demokratischen Staat werde die "Begrenzung und Funktionsreduzierung der Staatsgewalt im Hinblick auf die individuelle Freiheit, die in der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft angelegt ist, beibehalten", schreibt Böckenförde (Recht, Staat, Freiheit, S. 226).

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[42] Erforderlich sei, meint Böckenförde, "eine verfahrensmäßige Gestaltung und Begrenzung der Einflussnahme aus der Gesellschaft auf den Staat hin", die über die Ausgestaltung der Prozeduren der politischen Willensbildung und staatlichen Entscheidungsfindung erfolge (Recht, Staat, Freiheit, S. 224).

[43] Engels, aaO., S. 189.

[44] Dies ist als Einschränkung zu verstehen, denn offenkundig kann auch die sich selbst organisierende "bewaffnete Macht" der Bevölkerung ein Problem darstellen, wenn sie sich nämlich gegen Minderheiten organisiert, wenn der Mob zur Lynchjustiz schreitet.

[45] Dabei ist es in diesem Kontext nicht von Bedeutung, ob man die Gewaltenteilung vom Rechtsstaat trennt, sie als eigenständiges Prinzip fasst, oder als Teil des Rechtsstaates begreift, weil die Herrschaft des Gesetzes notwendig die Funktionen der drei Gewalten separieren muss.

[46] Frankenberg will unter dem Gesichtspunkt der zivilgesellschaftlichen Integration oder Solidarität dem Begriff der "demokratischen Republik" eine über die formale demokratische Staatsorganisation hinausgehende demokratische Konvention der Gesellschaft als qualitativ verschiedenes Moment etablieren (Die Verfassung der Republik, passim). Mir scheint mit der Verbindung der Begriffe Demokratie und Republik allerdings noch nicht viel gewonnen. Es besteht sogar die Gefahr, die Interpretation der Demokratie als Legitimationsmodus der besonderten Staatsgewalt der h.M zu konzidieren. Die weiter unten entwickelte Konzeption demokratischer Legitimation unterscheidet sich vom Ansatz der demokratischen Republik außerdem, weil (politische) Integration nicht als der Demokratie äußerlich konzipiert wird.

[47] Von einer "Gleichursprünglichkeit" (Habermas, Faktizität und Geltung, S. 161) von Demokratie und Rechtsstaat kann man allenfalls auf einer logischen Ebene sprechen.

[48] Verwiesen werden kann hier schon auf die Habeas Corpus Akte (1697) und die Bill of Rights (1689).

[49] Das Recht auf religiöse Gewissensfreiheit hat seit der Bartholomäusnacht (1572) "das beginnende klassische Naturrecht befeuert und begleitet" (Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, S. 80).

[50] Vgl. zur Konzeption des Naturrechts als Ergebnis sozialer Kämpfe und revolutionärer Ansprüche gegen die besonderte Staatsmacht: Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, passim.

[51] Vgl. zur ideengeschichtlichen Grundlage und historischen "Umsetzung": Neumann, Die Herrschaft des Gesetzes, S. 77 ff.

[52] Die Herausbildung und Akkumulation sozialer Macht, die staatlicher Macht gleichgewichtig und z.T. überlegen gegenübertritt, stellt Demokratie als Form gesellschaftlicher Selbstorganisation vor besondere Probleme, die an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden können.

[53] Das ist nicht naturrechtlich zu verstehen, als Finden eines von Natur aus vorhandenen Rechts, sondern als Findungsprozess von Rechten im historischen Verlauf.

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[54] Vgl. dazu etwa die Auseinandersetzungen um das preußische Enteignungsgesetz. Von Seiten des Abgeordnetenhauses wurde gefordert, dass ein Enteignung nur aufgrund von Maßnahmegesetzen zulässig sein soll, während die Regierung die Zulässigkeit der Enteignung gestützt auf die Generalklausel "Gemeinwohl" durchsetzte (vgl. Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten 1873/74, S. 129).

[55] Die Aufhebung der Besonderung des Staates ist nicht nur als "kommunikativ erzeugte Macht (zu) verstehen, die einerseits zum sozialen Machtpotenzial glaubwürdig drohender Aktoren und andererseits zur administrativen Macht von Amtsinhabern in Konkurrenz tritt." (Habermas, Faktizität und Geltung, S. 415) Diese Definition delibertiver Politik beschränkt den Einfluss der Gesellschaft auf die Korrektur der kollektiv verbindlichen Entscheidungen eines eigensinnigen politischen Systems, dem sie äußerlich bleibt. Das System reproduziert sich, - soweit die Verbeugung vor der Systemtheorie - selbstreferentiell und rechtfertigt sich funktional. Der Unterschied zur Systemtheorie liegt nur darin, dass die Kommunikation der Lebenswelt im System verständlich ist (aaO., S. 429) und gelegentlich - bei Legitimationsproblemen - integriert wird. (Ähnlich die Kritik bei Frankenberg; Die Verfassung der Republik, S. 30 f) Wie in der Konzeption der hierarchischen Demokratie bleibt der besonderte Staat, das politische System, a priori legitimert und normativ im Zentrum. Es gerät auch Habermas zum normativen Postulat, dass der Staat die Initiative in der Hand behält, die Fragen formuliert und nur in besonderen historischen Situationen die Gesellschaft diese Rolle übernimmt. Im Unterschied zur Konzeption der hierarchischen Demokratie reduziert Habermas das Wirkfeld der kommunikativen Macht jedoch nicht nur auf die Wahlakte, sondern findet auch außerhalb dieser "Schleusen" über die kommunikative Macht den Weg ins politische System findet und in Konkurrenz zur administrativen Macht tritt. Maus kritisiert die Theorie kommunikativer Demokratie, weil "Selbstregierung" auch als regulative Idee, als heuristisches Ideal der Demokratie aufgegeben wird, wobei sie dieses Ideal ausgerechnet bei Kant findet. (Zur Aufklärung der Demokratietheorie, passim) Die "Rückbindung" der Staatsgewalt an die Gesellschaft bleibt in der Theorie kommunikativer Demokratie außerdem funktionalistisch reduziert: die dezentrierte Gesellschaft differenziere "mit der politischen Öffentlichkeit eine Arena für die Wahrnehmung, Identifizierung und Behandlung gesamtgesellschaftlicher Probleme" aus. (aaO., S. 365) Das Problem dieser Konzeption wie anderer zivilgesellschaftlicher Konzeptionen, die die kommunikative Macht der politischen Öffentlichkeit in den Vordergrund stellen (etwa: Frankenberg, aaO., passim, S. 35 ff, S. 132 ff; Rödel/ Frankenberg/ Dubiel, Die demokratische Frage, passim) ist, dass die Bedeutung der institutionellen Verzahnungen, die erst eine raum-zeitliche Kontinuität der Rückbindung staatlicher Macht an die Gesellschaft, oder die Aufhebung der Besonderung des Staates, gewährleisten könnte, unterschätzt wird, bzw. auf die zentralen parlamentarischen Institutionen reduziert wird. Es bleibt bei der Dichotomie von Staat und Gesellschaft, die Öffentlichkeit wirkt als Teil der Gesellschaft auf den Staat. Die strukturellen und institutionellen Verzahnungen geraten empirisch wie normativ allenfalls zufällig in den Blick.

[56] Es ist anders als im Konzept der hierarchischen Demokratie nicht das zentrale Element der Demokratie bzw. der "Legitimation", zu dem die inhaltliche Programmierung nur ergänzend hinzutritt (So explizit Böckenförde, Demokratie, S. 306 f).

[57] Rechtsstaat, Demokratie und Sozialstaat, die im Grundgesetz auf gleicher Ebene nebeneinander stehen, können so auch gleichwertig behandelt werden, eine gleiche dogmatische Struktur erhalten. Angesichts der Gleichrangigkeit im Verfassungstext leuchtet es nicht ein, dass eine Element zur mehr oder weniger unverbindlichen Staatszielbestimmung zu erklären, das andere, den Rechtsstaat, zu einem mehr oder weniger offenen Strukturprinzip

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und das demokratische Element schließlich zu einem verfasungsrechtlich positiv normierten, abgeschlossenen Prinzip.

[58] Vgl. ausführlicher: Fisahn, Natur - Mensch - Recht, Elemente einer Theorie der Rechtsbefolgung, S. 144 ff, 324 ff.

[59] Uninteressant in diesem Kontext ist die Weimarer Debatte über das Verhältnis von Legalität und Legitimität (Schmitt, Legalität und Legitimität, passim). Sie kann als durchsichtiger Versuch charakterisert werden, die Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers zugunsten "alter", vordemokratischer Eliten unter Berufung auf deren materiale Legitimität zu untergraben (Kritisch dazu schon Kirchheimer, Legalität und Legitimität, S. 7 ff; neueren Datums: Stettner, Grundfragen, S. 196 ff).

[60] Vgl. Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft, S. 20 ff; Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 58 ff; Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 13 ff, Stettner, Grundfragen, S. 188.

[61] Menzel, aaO., S. 20 f; Czybulka, aaO., S. 59.

[62] Zu möglichen Maßstäben der empirischen Legitimation: Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft, S. 35 ff.

[63] Auf die Motive kommt es an, wenn man die empirische Anerkennung als bewusste Zustimmung, als konsensuale Übereinstimmung fasst, so eher Habermas, wenn er den bewussten Konsens auch als "generalisierte Zustimmungsbereitschaft" fasst. Legitimation müsse in diesem Sinne verstanden werden, solange man es mit einer Sozialisationsform zu tun habe, in der die Legitimation von Normen in eine kommunikative Verhaltensorganisation eingebunden sei. Solange werde mit "motivlosem Akzeptieren von Entscheidungen" Legitimität nicht erfasst (Habermas, Legitimationsprobleme, S. 64).

[64] Damit soll auf das Gegenkonzept verwiesen werden, das Legitimität als motivloses Akzeptieren von Entscheidungen, oder als Hinnehmen von Entscheidungen mangels Möglichkeiten, Protest zu organiseren, verstanden wird (Luhmann, Legitimation durch Verfahren, passim).

[65] Ähnlich Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, S. 84 ff.

[66] Die in den "Spätkapitalismustheorien" der 1970'er Jahre geführten Diskussionen um Legitimationsprobleme, die sich aus dem Widerspruch zwischen wachsenden demokratischen Ansprüchen an eine gesamtgesellschaftliche Planung und eine Planung im Sinne der Gesamtgesellschaft einerseits und den privaten Verwertungsinterssen des Kapitals ergeben sollten (Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, S. 27 ff, S. 123 ff; Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, S. 96 ff), haben sich offenbar nicht bewahrheitet. Der Kapitalismus ist nicht in eine Legitimationskrise gestürtzt. Offenbar wurde die Flexibilität des Kapitalismus im Hinblick auf verschiedene Regulationsweisen unterschätzt. In unserem Kontext ist hervorzuheben, dass diese Theorien nicht zwischen der möglichen politischen Integration und sozialer Integration unterschieden haben, so dass erweiterte Ansprüche an die wirtschaftliche Regulation gleich als zukünftiges Krisenmomente für das Arrangement politischer Institutionen gedeutet wurden. Die systemtheoretische Kehrtwende, die nun die Systeme völlig entkoppelt, ist allerdings als Überreaktion auf die frühere Fehleinschätzug zu werten.

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[67] Vgl. ausführlich zu diesen Begriffen: Fisahn, Natur - Mensch - Recht, S. 279 ff.

[68] Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 122.

[69] Weber schreibt: "Traditional soll eine Herrschaft heißen, wenn ihre Legitimität sich stützt und geglaubt wird auf Grund der Heiligkeit altüberkommener ('von jeher bestehender') Ordnungen und Herrengewalten. ... Gehorcht wird ihnen (den Herren A.F.) kraft der durch Tradition ihnen zugewiesenen Eigenwürde. Der Herrschaftsverband ist ... ein durch Erziehungsgemeinsamkeit bestimmter Pietätsverband." usw. (Weber, aaO., S. 130 f).

[70] Weber, aaO., S. 126 ff.

[71] Luhmann, Legitimation durch Verfahren, passim.

[72] Die NS-Herrschaft konnte sich in ihren Anfängen auf eine vergleichsweise breite Zustimmung und auf Akzeptanz einer Mehrheit stützen, die sich als "Führergläubigkeit" bezeichnet lässt. Haffner geht davon aus, dass zeitweilig 90 % aller Deutschen zu "Hitleranhängern" geworden waren, keine überzeugten Nationalsozialisten waren, aber in Anbetracht der "Leistungen" zu "Halbbekehrten" (Haffner, Anmerkungen zu Hitler, S. 46). Dabei ist es allerdings schwierig zu beurteilen, inwieweit sich die Zustimmung auch auf die politisch-staatlichen Institutionen erstreckte bzw. inwieweit nur der politische Output Akzeptanz verschaffte.

[73] Hier ließe sich an die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrzehnte in Nordirland denken.

[74] Ähnlich: Frankenberg, Die Verfassung der Republik, S. 183 ff.

[75] Böckenförde, Die Zukunft politischer Autonomie, in: ders., Staat, Nation, Europa, S. 110.

[76] Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. II, S. 421 ff.

[77] Vgl. dazu insbesondere die "substantialistischen" Kommunitaristen, so die Bezeichnung von Forst, Kontexte der Gerechtigkeit, S. 161 ff; siehe auch: Kallscheuer, Gemeinsinn und Demokratie, in: Zahlmann, Kommunitarismus in der Diskussion, S. 109 ff.

[78] In Abgrenzung zur kommunitaristischen Gemeinschaft vgl. z.B. Frankenberg, Die Verfassung der Republik, S. 188 ff.

[79] Nida-Rümelin, Demokratie als Kooperation, S. 17 ff.

[80] Für Kant ist es lösbar indem die feindlichen Privatgesinnungen einer "Menge von vernünftigen Wesen" so gegeneinander ausgespielt werden, dass sie sich unter die Herrschaft eines allgemeinen Zwangsgesetzes begeben (Zum ewigen Frieden, Erster Zusatz, in: Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Plitik, S. 146).

[81] Zu diesem Begriff: Frankenberg, Die Verfassung der Republik, S. 80 f.

[82] Mit der einzigen Ausnahme Bremerhaven.

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[83] Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, passim.

[84] Vgl. zum Verhältnis von Praxis der Verwaltungssteuerung und dem theoretischem Modell der hierachischen Demokratie auch: Brünneck, in: Grimm, Wachsende Staatsaufgaben, S. 253 ff. Das rechtliche Modell werde nur in den "kleinen Bereichen verwirklicht, wo die Verwaltung solche Konditionalprogramme vollzieht." (S. 254)

[85] Vgl. für viele Maurer. Staatsrecht, S. 386 ff.

[86] In einigen Ländrn wird mit einem Wahlalter von 16 Jahren für Kommunalwahlen experimentiert, wobei offenbar die "Betroffenen" das geringste Interesse an ihrem neuen Recht zeigen.

[87] Kriele, VVDStRL 29 (1971, S.63.

[88] BVerfGE 8 51/69; 11, 351/360; 14, 121/132; 41, 1/12; 51, 222/234; 69, 92/106.

[89] Zur Kritik der Rückbeziehung auf ein homogenes Volk, nicht auf die Gesellschaft: Bryde, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1994, S. 305 ff.

[90] Herzog bezeichnet es als "selbstverständliche demokratische Grundnorm..., dass sowohl gesellschaftliche als auch staatliche Machtträger die ihnen zustehenden Befugnisse legitimerweise nur (für und) gegen den Personenkreis ausüben dürfen, dem sie - wiederum unmittelbar oder mittelbar - ihre Beauftragung verdanken."(Herzog in: Maunz/ Dürig, Art.20 Rnr.57).

[91] Vgl. zu diesen Begriffen: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.

[92] Mehrebenpolitik (Scharpf/ Mayntz) erscheint dann nicht nur als Problem der Transformation demokratischer Entscheidungen, sondern gleichzeitig als deren Voraussetzung.

[93] Die Existenz von Kommunalparlamenten, deren Wahl usw. wird von Böckenförde nicht als Element der Demokratie verstanden, sondern nur als der Demokratie "strukturverwandt" (Demokratie als Verfassungsprinzip, in: ders. Staat, Verfasung, Demokratie, S. 310 und 316 f).

[94] In der Facharzt-Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, dass Selbstverwaltung und Autonomie "im demokratischen Prinzip wurzeln" (BVerfGE 33, 125/ 159). Die Selbstorganisationsrechte der Selbstverwaltungskörperschaft stehen dort nicht prinzipiell in Konflikt mit dem Demokratieprinzip, sondern sind selbst Teil desselben, wobei allerdings Konflikte zwischen den Kompetenzen demokratischer Organe, dort Parlament versus Ärztekammer, auftreten können. Solche Konflikte auch innerhalb eines Prinzips oder eines Rechts sind der Verfassung aber nicht unbekannt.

[95] Die Verwirklichung des demokratischen Prinzips durch den Gesetzgeber erfordert, dass es selbst als offenes Prinzip verstanden wird (vgl. Stein, GG-Alternativkommentar, Art. 20, Rdnr. 19).

[96] BVerfGE 82, 272/ 281.

[97] BVerfGE 69, 315/ 344 ff.

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[98] BVerfGE 50, 290/ 352 f; 80, 244/ 252 f.

[99] Dies ist m.E. die Konsequenz aus der Vorstellung eines einheitlichen Legitimationmodus für die Staatsgewalt. Sie führt in der Konzeption der hierarchischen Demokratie in Wahrheit zur Schwierigkeiten, den demokratischen Gehalt der genannten Rechte widerspruchsfrei zu erfassen.

[100] Zu den Bedeutungen des Einflusses über Parteien, siehe: Huber, Europarecht 1999, S 579/589, dazu auch: Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, S 61 ff.

[101] Zur Kritik mit Blick auf Europa: Bryde, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1994, S. 305 ff.