DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

36
1 Denken + Glauben – Nr.199 – Herbst 2021 www.khg - graz.at DENKEN GLAUBEN Nr. 199 Herbst 2021 Zeitschrift der Katholischen Hochschulgemeinde für die Grazer Universitäten und Hochschulen HALT Katholische Hochschulgemeinde Graz

Transcript of DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

Page 1: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

1Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

w w w khg - grazat

DENKEN GLAUBENNr 199 Herbst 2021Zeitschrift der Katholischen Hochschulgemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

hALtKatholische Hochschulgemeinde Graz

2 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Azra Akšamija Silk Road Works (Detai l ) Instal lat ion auf der von Hashim Sark is kurat ier ten 17 Architek turbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

Silk Road Works

Auf Venedig als wirtschaftliche Drehscheibe und kulturellen Schmelztiegel zwischen oumlstlicher und westlicher Tradition bezieht sich die Installation von Azra Akšamija auf der Architekturbiennale von Venedig Eine Reihe von Figuren mit Helmen aus blauen Muranoglas und Overalls aus kostbaren Seidenstoffen die an Motive barocker Wandbespannung in venezianischen Palazzi erinnern reicht sich die Haumlnde Die Stoffbahnen hinter ihnen lassen sich zu Schutzwesten falten oder bilden Gebetsteppiche die auch als tragbare Moschee funktionieren Die Arbeit thematisiert Ausbeutung von Arbeitern durch Franchising-Systeme aber auch die Chancen fuumlr gelingendes Zusammenleben durch transkulturellen Austausch

1Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Editorial

Gefuumlhlt ist es eine Erfahrung aus einer ganz anderen Zeit die schon weit in der Vergangenheit liegt Der erste Corona-Lock-down im Maumlrz letzten Jahres als ploumltzlich alles stillstand Keine Menschen auf den Gassen und Plaumltzen unserer Staumldte keine Autos auf den Straszligen keine Flugzeuge am Himmel Und dazu die Bilder von venezianischen Kanaumllen mit glasklarem Wasser Wildtieren die sich Lebensraumlume an den Stadtraumlndern zuruumlck-eroberten und uumlberall viel spontan gelebte Solidaritaumlt zwischen

Menschen die sich nicht oder kaum kannten Das scheint auch deshalb so weit weg zu sein weil sich die Vorzeichen grundsaumltzlich geaumlndert haben Aus den erhofften paar Wochen Stillstand und einer darauf folgenden Ruumlckkehr zu einer erneuerten und mit positiven Erfahrungen angereicherten Normalitaumlt wurde nichts Die weite-ren Lockdowns laumlhmten nur mehr und schuumlrten gleichzeitig Emotionen Aumlngste und Unsicherheit stiegen und die Diskussionen in den Chats und Foren was denn zu tun sei und welche Maszlignahmen zu setzen waumlren gerieten zunehmend aus dem Ruder Diesbezuumlglich waumlre ein Rufzeichen hinter den Titel unseres Jahresthemas HALT zu setzen der auch uumlber dieser Ausgabe unserer Zeitschrift steht Aber da ist auch kein Rufzeichen das sich einen weiteren Lockdown wuumlnschen und naiv mit einem Nach- und radikalen Umdenkprozess rechnen wuumlrde weil kurz aufgeblitzt war was im Blick auf Oumlkologie und Klimakrise moumlglich waumlre wenn man sich zu wirklich ein-schneidenden Maszlignahmen durchringen wuumlrde Denn so einfach ist das nicht Und so geht es nicht um ein verklaumlrendes Innehalten sondern um die Frage was denn Halt geben kann wenn sich in unserer Gesellschaft Bruchlinien auftun die nicht zu kitten zu sein scheinen weil der Ruumlckzug immer groumlszligerer Teile der Gesellschaft in Bubbles und Echoraumlume ungekannte Ausmaszlige angenommen hat Halt bieten anscheinend auch Verschwoumlrungstheorien und irrationale Welterklaumlrungsmodelle Eine Gemengelage die frustriert und auch gefaumlhrlich ist Daruumlber wollen wir im Herbst mit Bischof Hermann Glettler in einem Gespraumlchsformat in der Katholischen Hochschulgemeinde sprechen

Am Cover dieses Heftes reichen sich Figuren die Haumlnde Die Kuumlnstlerin laumlsst die Deutung bewusst offen und so wollen wir es auch mit unserem Jahresthema halten zuerst einmal wahrnehmen und analysieren im Gesamtgesellschaftlichen wie im Persoumlnlichen Schritte zu einer wie auch immer gearteten Normalitaumlt erscheinen erst sinnvoll nachdem Chancen die moumlglicherweise gerade in einer Krise liegen oder auch uumlberraschende neue Perspektiven ausgelotet worden sind Auch Aumlngste und manch Irrationales werden dabei eine Rolle spielen Davor gilt es nicht die Augen zu verschlieszligen Dazu wollen die Artikel dieses Heftes einen Beitrag leisten Bebildert haben wir es am Cover und im Inneren mit Fotostrecken von Arbeiten von Azra Akšamija mit der ich anlaumlsslich der Eroumlffnung der Architekturbiennale in Venedig ein Gespraumlch fuumlhren konnte Wir hoffen dass wir unsere traditionelle Fahrt zur Biennale in diesem Jahr durchfuumlhren koumlnnen und nicht nur angesichts dieser Reise auf eine weitere Eindaumlmmung der Pandemie-Bedrohung

Ein gutes Semester in wohl weiterhin herausfordernden Zeiten und eine anregende Lektuumlre wuumlnscht

Alois Koumllbl Hochschulseelsorger

HALT

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre

Von Franz Wallner (2)

Von Agnes Hobiger (3)

Was haumllt uns noch zusammen (4)

Von Martin Duumlrnberger

Dichten wir das Leben um (8)

Von Anna Maria Steiner

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen (11)

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Mit Doppelpass zum Goal (16)

Von Anton Tauschmann

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichtenldquo (19)

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

Hoch hinauf strebend und doch geerdet (22)

Von Bernhard Valentinitsch

Halt durch Haltung (24)

Von Peter Rosegger

Einwuumlrfe (26)

Von Frank Moritz-Jauk

Raus aus dem Fluss (27)

Von Harald Koberg

khg community (28)

2 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Erstaunlich war fuumlr mich wie rasch die gute geoumllte Wirtschaft von deren Wirken das Gelingen der Gesellschaft abzuhaumlngen schien zum Halten gebracht werden konnte Fuumlr kurze Zeit schien eine andere Gesellschaft moumlglich sozialer ruumlcksichtsvol-ler der Schoumlpfung mehr zugewandt leiser und bewusster Wenn man diese Pandemie als Erfahrung einer Notbremsung sehen kann ist es auch interessant welche Haltegriffe man in der Not in der Naumlhe zur Verfuumlgung hat Eine ruhige Fahrt kann auch in Zukunft nicht garantiert werden deshalb sollten gute Halte-griffe auch spiritueller Art gesucht werden Es bleibt zu hoffen dass die neue Normalitaumlt nicht die alte wird Ein bloszliges Nachho-len dessen was man nicht konsumieren erleben oder produzie-ren konnte wuumlrde den Lerngewinn dieser Zeit vernichten

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegebenVon Franz Wallner

Franz Wallnergeb 1949 in Graz studierte Theologie und

Mathematik in Graz und Regensburg wirkte als Pastoralassistent ua an der KHG Graz

als Professor an der KPH Graz bis heute aktiver Diakon und Krankenhausseelsorger

Foto privat

Am letzten Tag vor dem Lockdown einem Sonntag wollte ich nach Wien fahren Wir hatten die Bahnkarten schon laumlnger gekauft und es reizte mich die voumlllig unerwartete Gelegenheit eine Groszligstadt knapp vor dem bdquoHerunterfahrenldquo zu erleben Unsere erwachsenen Kinder eigentlich eher relaxt rieten uns ungewohnt heftig davon ab Wir sind dann nicht nach Wien gefahren Es war fuumlr mich aber doch eine besondere Erfahrung wie sehr mein Empfinden sich von der Wahrnehmung der juumln-geren Generation unterschied Unterschiedliche Wahrnehmun-gen bei nahen Menschen wurden mir bewusst denn ich habe mich nicht als bdquovulnerabelldquo empfunden Es war ein erstes bdquoHaltldquo fuumlr mich und zugleich das Gefuumlhl einer allgemeinen Angst-erfahrung ausgeloumlst durch einen unheimlichen Virus Ich hatte bereits vor einigen Jahren ein Buch uumlber die Pest gelesen in dem geschildert wurde wie sehr die Angst vor dieser Krankheit die Gesellschaft veraumlndert hatte Weitere Seuchen waumlren zu befuumlrch-ten war da zu lesen Doch unsere Welt scheint sehr vergesslich trotz Spanischer Grippe Ebola SARS Pocken Mers ua

Die Pandemie ausgeloumlst durch Corona hat auch unsere Gesell-schaft veraumlndert Wir wurden eindruumlcklich an die Verletzlich-keit unseres Lebens erinnert Es war eine globale Erfahrung dass nicht nur die Armen dieser Welt betroffen sein koumlnnen Geld und Reichtum nicht schuumltzen koumlnnen Es war eine schier pro-phetische Ermahnung dass vor dieser Krankheit alle Menschen gleich sind Irgendwie fanden sich Menschen in der Erfahrung einer Art von Gerechtigkeit vor dieser Krankheit

Wenn Fasten bedeutet eine neue Freiheit zu erleben dann haben viele Menschen genau diese Erfahrung gemacht Sie mussten ohne Dinge leben ohne die zu leben sie fuumlr unmoumlglich gehal-ten haben Manche Menschen haben auch aufgeatmet da ihnen aufgegangen ist es geht auch anders es muss nicht immer so wei-tergehen Der Theologe Johann Baptist Metz beschreibt in einer Kurzformel Religion als Unterbrechung Fuumlr mich hat unsere Gesellschaft eine solche religioumlse Erfahrung gemacht Sie hatte die Chance stehen zu bleiben ihren schnellen Lauf zu unterbrechen zuruumlckzuschauen nachzudenken uumlber den Kurs Es war auch die Moumlglichkeit Bilanz zu ziehen vielleicht auch zu warten auf die Langsamen Es war auch Zeit sich neu zu orientieren vielleicht auch die Herausforderungen der Klimaerwaumlrmung anzugehen

3Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

unterschiedliche Musikerinnen aus fuumlnf unterschiedlichen Wohnungen einen Gottesdienst gestalten wird eine groszligartige Fuumllle von Talenten sichtbar

Dass Tradition uns Halt gibt war fuumlr mich besonders zu Ostern erlebbar Wie viel von meinem Glauben durch die gemein-samen Riten und die fixe Gottesdienstordnung der Osterfest-tage transportiert wird war fast erschreckend zu beobachten Ohne den Halt den der vorgefertigte Rahmen bietet war ich gezwungen das Mysterium der Auferstehung fuumlr mich allein noch einmal neu zu interpretieren Dies hat meine eigene Posi-tion gefestigt doch gleichzeitig differenziert sich meine Position immer weiter und der Anschluss an andere Menschen muss dann erst wieder gefunden werden

Die Suche nach Halt in einer unsicheren Zeit hat viele von uns in letzter Zeit auf unterschiedliche Wege gefuumlhrt Hoffentlich haben wir uns nicht zu weit voneinander und einem gemeinsa-men Diskurs entfernt und sind noch in der Lage die verschiede-nen Positionen zu einer konstruktiven Synthese zu bringen um die Zukunft gemeinsam produktiv zu gestalten

Wer in letzter Zeit Halt in der Beruumlhrung anderer suchte wer gehalten werden wollte hatte es nicht leicht Gerade geliebten Personen kam man besser nicht zu nahe wer will schon fuumlr die Erkrankung eines Angehoumlrigen verantwortlich sein Physische Naumlhe als Halt fiel also aus Naumlhe laumlsst sich auch anders erzeu-gen haben wir alle gelernt Man kann online Spiele- und Film-abende machen Gedanken und Gefuumlhle auch bei Skype-Tref-fen austauschen Manche Beziehungen intensivierten sich da Distanz auf einmal keine so groszlige Rolle mehr zu spielen schien Andere flachten ab und muumlssen irgendwann neu mit Leben gefuumlllt werden Auch wenn man sich online nah sein kann der Halt den eine Umarmung guter Freunde uns gibt kann auf Dauer nicht ersetzt werden

Halt anderer Art bieten unterschiedliche politische Erzaumlhlun-gen Der ORF veroumlffentlichte jeden Abend die aktuellen Zahlen zur Pandemie Wie viele Menschen sind krank wie viele schon wieder gesund Wie viele liegen auf Intensivstationen wie viele Betten sind besetzt Das diffuse Gefuumlhl der Bedrohung wurde in Zahlen gegossen wurde messbar ndash wenn die richtigen Para-meter erfasst wurden Wenn man bdquoden Behoumlrdenldquo vertrauen konnte die Zahlen korrekt zu erfassen Was den einen Halt gab weil es die Pandemie beherrschbar und politische Maszlignahmen moumlglich machte war anderen ein steter Quell der Skepsis Sie suchten Halt bei Gegenpropheten die unterschiedliche andere Interpretationen der Wirklichkeit zur Verfuumlgung stellten Den unterschiedlichen Erzaumlhlungen ist gemeinsam dass sie fuumlr sich beanspruchen die Wirklichkeit zu erklaumlren bdquodie Wahrheitldquo zu sagen und so den Menschen Halt zu bieten

Auch religioumlses Erleben bietet Halt Gerade waumlhrend der Pan-demie waren allerdings die traditionellen Arten der religioumlsen Glaubenspraxis eingeschraumlnkt Gemeinsames Gottesdienstfeiern war physisch nicht moumlglich Durch WhatsApp-Gruppen und Online-Gottesdienste wurde versucht diesen Wegfall zu kom-pensieren trotzdem fehlte oft die Struktur die in dem neuen Medium erst entwickelt werden musste Die besten Zoom-Gottesdienste der Katholischen Hochschulgemeinde gab es im zweiten Lockdown als alle sich schon ein wenig an die Rahmen-bedingungen gewoumlhnt hatten und man anfing die Moumlglichkei-ten die diese Art der Gestaltung bietet zu nutzen Wenn fuumlnf

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen

schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegeben

Von Agnes Hobiger

Agnes Hobiger geb 1993 in Graz Sie studiert an der Karl-Franzens-Universitaumlt Chemie und Deutsch

auf Lehramt Von 2015ndash2018 Vorsitzende der Katholischen Hochschuljugend Oumlsterreichs

Denken+Glauben-Redaktionsmitglied Foto privat

4 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

We-ness zwischen Singularitaumlt Solidaritaumlt und UniversalitaumltVon Martin Duumlrnberger

Was haumllt uns noch zusammen

Was haumllt uns noch zusammen Eine solche Frage ist uumlblicherweise Symptom einer Krise So fragt man wenn die Beziehung zerruumlttet der Sportverein zerstritten und die Pfarrgemeinde sich fremd geworden ist Dann steht Klaumlrungsarbeit an Was ist es was uns noch verbindet ndash und reicht das fuumlr eine gemeinsame Zukunft Zweifel-los sind Fragen wie diese Kinder einer Moderne in der Herkunft und Tradition nicht mehr vorspuren ob und auf welche Weise wir mit wem zusammengehoumlren -leben und -arbeiten dennoch gewinnen sie aktuell im Kon-text globaler Herausforderungen vielleicht besonders an Fahrt Gleich ob Klimawandel Pandemiebekaumlmpfung oder Migration ndash ohne kooperative Anstrengung und Gemeinschaftssinn ohne das Wir lassen sich solche Her-ausforderungen nicht bewaumlltigen Das sinnt uns Reflexi-onen auf die Ressource Solidaritaumlt ebenso wie auf ihren Verschleiszlig an der folgende Beitrag will das in einem sehr bescheidenden Rahmen versuchen

Thomas vs Thomas Ist der Mensch des Menschen Wolf oder FreundStellen wir die Frage nach sozialem Zusammenhalt auf dem okzidentalen Denkpfad (Juumlrgen Habermas) in einer grundsaumltzlichen Weise finden wir unterschiedliche Spuren Sinnbildlich dafuumlr stehen zwei Thomasse Vom englischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes stammt die Uumlberlegung dass der Mensch sich im vorgesellschaftlichen Naturzustand in einem bellum omnium in omnes befinde ndash der Mensch so die Formulie-rung in seinem Werk De Cive sei dem Menschen eben ein Wolf homo homini lupus Es ist einsichtig dass in einer so aufgesetzten Anthropologie Phaumlnomene der Solidaritaumlt als sekundaumlre gleichsam kulturelle Zaumlhmungseffekte zu interpretieren sind ndash was in Gewalt Neid und Missgunst gegen andere aufblitzt ist das Humanum in seinem bruta-len Naturzustand die Leistung der Kultur besteht darin diesen Zustand durch die Macht sozialer Institutionen einzuhegen Demgegenuumlber steht bei Thomas von Aquin in der Spur des Aristoteles eine erkennbar andere Perspek-tive naturaliter homo homini amicus schreibt er Mitte des 13 Jahrhunderts etwa in der Summa contra Gentiles und zeichnet das Verhaumlltnis von Mensch und Mitmensch damit als von Natur aus freundschaftlich ndash der Mensch ist des anderen Menschen Freund Auch die Pointe dieser

Position fuumlr unsere Frage ist unmittelbar klar Wenn der Mensch von Grund auf kooperativ ist liegt es nahe Unfair-ness und Egoismus tendenziell als pathologische Entfrem-dungseffekte zu deuten in denen der Mensch gegen seine urspruumlnglich kooperative Natur handelt

Nun wird man diese schablonenhafte Gegenuumlberstellung aus gutem Grund kritisieren Zum einen sind selbst Feinde zu stabilen Vertraumlgen und auch Freunde zu heftigen Kon-flikten faumlhig zum anderen ist die Plastizitaumlt der bdquomensch-lichen Naturldquo so erstaunlich dass die Rede von bdquoNaturzu-staumlndenldquo keinen klaren methodischen Sinn hat ndash zu fein ist das Zusammenspiel von Natur und Kultur wenn es um den homo sapiens geht zudem ist fragwuumlrdig wie sinnvoll spekulative Anthropologien sind seien sie philosophisch oder theologisch angelegt Dennoch ist das skizzierte Tho-mas-Problem als solches ndash Wie sollen wir den Menschen verstehen als grundlegend kooperativ und solidarisch oder als selbstbezuumlglich und egoistisch ndash damit nicht ad acta gelegt Die grundsaumltzliche Frage nach dem Menschen und seinen Dispositionen zu Kooperativitaumlt ist ja auch dann noch von Interesse wenn man nicht mehr von bdquoNaturzu-staumlndenldquo spricht und eher empirisch vorgeht gerade hier hat in den letzten Jahrzehnten ndash wenn man sich erlaubt die Namensaumlhnlichkeit als Bruumlcke zu nutzen ndash gleichsam ein dritter Thomas aufschlussreiche Forschungen vorgelegt der US-amerikanische Anthropologe Michael Tomasello

Michael Tomasello Warum wir kooperierenTomasello der am Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) fuumlr Evolutionaumlre Anthropologie forschte ist vor allem fuumlr seine Experimente bekannt in denen er das Verhalten von Affen mit jenem von Kleinkindern verglich ndash und zwar in einem Alter in dem noch keine massiven erzieherischen Lenkungseffekte zu erwarten sind Das grundlegende Phauml-nomen so schreibt Tomasello sei simpel bdquoKleinkinder im Alter zwischen 14 und 18 Monaten begegnen einem nicht verwandten Erwachsenen den sie erst wenige Momente zuvor kennengelernt haben Der Erwachsene steht vor einem kleinen Problem und die Kleinkinder helfen ihm es zu loumlsen Dabei tun sie alles Moumlgliche vom Herbeiholen nicht erreichbarer Gegenstaumlnde bis hin zum Oumlffnen von Schranktuumlren wenn der Erwachsene keine Hand frei hat In einer Studie halfen 22 von 24 untersuchten Kindern

5Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

in mindestens einem Fall und dies praktisch sofortldquo so Tomasello Nicht nur die Disposition zur Hilfe sondern vor allem auch zur Weitergabe von Informationen sowie zum Teilen laumlsst sich auf diese Weise anders als bei Affen bereits bei Kleinkindern nachweisen in diesem Sinn spricht Tomasello von einer we-ness einem bdquoWir-Gefuumlhlldquo das sich beim Menschen fruumlh zeige ndash Zusammenhalt Kooperation und Solidaritaumlt sind in dieser Perspektive weniger Gegenstand unserer Entscheidungen sondern evolutionaumlr bedingte Medien unseres Mensch-Seins Kooperation ist gleichsam das Wasser in dem das Fisch-lein Mensch immer schon schwimmt

Auch wenn sich Tomasellos Ergebnisse wie eine glatte Bestaumltigung des homo homini amicus ausnehmen darf nicht uumlbersehen werden dass inmitten der sozialen Inter-aktionen von Kindern nicht weniger bdquonatuumlrlichldquo (wenn man das Vokabel erlaubt) ein weiterer Prozess einsetzt Anfangs so Tomasello seien Kinder zwar bdquozum Helfen und zur Kooperation veranlagt Dann aber lernen sie selektiv zu helfen zu informieren und zu teilenldquo ndash und zwar gemaumlszlig der tit for tat-Strategie Man kooperiert langfristig

nun mal eher mit jenen die ebenfalls kooperativ sind und einen nicht staumlndig uumlbervorteilen ndash die allgemeine we-ness wird gewissermaszligen spezifiziert (man denke nur an die Bildung von Banden im Kindergarten) Der Fak-tor Fairness dessen Bedeutung hier hervorblitzt und den spieltheoretische Untersuchungen weiter erhellen koumlnnen ist hier ebenso relevant wie der Faktor Vertrauen Das eigene Handeln ist nicht ohne Zeitindex mit dem Handeln anderer verbunden sondern haumlngt va auch davon ab wel-ches zukuumlnftige Handeln man vom Gegenuumlber erwartet bzw glaubwuumlrdig erwarten darf Wenig uumlberraschend sind deshalb Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit fuumlr Koopera-tion unabdingbar Wo beides erodiert wird Kooperation schwierig und das Wir-Gefuumlhl zerreiszligt In diesem Sinn bilden Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit das feine Gewebe das sozialen Zusammenhalt ausmacht

Gerade diese letzten Beobachtungen sind Bruumlcken um von grundlegenden anthropologischen zu konkreten zeit-diagnostischen Reflexionen zu gelangen sie legen naumlm-lich nahe dass we-ness und Kooperation Solidaritaumlt und Zusammenhalt nicht einfach (evolutionaumlr grundgelegte

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 2: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

2 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Azra Akšamija Silk Road Works (Detai l ) Instal lat ion auf der von Hashim Sark is kurat ier ten 17 Architek turbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

Silk Road Works

Auf Venedig als wirtschaftliche Drehscheibe und kulturellen Schmelztiegel zwischen oumlstlicher und westlicher Tradition bezieht sich die Installation von Azra Akšamija auf der Architekturbiennale von Venedig Eine Reihe von Figuren mit Helmen aus blauen Muranoglas und Overalls aus kostbaren Seidenstoffen die an Motive barocker Wandbespannung in venezianischen Palazzi erinnern reicht sich die Haumlnde Die Stoffbahnen hinter ihnen lassen sich zu Schutzwesten falten oder bilden Gebetsteppiche die auch als tragbare Moschee funktionieren Die Arbeit thematisiert Ausbeutung von Arbeitern durch Franchising-Systeme aber auch die Chancen fuumlr gelingendes Zusammenleben durch transkulturellen Austausch

1Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Editorial

Gefuumlhlt ist es eine Erfahrung aus einer ganz anderen Zeit die schon weit in der Vergangenheit liegt Der erste Corona-Lock-down im Maumlrz letzten Jahres als ploumltzlich alles stillstand Keine Menschen auf den Gassen und Plaumltzen unserer Staumldte keine Autos auf den Straszligen keine Flugzeuge am Himmel Und dazu die Bilder von venezianischen Kanaumllen mit glasklarem Wasser Wildtieren die sich Lebensraumlume an den Stadtraumlndern zuruumlck-eroberten und uumlberall viel spontan gelebte Solidaritaumlt zwischen

Menschen die sich nicht oder kaum kannten Das scheint auch deshalb so weit weg zu sein weil sich die Vorzeichen grundsaumltzlich geaumlndert haben Aus den erhofften paar Wochen Stillstand und einer darauf folgenden Ruumlckkehr zu einer erneuerten und mit positiven Erfahrungen angereicherten Normalitaumlt wurde nichts Die weite-ren Lockdowns laumlhmten nur mehr und schuumlrten gleichzeitig Emotionen Aumlngste und Unsicherheit stiegen und die Diskussionen in den Chats und Foren was denn zu tun sei und welche Maszlignahmen zu setzen waumlren gerieten zunehmend aus dem Ruder Diesbezuumlglich waumlre ein Rufzeichen hinter den Titel unseres Jahresthemas HALT zu setzen der auch uumlber dieser Ausgabe unserer Zeitschrift steht Aber da ist auch kein Rufzeichen das sich einen weiteren Lockdown wuumlnschen und naiv mit einem Nach- und radikalen Umdenkprozess rechnen wuumlrde weil kurz aufgeblitzt war was im Blick auf Oumlkologie und Klimakrise moumlglich waumlre wenn man sich zu wirklich ein-schneidenden Maszlignahmen durchringen wuumlrde Denn so einfach ist das nicht Und so geht es nicht um ein verklaumlrendes Innehalten sondern um die Frage was denn Halt geben kann wenn sich in unserer Gesellschaft Bruchlinien auftun die nicht zu kitten zu sein scheinen weil der Ruumlckzug immer groumlszligerer Teile der Gesellschaft in Bubbles und Echoraumlume ungekannte Ausmaszlige angenommen hat Halt bieten anscheinend auch Verschwoumlrungstheorien und irrationale Welterklaumlrungsmodelle Eine Gemengelage die frustriert und auch gefaumlhrlich ist Daruumlber wollen wir im Herbst mit Bischof Hermann Glettler in einem Gespraumlchsformat in der Katholischen Hochschulgemeinde sprechen

Am Cover dieses Heftes reichen sich Figuren die Haumlnde Die Kuumlnstlerin laumlsst die Deutung bewusst offen und so wollen wir es auch mit unserem Jahresthema halten zuerst einmal wahrnehmen und analysieren im Gesamtgesellschaftlichen wie im Persoumlnlichen Schritte zu einer wie auch immer gearteten Normalitaumlt erscheinen erst sinnvoll nachdem Chancen die moumlglicherweise gerade in einer Krise liegen oder auch uumlberraschende neue Perspektiven ausgelotet worden sind Auch Aumlngste und manch Irrationales werden dabei eine Rolle spielen Davor gilt es nicht die Augen zu verschlieszligen Dazu wollen die Artikel dieses Heftes einen Beitrag leisten Bebildert haben wir es am Cover und im Inneren mit Fotostrecken von Arbeiten von Azra Akšamija mit der ich anlaumlsslich der Eroumlffnung der Architekturbiennale in Venedig ein Gespraumlch fuumlhren konnte Wir hoffen dass wir unsere traditionelle Fahrt zur Biennale in diesem Jahr durchfuumlhren koumlnnen und nicht nur angesichts dieser Reise auf eine weitere Eindaumlmmung der Pandemie-Bedrohung

Ein gutes Semester in wohl weiterhin herausfordernden Zeiten und eine anregende Lektuumlre wuumlnscht

Alois Koumllbl Hochschulseelsorger

HALT

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre

Von Franz Wallner (2)

Von Agnes Hobiger (3)

Was haumllt uns noch zusammen (4)

Von Martin Duumlrnberger

Dichten wir das Leben um (8)

Von Anna Maria Steiner

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen (11)

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Mit Doppelpass zum Goal (16)

Von Anton Tauschmann

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichtenldquo (19)

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

Hoch hinauf strebend und doch geerdet (22)

Von Bernhard Valentinitsch

Halt durch Haltung (24)

Von Peter Rosegger

Einwuumlrfe (26)

Von Frank Moritz-Jauk

Raus aus dem Fluss (27)

Von Harald Koberg

khg community (28)

2 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Erstaunlich war fuumlr mich wie rasch die gute geoumllte Wirtschaft von deren Wirken das Gelingen der Gesellschaft abzuhaumlngen schien zum Halten gebracht werden konnte Fuumlr kurze Zeit schien eine andere Gesellschaft moumlglich sozialer ruumlcksichtsvol-ler der Schoumlpfung mehr zugewandt leiser und bewusster Wenn man diese Pandemie als Erfahrung einer Notbremsung sehen kann ist es auch interessant welche Haltegriffe man in der Not in der Naumlhe zur Verfuumlgung hat Eine ruhige Fahrt kann auch in Zukunft nicht garantiert werden deshalb sollten gute Halte-griffe auch spiritueller Art gesucht werden Es bleibt zu hoffen dass die neue Normalitaumlt nicht die alte wird Ein bloszliges Nachho-len dessen was man nicht konsumieren erleben oder produzie-ren konnte wuumlrde den Lerngewinn dieser Zeit vernichten

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegebenVon Franz Wallner

Franz Wallnergeb 1949 in Graz studierte Theologie und

Mathematik in Graz und Regensburg wirkte als Pastoralassistent ua an der KHG Graz

als Professor an der KPH Graz bis heute aktiver Diakon und Krankenhausseelsorger

Foto privat

Am letzten Tag vor dem Lockdown einem Sonntag wollte ich nach Wien fahren Wir hatten die Bahnkarten schon laumlnger gekauft und es reizte mich die voumlllig unerwartete Gelegenheit eine Groszligstadt knapp vor dem bdquoHerunterfahrenldquo zu erleben Unsere erwachsenen Kinder eigentlich eher relaxt rieten uns ungewohnt heftig davon ab Wir sind dann nicht nach Wien gefahren Es war fuumlr mich aber doch eine besondere Erfahrung wie sehr mein Empfinden sich von der Wahrnehmung der juumln-geren Generation unterschied Unterschiedliche Wahrnehmun-gen bei nahen Menschen wurden mir bewusst denn ich habe mich nicht als bdquovulnerabelldquo empfunden Es war ein erstes bdquoHaltldquo fuumlr mich und zugleich das Gefuumlhl einer allgemeinen Angst-erfahrung ausgeloumlst durch einen unheimlichen Virus Ich hatte bereits vor einigen Jahren ein Buch uumlber die Pest gelesen in dem geschildert wurde wie sehr die Angst vor dieser Krankheit die Gesellschaft veraumlndert hatte Weitere Seuchen waumlren zu befuumlrch-ten war da zu lesen Doch unsere Welt scheint sehr vergesslich trotz Spanischer Grippe Ebola SARS Pocken Mers ua

Die Pandemie ausgeloumlst durch Corona hat auch unsere Gesell-schaft veraumlndert Wir wurden eindruumlcklich an die Verletzlich-keit unseres Lebens erinnert Es war eine globale Erfahrung dass nicht nur die Armen dieser Welt betroffen sein koumlnnen Geld und Reichtum nicht schuumltzen koumlnnen Es war eine schier pro-phetische Ermahnung dass vor dieser Krankheit alle Menschen gleich sind Irgendwie fanden sich Menschen in der Erfahrung einer Art von Gerechtigkeit vor dieser Krankheit

Wenn Fasten bedeutet eine neue Freiheit zu erleben dann haben viele Menschen genau diese Erfahrung gemacht Sie mussten ohne Dinge leben ohne die zu leben sie fuumlr unmoumlglich gehal-ten haben Manche Menschen haben auch aufgeatmet da ihnen aufgegangen ist es geht auch anders es muss nicht immer so wei-tergehen Der Theologe Johann Baptist Metz beschreibt in einer Kurzformel Religion als Unterbrechung Fuumlr mich hat unsere Gesellschaft eine solche religioumlse Erfahrung gemacht Sie hatte die Chance stehen zu bleiben ihren schnellen Lauf zu unterbrechen zuruumlckzuschauen nachzudenken uumlber den Kurs Es war auch die Moumlglichkeit Bilanz zu ziehen vielleicht auch zu warten auf die Langsamen Es war auch Zeit sich neu zu orientieren vielleicht auch die Herausforderungen der Klimaerwaumlrmung anzugehen

3Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

unterschiedliche Musikerinnen aus fuumlnf unterschiedlichen Wohnungen einen Gottesdienst gestalten wird eine groszligartige Fuumllle von Talenten sichtbar

Dass Tradition uns Halt gibt war fuumlr mich besonders zu Ostern erlebbar Wie viel von meinem Glauben durch die gemein-samen Riten und die fixe Gottesdienstordnung der Osterfest-tage transportiert wird war fast erschreckend zu beobachten Ohne den Halt den der vorgefertigte Rahmen bietet war ich gezwungen das Mysterium der Auferstehung fuumlr mich allein noch einmal neu zu interpretieren Dies hat meine eigene Posi-tion gefestigt doch gleichzeitig differenziert sich meine Position immer weiter und der Anschluss an andere Menschen muss dann erst wieder gefunden werden

Die Suche nach Halt in einer unsicheren Zeit hat viele von uns in letzter Zeit auf unterschiedliche Wege gefuumlhrt Hoffentlich haben wir uns nicht zu weit voneinander und einem gemeinsa-men Diskurs entfernt und sind noch in der Lage die verschiede-nen Positionen zu einer konstruktiven Synthese zu bringen um die Zukunft gemeinsam produktiv zu gestalten

Wer in letzter Zeit Halt in der Beruumlhrung anderer suchte wer gehalten werden wollte hatte es nicht leicht Gerade geliebten Personen kam man besser nicht zu nahe wer will schon fuumlr die Erkrankung eines Angehoumlrigen verantwortlich sein Physische Naumlhe als Halt fiel also aus Naumlhe laumlsst sich auch anders erzeu-gen haben wir alle gelernt Man kann online Spiele- und Film-abende machen Gedanken und Gefuumlhle auch bei Skype-Tref-fen austauschen Manche Beziehungen intensivierten sich da Distanz auf einmal keine so groszlige Rolle mehr zu spielen schien Andere flachten ab und muumlssen irgendwann neu mit Leben gefuumlllt werden Auch wenn man sich online nah sein kann der Halt den eine Umarmung guter Freunde uns gibt kann auf Dauer nicht ersetzt werden

Halt anderer Art bieten unterschiedliche politische Erzaumlhlun-gen Der ORF veroumlffentlichte jeden Abend die aktuellen Zahlen zur Pandemie Wie viele Menschen sind krank wie viele schon wieder gesund Wie viele liegen auf Intensivstationen wie viele Betten sind besetzt Das diffuse Gefuumlhl der Bedrohung wurde in Zahlen gegossen wurde messbar ndash wenn die richtigen Para-meter erfasst wurden Wenn man bdquoden Behoumlrdenldquo vertrauen konnte die Zahlen korrekt zu erfassen Was den einen Halt gab weil es die Pandemie beherrschbar und politische Maszlignahmen moumlglich machte war anderen ein steter Quell der Skepsis Sie suchten Halt bei Gegenpropheten die unterschiedliche andere Interpretationen der Wirklichkeit zur Verfuumlgung stellten Den unterschiedlichen Erzaumlhlungen ist gemeinsam dass sie fuumlr sich beanspruchen die Wirklichkeit zu erklaumlren bdquodie Wahrheitldquo zu sagen und so den Menschen Halt zu bieten

Auch religioumlses Erleben bietet Halt Gerade waumlhrend der Pan-demie waren allerdings die traditionellen Arten der religioumlsen Glaubenspraxis eingeschraumlnkt Gemeinsames Gottesdienstfeiern war physisch nicht moumlglich Durch WhatsApp-Gruppen und Online-Gottesdienste wurde versucht diesen Wegfall zu kom-pensieren trotzdem fehlte oft die Struktur die in dem neuen Medium erst entwickelt werden musste Die besten Zoom-Gottesdienste der Katholischen Hochschulgemeinde gab es im zweiten Lockdown als alle sich schon ein wenig an die Rahmen-bedingungen gewoumlhnt hatten und man anfing die Moumlglichkei-ten die diese Art der Gestaltung bietet zu nutzen Wenn fuumlnf

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen

schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegeben

Von Agnes Hobiger

Agnes Hobiger geb 1993 in Graz Sie studiert an der Karl-Franzens-Universitaumlt Chemie und Deutsch

auf Lehramt Von 2015ndash2018 Vorsitzende der Katholischen Hochschuljugend Oumlsterreichs

Denken+Glauben-Redaktionsmitglied Foto privat

4 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

We-ness zwischen Singularitaumlt Solidaritaumlt und UniversalitaumltVon Martin Duumlrnberger

Was haumllt uns noch zusammen

Was haumllt uns noch zusammen Eine solche Frage ist uumlblicherweise Symptom einer Krise So fragt man wenn die Beziehung zerruumlttet der Sportverein zerstritten und die Pfarrgemeinde sich fremd geworden ist Dann steht Klaumlrungsarbeit an Was ist es was uns noch verbindet ndash und reicht das fuumlr eine gemeinsame Zukunft Zweifel-los sind Fragen wie diese Kinder einer Moderne in der Herkunft und Tradition nicht mehr vorspuren ob und auf welche Weise wir mit wem zusammengehoumlren -leben und -arbeiten dennoch gewinnen sie aktuell im Kon-text globaler Herausforderungen vielleicht besonders an Fahrt Gleich ob Klimawandel Pandemiebekaumlmpfung oder Migration ndash ohne kooperative Anstrengung und Gemeinschaftssinn ohne das Wir lassen sich solche Her-ausforderungen nicht bewaumlltigen Das sinnt uns Reflexi-onen auf die Ressource Solidaritaumlt ebenso wie auf ihren Verschleiszlig an der folgende Beitrag will das in einem sehr bescheidenden Rahmen versuchen

Thomas vs Thomas Ist der Mensch des Menschen Wolf oder FreundStellen wir die Frage nach sozialem Zusammenhalt auf dem okzidentalen Denkpfad (Juumlrgen Habermas) in einer grundsaumltzlichen Weise finden wir unterschiedliche Spuren Sinnbildlich dafuumlr stehen zwei Thomasse Vom englischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes stammt die Uumlberlegung dass der Mensch sich im vorgesellschaftlichen Naturzustand in einem bellum omnium in omnes befinde ndash der Mensch so die Formulie-rung in seinem Werk De Cive sei dem Menschen eben ein Wolf homo homini lupus Es ist einsichtig dass in einer so aufgesetzten Anthropologie Phaumlnomene der Solidaritaumlt als sekundaumlre gleichsam kulturelle Zaumlhmungseffekte zu interpretieren sind ndash was in Gewalt Neid und Missgunst gegen andere aufblitzt ist das Humanum in seinem bruta-len Naturzustand die Leistung der Kultur besteht darin diesen Zustand durch die Macht sozialer Institutionen einzuhegen Demgegenuumlber steht bei Thomas von Aquin in der Spur des Aristoteles eine erkennbar andere Perspek-tive naturaliter homo homini amicus schreibt er Mitte des 13 Jahrhunderts etwa in der Summa contra Gentiles und zeichnet das Verhaumlltnis von Mensch und Mitmensch damit als von Natur aus freundschaftlich ndash der Mensch ist des anderen Menschen Freund Auch die Pointe dieser

Position fuumlr unsere Frage ist unmittelbar klar Wenn der Mensch von Grund auf kooperativ ist liegt es nahe Unfair-ness und Egoismus tendenziell als pathologische Entfrem-dungseffekte zu deuten in denen der Mensch gegen seine urspruumlnglich kooperative Natur handelt

Nun wird man diese schablonenhafte Gegenuumlberstellung aus gutem Grund kritisieren Zum einen sind selbst Feinde zu stabilen Vertraumlgen und auch Freunde zu heftigen Kon-flikten faumlhig zum anderen ist die Plastizitaumlt der bdquomensch-lichen Naturldquo so erstaunlich dass die Rede von bdquoNaturzu-staumlndenldquo keinen klaren methodischen Sinn hat ndash zu fein ist das Zusammenspiel von Natur und Kultur wenn es um den homo sapiens geht zudem ist fragwuumlrdig wie sinnvoll spekulative Anthropologien sind seien sie philosophisch oder theologisch angelegt Dennoch ist das skizzierte Tho-mas-Problem als solches ndash Wie sollen wir den Menschen verstehen als grundlegend kooperativ und solidarisch oder als selbstbezuumlglich und egoistisch ndash damit nicht ad acta gelegt Die grundsaumltzliche Frage nach dem Menschen und seinen Dispositionen zu Kooperativitaumlt ist ja auch dann noch von Interesse wenn man nicht mehr von bdquoNaturzu-staumlndenldquo spricht und eher empirisch vorgeht gerade hier hat in den letzten Jahrzehnten ndash wenn man sich erlaubt die Namensaumlhnlichkeit als Bruumlcke zu nutzen ndash gleichsam ein dritter Thomas aufschlussreiche Forschungen vorgelegt der US-amerikanische Anthropologe Michael Tomasello

Michael Tomasello Warum wir kooperierenTomasello der am Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) fuumlr Evolutionaumlre Anthropologie forschte ist vor allem fuumlr seine Experimente bekannt in denen er das Verhalten von Affen mit jenem von Kleinkindern verglich ndash und zwar in einem Alter in dem noch keine massiven erzieherischen Lenkungseffekte zu erwarten sind Das grundlegende Phauml-nomen so schreibt Tomasello sei simpel bdquoKleinkinder im Alter zwischen 14 und 18 Monaten begegnen einem nicht verwandten Erwachsenen den sie erst wenige Momente zuvor kennengelernt haben Der Erwachsene steht vor einem kleinen Problem und die Kleinkinder helfen ihm es zu loumlsen Dabei tun sie alles Moumlgliche vom Herbeiholen nicht erreichbarer Gegenstaumlnde bis hin zum Oumlffnen von Schranktuumlren wenn der Erwachsene keine Hand frei hat In einer Studie halfen 22 von 24 untersuchten Kindern

5Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

in mindestens einem Fall und dies praktisch sofortldquo so Tomasello Nicht nur die Disposition zur Hilfe sondern vor allem auch zur Weitergabe von Informationen sowie zum Teilen laumlsst sich auf diese Weise anders als bei Affen bereits bei Kleinkindern nachweisen in diesem Sinn spricht Tomasello von einer we-ness einem bdquoWir-Gefuumlhlldquo das sich beim Menschen fruumlh zeige ndash Zusammenhalt Kooperation und Solidaritaumlt sind in dieser Perspektive weniger Gegenstand unserer Entscheidungen sondern evolutionaumlr bedingte Medien unseres Mensch-Seins Kooperation ist gleichsam das Wasser in dem das Fisch-lein Mensch immer schon schwimmt

Auch wenn sich Tomasellos Ergebnisse wie eine glatte Bestaumltigung des homo homini amicus ausnehmen darf nicht uumlbersehen werden dass inmitten der sozialen Inter-aktionen von Kindern nicht weniger bdquonatuumlrlichldquo (wenn man das Vokabel erlaubt) ein weiterer Prozess einsetzt Anfangs so Tomasello seien Kinder zwar bdquozum Helfen und zur Kooperation veranlagt Dann aber lernen sie selektiv zu helfen zu informieren und zu teilenldquo ndash und zwar gemaumlszlig der tit for tat-Strategie Man kooperiert langfristig

nun mal eher mit jenen die ebenfalls kooperativ sind und einen nicht staumlndig uumlbervorteilen ndash die allgemeine we-ness wird gewissermaszligen spezifiziert (man denke nur an die Bildung von Banden im Kindergarten) Der Fak-tor Fairness dessen Bedeutung hier hervorblitzt und den spieltheoretische Untersuchungen weiter erhellen koumlnnen ist hier ebenso relevant wie der Faktor Vertrauen Das eigene Handeln ist nicht ohne Zeitindex mit dem Handeln anderer verbunden sondern haumlngt va auch davon ab wel-ches zukuumlnftige Handeln man vom Gegenuumlber erwartet bzw glaubwuumlrdig erwarten darf Wenig uumlberraschend sind deshalb Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit fuumlr Koopera-tion unabdingbar Wo beides erodiert wird Kooperation schwierig und das Wir-Gefuumlhl zerreiszligt In diesem Sinn bilden Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit das feine Gewebe das sozialen Zusammenhalt ausmacht

Gerade diese letzten Beobachtungen sind Bruumlcken um von grundlegenden anthropologischen zu konkreten zeit-diagnostischen Reflexionen zu gelangen sie legen naumlm-lich nahe dass we-ness und Kooperation Solidaritaumlt und Zusammenhalt nicht einfach (evolutionaumlr grundgelegte

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 3: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

1Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Editorial

Gefuumlhlt ist es eine Erfahrung aus einer ganz anderen Zeit die schon weit in der Vergangenheit liegt Der erste Corona-Lock-down im Maumlrz letzten Jahres als ploumltzlich alles stillstand Keine Menschen auf den Gassen und Plaumltzen unserer Staumldte keine Autos auf den Straszligen keine Flugzeuge am Himmel Und dazu die Bilder von venezianischen Kanaumllen mit glasklarem Wasser Wildtieren die sich Lebensraumlume an den Stadtraumlndern zuruumlck-eroberten und uumlberall viel spontan gelebte Solidaritaumlt zwischen

Menschen die sich nicht oder kaum kannten Das scheint auch deshalb so weit weg zu sein weil sich die Vorzeichen grundsaumltzlich geaumlndert haben Aus den erhofften paar Wochen Stillstand und einer darauf folgenden Ruumlckkehr zu einer erneuerten und mit positiven Erfahrungen angereicherten Normalitaumlt wurde nichts Die weite-ren Lockdowns laumlhmten nur mehr und schuumlrten gleichzeitig Emotionen Aumlngste und Unsicherheit stiegen und die Diskussionen in den Chats und Foren was denn zu tun sei und welche Maszlignahmen zu setzen waumlren gerieten zunehmend aus dem Ruder Diesbezuumlglich waumlre ein Rufzeichen hinter den Titel unseres Jahresthemas HALT zu setzen der auch uumlber dieser Ausgabe unserer Zeitschrift steht Aber da ist auch kein Rufzeichen das sich einen weiteren Lockdown wuumlnschen und naiv mit einem Nach- und radikalen Umdenkprozess rechnen wuumlrde weil kurz aufgeblitzt war was im Blick auf Oumlkologie und Klimakrise moumlglich waumlre wenn man sich zu wirklich ein-schneidenden Maszlignahmen durchringen wuumlrde Denn so einfach ist das nicht Und so geht es nicht um ein verklaumlrendes Innehalten sondern um die Frage was denn Halt geben kann wenn sich in unserer Gesellschaft Bruchlinien auftun die nicht zu kitten zu sein scheinen weil der Ruumlckzug immer groumlszligerer Teile der Gesellschaft in Bubbles und Echoraumlume ungekannte Ausmaszlige angenommen hat Halt bieten anscheinend auch Verschwoumlrungstheorien und irrationale Welterklaumlrungsmodelle Eine Gemengelage die frustriert und auch gefaumlhrlich ist Daruumlber wollen wir im Herbst mit Bischof Hermann Glettler in einem Gespraumlchsformat in der Katholischen Hochschulgemeinde sprechen

Am Cover dieses Heftes reichen sich Figuren die Haumlnde Die Kuumlnstlerin laumlsst die Deutung bewusst offen und so wollen wir es auch mit unserem Jahresthema halten zuerst einmal wahrnehmen und analysieren im Gesamtgesellschaftlichen wie im Persoumlnlichen Schritte zu einer wie auch immer gearteten Normalitaumlt erscheinen erst sinnvoll nachdem Chancen die moumlglicherweise gerade in einer Krise liegen oder auch uumlberraschende neue Perspektiven ausgelotet worden sind Auch Aumlngste und manch Irrationales werden dabei eine Rolle spielen Davor gilt es nicht die Augen zu verschlieszligen Dazu wollen die Artikel dieses Heftes einen Beitrag leisten Bebildert haben wir es am Cover und im Inneren mit Fotostrecken von Arbeiten von Azra Akšamija mit der ich anlaumlsslich der Eroumlffnung der Architekturbiennale in Venedig ein Gespraumlch fuumlhren konnte Wir hoffen dass wir unsere traditionelle Fahrt zur Biennale in diesem Jahr durchfuumlhren koumlnnen und nicht nur angesichts dieser Reise auf eine weitere Eindaumlmmung der Pandemie-Bedrohung

Ein gutes Semester in wohl weiterhin herausfordernden Zeiten und eine anregende Lektuumlre wuumlnscht

Alois Koumllbl Hochschulseelsorger

HALT

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre

Von Franz Wallner (2)

Von Agnes Hobiger (3)

Was haumllt uns noch zusammen (4)

Von Martin Duumlrnberger

Dichten wir das Leben um (8)

Von Anna Maria Steiner

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen (11)

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Mit Doppelpass zum Goal (16)

Von Anton Tauschmann

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichtenldquo (19)

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

Hoch hinauf strebend und doch geerdet (22)

Von Bernhard Valentinitsch

Halt durch Haltung (24)

Von Peter Rosegger

Einwuumlrfe (26)

Von Frank Moritz-Jauk

Raus aus dem Fluss (27)

Von Harald Koberg

khg community (28)

2 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Erstaunlich war fuumlr mich wie rasch die gute geoumllte Wirtschaft von deren Wirken das Gelingen der Gesellschaft abzuhaumlngen schien zum Halten gebracht werden konnte Fuumlr kurze Zeit schien eine andere Gesellschaft moumlglich sozialer ruumlcksichtsvol-ler der Schoumlpfung mehr zugewandt leiser und bewusster Wenn man diese Pandemie als Erfahrung einer Notbremsung sehen kann ist es auch interessant welche Haltegriffe man in der Not in der Naumlhe zur Verfuumlgung hat Eine ruhige Fahrt kann auch in Zukunft nicht garantiert werden deshalb sollten gute Halte-griffe auch spiritueller Art gesucht werden Es bleibt zu hoffen dass die neue Normalitaumlt nicht die alte wird Ein bloszliges Nachho-len dessen was man nicht konsumieren erleben oder produzie-ren konnte wuumlrde den Lerngewinn dieser Zeit vernichten

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegebenVon Franz Wallner

Franz Wallnergeb 1949 in Graz studierte Theologie und

Mathematik in Graz und Regensburg wirkte als Pastoralassistent ua an der KHG Graz

als Professor an der KPH Graz bis heute aktiver Diakon und Krankenhausseelsorger

Foto privat

Am letzten Tag vor dem Lockdown einem Sonntag wollte ich nach Wien fahren Wir hatten die Bahnkarten schon laumlnger gekauft und es reizte mich die voumlllig unerwartete Gelegenheit eine Groszligstadt knapp vor dem bdquoHerunterfahrenldquo zu erleben Unsere erwachsenen Kinder eigentlich eher relaxt rieten uns ungewohnt heftig davon ab Wir sind dann nicht nach Wien gefahren Es war fuumlr mich aber doch eine besondere Erfahrung wie sehr mein Empfinden sich von der Wahrnehmung der juumln-geren Generation unterschied Unterschiedliche Wahrnehmun-gen bei nahen Menschen wurden mir bewusst denn ich habe mich nicht als bdquovulnerabelldquo empfunden Es war ein erstes bdquoHaltldquo fuumlr mich und zugleich das Gefuumlhl einer allgemeinen Angst-erfahrung ausgeloumlst durch einen unheimlichen Virus Ich hatte bereits vor einigen Jahren ein Buch uumlber die Pest gelesen in dem geschildert wurde wie sehr die Angst vor dieser Krankheit die Gesellschaft veraumlndert hatte Weitere Seuchen waumlren zu befuumlrch-ten war da zu lesen Doch unsere Welt scheint sehr vergesslich trotz Spanischer Grippe Ebola SARS Pocken Mers ua

Die Pandemie ausgeloumlst durch Corona hat auch unsere Gesell-schaft veraumlndert Wir wurden eindruumlcklich an die Verletzlich-keit unseres Lebens erinnert Es war eine globale Erfahrung dass nicht nur die Armen dieser Welt betroffen sein koumlnnen Geld und Reichtum nicht schuumltzen koumlnnen Es war eine schier pro-phetische Ermahnung dass vor dieser Krankheit alle Menschen gleich sind Irgendwie fanden sich Menschen in der Erfahrung einer Art von Gerechtigkeit vor dieser Krankheit

Wenn Fasten bedeutet eine neue Freiheit zu erleben dann haben viele Menschen genau diese Erfahrung gemacht Sie mussten ohne Dinge leben ohne die zu leben sie fuumlr unmoumlglich gehal-ten haben Manche Menschen haben auch aufgeatmet da ihnen aufgegangen ist es geht auch anders es muss nicht immer so wei-tergehen Der Theologe Johann Baptist Metz beschreibt in einer Kurzformel Religion als Unterbrechung Fuumlr mich hat unsere Gesellschaft eine solche religioumlse Erfahrung gemacht Sie hatte die Chance stehen zu bleiben ihren schnellen Lauf zu unterbrechen zuruumlckzuschauen nachzudenken uumlber den Kurs Es war auch die Moumlglichkeit Bilanz zu ziehen vielleicht auch zu warten auf die Langsamen Es war auch Zeit sich neu zu orientieren vielleicht auch die Herausforderungen der Klimaerwaumlrmung anzugehen

3Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

unterschiedliche Musikerinnen aus fuumlnf unterschiedlichen Wohnungen einen Gottesdienst gestalten wird eine groszligartige Fuumllle von Talenten sichtbar

Dass Tradition uns Halt gibt war fuumlr mich besonders zu Ostern erlebbar Wie viel von meinem Glauben durch die gemein-samen Riten und die fixe Gottesdienstordnung der Osterfest-tage transportiert wird war fast erschreckend zu beobachten Ohne den Halt den der vorgefertigte Rahmen bietet war ich gezwungen das Mysterium der Auferstehung fuumlr mich allein noch einmal neu zu interpretieren Dies hat meine eigene Posi-tion gefestigt doch gleichzeitig differenziert sich meine Position immer weiter und der Anschluss an andere Menschen muss dann erst wieder gefunden werden

Die Suche nach Halt in einer unsicheren Zeit hat viele von uns in letzter Zeit auf unterschiedliche Wege gefuumlhrt Hoffentlich haben wir uns nicht zu weit voneinander und einem gemeinsa-men Diskurs entfernt und sind noch in der Lage die verschiede-nen Positionen zu einer konstruktiven Synthese zu bringen um die Zukunft gemeinsam produktiv zu gestalten

Wer in letzter Zeit Halt in der Beruumlhrung anderer suchte wer gehalten werden wollte hatte es nicht leicht Gerade geliebten Personen kam man besser nicht zu nahe wer will schon fuumlr die Erkrankung eines Angehoumlrigen verantwortlich sein Physische Naumlhe als Halt fiel also aus Naumlhe laumlsst sich auch anders erzeu-gen haben wir alle gelernt Man kann online Spiele- und Film-abende machen Gedanken und Gefuumlhle auch bei Skype-Tref-fen austauschen Manche Beziehungen intensivierten sich da Distanz auf einmal keine so groszlige Rolle mehr zu spielen schien Andere flachten ab und muumlssen irgendwann neu mit Leben gefuumlllt werden Auch wenn man sich online nah sein kann der Halt den eine Umarmung guter Freunde uns gibt kann auf Dauer nicht ersetzt werden

Halt anderer Art bieten unterschiedliche politische Erzaumlhlun-gen Der ORF veroumlffentlichte jeden Abend die aktuellen Zahlen zur Pandemie Wie viele Menschen sind krank wie viele schon wieder gesund Wie viele liegen auf Intensivstationen wie viele Betten sind besetzt Das diffuse Gefuumlhl der Bedrohung wurde in Zahlen gegossen wurde messbar ndash wenn die richtigen Para-meter erfasst wurden Wenn man bdquoden Behoumlrdenldquo vertrauen konnte die Zahlen korrekt zu erfassen Was den einen Halt gab weil es die Pandemie beherrschbar und politische Maszlignahmen moumlglich machte war anderen ein steter Quell der Skepsis Sie suchten Halt bei Gegenpropheten die unterschiedliche andere Interpretationen der Wirklichkeit zur Verfuumlgung stellten Den unterschiedlichen Erzaumlhlungen ist gemeinsam dass sie fuumlr sich beanspruchen die Wirklichkeit zu erklaumlren bdquodie Wahrheitldquo zu sagen und so den Menschen Halt zu bieten

Auch religioumlses Erleben bietet Halt Gerade waumlhrend der Pan-demie waren allerdings die traditionellen Arten der religioumlsen Glaubenspraxis eingeschraumlnkt Gemeinsames Gottesdienstfeiern war physisch nicht moumlglich Durch WhatsApp-Gruppen und Online-Gottesdienste wurde versucht diesen Wegfall zu kom-pensieren trotzdem fehlte oft die Struktur die in dem neuen Medium erst entwickelt werden musste Die besten Zoom-Gottesdienste der Katholischen Hochschulgemeinde gab es im zweiten Lockdown als alle sich schon ein wenig an die Rahmen-bedingungen gewoumlhnt hatten und man anfing die Moumlglichkei-ten die diese Art der Gestaltung bietet zu nutzen Wenn fuumlnf

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen

schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegeben

Von Agnes Hobiger

Agnes Hobiger geb 1993 in Graz Sie studiert an der Karl-Franzens-Universitaumlt Chemie und Deutsch

auf Lehramt Von 2015ndash2018 Vorsitzende der Katholischen Hochschuljugend Oumlsterreichs

Denken+Glauben-Redaktionsmitglied Foto privat

4 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

We-ness zwischen Singularitaumlt Solidaritaumlt und UniversalitaumltVon Martin Duumlrnberger

Was haumllt uns noch zusammen

Was haumllt uns noch zusammen Eine solche Frage ist uumlblicherweise Symptom einer Krise So fragt man wenn die Beziehung zerruumlttet der Sportverein zerstritten und die Pfarrgemeinde sich fremd geworden ist Dann steht Klaumlrungsarbeit an Was ist es was uns noch verbindet ndash und reicht das fuumlr eine gemeinsame Zukunft Zweifel-los sind Fragen wie diese Kinder einer Moderne in der Herkunft und Tradition nicht mehr vorspuren ob und auf welche Weise wir mit wem zusammengehoumlren -leben und -arbeiten dennoch gewinnen sie aktuell im Kon-text globaler Herausforderungen vielleicht besonders an Fahrt Gleich ob Klimawandel Pandemiebekaumlmpfung oder Migration ndash ohne kooperative Anstrengung und Gemeinschaftssinn ohne das Wir lassen sich solche Her-ausforderungen nicht bewaumlltigen Das sinnt uns Reflexi-onen auf die Ressource Solidaritaumlt ebenso wie auf ihren Verschleiszlig an der folgende Beitrag will das in einem sehr bescheidenden Rahmen versuchen

Thomas vs Thomas Ist der Mensch des Menschen Wolf oder FreundStellen wir die Frage nach sozialem Zusammenhalt auf dem okzidentalen Denkpfad (Juumlrgen Habermas) in einer grundsaumltzlichen Weise finden wir unterschiedliche Spuren Sinnbildlich dafuumlr stehen zwei Thomasse Vom englischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes stammt die Uumlberlegung dass der Mensch sich im vorgesellschaftlichen Naturzustand in einem bellum omnium in omnes befinde ndash der Mensch so die Formulie-rung in seinem Werk De Cive sei dem Menschen eben ein Wolf homo homini lupus Es ist einsichtig dass in einer so aufgesetzten Anthropologie Phaumlnomene der Solidaritaumlt als sekundaumlre gleichsam kulturelle Zaumlhmungseffekte zu interpretieren sind ndash was in Gewalt Neid und Missgunst gegen andere aufblitzt ist das Humanum in seinem bruta-len Naturzustand die Leistung der Kultur besteht darin diesen Zustand durch die Macht sozialer Institutionen einzuhegen Demgegenuumlber steht bei Thomas von Aquin in der Spur des Aristoteles eine erkennbar andere Perspek-tive naturaliter homo homini amicus schreibt er Mitte des 13 Jahrhunderts etwa in der Summa contra Gentiles und zeichnet das Verhaumlltnis von Mensch und Mitmensch damit als von Natur aus freundschaftlich ndash der Mensch ist des anderen Menschen Freund Auch die Pointe dieser

Position fuumlr unsere Frage ist unmittelbar klar Wenn der Mensch von Grund auf kooperativ ist liegt es nahe Unfair-ness und Egoismus tendenziell als pathologische Entfrem-dungseffekte zu deuten in denen der Mensch gegen seine urspruumlnglich kooperative Natur handelt

Nun wird man diese schablonenhafte Gegenuumlberstellung aus gutem Grund kritisieren Zum einen sind selbst Feinde zu stabilen Vertraumlgen und auch Freunde zu heftigen Kon-flikten faumlhig zum anderen ist die Plastizitaumlt der bdquomensch-lichen Naturldquo so erstaunlich dass die Rede von bdquoNaturzu-staumlndenldquo keinen klaren methodischen Sinn hat ndash zu fein ist das Zusammenspiel von Natur und Kultur wenn es um den homo sapiens geht zudem ist fragwuumlrdig wie sinnvoll spekulative Anthropologien sind seien sie philosophisch oder theologisch angelegt Dennoch ist das skizzierte Tho-mas-Problem als solches ndash Wie sollen wir den Menschen verstehen als grundlegend kooperativ und solidarisch oder als selbstbezuumlglich und egoistisch ndash damit nicht ad acta gelegt Die grundsaumltzliche Frage nach dem Menschen und seinen Dispositionen zu Kooperativitaumlt ist ja auch dann noch von Interesse wenn man nicht mehr von bdquoNaturzu-staumlndenldquo spricht und eher empirisch vorgeht gerade hier hat in den letzten Jahrzehnten ndash wenn man sich erlaubt die Namensaumlhnlichkeit als Bruumlcke zu nutzen ndash gleichsam ein dritter Thomas aufschlussreiche Forschungen vorgelegt der US-amerikanische Anthropologe Michael Tomasello

Michael Tomasello Warum wir kooperierenTomasello der am Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) fuumlr Evolutionaumlre Anthropologie forschte ist vor allem fuumlr seine Experimente bekannt in denen er das Verhalten von Affen mit jenem von Kleinkindern verglich ndash und zwar in einem Alter in dem noch keine massiven erzieherischen Lenkungseffekte zu erwarten sind Das grundlegende Phauml-nomen so schreibt Tomasello sei simpel bdquoKleinkinder im Alter zwischen 14 und 18 Monaten begegnen einem nicht verwandten Erwachsenen den sie erst wenige Momente zuvor kennengelernt haben Der Erwachsene steht vor einem kleinen Problem und die Kleinkinder helfen ihm es zu loumlsen Dabei tun sie alles Moumlgliche vom Herbeiholen nicht erreichbarer Gegenstaumlnde bis hin zum Oumlffnen von Schranktuumlren wenn der Erwachsene keine Hand frei hat In einer Studie halfen 22 von 24 untersuchten Kindern

5Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

in mindestens einem Fall und dies praktisch sofortldquo so Tomasello Nicht nur die Disposition zur Hilfe sondern vor allem auch zur Weitergabe von Informationen sowie zum Teilen laumlsst sich auf diese Weise anders als bei Affen bereits bei Kleinkindern nachweisen in diesem Sinn spricht Tomasello von einer we-ness einem bdquoWir-Gefuumlhlldquo das sich beim Menschen fruumlh zeige ndash Zusammenhalt Kooperation und Solidaritaumlt sind in dieser Perspektive weniger Gegenstand unserer Entscheidungen sondern evolutionaumlr bedingte Medien unseres Mensch-Seins Kooperation ist gleichsam das Wasser in dem das Fisch-lein Mensch immer schon schwimmt

Auch wenn sich Tomasellos Ergebnisse wie eine glatte Bestaumltigung des homo homini amicus ausnehmen darf nicht uumlbersehen werden dass inmitten der sozialen Inter-aktionen von Kindern nicht weniger bdquonatuumlrlichldquo (wenn man das Vokabel erlaubt) ein weiterer Prozess einsetzt Anfangs so Tomasello seien Kinder zwar bdquozum Helfen und zur Kooperation veranlagt Dann aber lernen sie selektiv zu helfen zu informieren und zu teilenldquo ndash und zwar gemaumlszlig der tit for tat-Strategie Man kooperiert langfristig

nun mal eher mit jenen die ebenfalls kooperativ sind und einen nicht staumlndig uumlbervorteilen ndash die allgemeine we-ness wird gewissermaszligen spezifiziert (man denke nur an die Bildung von Banden im Kindergarten) Der Fak-tor Fairness dessen Bedeutung hier hervorblitzt und den spieltheoretische Untersuchungen weiter erhellen koumlnnen ist hier ebenso relevant wie der Faktor Vertrauen Das eigene Handeln ist nicht ohne Zeitindex mit dem Handeln anderer verbunden sondern haumlngt va auch davon ab wel-ches zukuumlnftige Handeln man vom Gegenuumlber erwartet bzw glaubwuumlrdig erwarten darf Wenig uumlberraschend sind deshalb Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit fuumlr Koopera-tion unabdingbar Wo beides erodiert wird Kooperation schwierig und das Wir-Gefuumlhl zerreiszligt In diesem Sinn bilden Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit das feine Gewebe das sozialen Zusammenhalt ausmacht

Gerade diese letzten Beobachtungen sind Bruumlcken um von grundlegenden anthropologischen zu konkreten zeit-diagnostischen Reflexionen zu gelangen sie legen naumlm-lich nahe dass we-ness und Kooperation Solidaritaumlt und Zusammenhalt nicht einfach (evolutionaumlr grundgelegte

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 4: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

2 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Erstaunlich war fuumlr mich wie rasch die gute geoumllte Wirtschaft von deren Wirken das Gelingen der Gesellschaft abzuhaumlngen schien zum Halten gebracht werden konnte Fuumlr kurze Zeit schien eine andere Gesellschaft moumlglich sozialer ruumlcksichtsvol-ler der Schoumlpfung mehr zugewandt leiser und bewusster Wenn man diese Pandemie als Erfahrung einer Notbremsung sehen kann ist es auch interessant welche Haltegriffe man in der Not in der Naumlhe zur Verfuumlgung hat Eine ruhige Fahrt kann auch in Zukunft nicht garantiert werden deshalb sollten gute Halte-griffe auch spiritueller Art gesucht werden Es bleibt zu hoffen dass die neue Normalitaumlt nicht die alte wird Ein bloszliges Nachho-len dessen was man nicht konsumieren erleben oder produzie-ren konnte wuumlrde den Lerngewinn dieser Zeit vernichten

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegebenVon Franz Wallner

Franz Wallnergeb 1949 in Graz studierte Theologie und

Mathematik in Graz und Regensburg wirkte als Pastoralassistent ua an der KHG Graz

als Professor an der KPH Graz bis heute aktiver Diakon und Krankenhausseelsorger

Foto privat

Am letzten Tag vor dem Lockdown einem Sonntag wollte ich nach Wien fahren Wir hatten die Bahnkarten schon laumlnger gekauft und es reizte mich die voumlllig unerwartete Gelegenheit eine Groszligstadt knapp vor dem bdquoHerunterfahrenldquo zu erleben Unsere erwachsenen Kinder eigentlich eher relaxt rieten uns ungewohnt heftig davon ab Wir sind dann nicht nach Wien gefahren Es war fuumlr mich aber doch eine besondere Erfahrung wie sehr mein Empfinden sich von der Wahrnehmung der juumln-geren Generation unterschied Unterschiedliche Wahrnehmun-gen bei nahen Menschen wurden mir bewusst denn ich habe mich nicht als bdquovulnerabelldquo empfunden Es war ein erstes bdquoHaltldquo fuumlr mich und zugleich das Gefuumlhl einer allgemeinen Angst-erfahrung ausgeloumlst durch einen unheimlichen Virus Ich hatte bereits vor einigen Jahren ein Buch uumlber die Pest gelesen in dem geschildert wurde wie sehr die Angst vor dieser Krankheit die Gesellschaft veraumlndert hatte Weitere Seuchen waumlren zu befuumlrch-ten war da zu lesen Doch unsere Welt scheint sehr vergesslich trotz Spanischer Grippe Ebola SARS Pocken Mers ua

Die Pandemie ausgeloumlst durch Corona hat auch unsere Gesell-schaft veraumlndert Wir wurden eindruumlcklich an die Verletzlich-keit unseres Lebens erinnert Es war eine globale Erfahrung dass nicht nur die Armen dieser Welt betroffen sein koumlnnen Geld und Reichtum nicht schuumltzen koumlnnen Es war eine schier pro-phetische Ermahnung dass vor dieser Krankheit alle Menschen gleich sind Irgendwie fanden sich Menschen in der Erfahrung einer Art von Gerechtigkeit vor dieser Krankheit

Wenn Fasten bedeutet eine neue Freiheit zu erleben dann haben viele Menschen genau diese Erfahrung gemacht Sie mussten ohne Dinge leben ohne die zu leben sie fuumlr unmoumlglich gehal-ten haben Manche Menschen haben auch aufgeatmet da ihnen aufgegangen ist es geht auch anders es muss nicht immer so wei-tergehen Der Theologe Johann Baptist Metz beschreibt in einer Kurzformel Religion als Unterbrechung Fuumlr mich hat unsere Gesellschaft eine solche religioumlse Erfahrung gemacht Sie hatte die Chance stehen zu bleiben ihren schnellen Lauf zu unterbrechen zuruumlckzuschauen nachzudenken uumlber den Kurs Es war auch die Moumlglichkeit Bilanz zu ziehen vielleicht auch zu warten auf die Langsamen Es war auch Zeit sich neu zu orientieren vielleicht auch die Herausforderungen der Klimaerwaumlrmung anzugehen

3Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

unterschiedliche Musikerinnen aus fuumlnf unterschiedlichen Wohnungen einen Gottesdienst gestalten wird eine groszligartige Fuumllle von Talenten sichtbar

Dass Tradition uns Halt gibt war fuumlr mich besonders zu Ostern erlebbar Wie viel von meinem Glauben durch die gemein-samen Riten und die fixe Gottesdienstordnung der Osterfest-tage transportiert wird war fast erschreckend zu beobachten Ohne den Halt den der vorgefertigte Rahmen bietet war ich gezwungen das Mysterium der Auferstehung fuumlr mich allein noch einmal neu zu interpretieren Dies hat meine eigene Posi-tion gefestigt doch gleichzeitig differenziert sich meine Position immer weiter und der Anschluss an andere Menschen muss dann erst wieder gefunden werden

Die Suche nach Halt in einer unsicheren Zeit hat viele von uns in letzter Zeit auf unterschiedliche Wege gefuumlhrt Hoffentlich haben wir uns nicht zu weit voneinander und einem gemeinsa-men Diskurs entfernt und sind noch in der Lage die verschiede-nen Positionen zu einer konstruktiven Synthese zu bringen um die Zukunft gemeinsam produktiv zu gestalten

Wer in letzter Zeit Halt in der Beruumlhrung anderer suchte wer gehalten werden wollte hatte es nicht leicht Gerade geliebten Personen kam man besser nicht zu nahe wer will schon fuumlr die Erkrankung eines Angehoumlrigen verantwortlich sein Physische Naumlhe als Halt fiel also aus Naumlhe laumlsst sich auch anders erzeu-gen haben wir alle gelernt Man kann online Spiele- und Film-abende machen Gedanken und Gefuumlhle auch bei Skype-Tref-fen austauschen Manche Beziehungen intensivierten sich da Distanz auf einmal keine so groszlige Rolle mehr zu spielen schien Andere flachten ab und muumlssen irgendwann neu mit Leben gefuumlllt werden Auch wenn man sich online nah sein kann der Halt den eine Umarmung guter Freunde uns gibt kann auf Dauer nicht ersetzt werden

Halt anderer Art bieten unterschiedliche politische Erzaumlhlun-gen Der ORF veroumlffentlichte jeden Abend die aktuellen Zahlen zur Pandemie Wie viele Menschen sind krank wie viele schon wieder gesund Wie viele liegen auf Intensivstationen wie viele Betten sind besetzt Das diffuse Gefuumlhl der Bedrohung wurde in Zahlen gegossen wurde messbar ndash wenn die richtigen Para-meter erfasst wurden Wenn man bdquoden Behoumlrdenldquo vertrauen konnte die Zahlen korrekt zu erfassen Was den einen Halt gab weil es die Pandemie beherrschbar und politische Maszlignahmen moumlglich machte war anderen ein steter Quell der Skepsis Sie suchten Halt bei Gegenpropheten die unterschiedliche andere Interpretationen der Wirklichkeit zur Verfuumlgung stellten Den unterschiedlichen Erzaumlhlungen ist gemeinsam dass sie fuumlr sich beanspruchen die Wirklichkeit zu erklaumlren bdquodie Wahrheitldquo zu sagen und so den Menschen Halt zu bieten

Auch religioumlses Erleben bietet Halt Gerade waumlhrend der Pan-demie waren allerdings die traditionellen Arten der religioumlsen Glaubenspraxis eingeschraumlnkt Gemeinsames Gottesdienstfeiern war physisch nicht moumlglich Durch WhatsApp-Gruppen und Online-Gottesdienste wurde versucht diesen Wegfall zu kom-pensieren trotzdem fehlte oft die Struktur die in dem neuen Medium erst entwickelt werden musste Die besten Zoom-Gottesdienste der Katholischen Hochschulgemeinde gab es im zweiten Lockdown als alle sich schon ein wenig an die Rahmen-bedingungen gewoumlhnt hatten und man anfing die Moumlglichkei-ten die diese Art der Gestaltung bietet zu nutzen Wenn fuumlnf

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen

schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegeben

Von Agnes Hobiger

Agnes Hobiger geb 1993 in Graz Sie studiert an der Karl-Franzens-Universitaumlt Chemie und Deutsch

auf Lehramt Von 2015ndash2018 Vorsitzende der Katholischen Hochschuljugend Oumlsterreichs

Denken+Glauben-Redaktionsmitglied Foto privat

4 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

We-ness zwischen Singularitaumlt Solidaritaumlt und UniversalitaumltVon Martin Duumlrnberger

Was haumllt uns noch zusammen

Was haumllt uns noch zusammen Eine solche Frage ist uumlblicherweise Symptom einer Krise So fragt man wenn die Beziehung zerruumlttet der Sportverein zerstritten und die Pfarrgemeinde sich fremd geworden ist Dann steht Klaumlrungsarbeit an Was ist es was uns noch verbindet ndash und reicht das fuumlr eine gemeinsame Zukunft Zweifel-los sind Fragen wie diese Kinder einer Moderne in der Herkunft und Tradition nicht mehr vorspuren ob und auf welche Weise wir mit wem zusammengehoumlren -leben und -arbeiten dennoch gewinnen sie aktuell im Kon-text globaler Herausforderungen vielleicht besonders an Fahrt Gleich ob Klimawandel Pandemiebekaumlmpfung oder Migration ndash ohne kooperative Anstrengung und Gemeinschaftssinn ohne das Wir lassen sich solche Her-ausforderungen nicht bewaumlltigen Das sinnt uns Reflexi-onen auf die Ressource Solidaritaumlt ebenso wie auf ihren Verschleiszlig an der folgende Beitrag will das in einem sehr bescheidenden Rahmen versuchen

Thomas vs Thomas Ist der Mensch des Menschen Wolf oder FreundStellen wir die Frage nach sozialem Zusammenhalt auf dem okzidentalen Denkpfad (Juumlrgen Habermas) in einer grundsaumltzlichen Weise finden wir unterschiedliche Spuren Sinnbildlich dafuumlr stehen zwei Thomasse Vom englischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes stammt die Uumlberlegung dass der Mensch sich im vorgesellschaftlichen Naturzustand in einem bellum omnium in omnes befinde ndash der Mensch so die Formulie-rung in seinem Werk De Cive sei dem Menschen eben ein Wolf homo homini lupus Es ist einsichtig dass in einer so aufgesetzten Anthropologie Phaumlnomene der Solidaritaumlt als sekundaumlre gleichsam kulturelle Zaumlhmungseffekte zu interpretieren sind ndash was in Gewalt Neid und Missgunst gegen andere aufblitzt ist das Humanum in seinem bruta-len Naturzustand die Leistung der Kultur besteht darin diesen Zustand durch die Macht sozialer Institutionen einzuhegen Demgegenuumlber steht bei Thomas von Aquin in der Spur des Aristoteles eine erkennbar andere Perspek-tive naturaliter homo homini amicus schreibt er Mitte des 13 Jahrhunderts etwa in der Summa contra Gentiles und zeichnet das Verhaumlltnis von Mensch und Mitmensch damit als von Natur aus freundschaftlich ndash der Mensch ist des anderen Menschen Freund Auch die Pointe dieser

Position fuumlr unsere Frage ist unmittelbar klar Wenn der Mensch von Grund auf kooperativ ist liegt es nahe Unfair-ness und Egoismus tendenziell als pathologische Entfrem-dungseffekte zu deuten in denen der Mensch gegen seine urspruumlnglich kooperative Natur handelt

Nun wird man diese schablonenhafte Gegenuumlberstellung aus gutem Grund kritisieren Zum einen sind selbst Feinde zu stabilen Vertraumlgen und auch Freunde zu heftigen Kon-flikten faumlhig zum anderen ist die Plastizitaumlt der bdquomensch-lichen Naturldquo so erstaunlich dass die Rede von bdquoNaturzu-staumlndenldquo keinen klaren methodischen Sinn hat ndash zu fein ist das Zusammenspiel von Natur und Kultur wenn es um den homo sapiens geht zudem ist fragwuumlrdig wie sinnvoll spekulative Anthropologien sind seien sie philosophisch oder theologisch angelegt Dennoch ist das skizzierte Tho-mas-Problem als solches ndash Wie sollen wir den Menschen verstehen als grundlegend kooperativ und solidarisch oder als selbstbezuumlglich und egoistisch ndash damit nicht ad acta gelegt Die grundsaumltzliche Frage nach dem Menschen und seinen Dispositionen zu Kooperativitaumlt ist ja auch dann noch von Interesse wenn man nicht mehr von bdquoNaturzu-staumlndenldquo spricht und eher empirisch vorgeht gerade hier hat in den letzten Jahrzehnten ndash wenn man sich erlaubt die Namensaumlhnlichkeit als Bruumlcke zu nutzen ndash gleichsam ein dritter Thomas aufschlussreiche Forschungen vorgelegt der US-amerikanische Anthropologe Michael Tomasello

Michael Tomasello Warum wir kooperierenTomasello der am Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) fuumlr Evolutionaumlre Anthropologie forschte ist vor allem fuumlr seine Experimente bekannt in denen er das Verhalten von Affen mit jenem von Kleinkindern verglich ndash und zwar in einem Alter in dem noch keine massiven erzieherischen Lenkungseffekte zu erwarten sind Das grundlegende Phauml-nomen so schreibt Tomasello sei simpel bdquoKleinkinder im Alter zwischen 14 und 18 Monaten begegnen einem nicht verwandten Erwachsenen den sie erst wenige Momente zuvor kennengelernt haben Der Erwachsene steht vor einem kleinen Problem und die Kleinkinder helfen ihm es zu loumlsen Dabei tun sie alles Moumlgliche vom Herbeiholen nicht erreichbarer Gegenstaumlnde bis hin zum Oumlffnen von Schranktuumlren wenn der Erwachsene keine Hand frei hat In einer Studie halfen 22 von 24 untersuchten Kindern

5Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

in mindestens einem Fall und dies praktisch sofortldquo so Tomasello Nicht nur die Disposition zur Hilfe sondern vor allem auch zur Weitergabe von Informationen sowie zum Teilen laumlsst sich auf diese Weise anders als bei Affen bereits bei Kleinkindern nachweisen in diesem Sinn spricht Tomasello von einer we-ness einem bdquoWir-Gefuumlhlldquo das sich beim Menschen fruumlh zeige ndash Zusammenhalt Kooperation und Solidaritaumlt sind in dieser Perspektive weniger Gegenstand unserer Entscheidungen sondern evolutionaumlr bedingte Medien unseres Mensch-Seins Kooperation ist gleichsam das Wasser in dem das Fisch-lein Mensch immer schon schwimmt

Auch wenn sich Tomasellos Ergebnisse wie eine glatte Bestaumltigung des homo homini amicus ausnehmen darf nicht uumlbersehen werden dass inmitten der sozialen Inter-aktionen von Kindern nicht weniger bdquonatuumlrlichldquo (wenn man das Vokabel erlaubt) ein weiterer Prozess einsetzt Anfangs so Tomasello seien Kinder zwar bdquozum Helfen und zur Kooperation veranlagt Dann aber lernen sie selektiv zu helfen zu informieren und zu teilenldquo ndash und zwar gemaumlszlig der tit for tat-Strategie Man kooperiert langfristig

nun mal eher mit jenen die ebenfalls kooperativ sind und einen nicht staumlndig uumlbervorteilen ndash die allgemeine we-ness wird gewissermaszligen spezifiziert (man denke nur an die Bildung von Banden im Kindergarten) Der Fak-tor Fairness dessen Bedeutung hier hervorblitzt und den spieltheoretische Untersuchungen weiter erhellen koumlnnen ist hier ebenso relevant wie der Faktor Vertrauen Das eigene Handeln ist nicht ohne Zeitindex mit dem Handeln anderer verbunden sondern haumlngt va auch davon ab wel-ches zukuumlnftige Handeln man vom Gegenuumlber erwartet bzw glaubwuumlrdig erwarten darf Wenig uumlberraschend sind deshalb Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit fuumlr Koopera-tion unabdingbar Wo beides erodiert wird Kooperation schwierig und das Wir-Gefuumlhl zerreiszligt In diesem Sinn bilden Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit das feine Gewebe das sozialen Zusammenhalt ausmacht

Gerade diese letzten Beobachtungen sind Bruumlcken um von grundlegenden anthropologischen zu konkreten zeit-diagnostischen Reflexionen zu gelangen sie legen naumlm-lich nahe dass we-ness und Kooperation Solidaritaumlt und Zusammenhalt nicht einfach (evolutionaumlr grundgelegte

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 5: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

3Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

unterschiedliche Musikerinnen aus fuumlnf unterschiedlichen Wohnungen einen Gottesdienst gestalten wird eine groszligartige Fuumllle von Talenten sichtbar

Dass Tradition uns Halt gibt war fuumlr mich besonders zu Ostern erlebbar Wie viel von meinem Glauben durch die gemein-samen Riten und die fixe Gottesdienstordnung der Osterfest-tage transportiert wird war fast erschreckend zu beobachten Ohne den Halt den der vorgefertigte Rahmen bietet war ich gezwungen das Mysterium der Auferstehung fuumlr mich allein noch einmal neu zu interpretieren Dies hat meine eigene Posi-tion gefestigt doch gleichzeitig differenziert sich meine Position immer weiter und der Anschluss an andere Menschen muss dann erst wieder gefunden werden

Die Suche nach Halt in einer unsicheren Zeit hat viele von uns in letzter Zeit auf unterschiedliche Wege gefuumlhrt Hoffentlich haben wir uns nicht zu weit voneinander und einem gemeinsa-men Diskurs entfernt und sind noch in der Lage die verschiede-nen Positionen zu einer konstruktiven Synthese zu bringen um die Zukunft gemeinsam produktiv zu gestalten

Wer in letzter Zeit Halt in der Beruumlhrung anderer suchte wer gehalten werden wollte hatte es nicht leicht Gerade geliebten Personen kam man besser nicht zu nahe wer will schon fuumlr die Erkrankung eines Angehoumlrigen verantwortlich sein Physische Naumlhe als Halt fiel also aus Naumlhe laumlsst sich auch anders erzeu-gen haben wir alle gelernt Man kann online Spiele- und Film-abende machen Gedanken und Gefuumlhle auch bei Skype-Tref-fen austauschen Manche Beziehungen intensivierten sich da Distanz auf einmal keine so groszlige Rolle mehr zu spielen schien Andere flachten ab und muumlssen irgendwann neu mit Leben gefuumlllt werden Auch wenn man sich online nah sein kann der Halt den eine Umarmung guter Freunde uns gibt kann auf Dauer nicht ersetzt werden

Halt anderer Art bieten unterschiedliche politische Erzaumlhlun-gen Der ORF veroumlffentlichte jeden Abend die aktuellen Zahlen zur Pandemie Wie viele Menschen sind krank wie viele schon wieder gesund Wie viele liegen auf Intensivstationen wie viele Betten sind besetzt Das diffuse Gefuumlhl der Bedrohung wurde in Zahlen gegossen wurde messbar ndash wenn die richtigen Para-meter erfasst wurden Wenn man bdquoden Behoumlrdenldquo vertrauen konnte die Zahlen korrekt zu erfassen Was den einen Halt gab weil es die Pandemie beherrschbar und politische Maszlignahmen moumlglich machte war anderen ein steter Quell der Skepsis Sie suchten Halt bei Gegenpropheten die unterschiedliche andere Interpretationen der Wirklichkeit zur Verfuumlgung stellten Den unterschiedlichen Erzaumlhlungen ist gemeinsam dass sie fuumlr sich beanspruchen die Wirklichkeit zu erklaumlren bdquodie Wahrheitldquo zu sagen und so den Menschen Halt zu bieten

Auch religioumlses Erleben bietet Halt Gerade waumlhrend der Pan-demie waren allerdings die traditionellen Arten der religioumlsen Glaubenspraxis eingeschraumlnkt Gemeinsames Gottesdienstfeiern war physisch nicht moumlglich Durch WhatsApp-Gruppen und Online-Gottesdienste wurde versucht diesen Wegfall zu kom-pensieren trotzdem fehlte oft die Struktur die in dem neuen Medium erst entwickelt werden musste Die besten Zoom-Gottesdienste der Katholischen Hochschulgemeinde gab es im zweiten Lockdown als alle sich schon ein wenig an die Rahmen-bedingungen gewoumlhnt hatten und man anfing die Moumlglichkei-ten die diese Art der Gestaltung bietet zu nutzen Wenn fuumlnf

GegenseitigkeitenDie Krisen der letzten Jahre haben unsere gesellschaftlichen Sollbruchstellen

schonungslos freigelegt ndash wo hingegen hat es Zusammenhalt wo hat es Halt gegeben

Von Agnes Hobiger

Agnes Hobiger geb 1993 in Graz Sie studiert an der Karl-Franzens-Universitaumlt Chemie und Deutsch

auf Lehramt Von 2015ndash2018 Vorsitzende der Katholischen Hochschuljugend Oumlsterreichs

Denken+Glauben-Redaktionsmitglied Foto privat

4 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

We-ness zwischen Singularitaumlt Solidaritaumlt und UniversalitaumltVon Martin Duumlrnberger

Was haumllt uns noch zusammen

Was haumllt uns noch zusammen Eine solche Frage ist uumlblicherweise Symptom einer Krise So fragt man wenn die Beziehung zerruumlttet der Sportverein zerstritten und die Pfarrgemeinde sich fremd geworden ist Dann steht Klaumlrungsarbeit an Was ist es was uns noch verbindet ndash und reicht das fuumlr eine gemeinsame Zukunft Zweifel-los sind Fragen wie diese Kinder einer Moderne in der Herkunft und Tradition nicht mehr vorspuren ob und auf welche Weise wir mit wem zusammengehoumlren -leben und -arbeiten dennoch gewinnen sie aktuell im Kon-text globaler Herausforderungen vielleicht besonders an Fahrt Gleich ob Klimawandel Pandemiebekaumlmpfung oder Migration ndash ohne kooperative Anstrengung und Gemeinschaftssinn ohne das Wir lassen sich solche Her-ausforderungen nicht bewaumlltigen Das sinnt uns Reflexi-onen auf die Ressource Solidaritaumlt ebenso wie auf ihren Verschleiszlig an der folgende Beitrag will das in einem sehr bescheidenden Rahmen versuchen

Thomas vs Thomas Ist der Mensch des Menschen Wolf oder FreundStellen wir die Frage nach sozialem Zusammenhalt auf dem okzidentalen Denkpfad (Juumlrgen Habermas) in einer grundsaumltzlichen Weise finden wir unterschiedliche Spuren Sinnbildlich dafuumlr stehen zwei Thomasse Vom englischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes stammt die Uumlberlegung dass der Mensch sich im vorgesellschaftlichen Naturzustand in einem bellum omnium in omnes befinde ndash der Mensch so die Formulie-rung in seinem Werk De Cive sei dem Menschen eben ein Wolf homo homini lupus Es ist einsichtig dass in einer so aufgesetzten Anthropologie Phaumlnomene der Solidaritaumlt als sekundaumlre gleichsam kulturelle Zaumlhmungseffekte zu interpretieren sind ndash was in Gewalt Neid und Missgunst gegen andere aufblitzt ist das Humanum in seinem bruta-len Naturzustand die Leistung der Kultur besteht darin diesen Zustand durch die Macht sozialer Institutionen einzuhegen Demgegenuumlber steht bei Thomas von Aquin in der Spur des Aristoteles eine erkennbar andere Perspek-tive naturaliter homo homini amicus schreibt er Mitte des 13 Jahrhunderts etwa in der Summa contra Gentiles und zeichnet das Verhaumlltnis von Mensch und Mitmensch damit als von Natur aus freundschaftlich ndash der Mensch ist des anderen Menschen Freund Auch die Pointe dieser

Position fuumlr unsere Frage ist unmittelbar klar Wenn der Mensch von Grund auf kooperativ ist liegt es nahe Unfair-ness und Egoismus tendenziell als pathologische Entfrem-dungseffekte zu deuten in denen der Mensch gegen seine urspruumlnglich kooperative Natur handelt

Nun wird man diese schablonenhafte Gegenuumlberstellung aus gutem Grund kritisieren Zum einen sind selbst Feinde zu stabilen Vertraumlgen und auch Freunde zu heftigen Kon-flikten faumlhig zum anderen ist die Plastizitaumlt der bdquomensch-lichen Naturldquo so erstaunlich dass die Rede von bdquoNaturzu-staumlndenldquo keinen klaren methodischen Sinn hat ndash zu fein ist das Zusammenspiel von Natur und Kultur wenn es um den homo sapiens geht zudem ist fragwuumlrdig wie sinnvoll spekulative Anthropologien sind seien sie philosophisch oder theologisch angelegt Dennoch ist das skizzierte Tho-mas-Problem als solches ndash Wie sollen wir den Menschen verstehen als grundlegend kooperativ und solidarisch oder als selbstbezuumlglich und egoistisch ndash damit nicht ad acta gelegt Die grundsaumltzliche Frage nach dem Menschen und seinen Dispositionen zu Kooperativitaumlt ist ja auch dann noch von Interesse wenn man nicht mehr von bdquoNaturzu-staumlndenldquo spricht und eher empirisch vorgeht gerade hier hat in den letzten Jahrzehnten ndash wenn man sich erlaubt die Namensaumlhnlichkeit als Bruumlcke zu nutzen ndash gleichsam ein dritter Thomas aufschlussreiche Forschungen vorgelegt der US-amerikanische Anthropologe Michael Tomasello

Michael Tomasello Warum wir kooperierenTomasello der am Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) fuumlr Evolutionaumlre Anthropologie forschte ist vor allem fuumlr seine Experimente bekannt in denen er das Verhalten von Affen mit jenem von Kleinkindern verglich ndash und zwar in einem Alter in dem noch keine massiven erzieherischen Lenkungseffekte zu erwarten sind Das grundlegende Phauml-nomen so schreibt Tomasello sei simpel bdquoKleinkinder im Alter zwischen 14 und 18 Monaten begegnen einem nicht verwandten Erwachsenen den sie erst wenige Momente zuvor kennengelernt haben Der Erwachsene steht vor einem kleinen Problem und die Kleinkinder helfen ihm es zu loumlsen Dabei tun sie alles Moumlgliche vom Herbeiholen nicht erreichbarer Gegenstaumlnde bis hin zum Oumlffnen von Schranktuumlren wenn der Erwachsene keine Hand frei hat In einer Studie halfen 22 von 24 untersuchten Kindern

5Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

in mindestens einem Fall und dies praktisch sofortldquo so Tomasello Nicht nur die Disposition zur Hilfe sondern vor allem auch zur Weitergabe von Informationen sowie zum Teilen laumlsst sich auf diese Weise anders als bei Affen bereits bei Kleinkindern nachweisen in diesem Sinn spricht Tomasello von einer we-ness einem bdquoWir-Gefuumlhlldquo das sich beim Menschen fruumlh zeige ndash Zusammenhalt Kooperation und Solidaritaumlt sind in dieser Perspektive weniger Gegenstand unserer Entscheidungen sondern evolutionaumlr bedingte Medien unseres Mensch-Seins Kooperation ist gleichsam das Wasser in dem das Fisch-lein Mensch immer schon schwimmt

Auch wenn sich Tomasellos Ergebnisse wie eine glatte Bestaumltigung des homo homini amicus ausnehmen darf nicht uumlbersehen werden dass inmitten der sozialen Inter-aktionen von Kindern nicht weniger bdquonatuumlrlichldquo (wenn man das Vokabel erlaubt) ein weiterer Prozess einsetzt Anfangs so Tomasello seien Kinder zwar bdquozum Helfen und zur Kooperation veranlagt Dann aber lernen sie selektiv zu helfen zu informieren und zu teilenldquo ndash und zwar gemaumlszlig der tit for tat-Strategie Man kooperiert langfristig

nun mal eher mit jenen die ebenfalls kooperativ sind und einen nicht staumlndig uumlbervorteilen ndash die allgemeine we-ness wird gewissermaszligen spezifiziert (man denke nur an die Bildung von Banden im Kindergarten) Der Fak-tor Fairness dessen Bedeutung hier hervorblitzt und den spieltheoretische Untersuchungen weiter erhellen koumlnnen ist hier ebenso relevant wie der Faktor Vertrauen Das eigene Handeln ist nicht ohne Zeitindex mit dem Handeln anderer verbunden sondern haumlngt va auch davon ab wel-ches zukuumlnftige Handeln man vom Gegenuumlber erwartet bzw glaubwuumlrdig erwarten darf Wenig uumlberraschend sind deshalb Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit fuumlr Koopera-tion unabdingbar Wo beides erodiert wird Kooperation schwierig und das Wir-Gefuumlhl zerreiszligt In diesem Sinn bilden Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit das feine Gewebe das sozialen Zusammenhalt ausmacht

Gerade diese letzten Beobachtungen sind Bruumlcken um von grundlegenden anthropologischen zu konkreten zeit-diagnostischen Reflexionen zu gelangen sie legen naumlm-lich nahe dass we-ness und Kooperation Solidaritaumlt und Zusammenhalt nicht einfach (evolutionaumlr grundgelegte

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 6: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

4 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

We-ness zwischen Singularitaumlt Solidaritaumlt und UniversalitaumltVon Martin Duumlrnberger

Was haumllt uns noch zusammen

Was haumllt uns noch zusammen Eine solche Frage ist uumlblicherweise Symptom einer Krise So fragt man wenn die Beziehung zerruumlttet der Sportverein zerstritten und die Pfarrgemeinde sich fremd geworden ist Dann steht Klaumlrungsarbeit an Was ist es was uns noch verbindet ndash und reicht das fuumlr eine gemeinsame Zukunft Zweifel-los sind Fragen wie diese Kinder einer Moderne in der Herkunft und Tradition nicht mehr vorspuren ob und auf welche Weise wir mit wem zusammengehoumlren -leben und -arbeiten dennoch gewinnen sie aktuell im Kon-text globaler Herausforderungen vielleicht besonders an Fahrt Gleich ob Klimawandel Pandemiebekaumlmpfung oder Migration ndash ohne kooperative Anstrengung und Gemeinschaftssinn ohne das Wir lassen sich solche Her-ausforderungen nicht bewaumlltigen Das sinnt uns Reflexi-onen auf die Ressource Solidaritaumlt ebenso wie auf ihren Verschleiszlig an der folgende Beitrag will das in einem sehr bescheidenden Rahmen versuchen

Thomas vs Thomas Ist der Mensch des Menschen Wolf oder FreundStellen wir die Frage nach sozialem Zusammenhalt auf dem okzidentalen Denkpfad (Juumlrgen Habermas) in einer grundsaumltzlichen Weise finden wir unterschiedliche Spuren Sinnbildlich dafuumlr stehen zwei Thomasse Vom englischen Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes stammt die Uumlberlegung dass der Mensch sich im vorgesellschaftlichen Naturzustand in einem bellum omnium in omnes befinde ndash der Mensch so die Formulie-rung in seinem Werk De Cive sei dem Menschen eben ein Wolf homo homini lupus Es ist einsichtig dass in einer so aufgesetzten Anthropologie Phaumlnomene der Solidaritaumlt als sekundaumlre gleichsam kulturelle Zaumlhmungseffekte zu interpretieren sind ndash was in Gewalt Neid und Missgunst gegen andere aufblitzt ist das Humanum in seinem bruta-len Naturzustand die Leistung der Kultur besteht darin diesen Zustand durch die Macht sozialer Institutionen einzuhegen Demgegenuumlber steht bei Thomas von Aquin in der Spur des Aristoteles eine erkennbar andere Perspek-tive naturaliter homo homini amicus schreibt er Mitte des 13 Jahrhunderts etwa in der Summa contra Gentiles und zeichnet das Verhaumlltnis von Mensch und Mitmensch damit als von Natur aus freundschaftlich ndash der Mensch ist des anderen Menschen Freund Auch die Pointe dieser

Position fuumlr unsere Frage ist unmittelbar klar Wenn der Mensch von Grund auf kooperativ ist liegt es nahe Unfair-ness und Egoismus tendenziell als pathologische Entfrem-dungseffekte zu deuten in denen der Mensch gegen seine urspruumlnglich kooperative Natur handelt

Nun wird man diese schablonenhafte Gegenuumlberstellung aus gutem Grund kritisieren Zum einen sind selbst Feinde zu stabilen Vertraumlgen und auch Freunde zu heftigen Kon-flikten faumlhig zum anderen ist die Plastizitaumlt der bdquomensch-lichen Naturldquo so erstaunlich dass die Rede von bdquoNaturzu-staumlndenldquo keinen klaren methodischen Sinn hat ndash zu fein ist das Zusammenspiel von Natur und Kultur wenn es um den homo sapiens geht zudem ist fragwuumlrdig wie sinnvoll spekulative Anthropologien sind seien sie philosophisch oder theologisch angelegt Dennoch ist das skizzierte Tho-mas-Problem als solches ndash Wie sollen wir den Menschen verstehen als grundlegend kooperativ und solidarisch oder als selbstbezuumlglich und egoistisch ndash damit nicht ad acta gelegt Die grundsaumltzliche Frage nach dem Menschen und seinen Dispositionen zu Kooperativitaumlt ist ja auch dann noch von Interesse wenn man nicht mehr von bdquoNaturzu-staumlndenldquo spricht und eher empirisch vorgeht gerade hier hat in den letzten Jahrzehnten ndash wenn man sich erlaubt die Namensaumlhnlichkeit als Bruumlcke zu nutzen ndash gleichsam ein dritter Thomas aufschlussreiche Forschungen vorgelegt der US-amerikanische Anthropologe Michael Tomasello

Michael Tomasello Warum wir kooperierenTomasello der am Leipziger Max-Planck-Institut (MPI) fuumlr Evolutionaumlre Anthropologie forschte ist vor allem fuumlr seine Experimente bekannt in denen er das Verhalten von Affen mit jenem von Kleinkindern verglich ndash und zwar in einem Alter in dem noch keine massiven erzieherischen Lenkungseffekte zu erwarten sind Das grundlegende Phauml-nomen so schreibt Tomasello sei simpel bdquoKleinkinder im Alter zwischen 14 und 18 Monaten begegnen einem nicht verwandten Erwachsenen den sie erst wenige Momente zuvor kennengelernt haben Der Erwachsene steht vor einem kleinen Problem und die Kleinkinder helfen ihm es zu loumlsen Dabei tun sie alles Moumlgliche vom Herbeiholen nicht erreichbarer Gegenstaumlnde bis hin zum Oumlffnen von Schranktuumlren wenn der Erwachsene keine Hand frei hat In einer Studie halfen 22 von 24 untersuchten Kindern

5Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

in mindestens einem Fall und dies praktisch sofortldquo so Tomasello Nicht nur die Disposition zur Hilfe sondern vor allem auch zur Weitergabe von Informationen sowie zum Teilen laumlsst sich auf diese Weise anders als bei Affen bereits bei Kleinkindern nachweisen in diesem Sinn spricht Tomasello von einer we-ness einem bdquoWir-Gefuumlhlldquo das sich beim Menschen fruumlh zeige ndash Zusammenhalt Kooperation und Solidaritaumlt sind in dieser Perspektive weniger Gegenstand unserer Entscheidungen sondern evolutionaumlr bedingte Medien unseres Mensch-Seins Kooperation ist gleichsam das Wasser in dem das Fisch-lein Mensch immer schon schwimmt

Auch wenn sich Tomasellos Ergebnisse wie eine glatte Bestaumltigung des homo homini amicus ausnehmen darf nicht uumlbersehen werden dass inmitten der sozialen Inter-aktionen von Kindern nicht weniger bdquonatuumlrlichldquo (wenn man das Vokabel erlaubt) ein weiterer Prozess einsetzt Anfangs so Tomasello seien Kinder zwar bdquozum Helfen und zur Kooperation veranlagt Dann aber lernen sie selektiv zu helfen zu informieren und zu teilenldquo ndash und zwar gemaumlszlig der tit for tat-Strategie Man kooperiert langfristig

nun mal eher mit jenen die ebenfalls kooperativ sind und einen nicht staumlndig uumlbervorteilen ndash die allgemeine we-ness wird gewissermaszligen spezifiziert (man denke nur an die Bildung von Banden im Kindergarten) Der Fak-tor Fairness dessen Bedeutung hier hervorblitzt und den spieltheoretische Untersuchungen weiter erhellen koumlnnen ist hier ebenso relevant wie der Faktor Vertrauen Das eigene Handeln ist nicht ohne Zeitindex mit dem Handeln anderer verbunden sondern haumlngt va auch davon ab wel-ches zukuumlnftige Handeln man vom Gegenuumlber erwartet bzw glaubwuumlrdig erwarten darf Wenig uumlberraschend sind deshalb Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit fuumlr Koopera-tion unabdingbar Wo beides erodiert wird Kooperation schwierig und das Wir-Gefuumlhl zerreiszligt In diesem Sinn bilden Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit das feine Gewebe das sozialen Zusammenhalt ausmacht

Gerade diese letzten Beobachtungen sind Bruumlcken um von grundlegenden anthropologischen zu konkreten zeit-diagnostischen Reflexionen zu gelangen sie legen naumlm-lich nahe dass we-ness und Kooperation Solidaritaumlt und Zusammenhalt nicht einfach (evolutionaumlr grundgelegte

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 7: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

5Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

in mindestens einem Fall und dies praktisch sofortldquo so Tomasello Nicht nur die Disposition zur Hilfe sondern vor allem auch zur Weitergabe von Informationen sowie zum Teilen laumlsst sich auf diese Weise anders als bei Affen bereits bei Kleinkindern nachweisen in diesem Sinn spricht Tomasello von einer we-ness einem bdquoWir-Gefuumlhlldquo das sich beim Menschen fruumlh zeige ndash Zusammenhalt Kooperation und Solidaritaumlt sind in dieser Perspektive weniger Gegenstand unserer Entscheidungen sondern evolutionaumlr bedingte Medien unseres Mensch-Seins Kooperation ist gleichsam das Wasser in dem das Fisch-lein Mensch immer schon schwimmt

Auch wenn sich Tomasellos Ergebnisse wie eine glatte Bestaumltigung des homo homini amicus ausnehmen darf nicht uumlbersehen werden dass inmitten der sozialen Inter-aktionen von Kindern nicht weniger bdquonatuumlrlichldquo (wenn man das Vokabel erlaubt) ein weiterer Prozess einsetzt Anfangs so Tomasello seien Kinder zwar bdquozum Helfen und zur Kooperation veranlagt Dann aber lernen sie selektiv zu helfen zu informieren und zu teilenldquo ndash und zwar gemaumlszlig der tit for tat-Strategie Man kooperiert langfristig

nun mal eher mit jenen die ebenfalls kooperativ sind und einen nicht staumlndig uumlbervorteilen ndash die allgemeine we-ness wird gewissermaszligen spezifiziert (man denke nur an die Bildung von Banden im Kindergarten) Der Fak-tor Fairness dessen Bedeutung hier hervorblitzt und den spieltheoretische Untersuchungen weiter erhellen koumlnnen ist hier ebenso relevant wie der Faktor Vertrauen Das eigene Handeln ist nicht ohne Zeitindex mit dem Handeln anderer verbunden sondern haumlngt va auch davon ab wel-ches zukuumlnftige Handeln man vom Gegenuumlber erwartet bzw glaubwuumlrdig erwarten darf Wenig uumlberraschend sind deshalb Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit fuumlr Koopera-tion unabdingbar Wo beides erodiert wird Kooperation schwierig und das Wir-Gefuumlhl zerreiszligt In diesem Sinn bilden Vertrauen und Glaubwuumlrdigkeit das feine Gewebe das sozialen Zusammenhalt ausmacht

Gerade diese letzten Beobachtungen sind Bruumlcken um von grundlegenden anthropologischen zu konkreten zeit-diagnostischen Reflexionen zu gelangen sie legen naumlm-lich nahe dass we-ness und Kooperation Solidaritaumlt und Zusammenhalt nicht einfach (evolutionaumlr grundgelegte

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 8: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

6 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

nun robust wirksame) Dispositionen menschlichen Ver-haltens sind sondern dass diese Veranlagungen volatil sind Fehlen Bedingungen in denen beide Partner pro-fitieren (koumlnnen) adaptiert man in der Regel sein Ver-halten und dosiert sein kooperatives Engagement In welcher Weise ist unsere Kooperationsbereitschaft aber aktuell herausgefordert Ich beschraumlnke mich darauf nur zwei Uumlberlegungen einzuspielen

Herausforderungen Digitale Transformation und Gesellschaft der SingularitaumltenEine erste Herausforderung fuumlr alle Formen von Koope-ration und we-ness ist nicht erst das Problem von soge-nannten Trittbrettfahrern (ie von Akteurinnen die von Kooperation profitieren aber wenig beitragen) sondern bereits davor die menschliche Fehleranfaumllligkeit bzw ihr Angewiesen-Sein auf eine Infrastruktur hinreichend gegluumlckter Kommunikation Das Problem ist prima facie einsichtig Mitunter wollen wir einer in Wien umherirren-den Touristengruppe helfen unterliegen aber einem Miss-verstaumlndnis und schicken sie nach Hellbrunn ndash und nicht nach Schoumlnbrunn wie sie das eigentlich wollte Weil Faumllle wie diese immer wieder auftauchen muumlssen Netzwerke menschlicher Kooperation einen gewissen Grad an Fehlern und Fehlleistungen tolerieren Solange bestimmte Kipp-punkte nicht uumlberschritten sind tun wir das auch haben wir allerdings zu oft Informationen erhalten die sich als unklar unzuverlaumlssig oder falsch herausstellen oder ist die Glaubwuumlrdigkeit des Gegenuumlbers massiv beschaumldigt kippt der Vertrauens- in einen Misstrauensvorschuss insofern

Vertrauen ein inneres Moment von Kooperation ist wird damit auch diese von einem Vorbehalt affiziert Gerade dieser Mechanismus ist im Blick auf politische Kampag-nen in Zeiten von social media von Interesse Streuen von Geruumlchten und Attacken auf die Glaubwuumlrdigkeit politi-scher Gegner unterminieren systematisch jene we-ness die uumlber die eigene Partei hinausgeht Stephen Bannon hat dies 2018 lakonisch als bdquoflooding the zone with shitldquo beschrie-ben Es gehe darum Diskurs zu verhindern indem man die Oumlffentlichkeit mit Falschinformationen flutet und die Glaubwuumlrdigkeit des politischen Gegners attackiert Durch diese Form der Kommunikation entsteht eine Hal-tung allgemeiner Skepsis die laumlhmend wirkt Sie sediert auch die Bereitschaft zur Kooperation in der res publica bzw fuumlhrt dazu dass sich diese Bereitschaft auf ein kleine-res gleichsam tribales we zuruumlckzieht

Eine zweite Herausforderung kann man mit dem ver-binden was Andreas Reckwitz Gesellschaft der Singula-ritaumlten (2017) bezeichnet Er spricht dabei mit Blick auf die Spaumltmoderne von der bdquoExplosion des Besonderenldquo in der das Singulaumlre Exzeptionelle und Unvergleichliche zum entscheidenden Motiv eigener Lebensfuumlhrung wird Man sucht das besondere Vintage-Moumlbelstuumlck das zur eigenen Persoumlnlichkeit passt man will im Urlaub in die authentische Landeskultur jenseits des Massentourismus eintauchen und bei dem einen speziellen Weinbauern einkehren um einen unvergleichlichen Abend zu erleben zugleich schickt man seine Kids auf Schulen mit ganz ausgesuchten Schwerpunkten uvm Die eigene Identitaumlt will also nicht mehr in vorgefertigten Mustern bdquovon der Stangeldquo symbolisch ausdifferenziert werden sondern soll authentisch das je Eigene und Besondere zum Ausdruck

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 (2019) copy Akšamija

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 9: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

7Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

bringen eben diese Logik des Singulaumlren ist im Blick auf we-ness freilich ambig wie nicht zuletzt alle jene wissen die in Pfarrgemeinden Parteien oder NGOs arbeiten Natuumlrlich leben Zusammenhalt und -arbeit davon dass jeder je eigene Perspektiven und besondere Erfahrungen einbringt ndash aber zugleich brauchen sie Orientierung am Allgemeinen Perspektivenuumlbernahme und Kompromiss-bereitschaft Letztere ist in einer Kultur forcierter Authen-tizitaumlt und Singularitaumlt freilich strukturell als Problem markiert bdquoDonlsquot compromise yourself Youlsquore all youlsquove gotrdquo wie Janice Joplin gesagt hat

In diesem Sinnspruch liegt eine wichtige Einsicht Solida-ritaumlt und Gemeinschaft als oberste Werte auszuzeichnen und ihnen allgemeine Wahrheit sowie persoumlnliche Integ-ritaumlt unterzuordnen ist zutiefst inhuman wie nicht erst das 20 Jahrhundert gezeigt hat Solidaritaumlt kann einen Verblendungszusammenhang ausbilden und toxischen Korpsgeist erzeugen Zurecht haumllt Joplins Bonmot hier fest dass es nicht darum gehen kann sich zu verbiegen und alles mitzumachen aber damit ist umgekehrt noch nicht beantwortet wo Kompromisse sehr wohl sinnvoll sind Welche Kompromisse sind moumlglich ohne sich untreu zu werden oder Prinzipien zu verraten Was kann man solidarisch mittragen auch wenn man nicht hundertpro-zentig dahintersteht Und wie laumlsst sich unterscheiden wo eine bdquozweitbesteldquo Loumlsung legitim ist ndash und wo nicht

Unterscheiden wir die GeisterWir koumlnnen die hier noumltige Aufgabe einer Unterscheidung der Geister nicht weiter skizzieren sondern nur das Pro-blem markieren allerdings gibt die (Ignatius von Loyola

entlehnte) Formulierung zu erkennen wo vielleicht auch heute noch Ressourcen liegen um die Zuordnung von fruchtbarer we-ness authentischer Integritaumlt und univer-saler Wahrheit produktiv zu verhandeln Die christliche Glaubensgeschichte ist von Beginn an auch davon umge-trieben wie die Groumlszligen sinnvoll einander zuzuordnen sind Auch wenn Kirche immer wieder daran gescheitert und scheitert liefert etwa Paulus bis heute fruchtbare Per-spektiven In seinen Briefen laumlsst sich erkennen dass es nicht moumlglich ist das persoumlnlich individuelle Charisma gegen die universale Wahrheit des Evangeliums oder den konkreten Aufbau der Gemeinde zu stellen et vice versa ndash alle drei Groumlszligen verweisen wechselseitig aufein-ander Darin zeichnet sich eine Grammatik christlichen Nachdenkens uumlber Zusammenhalt ab auch wenn fuumlr sie gilt was fuumlr jede Grammatik gilt Sie erspart uns nicht eigene Saumltze zu formulieren Ob und auf welche Weise wir zeitgemaumlszlige Formen finden Singularitaumlt Solidaritaumlt und Universalitaumlt zu vermitteln ist uns damit nicht abge-nommen sondern aufgegeben

Foto Caputo

Martin Duumlrnberger geb 1980 in SteyrOOuml studierte ua Germanistik und katholische

Theologie in Salzburg danach war er ua wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Friedrich Wilhelm Graf (Muumlnchen) und

Hans Joachim Houmlhn (Koumlln) Aktuell ist er assoz Professor fuumlr Fundamen-

taltheologie und Oumlkumene an der Universitaumlt Salzburg sowie Leiter der

Salzburger Hochschulwochen

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 10: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

8 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Dichten wir das Leben um

bdquoDada ist die Sonne Dada ist das Ei Dada ist die Polizei der Polizeildquo

Kennen Sie dieses Gedicht Was mag sich Richard Huel-senbeck (1892 ndash 1974) dabei gedacht haben als er diese Worte schrieb In jedem Fall hinterlieszlig der 1892 geborene Psychoanalytiker Arzt Chronist und Lyriker damit so etwas wie eine Begriffserklaumlrung des Dadaismus oder bes-ser gesagt eine Nicht-Definition denn bdquoDadaldquo-Kunst lebt davon immer anders zu sein als von ihr erwartet wird

Konsequent dekonstruieren Wenn die Welt in Truumlmmer geht bietet der Dadaismus HaltVon Anna Maria Steiner

Gegen Agonie und TodestaumelZuumlrich im Jahr 1915 In der neutralen Schweiz treffen von allerorts kommende Pazifistinnen Kuumlnstlerinnen und Geflohene aufeinander ndash enttaumluscht zermuumlrbt und geschunden durch den Ersten Weltkrieg der wenige Jahre spaumlter 40 Millionen Tote und Verletzte hervorge-bracht haben wird Denjenigen von ihnen die sinnloser Gewalt dogmenverhaftetem Denken und einem nor-mierten Kunstbetrieb den Ruumlcken kehren wollen wird das bdquoCabaret Voltaireldquo zum intellektuellen Zufluchtsort

Brunnen eine Erfindung der syrischen Fluumlchtlinge dokumentiert im von Azra Akšamija und MIT Future Heritage Lab gefuumlhrten Workshop im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien Foto Akšamija

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 11: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

9Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Im Zentrum ihres kuumlnstlerischen Austauschs steht das Aufbrechen von Systemen In Lesungen Theaterstuumlcken und Performances wird alles was einengt kurzerhand begraben ja Es wird die Kunst selbst immer wieder von neuem in Frage gestellt Was bisher als Schoumlnheit galt wird durch satirische Uumlberspitzung abstrahiert In Theaterperformances inmitten einer oft ohrenbetaumluben-den Geraumluschkulisse wird gelesen rezitiert getanzt oder Musik gemacht ndash bdquovereint im Kampf gegen Agonie und Todestaumelldquo einer kriegsgetraumlnkten Zeit bdquo[Ein Dada-ist] weiszlig dass die Welt der Systeme in Truumlmmer ging und dass die auf Barzahlung draumlngende Zeit einen Ram-schausverkauf der entgoumltterten Philosophien eroumlffnet hat Wo fuumlr die Budenbesitzer der Schreck und das schlechte Gewissen beginnt da beginnt fuumlr den Dadaisten ein helles Gelaumlchter und eine milde Beguumltigungldquo haumllt der deutsche Literat Hugo Ball am 12 Juni 1916 in seinem Tagebuch fest Ball einer der maszliggeblichen Kuumlnstler innerhalb dieser Stroumlmung verfremdet Begriffe kreiert Worte neu und hebelt so die Ernsthaftigkeit gaumlngiger Dogmen aus Die Sinnlosigkeit von Krieg und scheinbarem Heldentum steht auch bei ihm im Mittelpunkt

O Groszligpapa o Graspopo (Hugo Ball)

O Groszligpapa o GraspopoWir sind bald wie wir sind bald woWir sind warum WeswegenDer Eduard zieht den DegenO Eduard steck den Degen einWas denkst Du dir denn dadabeilsquonDes morgens um halb fuumlnfeEr sagte nichts mehr dadaraufEr stuumltzt sich auf den DegenknaufUnd macht sich auf die Struumlmpfe

Konkrete PoesieDada das ist pausenloses Zerschlagen Aufbrechen und Dekonstruieren in Worten und Werken Keine Auffuumlh-rung im bdquoCabaret Voltaireldquo gleicht der anderen staumlndig werden Gedichte neu gelesen vom einen aufs andere Mal mit theatralischen Versatzstuumlcken erweitert wird von den Interpretinnen selbst dazwischengerufen und gejohlt wird Spiel getrieben mit Vokalen und Konsonanten Spaumlter Geborene denken in diesem Zusammenhang zurecht an die bdquoExperimentelle Lyrikldquo eines Ernst Jandl Auch hier ist es der Krieg ndash ein weiterer Weltkrieg ndash der haumlufig im Mittel-punkt des Schaffens steht und den der 1925 geborene und im Jahr 2000 verstorbene Oumlsterreicher miterleben muss Immer wieder findet die sinnlose Brutalitaumlt des Kampfes in Jandls bdquoKonkreter Poesieldquo ihren Ausdruck lautmale-risch und mitunter auf jeglichen Vokal verzichtend

schtzngrmm (Ernst Jandl)

schtzngrmmt-t-t-tt-t-t-tgrrrmmmmmt-t-t-tsmdashmdashcmdashmdashhtzngrmmtzngrmmtzngrmmgrrrmmmmmschtznschtznt-t-t-tt-t-t-tschtzngrmmschtzngrmmtsssssssssssssssgrrtgrrrrrtgrrrrrrrrrtsehtsehtt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehttzngrmmtzngrmmt-t-t-t-t-t-t-t-t-tsehtsehtgrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrt-tt

Dada-FrauenEin unbewohntes Schneckenhaus aus dem die Beine einer Eiskunstlaumluferin ranken Der Kopf eines Gelehr-ten in dessen Zentrum sich ein Frauenmund zum Kusse spitzt Ein Tierkorpus mit Gliedmaszligen eines Anzug-tragenden Menschen dahinter scheinbar wahllos anein-andergereihte Buchstaben Fotocollagen kennt man aus Kunst- und Zeichenunterricht wo wir dem Schulalltag entkommen und bewaffnet mit Schere oder Klebstoff kreativ sein duumlrfen Im ersten Drittel des 20 Jahrhun-derts wurde diese Technik groszlig mit den Arbeiten der deutschen Malerin Grafikerin und Collagistin Hannah Houmlch einer der spaumlrlich gesaumlten Vertreterinnen des Dada Deutschlands Ihre Landsfrau die Performance-kuumlnstlerin und Liedermacherin AnniKa von Trier zollt

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 12: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

10 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Hannah Houmlch im Jahr 2016 noch Tribut ndash mit Diptam Dada Digitalis oder Ich will mein Loumlwenmaumlulchen nicht halten

Oh da laumlutet das Maigloumlckchen [hellip]Willkommen in meinem Hauswurz Ich freu mich immer so wenn Studentenblumen kommenWo hast du denn Margerite gelassenDu siehst ja wieder aus wie eine Edelrose [hellip]Heute gablsquos Blauregen doch jetzt scheint wieder der Sonnenhut

Stell dir vor neulich war ein Journalist da ndash er hat mich nach Dada gefragtJa so eine Kamelie Da war ich ganz SauerkirscheImmer diese Kresse-FragenKeine Ahnung haben die ndash nicht das BohnenkrautIch konnte mein Loumlwenmaumlulchen nicht haltenDoch jetzt sind wir wieder Quitte [hellip]sbquoKuumlmmel dich um dich selbstlsquo ist meine Devise

Bin ein f leiszligiges Lieschen habe viel Hornkraut an den HaumlndenHortensien sind meine Passionsblumen [hellip]Hatschi ndash Oh Anis ich schon wieder Das wird doch kein Schnupfen seinBald waumlchst auch mir ein Wald-Geiszligbart und WarzenkakteenWeiszligkohl du wohl das AlterIch brauch schon eine Lupine fuumlr meine IrisOh es wird bald dunkel ndash ich mach mal die Lichtnelken anHier sagen sich ja die Fuchsien Gute Nacht [hellip]

Ich bin keine Christrose ndash ich halte es eher mit dem Goumltterbaum [hellip]Zur Nacht leg ich den Seidenbast an den Goldlack nehmlsquo ich fuumlr die ZehenDann kaumlmme ich mir mein Frauenhaarfarn setz mir die Kaiserkrone auf und bin Koumlnigin der NachtIch leg mich in den Federmohn und traumlum von Troll- und GauklerblumenAh schau Da geht der Blaustern aufKann er wenn er will Und da der Mohn [hellip]

Ich habe meine brennende Liebe verloren meine Flammenblume mein Rittersporn mein Goldener HeinrichAch komm Reich mir den Tabak und einen Maumlrzenbecher Wein fuumlr mein traumlnendes HerzUnd dann gib mir einen Krokus zum AbschiedVergissmeinnicht

AnniKa von TrierbdquoHannas Gartenldquo oder bdquoDie Dadaistin verwandelt alles in Blumenldquo (Auszuumlge)

Auch wenn die Geschichte des Dadaismus eine vorwiegend von Maumlnnern geschriebene ist so gibt es sie die Dada-Malerinnen -Fotografinnen und -Autorinnen Die 1907 geborene Malerin und Fotografin Dora Maar etwa die mit gebuumlrtigem Namen Henriette Theodora Markovich heiszligt und neun Jahre an der Seite Pablo Picassos lebt Als Foto-grafin waumlhlt sie Sujets von gesellschaftlichen Auszligenseitern oder Obdachlosen als Dadaistin und spaumlter als Surrealistin revolutioniert sie die Fotografie der 1930er-Jahre

Kein Richtig und kein FalschEntstanden als Antwort auf den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs war Dada dennoch schon viel fruumlher da Ganz wie die Sonne Oder das Ei bdquoJenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort dort werden wir uns begegnenldquo schreibt der persische Mystiker Rumi der mit buumlrgerli-chem Namen Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī heiszligt und 1207 in Afghanistan zur Welt gekommen ist Auch im Mittelalter liegt die Loumlsung von Problemen nicht immer im Befolgen vorgefasster Dogmen Folgt man Dada so hilft Verfremdung mehr auf dem Weg durch unruhige Zeiten bdquoDie distanzierende Erfindung ist das Leben selber Seien wir neu und erfinderisch von Grund auf Dichten wir das Leben taumlglich umldquo schreibt Hugo Ball Was Dada ist das weiszlig kein Mensch ndash nur was er nicht sein will ist offen-kundig weder richtig noch falsch stets anders als gedacht und damit ganz so wie das Leben selbst ndash in Zeiten pan-demiebedingter Entbehrung ebenso wie in Momenten unsagbaren Gluumlcks

Foto privat

Anna Maria Steiner geb 1976 in Lienz promovierte

uumlber Juumldische Philosophie an der Kath-Theol Fakultaumlt der Karl-Fran-

zens-Universitaumlt in Graz Sie liebt Gaumlrten Musik- und Radiomachen und ist seit 2015 Osteuropa-Refe-

rentin der Caritas-Auslandshilfe

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 13: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

11Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir muumlssen vom Egotrip wegkommen

Alois Koumllbl im Gespraumlch mit der Kuumlnstlerin Azra Akšamija

Alois Koumllbl Der Titel unseres Heftes lautet bdquoHaltldquo und reagiert auf eine Zeitsi-tuation in der vieles ploumltzlich zum Still-stand gekommen und die gesellschaftli-che Gesamtsituation von Unsicherheit gepraumlgt ist Wir stellen mit unserem QL-Jahresthema die Frage was in dieser

Situation Halt und Sicherheit geben kann und haben deswegen auch ein Detail deiner Installation bei der Biennale von Venedig als assoziationsreiches Cover-Bild fuumlr diese Ausgabe unserer Zeit-schrift ausgewaumlhlt Woran denkst du als Kuumlnstlerin beim Titel unseres Heftes

Azra Akšamija Mir gefaumlllt der Hefttitel sehr Ich denke da zuerst an die Zeit die wir durch die Corona-Pandemie gewonnen haben Alles ist zum Stillstand gekommen Ich denke es war houmlchste Zeit dafuumlr auch wenn uns dieser Still-stand von auszligen aufgezwungen wurde

Die in Sarajevo geborene Kuumlnstlerin Azra Akšamija hat mit ihrer Familie nach dem Jugoslawienkrieg ihre Heimat verlassen und ist in der Steiermark aufgewachsen Als Kuumlnstlerin und Architekturhistorikerin die als Professorin am Massachusetts Institute of Technology unterrichtet beschaumlftigt sie sich mit kulturellen und religioumlsen Konstruktionen von Identitaumlt In der in diesem Jahr von Hashim Sarkis kuratierten Architekturbiennale von Venedig ist sie mit zwei Arbeiten am Anfang und am Ende der weitlaumlu-figen Arsenale-Hallen vertreten Alois Koumllbl hat im Rahmen der Biennale-Eroumlffnung mit ihr uumlber ihre Arbeiten in Venedig und ihren kuumlnstlerischen Ansatz gesprochen

Azra Akšamija Silk Road Works Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 14: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

12 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Es war wohltuend und notwendig einfach einmal anzuhalten Bei vielen Menschen habe ich einen persoumlnlichen Umbruch erlebt von mir selber kann ich das ganz sicher sagen Es war eine Zeit um aus der Alltagshektik herauszukommen und die Moumlglichkeit zur Reflexion zu haben Ich glaube viele Menschen haben im Lock-down erkannt dass wir so nicht weiter-machen koumlnnen dass sich etwas aumlndern muss um das Uumlberleben unseres Planeten zu sichern In meiner Arbeit in Venedig geht es auch um Halt Da sieht man eine Reihe von Figuren die sich an den Haumln-den halten Es koumlnnten Fluumlchtlinge sein die verhaftet wurden und zum Rapport antreten muumlssen oder Arbeiter die sich im Kampf gegen Ausbeutung miteinander verbuumlnden oder aber auch Menschen die gemeinsam beten Alle diese Lesarten sind fuumlr mich moumlglich

Fuumlr Arbeiter oder Fluumlchtlinge sind die kostbaren Stoffe ihrer Bekleidung doch sehr ungewoumlhnlich hellip

Ja das gehoumlrt zum Konzept dieser mehr-deutigen Installation Die Stoffe der Kleidung und die Stoffbahnen hinter den Figuren in der Installation wurden von der Firma Rubelli hier in Venedig herge-stellt Es sind wunderschoumlne Stoffe die sich an historischen Mustern orientieren und sie in zeitgenoumlssisches Design trans-formieren Auch die Helme die die Figu-ren tragen sind ungewoumlhnlich Sie sind aus kostbarem blauen Glas und wurden in Murano von der beruumlhmten Berengo-Manufaktur gefertigt Es koumlnnten Helme von UNO-Soldaten aber auch von Bauar-beitern sein jedenfalls geht es dabei um Fragilitaumlt und Verletzlichkeit aber auch um Schutz Ich denke da etwa an eine neu entstandene Gesellschaftsschicht die in unserer globalisierten Welt durch das Franchising-System entstanden ist Gerade in der Bauindustrie arbeiten viele Migranten die auf der Suche nach einem besseren Leben sind Man koumlnnte die Geste des Haumlndereichens so verstehen dass sie um ein besseres Leben kaumlmpfen

Es sind aber auch Hinweise auf die Ver-letzlichkeit unserer Kultur und unserer Kulturguumlter aber auch auf Organisatio-nen die sich um unsere Sicherheit bemuuml-hen Die Helme der Figuren sind sehr fragil bei ihrer blauen Farbe kann man auch an die UNO denken und damit an Institutionen die uns schuumltzen sollten sich aber gerade in der letzten Pandemie als zerbrechlich gezeigt haben Dabei spielt natuumlrlich auch eine Rolle dass die Glasblaumlserkunst die uumlber Jahrhunderte auf Murano florierte vom Niedergang bedroht ist Die Stoffbahnen dahinter ste-hen fuumlr die Hauptwege der Seidenstraszlige Man kann sie zusammenfalten und wie eine Schutzweste anziehen oder aber auch wie einen Rettungsring verwenden Die Innenseiten der Westen lassen sich auch als Gebetsteppiche nuumltzen ndash Ich verstehe die Installation auch als eine Moschee die man anziehen kann Das ist eine Idee die ich schon laumlnger verfolge Inspiriert ist die Arbeit aus historischer Sicht von der Glo-balisierung die zunaumlchst von Westen nach Osten erfolgte mit dem Blickpunkt auf Venedig wo damals Handelscluster sich auch religioumlsem Druck entgegengesetzt haben und fuumlr Handelsfreiheit mit der islamischen Welt gekaumlmpft wurde Das artikuliert sich etwa auch am Dogenpalast mit seinen Referenzen an Architekturtra-ditionen islamischer Laumlnder Heute gibt es eine andere Art von Globalisierung Die neue Seidenstraszlige verlaumluft von Osten nach Westen Die Arbeit bezieht sich zum einen auf Probleme in der Bauindus-trie aber auch auf die Moumlglichkeiten die sich durch Zusammenarbeit und kultu-rellen Austausch ergeben Etwas wovon Venedig sehr profitiert hat Gerade in dieser wunderschoumlnen Stadt manifestiert sich der Mehrwert von transkulturellem Austausch auf ganz sinnfaumlllige Weise Und mit ein bisschen Augenzwinkern habe ich den bdquoArmpit-Archldquo konzipiert Die Fransen an den Figuren sind wie Achselhaare bzw in den Fensterformen venezianischer Palazzi gestaltet Ich ver-stehe diese Arbeit als Storytelling und als Kommentar der etwas aus der Geschichte aufgreift um zum Nachdenken uumlber ver-antwortliches Handeln in der Zukunfts-gestaltung einzuladen

Azra Akšamija MIT Future Heritage Lab T-Serai 2019 copy Akšamija

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 15: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

13Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Du beschaumlftigst dich immer wieder mit traditionellem Kunsthandwerk Kunst-handwerk steht doch fuumlr etwas sehr Tra-ditionelles Was interessiert dich daran als zeitgenoumlssische Kuumlnstlerin

Schon seit meiner Jugend interessiert mich Kunsthandwerk Das Sticken habe ich durch meine Groszligmutter kennengelernt In meiner bosnischen Heimat flieszligt sehr viel an Familiengeschichte in diese Stick- und Webarbeiten ein in gewisser Weise ist es Reflexion von Familientraditionen Als Kuumlnstlerin interessiert mich das Ambiva-lente kunsthandwerklicher Tradition Tra-dition wird oft als etwas Statisches wahr-genommen etwas das sich nicht veraumlndert und eben dadurch Identitaumlt und Zugehouml-rigkeitsgefuumlhl ermoumlglicht Das stimmt aber uumlberhaupt nicht Gesellschaftliche Veraumlnderungen ndash technische wie soziale ndash zeigen sich auch in der Weiterentwicklung des Kunsthandwerks Einfluumlsse transkul-turellen Austausches bilden sich auch in so etwas Traditionellem wie dem Kunst-handwerk ab Das geschieht auch in Zei-ten des Konfliktes zwischen Nationen und

Kulturen In meinem Diaspora Scroll-Projekt das im Kunsthaus Graz zu sehen war ging es darum Motive zu zeigen die in ganz unterschiedlichen kulturellen Tra-ditionen eine Rolle spielen Etwa der Gra-natapfel Ich arbeite mit diesen Motiven um die kuumlnstlich geschaffenen Grenzen die durch Nationalismus aber auch reli-gioumlse Engstirnigkeit entstehen zu dekon-struieren indem ich zu zeigen versuche wie vielschichtig unsere Identitaumlten sind Das laumlsst sich mit den Motiven die man in verschiedenen Kulturen findet sehr gut sichtbar machen Lange Zeit war der Dis-kurs auf diesem Gebiet eher vom rechten politischen Spektrum bestimmt Mir geht es darum das aufzubrechen und Zeitge-noumlssisches mit etwas sehr Traditionsbehaf-tetem in Beziehung zu setzen Dabei spielt natuumlrlich auch meine eigene Biografie eine Rolle Ich komme aus Bosnien wo im letzten Krieg kuumlnstlich Nationalismus geschuumlrt wurde und Menschen ploumltzlich aufgrund ihrer ethnischen oder religioumlsen Herkunft zu Feinden wurden Im Krieg habe ich auch persoumlnlich gelernt wie sich Identitaumlten konstruieren lassen Kultur ist

dabei ein wichtiges und sehr wirkmaumlchti-ges Mittel um Angst und Feindseligkeit zu schuumlren Das manifestiert sich auch an der bewussten Zerstoumlrung von Kulturguuml-tern Sie wurden auch als Denkmaumller eines friedlichen Zusammenlebens ausradiert Meine Arbeit bezieht sich auf diese Macht der Kultur denn wenn Kultur und kultu-relle Identitaumlt als Mittel benuumltzt werden um Feindschaft zu saumlen dann kann man doch auch damit arbeiten um die Men-schen zusammenzubringen Im Rahmen der Ausstellung bdquoGlaube Liebe Hoffnungldquo (2018) bildete sich dabei auch Grazer Stadtgeschichte ab Die Zerstoumlrung der Synagoge und protestantische und katho-lische Kirchtuumlrme die fuumlr konfessionelle Konfliktgeschichten stehen und auch die Moschee-Debatte Durch traditionelle nur leicht veraumlnderte Kreuzstichmuster wurde alles miteinander verwoben Im Rahmen von bdquoKlanglichtldquo ergab sich die Moumlglichkeit die gestickten Motive durch eine digitale Animation auf eine Kirchen-fassade zu projizieren und damit auch einen sehr groszligen Rezipientinnenkreis zu erreichen Dabei gab es einen sehr schoumlnen

Azra Akšamija im Gespraumlch mit Alois Koumllbl vor der Eroumlffnung der 17 Architekturbiennale von Venedig Foto Koumllbl

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 16: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

14 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Nebeneffekt Am Abend waumlhrend der Pro-jektion waren die Kirchenportale zunaumlchst geschlossen Wir haben aber gefragt ob es nicht moumlglich waumlre die Kirchentuumlr zu oumlff-nen was der Pfarrer dann auch gemacht und gleichzeitig drinnen Kerzen angezuumln-det hat So ist ein wunderbarer Ruumlckzugs- und Ruheort entstanden Es war fuumlr mich sehr schoumln dass der kritische Diskurs an der Kirchenfassade moumlglich war und dass dann durch die Oumlffnung der Kirchentuumlr viele Menschen diesen Ort gleichzeitig sehr positiv erfahren haben Das zeigt fuumlr mich auch wie sich mit der Oumlffnung fuumlr Reflexion und Kritik neue Wege erschlie-szligen Menschen zu erreichen

Oumlffnung ist ein gutes Stichwort Du beschaumlftigst dich mit der Marginalisie-rung des Islams im Westen Was koumlnnten wir voneinander lernen

Ich versuche in meiner Kunst die Idee homogener kultureller Strukturen zu dekonstruieren Dabei ist auch bedeutsam

zu vermitteln dass es den Islam gar nicht gibt Es gibt ihn in ganz verschiedenen Ausformulierungen und Stroumlmungen Und natuumlrlich gibt es auch nicht den Westen Wir verwenden diese Begriffe viel zu unbedarft Menschen die sich zum Islam bekennen kommen aus ganz unter-schiedlichen Kulturen haben teilweise sogar diametral entgegengesetzte Welt-anschauungen Es geht mir darum diese Komplexitaumlt in der eigenen Gruppe der man sich zugehoumlrig fuumlhlt zu erkennen Nur durch das Erkennen der Komplexitaumlt kann man sich auch dem Phaumlnomen stel-len dass man Angst vor dem Anderen hat Das ist auch Teil meiner eigenen Lebens-geschichte wo mir suggeriert wurde dass ich etwas verlieren wuumlrde wenn ich einen Nichtbosnier heirate nachdem unsere Familie nach Oumlsterreich gezogen war Gerade wenn man wegen der eigenen Identitaumlt aus seiner Heimat vertrieben wird geistern auch solche Ideen durch den Kopf obwohl meine Familie mir das nie vermittelt hat Aber unbewusst war

es mir doch praumlsent Ich habe schlieszliglich einen oumlsterreichischen Mann mit katho-lischem Background geheiratet und wir und unsere Familien empfinden das als groszlige Bereicherung Aber ist diesbezuumlglich nicht auch in der westlichen Welt gerade ein gegenlaumlufiger Trend zu beobachten

Ja mit der Ausgrenzungspolitik der Trump-Aumlra kamen fuumlr mich schreckliche Erinnerungen aus Bosnien wieder hoch Ich haumltte es nie fuumlr moumlglich gehalten dass in der US-Gesellschaft so eine Ent-wicklung so schnell ihren Lauf nehmen koumlnnte Ich glaube das einzige wirksame Gegenmittel ist sich auf den Menschen zu konzentrieren den anderen als Menschen wahrzunehmen Denn bei dieser Art von Politik geht es um Entmenschlichung Das hat durchaus mit Selbstachtung zu tun Wenn ich mit mir selbst im Reinen bin kann ich auch die anderen akzeptieren Und es gilt auch die Ungleichzeitigkeiten

Azra Akšamija Diaspora Scroll 2018 copy Akšamija

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 17: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

15Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

weiszlig schon dass wir nicht unbedingt die Welt mit einem kuumlnstlerischen Projekt retten koumlnnen das waumlre ja auch naiv zu glauben Aber wir koumlnnen Menschen ins-pirieren auf Probleme anders und unter geaumlnderter Perspektive hinzuschauen und Loumlsungspotentiale zu entwickeln Das moumlchte ich gerade mit meinen beiden Arbeiten in Venedig sichtbar machen Es geht um eine Art Verbildlichung dessen wie wir alle miteinander verbunden sind Wir koumlnnen da nicht wegschauen Wir sind mitverantwortlich Jeder kann bei sich selber beginnen Natuumlrlich bringen humanitaumlre Organisationen da einen viel groumlszligeren Erfahrungsschatz mit aber Kunst eroumlffnet ein Potential fuumlr kreative Prozesse und eroumlffnet Moumlglichkeiten die nur durch die Kraft der Imagination moumlglich sind Darum geht es auch bei dem Zelt das hier in Venedig am Ende des Arsenals steht Es bietet keine fertige Problemloumlsung sondern will einfach auf-zeigen dass es zu den Fluumlchtlingscontai-nern alternative Moumlglichkeiten gibt ndash wie immer die dann konkret aussehen Die Tapisserien an der Auszligenseite des Zeltes koumlnnen als Dokumentation individueller Geschichten gelesen werden als Ausdruck der Kultur man kann sie aber auch ganz funktional als Waumlrmedaumlmmung inter-pretieren Sie sind aus recycelten Beklei-dungsstuumlcken entstanden und bilden eine Welt ab die eine Wegwerfkultur gerade in der Bekleidungsindustrie hervorgebracht hat die nur moumlglich und finanzierbar ist weil Menschen in der Produktionskette ausgebeutet werden Die Arbeit greift auf dass teilweise kaum benuumltzte Kleidungs-stuumlcke die aus der Mode gekommen oder einfach uninteressant geworden sind in Billiglohnlaumlnder zuruumlckgeschickt werden wo dann aus den zerschnitten Stoffen zum Beispiel Decken fuumlr Fluumlchtlinge gemacht werden Mir geht es darum zu zeigen wie alles mit allem zusammenhaumlngt in unserer globalisierten Welt Das Konsumverhalten in Oumlsterreich hat zu tun mit der Fluumlcht-lingssituation in den Lagern in Jordanien Wir koumlnnen da nicht wegschauen weil wir mitverantwortlich dafuumlr sind Und wir alle koumlnnen nur bei uns selber begin-nen In einer brennenden Welt koumlnnen wir nicht einfach passiv bleiben

die Erfindungen die dort in den Lagern entstanden sind in einem Buch veroumlf-fentlicht In den Erfindungen bilden sich natuumlrlich auch die Probleme im Lager ab denn sie reagieren auf das was fehlt also auf Missstaumlnde und Probleme Es war wirklich erstaunlich was da an Kreativem entstanden ist Gerade das Nicht-Funktio-nale fand ich besonders faszinierend etwa Spielzeug wie zum Beispiel Schachfigu-ren aus geschnitzten Besenstielen oder ein Wasserbrunnen bei dem es einfach darum ging in der sengenden Hitze den Klang des rinnenden Wassers zu houmlren Zu sehen dass sich das was wir zum Leben brauchen nicht nur auf biologi-sche Beduumlrfnisse reduzieren laumlsst war fuumlr mich eine sehr wichtige Erfahrung Kul-turelle und emotionale Beduumlrfnisse sind ein essentieller Teil unseres Menschseins auch und gerade in prekaumlren Verhaumlltnis-sen Gerade hier zeigt sich die wichtige Rolle die Kunst und Kultur spielen koumlnnen etwa bei Heilungsprozessen von Traumatisierten durch kreative Arbeit oder auch bei der Vermittlung fuumlr gemein-sames Handeln von Fluumlchtlingen und der lokalen Bevoumllkerung bei dem auf beiden Seiten Angst abgebaut werden konnte Kunst wurde dabei zum Medium um Menschen grenzuumlberschreitend in Verbin-dung zu bringen und Aumlngste abzubauen die in der jordanischen Bevoumllkerung ent-standen waren Und dann ging es auch darum den Menschen im Fluumlchtlingsla-ger zu vermitteln dass sie etwas wert sind Da gibt es Kinder die Welt auszligerhalb des Lagers noch nie gesehen haben Es war schoumln zu sehen dass wir junge Menschen aus den Camps motivieren konnten ein Studium zu beginnen

Was kann die Kunst was man mit ande-ren Mitteln nicht erreichen kann

Als Kuumlnstlerin vertraue ich auf die Kraft und Wirkmacht der Imagination Kunst kann als Soft Power agieren Ich bin uumlberzeugt dass gerade wir kreativen Menschen Tools und Moumlglichkeiten in der Hand haben um neue Sichtweisen fuumlr Problemloumlsungen zu eroumlffnen Und natuumlrlich geht es auch darum verbor-gene Probleme sichtbar zu machen Ich

in gesellschaftlichen Entwicklungen wahrzunehmen Neben der Empathielo-sigkeit auf Kosten anderer gibt es ja auch gerade bei uns in den USA Menschen die sich aus ihrer Komfortzone bewegen und sich fuumlr die Black-Lives-Matter-Bewe-gung engagieren An unserer Universitaumlt laumluft gerade ein Restrukturierungsprozess in diesem Sinn

Zu deiner kuumlnstlerischen Beschaumlftigung mit gesellschaftlichen Randgruppen hast du einmal gesagt dass du erforschen moumlchtest wie aus Entfremdung Empo-werment entstehen kann Welche Erfah-rungen hast du damit gemacht

Ich arbeite schon seit 2016 mit syrischen Fluumlchtlingen in Camps in Jordanien Das war natuumlrlich nicht einfach Wir sind ja selber keine humanitaumlre Institution wir kooperieren nur mit humanitaumlren Institu-tionen Es ist sehr schwer als Individuum etwas zu veraumlndern Das war fuumlr mich ein permanentes ethisches Dilemma Wieviel Impact braucht es Das war durchaus eine Herausforderung bei den Workshops bei denen es darum ging kreativ gemeinsam Probleme zu loumlsen Natuumlrlich war es schoumln zu erleben dass Jugendliche die keinen Sinn darin gesehen haben in die Schule zu gehen weil sie ja doch im Lager wie in einem Gefaumlngnis lebten aus dem man nicht herauskommt doch auch entdeck-ten dass es Sinn macht sich zu bilden und zu lernen Aber es war einfach auch deprimierend die riesige Menge an unzu-laumlnglichen Unterkuumlnften bei sengender Hitze in diesem Lager zu sehen und die Menschen die dort wie in einem Gefaumlng-nis leben Hier einen wirklich Fortschritt erreichen zu koumlnnen erschien als aus-sichtslos Aber gar nichts zu machen ange-sichts dieser Aussichtslosigkeit war fuumlr mich auch kein gangbarer Weg Ich wollte nicht gleich aufgeben weil ich davon uumlberzeigt bin dass auch einzelne etwas leisten und bewirken koumlnnen Es ist mir natuumlrlich klar dass die Probleme in den Fluumlchtlingslagern nicht durch Kunst- und Kultur einfach loumlsbar sind Das ist eine Aufgabe der Politik Aber Kunst kann auch als Sprachrohr fungieren und auf etwas aufmerksam machen So haben wir

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 18: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

16 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Mit Doppelpass zum GoalWie die fast grenzen- und haltlose Fuszligballspielerei mit einer Haltung des Respekts vor gefluumlchteten Menschen einhergehen kannVon Anton Tauschmann

26 Millionen Menschen weltweit sind laut Angaben des UNHCR 2020 auf der Flucht vor Krieg Konflikten und Verfolgung Nimmt man Binnenvertriebene Asylsu-chende und Venezolanerinnen die sich auch auszligerhalb des Landes auf der Flucht befinden dazu erhoumlht sich diese Zahl auf 84 Millionen Menschen Das vergangene Jahr ist somit das neunte Jahr in Folge in welchem diese Zahl steigt Mehr als zwei Drittel der gefluumlchteten Menschen kommen dabei aus lediglich fuumlnf Laumlndern Syrien Vene-zuela Afghanistan Suumldsudan und Myanmar

Halt Eine wesentliche Basis fuumlr die Rechte von Menschen auf der Flucht bildet die Genfer Fluumlchtlingskonvention die am 28 Juli 1951 verabschiedet wurde und heuer ihr 70-jaumlhriges Jubilaumlum feiert Urspruumlnglich auf die Situ-ation von gefluumlchteten Menschen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg beschraumlnkt wurde die Konvention zeitlich und geographisch erweitert sodass ihr mittler-weile insgesamt 149 Staaten beigetreten sind Neben den Pflichten aber vor allem auch Rechten von gefluumlchteten

Jedes Jahr wird am 20 Juni der Welt-Fluumlchtlingstag begangen der das Schicksal gef luumlchteter Menschen in Erin-nerung rufen soll Diesen Menschen werden an den Toren Europas aktuell unuumlberwindbare Grenzen aufgezeigt Heuer fiel dieser Tag in die Zeit einer Fuszligballeuropameisterschaft die mit elf Ausrichtungsstaumldten in elf Laumlndern ein grenzenloses Europa stilisieren wollte Versuch eines Doppelpasses von Anton Tauschmann

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 19: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

17Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Menschen ist der sogenannte bdquoGrundsatz der Nichtzu-ruumlckweisungldquo wesentlich So heiszligt es in Artikel 33 der Fluumlchtlingskonvention bdquoKeiner der vertragschlieszligenden Staaten wird einen Fluumlchtling auf irgendeine Weise uumlber die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zuruumlckweisen in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse Religion Staatsangehoumlrigkeit seiner Zugehoumlrig-keit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen sei-ner politischen Uumlberzeugung bedroht sein wuumlrdeldquo Dieser Grundsatz war lange Zeit praumlgend in einem Europa das uumlber Jahrzehnte hinweg zusammenwuchs auch waumlhrend eines kriegerischen Konflikts der vor 30 Jahren im Zent-rum Europas wuumltete

Haltung Waumlhrend des vor den Toren Oumlsterreichs stattfindenden Kriegs auf dem Balkan kamen unter anderem etwa 90000 gefluumlchtete Menschen aus Bosnien-Herzegowina ins Land viele von ihnen fanden in Oumlsterreich ein weiteres Zuhause Ein wesentliches Mittel zur Integration kann fuumlr diese Menschen der Sport sein Ein Beispiel hierfuumlr ist etwa der oumlsterreichische Fuszligballer Zlatko Junuzović der als Kind mit seinen Eltern vor dem Krieg auf dem Balkan nach Oumlsterreich fluumlchtete Von Graz aus brachte es Junuzović zum Schluumlsselspieler im oumlsterreichischen Nationalteam und war auch 2015 als viele gefluumlchtete Menschen in Europa Schutz suchten eine laute Stimme die auf das

Im Rahmen des von MIT Future Heritage Lab initiierten und von Azra Akšamija geleiteten Workshops im syrischen Fluumlchtlingslager Azraq in Jordanien wurden zahlreiche Kreationen der Bewohnerinnen dokumentiert

ua eine Sandburg die Architekturelemente der zerstoumlrten historischen Stadt Palmyra nachahmt Foto Akšamija

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 20: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

18 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Thema aufmerksam machte Zusammen mit seinen Kol-legen des Nationalteams entrollte er beim Abschlusstrai-ning zu einem Europameisterschaftsqualifikationsspiel ein Transparent mit der Aufschrift bdquoRespect refugeesldquo Dass dieses Transparent nicht am Tag danach waumlhrend des Spiels im ausverkauften Wiener Ernst-Happel-Stadion entrollt werden konnte lag an den Bestimmungen des europaumlischen Fuszligballverbands UEFA der politische Bot-schaften im Kontext seiner Wettbewerbe untersagt

Verhalten1954 wurde der Europaumlische Fuszligballverband gegruumlndet und umfasst heute 55 Nationalverbaumlnde als Mitglieder Mit Kampagnen wie bdquoRespectldquo oder bdquoEqualGameldquo versucht die UEFA dabei den Fuszligball als Bruumlcke zwischen Menschen unabhaumlngig ihrer Herkunft politischen Einstellung oder Religion zu inszenieren In diesem Streben scheut die UEFA auch nicht vor strikten Maszlignahmen zuruumlck So wurde etwa Jugoslawien als potentieller Favorit der Europameister-schaft 1992 kurz vor Beginn vom Turnier ausgeschlossen was erst eines der groumlszligten Maumlrchen der europaumlischen Fuszlig-ballgeschichte ermoumlglichte Den Turniersieg der kurzfristig eingesprungenen daumlnischen Nationalmannschaft Auch bei den Gegner aufgrund der Herkunft verunglimpfenden Beleidigungen auf dem Spielfeld zeigt der Fuszligballverband Haumlrte wie etwa auch der Oumlsterreicher Marko Arnautovic im ersten Spiel der EURO 2020 gegen Nordmazedonien erfahren musste Dennoch gibt es auf der Oberflaumlche auch Risse So schafft es der europaumlische Fuszligballverband bis zuletzt nicht den Rassismus aus den Stadien zu verbannen Ein Skandal der juumlngeren Vergangenheit ereignete sich dabei in Paris als bei einem Champions-League-Spiel im Dezember des Vorjahres ein Schiedsrichter-Assistent einen Betreuer rassistisch beleidigte Waumlhrend die Offiziellen des Fuszligball-Verbands das Spiel fortsetzen wollten waren es schlieszliglich die Spieler beider Mannschaften die das Spiel-feld verlieszligen Auch bei der heurigen Europameisterschaft gab es rassistische Anfeindungen gegen Spieler so wurde der franzoumlsische Spieler Kylian Mbappeacute von Fans in Buda-pest mit Affenlauten insultiert

HaltlosSeit 1960 werden alle vier Jahre Fuszligballeuropameister-schaften ausgetragen Fuumlr das urspruumlnglich 2020 ange-setzte diesjaumlhrige Turnier sollte dabei das Motto bdquoFuszligball fuumlr alleldquo gelten Mit elf Austragungslaumlndern sollte moumlg-lichst vielen Menschen der Zugang zu Spielen ermoumlglicht und die Vision eines grenzenlosen Europas vermittelt werden Neben bdquoklassischenldquo Fuszligballmetropolen wie Lon-don Rom oder Muumlnchen kamen dabei auch Spielorte wie Budapest und Baku zu EM-Ehren Doch gerade letzterer Spielort ist nicht unumstritten Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von der Unterdruumlckung

Anton Tauschmann Studium der Theologie und Germa-nistik in Graz und Fribourg ehema-

liger Pastoralassistent in der KHG Graz ab Oktober 2021 karenzver-tretender Leiter des Fachbereichs

Kinder und Jugend der Katholischen Kirche Steiermark begeisterter

Fuszligballfan und Musiker

Foto Neuhold

kritischer Stimmen im Land und von politisch motivier-ten Verhaftungen Auch der Konflikt rund um die Region Bergkarabach sorgte fuumlr internationale aber von der UEFA ungehoumlrte Verstimmung Baku teilte sich die Spiele der Gruppe A mit Rom wobei die beiden Orte mehr als 3000 Kilometer voneinander entfernt sind Waumlhrend den Delegationen der Fuszligballnationalteams somit Tuumlren und Tore quer durch Europa geoumlffnet werden bleiben diese fuumlr gefluumlchtete Menschen fest verschlossen So plant die Europaumlische Union ihre Grenzen immer uneinnehmbarer zu gestalten auch mithilfe technologischer Unterstuumltzung Dabei wurden mehr als 170 Millionen Euro in Projekte des Grenzschutzes gepumpt Ziel ist es bdquoeine moumlglichst luumlckenlose Uumlberwachungsinfrastruktur aufzubauen wie es im Standard heiszligt

ZusammenhaltWie einst Zlatko Junuzović und seine Kollegen im Fuszlig-ballnationalteam gab und gibt es viele Menschen die sich fuumlr Menschen auf der Flucht in unterschiedlichster Form einsetzen sei es durch konkrete Hilfsaktionen Sensibili-sierungsaktivitaumlten wie die an vielen Orten regelmaumlszligig stattfindenden bdquoWochenenden fuumlr Morialdquo oder durch Stellungnahmen und Appelle die bisher leider ungehoumlrt an politische Verantwortliche gerichtet wurden Einige dieser Initiativen haben im bdquoNetzwerk fuumlr Morialdquo eine Plattform gefunden in welchem es um die Vernetzung von Aktivitauml-ten um den Austausch von Informationen aber auch um die gegenseitige Ermutigung geht die beim gesellschaft-lich nicht immer mitgetragenen Engagement in diesem Themenfeld vonnoumlten ist In einem Statement zur Aktion bdquoWir haben Platzldquo von der an anderer Stelle in diesem Heft die Rede ist versucht sich Andrea Ederer Praumlsidentin der Katholischen Aktion Steiermark im Doppelpass von Enga-gement fuumlr gefluumlchtete Menschen und den Fuszligball bdquoIm Fuszligball ist Fairplay moumlglich Begegnung auf Augenhoumlhe Was waumlre wenn wir uns nicht nur den Ball der Verant-wortung fuumlr Asylsuchende gegenseitig zuspielen sondern gemeinsam rasche Aktionen setzen Wir koumlnnen den Ball der ungeloumlsten Quartiere und Zukunftshoffnungen endlich ins Tor bringen Ein Goal ist moumlglich denn Quartiere und Menschen stehen bereitldquo Das erst waumlre bdquoFuszligball fuumlr alleldquo

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 21: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

19Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Architektenduo Leb Idris im Gespraumlch mit Florian Traussnig

bdquoNatuumlrlich erzaumlhlen wir Geschichten

Florian Traussnig Ihr habt mit dem uni-corn ein aus Altbau Neubau und einem riesigen Baum bestehendes Gebaumlude-Ensemble konzipiert in dem nicht nur Services der Oumlsterreichischen Hoch-schuumllerschaft fuumlr Studierende angeboten sondern Wissenschaft und Wirtschaft vernetzt werden Wo lagen die Heraus-forderungen bei diesem Prozess Was ist das Besondere an diesem Ort

Jakob Leb Die mit Schwerpunkten wie Modern Aging und Demographic Change

vorgenommene soziale Themensetzung hat uns bei diesem EU-weit ausgeschrie-benen und vom Bund fuumlr die Universitaumlt ausgefuumlhrten Projekt sehr angesprochen In unserem gemeinsam mit Iris Reiter geplanten und fertiggestellten Ensemble bildet die Oumlsterreichische Hochschuumller-schaft (OumlH) mit der Mensa und dem Stu-dierendenheim nun einen Vorplatz der die zuvor bestehende beengte Situation aufweitet Die OumlH hat nun einen neuen Pavillon bekommen waumlhrend die alte neu gestaltete OumlH-Villa in der Mitte jetzt ein

offenes Haus und eine Art Brutkasten ist der die innovativ denkenden Jungen bdquoein-laumlsstldquo und in den man sich tageweise ein-mieten kann Dieses Setting bildet quasi das Entreacutee zum groszligen Neubau wo die professionelleren Innovationsprojekte und die etablierten Kraumlfte untergebracht sind Wenn man es so lesen will gibt der sechs-geschoszligige Neubau in der Leechgasse der alten Villa Halt staumlrkt ihr den Ruumlcken Fuumlr die Universitaumlt ist dieser Cluster bzw das eher am Rand angesiedelte unicorn der ideale Trittstein an die Oumlffentlichkeit

Im Rahmen des Uni-Graumltzl-Rundgangs bdquoTradition in Bewegungldquo am 1 Mai des Jahres hat das KHG-Pastoralteam gemeinsam mit Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl und Uni-Vizerektor Peter Riedler das Unicorn ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innova-tionstransfer (ZWI) erkundet Dieser in einem komplexen Gebaumludeensemble rund um eine alte Gruumlnderzeitvilla untergebrachte Start-Up- amp Innovation Hub ist ein Ort an dem sich laut dem Standard bdquoAltbau Neubau und eine Platane treffenldquo Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris die gemeinsam mit Iris Reiter die Gestaltung architektonisch verantworten haben mit Florian Traussnig uumlber den spannenden Planungsprozess und ihre konzeptuellen Uumlberlegungen rund um und an diesem Ort sowie uumlber ihr Verstaumlndnis von Kreativitaumlt und erzaumlhlerischer Imagination gesprochen

ldquo

Jakob Leb und Jasmin Leb-Idris Foto Traussnig

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 22: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

20 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Wir koumlnnen ja nicht einfach einen Raum schaffen und irgendwas draufschreiben was da dann zu geschehen hat Dann passiert das sicher nicht Wir muumlssen viel-mehr schauen wo die Menschen mit ihren Beduumlrfnissen sind und wie kann man sie ein bisschen lenken kann

Unser Jahresthema im Quartier Leech wird bdquoHaltldquo heiszligen und reagiert auf gesellschaftliche und persoumlnliche Such-bewegungen angesichts der Krise(n) Auf den ersten Blick scheint das nicht zu Aufbruchs- und Innovationsprojekten wie dem unicorn und dem dort gelebten bdquoentrepreneurial mindsetldquo zu passen Und doch interessiert mich die Frage ob nicht gerade dieser Ansatz umso mehr Halt und Erdung braucht um nachhaltig zu sein

JLI Man koumlnnte auf die alte Villa verwei-sen doch mit der nationalsozialistischen Geschichte (Anm FT die OumlH-Villa war Sitz des NS-Studentenbundes und im Stiegenhaus befindet sich ein NS-Fresko von 1938 auf das Richard Kriesche mit einer kuumlnstlerischen und Helmut Konrad mit einer zeithistorischen Intervention 1997 reagiert haben) ist das ein bisschen schwierig Nimmt man diese Folie kritisch wahr bzw spielt sie nicht in den Vorder-grund dann habe ich das Gefuumlhl dass die alte Villa als Herzstuumlck dem ganzen Ensemble doch ein Stuumlck Halt gibt ndash und

natuumlrlich darum das so zu erzaumlhlen dass auch die Anderen ndash etwa eine Jury ndash etwas mit dieser Erzaumlhlung anfangen koumlnnenJL Wir haben hier eigentlich eine ganz banale Symbolik Das alte Haus ist ein offenes Haus der kleine Brutkasten der die Jungen einlaumlsst Also das alte Haus ist der bdquoModern Agerldquo gibt Unterstuumltzung fuumlr den Start dann geht man quasi uumlber die ndash tatsaumlchliche ndash Bruumlcke ins neue Haus um dort anzudocken JLI Die Bruumlcke ist ein wichtiges funk-tionales und erzaumlhlerisches Element fuumlr uns Hier werden Begegnungen zwischen den bereits etablierteren Entrepreneurs aus dem Neubau mit den juumlngeren oder noch nicht so erfahrenen Gruumlnderinnen gefoumlrdert indem die Bruumlcke der Pausen-bereich der Co-Working-Bereiche und raumlumlich dem Stiegenhaus des Neubaus zugeordnet ist

Duumlrfen sich auch Uni-Externe und Stu-dierende tageweise einmieten Auf der Website des unicorn war mir das beim ersten Besuch nicht ersichtlich und trotz aller Oumlffnungsrhetorik wirkt die offizi-elle Kommunikation hier noch ein biss-chen hermetisch hellip

JL Doch das ist moumlglich Man kann das in verschiedenen Abstufungen tunJLI Fuumlr die Uni ist es auf jeden Fall neu so zu denken Uns als Architekten ist wichtig

Das Konferenzdeck das wir auf die alte Villa draufgesetzt haben ist noch ein klei-ner Kunstgriff ndash das Deck leuchtet sicht-bar wenn dort etwas los ist Events jeder Art sind so im oumlffentlichen Raum praumlsent Auf der den Alt- und Neubau verbin-denden Bruumlcke begegnen sich die jungen Co-Workerinnen mit den arrivierteren Gebaumludenutzerinnen und das Cafeacute mit-samt Gastgarten im Erdgeschoss soll als niederschwellige Kontaktzone wirken Was uns besonders reizt ist der Umgang mit dem baulichen Altbestand und das damit verbundene Drehen und Wenden des Programms bis es eine logische Ord-nung ergibt und der Inhalt ablesbar ist Auch dass wir die groszlige Platane erhalten mussten fuumlgt sich hier gut ein ndash Ein-schraumlnkungen sind oft inspirierendJasmin Leb-Idris Entgegen der verbreite-ten Vorstellung dass man aus dem Nichts heraus kreativ sein kann haben wir es sehr gern wenn Bauten nicht auf der gruuml-nen Wiese stattfinden sondern wenn es gewisse Zwaumlnge gibt und der Ort bereits determiniert ist ndash das regt die Kreativitaumlt erst richtig an Uns gefiel hier die Moumlg-lichkeit zwei Straszligen die einen voumlllig ver-schiedenen Charakter haben zu verbin-den Die Durchlaumlssigkeit zwischen der zur Uni-Seite ausgerichteten Schubertstraszlige und der ndash an dieser Stelle ja sehr profanen (Anm Florian Traussnig ) ndash Leechgasse war uns sehr wichtig Wie ich eben von euch erfahre wurde der suggestive Name unicorn erst einge-fuumlhrt als das Bauwerk das ihr mit dem sperrigen Akronym ZWI ndash Zentrum fuumlr Wissens- und Innovationstransfer ndash gekannt habt schon fertig war Dennoch hake ich hier ein Spielen Narrative und Projektionen wie bdquoEinhornldquo bei eurer Arbeit irgendeine Rolle oder sind derar-tige Namensmythologien irrelevant

JLI Natuumlrlich erzaumlhlen wir uns Geschich-ten Wir stellen uns zunaumlchst immer die Geschichten der Menschen die dann in diesen Gebaumluden wohnen oder arbeiten werden vor Wir stellen uns ihre Wege vor ndash wie wird das aussehen wenn da einer mit einer tollen Idee reinkommt und etwas starten will Dann geht aus auch

Das Duo Leb Idris mit Projektpartnerin Iris Reiter (r) Foto Schreyer

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 23: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at

21Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

der groszlige Baum sicherlich auch Im uumlber-geordneten Sinn bietet die Uni mit dieser Gebaumludegruppe eine Verbindung die uumlber die bloszlige Studienzeit hinausreicht an Wenn man dann ins Berufsleben starten will gibt es mit dem unicorn ein verbin-dendes AngebotJL Genau Ein Idealbild ist etwa dass man hier studiert regelmaumlszligig auf die OumlH geht und bereits waumlhrend des Studiums eine Idee zu diesem Ort entwickelt Am Ende des Studiums oder eben am Start des Berufslebens kann man nun an diesen Ort neuerlich andocken Die Uni bietet durch dieses Projekt also mehr Struktur als bisher und etwas fuumlr den next step bietet quasi Halt an Besonders im alten Haus steckt diese spannende Ambivalenz drinnen auf der einen Seite gibt dieses Bauwerk ndash so wie die Universitaumlt als Gan-zes ndash Halt auf der anderen Seite gibt es hier den erwaumlhnten historischen Ballast der kuumlnstlerisch durchaus mit neuen Mit-teln adressiert sollte

Bei eurer persoumlnlichen Fuumlhrung mit dem KHG-Team habt ihr uns gesagt dass die groszlige Platane im durchquerbaren und bdquodurchlaumlssigenldquo Hof quasi gesetzt war Das besitzt natuumlrlich auch eine gewisse Symbolik Wie wichtig ist Oumlkologie als Geisteshaltung in Eurem Gesamtkonzept

JL amp JLI Wir moumlchten hier voraus-schicken dass das Gebaumludeensemble nutzungsoffen geplant und robust mit wertigen und bestaumlndigen Materialien ausgefuumlhrt wurde Weiters ist die For-mensprache charakteristisch und dient der Identifikation mit dem Ort das heiszligt wir duumlrfen davon ausgehen dass in den naumlchsten 100 Jahren keine groszligen Sanie-rungs- und Umbaumaszlignahmen getauml-tigt werden muumlssen Auch die intensive Bepflanzung der Lichthoumlfe war uns ein groszliges Anliegen Wir lieben Pflanzen und sie haben einen hohen Stellenwert in unseren Projekten Hier haben wir um einen Baum gebaut Die Platane ist nicht nur optisch ein Highlight sondern natuumlrlich auch ein wesentlicher Gewinn fuumlr das Mikroklima Natuumlrlich haumltten wir das Ganze auch gerne oumlkologisch zer-tifizieren lassen und haben entsprechend

geplant und ausgeschrieben Im Grunde geht es hier auch um (politische) Etiket-ten die oft fuumlr die Vermarktung und auch fuumlr die Bewusstseinsbildung wichtig sind Daher sehen wir den konsequenten Zug zur Oumlkologisierung bei der Bundes-Immobiliengesellschaft insgesamt sehr positiv die ab diesem Jahr grundsaumltzlich alle ihre Bauvorhaben zertifiziert Inso-fern war es uns ein Anliegen mit den Res-sourcen auch den finanziellen moumlglichst schonend umzugehen ohne den gruumlnen Aspekt aus den Augen zu verlieren (Anm FT unabhaumlngig von der Frage des Oumlko-Pickerls faumlllt mir bei eurer architektoni-schen Erzaumlhlung auf dass viele Sichtach-sen ins Gruumlne muumlnden und nicht nur der Baum sondern auch die umliegenden privaten Gruumlnflaumlchen erst jetzt visuell richtig erschlossen werden) Insgesamt sind wir gluumlcklich dass uns gemeinsam mit saumlmtlichen Projektbeteiligten ndash trotz Corona ndash eine termingerechte Ausfuumlh-rung im Kostenrahmen gelungen ist

Blickt man auf die unternehmerische Kultur in den USA so sieht man dass viele bahnbrechende Modelle und Startups ndash also die sogenannten bdquoEin-houmlrnerldquo ndash oft in Garagen Hinterhoumlfen oder schlecht geluumlfteten Zimmern ihren Anfang nehmen Hier seid ihr mit der Uni Graz einen anderen Weg gegangen und habt ein gewiss wundersames und lichtdurchstroumlmtes Gebaumlude hingestellt in dem nun Innovation zu erfolgen hat Laumlsst sich so etwas schwer Fassba-res und Kontingentes wie Kreativitaumlt uumlberhaupt herbeiplanen herbeibauen herbeiprogrammieren

JLI Zu einem gewissen Grad stimmen wir hier zu Das unicorn ZWI ist natuumlr-lich nur ein Angebot Es ist klar dass Kreative sich auch oft andere Angebote und Raumlume die noch nicht so geebnet und aufbereitet sind suchen Auch wir wurden vor 20 Jahren in ein Start-Up-Center eingeladen haben uns aber selbst dafuumlr fuumlr ein Buumlro in einer Altbauwoh-nung am Lendplatz entschieden Ein Start-Up-Center ist keine Voraussetzung fuumlr Kreativitaumlt unterstuumltzt aber die Ent-wicklung junger Unternehmen foumlrdert

Kommunikation und Vernetzung sowie die Praumlsenz im oumlffentlichen Raum und am Campus ndash das ist aus unserer Sicht in dieser Phase sehr hilfreichJL Die Uni bietet ja kein Uumlbermaszlig an zugaumlnglichen Raumlumen an wo man sich schnell zusammensetzen kann Wir hof-fen dass sich hier schon viele Studie-rende vor der Vorlesung etwa ins Cafeacute beim unicorn setzen oder sich tagesweise bereits einmieten und so bereits sukzes-sive mit den Angeboten dieses Hauses in Kontakt kommen Als Katholische Hochschulgemeinde freuen wir uns natuumlrlich dass durch das an die Leechgasse angrenzende uni-corn die Uni naumlher an uns herangeruumlckt ist Welche gesellschaftlichen Impulse erwartet ihr euch persoumlnlich von der Kir-che etwa hier im Graumltzl JL Zunaumlchst moumlchte ich hier der Kir-che einmal Blumen streuen Gerade im Graumltzl seid ihr mit dem Quartier Leech der Kunst und dem Areal rund um die Leechkirche und dem Caritas-Laden sehr praumlsent und Teil der Atmosphaumlre rund um die Universitaumlt Politisch gesehen gibt es gegenuumlber der aktuellen Regierung auch gute Statements Dadurch dass sie trotz Sparmaszlignahmen existenziell freigespielt ist kann sich die Kirche herausnehmen auch nicht immer kooperativ zu sein und im idealen Fall ausgleichend zu wirken Die Kirche selbst hat allerdings auch ihre immanenten und problematischen The-men In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit reaktionaumlren Narrativen aus der Praxis anderer Weltre-ligionen mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist es fatal was die katholische Kirche unserer Gesellschaft strukturell vorlebtJLI Genau das ist natuumlrlich provozierend weil wir etwa in der Frage der Genderge-rechtigkeit gesellschaftlich noch nicht weit genug gekommen sind hellipJL Solche uumlbermaumlszligige Kritik am Ande-ren ist dann fuumlr mich ein bisschen so wie wenn der erst kuumlrzlich der Windel entwachsene Sechsjaumlhrige sich uumlber den dreijaumlhrigen Windeltraumlger mokiert (Alle drei lachen)

22 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Uumlber den Schriftsteller Harald Sommer den steirischen William S Burroughs Von Bernhard Valentinitsch

Mit Harald Sommer ist im Maumlrz dieses Jahres ein sehr guter Freund von mir und auch einer der meistunter-schaumltzten deutschsprachigen Autoren gestorben 1935 in Graz geboren hatte er nach dem ersten Anfangserfolg Die Leit 1970 seinen groumlszligten Erfolg mit A unhamlich stoaker Obgaung Relativismus und damit verbundene bdquoHaltlosigkeitldquo ndash dagegen wandte sich Harald Sommer Er tat dies besonders in seinen Reflexionen zur Relativi-taumltstheorie der er die Festigkeit kartesischer Punkte ent-gegen setzte wie zu Lebzeiten noch auf seiner Homepage zu lesen war Er war zugleich ursteirischer und polyglotter als Kollegen wie Wolfgang Bauer war ein Wanderer uumlber Deutschland bis hinauf nach Skandinavien und arbeitete in unglaublich vielen Berufen ndash sogar als Leichenentsor-ger In den 70er Jahren zog es ihn wieder weg von Graz nach Muumlnchen nach Berlin Und doch kehrte er Anfang der 80er Jahre fuumlr immer in seine Heimatstadt zuruumlck und gruumlndete dort sein eigenes Theater in der Pluumlddemann-gasse Dort fuumlhrte er sein eigenes nie als Buch verlegtes Stuumlck Die Gemeindewohnung auf

Gepfaumlhlt gestreckt gesottenDas Direkte einer aus dem Inhalt selbst sprechenden nicht herausgedeutelten Aussage also das unmittelbar Zupackende das Pointierte teilte er mit den von ihm bewunderten Autoren Bertolt Brecht Arthur Schnitzler Dario Fo William S Burroughs und Hans Henny Jahnn Die Szenenbeschreibungen in Sommers Dramen haben auch etwas Direktes Asketisches Doch Sommer deshalb allein als Asket anzusehen waumlre truumlgerisch ndash die Knapp-heit der Beschreibungen in den veroumlffentlichten Dramen scheint zwar weit entfernt von der Blumigkeit eines

Franz Buchrieser zu sein noch aumlhnelt sie einem Wolfgang Bauer Doch wenn man Sommers unveroumlffentlichte Texte kennt etwa seine Anmerkungen zu dem Zwei-Personen-Werk Das Stuumlck mit dem Hammer eine Art Dystopie in einem totalitaumlren System sieht man wie er die Szenenbe-schreibung ausschmuumlckte waumlhrend das gedruckte Stuumlck mit der einzigen blumigeren Szenenbeschreibung bdquoStereo-skope blitzenldquo veroumlffentlicht wurde

Auch der Gebrauch altertuumlmlicher Wendungen von der Shakespeare-Uumlbersetzung und den deutschen Klas-sikern entlehnt wie bdquoSeitenpforteldquo bdquoim fahlen Lichteldquo bdquobruumltet etwas ausldquo oder das Wiederauftauchen groszliger Teile des Hamlet-Monologs im Denken der Seiersberger Hauptfigur in einer Grazer Straszligenbahn in dem Stuumlck Die Gemeindewohnung dient nicht allein der Ironisie-rung solcher Wendungen Denn Sommer schrieb gegen Ende seines Lebens eigentlich romantische vermutlich verschollene Gedichte In Das Stuumlck mit dem Hammer wie in A unhamlich stoaka Obgaung ist der Einfluss des US-Amerikaners William S Burroughs zu spuumlren dessen Werk Harald Sommer sehr beeindruckt hatte Burroughs war zugleich ein Misanthrop und ein Humanist ein Zyniker und ein Idealist In seiner Haumlrte Schaumlrfe und Radikalitaumlt war Sommer der oumlsterreichische und steirische Burroughs Bei welchem anderen oumlsterreichischen Schrift-steller findet sich Folgendes wie im Obgaung bdquofuumlr eine wie dich ist unserer strafvollzug einfach unzureichend so eine wie du gehoumlrt gepfaumlhlt und gestreckt und gesot-ten und die haut mit gluumlhenden zangen in streifen abgezogenldquo Aber Sommer setzte solche Schock-Momente gezielt ein und sprach sich spaumlter gegen ein bloszliges Faumlkal- und Sextheater aus Sein Obgaung wirkte wohl 1970 auf

Hoch hinauf strebend und doch geerdet

bdquohellip du bist immer weiter weg ndash dabei tu i mei moumlglichstes dass du dich net von mir anghaumlngt fuumlhlst weil ich genau weiss dass des schuld is wenn alls zlsquogrund geht ndash und trotzdem bist jedn tag weiter weg ndash und ich kanns net aufhalten ndash Vielleicht is grad des falsch dass ilsquos aufhaltn will ndash Aber was soll ich denn sonst machn Einfach treibn lassn Man darf sich halt net so an wen haumlngen ldquo

Auszug aus Harald Sommer A unhamlich stoaker Obgaung

23Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

das Grazer und oumlsterreichische Publikum aumlhnlich wie 1919 Pastor Eprahim Magnus von Hans Henny Jahnn auf das deutsche Publikum (letzteres Stuumlck wurde nicht umsonst spaumlter von Frank Carstorf inszeniert)

Relativitaumlt aber keine HaltlosigkeitDie trotz seines Kampfes gegen den Relativismus in Harald Sommer mit enthaltene Relativitaumlt war keine Halt-losigkeit Haltlos war in der Realitaumlt jener burgenlaumlndische Landtagsabgeordnete der Frauen gegen das Versprechen einer Gemeindewohnung zum Sex noumltigte und somit bdquoVorbildldquo der Figur des steirischen Landtagsabgeordneten in Die Gemeindewohnung wurde In jenem Politiker war keine Relativitaumlt mehr sondern perfide Widerspruumlchlich-keit und lauter Gegensaumltze vorhanden die Sommer in seinem Stuumlck so arrangierte dass sie sich zueinander wie in einem Spiegelkabinett verhalten Uumlber diese Gegen-saumltzlichkeit lieszlig er einen Sprecher reden der das Stuumlck kommentierte und auch der bdquodeus ex machinaldquo genannt wurde Fuumlr mich erinnert es stark an die Gegensaumltzlich-keiten in Oumlsterreich in Musils Mann ohne Eigenschaften Der Landtagsabgeordnete war bdquoselbstverstaumlndlich gegen die abtreibung aber wenn schon fuumlr die absaugungldquo und er war bdquofuumlr otto aber gegen habsburgldquo bdquoWeiters ist der herr landtagsabgeordnete selbstverstaumlndlich fuumlr kunst und literatur ndash aber um ja keine miszligverstaumlndnisse auf-kommen zu lassen fuumlr eine saubere kunst und saubere literatur was man aber keineswegs mit engstirnigkeit ver-wechseln darf denn porno ndash um auch dieses heikle thema zu beruumlhren ndash porno also ndash sollte privatsache sein auszliger bei jugendlichen unter sechs jahren und die schweine die das brauchen die solln sich nix antun wir sind da heute eh sehr liberal und fruumlher hat man mit denen sowieso kurzn prozeszlig gemachtldquo

Streben zum HimmelEs zog Harald Sommer oft hinauf ndash er der uumlberzeugte Atheist lieszlig am Ende des Obgaungs ebenfalls einen bdquodeus ex machinaldquo vorkommen der wie in Kubricks 2001 auch zu den Toumlnen von Also sprach Zarathustra die Heldin aus dem tobenden Grazer Gerichtssaal in reinster Meta-physik hinauf schwebend entfuumlhrte er berichtete auch in Die Hure Gerhild uumlber ein selbst erfahrenes Erlebnis mit fuumlr ihn auszligerirdisch wirkenden Wesen im Hochschwab-Gebirge und lieszlig die Heldin in Die Gemeindewohnung nach ihrer Ermordung die der Landtagsabgeordnete arrangiert hatte zuerst in die Houmllle und dann zu Petrus im Himmel gelangen ndash nachdem sie zuvor vom Faumlhrmann der griechischen Mythologie auf dem Fluss der Toten mitgenommen worden war Der Himmel bei Sommer bdquoMan houmlrte sie (Anm d Autors die Seiersbergerin Jose-fine Boumlschl) nicht weil drinnen findet naumlmlich gerade die oumlffentliche generalprobe des chores der himmlischen

heerscharen fuumlr die groszlige friedens-demo auf den himmli-schen Gefilden statt hellip Soeben beendet Petrus eine seiner erhebenden Reden (play-back-politiker-zitat applaus) Das Licht wird blaumlulich Ton-Background Sphaumlrenmu-sik Ein Orchester stimmt die Instrumente Raumluspern Rosenkranzbetende Massen hellipldquo Waumlhrend die Houmllle den selben houmlflich-unbeteiligten Ton wie das Parteisekre-tariat in dem sich Josefine das Parteibuch geholt hatte anstimmte wird letztere auch mit den bdquoGutenldquo im Him-mel die eine Friedensdemo abhalten nicht ganz warm Wie sehr Sommer hier 198384 den Geist der Zeit einfing merkt man wenn man die bdquoProfilldquo-Ausgaben von damals in denen von dem authentischen Landtagsabgeordneten berichtet wurde durchblaumlttert und liest dass Sigrid Loumlff-ler von einer bdquofriedenssuumlchtigen Zeitldquo schrieb

Graz laumlsst Mut wachsen bdquoDas Licht wird blaumlulichldquo Sommer kaufte sich in den Siebzigern einen Motorsegler von dem aus er bdquoganz Europaldquo aus der Vogelschau betrachtete In einem erst Ende der 80er Jahre in der bdquoPresseldquo erschienen Text Angst vor dem Fliegen schrieb er daruumlber Kein noch so kitschi-ger Text wie bdquoUumlber den Wolkenhellipldquo sei verfehlt bzw koumlnne nicht ausdruumlcken was man da erlebe schrieb er Nicht das man genug tanken muumlsse sei da das Problem sondern das Landen sagte er mir einmal Doch was gab Harald Som-mer Halt so dass er abgesehen von seinen aeronautischen Ausfluumlgen nicht immer bdquohinaufldquo musste Ich denke es war Graz ndash va wer je in einer Grazer Straszligenbahn von Hal-testelle zu Haltestelle gewartet hat und wem je wie Jose-fine Boumlschl dabei der bdquoMut wuchsldquo nachdem sie zuvor in einem Ruckerlberg-artigem Politikerviertel war weiszlig dass es keine im Grunde liebevollere Wuumlrdigung von Graz als jene von Sommer dessen Vater Ingenieur bei den Grazer Verkehrsbetrieben war gibt Auch der Obgaung ist voll von Graz-Bezuumlgen Graz ist wie er in einem Interview in dem er begruumlndete weshalb er aus Berlin zuruumlckkehrte sagte bdquodoch eine lebenswerte Stadtldquo die ihn erdete Ins noumlrdliche Europa und zum Himmel zog es Harald Sommer hinauf doch Halt gab ihm das mitteleuropaumlisch-suumldlichere Graz in dem die Englaumlnder des 17 Jahrhunderts schon den Beginn des balkanischen Ostens sahen

Bernhard Valentinitschgeb 1981 in Graz wo er Geschichte und Philosophie studierte Arbeitete beim Ludwig Boltzmann Institut fuumlr Kriegsfolgenforschung jetzt beim

Centrum fuumlr Juumldische Studien Meh-rere Veroumlffentlichungen zu histori-

schen und kulturellen Themen ua im Grazer Journal for Intelligence Pro-paganda amp Security Studies (JIPSS)

und im deutschen Magazin Rocks

Foto Traussnig

24 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Offenheit und ehrliche Kooperation auf Augenhoumlhe brauchen Reflexivitaumlt und die eigene StandortbestimmungVon Peter Rosegger

Halt durch Haltung

bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo Gerade in Zei-ten einer Fuszligball-Europameisterschaft die noch dazu mit Italien einen wuumlrdigen Sieger gefunden hat kommt einem dieses Wort der italienischen Trainerlegende Gio-vanni Trapattoni in den Sinn Am 10 Maumlrz 1998 formu-lierte Trapattoni in seiner legendaumlren Wut-Pressekonfe-renz diesen scheinbar redundanten Satz bdquoOffensiv ist wie machen wir in Platzldquo ist jedoch nicht nur eine bleibend guumlltige Fuszligballweisheit sondern auch das Herdfeuer gelingender Unternehmensfuumlhrung im Allgemeinen und tragfaumlhiger Kooperationen im Besonderen

Beginnen wir mit dem ersten Wort bdquoOffensivldquo Um offensiv zu sein muss ich wissen wie meine Strategie aussieht und welche Varianten ich auf Lager habe um ein Tor zu erzielen und ndash vielleicht noch wichtiger ndash um keines zu bekommen Und vor allem und dies umgrei-fend muss ich wissen wer meine Spielerinnen sind wo sie eingesetzt werden koumlnnen und welcher Spielstil zu

meiner Mannschaft passt Weiters bdquowie machen wirldquo Kooperationen leben davon dass ich weiszlig wer ich bin dass auch mein Partnermeine Partnerin weiszlig wer ich bin und wer er oder sie selber ist und dass wir einen Spielstil und Spielregeln auf Augenhoumlhe entwickeln die uns zum gemeinsamen Ziel fuumlhren Dafuumlr sind Freude und Kreativitaumlt ebenso notwendig wie Konsequenz und harte Arbeit

Ohne Plan und noch wichtiger ohne Haltung in ein Spiel zu gehen ist bereits der Anfang vom Ende Schlieszliglich bdquoin Platzldquo Kooperationen leben wie Fuszligball davon was wirklich auf dem Platz geschieht Leitbilder groszlige Worte und ausgekluumlgelte Strategien sind notwendig jedoch nur dann lebendig und greifbar wenn aus ihnen reale Situ-ationen und Ergebnisse auf dem Platz resultieren Viele Menschen sind zurecht feinfuumlhlig dafuumlr ob es einen Spalt zwischen Theorie und Praxis gibt oder ob man wirklich dafuumlr einsteht woran man glaubt

Azra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architekturbiennale von Venedig 2021 copy Akšamija

25Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Denkt in KontingenzenGerade in den vergangenen herausfordernden Monaten der Corona-Pandemie haben wir gesehen dass alle notwen-digen Plaumlne und Maszlignahmen stets unter dem Vorbehalt der Realitaumlt stehen Neue evidenzbasierte Entwicklungen fuumlhren dazu Strategien zu adaptieren und Regelungen anzupassen Dies alles unter notwendiger Beruumlcksichti-gung der verfassungsmaumlszligigen Grundlagen unserer Demo-kratie und einer lebendigen Zivilgesellschaft

Unter dem Leitwort bdquoFast geschafftldquo stellt der Journa-list Jan Roszlig in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit vom 17 Juni 2021 die Frage was man aus der Corona-Pandemie lernen koumlnne Er formuliert dabei die poin-tierte These es gebe keine Moumlglichkeit einer perfekten Vorbereitung auf aktuelle oder kuumlnftige Krisen bdquoDas Wichtigste ist sich uumlberhaupt auf boumlse Uumlberraschungen gefasst zu machen widerstands- und reaktionsfaumlhig zu sein Darum sind Forschung Wissenschaft und uumlber-haupt intellektuelle Neugierde so wichtig ndash nicht weil man damit verlaumlsslich wuumlsste was auf uns zukommt sondern weil sie drehbare Geschuumltze sind die der menschliche Geist dorthin wenden kann von wo ihm unerwartet die naumlchste Gefahr entgegenkommt [hellip]

Vor allem jedoch braucht man eine Gesellschaft die es ertraumlgt dass sie nicht alles unter Kontrolle hat die Schicksalsschlaumlge verkraften und uumlberleben kannldquo Roszlig leitet aus seinen Uumlberlegungen auch wesentliche Grund-haltungen fuumlr ein gelingendes Zusammenleben in einer lebendigen Demokratie ab bdquoAlso ein oumlffentliches Leben mit moumlglichst wenig Gift und Galle Gruppenmiss-trauen und Kulturkampf Wenn wir das hinbekommen werden wir es auch beim naumlchsten Mal durchstehen was immer sbquoeslsquo istldquo

Entwickelt einen eigenen SpielstilIm Fuszligball wie in Kooperationen und auch im gesell-schaftlichen Diskurs kommt es dennoch bisweilen vor dass man unvorbereitet auf eine neue Situation trifft oder dass sich die Lage so schnell aumlndert dass alle uumlber-legten Strategien und Szenarien nicht mehr greifen Besonders in diesem Fall ist jene Mannschaft resilienter die zuvor ausreichend Zeit investiert hat den eigenen Stil zu finden und diesen auch durchzutragen wenn es einmal kurzfristig nicht laumluft In den Worten Giovanni Trapattonis bdquoEin Trainer ist nicht ein Idiotldquo Stilfragen werden ja oft als schmuumlckendes Beiwerk scheinbar allein zaumlhlender harter Fakten missinterpretiert Aber die Art und Weise wie wir etwas machen sagt viel daruumlber aus wer wir eigentlich sind Fachliche Exzellenz und Sacho-rientierung sind uumlberall notwendig und hoffentlich auch uumlberall auffindbar Aber wie wir sie einsetzen das ist dann spielentscheidend

Die bdquoCharta der Elisabethinen in Oumlsterreichldquo (2017) gibt uns einen kooperativen und ambitionierten Spielstil mit auf den Weg bdquoIn allen Verhandlungen und Kooperationen sollen Ehrlichkeit und Fairness an erster Stelle stehen Der eigene Vorteil darf nie Grund sein diese Haltungen in Frage zu stellen oder zu relativierenldquo Ebenso definiert und praumlgt sie einen offenen vertrauensbildenden und subsidiauml-ren Stil des Umgangs miteinander bdquoIn der Fuumlhrung unse-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen wir zwischen Ordensschwestern und Fuumlhrungskraumlften ein Zusammen-wirken auf Augenhoumlhe Christliche Grundhaltungen wie Vertrauen Aufrichtigkeit und Loyalitaumlt sollen unseren Umgang miteinander praumlgen Wir wollen den Mut haben strittige Probleme auf den Tisch zu legen und die Demut sie miteinander geschwisterlich zu besprechen So wollen wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sinnvolle Aufgaben zuteilen ihre berufliche Weiterentwicklung foumlrdern sie in ihrem Engagement und ihrer Eigenverant-wortung ermutigen und ihnen an ihrem Arbeitsplatz einen guten Lebensraum bietenldquo

Stil praumlgt und verbindet ndash oder trenntFuszligball und Kooperationen leben letzten Endes von der Freude Sicher das gemeinsame Ziel ist wichtig auch die jeweiligen Anspruumlche und Beduumlrfnisse sowie faire und nachhaltige Rahmenbedingungen Im Letzten jedoch geht es darum gemeinsam etwas Sinnvolles zu erreichen den eigenen Stil unpenetrant leben zu koumlnnen sowie den Stil der oder des Anderen annehmen und als Bereicherung empfinden zu koumlnnen

Nur so ist es auch moumlglich Gemeinsamkeit in Verschie-denheit als gesellschaftliches Potential zu erkennen und Wege fuumlr ein Gemeinwohl zu finden das die jeweilige Per-sonalitaumlt nicht auszligen vor laumlsst Schwere Momente gehoumlren dazu und sind keine Ausrede dafuumlr sich im Strafraum ein-zubunkern Und wenn man merkt man findet trotz aller Bemuumlhungen nicht zueinander darf man sich nicht selbst aufgeben um einen kurzfristigen Vorteil zu erreichen Der eigene Stil ist vielmehr der Grund ein gutes Team zu haben und andere zu inspirieren

Peter Roseggergeb 1980 in Graz Theologie- und

postgraduales Wirtschaftsstu-dium (MBA) 2010 -2014 Sekretaumlr

von Bischof Dr Egon Kapellari 2014-2017 Bildungsreferent in der KHG Graz und Chefredakteur von Denken+Glauben Seit 2018 Leiter

des Wirkfelds bdquolernenamplebenldquo bei den Grazer Elisabethinen und dort seit

2020 Leiter der OumlffentlichkeitsarbeitFoto Hawel

26 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Das Doppelgebot der Liebe in der Praxis Bieten wir Menschen Halt und dieser menschenverachtenden Fluumlchtlingspolitik EinhaltVon Frank Moritz-Jauk

Einwuumlrfe

Im Herbst 2020 bin ich durch einen Augenzeu-genbericht von Christoph Riedl Menschenrechts-experte der Diakonie Oumlsterreich von der Situation der Fluumlchtlinge auf Lesbos beruumlhrt worden und ich schreibe absichtlich bdquoberuumlhrt wordenldquo weil es sich vom bdquolesenldquo oder bdquozur Kenntnis nehmenldquo unterscheidet Wenn wir als Christinnen und Christen vom Doppelgebot der Liebe sprechen dann meinen wir damit die Liebe zu Gott und zu unseren Naumlchsten Wer ist meine Naumlchste und mein Naumlchster Diese Frage habe ich schon oft gehoumlrt Deshalb diese Einleitung Meiner Ansicht nach ist unsere Naumlchste oder unser Naumlchster der Mensch der uns beruumlhrt und der uns selbst spuumlren laumlsst dass wir gemeint sind Das hat zu meinem Engagement in der Fluumlchtlingsfrage und zu meiner Mitarbeit im Netzwerk fuumlr Moria (einer Initiative der Katholischen Aktion) gefuumlhrt Dort vertrete ich nicht nur mich und meine Kirche sondern auch das Oumlkumenische Forum christlicher Kir-chen in der Steiermark

Bezugnehmend auf das Thema dieser Ausgabe sehe ich mindestens zwei groszlige Handlungsauftraumlge Der gegenwaumlrtigen zynischen aber europaumlischen Mig-rationspolitik Einhalt zu gebieten und den betrof-fenen Menschen Halt zu geben Corona hat uns in den vergangenen Monaten nicht nur begleitet sondern in Wahrheit auch alle anderen brennenden Themen uumlberschattet Daher war es mir seit Beginn meiner Mitarbeit an ein Anliegen die Problematik der Menschen in den Fluumlchtlingslagern sichtbar zu machen und der Initiative rund um dieses Thema ein Gesicht zu geben So ist das Logo bdquoWir haben Platzldquo unter der Mitwirkung vieler Personen ent-standen Wie bringt man jetzt ein solches Logo medienwirksam in die Oumlffentlichkeit

Aus dieser Fragestellung ist am 11 Juni dieses Jah-res eine Kundgebung auf dem Grazer Karmeliter-platz rund um das bdquoHimmelszeltldquo entstanden die vielleicht am besten so beschrieben werden kann

Das Zelt das nirgendwo sein darf ndash als Symbol fuumlr Menschen die keinen Fuszlig auf den Boden bringen duumlrfen um eine neue Existenz anfangen zu koumlnnen die keinen Halt im Leben finden steht das Zelt bdquoim Himmelldquo ndash hoch oben auf einem fahrbaren Geruumlst Anstatt das Zelt mit den Menschen auf den Boden zu bringen wird es von einem Ort von einem Lager von einem Land zum naumlchsten geschoben Und mit ihm die betroffenen Menschen Dies haben wir durch vier Menschen die als EU gekennzeichnet waren dargestellt Die installierten Kameras uumlbertragen die Situation aus dem Zelt auf die Bildschirme Menschen auf der Flucht sind in Oumlsterreich ein fluumlchtiges Bild keine fleischgewordene Realitaumlt wie in den Mittel-meerlaumlndern Das schafft eine Distanz die sich in der fehlenden Empathie auswirkt Meiner Ansicht nach sind die Zustaumlnde in den Fluumlchtlingslagern absolut menschen- und europaunwuumlrdig Es ist eine Schande wie hier auf dem Ruumlcken der Schwaumlchsten europaumlische Abschreckungspolitik betrieben wird Und wie kaltlaumlchelnd das von den verantwortlichen Politikerinnen vertreten und der Bevoumllkerung zugemutet wird

Hier in Oumlsterreich moumlchten viele Menschen Abhilfe schaffen indem sie Platz anbieten Trockenen Wohnraum warme Mahlzeiten funktionierende Duschen aumlrztliche Versorgung Schulunterricht bis hin zur Kinderbetreuung Wir muumlssen endlich vom bdquoKoumlnnenldquo ins bdquoTunldquo kommen Wir haben die Ressourcen und wollen sie einsetzen Einsetzen bdquoduumlrfenldquo Das ist das Credo der Initiative wenn es darum geht Menschen Halt zu geben Und einer menschenverachtenden Politik Einhalt zu gebieten ist ein Anliegen das uns alle angeht

Frank Moritz-Jauk geb 1967 studierte Archi-tektur in Konstanz und ist

seit 2016 Pastor der Evan-gelisch-methodistischen

Kirche in Graz Seit fast 15 Jahren Mitglied im Oumlkume-nischen Forum christlicher Kirchen in der Steiermark

Ein Pro jek t des Af ro -As iat ischen

Ins t i tu ts Graz

Foto Neuhold

27Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Raus aus dem FlussAllerorts ist man auf der Suche nach dem Flow Aber nur wo der Fluss unterbrochen wird kann reflektiert werden Von Harald Koberg

Natuumlrlich weiszlig sie was Fernsehen ist hat die Toch-ter von Freunden letztens erklaumlrt Sie hat davon in Buumlchern gelesen Aus der Praxis kennt sie die Not-wendigkeit den eigenen Rhythmus an Programm-zeiten und -inhalte anpassen zu muumlssen nicht bdquoFernsehenldquo bedeutet fuumlr immer mehr Menschen aus einem nahezu endlosen Angebot auszusuchen jederzeit zu starten und zu pausieren und erst wie-der aufzuhoumlren wenn die Faszination verklungen ist oder die Pflicht schon sehr nachdruumlcklich ruft Die Qualitaumlt der einfach verfuumlgbaren Bildschirm-unterhaltung hat sich durch Netflix Amazon Prime und Konsorten zweifelsfrei gesteigert Aber vor allem kehrt mit den Streaming-Anbietern endlich jener Flow vor dem Fernseher ein dem die Programmchefs der traditionellen Sender lange hinterhergelaufen sind

Flow das ist der Zustand in dem Ablaumlufe zur Selbstverstaumlndlichkeit werden in dem Reize und Entspannungsmomente im perfekten Rhythmus aufeinanderfolgen und Zeit und Raum in den Hintergrund treten Flow ist ein Ideal unserer Zeit Im Sport wird er genauso gesucht wie im Game-Design beim Managen von Arbeitsablaumlufen beim Musizieren oder vom Facebook-Algorithmus Im Flow laumluft alles wie von selbst Vor allem auch die Selbstoptimierung Es gibt keine Zweifel Und damit auch keine tiefergehende Kritik

So kann es nicht uumlberraschen dass Flow uumlberall dort besonders vehement beschworen wird wo der neoliberale Markt die Lage fest im Griff hat Shop-ping soll sich anfuumlhlen wie ein Videospiel Und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit gilt es ohnehin aufzuloumlsen So wird durchaus akzeptiert wenn YouTube auch am Firmenhandy einen guten Teil des Datenvolumens frisst ndash solange man fuumlr den Chef dann auch am Samstag erreichbar ist und vor dem Einschlafen noch einmal die Mails checkt Alles ist im Fluss Alles ist Entertainment und Optimierungsprozess zugleich Die in der Freizeit erarbeitete Reichweite auf Twitter und LinkedIn wird zum Verkaufsargument fuumlr die

eigene Arbeitskraft Und zwischen Freundschaften und dem Kollegium wird auf Facebook und Insta-gram schon lange nicht mehr unterschieden

Arbeit Freizeit Bildung Unterhaltung Entspan-nung Sozialkontakte ndash alles geht immer nahtloser ineinander uumlber und wird mehr und mehr uumlber dieselben zwei drei Geraumlte koordiniert die unter-einander kommunizieren um das User-Erlebnis zu optimieren Prozessplaumlne und To-Do-Listen fuumlh-ren durch den Arbeitstag Soziale Medien fuumlllen die kleinen Pausen Podcasts und Spotify verkuumlr-zen den Heimweg Und zur abendlichen Entspan-nung laumlsst man sich im Strom der Algorithmen durch Unterhaltungsuniversen treiben Nur nicht Innehalten und Zeit verlieren mit irritierenden Fragen nach dem Warum und Wozu Da wirkt es fast schelmisch wenn gerade Entertainment-Gigant Disney in einem seiner juumlngeren Filme Soul verbildlicht wie schnell Menschen aus dem Flow-Zustand in ein Dasein als verlorene Seelen abgleiten koumlnnen in dem sie lust- und gedankenlos einfach immer weiter machen

Flow kann etwas Groszligartiges sein selbst dort wo er von anderen designt ist Wenn Probleme sich wie von selbst loumlsen jede Bewegung sitzt oder eben auf jedes Lied auf jedes Video genau das folgt was es braucht um die Stimmung zu halten Aber um zu sehen wohin der Strom fuumlhrt wovon er gelenkt wird und ob das alles irgendwie Sinn macht braucht es Pausen Innehalten und Unterbrechun-gen Der Schritt heraus unterbricht vielleicht das gute Gefuumlhl Aber er ermoumlglicht Reflexion und Kritik Er ist der Moment in dem wir fuumlr die Algo-rithmen an Berechenbarkeit verlieren und der freie Wille wieder ein bisschen in den Vordergrund tritt Und den brauchtrsquos ganz dringend weil das Selbst-verstaumlndliche immer oumlfter ziemlich absurd ist

Harald Koberg geb 1984 in Graz

Studium der Philosophie sowie Volkskunde und Kulturanthropologie an der KFU Graz Arbeitet

als Medienpaumldagoge Oumlffentlichkeitsreferent

und Karate-Trainer

Foto mrFoto

28 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

khg community

Marie-Christin Hinteregger und Klaus Wegleitner beim Online-Philosophicum Foto Traussnig

ERSTES ONLINE-PHILOSOPHICUM Den epidemiologischen Blick aufs Soziale auswei-

ten Angelehnt an das KHG- und QL-Jahresthema bdquoZumutung Zukunftldquo fand das Philosophicum das sich den Zumutungen der Coronakrise aus unterschiedlichen Perspektiven widmete dies-mal online statt Fachkundig moderiert von Hans-Walter Ruckenbauer und in Kooperation mit der Kath-Theol Fakultaumlt wurden wesentliche Aus- und Nebenwirkungen der Pandemie aus Sicht der Ethik Medizin Psychologie und Soziologie beleuchtet Waumlhrend Wolfgang Kroumlll Intensivmediziner iR auf die Folgen einer bdquoPolitik der Angstldquo in Bezug auf medizinische Versorgung verwies ging die Klinische Psychologin Marie-Christin Hinteregger auf die psy-chischen Auswirkungen der Pandemie sowie der COVID-Maszlignahmen ein Soziologe Klaus Wegleitner betonte den globalen Aspekt der Krise und machte zugleich die vielfaumlltigen sozialen Folgen in unserem Nahbereich deutlich Die spannende Diskussion die einen multiperspektivischen Einblick in jene Zumu-tungen bietet die dieses komplexe uns alle betref-fende Thema mit sich bringt kann unter khg-grazat sowie auf Youtube nachgeschaut werden

Marie-Christin Hinteregger

28 Denken + Glauben ndash Nr198 ndash Fruumlhjahr | Sommer 2021

KIRCHWEIHFEST ANDERSEIN SONNIGER SPAZIERGANG DURCHS UNI-GRaumlTZLAlles neu macht der Mai Oder halt anders Am Kirchweihtag der Leechkirche dem 1 Mai war Dioumlzesanbischof Wilhelm Krautwaschl unser Gast Statt groszligem Festgottesdienst lernte er bei einem gemeinsamen Spaziergang durchs Univiertel das akademische Umfeld auf andere Art und Weise kennen So stand zusammen mit dem KHG-Team dem Architektinnen-Duo Leb Idris und dem Vizerektor Peter Riedler ein Besuch des Unicorns dem neuen Start-Up- und Innovations-Hub ebenso am streng getakteten Plan wie die Begegnung mit der KHG Commu-nity dem Cartellverband dem Opus Dei und der Katholischen Hochschuljugend Rausgekommen sind an diesem Tag nicht nur die Sonne sondern auch anregende Gespraumlche in Kleingruppen Der auch online erlebbare Rundgang zu Traditionen und Neuerungen im universitaumlren Umfeld sowie einige spannende Videos koumlnnen unter bdquoTradi-tion in Bewegungldquo auf der khg-grazat abgeru-fen werden Auf das gemeinsame Nachholen der groszligen Feier in der neu renovierten Leechkirche muumlssen wir wohl noch etwas warten aber Vor-freude ist ja die schoumlnste Freude

Brigitte RinnerBischof Wilhelm im Gespraumlch mit der Katholischen Hochschuljugend im PARADISE L

Foto Leitgeb

29Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

HALLO ICH BIN NEU IM TEAMSR MARIA PATKA SAIch stamme aus Siebenbuumlrgen in Rumaumlnien wo ich sehr jung in die Kongrega-tion der Helferinnen eingetreten bin Bei diesem Abenteuer bdquoSchritt fuumlr Schrittrdquo war mir die ignatianische Spiritualitaumlt eine groszlige Unterstuumltzung Meine Aufgaben lagen bisher sowohl im sozialen als auch im pastoralen Bereich wobei die Aus-sage des Heiligen Ignatius bdquoGott in allem suchen und findenrdquo fuumlr mich immer wichtiger und konkreter geworden ist In den letzten sechs Jahren habe ich bei Solwodi Oumlsterreich als Sozialarbeiterin in einer Schutzwohnung und Beratungs-stelle traumatisierte von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen begleitet In diesen extremen Situationen zu erahnen wie Gott dennoch da ist war ein taumlgliches Suchen und Entdecken Ich habe auch in spirituellen Programmen fuumlr junge Menschen mitgearbeitet und Geistliche Begleitung angeboten Da meine Kapazitaumlten fuumlr dieses von mir so geschaumltzte Feld zuletzt immer weniger wurden freue ich mich sehr auf diesen kommenden Schritt auf die Begegnungen auf die Gespraumlche und auf all das was sich ergibt

Maria PatkaSr Maria Patka sa Foto privat

Unsere Sr Vanda im PARADISE L Foto Potocnik

DANKE SR VANDA BOTHNach fuumlnf Jahren im Pastoralteam verlaumlsst Sr Vanda Both sa die KHG um mit dem Terziat die naumlchsten Schritte im Ordensleben der Kongregation der Helferin-nen zu gehen Mit viel Engagement und einem hohen Ver-antwortungsbewusstsein immer verlaumlsslich und gewis-senhaft hat Sr Vanda die spirituellen Angebote und das soziale Engagement betreut Fuumlr viele Studierende war sie Begleiterin Ratgeberin und Weggefaumlhrtin auf einem geistlichen Weg Dank ihr hat die Magis-Gruppe auch die Lockdowns uumlberdauert und ist sogar noch intensiver zusammengewachsen Diskret vertraulich und aufmerk-sam hat sie jene betreut die den KHG-Sozialzuschuss benoumltigten verlaumlsslich nach den Morgengottesdiens-ten fuumlr ein gemeinsames Fruumlhstuumlck gesorgt mit groszliger Umsicht Stockwerksgemeinschaften des KHG-Heimes betreut uvm Liebe Sr Vanda vieles von deinem Tun blieb nach auszligen unsichtbar weil es persoumlnlich oder diskret war umso mehr gilt es dir im Namen vieler Studierender ein herzliches Dankeschoumln zu sagen Fuumlr deinen weiteren Weg wuumlnschen wir dir viel Segen und hoffen dass wir uns wieder begegnen werden

Alois Koumllbl

30 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

MAI MOOS MARIASTUDIERENDENWALLFAHRT NACH MARIA FREIENSTEINIm Marienmonat Mai zogen KHJ und KHG Graz aus um von Niklasdorf zur Wallfahrtskirche Maria Freienstein zu pilgern Unser Weg fuumlhrte dabei uumlber die Berge noumlrdlich von Leoben durch feuchtnasse fruumlhlingshafte Landschaft Der Aufstieg auf der verregneten und leicht nebligen Forststraszlige faumlllt in meiner Erinnerung zusammen mit vielen anregenden Gesprauml-chen der Studierenden in der langen Marschkarawane Sehr bdquosympathischldquo (so Hochschulseelsorger Alois im O-Ton) war einigen in der Gruppe auch eine am Wegrand angefundene Selbstbedienungs-Bierquelle Je houmlher wir kamen desto mehr lichtete sich der anfaumlnglich noch grau bedeckte Him-mel und spendete uns angenehme Waumlrme Unsere Jause verspeisten wir auf Moos und Reisig gebettet unter Schutz spendenden Rottannen Im Verlauf des Abstieges klaumlrten sich die zuweilen regenbringenden Wolken vollends auf Am Felsplateau von Maria Freienstein angekommen erwartete uns dann nicht nur frischgebackener Kuchen sondern auch eine festliche Messe in der hell erleuchteten Kirche

Brigitte Rinner

Durch den Wald

khg community

und rauf in die sonnige Houmlh Fotos Buchberger

31Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

SILENT CINEMA GANZ FuumlR SICH UND DOCH GEMEINSAM Die Welt schien dank der langsam sinkenden Sonne schon in einem wohltuenden Orange als am Abend des 1 Juni langsam aber sicher die Kinoliebhaber im PARADISE L bei der Leechkirche eintrudelten Nach Monaten des Kinoentzugs und einer schier endlosen Zeit des Streamings stand die Vorfreude auf die erste Projektion in die Gesichter der Anwesenden geschrieben Noch dazu sollte es kein normaler Kino-abend werden Schon bei der Ankunft erblickte man die Sessel und gemuumltlichen Decken die im Freien bereitgestellt waren Die Leinwand an der Seitenfassade der Kirche lud ein Platz zu nehmen und rund 45 Minuten lang in drei Kurzfilme des Trios Total Refusal zu versinken Ein traumlumerisches Erlebnis Nicht nur wegen der besonderen Loca-tion und den herausragenden filmischen Darbietungen sondern auch wegen der gewaumlhlten Praumlsentationsform des von KULTUM KHG und Diagonale organisierten Silent Cinemas Mit Kopfhoumlrern ausgestattet konnte so jeder ganz fuumlr sich und doch in der Gemeinschaft der ande-ren Cinesiasten seinen ersten After-Lockdown-Kinomoment feiern

Teresa Guggenberger

Eine besondere Film-Location Silent Cinema im PARADISE L Foto Pinaeva

DAS KHGc-BIOPIC CHRISTIAN WITZAls er Industriellen Umweltschutz in Leoben studierte kam der gebuumlrtige Voumlcklabrucker Christian Witz (37) auf professoralen Wink hin mit dem Foumlrde-rungswerk PRO SCIENTIA und dem Pfarr- und KHG-Kosmos in Beruumlhrung Der heute eine mit Simulationen beschaumlftigte Forschungsgruppe an der Tech-nischen Universitaumlt Graz leitende promovierte Verfahrenstechniker entdeckte in diesem Kosmos bdquoeine Form der (Persoumlnlichkeits-)Bildung die befaumlhigt Teil einer Gesellschaft zu sein bdquoin der zusammen- und nicht nur nebeneinander gelebt wirdldquo Doch nicht nur das Verbindende auch das Grenzen Auslotende hat er hier schaumltzen gelernt So war er etwa von einem PRO SCIENTIA-Workshop mit einer Performancekuumlnstlerin bei der alltaumlgliche Handlungen extrem verlangsamt wurden tief beeindruckt Solchen Geschwindigkeitsver-schiebungen begegnet der mit Sandra verheiratete und in Graz lebende Vater zweier Soumlhne auch in der Simulation wo Mischprozesse sehr schnell und biologische Prozesse sehr langsam ablaufen Schoumln dass unser Kosmos und unser Foumlrderverein KHGc durch Dein Tun bereichert werden Christian

Florian TraussnigChristian Witz Foto TU Graz

32 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Impressum

DENKEN + GLAUBENZeitschrift der Katholischen Hochschul-gemeinde fuumlr die Grazer Universitaumlten und Hochschulen

ChefredaktionFlorian Traussnig

RedaktionsteamJennifer Brunner Agnes HobigerJulia JochumHarald KobergHelga RachlNatalie ReschGuumlnter SchuchlautzAnton TauschmannJoumlrg Wilkesmann

Medieninhaber und Herausgeber Katholische Hochschulgemeinde Graz Alois Koumllbl Leechgasse 24 8010 Graz Tel 0316 32 26 28 wwwkhg-grazat

Layout und Satz Wolfgang Rappel

Druck Universitaumltsdruckerei Klampfer St Ruprecht an der Raab

Namentlich gezeichnete Beitraumlge muumlssen nicht die Meinung der Redaktion bzw des Heraus-gebers wiedergeben

Soweit es moumlglich war hat die Redaktion die urheberrechtlichen Fragen bzgl der verwendeten Bilder geklaumlrt Nicht erwaumlhnte Inhaberinnen von Bildrechten werden gebeten sich unter traussnigkhg-grazat zu melden

Abo-Bestellung traussnigkhg-grazat

Wir bitten Sie mittels beigelegtem Erlagschein um die Unterstuumltzung unserer ArbeitHerzlichen DankKatholische Hochschulgemeinde GrazStmk Bank u Sparkassen AG Kto-Nr 03300 700 543 BLZ 20815 IBAN AT312081503300700543 BIC STSPAT2G Verwendungszweck DENKEN+GLAUBEN44002042913

wwwkhg-grazat

spezielle gottesdienste

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen JahresSo 3 oKt 1815 | Stadtpfarrkirche Herrengasse 23 Anschlieszligend Agape im Brunnenhof

gottESdiEnSt in dER JuStizAnStAlt KARlAuSo 15 noV 730 | Einen Gottesdienst gemeinsam mit den Insassen feiern | weiterer Termin So 23 JAumlnInformation und Anmeldung patkakhg-grazat

khg gottesdienste

BREAK4PRAyERMo ndash fR 1200 | Hauskapelle Leechgasse 24

MESSE in dER StAdtPfARRKiRchESo 1815 | Herrengasse 23 | anschlieszligend Agape

MESSE in dER hAuSKAPEllEdi 715 | Leechgasse 24 | anschlieszligend gemeinsames fruumlhstuumlck

StudiEREndEngottESdiEnSt in dER lEEchKiRchEMi 1800 | Zinzendorfgasse 3

MESSE in dER KAPEllE dES John-ogilViE-hAuSESfR 715 | Zinzendorfgasse 3

spirituelle angebote

tAizeacutegEBEt in dER StiEgEnKiRchEjeden letzten di im Monat 1900 | Sporgasse 23a

EuchARiStiSchE AnBEtung in dER lEEchKiRchEjeden fR 2000 ndash 2100 | Zinzendorfgasse 3

MAgiS-gRuPPEab Mo 18 oKt 1930 | John Ogilvie Haus Zinzendorfgasse 3Raum des Gespraumlches des Austausches und des Gebetes14-taumlgig jeweils MoInformation Anmeldung patkakhg-grazat

CoverfotoAzra Akšamija Silk Road Works (Detail) Installation auf der von Hashim Sarkis kuratierten 17 Architektur-biennale von Venedig 2021 copy Akšamija

33Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021

Studierendenheim zum Wohlfuumlhlen

Kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft

In unmittelbarer Naumlhe zu allen Unis

quartierleechat

34 Denken + Glauben ndash Nr199 ndash Herbst 2021Pb b E r s c h e i n u n g s o r t G r a z Ve r l a g s p o s t a m t 8 010 G r a z Z u l a s s u n g s n u m m e r G Z02 Z0 31475 M E r s c h e i n t v i e r m a l j auml h r l i c h DV R - N r 0 029 874 (18 3 ) I S S N 16 0 5 -4 8 57

whatlsquos up

Entsprechend der sich laufend aumlndernden covid19-Situation finden Sie die aktuellen Veranstaltungsinformationen auf unserer homepage infos und Uumlberblick uumlber weitere Veranstaltungen finden Sie unter khg-grazat facebookcomkhggraz und wwwinstagramcomkhggraz

AndREAS hEllER bdquosurroundldquodo 7 oKt 1900

Ausstellungseroumlffnung QL-Galerie Leechgasse 24

(zu sehen bis FR 12 NOV)

Foto Heller

Halt

REthinK-fEStiVAl

Mo 18 ndash SA 23 oKt

Fuumlnftaumlgiges Nachhaltigkeitsfestival mit Schwerpunktvortrag Film-amp Dokuabend Fahrrad- amp Kleider-Repair-Workshop Kleidertauschboumlrse und Musik Quartier Leech Leechgasse 24In Kooperation mit dem Afro-Asiatischen InstitutFoto RinderKrachler

bdquohAltldquo Auftaktveranstaltung zum Ql-Jahresthema

di 19 oKt 1900

Mit Bischof hermann glettler uaQL-Saal Leechgasse 24In Kooperation mit der KHG Community und dem Afro-Asiatischen Institut

Foto Neuhold

St AndRAuml intERnAtionAlfEiERtAg

di 26 oKt

1015 Internationaler Gottesdienst mit hS Alois Koumllbl

Im Multikulti-Bezirk Gries wird der 26 Oktober traditionell als bdquoInternationalfeiertagldquo begangen Pfarrkirche St Andrauml Kernstockgasse 9

Foto Andrauml Kunst

Bis vor kurzem deuteten die Zeichen fuumlr das kommende (Studien-)Jahr auf einen Aufbruch auf Neubeginn auf eine forsche Feier des Jetzt hin Doch so einfach ist es nicht Die pandemische Krise mag in unserer Weltecke vielleicht bald uumlberwunden sein und den meisten von uns ndash mir persoumlnlich auch ndash duumlrfte ein Los gehtrsquos gedanklich jetzt ganz gut schmecken Und doch haben wir uns als Quartier Leech fuumlr ein geistiges Innehalten ein Durch-atmen eine Reflexion entschieden Es ist noch immer voumlllig offen ob die Corona-Erfahrung eine Zeitenwende oder eine groszlige gesellschaftliche Transformation einlaumluten wird oder nicht Immer wieder aufgeblitzt ist in den letzten Monaten aber die Tatsache dass trotz ausgebliebener Groszligkatastrophe und halbwegs erfolgreichem Durchlavieren durch die Krise der Firnis der Zivilisation erschreckend duumlnn der Kitt der Gesellschaft unglaublich poroumls ist Was gibt uns Halt was haumllt uns (noch) zusammen Das fragt sich etwa Martin Duumlrnberger im Leitarti-kel Wo gilt es Halt zu rufen wo gilt es Haltung zu zeigen Wo kann man sich selbstbewusst anhalten Gehen wir diesen Fragen nach betreiben wir ruhig noch ein bisschen Soul Searching ehe der ganze Wahnsinn wieder losgeht

Florian Traussnig Chefredakteur

Foto KHG

ERoumlffnungSgottESdiEnSt des akademischen Jahres

So 3 oKt 1815

Grazer Stadtpfarrkirche Herrengasse 23

Foto KHG

do holtS di orsquouni-opening-tage im PARAdiSE l

Mo 11 und di 12 oKt

Gespraumlche Begegnungen Snacks amp gute Musik rund um den Apfel-baum und die gemuumltliche Holzstiege vor der LeechkircheParadise L Zinzendorfgasse 3

gRiES lEnd und dAS EWigE lEBEn

SA 16 oKt

KHG-Community-Stadtspaziergang durch die MurvorstadtIn Planung Details folgen

Foto Andrauml Kunst

Page 24: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 25: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 26: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 27: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 28: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 29: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 30: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 31: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 32: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 33: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 34: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 35: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at
Page 36: DENKEN GLAUBEN - khg-graz.at