Der Asiatische Marienkäfer als Modell

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D er Asiatische Marienkäfer Harmonia axyridis ist ursprünglich in Zentralasien beheimatet. Als effi- zienter Vertilger von Blattläusen und anderen Schad- insekten wurde er im vergangenen Jahrhundert unter anderem in Nordamerika und Europa eingeführt, um diese auf biologische Weise zu bekämpfen [1].Von dort aus hat er sich in den vergangenen Jahrzehnten über mehrere Kontinente ausgebreitet. Seine Vorkommen er- strecken sich inzwischen bis nach Südamerika und Südafrika [2]. Zahlreiche unabhängige Studien belegen, dass die Ausbreitung von H. axyridis vielerorts mit dem Rückgang einheimischer Marienkäfer einhergeht. In verschiedenen Ländern Europas wirkte sich die Aus- breitung dieser invasiven Art insbesondere auf die Häu- figkeit des Zweipunkt-Marienkäfers Adalia bipunctata und des Siebenpunkt-Marienkäfers Coccinella septem- punctata negativ aus [3]. Diese Befunde regten viele Wissenschaftler dazu an, die Ursachen für die erfolgrei- che Verdrängung einheimischer Marienkäfer durch H. axyridis zu erforschen. Dabei ist von besonderem In- teresse, dass räuberische Marienkäfer nicht nur um die Nahrung konkurrieren, sondern sich auch gegenseitig dezimieren (Abbildung 1). Die Larven und die Käfer von räuberischen Marienkäfern sind Kannibalen und verschmähen auch die Eier und Larven anderer Mari- enkäferarten nicht (Abbildung 2). Dieses wechselsei- tige Fressen zwischen räuberischen Marienkäferarten wird im Englischen als „Intraguild predation“ bezeich- net und einige Studien führen die Verdrängung einhei- mischer Arten darauf zurück, dass H. axyridis in diesem Wettbewerb besonders erfolgreich ist [4]. Ein weiterer Faktor, der die erfolgreiche Ausbreitung von H. axyridis begünstigt, ist offenbar seine im Vergleich zu heimi- schen Marienkäfern stärker ausgeprägte Resistenz ge- gen Krankheitserreger wie Pilze, die sich auf die Infek- tion von Insekten spezialisiert haben [5]. Der Asiatische Marienkäfer ist auch in der Insekten- biotechnologie zu einem vielversprechenden Modell geworden. Dieses auch als Gelbe Biotechnologie be- kannt gewordene Forschungsgebiet nutzt biotechni- sche Methoden, um Insekten beziehungsweise die von diesen stammenden Moleküle, Zellen, Organe oder Mi- Der Asiatische Marienkäfer Harmonia axyri- dis dient in der Invasionsbiologie als Modell für die Erforschung der Faktoren und Mecha- nismen, die erklären, warum manche Arten sich erfolgreich weltweit ausbreiten können, während andere, auch nah verwandte Arten, dazu nicht in der Lage sind. Jüngste For- schungen zeigen, wie sich der Asiatische Marienkäfer in den neu besiedelten Arealen erfolgreich gegen einheimische Marienkäfer- arten durchsetzen kann. Invasiv durch biologische und chemische Waffen Der Asiatische Marienkäfer als Modell A NDREAS V ILCINSKAS | HENRIKE S CHMIDTBERG DOI:10.1002/biuz.201410551 386 | Biol. Unserer Zeit | 6/2014 (44) © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Online-Ausgabe unter: wileyonlinelibrary.com ABB.1 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von den Mundwerkzeu- gen des Asiatischen Marienkäfers.

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Der Asiatische Marienkäfer Harmonia axyridis istursprünglich in Zentralasien beheimatet. Als effi-

zienter Vertilger von Blattläusen und anderen Schad -insekten wurde er im vergangenen Jahrhundert unteranderem in Nordamerika und Europa eingeführt, umdiese auf biologische Weise zu bekämpfen [1]. Von dortaus hat er sich in den vergangenen Jahrzehnten übermehrere Kontinente ausgebreitet. Seine Vorkommen er-strecken sich inzwischen bis nach Südamerika undSüdafrika [2]. Zahlreiche unabhängige Studien belegen,dass die Ausbreitung von H. axyridis vielerorts mit demRückgang einheimischer Marienkäfer einhergeht. Inverschiedenen Ländern Europas wirkte sich die Aus-breitung dieser invasiven Art insbesondere auf die Häu-figkeit des Zweipunkt-Marienkäfers Adalia bipunctataund des Siebenpunkt-Marienkäfers Coccinella septem-punctata negativ aus [3]. Diese Befunde regten vieleWissenschaftler dazu an, die Ursachen für die erfolgrei-che Verdrängung einheimischer Marienkäfer durch H. axyridis zu erforschen. Dabei ist von besonderem In-teresse, dass räuberische Marienkäfer nicht nur um dieNahrung konkurrieren, sondern sich auch gegenseitigdezimieren (Abbildung 1). Die Larven und die Käfervon räuberischen Marienkäfern sind Kannibalen undverschmähen auch die Eier und Larven anderer Mari-enkäferarten nicht (Abbildung 2). Dieses wechselsei-tige Fressen zwischen räuberischen Marienkäferartenwird im Englischen als „Intraguild predation“ bezeich-net und einige Studien führen die Verdrängung einhei-mischer Arten darauf zurück, dass H. axyridis in diesemWettbewerb besonders erfolgreich ist [4]. Ein weitererFaktor, der die erfolgreiche Ausbreitung von H. axyridisbegünstigt, ist offenbar seine im Vergleich zu heimi-schen Marienkäfern stärker ausgeprägte Resistenz ge-gen Krankheitserreger wie Pilze, die sich auf die Infek-tion von Insekten spezialisiert haben [5].

Der Asiatische Marienkäfer ist auch in der Insekten-biotechnologie zu einem vielversprechenden Modellgeworden. Dieses auch als Gelbe Biotechnologie be-kannt gewordene Forschungsgebiet nutzt biotechni-sche Methoden, um Insekten beziehungsweise die vondiesen stammenden Moleküle, Zellen, Organe oder Mi-

Der Asiatische Marienkäfer Harmonia axyri-dis dient in der Invasionsbiologie als Modellfür die Erforschung der Faktoren und Mecha-nismen, die erklären, warum manche Artensich erfolgreich weltweit ausbreiten können,während andere, auch nah verwandte Arten,dazu nicht in der Lage sind. Jüngste For-schungen zeigen, wie sich der Asiatische Marienkäfer in den neu besiedelten Arealenerfolgreich gegen einheimische Marienkäfer-arten durchsetzen kann.

Invasiv durch biologische und chemische Waffen

Der Asiatische Marienkäferals Modell ANDREAS VILCINSKAS | HENRIKE SCHMIDTBERG

DOI:10.1002/ biuz.201410551

386 | Biol. Unserer Zeit | 6/2014 (44) © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, WeinheimOnline-Ausgabe unter:wileyonlinelibrary.com

A B B . 1 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von den Mundwerkzeu-gen des Asiatischen Marienkäfers.

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kroorganismen, um Produkte oder Dienstleistungen fürAnwendungen in der Medizin, im Pflanzenschutz oderin der Industrie zu entwickeln. Dabei werden Insektenaufgrund ihrer Biodiversität als riesige Naturstoffbiblio-thek gesehen, die es zum Wohle der Menschheit zu er-schließen gilt [6]. Menschliche Krankheitserreger, diegegen therapeutisch eingesetzte Antibiotika resistentwerden, sind eine wachsende Gefahr und erforderneine intensive Suche nach neuen Antibiotika. Vor die-sem Hintergrund werden Insektenarten, die eine aus-geprägte Resistenz gegen Krankheitserreger zeigenoder stark mit Mikroben kontaminierte Habitate besie-deln können, bei der gezielten Suche nach neuen Anti-Infektiva favorisiert. Unsere auf Vorwissen basierendeAuswahl geeigneter Insektenarten für die Naturstoff-forschung wird auch durch evolutionsbiologische Hy-pothesen inspiriert. So wurde der Asiatische Marienkä-fer für unsere Studien ausgewählt, um eine Hypothesezu prüfen, nach der invasive Arten über ein besseres Im-munsystem verfügen sollten, als nicht-invasive, da diesein den neubesiedelten Arealen mit Krankheitserregernund Parasiten konfrontiert werden, an die sie sich nichtdurch Co-Evolution anpassen konnten [7].

Die chemischen Waffen des Asiatischen Marienkäfers

Schon die ersten Experimente zeigten, dass sich in derHämolymphe von H. axyridis eine starke, wachstums-hemmende Aktivität gegen Bakterien (die in Form vonHemmhöfen sichtbar ist) nachweisen lässt (Abbildung3a), die bei einheimischen Marienkäfern wie dem Zwei-punkt- oder dem Siebenpunkt-Marienkäfer nicht vor-kommt oder deutlich schwächer ausgeprägt ist. Die an-schließende Analyse der Hämolymphe von H. axyridisKäfern zeigte, dass diese Aktivität durch das AlkaloidHarmonin verursacht wird (Abbildung 3b) [8]. Um des-sen Potenzial als Leitsubstanz für die Entwicklungneuer Antibiotika erforschen zu können, wurde es syn-thetisch hergestellt und gegen verschiedene Bakterienund Parasiten getestet. Die Wirkung des Harmonins aufdie meisten Bakterien war jedoch relativ schwach. Diegroßen Hemmhöfe in den Bakterienrasen (Abbildung3a) resultieren aus den großen Harmoninmengen, diein der Hämolymphe angereichert werden, und aus derhohen Mobilität des kleinen Moleküls im Agar.

Interessanterweise entdeckten wir auch, dass Har-monin gegen die Erreger der Tuberkulose und der Ma-laria wirksam ist. Im Unterschied zu den meisten Anti-Malariamitteln entfaltete sich diese Aktivität sogar ge-gen verschiedene Entwicklungsstadien des ErregersPlasmodium falciparum [8]. Aus diesem Grund wirddas Potenzial von Harmonin als Leitsubstanz für dieEntwicklung von neuen Anti-Infektiva weiter erforscht.Unsere Untersuchungen untermauern die Hypothese,dass das in einheimischen Marienkäfern nicht vorkom-mende Harmonin von H. axyridis als chemische Waffe

gegen Pathogene und Parasiten ein-gesetzt wird und so zu dessen Er-folg als invasive Art beiträgt. Darü-ber hinaus bestätigen sie die An-nahme, dass invasive Arten über einbesseres Immunsystem verfügen.

Eine Studie postulierte jedocheine andere Funktion des Harmo-nins [9]. Die Autoren beobachteteneine erhöhte Mortalität bei einhei-mischen Marienkäfern, die mit Ei-ern von H. axyridis gefüttert wur-den (Abbildung 2), während dieseinvasive Art ohne nachteilige Wir-kung mit den Eiern von einhei -mischen Arten ernährt werdenkonnte. Da die Autoren in den Eiernvon H. axyridis ebenfalls Harmoninfanden, vermuteten sie, dass diese Substanz für einhei-mische Marienkäfer tödlich ist und als chemische Waffedie Eier vor Fressfeinden schützt [9]. Um diese Hypo-these zu prüfen, haben wir das synthetische Harmoninin großen Mengen in den Siebenpunkt-Marienkäfer in-jiziert, konnten jedoch keine erhöhte Mortalität fest-stellen [10]. Unsere Untersuchungen und publizierteFeldstudien weisen darauf hin, dass mit Eiern oder Lar-ven aufgenommenes Harmonin von einheimischen Ma-rienkäfern toleriert wird.

Die biologischen Waffen des Asiatischen Marienkäfers

Wenn einheimische Marienkäfer, die Eier oder Larvenvon H. axyridis gefressen haben, offenbar nicht durchdas darin enthaltene Harmonin vergiftet werden, stelltesich uns die Frage, was die in der oben genannten Pu-blikation beschriebene erhöhte Mortalität verursachte.Vor diesem Hintergrund war ein weiterer Befund weg-weisend. Bei der mikroskopischen Untersuchung von

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I N K Ü R Z E

– Der Asiatische Marienkäfer Harmonia axyridis stammt aus Zentralasien und wurdezur biologischen Schädlingsbekämpfung in Nordamerika und Europa eingeführt.

– Er gilt als invasive Art, denn er verdrängt die heimischen Arten Zweipunkt-Marien-käfer Adalia bipunctata und Siebenpunkt-Marienkäfer Coccinella septempunctata.

– Der Asiatische Marienkäfer gilt als Modellorganismus sowohl für die Invasionsbiolo-gie als auch für die Insektenbiotechnologie.

– Seine „Geheimwaffen“ sind sowohl chemischer Natur (Harmonin) als auch biolo-gisch (Mikrosporidien). Außerdem scheint er in der Lage zu sein, die Produktion vonHarmonin bei Immunantworten zugunsten der Synthese antimikrobieller Peptideabzuschalten und so chemische und immunologische Abwehrmechanismen je nachBedarf einzusetzen.

– Asiatische Marienkäfer sammeln sich im Herbst und suchen gemeinsam geschützteWinterquartiere auf. Im Gegensatz zu heimischen Arten können sie auf pflanzlicheNahrung, zum Beispiel Trauben, ausweichen. Ein massenhafter Befall von Weinber-gen hätte katastrophale Folgen für die Qualität des Weines.

A B B . 2 Larve des Siebenpunkt-Ma -rienkäfers Coccinella septempunctatabeim Fressen eines Eies des AsiatischenMarienkäfers Harmonia axyridis.

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Hämolymphproben aus H. axyridis entdeckte ich, dassdiese in großen Mengen Sporen eines vermutetenKrankheitserregers enthielt (Abbildung 4). Obwohl ichseit 20 Jahren das Immunsystem von Insekten erfor-sche, hatte ich einen solchen Befund noch nie bei In-sekten beobachtet, die augenscheinlich gesund waren.Eingehende Untersuchungen führten zu dem Ergebnis,dass es sich um Mikrosporidien handelt [10].

Mikrosporidien sind einzellige, eukaryotische Para-siten, die mit Pilzen verwandt sind und bei Insektenverbreitet vorkommen. Die Infektion erfolgt in der Re-gel nach oraler Aufnahme von Sporen, die mit einer di-cken chitinhaltigen Hülle vor Umwelteinflüssen ge-schützt sind. Die Sporen infizieren den Wirt mit Hilfe ei-nes ausstülpbaren Polfadens, über den das Erbmaterialin dessen Zellen injiziert wird. Während der Infektionbilden sich aus sexuellen und asexuellen Prozessen re-sultierende Entwicklungsstadien, aus denen wiederSporen hervorgehen, die der Verbreitung dienen. Da be-kannt ist, dass Mikrosporidien bei Marienkäfern einer-seits über die Eier an die nächste Generation weiterge-geben werden und andererseits auch die Artgrenzenüberwinden können, stellte sich die Frage, ob die in H.axyridis entdeckten Mikrosporidien auch einheimi-sche Marienkäfer infizieren und töten können. Umdiese Frage zu beantworten, haben wir Mikrosporidienaufwändig aus der Hämolymphe von H. axyridis Kä-fern gereinigt und in den einheimische Siebenpunkt-Marienkäfer injiziert. Diese starben innerhalb von zweiWochen und in den Kadavern wurden neu gebildeteMikrosporidien nachgewiesen. Mikroskopische Unter-suchungen zur Pathogenese dieser Mikrosporidien in

H. axyridis bestätigten, dass diese auch in den Eiernund den Larven vorkommen [11].

Die in H. axyridis entdeckten Mikrosporidien ka-men in allen untersuchten Exemplaren vor und wer-den vom Wirt augenscheinlich ohne Beeinträchtigun-gen toleriert. Da sie jedoch einheimische Marienkäferoral infizieren können, wenn diese deren Eier oder Lar-ven fressen, können die Parasiten wie eine biologischeWaffe wirken, weil sie einen Wettbewerbsvorteil fürden Asiatischen Marienkäfer vermitteln [10]. Um imKonkurrenzverhältnis mit den einheimischen Marien-käfern eine Rolle zu spielen, müssen die von H. axyri-dis übertragenen Mikrosporidien ihre neuen, einheimi-schen Wirte nicht unbedingt töten. Für die invasivenMarienkäfer ist es auf lange Sicht auch von Vorteil,wenn die Parasiten die Reproduktion der einheimi-schen Konkurrenten reduzieren. In der wissenschaftli-chen Literatur gibt es zahlreiche Hinweise, dass Mikro-sporidien die Fruchtbarkeit oder andere Parameter inden infizierten Wirten beeinträchtigen können [11].

Nachdem wir die Entdeckung der Mikrosporidienals biologische Waffe des Asiatischen Marienkäfers imFachmagazin Science publiziert hatten [10], bekamenwir von zahlreichen Kollegen Harmonia-Käfer ge-schickt, die weltweit in verschiedenen Ländern und inseinem natürlichen Verbreitungsgebiet gesammelt wur-den. In allen haben wir Mikrosporidien gefunden, wasden Schluss nahelegt, dass sich die Assoziation zwi-schen H. axyridis und diesen Parasiten bereits in sei-nem ursprünglichen Verbreitungsgebiet ausgebildethat [11]. Obwohl die Mikrosporidien in hohen Konzen-trationen in der Hämolymphe von H. axyridis-Käfernvorkommen, wurden diese Parasiten offenbar bishervon Wissenschaftlern übersehen. Um herauszufinden,wie H. axyridis die Vermehrung seiner Mikrosporidienunter Kontrolle hält, haben wir das Immunsystem die-ser invasiven Art eingehend untersucht: Bei der verglei-chenden Analyse des Transkriptoms von unbehandel-ten und mit Bakterien injizierten Käfern mit Hilfe vonmodernen Sequenziermethoden haben wir über 50verschiedene antimikrobielle Peptide entdeckt [12]. Dadies die höchste Anzahl ist, die bisher von Tieren oderPflanzen veröffentlicht wurde, ist der Asiatische Mari-enkäfer in dieser Hinsicht aktueller Rekordhalter. EinTeil dieser antimikrobiellen Peptide wurde synthetischhergestellt und im Hinblick auf ihr Wirkspektrum ge-testet. Dabei wurden nicht nur Peptide gefunden, dieeine Wirkung auf Bakterien entfalten. Unter den nur beiKäfern (Coleoptera) vorkommenden Coleoptericinenwurden Vertreter entdeckt, welche gegen Pilze wirk-sam sind, die Insekten infizieren und töten können undbei heimischen Marienkäfern nicht vorkommen [12].Aus diesem Grund ist es naheliegend, dass die in der Li-teratur beschriebene erhöhte Resistenz von H. axyridisgegen Insektenpathogene [5] auch auf sein erweitertesSpektrum an antimikrobiellen Peptiden basiert.

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NH2

H2NHarmonin

A B B . 3 a) Im Gegensatz zu den einhei-mischen Marienkäfern Adalia bipunctata(links) und Coccinella septempunctata(mitte) ist in der Hämolymphe des Asiatischen Marienkäfers Harmonia axyridis (rechts) eine starke Aktivität gegen lebende Bakterien mit dem Hemmhoftest nachweisbar, die durch das darin enthaltene Harmonin verur-sacht wird. b) Struktur des Harmonins aus Harmonia axyridis.

a)

b)

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Balancierter Einsatz von chemischen undimmunologischen Abwehrmechanismen

Im Hinblick auf die Immunabwehr unterscheidet sichH. axyridis in einem weiteren Aspekt von allen bisheruntersuchten Insektenarten. Die Injektion von Bakte-rien zur Auslösung von Immunantworten resultiertnicht in einer Erhöhung der antibakteriellen Aktivität inder Hämolymphe, sondern in einer starken Abnahme.Eine detaillierte Analyse des entdeckten Phänomensführte zum Nachweis einer Kosten-Nutzen-Abwägung(Trade-offs) zwischen chemischen und immunologi-schen Abwehrmechanismen. Die hohe antibakterielleAktivität in der Hämolymphe von unbehandelten Har-monia-Käfern basiert auf kontinuierlich produziertemHarmonin. Dessen Produktion wird bei Immunantwor-ten zugunsten der Synthese antimikrobieller Peptideabgeschaltet. Letztere sind größer und diffundierendeshalb langsamer im Agar, was bei Hemm-hoftests eine geringere Aktivität anzeigt.Die ständige Synthese von antimi-krobiellen Peptiden würde Res-sourcen verbrauchen, die dannnicht in andere Parameterwie die Fruchtbarkeit inves-tiert werden können. Diekonstitutive Synthese vonHarmonin ist im Hinblickauf die dafür aufgewende-ten Ressourcen offenbarkostengünstiger und er-laubt so die Produktion ho-her Eizahlen, ohne auf einenpermanenten Schutz vor Para-siten zu verzichten. Seine anti-mikrobiellen Peptide setzt H. axy -ridis erst dann ein, wenn die erste,auf seiner chemischen Waffe basierendeVerteidigungslinie überwunden wird und es zurAuslösung von Immunantworten kommt [13]. Aus die-sem Grund vermuten wir, dass das Harmonin zumin-dest daran beteiligt ist, die Vermehrung der Mikrospo-ridien in H. axyridis zu kontrollieren. Die Hypothese,dass diese Parasiten wie eine biologische Waffe die Aus-breitung des Asiatischen Marienkäfers unterstützen, indem sie räuberische Marienkäfer infizieren können, diedessen Eier oder Larven fressen, begründet einen drin-genden Forschungsbedarf.

Das Interesse an Studien, die das Gefahrenpotenzialvon mit Insekten assoziierten Mikrosporidien beleuch-ten, welche durch den Menschen verbreitet werden, istgroß. Denn verbreiten invasive Arten Krankheitserre-ger, gegen die sie selbst resistent sind, jedoch nicht dieverwandten Arten in den neu besiedelten Arealen, dannkönnen diese wie biologische Waffen zur Verdrängungeinheimischer Konkurrenten beitragen und sich so negativ auf die Biodiversität auswirken. So besteht der

Verdacht, dass Hummeln aus Europa, die als effizienteBestäuber in Nordamerika freigesetzt wurden, Mikro-sporidien eingeschleppt haben, die das Aussterben be-stimmter in Nordamerika heimischer Hummelartenverursachten [14]. Weiterhin tragen Mikrosporidienzum Bienensterben bei, welche die Artgrenze von derAsiatischen Honigbiene auf die heimische übersprun-gen haben [15]. Inwieweit der beobachtete Rückgangeinheimischer Marienkäfer durch Mikrosporidien ge-fördert wird, die mit dem Asiatischen Marienkäfer ein-geschleppt wurden, muss noch durch entsprechendeFreilandstudien geprüft werden. Die Felduntersuchun-gen werden jedoch durch methodische Probleme beider PCR-gestützten, diagnostischen Erfassung der Aus-breitung von Mikrosporidien bei einheimischen Mari-enkäfern erschwert.

Neben diesen Parasiten und dem als chemischeWaffe gegen Krankheitserreger eingesetzten

Harmonin gibt es eine Reihe weitererFaktoren, die im Wettbewerb mit

heimischen Marienkäfern eineRolle spielen können. So zeigt

der Asiatische Marienkäfernin Gebieten mit strengenWintern ein bemerkens-wertes Aggregationsver-halten. Nach den erstenFrostnächten im Herbstsammeln sich tausendeKäfer an optisch expo-

nierten Objekten wie zumBeispiel Häusern, um ge-

meinsam geschützte Über-winterungsquartiere aufzusu-

chen (Abbildung 5). Dabei sinddie in Häuser eindringenden Käfer-

massen für die Bewohner durchaus läs-tig. Die gemeinsame Überwinterung an ge-

schützten Flächen erhöht aber die Überlebenswahr-scheinlichkeit der Käfer. Es wird angenommen, dass diekürzlich entdeckten Aggregationspheromone erst beiinvasiven Populationen entstanden sind [16]. AktuelleStudien zeigen, dass sich bei invasiven Populationenvon H. axy risis im Vergleich zu nicht invasiven auch dasReproduktionsverhalten verändert hat. Invasive männ-liche Käfer zeigen einen höheren Reproduktionserfolgund die weiblichen legen früher und mehr Eier im Ver-lauf ihres Lebens [17]. Weiterhin können Asiatische Ma-rienkäfer im Unterschied zu einheimischen Marienkä-fern in Situationen, in denen es an Beutetieren mangelt,auf pflanzliche Nahrung ausweichen. So können siezum Beispiel im Herbst, wenn die Blattlausabundanzabnimmt, auf Trauben oder anderen Früchte als Ersatz-nahrung ausweichen. Das Einwandern von vielen Asia-tischen Marienkäfern in die Weinberge hat in Nord-amerika auch ökonomische Schäden verursacht, da

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A B B . 4 Raster-elektronen-mikroskopischeAufnahme vonMikrosporidienin der Hämolym-phe des Asiati-schen Marien -käfers Harmoniaaxyridis.

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Käfer, die mit den gesammelten Trauben in die Maischegelangen, den Geschmack des Weins verderben können[18]. Der Asiatische Marienkäfer schützt sich wie einigeeinheimische Marienkäfer auch mit bitter schmecken-den Methoxypyrazinen vor Fressfeinden. Diese chemi-sche Waffe senkt die Qualität des Weins und damit denVerkaufserlös. Auch in Deutschland fürchten die Win-zer, dass künftig die durch Kontamination mit Marien-käfern verursachten Schäden zunehmen werden. Bis-her halten sich die ökonomischen Schäden jedoch inGrenzen.

Da sich der Asiatische Marienkäfer als hervorragen-des Modell für die Invasionsbiologie etabliert hat, zie-len die Forschungen inzwischen mehr auf molekulareAnalysen ab, um das Phänomen seiner weltweiten Aus-breitung besser zu verstehen. Gegenwärtig wird bereitssein Genom sequenziert. Mit den Daten sollen invasiveund nicht-invasive Populationen verglichen werden,um auf Genomebene molekulare Anpassungen zu iden-tifizieren, welche seinen Erfolg als invasive Art determi-nieren. Dieser anspruchsvollen Aufgabe widmet sichgegenwärtig ein Konsortium aus französischen, belgi-schen und deutschen Wissenschaftlern, deren gemein-sames Projekt seit 2014 über das BIODIVERSA Pro-gramm der EU gefördert wird.

ZusammenfassungDer Asiatische Marienkäfer Harmonia axyridis hat in der In-vasionsbiologie eine prominente Stellung als Modell einge-nommen, da er besonders geeignet ist, um Hypothesen zuprüfen, die das erfolgreiche Ausbreiten von eingeführten Ar-ten erklären. Aktuelle Forschungen implizieren, dass er mitParasiten assoziiert ist, die auch einheimische Marienkäferinfizieren können, wenn diese seine Eier oder Larven fressen.Neben diesen „Biowaffen“ reichert er in seiner Hämolymphe

auch kleine Moleküle an, die als chemische Waffen gegenKrankheitserreger und Fressfeinde dienen. Die Anwendungmodernen genetischer Methoden soll die Anpassungen aufmolekularer Ebene entschlüsseln, die seinen invasiven Erfolgvermitteln.

SummaryThe harlequin ladybird as a model in invasion biologyThe harlequin ladybird Harmonia axyridis has been estab-lished as a promined model in invasion biology because itparticularly suited to test hypotheses explaining the suc-cessful spread of some introduced species. Recent researchelucidated that H. axyridis carries parasites which can infectnative ladybird species if the feed on its eggs or larvae withinintraguild predation. Besides these „bioweapons“ H. axyri -dis accumulates small molecules in its hemolymph whichprovide as chemical weapons protection against pathogensand predators. The application of state of the art genetictools will help to elucidate adaptations mediating invasivesuccess at the molecular level.

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A B B . 5 Asiatische Marienkäfer, die sich zur Überwinterung in geeigneten Ver-stecken sammeln.

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Die AutorenAndreas Vilcinskas studierte Biologie an der Univer-sität Kaiserslautern und an der Freien UniversitätBerlin, wo er 1994 promovierte und sich 1998 imFach Zoologie habilitierte. Seit 2004 ist er Professorfür Angewandte Entomologie am Institut für Phy-topathologie und Angewandte Zoologie an der Justus-Liebig Universität Gießen. Seit 2009 ist ergleichzeitig Leiter der Abteilung Bioressourcen imFraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie. Weiterhin ist er seit 2011Koordinator und Sprecher des über das hessischeExzellenzprogramm LOEWE finanzierten Schwer-punkts Insektenbiotechnologie. Neben der Insek-tenbiotechnologie gehören zu seinen Forschungs-schwerpunkten die Molekular- und Evolutionsbiolo-gie, die Immunologie, die Epigenetik und diechemische Ökologie von Insekten.

Henrike Schmidtberg studierte Biologie und pro-movierte 1998 an der Universität Münster. Danachwar sie von als wissenschaftliche Mitarbeiterin inForschung und Lehre am Institut für Allgemeineund Spezielle Zoologie der Justus-Liebig-UniversitätGießen beschäftigt. Seit 2009 ist sie wissenschaftli-che Mitarbeiterin am Fraunhofer Institut für Mole-kularbiologie und Angewandte Ökologie, AbteilungBioressourcen, in Gießen. Ihre aktuellen Forschun-gen fokussieren auf immunologische und mikro-skopische Untersuchungen am Asiatischen Marien-käfer.

Korrespondenz:Prof. Dr. Andreas VilcinskasInstitut für Phytopathologie und Angewandte Zoologie Justus-Liebig Universität GießenHeinrich-Buff-Ring 26–3235392 GießenEmail: Andreas.Vilcinskas@agrar.uni-giessen.dewww.insekten-biotechnologie.de

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