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__________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Roland Krenn - Dialoge & Reflexionen für Führungskräfte und Teams Quelle: Salzburger Nachrichten vom 29. März 1993 Der Berg als Lebenshilfe Viktor E. Frankl schlägt eine Brücke zwischen dem Klettern und persönlicher Sinnsuche Viktor E. Frankl, Professor für Neurologie und Psychiatrie in Wien, begeht am 26. März seinen 88. Geburtstag. Während seiner Studentenzeit begann er mit dem Klettern vor allem in seinem Lieblingsgebiet, der Rax. Sein Tourenbuch weist zahlreiche schwierige Unternehmungen aus, so etwa die Dachstein-Südwand, das Totenkirchl, die Große Zinne oder den Luis-Trenker-Kamin am 2. Sellaturm. Erst im Alter von 80 Jahren hörte Frankl mit dem Klettern im 3. Grad auf. In einem Gespräch das Wilfried Schwedler kürzlich in Wien mit dem Begründer der Logotherapie führte, schlägt Viktor E. Frankl eine Brücke zwischen dem Bergsteigen und persönlicher Sinnsuche. Herr Professor Frankl, wie haben Sie sich bis ins hohe Alter eine so gute Kondition erhalten können? FRANKL: Die Kondition hängt davon ab, ob man etwas für sie tut. Aber letzten Endes ist sie auch abhängig von der Konstitution, nicht zuletzt von der persönlichen Einstellung. Begonnen habe ich mit dem Felsklettern im Jahr 1924. Und im Jahr 1984, also sechzig Jahre später, hörte ich damit auf. Die Antwort, warum ich damals damit anfing, ist ganz einfach: Deshalb, weil ich mich gefürchtet hab', weil ich Angst hatte. ES IST UNGEHEUER WICHTIG, DIE ANGST ÜBERWINDEN ZU LERNEN FRANKL: Meiner Ansicht nach muß sich der Mensch, so wie ich das oft meinen Patienten sage, nicht alles von sich selber gefallen lassen. Er kann stärker sein als die Angst, er kann die Angst überwinden. Er kann der Angst ins Gesicht sehen, er kann ihr ins Gesicht lachen. Es ist ungeheuer wichtig, daß man die Angst zu überwinden lernt. Und dazu ist ein Sport wie das Klettern ein ausgezeichnetes Mittel. Was ist eigentlich das Besondere am Bergsteigen, am Klettern? FRANKL: Im Sport ist es im allgemeinen so, daß man Konkurrenten hat, daß man Rivalen hat. Aber beim Bergsteigen und vor allem beim Klettern hat man eigentlich nur einen Rivalen, und das ist man selbst. Man rivalisiert mit sich selbst. Man geht darauf aus, es immer besser zu machen. Und wenn die klassische Definition des sechsten Grades seinerzeit gelautet hat: „Hart an der Grenze des Menschenmöglichen“, so möchte ich sagen, daß man durchs Klettern immer hart und ganz nah an die Grenze des einem selbst Möglichen kommen kann. Ich kann erkunden, wo meine Grenzen liegen: Das ist der eigentliche Anreiz des Kletterns; auch für mich persönlich ist es immer so gewesen. Man kann sich heranschieben an die Grenzen, die einem gesteckt sind, und genau damit über sich selbst hinauswachsen. Prof. DDr. Viktor Emil Frankl (1905 – 1997) Neurologe und Psychiater Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. Autor von „… trotzdem Ja zum Leben sagen“. 29 Ehrendoktorate an Universitäten im In- und Ausland.

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DerBergalsLebenshilfeViktorE.FranklschlägteineBrückezwischendemKletternundpersönlicherSinnsucheViktor E. Frankl, Professor für Neurologie undPsychiatrie inWien,begehtam26.Märzseinen88. Geburtstag. Während seiner StudentenzeitbegannermitdemKletternvoralleminseinemLieblingsgebiet,derRax. SeinTourenbuchweistzahlreiche schwierige Unternehmungen aus, soetwa die Dachstein-Südwand, das Totenkirchl,die Große Zinne oder den Luis-Trenker-Kaminam 2. Sellaturm. Erst im Alter von 80 JahrenhörteFranklmitdemKletternim3.Gradauf.IneinemGesprächdasWilfriedSchwedlerkürzlichin Wien mit dem Begründer der Logotherapieführte, schlägt Viktor E. Frankl eine Brückezwischen dem Bergsteigen und persönlicherSinnsuche.HerrProfessorFrankl,wiehabenSiesichbisinshohe Alter eine so gute Kondition erhaltenkönnen?FRANKL:DieKonditionhängtdavonab,obmanetwasfürsietut.AberletztenEndesistsieauchabhängigvonderKonstitution,nichtzuletztvonderpersönlichenEinstellung.BegonnenhabeichmitdemFelsklettern imJahr1924.Und imJahr1984,alsosechzig Jahrespäter,hörte ichdamitauf. Die Antwort, warum ich damals damitanfing, ist ganz einfach: Deshalb, weil ichmichgefürchtethab',weilichAngsthatte.ES IST UNGEHEUER WICHTIG, DIE ANGSTÜBERWINDENZULERNEN

FRANKL: Meiner Ansicht nach muß sich derMensch, so wie ich das oft meinen Patientensage,nicht alles von sich selber gefallen lassen.Er kann stärker sein als die Angst, er kann dieAngstüberwinden.ErkannderAngstinsGesichtsehen, er kann ihr ins Gesicht lachen. Es istungeheuer wichtig, daß man die Angst zuüberwindenlernt.UnddazuisteinSportwiedasKletterneinausgezeichnetesMittel.Was ist eigentlich das Besondere amBergsteigen,amKlettern?FRANKL: ImSport istes imallgemeinenso,daßman Konkurrenten hat, daß man Rivalen hat.Aber beim Bergsteigen und vor allem beimKlettern hat man eigentlich nur einen Rivalen,und das istman selbst.Man rivalisiertmit sichselbst.Mangehtdaraufaus,esimmerbesserzumachen.UndwenndieklassischeDefinitiondessechstenGrades seinerzeit gelautet hat: „Hart an derGrenzedesMenschenmöglichen“,somöchteichsagen,daßmandurchsKletternimmerhartundganz nah an die Grenze des einem selbstMöglichenkommenkann.Ich kann erkunden, wo meine Grenzen liegen:DasistdereigentlicheAnreizdesKletterns;auchfürmichpersönlichistesimmersogewesen.Man kann sich heranschieben an die Grenzen,die einemgesteckt sind, und genaudamit übersichselbsthinauswachsen.

Prof. DDr. Viktor Emil Frankl (1905 – 1997) Neurologe und Psychiater Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. Autor von „… trotzdem Ja zum Leben sagen“. 29 Ehrendoktorate an Universitäten im In- und Ausland.

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Zu Ihrer aktiven Zeit war der höchsteSchwierigkeitsgradnochdersechste.Inzwischenhater sichaufder Skalaweitnachoben hin verschoben. Ist es nicht so, daß dieextremen Kletterer heute von sich schon das„Menschenunmögliche“fordern?FRANKL:DasgiltnichtnurfürsBergsteigenoderfürs Klettern, sondern ganz allgemein fürsmenschliche Dasein. Ich stehe auf demStandpunkt: Nur wer sich das Unmögliche zumZiel setzt, kann das gerade noch Möglicheerreichen. Wenn er hingegen von vornhereinnur das Nahziehe anstrebt, dann fehlt ihm derAnreiz, über sich selbst hinauszuwachsen. Setztersichumgekehrteinweitentferntes,scheinbarunerreichbaresZiel,soerreichterdasÄußerste,dasihmmöglichist.Doch es kommt noch etwas hinzu, was einWesensmomentdesBergsteigens,desKletternsist: Es ist auch in zunehmendemAltermöglich,sich als Alpinist zu betätigen. Wenn diephysischen Kräfte nicht mehr auslangen wiefrüher,sogibtes,wasmanalsNeurologeweiß,eine Unmenge von kompensatorischenMechanismen. Kondition läßt sichwettmachen,kannausgeglichenwerden.DeralterndeAlpinistundauchKlettererverfügtja, je älter er wird, über eine um so größereErfahrungsmenge, die sich in der Zwischenzeitakkumuliert hat. Und über eine um so größereMöglichkeit,Trickszugebrauchen.Ich erinnere mich in diesem Zusammenhangdaran,wasmireinmaleinBergführergesagthat,mitdemichoftgegangenbin.EswarderGruberNaz aus Gloggnitz in Niederösterreich,

ein professioneller Führer. Mit dem bin ichhäufig auf dieRax gegangen.Als er sich einmalauf einem Sicherungsplatz hinhockte und michamSeil nachkommen ließ, rief ermir vonobenaus zu: „Wissen's, san's mir nicht bös, HerrProfessor. Aber wann I Eana so zuschau beimKlettern – Sie haben überhaupt keine Kraftmehr.WiaSiedösallerdingswettmachendurchraffinierte Technik, Imuß scho sag'n, von Eanakannmakletternlernen.“Soweit der Gruber Naz. Immerhin war das einMensch, der eine Himalayaexpedition geleitethatte. Sie können sich vorstellen, in welchemAnfall von Größenwahn ich auf diesesKomplimentreagierthabe!Bisher haben wir nur über die Leistung beimKlettern gesprochen. Gibt es eigentlich aucheinen Genuß, der nicht unbedingt etwas mitLeistungzutunhat?GenießtmanbeimKletternauch das Drumherum, den Berg an sich, dieNatur?FRANKL:EsgehtnatürlichbeialledemnichtnurumsKlettern.SondernauchumdasVorherunddas Nachher, es geht vor allem um das„Dessert“: Es gibt nichts Schöneres, alsschweißtriefendundverdrecktundhatschendindie Hütte zurückzukehren nach einerKlettertour, nach der erreichten Leistung, dieman sich abverlangt hat. Und sich dann dorthinzuhockenundsichzufreuenaufdietypischeErbswurstsuppeundsiezulöffeln.DAS GEBIRGE IST DER RECHTE ORT, MIT SICHALLEINZUSEIN

Auch angenehm müde zu sein, das ist einGenuß.DerKörperläßteinenjafreudigspüren–das wage ich jetzt zu improvisieren –, daß eretwasgeleistethat. Er zeigt,wasernochkann,die Reste von dem, was er physisch noch zuvollbringen vermag. Das ist ein ungeheurerGenuß,eineganztypischeEuphorie, indiemanhineingerät–auchdieKameraden,wasmanalsPsychiater objektiv beobachten kann, wenn sieabends schließlich zusammensitzen beimsogenanntenHüttenzauber.Kommt man beim Bergsteigen auf andereGedankenalsuntenimTal?FRANKL:Man sagt,mangeht indieWüste,ummit sich selbst allein zu sein, um zumeditierenoderauchnurgedankenlosdahinzustapfen.Fürmich ist es das Gegenteil von Wüste: dasGebirge. In diese Einsamkeit habe ich michzurückgezogen, wann immer ich –durchschnittlich alle drei Wochen, Jahre undJahrzehnte hindurch – in der entsprechendenSaison auf die Rax gegangen bin. Dort bin ichstundenlang übers Plateau gewandert, wobeiwichtigeundwichtigsteEntscheidungenmeinesLebensgefälltwordensind.ZumBeispiel,wieichein Buch betiteln soll, das ich geradefertiggestellt hatte. Oder welchen Titel icheinem Vortrag geben soll, den ich in ein paarWochenzuhaltenhatte.Auch der Entschluß, ob ich eine Stelle als ArztannehmeindiesemoderjenemSpital.AlledieseEntscheidungensindgefallen–aufderRax,nachstundenlangem Wandern übers Plateau.

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Und wenn ich dann ankam am Fuß derPreinerwandundzukletternbegann.Manchmalauchseilfrei,dannhabeichein,zweiStunden lang garantiert nicht anmeinnächstesBuch denken dürfen; nur unter Lebensgefahrwäredasmöglichgewesen.MeditationaufdemPlateau, die „vita contemplativa“, dasbeschauliche Leben, und ein paar Stundenspäter die „vita activa“, das tätig zupackendeLeben: Dieses Doppelspiel ist vollziehbargewesen innerhalb eines Tages, wenn ich aufderRaxkletterngegangenbin.Selbst passionierte Alpinisten fassen häufignach einem miterlebten Unglück den Vorsatz:„Nie wieder Berg!“. Kurze Zeit später sind sietrotzdem wieder bei einer neuenUnternehmung. Wie kommt es zu diesemWidersinn?FRANKL: Nach einem besonders schwierigenoder gar gefährlichen Erlebnis am Berg, beimKlettern,habeichmirhöchstensvorgenommen:Das nächste Mal machen wir wieder etwasLeichteres!AberwastutGott?EntwederwaresnichtsLeichteres,wieessichdannherausstellte,oder ich bin doch wieder etwas Schwierigeresgegangen.DASEINZIGEMITTEL,DASEINENABHÄLT,EINEPHOBIEZUBEKOMMENEinmal habe ich sogar einen Absturzmiterlebt.Ich sollte jemanden ein bißchen ins Kletterneinweihen.WährendichnochdasSeilprüfe,obnichtirgendeinFehlerdranist,seheich,wieder

BetreffendebeimEinstiegsoein,zweiMeterzukletternbeginnt. Ichruf' ihmzu:„Sofortrunter,ich hab' dir das doch verboten, bevor du nichtangeseiltbist!“Und indemMoment, indemerlangsamwieder herunterkommt, bricht ihmeinGriffaus,understürztzwanzigMeterab,bleibtbewußtlosineinerBlutlacheliegen.Washabichgetan?VierzehnTagespäter,unterdenselben Wetterbedingungen, es war diesigundregnerisch,machteichgenaudieselbeTour.Das ist das einzige Mittel, das einen davonabhält, eine Phobie zu bekommen, also diezwanghafte Angst. In psychologischen undpsychiatrischenKreisenistesbekannt,daßmandie Angst nach einem traumatischen Erlebnisnurbewältigenkann,indemmansichsobaldwiemöglich derselben angsterregenden Situationstellt. Das ist absolut wichtig. Wenn ich dasdamalsnichtgemachthätte innerhalbvon zweiWochen, dann wäre es um mich geschehengewesen.IchhättemichniemehraufeinenBerggetraut.AusIhrereigenenErfahrungalsWissenschafterund Alpinist gesprochen: Was kann dasBergsteigen der heutigen jungen Generationvermitteln?FRANKL: Die Leute kennen heutzutage dassogenanntesüßeLeben.Es istnicht immersüß.AberetwasistesaufjedenFall,imallgemeinen,von Ausnahmen abgesehen: Das Leben ist einrelativ leichtes geworden; es gibt zuwenigNotsituationen, aus denen man lernen könnte.DennNotlehrtnichtnurbeten,sondernsielehrtauch,mitSchwierigkeitenfertigzuwerden,esmit

ihnen überhaupt aufnehmen zu können, mitihnenumzugehen.DieseFähigkeit verkümmert,sie atrophiert. Menschen müssen heute zumBeispiel kaum mehr gehen, weil sie mit demAuto fahren. Auch müssen sie nur noch seltensteigen,weilsiejadenAufzug,denLiftnehmenkönnen. Folglich ist es notwendig, daß solcheMenschen an sich selbst Forderungen stellen,sich selbst herausfordern. Gerade das aber istbeim Sport im allgemeinen, besonders jedochbeimBergsteigenundKlettern,daswesentlicheMoment:DieHerausforderung,diemanansichselbststellt.Wirleben–GottseiDank–ineinerZeit und in einem Land wo man kaum Hungerleidenmuß,außerbeieinerAbmagerungskur.In einer solchen Zeit wo man praktisch allesNotwendige, hat ist es wichtig, darüberhinauszugehen und sich freiwillig künstlicheNotsituationenzuschaffen.Ichmöchte sagen:Askese zubetreiben.UndesistderSportganzallgemein,dasBergsteigenimbesonderenundgarerstdasKlettern,gleichsameine Insel der Askese, die sich der Mensch daaufschüttet. Das ist die wahre Funktion desSports.UndwaseinemdannalsGeschenkindenSchoß fällt, dieses Glück, eine Schwierigkeitgemeistert zu haben, das ist etwas, das demBergsteiger und dem Kletterer ungemein vielgibt.Verständlicherweisevielgibt,weilsichihmdadieMöglichkeitbietet,derVerwöhnungundVerweichlichung zu entkommen, in die ihn diemoderneZivilisationhineinschlitternläßt.