DER FALL BASSE UND DER HELLSEHER „Ich lege mich fest … · raum Ham-burg. Das ha-be ich dann...

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MITTWOCH, DEN 7. DEZEMBER 2016 THEMA OSTFRIESEN-ZEITUNG, SEITE 12 OZ: Herr Schneider, Sie sind davon überzeugt, dass sich die Leiche der vermissten Dr. Gerda Basse aus Leer in einem kleinen Waldstück rund einen Kilometer westlich des Autohofes Sittensen und etwa 500 Meter nördlich der A 1 befindet. Was macht Sie so sicher? MICHAEL SCHNEIDER: Eine Freundin von Frau Basse hat- te sich am 5. November bei mir gemeldet und mir auch einen Zeitungsartikel mit ei- nem Bild von Frau Basse zukommen lassen. Als ich ihr Bild sah, wusste ich gleich: Sie ist tot. Und ich hatte auch eine Ahnung, wo sie zu finden ist: im Groß- raum Ham- burg. Das ha- be ich dann später mit dem ganz ge- nauen Ort Sittensen noch konkre- tisiert – und zwar bevor öffentlich be- kannt war, dass die Polizei einen Ver- dächtigen gefasst hat, der die Leiche an der Autobahn zwi- schen Bremen und Hamburg abgelegt haben will. Auch von Blutspuren war noch nicht die Rede gewesen. OZ: Aber woher kommt diese Gewissheit? SCHNEIDER: Ich habe eine innere Stimme. Vielleicht ist das wie bei einem Autofahrer in der Abenddämmerung. Er sagt sich selbst: Jetzt wird es langsam Zeit, das Licht anzu- schalten. Ich höre jedenfalls keine unheimliche Geister- stimme, dann wäre ich ein Fall für die Psychiatrie. Und wenn ich mit Bildern von Vermissten arbeite, liege ich – was die Frage, ob sie tot oder lebendig sind, betrifft – fast nie daneben. Beim Fund- ort mache ich zuweilen Feh- ler, im Detail oder komplett. Wobei ich immer und überall betone: Auch ich muss manchmal Angaben korrigie- ren. Da geht es mir nicht an- ders als etwa einem Arzt, der nach einer genaueren Unter- suchung seine Diagnose noch einmal präzisiert. OZ: Sie sehen sich also das Bild des Vermissten an und hören auf Ihre innere Stimme. Um den von Ihnen ausge- machten Fundort dann etwa den Behörden mitteilen zu können, gucken Sie anschlie- ßend bei Google Maps nach? SCHNEIDER: Zunächst be- mühe ich immer eine ganz normale Landkarte – gewis- sermaßen um mir einen Überblick zu verschaffen. Danach setze ich dann tat- sächlich diese roten Fähn- chen in Online-Karten. Auch die Polizei in Leer hat eine Karte mit dem Hotspot zu Frau Bas- se von mir bekommen. OZ: Der Hot- spot ist der Fundort? SCHNEIDER: Genau. Ich hatte zu- nächst die Hamburger Polizei infor- miert. Die zeigte sich sehr offen. Anschlie- ßend habe ich mich an die Ermittler in Leer ge- wandt, aber die haben schon im Fall Lars Wunder nicht unbedingt sehr konziliant auf mich rea- giert. OZ: Der 31-jährige Rheider- länder war im Dezem- ber 2015 nach einem Feuer- wehrfest spurlos verschwun- den und erst Monate später auf einem Feld ganz in der Nähe tot gefunden worden. SCHNEIDER: Auch damals hatte ich den Ermittlern früh einen Hotspot genannt, der nur etwa 800 Meter entfernt vom tatsächlichen Fundort lag. Dennoch ist man bei der Polizei in Leer offenbar längst nicht vollkommen von meinen Fähigkeiten über- zeugt. OZ: Werden Sie die Suche nach Frau Basse jetzt weiter verfolgen? SCHNEIDER: Im Grunde ist der Fall für mich abgeschlos- sen. Ich habe den voraus- sichtlichen Fundort genannt, damit war es das für mich. Aber ich werde selbstver- ständlich an dem Fall dran bleiben und abwarten, wel- che Ergebnisse die Ermittler liefern. Daraus kann ich am Ende dann ja auch eine Be- stätigung für meine Leistung ziehen – genau wie jetzt im Fall von Carolin G. in Endin- gen. Da hatte ich die Stelle, an der dann drei Tage später ihre Leiche gefunden wurde, auf weniger als 200 Meter ge- nau bestimmt und der Polizei genannt. OZ: Sie bezeichnen sich selbst als Seher. Das klingt eher nach Hokuspokus als nach ei- nem Ausbildungsberuf. SCHNEIDER: Man kann es nicht lernen, aber es ist den- noch kein Hokuspokus. Es ist eine Gottesgabe. Da geht es mir nicht anders als bei- spielsweise dem Triathleten Jan Frodeno, der eben in der Lage war, den Ironman auf Hawaii mehrfach nacheinan- der zu gewinnen. Das ist auch nicht jedem gegeben. Als Kind habe ich bereits ge- merkt, dass ich anders bin. Bewusst einsetzen kann ich die Fähigkeiten erst, seit ich Anfang 20 war. OZ: Mit dem Vorwurf, ein Scharlatan zu sein, dürften Sie vertraut sein. Sind Sie ein Aufschneider? SCHNEIDER: Natürlich treffe ich immer wieder auf Skepti- ker. Aber dann verweise ich unter anderem auf meine Er- folge. Die Liste von gefunde- nen Menschen und Tieren ist lang. Außerdem lege ich mich auf ganz genaue Positi- onsangaben fest und nehme damit das Scheitern in Kauf. Würde ich feststellen, dass ich ständig danebenliege, würde ich es lassen. Ein Scharlatan würde dagegen versuchen, mit möglichst va- gen Angaben richtig zu lie- gen. Aber das kann jeder. Au- ßerdem habe ich einen ziem- lich seriösen bildungsbürger- lichen Hintergrund – mein Vater ist promovierter Philo- soph, mein Großonkel ist der „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein. OZ: Benutzen Sie eigentlich eine Glaskugel oder andere Hilfsmittel? SCHNEIDER: Nein. Keine Ta- rot-Karten, keine Kristallku- gel, keine Wünschelrute. Ich bin doch keine Karikatur, die zahnlos und mit einem Ra- ben auf der Schulter in der Ecke sitzt und in die Zukunft schaut. Allenfalls benutze ich einen Block, um mir Notizen zu machen. Im Grunde aber gehe ich in mich, meditiere und höre auf meine innere Stimme. Ich bin eher ein Hellhörer als ein Hellseher, wobei ich den Begriff Hellse- her nicht mag. Das klingt nach Jahrmarkt. Ich bevorzu- ge die Bezeichnung Seher. OZ: Und Sie verdienen tat- sächlich nichts mit Ihren Fä- higkeiten? SCHNEIDER: Nicht mehr. Bis vor sechs Jahren habe ich noch Lebensberatung ange- boten. Die Leute haben mich – ganz ohne Vorkasse – bezahlt, wenn sie zufrieden waren. Doch das wurde mir zu anstrengend, außerdem wollte ich nicht, dass die Menschen die Verantwor- tung für ihr Leben auf mich übertragen. Inzwischen su- che ich nur noch nach Ver- missten – nach Menschen und nach Tieren. Dafür neh- me ich kein Geld, und even- tuelle Belohnungen spende ich. VON JOCHEN BRANDT „Ich lege mich fest und nehme das Scheitern in Kauf“ INTERVIEW Michael Schneider behauptet, eine besondere Gabe zu haben – und zu wissen, wo Dr. Gerda Basses Leiche ist Der 46-Jährige hat sich in die Suche nach der Leera- nerin eingeschaltet und damit Schlagzeilen ge- macht. Das war keine Premiere: Auch bei ande- ren Kriminalfällen mel- dete er sich zu Wort. Noch hat man die Leiche nicht gefunden: eine Suchaktion der Polizei Anfang November am Ufer der Ems in Midlum im Rheiderland. ARCHIVBILD: ORTGIES Michael Schneider BILD: PRIVAT Michael Schneider, 46 Jahre alt, hat Politik, Geschichte sowie Psy- chologie studiert und an- schließend als Journalist gearbeitet, unter ande- rem als Polizeireporter für einen Fernsehsender. Im Jahr 2006 hängte er den Beruf an den Nagel und lebt seitdem nach eigenen Angaben „spar- tanisch“ als Privatier von einer Erbschaft und Erspartem. Schneider sagt von sich, dass er eine Gabe habe – eine innere Stimme verrate ihm, wo sich ver- misste Tiere und Men- schen aufhalten. Auch weiß er nach eigenem Bekunden, ob sie leben oder tot sind. Schneider verweist auf zahlreiche Fälle, in denen er mit seinen Hinweisen richtig gelegen habe. Für seine Hinweise nehme er kein Geld: „Ich arbeite ehren- amtlich.“ Michael Schneider lebt in Sieg- burg in Nordrhein-West- falen. Der Seher Die vermögende Leeraner Galeristin Dr. Gerda Basse gilt seit dem 24. Oktober als vermisst. Am 3. November fand man ihren Wagen, einen Jaguar älteren Baujahrs, geparkt im Hamburger Stadtteil Ottensen. Am 11. Novem- ber nahm die Polizei in Leer einen 55-Jährigen fest. Er hatte von der Ver- missten eine Wohnung in Leer gemietet. Nach Poli- zeiangaben räumte er nur ein, dass er die Leiche von Dr. Gerda Basse versteckt hat. Ihre Tötung streitet er ab. In einer Vernehmung er- klärte er, dass er den leb- losen Körper der Kunst- liebhaberin am 26. Okto- ber in einem Waldstück nahe der A 1 zwischen Hamburg und Bremen ver- steckt habe. Für die Fahrt dorthin habe er ihren Wa- gen benutzt. Bisher ist die Suche von Staatsanwaltschaft und Polizei erfolglos geblieben. Anfang November durch- kämmten die Ermittler vor allem das Rheiderland. Ne- ben Basses Immobilien in Jemgum und Bingum stand das Deichvorland rund um das Ziegeleimu- seum in Midlum im Fokus. In der vergangenen Woche konzentrierten sie sich dann auf Emden. Dort suchten zwei Sonarboote den Außen- und Binnenha- fen sowie das Gewässer rund um die Knock ab. Der Fall Dr. Gerda Basse AURICH / JOC - Ob die Er- mittler bereits dort gesucht haben, wo der selbst ernann- te Seher Michael Schneider Dr. Gerda Basses Leiche ver- mutet, ist offen (siehe Beitrag oben). „Wir machen keine Angaben dazu, wo wir bereits waren oder welches Gebiet wir noch ins Auge fassen werden“, sagte gestern Dr. Katja Paulke von der Staatsanwaltschaft Aurich. In der Behörde laufen die Fäden im Fall Basse zusammen. Grundsätzlich nehme man jeden Hinweis zunächst ein- mal ernst, so die Oberstaats- anwältin. „Wir bewerten sie und arbeiten sie dann sys- tematisch ab.“ Aller- dings wolle man mit Auf- rufen an die Öffentlich- keit „kein Fo- rum für Leu- te schaffen, die dort dann für ihre Fä- higkeiten werben“. Auch sei es falsch zu denken, dass ein Hinweisgeber wie Michael Schneider plötzlich zum Teil der Ermittlungen werde: „Er sitzt nicht mit uns am Tisch, wir würden auch nie Ermittlungsergebnisse mit so jemandem teilen“, sagte Paulke. Dass Hellseher beispielsweise bei Vermiss- tenfällen ihre Hilfe anbieten, sei zwar nicht die Regel, komme aber immer wieder vor. Im Fall Basse laufen die Ermittlungen nach Paulkes Angaben unvermindert wei- ter. Die Soko „Villa“ sei noch im Einsatz. Staatsanwalt- schaft und Polizei gehen da- von aus, dass die Leeraner Galeristin Opfer eines Ge- waltverbrechens wurde. EINSATZ Staatsanwältin zu den Tipps von Hellseher Schneider „Wir wollen kein Forum schaffen“ Dr. Katja Paulke DER FALL BASSE UND DER HELLSEHER

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MITTWOCH, DEN 7. DEZEMBER 2016 T HE M A OSTFRIESEN-ZEITUNG, SEITE 12

OZ: Herr Schneider, Sie sinddavon überzeugt, dass sichdie Leiche der vermisstenDr. Gerda Basse aus Leer ineinem kleinen Waldstückrund einen Kilometer westlichdes Autohofes Sittensen undetwa 500 Meter nördlich derA 1 befindet. Was macht Sie sosicher?MICHAEL SCHNEIDER: EineFreundin von Frau Basse hat-te sich am 5. November beimir gemeldet und mir aucheinen Zeitungsartikel mit ei-nem Bild vonFrau Bassezukommenlassen. Alsich ihr Bildsah, wussteich gleich: Sieist tot. Undich hatteauch eineAhnung, wosie zu findenist: im Groß-raum Ham-burg. Das ha-be ich dannspäter mitdem ganz ge-nauen OrtSittensennoch konkre-tisiert – undzwar bevoröffentlich be-kannt war,dass die Polizei einen Ver-dächtigen gefasst hat, der dieLeiche an der Autobahn zwi-schen Bremen und Hamburgabgelegt haben will. Auchvon Blutspuren war nochnicht die Rede gewesen.OZ: Aber woher kommt dieseGewissheit?SCHNEIDER: Ich habe eineinnere Stimme. Vielleicht istdas wie bei einem Autofahrerin der Abenddämmerung. Ersagt sich selbst: Jetzt wird eslangsam Zeit, das Licht anzu-schalten. Ich höre jedenfallskeine unheimliche Geister-stimme, dann wäre ich einFall für die Psychiatrie. Undwenn ich mit Bildern vonVermissten arbeite, liegeich – was die Frage, ob sie totoder lebendig sind, betrifft –

fast nie daneben. Beim Fund-ort mache ich zuweilen Feh-ler, im Detail oder komplett.Wobei ich immer und überallbetone: Auch ich mussmanchmal Angaben korrigie-ren. Da geht es mir nicht an-ders als etwa einem Arzt, dernach einer genaueren Unter-suchung seine Diagnosenoch einmal präzisiert.OZ: Sie sehen sich also dasBild des Vermissten an undhören auf Ihre innere Stimme.Um den von Ihnen ausge-machten Fundort dann etwaden Behörden mitteilen zukönnen, gucken Sie anschlie-ßend bei Google Maps nach?SCHNEIDER: Zunächst be-mühe ich immer eine ganznormale Landkarte – gewis-sermaßen um mir einenÜberblick zu verschaffen.Danach setze ich dann tat-sächlich diese roten Fähn-chen in Online-Karten. Auchdie Polizei in Leer hat eine

Karte mitdem Hotspotzu Frau Bas-se von mirbekommen.OZ: Der Hot-spot ist derFundort?SCHNEIDER:Genau. Ichhatte zu-nächst dieHamburgerPolizei infor-miert. Diezeigte sichsehr offen.Anschlie-ßend habeich mich andie Ermittlerin Leer ge-wandt, aberdie habenschon im Fall

Lars Wunder nicht unbedingtsehr konziliant auf mich rea-giert.OZ: Der 31-jährige Rheider-länder war im Dezem-ber 2015 nach einem Feuer-wehrfest spurlos verschwun-den und erst Monate späterauf einem Feld ganz in derNähe tot gefunden worden.SCHNEIDER: Auch damalshatte ich den Ermittlern früheinen Hotspot genannt, dernur etwa 800 Meter entferntvom tatsächlichen Fundortlag. Dennoch ist man bei derPolizei in Leer offenbarlängst nicht vollkommen vonmeinen Fähigkeiten über-zeugt.OZ: Werden Sie die Suchenach Frau Basse jetzt weiterverfolgen?

SCHNEIDER: Im Grunde istder Fall für mich abgeschlos-sen. Ich habe den voraus-sichtlichen Fundort genannt,damit war es das für mich.Aber ich werde selbstver-ständlich an dem Fall dranbleiben und abwarten, wel-che Ergebnisse die Ermittlerliefern. Daraus kann ich amEnde dann ja auch eine Be-stätigung für meine Leistungziehen – genau wie jetzt imFall von Carolin G. in Endin-gen. Da hatte ich die Stelle,an der dann drei Tage späterihre Leiche gefunden wurde,auf weniger als 200 Meter ge-nau bestimmt und der Polizeigenannt.OZ: Sie bezeichnen sich selbstals Seher. Das klingt ehernach Hokuspokus als nach ei-nem Ausbildungsberuf.SCHNEIDER: Man kann esnicht lernen, aber es ist den-

noch kein Hokuspokus. Es isteine Gottesgabe. Da geht esmir nicht anders als bei-spielsweise dem TriathletenJan Frodeno, der eben in derLage war, den Ironman aufHawaii mehrfach nacheinan-der zu gewinnen. Das istauch nicht jedem gegeben.Als Kind habe ich bereits ge-merkt, dass ich anders bin.Bewusst einsetzen kann ichdie Fähigkeiten erst, seit ichAnfang 20 war.OZ: Mit dem Vorwurf, einScharlatan zu sein, dürftenSie vertraut sein. Sind Sie einAufschneider?SCHNEIDER: Natürlich treffeich immer wieder auf Skepti-ker. Aber dann verweise ichunter anderem auf meine Er-folge. Die Liste von gefunde-nen Menschen und Tieren istlang. Außerdem lege ichmich auf ganz genaue Positi-

onsangaben fest und nehmedamit das Scheitern in Kauf.Würde ich feststellen, dassich ständig danebenliege,würde ich es lassen. EinScharlatan würde dagegenversuchen, mit möglichst va-gen Angaben richtig zu lie-gen. Aber das kann jeder. Au-ßerdem habe ich einen ziem-lich seriösen bildungsbürger-lichen Hintergrund – meinVater ist promovierter Philo-soph, mein Großonkel ist der„Spiegel“-Gründer RudolfAugstein.OZ: Benutzen Sie eigentlicheine Glaskugel oder andereHilfsmittel?SCHNEIDER: Nein. Keine Ta-rot-Karten, keine Kristallku-gel, keine Wünschelrute. Ichbin doch keine Karikatur, diezahnlos und mit einem Ra-ben auf der Schulter in derEcke sitzt und in die Zukunft

schaut. Allenfalls benutze icheinen Block, um mir Notizenzu machen. Im Grunde abergehe ich in mich, meditiereund höre auf meine innereStimme. Ich bin eher einHellhörer als ein Hellseher,wobei ich den Begriff Hellse-her nicht mag. Das klingtnach Jahrmarkt. Ich bevorzu-ge die Bezeichnung Seher.OZ: Und Sie verdienen tat-sächlich nichts mit Ihren Fä-higkeiten?SCHNEIDER: Nicht mehr. Bisvor sechs Jahren habe ichnoch Lebensberatung ange-boten. Die Leute habenmich – ganz ohne Vorkasse –bezahlt, wenn sie zufriedenwaren. Doch das wurde mirzu anstrengend, außerdemwollte ich nicht, dass dieMenschen die Verantwor-tung für ihr Leben auf michübertragen. Inzwischen su-che ich nur noch nach Ver-missten – nach Menschenund nach Tieren. Dafür neh-me ich kein Geld, und even-tuelle Belohnungen spendeich.

VON JOCHEN BRANDT

„Ich lege mich fest und nehme das Scheitern in Kauf“INTERVIEW Michael Schneider behauptet, eine besondere Gabe zu haben – und zu wissen, wo Dr. Gerda Basses Leiche ist

Der 46-Jährige hat sich indie Suche nach der Leera-nerin eingeschaltet unddamit Schlagzeilen ge-macht. Das war keinePremiere: Auch bei ande-ren Kriminalfällen mel-dete er sich zu Wort.

Noch hat man die Leiche nicht gefunden: eine Suchaktion der Polizei Anfang Novemberam Ufer der Ems in Midlum im Rheiderland. ARCHIVBILD: ORTGIES

Michael Schneider BILD: PRIVAT

Michael Schneider,46 Jahre alt, hat Politik,Geschichte sowie Psy-chologie studiert und an-schließend als Journalistgearbeitet, unter ande-rem als Polizeireporterfür einen Fernsehsender.Im Jahr 2006 hängte erden Beruf an den Nagelund lebt seitdem nacheigenen Angaben „spar-tanisch“ als Privatiervon einer Erbschaft undErspartem.

Schneider sagt von sich,dass er eine Gabe habe– eine innere Stimmeverrate ihm, wo sich ver-misste Tiere und Men-schen aufhalten. Auchweiß er nach eigenemBekunden, ob sie lebenoder tot sind. Schneiderverweist auf zahlreicheFälle, in denen er mitseinen Hinweisen richtiggelegen habe. Für seineHinweise nehme er keinGeld: „Ich arbeite ehren-amtlich.“ MichaelSchneider lebt in Sieg-burg in Nordrhein-West-falen.

Der Seher

Die vermögende LeeranerGaleristin Dr. GerdaBasse gilt seit dem24. Oktober als vermisst.Am 3. November fand manihren Wagen, einen Jaguarälteren Baujahrs, geparktim Hamburger StadtteilOttensen. Am 11. Novem-ber nahm die Polizei inLeer einen 55-Jährigenfest. Er hatte von der Ver-missten eine Wohnung inLeer gemietet. Nach Poli-zeiangaben räumte er nurein, dass er die Leiche vonDr. Gerda Basse versteckthat. Ihre Tötung streiteter ab.

In einer Vernehmung er-klärte er, dass er den leb-losen Körper der Kunst-liebhaberin am 26. Okto-ber in einem Waldstücknahe der A 1 zwischenHamburg und Bremen ver-steckt habe. Für die Fahrt

dorthin habe er ihren Wa-gen benutzt.

Bisher ist die Suche vonStaatsanwaltschaft undPolizei erfolglos geblieben.Anfang November durch-kämmten die Ermittler vorallem das Rheiderland. Ne-ben Basses Immobilien inJemgum und Bingumstand das Deichvorlandrund um das Ziegeleimu-seum in Midlum im Fokus.In der vergangenen Wochekonzentrierten sie sichdann auf Emden. Dortsuchten zwei Sonarbooteden Außen- und Binnenha-fen sowie das Gewässerrund um die Knock ab.

Der Fall

Dr. Gerda Basse

AURICH / JOC - Ob die Er-mittler bereits dort gesuchthaben, wo der selbst ernann-te Seher Michael SchneiderDr. Gerda Basses Leiche ver-mutet, ist offen (siehe Beitragoben). „Wir machen keineAngaben dazu, wo wir bereitswaren oder welches Gebietwir noch ins Auge fassenwerden“, sagte gesternDr. Katja Paulke von derStaatsanwaltschaft Aurich. Inder Behörde laufen die Fädenim Fall Basse zusammen.

Grundsätzlich nehme manjeden Hinweis zunächst ein-mal ernst, so die Oberstaats-anwältin. „Wir bewerten sie

und arbeitensie dann sys-tematischab.“ Aller-dings wolleman mit Auf-rufen an dieÖffentlich-keit „kein Fo-rum für Leu-te schaffen,die dort dannfür ihre Fä-higkeitenwerben“.

Auch sei es falsch zu denken,dass ein Hinweisgeber wieMichael Schneider plötzlichzum Teil der Ermittlungen

werde: „Er sitzt nicht mit unsam Tisch, wir würden auchnie Ermittlungsergebnissemit so jemandem teilen“,sagte Paulke. Dass Hellseherbeispielsweise bei Vermiss-tenfällen ihre Hilfe anbieten,sei zwar nicht die Regel,komme aber immer wiedervor.

Im Fall Basse laufen dieErmittlungen nach PaulkesAngaben unvermindert wei-ter. Die Soko „Villa“ sei nochim Einsatz. Staatsanwalt-schaft und Polizei gehen da-von aus, dass die LeeranerGaleristin Opfer eines Ge-waltverbrechens wurde.

EINSATZ Staatsanwältin zu den Tipps von Hellseher Schneider„Wir wollen kein Forum schaffen“

Dr. KatjaPaulke

DER FALL BASSE UND DER HELLSEHER