Der Gellésche Versuch

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Archiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. ttals- usw. Heilk., ]3d. 166, S. 13--17 (1954). -&us der Univ.-Hals-Nasen-OhrenklinikGraz (Vorstand: Prof. Dr. GUSTAV HOFER). Der GELL~SeheVersueh. Bemerkungen zur diesbeztiglichen Arbeit yon TnULLEN in dieser Zeitschrift, Bd. 164, S. 328, 1954. Von MAX KRA~S. (Eingegangen am 23. Mii~z 1954.) Mit der Verfeinerung der tt6rprfifnngsmethoden in den letzten Jahr- zehnten ist auch das Interesse an der Theorie und insbesondere am Knochenleitungs(KL)-Problem gestiegen. Nachdem man sich dnrch lange Jahre schlecht und recht mit der MACHschen Schallabflul3theorie ge- holfen hatte, wurden deren Unstimmigkeiten mit den tats~ehlichen Ver- h~ltnissen doeh so deutlich, dal~ immer wieder neue Anslegungsversuche auftauchten. Alle diese Hypothesen scheiterten aber an der Erkl~rung des G]sLL~sehen Versuches, der sonderbaren Tatsache, dal3 bei Druek- erhShung im GehSrgang gleiehzeitig mit der Luft- auch die KL-Wahr- nehmung absinkt, w~hrend sonst bei allen anderen Manipulationen am Sehalleitungsapparat Luft- and KL-Werte sich gegensinnig s 1950 gab ich eine neue (sp~ter ,,t~enstertheorie" genannte) Theorie tier KL bekannt, die erstmalig auch eine restlose Erkl~rung des GELL~- schen Versuehes bringen konnte. Sie beruht auf tier Vorstellung, dal3 der Schall bei KL auf rein oss~rem Wege das Labyrinth erreieht und zu periodisehen Volumssehwankungen veranla~t. Dem Spannungsunter- sehied der Fenster entspreehend weicht dig Ianenohrf[iissigkeit vor- wiegend gegen das runde Fenster zu aus, wodurch die Basflarmembran mitgenommen und damit der Toneindruck erzeugt wird. Alle ~veiteren ~ndernngen der KL sind ausschliel31ich Folge einer mechanisehen Beehl- flussung der Auslenkungsdifferenz der beiden Fenster. Die KnSchelchen- kette verst~trkt dabei dureh erzwnngene Mitsehwingungen die Stapes- bewegungen, ~Lhnliehden Belastungsgewiehten an Stimmgabeln, w~hrend das Trommelfell sie schw~eht. Aneh der GehSrgang wirkt dutch seine grol3e Masse bei KL bremsend auf die Trommelfellsehwingungen und weiter auf den Stapes. Die endgiiltige Tonwahrnehmung ist das Resultat einer Kombination aller dieser mechanisehen Faktoren. (Die Diinne des innersten Absehnittes des Weichtei]gehSrgangs bfldet kein weiteres Hindernis fiir die Vorstellung, denn die Schallschwingungen des Trom- melfellrandes betragen Tausendstel und noeh geringere Bruehteile you

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Archiv Ohr- usw. Heilk. u. Z. ttals- usw. Heilk., ]3d. 166, S. 13--17 (1954).

-&us der Univ.-Hals-Nasen-Ohrenklinik Graz (Vorstand: Prof. Dr. GUSTAV HOFER).

Der GELL~Sehe Versueh. Bemerkungen zur diesbeztiglichen Arbeit yon TnULLEN

in dieser Zeitschrift, Bd. 164, S. 328, 1954.

Von MAX KRA~S.

(Eingegangen am 23. Mii~z 1954.)

Mit der Verfeinerung der tt6rprfifnngsmethoden in den letzten Jahr- zehnten ist auch das Interesse an der Theorie und insbesondere am Knochenleitungs(KL)-Problem gestiegen. Nachdem man sich dnrch lange Jahre schlecht und recht mit der MACHschen Schallabflul3theorie ge- holfen hatte, wurden deren Unstimmigkeiten mit den tats~ehlichen Ver- h~ltnissen doeh so deutlich, dal~ immer wieder neue Anslegungsversuche auftauchten. Alle diese Hypothesen scheiterten aber an der Erkl~rung des G]sLL~sehen Versuches, der sonderbaren Tatsache, dal3 bei Druek- erhShung im GehSrgang gleiehzeitig mit der Luft- auch die KL-Wahr- nehmung absinkt, w~hrend sonst bei allen anderen Manipulationen am Sehalleitungsapparat Luft- and KL-Werte sich gegensinnig s

1950 gab ich eine neue (sp~ter ,,t~enstertheorie" genannte) Theorie tier KL bekannt, die erstmalig auch eine restlose Erkl~rung des GELL~- schen Versuehes bringen konnte. Sie beruht auf tier Vorstellung, dal3 der Schall bei KL auf rein oss~rem Wege das Labyrinth erreieht und zu periodisehen Volumssehwankungen veranla~t. Dem Spannungsunter- sehied der Fenster entspreehend weicht dig Ianenohrf[iissigkeit vor- wiegend gegen das runde Fenster zu aus, wodurch die Basflarmembran mitgenommen und damit der Toneindruck erzeugt wird. Alle ~veiteren ~ndernngen der KL sind ausschliel31ich Folge einer mechanisehen Beehl- flussung der Auslenkungsdifferenz der beiden Fenster. Die KnSchelchen- kette verst~trkt dabei dureh erzwnngene Mitsehwingungen die Stapes- bewegungen, ~Lhnlieh den Belastungsgewiehten an Stimmgabeln, w~hrend das Trommelfell sie schw~eht. Aneh der GehSrgang wirkt dutch seine grol3e Masse bei KL bremsend auf die Trommelfellsehwingungen und weiter auf den Stapes. Die endgiiltige Tonwahrnehmung ist das Resultat einer Kombination aller dieser mechanisehen Faktoren. (Die Diinne des innersten Absehnittes des Weichtei]gehSrgangs bfldet kein weiteres Hindernis fiir die Vorstellung, denn die Schallschwingungen des Trom- melfellrandes betragen Tausendstel und noeh geringere Bruehteile you

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Millimetern, so dab a~ch eine diinne Periost-Hautschieht diesen Be- wegungsausmaBen gegenfiber noch als sehr dick erscheinen rnuB.)

Mit diesem System lassen sieh nun a]le KL-Andernngen, die dureh Manipnlationen und pathologisehe Verh~iltnisse am ~uBeren und mitt- leren Ohr verursacht werden, in einfachster Weise auf gemeinsamer Basis erkl~ren. Beim G~LL~sehen Versueh erfolgt durch die DrnckerhShnng ira GehSrgang und zus~tzliehe Spannung des Trommelfells eine KL-Ver- l~ngerung; diese Wirkung wird aber raehr als kompensiert durch Anami- sierung und Fixierung des Weichteilgeh6rganges (Druck gegen die knScherne Unterlage). Damit fallt ein grol3es Schwingungshindernis ffir den Stapes weg und die KL mug dutch Ausgleieh der Schwingungen beider Fenster im Endergebnis verktirzt werden.

TttULLEI~ fiihrte nun ausgedehnte Untersuchungen mit einem etwas modifizierten G~LL]%chen Versnch dureh. Die Luftdruckandernng im Geh6rgang (und gleiehzeitig die Schallzufuhr im Luftleitungsteil des Versuches) erfolgte nach seiner Versuchsanordnung durch ein i n den GehSrgang eingefiihrtes Gummirohr, das einen aufblasbaren Mantel besitzt und nach Art der Atemrohre ffir die intratracheale Narkose den GehSrgang unter Druck abschlieBt. THVLLE~ priifte in dieser Weise unter Verwendung yon ~berdruck und auch Unterdruck und land in beiden Fiillen gleichartige VerKnderungen: Einen negativen G~LL~ (unveran- derte KL) bei Otosklerose und AdhKsivprozessen, einen positiven G~I~L~ (verminderte KL bei U-berdruck oder Unterdruck) am Normalen und bei allen fibrigen Ohrkrankheiten.

Im theoretischen Teil seiner Ansffihrungen bemerkt THULLEI% die angeffihrte Fenstertheorie der KL sei unzureichend, da sic die Lautheits- abnahme des KL-Tones bei Anwendung yon Unterdxuck nicht erklaren k6nne. TItULLE~ selbst folgt einer nicht ganz klar prazisierten Kombi- nation der MACgschen Schallflul~theorie mit der K~nI~zschen Phasen- differenztheorie und meint, die Spannnng des Trommelfells nnd der Kette dutch Druck oder Sog verringere neben der Luftleitung auch eine osteotympanale Komponente der I4L und ftihre damit zum Absinken der KL-Wahrnehmung.

Nene experimentelle Ergebnisse bilden immer eine Bewahrungsprobe fiir die Theorie, die nun zeigen muB, ob sie dem neuen Tatsachenmaterial gegeniiber bestehen kann. Dazu ist eine etwas genauere Analyse der speziellen Versuchsbedingungen notwendig. Wie bereits erw~ihnt sind beim G]~LL]~schen Versueh zwei Wirkungen getrenn~ zu beurteilen, n~imlich der Einfluf3 der Druckgnderung auf das Trommelfe]l und auf den Geh6rgang. Das Trommelfell steht unter einer gewissen leichten, natiir- lichen Spannung durch den Bandapparat der Kn6chelchenketfe und vor allem durch den Tonus des M. tensor tympani (sonst wiirde es ja seine Trichterform nieht halten kSnnen) und wirkt dadurch bei retrograd vom

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Labyrinth her veranlaBter Schwingung hemmend auf den Steigbfigel (und damit KL-verstiirkend). Jede Druckerh5hung im Geh5rgang muB diese Wirkung versti~rken. (l~fir die Luftleitung ist eine gewisse Spannung des Trommelfelles optimal, bei retrograder Sehwingungsfibertragung aber gibt die v511ige Erschlaffung des Trommelfelles die maximale Stapes- bewegung.)

Auch der GehSrgang wirkt schwingungshindernd auf den Stapes. Dureh sein relativ betr~chtliches Gewicht bremst er die Trommelfell- schwingungen in den Eandpartien. Hier muI~ aber eine DruckerhShung im GehSrgang dureh Ani~misierung undAnpressen des Weiehteilschlauches an die feste Unterlage diese Wirkung vermindern. Beim GELL~schen Versuch werden also durch den Druck 2 gleichsinnig KL-versti~rkende Faktoren in gegens~tzlicher Weise beeinfiul~t: Die Trommelfellwirkung wird verst/~rkt, die GehSrgangswirknng aber geschw~tcht und das l~esul- ta t ist infolge eines Uberwiegens des 2. Faktors eine effektive KL-Ver- minderung.

Bei Sogwirkung im Geh5rgang mfil~ten sich die Verh/~ltnisse nun genau umkehren und eine KL-Verli~ngerung eintreten: Vorausgesetzt allerdings, dal~ tats~chlieh auch beide Faktoren in ihrer Wirkung umge- kehrt werden. Nun ist die Versuchsanordnung T n u L L ~ s derart, dab auch bei Sogwirkung der fiberwiegende Tell des GehSrganges unter Druck steht. Wenn man wie THULLEN yore Zustand nach Einfiihrung des abdichtenden Gummirohres ausgeht, so hat man dem originalen GELL~- schen Versuch gegeniiber stark ver/s Verh~ltnisse vor sieh, bei denen der Einflul~ des GehSrgangs zum fiberwiegenden Tell yon vorn- herein ausgeschaltet, d .h . anf einen fixen Punkt festgestellt und dureh weitere MaBnahmen nicht mehr beeinfluBbar ist. Nur der innerste, massenm~I3ig weniger bedeutende Tei] des GehSrgangs t r i t t ins Experi- ment ein.

Wenn nun der Druek dutch An/~misierung und Anpressen an die Unterlage einen bestimmten Teil der GehSrgangsmasse ausschaltet, so ist es durchaus nieht gesagt, dal~ - - vom Normalzustand ausgehend - - der Sog eine (spiegelbildlich) quantitativ gleiche Wirkung haben muB. Dutch den Druek wird eine gewisse Flfissigkeitsmenge aus dem Gewebe ausge- prel~t , was verh~ltnism~l~ig leicht geschieht, weft die Gewebsfasern einer Ersehlaffung keinen Widerstand entgegensetzen. Soll das Gewebe aber mehr Fliissigkeit als normal aus der Umgebung aufnehmen, so mfissen die Fasern sich dehnen und daher wird zur gleichen Volums~nderung eine ganz wesentlich st~rkere Krafteinwirkung n6tig sein, als umgekehrt zur Verdr/~ngung yon Gewebsflfissigkeit. Vom Normalzustand ausgehend maeht der Unterdruck eine viel geringere Volums~nderung als der quanti tat iv gleich starke Uberdruck. Vor allem muB das ffir den hier

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allein in Betrucht kommenden innersten Geh6rgangsanteil mit seinera sehr straffen Gewebe gelten.

Beim Unterdr~tckversuch herrschen also ganz andere und durchaus nicht spiegelbildlich umgelcehrte Verhi~ltnisse. Das geht auch aus der ein- fachen Tatsache hervor, dab das Nachlassen des l~berdruckes und die Zunahme des Unterdruckes 2 physikalisch eigentlich identische Vorgi~nge sind und trotzdem nicht parallelgehende, sondern gegensatzliche Folgen ftir die KL haben. Die Entspannung des Trommelfelles im Sog bewirk~ eine Schwingungser]eichterung ftir den Stapes (und KL-Minderung) und die jetzt wesentlich geringere Geh6rgangswirkung k~nn diese bei weitem nicht mehr kompensieren. Im Druckversnch liegt das Schwergewich~ auf der GehSrgangswirknng, im Sog auf der Trommelfellwirkung. In beiden Fallen ist nach der Fenstertheorie der XL eine verminderte KL-Wahr- nehmung zu erwarten, wie das durch die Experimente THVLL~NS be- s tatigt wurde.

Der Versuch nach T ~ v n n ~ ist zweifellos der exaktere und wahr- scheinlich daher auch der klinisch brauchbarere. ~Ian darf dariiber abet nicht vergessen, dab hier eia wesentliches Moment des G~LL~sehen Ver- suches yon vornherein ausgeschaltet is~ und dab man eine stark ab- weichende Variante mit anderen theorefischen Grundlagen vor sich hat.

DaB das Wesen des Gv~LL~schen Versuches in einer GehSrgangs- wirknng liegt, kann man ganz unmittelbar wahrnehmen, wenn man das Phanomen des Leiserwerdens eines KL-Tones bei festerem GehSrgangs- verschlu8 gufmerksam beob~chtet. Dann w~ndert der Ton immer mehr ins Ohr hinein, wahrend man bei losem OhrverschluB (und verstark~er KL) ganz deutlich die Schwingnngen des auSeren Ohres hSren und die Vibrationen geradezu in die Ohrmuschel lokalisieren kann.

T~ULLS,~ hat in seiner eigenen Deutung insofern recht, als es bei seiner Versuchsanordnung ta~sachlich mehr a]s beim Originalversuch anf die Spannung des Tromme]felles ankommt. Trotzdem ist seine theore- tische Deutung unrichtig, wie sich sehr leicht zeigen lal~t. Ganz abge- sehen yon den vielen Argumenten gegen das Bestehen einer osteotym- psnalen Komponente der KL iiberhaupt, die bier nicht wiederholt werden sollen, setzt folgende ~berlegung diesen Erklarungsversuch aul~er Kraft : Ftir die Spannungsverhaltnisse der Kette und des Trommelfells ist es vStlig gleichgiiltig, ob ein ~berdruck ira Geh6rgang oder ein Unterdruek im Mittelohr besteht. Im 1. Fall (t3bercknckversuch am Gesunden) finder man aber eine KL-Verraindernng, im 2. Fall hingegen (Tubenk~tarrh ohne znsatzliche Versuchsanordnung) eine KL-Zunahme! In beiden Fallen ist nach T s c L n ~ s Ansicht eine osteotympanale KL-Komponente durch die Spannungszun~hme des Mittelohrapparates ausgeschaltet worden, es miil~ten also identische und nicht gegensatzliehe Xndernngen der KL eintreten.

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Die experimentellen Resultate THULLEN8 bringen somit eine wichtige neue Sti~tze ausschlie/31ich /i~r die Fenstertheorie der K L und es kann ab- schlie[3end /estgestellt werden, daft diese nach wie vor die einzige bestehende KL-Theorie ist, die den GELL~schen Versuch mit seinen Varianten plau- sibel zu deuten vermag.

Zusammenfassung.

In einer Variante des GELL]~schen Versuches prfifte T~uLLENauch mit Unterdruck im GehSrgang und erzielte dabei ebenso wie beim l~berdruck unter normalen und zah]reichen pathologischen Verh~iltnissen vermin- der te Knochen le i tnngswer te . Die Methode TI~ULLENS weicht v o m Original- versuch wei tgehend ab, da der f iberwiegende Teil des GehSrgangs dnrch den D a u e r d r u e k eines absehl ie•enden Gummirohres yore E x p e r i m e n t in a l len P h a s e n ausgeseha l t e t wird. Uber - u n d U n t e r d r u c k bewi rken im straffen Gewebe ke ine q n a n i i t a t i v g]eichen Volums~inderungen n n d so s ind auch keine spiegelbi]d]ichen l=~esultate be i Druck- und Sogwirkung zu e rwar ten . W ~ h r e n d ande re Erk lg rungsve r suehe versagen, zeigt die genaue Analyse , dal~ diese Versuchsergebnisse mi~ der 1950 mi tge te f l t en Fens t e r t heo r i e der Knochen le i t ung zwanglos gedeu te t werden kSnnen.

Literatur. K~Aus, M.: Act~ oto-laryng. (Stockh.) 38, 233 (1950). - - Mschr. Ohrenheilk.

87, 256 (1953). - - T~vLL~, A.: Arch. Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk. 164, 328 (1954).

Doz. Dr. MAX KRAUS, Univ.-Ohrenklinik Graz, Auenbruggerpl. 20.

Arch. Ohr- usw. Heilk. u. Z. Hals- usw. Heilk., Bd. 166. 2