Der Hypothenarhautreflex (Juster), ein spastisches Zeichen an der Hand

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(Aus der Nervenabteilung des sti~dt. Hufeland-Hospitals, Berlin [J~rztlicher Direktor: Prof. Dr. P. Schuster].) Der Hypothenarhautreflex (Juster), ein Zeichen an der Hand 1 Von Dr. Karl Mayer. (Eingegaugen am 22. O]ctober 1931.) spastisehes DiG frtiher bei spastischen Li~hmungen beschriebenen Reflexe an der Hand, die dem Babinskischen Zeichen am FuB entsprechen sollten, sind fast samtlieh Eigenreflexe (Periost- oder Sehnenreflexe), w/~hrend der Babinski ein Hautreflex ist. Das gilt z.B. von dem Jacobsohnsehen Reflex, der in einer Fingerbeugung beim Schlag auf die Volarfl/iehe des distalen Unterarms besteht. Ebenso ist die von Babinski beschriebene Inversion des Radiusreflexes -- Fingerbeugung beim Sctflag auf das distale Radiusende -- ein gesteigerter Eigenreflex. Als Palmarreflex hat Stemlo auf Grund einer Beobaehtung von Dembowski die Erseheinung besehrieben, dab sieh beim Druek auf das Os pisiforme eine Einziehung und Fs der Haut an der Ulnarseite tier Hand findet. Spgter hat Holzinger den gleichen Reflex als Hypo- thenarreflex besehrieben. Als Kleinfingerballenreflex hat Galant die auf Beklopfen des Kleinfingerballens eintretende Flexion und Abduction des 5. Fingers bezeichnet. Die fitcherf6rmige Spreizung und Extension der Finger beim Druck radial auf das Os pisiforme hat Gordon als ,,ph6nombne des doigts" beschrieben. Alle diese Kleinfingerballen-Zeichen sind sehr inkonstant und klinisch kaum verwertbar. Sie diirfen nicht mit dem bier zu behandelnden Hypothenarhautreflex (H. Th. H.R.) verweehselt werden. Bei den yon Boehme beschriebenen Hautreflexen an der Hand, die beim Stechen in den Daumen -- und Kleinfingerballen bei Hemiplegikeru auftreten, handelt es sich im wesentlichen um komplexe Beuge- und Streekreflexe der ganzen Hand oder Extremit~t im Sinne yon Flucht- oder Abwehrbewegungen. 1 Vortr. Berl. Ges. Psyehiatr. u. Nervenkrankh., Sitzg 9. Nov. 1931. 9*

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(Aus der Nervenabteilung des sti~dt. Hufeland-Hospitals, Berlin [J~rztlicher Direktor: Prof. Dr. P. Schuster].)

Der Hypothenarhautreflex (Juster), ein Zeichen an der Hand 1

Von

Dr. Karl Mayer.

(Eingegaugen am 22. O]ctober 1931.)

spastisehes

DiG frtiher bei spastischen Li~hmungen beschriebenen Reflexe an der Hand, die dem Babinskischen Zeichen am FuB entsprechen sollten, sind fast samtlieh Eigenreflexe (Periost- oder Sehnenreflexe), w/~hrend der Babinski ein Hautreflex ist. Das gilt z .B. von dem Jacobsohnsehen Reflex, der in einer Fingerbeugung beim Schlag auf die Volarfl/iehe des distalen Unterarms besteht. Ebenso ist die von Babinski beschriebene Inversion des Radiusreflexes - - Fingerbeugung beim Sctflag auf das distale Radiusende - - ein gesteigerter Eigenreflex.

Als Palmarreflex hat Stemlo auf Grund einer Beobaehtung von Dembowski die Erseheinung besehrieben, dab sieh beim Druek auf das Os pisiforme eine Einziehung und Fs der Hau t an der Ulnarseite tier Hand findet. Spgter hat Holzinger den gleichen Reflex als Hypo- thenarreflex besehrieben. Als Kleinfingerballenreflex hat Galant die auf Beklopfen des Kleinfingerballens eintretende Flexion und Abduction des 5. Fingers bezeichnet.

Die fitcherf6rmige Spreizung und Extension der Finger beim Druck radial auf das Os pisiforme hat Gordon als ,,ph6nombne des doigts" beschrieben. Alle diese Kleinfingerballen-Zeichen sind sehr inkonstant und klinisch kaum verwertbar. Sie diirfen nicht mit dem bier zu behandelnden Hypothenarhautreflex (H. Th. H .R . ) verweehselt werden.

Bei den yon Boehme beschriebenen Hautreflexen an der Hand, die beim Stechen in den Daumen - - und Kleinfingerballen bei Hemiplegikeru auftreten, handelt es sich im wesentlichen um komplexe B e u g e - und Streekreflexe der ganzen Hand oder Extremit~t im Sinne yon Flucht- oder Abwehrbewegungen.

1 Vortr. Berl. Ges. Psyehiatr. u. Nervenkrankh., Sitzg 9. Nov. 1931.

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Die auf Reizung der Vola auftretende Fingerbeugung ist von BSttiger als Palmarreflex bezeiehnet worden. Er ist nur in pathologischen F~illen nachzuweisen und sehr selten.

Im Anschlul~ an Beobachtungen von Pierre Marie und Foix, die beim Bestreichen der Handinnenfl/iche bei Hemiplegikern eine Adduction des Daumens (r~flexe du pouce) beobacktet hatten, hat Juster 1923 einen Hautreflex an der Hand beschrieben, den er Hypothenarhautreflex nennt; er son dem Babinskischen Zeiehen am Ful~ entsprechen. Dieser Reflex ist in Deutschland bis auf eine Nachprtifung durch Per~my anscheinend unbekannt geblieben.

Der H.Th.H.R. ist von Juster folgendermal]en angegeben worden: die Hand ist gestreckt und snpiniert, die Grundphalangen sind gestreckt und die Endphalangen leicht gebeugt. Wenn man an der so gelagerten Hand die Hypothenargegend durek leichte Berfihrung oder Streiehen reizt, erfolgt bei Pyramidenbahnsch~digung eine Adduction mit Beugung des Daumens, eine Beugung der Grundphalangen und Streekung der Endphalangen der fibrigen Finger und manchmal ihre Adduction. Den gleichen Effekt kann man durch starkesKneifen erzielen. Die Adduetion des Daumens ist aber das eigentlicke Kennzeichen des Reflexes und fiir ihn charakteristisck. Reflexogene Zone ist die Ulnargegend der Hand und des Unterarms.

Unabh~ngig von dieser Ver6ffentlichung waren wir auf der Suche nach einem dem Babinskischen Zeichen entsprechenden Reflex an der Hand zu gleichen Beobachtungen gekommen. Der H.Tk.H.R. hatte sick uns als leicht ausl6sbar und h~tufig vorkommend erwiesen.

Wegen der praktischen und theoretischen Bedeutung, die ein ,,signe de Babinski de la main" (Juster) hat, ersekien uns bei dem dock auf- fMligen Mangel eines solchen Reflexes an der oberen Extremit/it eine VerSffentlichung unserer Erfahrungen, die sick auf die Untersuchung an einer groBen Zahl von Patienten stiitzt, angebracht. Sie fiihrte uns zu einem wesentlich giinstigeren Urteil fiber den diagnostischen Wert des Justerschen Reflexes, als es Per~my gewonnen hat, der die diagnostische Bedeutung des Reflexes fiir sehr gering hMt.

Um die Daumenadductionsbewegung, auf die es ankommt, isoliert deutlich zu machen, z. B. bei Kontrakturen, hat es sich uns als technische Erleichterung bew~hrt, die Finger des Patienten au6er seinem Daumen in die freie Hand des Untersuchers zu nehmen, w/~hrend dessen andere Hand den Handreiz ausfibt.

Der H.Th.H.R. weist nach AuslSsungsmodus, Verhalten und Vor- kommen tats~chlich viele Parallelen zum Babinskischen Ph/~nomen auf.

Auch der H.Th.H.R. ist beim S~ugling und kleinen Kind zunachst vorhanden, nach Juster bis zum 3. Lebensjahr. Wir fanden ihn dagegen sehr h~ufig noch bis zum 5. Lebensjahr, ganz vereinzelt noch spater.

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Von dem gleichen Zeitpunkt an ist auch der Mayer sche Fingergrund- gelenkrefIex ers~ allgemein naehzuweisen.

In manchen F/illen ist der H.Th.H.R. durch ganz leichtes Beriihren oder Streichen des HypothenarauBenrandes auszulSsen, in anderen nur bei kr/s mit Druck auf die tiefe Muskulatur des Hypothenarinnenrandes und der mittleren Handinnenfl/~che erfolgendem Streichen mit dem Perkussionshammerstiel oder noch besser mit seiner breiten F1/iche. Nur bei ganz hochgradiger Steigerung kann man in seltenen F/~llen gelegentlich den Reflex auch yon der iibrigen Hand auslSsen, /~hnlich wie zur AuslSsung des Babinski manchmal eine leichte Beriihrung oder Er- schiitterung des FuBes ausreicht.

In ausgepr/~gten F/illen ist die Adduction des Daumens langsam und von groSem Ausma$ bis in die Handinnenfl/~che, mitunter mit einer leichten Beugung der Endphalange und einer geringen Oppositions- bewegung vergesellschaftet. Die langsame ausgiebige Adduction findet man besonders oft bei solchen spastischen L/ihmungen, bei welchen nicht die ausgepr/~gte Pr/~dilektionshaltung der Finger vorliegt, sondern in den nieht seltenen F/illen, bei welehen die Finger gestreckt sind und der Daumen sich in einer Ebene mit ihnen befindet oder nur wenig der Hand gegenfiber steht.

H/~ufig erfolgt aber auch die Daumenbewegung schnell, fliichtig und ohne grol~en Bewegungseffekt. Stellung und Muskelentwieklung des Daumens spielen beim Ablauf des Reflexes keine aussehlaggebende Rolle. Selbst bei hochgradigen Finger- und Daumenkontrakturen ist der Reflex noch auszulSsen, da die Adductionsbewegung selbst bei in die Hand gesehlagenem Daumen an der Aul3enseite des Daumenballens noch zu erkennen bleibt. Wir kSnnen die dahin gehende Angabe Justers nur bestiitigen. Wir verftigen fiber 9 F/~lle, bei welchen infolge hoch- gradiger Kontraktur die iibrigen Handreflexe {Mayer, TrSmner, Ho/f- manns Knipsreflex) nicht nackpriifbar waren, w/ihrend der H.Th.H.R. deutlich nachzuweisen war.

Der Reflex ist bei Reizsummation leichter auslSsbar, aber meist schnell erschSpflich.

Alle diese Merkmale, wie sie sich auch beim Babinskischen Ph/inomen linden, kennzeichen den Justerschen Reflex als einen typischen Haut- bzw. Fremdreflex.

Ja es gibt sogar einen Pseudo-Babinski an der Hand, eine Flucht- bewegung, die aber wegen ihres fehlenden Reflexcharakters nicht mit dem Reflex zu verwechseln ist. Immerhin empfiehlt es sich deshalb, die AuslSsung des H.Th.H.R. nicht iiberraschend fiir den Patienten vor- zunehmen. In ganz vereinzelten F/~llen ist eine sichere Entscheidung nur nach mehrfacher Nachprtifung mSglich.

Ein augenf/~lliger UnterscMed gegeniiber dem Babinski besteht seheinbar darin, daf3 am Fuf~ eine Extension der Groi3zehe erfolgt,

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w~hl.end an der Hand die Reflexbewegung in einer Adduction besteht. Tats~chlich entsprechen aber ihrer physiologischen Wertigkeit nach die beiden Bewegungseffekte einander. Sie sind Teilerscheinungen der Beugereflexsynergien (Foerster ).

Es kann deshalb aueh nicht auffiillig sein, dal3 nur ganz vereinzelt Extensionsbewegungen am Daumen oder an den Fingern als patholo- gische Reflexerscheinungen verSffentlicht worden sind, meist bei friih- infantiler Hirnsch~digung (Beck, B6ttiger, Sterling). Eine klinisehe diagnostische Allgemeinbedeutung kommt solchen Beobachtungen nicht zu, zumal die Bewegung oft nur hSchst unphysiologisch und schwierig bei dorsalflektierter Hand hervorgerufen wird. Wir konnten eine Extensionsbewegung des Daumens oder der Finger trotz zahlreicher Nachprfifungen nur angedeutet und flfichtig in zwei Fhllen finden.

Der H.Th.H.R. kommt bei Erwachsenen nur vor bei organischen Sch~digungen, die wahrscheinlieh die Pyramidenbahn betreffen und oberhalb des medull~ren Reflexbogens, den wir etwa in HShe des 7. Cervical- bis 1. Dorsalsegmentes annehmen miissen, lokalisiert sind. Bci Gesunden finder sich sehr selten eine flfichtige Andeutung des R~flexes.

Juster fand den H.Th.H.R. bei Hirntumoren, hohen Riickenmarks- tumoren, Pseudobulb~rparalysen, multipler Sklerose, Encephalitis epi- demica, amyotrophischer Lateralsklerose, Heine-Medinscher Krankheit, Syringomyelie und hohen Myelitiden. Dagegen fand Perdmy ihn unter 50 F~llen von Schiidigung der Pyramidenbalm nur in 5, davon nur in einem richtig ausgepri~gt, w~hrend in den tibrigen 4 sich nur Teil- erscheinungen des Reflexes zeigten.

Unsere Untersuchungen erstreckten sich auf mehrere 100 Fi~lle Gesunder, Kranker und Kinder, yon denen wir die nachfolgenden genauer auswertetcn.

Wir fanden den H.Th.H.l~. bei 74 yon 105 Hemiplegikern, die mehr oder weniger deutliche Beteiligung der oberen Extremit~t auf- wiesen, also in etwa 700/o. Er fand sich etwas seltener als die einfache Reflexsteigerung, fast so hi~ufig wie der TrSmnersche Reflex und etwas seltener als das Fehlen des Fingergrundgelenkreflexes (F.G.G.R.), der ja hitufig wegen starker Kontrakturen und Schmerzen nicht einwandfrei auslSsbar ist.

Bei denjenigen Patienten, bei welchen der H.Th.H.R. auszulSsen war, erwies er sich bei zahlreichen Naehuntersuchungen als konstant. Bei den Patienten mit positiven H.Th.H.R. priiften wir dessen Ver- h~ltnis zu den fibrigen meist untersuchten Handreflexen. Wir fanden bei 74 Hemiplegikern, deren Apoplexie bereits l~nger zuriicklag - - ganz frische Apoplexien hatten wir keine Gelegenheit zu untersuchen--, folgendes Verhi~ltnis: Juster 74real, Mayer (fehlt) 53mal, TrSmner 49real, Knipsreflex 45mal.

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Dort, wo der H.Th.H.R. vorkommt, erweist er sich den anderen Reflexen an der Hand iiberlegen.

Bei 50 dieser Justerpositiven hemiplegischen Patienten untersuchten wir auch die Ful~reflexe und fanden ein positives Babinskisches Ph/~nomen bei 39, den Rossolimoschen Reflex bei 38. Neben der einfa~hen Reflex- steigerung ergab sich irgendein pathologischer Reflex am Ful~ aber fast in jedem Falle. Wir kSnnen auch hier die Angaben Justers be- st/itigen, dal~ in vielen F/~llen der Babinski an der Hand naehzuweisen ist, w/~hrend er am FuI~ fehlt. Unter der Voraussetzung, d~B w i r e s bei beiden Reflexen mit Pyramidenbahnzeichen zu tun haben, kann uns das nicht wundernehmen, da ihr gemeinsames oder getrenntes Vorkommen vonder Lokalisation und Ausdehnung des cerebralen Herdes abh/ingig ist.

E~ waren ab~r auch die F~lle nicht selten, bei denen der H.Th.H.R. fehlte, also normal war, w/~hrend der Mayersche Reflex (F.G.G.R.) negativ, also pathologisch war. Eine h/~ufige Inkongruenz bzw. ein Antagonismus des H.Th.H.R. zum F.G.G.R. bestand in der Weise, daI~ bei Steigerung des Mayer aueh der Juster ausgesprochen war. Das war besonders deutlich in einem Falle naehzuweisen, der sympto- matisch das Bild der spastischen Spinalparalyse bot. Ferner fanden wir dies Verhalten bei Patienten mit Zwangs~eifen, worauf sp/~ter noch ein- gegangen werden wird. Auch insofern ist ein antagonistisches Ver- halten der beiden Reflexe aufzuweisen, als bei Neuropathen der F. G. G.R. oft gesteigert und besonders lebhaft ist, w/~hrend wir ein pathologisches Verhalten des H.Th.H.R. bei solchen Kranken nieht beobachten konnten.

Bei 15 der 74 hemiplegischen Patienten war der H.Th.H.R. neben der Reflexsteigerung als einziger pathologischer Reflex am spastisch geli~hmten Arm nachzuweisen.

Es fiel uns auf, dal~ der H.Th.H.R. besonders h/iufig im Gegensatz zu den anderen pathologischen Handreflexen bei Hemiplegikern vorkam, deren Handstellung atypisch war, z .B. bei solchen mit angedeuteter Thalamushand.

Bei 12 Patienten, die klinisch doppelseitig spastische Symptome auf- wiesen (Bulb/irparalyse, Lues cerebri, doppelseitige Hemiplegien, Polio- myelitis mit Myelitis usw.), fanden wir den Justerschen Reflex, wie auch den Babinski oder Rossolimo beiderseitig positiv. Von den fibrigen t tand- reflexen fanden sich nur einmal TrSmner, zweimal Knipsreflex doppel- seitig. Der F.G.G.R. fehlte in keinem der F/file doppelseitig. Meist kamen diese Reflexe nur einseitig auf der st/~rker betroffenen Seite vor. Es erwies sieh hier also das Justersche Zeiehen als ein besonders feines Symptom fiir eine Beteiligung der oberen Extremit/~t.

Bei 19 Hemiplegien verschiedenster Lokalisation und Jktiologie war der H.Th.H.R. als einziger pathologiseher Handreflex aueh, wenn auch sehw/~cher, auf der kontralateralen Seite naehzuweisen, die kliniseh

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sonst keine Zeichen einer nerv6sen Sch/tdigung aufwies. Dock war in zwei diescr Falle an der kontralateralen Seite ein Rossolimosches, in einem anderen ein Oppenheimsches Zeiehen am Fu$ auszulSsen. In dem einen Falle war, wie sich dann herausstellte, eine im iibrigen nicht mehr nachweisbare Hemiplegie dieser Seite vorangegangen, in einem anderen Falle hatte friiher an der kontralateralen Hand Zwangsgreifen bestanden. Bei den iibrigen 16 Patienten fehlten sonstige klinische Zeiehen fiir eine Beteiligung der anderen Seite. Das gelegentliche Vorkommen pathologischer Reflexe an der kontralateralen Extremit/~t ist klinisch bekannt und gerade an der oberen Extremit/~t nicht so selten (C. Mayer).

In 4 F/tllen war der H.Th.H.R. nickt auf der gel/thmten, sondern an der nicht betroffenen Hand nachweisbar. In dem einen Fall war aber auf dieser Seite auch noch ein Rossolimoscher Reflex vorhanden. Klinisch war in diesem Falle ein sehr ausgedehnter Herd (arterioskle- rotische Blutung) anzunehmen. Bei einem Patienten mit Ponsblutung (Weberscher L/thmung) war der Reflex sehr deutlich.

Eine kontralaterale Ausl6sung des H.Th.H.R. yon der gesunden Hand aus konnten wir nicht beobachten, auch nicht bei 5 friib_kindlichen Hirn- sch/~digungen, bei denen C. Mayer den Nachweis eines kontralateralen Vorkommens des F.G.G.R. ftihren konnte. Nut in zwei dieser F/tlle, bei einer Hemiathetose und bei einer Hemiplegie, war iiberkaupt der H.Th.H.R., bier allerdings sehr deutlich, vorhandcn. Bei weitercn 4 infantil erworbenen Hemiathetosen war er nicht auszul6sen.

Wit fanden den Reflex weiter bei multipler Sklerose, zum Teil als einzigen spastischen Reflex an der Hand, auch bei 2 Patienten mit Para- lysis agitans. Ferner bei 2 yon etwa 30 untersuchten katatonen Schizo- phrenen. Naeh den Untersuchungen yon Goldstein und Stiefler linden sich bei solchen Kranken ja auck h/~ufig St6rungen des F.G.G.R. Dagegen fanden wit den Reflex nickt bei peripheren Erkrankungen und bei Tabes, und in dcr iiberwiegenden Mehrzahl der extrapyramidal bedingten Krankheitsbilder.

Eine umsckriebene Riickenmarkssch/~digung, die vielleicht eine seg- mentale Begrenzung des Reflexbogens nach oben erm6glicht hatte, wurde in der Zeit unserer Untersuchung bei unseren Patienten nicht beobachtet. Bei einer Patientin mit hochsitzendem Halsmarktumor, bei der allerdings auch schlaffe Parese und Atrophien der H/~nde bestandcn, war der H.Th.H.R. nicht nachzuweisen. Ebensowenig bei einem Tumor des Dorsal- marks und einer H/imatomyelie im Brustmark. Dock hat Lewandowsky einmal bei einer hohen Hi~matomyelie konstant eine Adductionsbewegung des Daumens auf Handreiz beobaektet (zitiert nach Goldstein).

Bei einer Patientin mit einem Jackson-Anfall der rechten Hand war der H.Th.H.R. wi~hrend des Anfalls und auch nachher nicht auszulSsen, ebenso war ein pathologisches Verhalten der iibrigen Handreflcxe nickt

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nachzuweisen. Das Verhalten des Reflexes im Sehlaf, bei BewuBtseins- stSrung und im epileptischen Anfall konnten wir bisher noch nicht nachpriifen.

Wir haben darauf geachtet, ob das Verhalten des H.Th.H.R. bei Hirn- sch/tdigungen fiir die Lokalisation des Hirnherdes bzw. des Reflexes zu verwert~n w/~re. In den F/~llen, bei welchen andere klinische Symptome (Aphasie, Agraphie, Sensibilit/s lokalisatorische Hinweise gaben, erwies sick keine bestimmte Lokalisation der in unseren F/illen meist auf vascul/~ren StSrungen beruhenden Hirnerscheinungen bevorzugt. Ana- tomische Befunde liegen noeh nicht vor. Doch geben die Beziehungen zum Zwangsgreifen und zum F.G,G.R. vielleicht einen lokalisatorischen Hinweis.

Es ist auffallend und bemerkenswert, dab der Daumen zwei ver- schiedene reflektorische AntwortmSglichkeiten auf Reize an der Hand hat. Denn der typisch ausgepr/tgte H.Th.H.I~. ist yon dem typischen F.G.G.R. deutlich versehieden, was in den nicht seltenen F~llen leicht zu demonstrieren ist, bei welchen beide an der gleichen Hand nachzuweisen sind. Die Adduction des Daumens beim H.Th.H.R. gelegentlich mit leichter Beugung des Endgliedes ist eine andere Bewegung als die beim Mayerschen Grundgelenkreflex erfolgende Opposition und Beugung des Daumens mit Extension des Endgliedes. Beide Bewegungen kSnnen abet vielleicht als Teilerscheinnng der Beugereflexsynergie oder als graduell verschiedene Abschw/tchungen der Greifbewegung aufgefaf~t werden. Die einfaehe Adductionsbewegung beim H.Th.H.R. dfirfte phylogenetisch (Affenhandstellung !) /ilter sein als die im F.G.G.R. deutlich werdende Oppositionsstellung des Daumens,

Bei einem Patienten, bei welchem friiher Zwangsgreifen vorhanden war, fand sich an der befallenen Hand als pathologischer Reflex lediglich noch der Juster, w/~hrend der Mayer normal war.

Bei drei Patienten mit Zwangsgreifen land sich an der befallenen Hand ein besonders lebhafter F.G.G.R., wie das auch Stie/ler schon beobachtet hat. Der H,Th.H.R. war in allen diesen F/~llen gleichfalls vorhanden, in einem mit einer deutlichen Fingerbeugung. Eine leichte Fingerbeugung linden wir aber auch gelegentlich sonst mehr oder weniger deutlich zusammen mit der Daumenaddution, doch ist die Fingeraddution gew6hnlich weitaus ausgepr/tgter. Bei einer dementen juvenilen Para- lyse, die gelegentlich Zwangsgreifen zeigte, fand sick als konstantes Ph~inomen der H.Th.H.R.

Wir fanden also in allen F/tllen yon Zwangsgreifen den Justerschen Reflex, mitunter als einzige noch nachweisbare StSrung bei friiher deut- liehem oder gegenw/~1~ig nur gelegentlich nachweisbarem Zwangsgreifen. Durch die Untersuchungen yon Schuster und Casper wurde nachgewiesen, da6 Herde in der Tiefe des Stirnhirns am tJbergang zum Balken wesentlich fiir das Auftreten des ZwangsgTeifens sind. Ebenso sind die Steigerung

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des F.G.G.R. und das doppelseitige Vorkommen pathologischer Reflexe als Stirnhirnsymptome bekannt. In F~tllen mit diesen Symptomen mfissen wir die gleichen Herde wohl auch ffir das Zustandekommen des H.Th.H.R. verantwortlich machen. Andererseits fanden wir den H.Th.H.R. aber auch bei StSrungen, die auf Herde in der Gegend der Stammganglien (Handstellung !) und auf corticale L~sionen hinwiesen. Das gemeinsame dfirfte bei allen diesen Fallen wohl eine StSrung der funktionellen Beziehungen der pyramidalen und extrapyramidalen Bahnen sein. Auff~llig ist, dal3 wit den H.Th.H.R. sowohl bei normalem und fehlendem, als auch bei gesteigertem F.G.G.R. finden. Zur Zeit erscheinen uns lokaldiagnostisch verwertbare Schliisse aus dem gegens~t~zlichen Ver- halten der beiden Handreflexe noch nicht mSglich. Die weitere Sammlung klinischen und pathologisch-anatomischen Materials in dieser Richtung erscheint uns aber aussichtsreich und erfolgversprechend. Zur Frage des Verlaufs der cerebralen Reflexbahnen der Hautreflexe diirfte Art und Auftreten des H.Th.H.R. keine prinzipiell neuen Gesichtspunkte bringen.

Schuster und Pin,as haben darauf hingewiesen, dab das Zwangsgreifen sich aus 2 Komponenten zusammensetzt, aus der Beugebewegung der Finger und der nachfolgenden dauernden Kontraktion, derUmklammerung. Wir finden nun gar nicht so selten beim H.Th.H.R. auch eine leichte Beugung und oft eine Adduction der Finger, die nut graduell yon der ausgesprochenen Fingerbeugung, der einen Komponente des Zwangs- greifens, verschieden zu sein scheint. Der H.Th.H.R. bildet mithin ein fehlendes Glied in der Kette der reflektorischen Ablitufe an der Hand, die yon einfachen zu komplexeren Bewegungen ffihren. Es sei dahin- gestellt, ob und inwieweit die pathologische Ver~nderung der Reflexe an der Hand yon der einfachen Adduction des Daumens mit Finger- beugung bis zum Zwangsgreifen phylogenetische Entwicklungsstufen widerspiegelt.

Zusammenfassung.

Der Hypothenarhautreflex (H.Th.H.R.) besteht in einer Adduction des Daumens auf Hautreiz in der Hypothenargegend. Er ist ein nach Ausl5sungsmodus, Verhalten, Vorkommen und klinischer Bedeutung dem Babinskischen Ph~nomen entsprechender pathologischer Hautreflex der Hand. Gegeniiber den Gelenkreflexen bietet er den Vorteil der einfachen und schmerzlosen AuslSsungsart, selbst bei stark verarbeitet~r Hand und bei Kontrak~uren. Zum Mayerschen Fingergrundgelenkreflex besteht vielfach ein inkongruentes Verhalten, indem der H.Th.H.R. sowohl bei Steigerung, als beim Fehlen und normaler AuslSsbarkeit des F. G. G.I~. vorkommt und fehlt. Es ist zu erwarten, dab sich aus der Sammlung eines grSl3eren klinischen und autoptischen Materials aus diesem gegens~tz-

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l i chen V e r h a l t e n der R e f l e x e I-Iinweise fiir den Si tz de r Hi rnsch/~digung

e rgeben werden . Der H . T h . H . R . is t e in Gl ied in der K e t t e r e f l ek to r i s che r

Vorg/~nge an der H a n d , die ve r s ch i edene p h y l o g e n e t i s e h e E n t w i c k l u n g s -

s tu fen wide r sp iege ln u n d v o n d e r A d d u c t i o n des D a u m e n s zur F inge r -

b e u g u n g u n d z u m Zwangsg re i f en f i ihren.

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