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LWL-Medienzentrum für Westfalen

Kolonnen und Kulissen

Der Nationalsozialismus im Film Iserlohn 1933-1939

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Umschlagfotos: Stadtarchiv IserlohnEntwurf Umschlag und Label: B&S Werbeagentur Münster

www.werbeagentur.msSatz und grafische Gestaltung: Ute HaversDruck: Merkur Druck GmbH & Co. KG, Detmold

Eine Edition des LWL-Medienzentrums für Westfalen

ISBN 978-3-939974-08-6© 2009 Landschaftsverband Westfalen-Lippe

Die Filme auf dieser DVD sind durch das Urheberrechtsgesetz geschützt.Neben der privaten Aufführung können sie zu nichtgewerblichen Zweckenöffentlich gezeigt werden. Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehal-ten. Vermietung, Sendung, Vervielfältigung und gewerbliche Vorführung sindohne ausdrückliche Genehmigung nicht gestattet.Etwaige Anfragen sind zu richten an:LWL-Medienzentrum für WestfalenFürstenbergstr. 14, 48147 MünsterE-Mail: [email protected]: www.lwl-medienzentrum.de

Reihe: Westfalen in historischen Filmen

Fünf Filme, s/w und Farbe, ingesamt ca. 100 Min.DVD mit Begleitheft, 2009 (D 101)

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Kolonnen und KulissenDer Nationalsozialismus im Film

Iserlohn 1933-1939

Begleitheft zum Film

herausgegeben im Auftrag desLWL-Medienzentrums für Westfalen

von Volker Jakob

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Inhaltsverzeichnis

I. EinführungVolker Jakob

II. Iserlohn 1933-1945. Ein ÜberblickWolfgang Wilkop

Letmathe 1933Peter Trotier

III. Die FilmeFILM 1: Kundgebung zum Volkstrauertag, 1933

Götz BettgeFILM 2: Standartentreffen Letmathe, 1933

Peter TrotierFILM 3: Aufmarsch der Zehntausend, 1933

Simone EpkingFILM 4: Jubiläumsfilm zur 700-Jahr-Feier, 1937

Götz BettgeFILM 5: Kreistag der NSDAP, 1939

Simone Epking

IV. Nationalsozialistische Propaganda im Film. Analyse und BewertungSimone Epking

V. Ausgewählte Biografien Wolfgang Wilkop

VI. Quellen, Literatur und Weblinks

VII. Kapitelgliederung der DVD

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I. EinführungVolker Jakob

Vor mehr als sechzig Jahren ging das „Tausendjährige Reich“ zugrun-de – die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland endete ineinem Krieg, der Millionen Opfer forderte und die Welt an den Ab-grund führte. Heute ist all das Geschichte. Die banale Wirklichkeit voneinst droht zum Mythos zu werden, sie erscheint uns mit wachsendemzeitlichen Abstand unendlich fern und beinahe unwirklich.

Die hier vorgelegte DVD-Edition vereinigt sechs verschiedene Filmeund Filmfragmente aus den Jahren 1933 bis 1939, die jeweils Ereig-nisse und politische Veranstaltungen in und um Iserlohn dokumentie-ren. Alle Filme inszenieren die Macht des NS-Regimes während dersechs Friedensjahre zwischen der nationalsozialistischen Machtüber-nahme und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs – sie zeigen die im-mer wieder gleichen propagandistischen Bilder und Einstellungen vonuniformierten Kolonnen und Aufmärschen. Die Welt, die hier in stetsneuen Wiederholungen gezeigt wird, ist die der uniformierten Massenund der – wie es scheint – allmächtigen Partei bzw. ihrer verschiede-nen Formationen. Befehl, Unterordnung und Gehorsam sind die un-ausgesprochenen Gesetze, die die aus heutiger Sicht kaum mehr ver-ständlichen Rituale beherrschen. Das zivile, das bürgerliche Deutsch-land erscheint an den Rand gedrängt und ist nur noch als Staffageerkennbar.

Die Zusammenstellung der Filme auf dieser DVD hat eine doppelteIntention. Zunächst geht es darum, konkrete Geschichte im westfäli-schen Kontext zu zeigen und den Nationalsozialismus historisch zuverorten. Zu diesem Zweck wurden die ursprünglich stummen Filmekommentiert und z.T. gekürzt, um dem Betrachter der Gegenwart dieEinordnung der damaligen Ereignisse, Abläufe und Personen zu er-möglichen. Darüber hinaus bietet das der Edition beigefügte Bookletzusätzliche Hintergrundinformationen, die insbesondere auch für denEinsatz im Unterricht unabdingbar sind. Damit soll Schulen in und umIserlohn ein heimatkundliches Medium zur Verfügung gestellt werden,das im „cross over“ von Filmbildern und Texten die Geschichte dereigenen Stadt konkretisiert und dokumentiert.

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Daneben soll außerdem, dem Reihentitel „Westfalen in historischenFilmen“ entsprechend, am Beispiel der überlieferten Filme Medienge-schichte vermittelt werden, nämlich die Geschichte des Amateur- undsemiprofessionellen Gebrauchsfilms während der NS-Zeit in West-falen. So lassen sich anschaulich die cineastischen Fortschritte be-sichtigen, die das Medium Film damals verzeichnete: Von den nochunbeholfen wirkenden Kurzfilmen des Jahres 1933 bis hin zu großen,mit einer beweglicheren Kamera gedrehten Reportagen aus Anlassdes Stadtjubiläums 1937 oder des Parteitags 1939. Im Jubiläumsfilmsind erstmals sogar Farbsequenzen enthalten, die das Geschehenfast gegenwärtig erscheinen lassen. Der Film war in Verbindung mitdem NS-Regime in diesen Jahren immer ein Mittel zur propagandisti-schen Lenkung und Disziplinierung der „Volksgemeinschaft“. Mit wel-chen filmischen Mitteln die weltanschaulichen Appelle in Bilder umge-setzt und vermittelt wurden, wird im Booklet detailliert beschrieben.

Diese Edition kann und soll nicht die Geschichte Iserlohns in der NS-Zeit beschreiben – sie will lediglich zeigen, wie sich die Mächtigen indieser Zeit inszeniert haben. Aufgabe des Historikers ist es, der Gegen-wart die Vergangenheit zu erklären. Ganz besonderer Dank gilt daherdem Stadtarchiv Iserlohn, aus dessen Beständen die Filme stammen,sowie allen, die zur Aufarbeitung dieses schwierigen Kapitels der Stadt-geschichte mit sehr viel Engagement beigetragen haben.

Heute sind Filme als Quellen der historischen Forschung weitgehendanerkannt. Sie zeigen die politische und gesellschaftliche Wirklichkeitin einer eigenen Sprache. Aus diesem Grund hat das LWL-Medien-zentrum für Westfalen in der Vergangenheit immer wieder ausgewähl-te Filme aus der NS-Zeit herausgegeben, um Licht in jene dunklen undvielfältig gebrochenen Jahre zu bringen und aufzuklären. Das soll mitdieser Edition fortgesetzt werden.

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II. Iserlohn 1933-1945. Ein ÜberblickWolfgang Wilkop

Organisierter Rechtsradikalismus und die Anfänge der NSDAP inIserlohn (1919-1933)

Die wichtigste rechtsradikale Ver-einigung zu Beginn der Wei-marer Republik in Iserlohn warder antisemitische „Deutschvöl-kische Schutz- und Trutzbund“.Schon in seinem Gründungsjahr1919 gab es eine Ortsgruppe mit50 Mitgliedern. 1922 wurde dieseantisemitische Propagandaorga-nisation verboten. Ihr eigentlicherInitiator, der ultranationalistische,im Kaiserreich entstandene „All-deutsche Verband“, trat in Iser-lohn im Jahre 1931 noch einmalverstärkt öffentlich auf. 1924 er-hielt die rechtsradikale, antisemi-tische Liste „Völkisch-sozialerBlock“ bei den Kommunalwahlen392 Stimmen und einen Sitz. Ihr

Vertreter im Stadtparlament, Karl Keitmann, entwickelte sich jedoch inRichtung eines rechten Lebens- und Bodenreformers. Es waren abernicht völkische Sektierer, die sich z. B. in Jugendbünden wie „Adlerund Falken“ sammelten – ein Zeitzeuge nannte sie ironisch „friedlicheRechte“ –, sondern die zu politisch motivierter Gewalt neigendenWehrverbände wie der „Bund Oberland“ und vor allem der „Wehr-wolf“. Sie prägten von 1922/23 an und noch bis Ende der 1920er Jahredas Gesicht des Rechtsradikalismus in Iserlohn. Bei den Kommunal-wahlen 1929 konnte die von Mitgliedern des „Wehrwolfs“ und derNationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gebildeteListe „National-Soziale Großdeutsche Freiheitsbewegung“ keinen Sitzim Stadtparlament erringen. Die NSDAP hatte sich bis dahin in einigenindustriell geprägten Landgemeinden des Landkreises Iserlohn gutentwickeln können. Vor allem in Kalthof konnte die am 28. Februar

Rathaus - Nachtbild Juli 1937

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1925 neu gegründete Partei rasch Fuß fassen. In diesem kleinenIndustriedorf gab es über 20 Träger des „Goldenen Ehrenzeichens“der NSDAP, das man nur frühen (bis Partei-Nr. 100.000) und treuenMitgliedern verlieh. Der kaufmännische Angestellte Hermann Menzeaus Kalthof, der von 1934-1945 Kreisleiter in Iserlohn war, war schonseit 1921 Mitglied der Partei. Die Iserlohner Nationalsozialisten gehör-ten organisatorisch allerdings lange zur Ortsgruppe der NSDAP inWestig, die am 25. Juli 1926 gegründet worden war. Es war derWestiger Ortsgruppenleiter, der Schlosser Johann Löhrer, der zu derersten öffentlichen Veranstaltung der NSDAP in Iserlohn mit dem spä-teren Ehrenbürger Josef Wagner im Januar 1928 aufrief. Erster Orts-gruppenleiter der NSDAP in Iserlohn von Ende 1929 bis ca. August1931 war der Werkzeugschlosser Willi Ossenberg-Engels (Parteiein-tritt: 1.5.1929). Auf ihn folgte der Süßwarengroßhändler August Landré,der im Kommunalwahlkampf 1929 noch für Heiterkeit gesorgt hatte,weil er öffentlich abgestritten hatte, Kandidat der „VolksgemeinschaftBodenreform“ zu sein, obwohl er auf deren Wahlliste stand. Ein weite-rer Kandidat dieser erfolglosen Liste war der ehemalige völkischeAbgeordnete Karl Keitmann. In der Ortsgruppe der NSDAP wurdeLandré wegen seiner Amtsführung von dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr.Fritz Katz (Parteieintritt: 1.11.1930) scharf kritisiert. Katz wurde am 1.Dezember 1932 Ortsgruppenleiter. Die NSDAP wurde schon imSeptember 1930 bei den Reichstagswahlen stärkste Partei in Iserlohn,zu einem Zeitpunkt, als sie hier organisatorisch noch in den Anfängensteckte.

Die NSDAP und ihre Wähler (1929-1933)

Der Aufstieg der NSDAP in Iserlohn wird besonders durch denVergleich der Kommunalwahlergebnisse von 1929 und 1933 deutlich.1929 erhielten die Nationalsozialisten im Rahmen der rechtsradikalenListenverbindung „National-Soziale Großdeutsche Freiheitsbewe-gung“ lediglich 284 Stimmen, 1933 waren es 8151 Stimmen. Bei denvier Reichstagswahlen zwischen September 1930 (NSDAP: 30 %) undMärz 1933 (NSDAP: 40,3 %) war die NSDAP stets stärkste Partei inIserlohn, und ihre Ergebnisse lagen über denen des WahlkreisesWestfalen-Süd. Nur gegenüber den Ergebnissen im Deutschen Reichschnitt man bei den letzten drei Wahlen schlechter ab. Diese

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Wahlerfolge der Nationalsozialisten standen deutlich im Zusammen-hang mit dem Niedergang der rechtsbürgerlichen Parteien in derWählergunst. Bei den Reichstagswahlen 1928 holte die DVP inIserlohn noch 18,3 % der Stimmen, 1930 nur noch 4 % und im März1933 0,7 %. Die radikalere DNVP erhielt 1928 12,5 % der Stimmen,1930 3,5 % und die von ihr dominierte Liste „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ immerhin 6,8 % im März 1933. Potentielle Wähler bürger-licher Parteien wurden von der NSDAP gezielt angesprochen. Sosprach der spätere Iserlohner Ehrenbürger, Gauleiter Josef Wagner,1931 vor ca. 1500 geladenen Gästen aus Iserlohn und Umgebung, diesich hauptsächlich aus Handels- und Industrie- wie Beamtenkreisenzusammensetzten. Es kam auch zu Übertritten von angesehenenBürgern aus dem Umfeld rechtsbürgerlicher Parteien und Vereinigun-gen in die NSDAP, wie z. B. von Hans Bömcke (Parteieintritt: 1.5.1932),dem Schwiegersohn des Industriellen und führenden DNVP-PolitikersDr. h. c. Friedrich Kirchhoff. Der radikale Antisemitismus der NSDAPverschreckte offensichtlich auch die Wähler nicht. Antisemitismus warauch Teil der Programmatik der DNVP, der ein großer Teil der Inhaberder bedeutendsten Iserlohner Wirtschaftsunternehmen angehörtenoder nahe standen. Sechs der dem Gewerbesteuergrundbetrag von1927 nach zehn größten Iserlohner Firmen waren Mitglieder der DNVPoder unterstützten sie. Mitglieder waren Friedrich Vollmann (Vollmann& Schmelzer), Dr. h. c. Friedrich Kirchhoff (Stefan Witte & Co.), Hugovon Hagen (Wwe. Wilhelm von Hagen) und Hans und Wilhelm Stamm(Heinrich Stamm, Grüne). Andere, wie Karl Nörrenberg (HeinrichSudhaus Söhne) oder Egon Mittsdörfer (Turk & Bolte), unterstütztendas von den Deutschnationalen, aber auch von den Nationalsozialis-ten getragene Volksbegehren gegen den „Young-Plan“ oder denAntrag auf die Auflösung des Preußischen Landtages 1931. Der lang-jährige Geschäftsführer des Iserlohner Fabrikantenvereins, Karl Klute,war führendes Mitglied der DNVP. Im wichtigsten Lokalblatt, dem„Iserlohner Kreisanzeiger“, bedauerte man, dass sich bei den Kom-munalwahlen 1924 und 1929 die rechtsradikalen und antisemitischenListen nicht den bürgerlichen Wahlvereinigungen angeschlossen hat-ten. Die auf einer nationalsozialistischen Veranstaltung im April 1932erhobene Forderung, „Literatur, Theater, Film dürfen nur vonDeutschen verwaltet werden“, wurde in der bürgerlichen Bericht-erstattung unverändert übernommen. Dass diese Parole einen ein-deutig antisemitischen Akzent hatte, wurde nicht erwähnt, geschweige

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denn kritisiert. Antisemitische Agitation wurde mit dem „Eingehen aufdie antisemitische Frage" umschrieben. Eine klare und deutlicheVerurteilung des Antisemitismus gab es im „Iserlohner Kreisanzeiger“nicht – im Grunde wurde er toleriert. Ganz deutlich dagegen war dieablehnende Haltung gegenüber dem „Straßenrowdytum“, dessen Be-kämpfung der „Kreisanzeiger“ im Interesse des „anständigen Bürger-tums“ forderte. Der Kampfbund der Nationalsozialisten, die SA, liefer-te sich besonders von Januar bis Oktober 1931, im Sommer 1932 undAnfang 1933 gewaltsame, zum Teil bewaffnete Auseinandersetzungenmit Kampfverbänden, die den Sozialdemokraten (ReichsbannerSchwarz-Rot-Gold) bzw. den Kommunisten (Kampfbund gegen denFaschismus) nahe standen. Die SA wurde zunächst vom „Kreisanzei-ger“ kritisiert, erst nach dem gewaltsamen Tod des SA-TruppführersHans Bernsau im Januar 1933 ergriff das Lokalblatt deutlich Partei fürdie SA. Insbesondere über Bernsaus Beerdigung, die im Grunde einepolitische Demonstration war, wurde sehr positiv berichtet. Bei derBerichterstattung über den Bernsau-Prozess im September 1933übertraf der „Kreisanzeiger“ mit der negativen Charakterisierung derangeklagten Kommunisten beinahe noch die nationalsozialistische„Rote Erde“. Das änderte aber nichts an der tiefen Verachtung, die einSA-Aktivist wie der Schriftsteller und Journalist Willy Muhrmann für dasbürgerliche Lager und die konservative Leserschaft empfand. Dieserredete am „Stammtisch“ gern über Politik, verfolgte gewaltsameAuseinandersetzungen auf der Straße aber am liebsten „hinter derGardine“.Sicherlich spielte die hohe Arbeitslosigkeit in Folge der Weltwirtschafts-krise seit 1929 eine wichtige Rolle beim Aufstieg der Nationalsozialisten.Noch im Juni 1933 waren 31 % der Arbeiter und 21 % der Angestelltenin Iserlohn arbeitslos. Die enormen Arbeitslosenzahlen konnten von densozialen Sicherungssystemen der Weimarer Republik kaum aufgefangenwerden. Im dritten Quartal des Jahres 1932 überstieg die Zahl derWohlfahrtserwerbslosen, also der städtisch unterstützten Arbeitslosen(der sog. Ausgesteuerten), bereits die Zahl der Unterstützungsempfän-ger. Zweifellos rekrutierte die SA sich auch aus Arbeitslosen – lautStandartenführer Vogt waren noch im August 1933 80 % der Mitgliederdes „Stahlhelms“ sowie der SA und SS in Iserlohn ohne Arbeit.Seit 1931 war die „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“(NSBO) als Konkurrenz zu den Gewerkschaften in Iserlohn aktiv. Ihrführender Vertreter, Heinrich Beilke, nahm 1933 immerhin Platz zwei

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auf der Kommunalwahlliste der NSDAP ein. In diesem Jahr waren 57 %der Iserlohner Erwerbspersonen (einschl. der Arbeitslosen) Arbeiter.Die erklärten Arbeiterparteien KPD und SPD, die stark miteinander ver-feindet waren, konnten dieses Potential bei Wahlen nie vollständigausschöpfen. Trotzdem erreichten sie selbst bei den Reichstagswah-len 1933 zusammen noch über 30 %.

Das Jahr 1933

Auch nach der Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzleram 30. Januar 1933 gingen die gewaltsamen Auseinandersetzungenzwischen der SA und Angehörigen von KPD und SPD weiter, beidenen es auch Schwerverletzte gab. Die SA zog am 6. Februar 1933„durch einige Kommunistenviertel“ – besonders bekannt waren inIserlohn der sog. Schlieperblock und der Bereich „Hinterm DickenTurm“ – und wurde dabei von der Polizei geschützt. Seit Ende Februarwurden SA- und SS-Männer selbst zu Hilfspolizisten. Dies stand imZusammenhang mit der Verfolgung insbesondere von Kommunistennach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933. Schon am nächs-ten Tag wurden auch in Iserlohn „10-12“ führende Kommunisten ver-haftet. Der im September 1933 als Bernsau-Mörder zum Tode verur-teilte Franz Schidzick, der im Schlieperblock lebte, wurde am 16. März1933 in Schutzhaft genommen und in das KonzentrationslagerBenninghausen gebracht. Trotz der Verhaftungen und Verfolgungenerzielte die KPD mit 16 % und die SPD mit 16,3 % bei den Reichstags-wahlen am 5. März 1933 noch ein respektables Ergebnis. Das in derWahlkampfführung behinderte Zentrum – ca. ein Drittel der IserlohnerBevölkerung war katholisch – erzielte 16,6 %. Damit erhielten erklärte,wenn auch nicht miteinander verbündete Gegner der Nationalsozialis-ten fast 50 % der Stimmen in Iserlohn. Trotzdem feierte auch dieIserlohner SA am nächsten Tag das Wahlergebnis als den Beweis fürden Untergang der verhassten schwarz-rot-goldenen Republik. OhneGenehmigung, worauf SA-Aktivisten sehr stolz waren, hissten sie vor„Tausenden“ von Zuschauern auf dem Balkon und dem Dach desIserlohner Rathauses die schwarz-weiß-rote Fahne des Kaiserreichsund die Hakenkreuzfahne. Bei den Kommunalwahlen am 12. März1933 wurde die NSDAP zwar stärkste Fraktion mit 15 Sitzen, erreichteaber nicht die absolute Mehrheit. Sie benötigte zunächst die Unter-

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stützung der beiden Abgeordneten der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“: Karl Klute, führender Deutschnationaler und Geschäftsführer desIserlohner Fabrikantenverbandes, und Lehrer Fritz Kühn, späterIserlohner Ehrenbürger. Die Abgeordneten schlossen sich neben der„Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ einer weiteren bürgerlichen Liste an,der „Evangelischen Arbeitsgemeinschaft“. Ihre Mitglieder wurdenschließlich Hospitanten in der NSDAP-Fraktion. Die drei kommunisti-schen Abgeordneten durften auf Weisung des Innenministeriums nichtzu den Stadtverordnetensitzungen eingeladen werden. Zwei vonihnen, Willi Becker und Richard Puknat, wurden im März bzw. April1933 in Schutzhaft genommen. Die Fraktionen des Zentrums (7 Sitze)und der SPD (5 Sitze) versuchten zunächst im Stadtparlament mitzu-arbeiten. So stimmte auch die SPD im April 1933 einem Beschlussgegen das sog. Doppelverdienertum von Mann und Frau bei städti-schen Bediensteten zu, was ihr höhnische Bemerkungen von Seitendes NS-Blattes „Rote Erde“ einbrachte. Die Stadtverordneten der SPDlegten im Mai, die des Zentrums im Juli ihre Mandate nieder. IhreParteien wurden bald verboten bzw. lösten sich auf. Als kommissari-scher Oberbürgermeister fungierte seit Ende April 1933 ein national-sozialistischer Parteigenosse und SA-Mann, RegierungsobersekretärWalter Riedel, nachdem Oberbürgermeister Gertenbach auf Grundvon letztlich nicht haltbaren Vorwürfen beurlaubt worden war. Die SAbeglich im Frühjahr und Sommer 1933 alte Rechnungen. So wurde derPolizeidezernent Albert Schulte wegen seines Vorgehens im FallBernsau am 9. März 1933 von der SA zum Rücktritt gezwungen. „Derschwarze Schulte abserviert“ jubelte das NS-Blatt „Rote Erde“ überdie Ablösung des Zentrumspolitikers. Ende Juli 1933 wurden dieKommunisten Neumann und Solecki abends von SS-Hilfspolizisten inangeblicher Notwehr niedergeschossen und ohne Hilfe liegen gelas-sen. Solecki starb. Kurz darauf wurde Erwin Blömcke, ein Kommunist,der auch im Bernsau-Prozess erwähnt und öffentlich als Verantwort-licher für einen Überfall auf den SA-Führer Walter Vogt bezeichnet wor-den war, von SA-Hilfspolizisten auf der Flucht erschossen. Bei demgefilmten SA-Gedenktreffen für Hans Bernsau Ende August 1933 –also vor dem eigentlichen Bernsau-Prozess – sprach der IserlohnerSA-Standartenführer Walter Vogt ganz unverhohlen und öffentlichdavon, den Tod Hans Bernsaus gerächt zu haben. Zu dieser Zeit en-dete der Hilfspolizeieinsatz der SA, der eine wesentliche Grundlageihrer Macht gewesen war. Unter anderem hatten die Hilfspolizisten

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Menschen öffentlich angeprangert, indem sie ihnen Schilder mitAufschriften wie „Dieb“ umhängten. Als die SA am 19. Juni 1933 ver-suchte, ehemalige führende Kommunalpolitiker, die der Korruption be-zichtigt wurden, ebenso zu behandeln, scheiterte dies am Widerstandder Polizei. Nur der frühere Bürgermeister Dr. Reinhold Schulte wurdevon SS-Männern mit einem Schild um den Hals durch die Straßengetrieben. Der „Iserlohner Kreisanzeiger“ äußerte, wenn auch vorsich-tig, Bedenken gegen dieses Vorgehen. Im Juli 1933 sorgte eine Kritikdes „Kreisblattes“ an dem Film „SA-Mann Brand“ für „große Erregungunter der Iserlohner SA und SS“, die aber keine Auswirkungen hatte.Das Anfang Juli 1933 auch in der bürgerlichen Presse verkündete„Ende der deutschen Revolution“ war mit einem deutlichen Machtver-lust für die SA verbunden.

Bis zu seiner Auflösung im August 1933 trat in Iserlohn besonders dernationalsozialistische „Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes“ inErscheinung. Er strebte die „Bekämpfung und Vernichtung aller wirt-schaftszerstörenden Einrichtungen wie Konzerne, Warenhäuser, Kon-sumgenossenschaften, Großfilialen, Einheitspreisgeschäfte“ an. Dassdas Iserlohner Kaufhaus „Basse & Uerpmann“ im April 1933 seinenErfrischungsraum schloss, verbuchte der Kampfbund als Erfolg. DerInhaber des Kaufhauses verstand es aber, durch das Knüpfen vonKontakten zur Kreisleitung der NSDAP seine Interessen zu schützen,was von manchen NS-Aktivisten mit Verbitterung aufgenommenwurde. Auch der jüdische Kaufmann Siegfried Ehrlich, der Mitglieddes „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und zudem noch Inhabereines Einheitspreisgeschäftes war, hielt dem Druck von Seiten desKampfbundes stand. Als er die Imbissecke und die Lebensmittelab-teilung seines Ladengeschäftes schließen sollte, beschwerte er sichbis 1935 erfolgreich bei höheren Dienststellen der NSDAP. Auchwurde der Iserlohner Konsumverein nicht geschlossen, sondern EndeMai 1933 unter nationalsozialistische Führung gebracht, was konkretzur Entlassung von dort beschäftigten Sozialdemokraten führte. Ähnli-ches geschah bei der Stadtverwaltung Iserlohn. Beamte, vor allemaber kommunale Arbeiter und Angestellte, die Juden waren bzw. derSPD oder KPD angehört hatten oder der Arbeiterbewegung nahe stan-den, wurden nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs-beamtentums“ entlassen. Die Zahl der Beamten aber – Iserlohn warKreisstadt und Sitz staatlicher Behörden – stieg zwischen 1933 und

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1939 sehr deutlich von 801 auf 1257. Viele, die sich 1933 besondersviel erhofft hatten, waren in den folgenden Jahren wenn nicht ent-täuscht, so doch ernüchtert. Es ist hervorzuheben, dass die protes-tantischen Pfarrer Bernhard Gravemann (Oestrich) und Bruno Linde(Iserlohn), die 1933 bei den SA-Gedenktreffen in Letmathe undIserlohn aufgetreten waren, sich später der NS-kritischen „Bekennen-den Kirche“ anschlossen.

Wirtschaft und Gesellschaft in Iserlohn 1933-1945

In Iserlohn mit seiner mittelständisch geprägten Metallindustrie nahmdie 1933 noch hohe Arbeitslosigkeit in den Jahren 1934 bis 1936 deut-lich ab. Sie war insgesamt niedriger als im eher schwerindustriellstrukturierten Hagen. 1937 herrschte in Iserlohn Vollbeschäftigung.Städte wie Hagen profitierten allerdings stärker als Iserlohn von derAufrüstungspolitik, die seit 1936 von den Nationalsozialisten forciertwurde und die in ganz Deutschland fast durchweg zur Beseitigung derArbeitslosigkeit führte. In Hagen stieg die Zahl der Industriearbeits-plätze zwischen 1936 und 1938 signifikant an, während sie in Iserlohnsogar leicht zurück ging. Die Zahl weiblicher Arbeiter und Angestellternahm zwischen 1933 und 1939 entgegen lautstark vertretener ideolo-gischer Positionen der NSDAP zu. Im Juni 1933 forderte der IserlohnerKreisleiter Hein Diehl, der in der Weimarer Zeit mit linksradikalen Ideensympathisiert hatte, eine „gesellschaftliche Revolution“. Als Modelldafür sollte die seiner Ansicht nach in der SA gelebte „Gemeinschaft“dienen. In idealer Weise umgesetzt wurden diese Vorstellungen abernur in dem autobiografisch gefärbten Roman „Einer aus der Kolonne“des Iserlohner Schriftstellers und SA-Aktivisten Willy Muhrmann.Muhrmanns Roman erzählt vom Sohn eines typischen IserlohnerFabrikanten, der sich für die Ideale der SA begeistert. Auch derFabrikant selbst sympathisiert schließlich mit dem Gedankengut derSturmabteilungen; Vater und Sohn sind in ihrem Betrieb fortan einfach„Kameraden unter Kameraden“. In diesem von Muhrmann erträumtenidealen Betrieb (keine „Erwerbshöhle“) – die väterliche Fabrik war inWirklichkeit der Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen und das Gebäude1932 erster Sitz der Iserlohner Kreisleitung – gab es auch einen„Kameradschaftsraum“. Die reale Iserlohner Firma „Linden & Funke“,deren Inhaber, Dr. Werner Funke, Wehrwirtschaftsführer war, verfügte

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tatsächlich über einen mit einer Art Altar ausgestatteten „Gefolg-schaftsraum“. Führende Fabrikanten in Iserlohn waren auf Abstand zurNSDAP und ihren örtlichen Vertretern bedacht. Mit Kritik hielt man sichinsbesondere dort nicht zurück, wo man glaubte, „unter sich“ zu sein,z. B. auf Jagdgesellschaften. Im System der Kriegswirtschaft spieltedie Iserlohner Industrie im Wesentlichen die Rolle des Zulieferers fürdie Rüstungsendfertiger. In der Industrie des Stadt- und LandkreisesIserlohn kam es zu einer starken Beschäftigung von Zwangsarbeiternund Kriegsgefangenen. 1943 stellten sie ca. ein Drittel der Industrie-beschäftigten.

Widerstand und Verfolgung in Iserlohn 1933-1945

Widerstand und Verfolgung im Jahre 1933 fanden im Gegensatz zuden folgenden Jahren noch weitgehend in der Öffentlichkeit statt. Vorallem die KPD führte noch nach der Ernennung Hitlers zumReichskanzler, der sog. Machtergreifung am 30. Januar 1933,Demonstrationen durch und verteilte öffentlich Flugblätter. Sie warauch am stärksten von der Verhaftungswelle betroffen, die nach demReichstagsbrand einsetzte. Im „Iserlohner Kreisanzeiger“ wurden ins-besondere Verhaftungen von Kommunisten geradezu schadenfreudigkommentiert und allgemein begrüßt. Aktionen gegen Juden, wie z. B.der in ganz Deutschland stattfindende Boykott jüdischer Geschäfteam 1. April 1933, wurden im NS-Blatt „Rote Erde“ mit gehässigen undaggressiven Berichten unterstützt. Der „Kreisanzeiger“ dagegen be-schränkte sich am 1. April 1933 auf die Mitteilung, dass der IserlohnerFabrikantenverein „mehrere tausend Aufklärungsschreiben“ „gegendie Gräuelpropaganda im Ausland“ verschickt hatte, ging aber nichtauf den Zusammenhang zwischen dieser Aktion und dem Aufruf derNSDAP-Parteileitung vom 28. März 1933 ein. Dieser Aufruf hatte jedenDeutschen, der „irgendwie Verbindung zum Ausland“ besaß, dazuaufgefordert, Briefe gegen die „Gräuelhetze des Judentums“ zu ver-fassen. Im Jahre 1933 wurden die organisierte Arbeiterbewegung inDeutschland, die Arbeiterparteien, die Gewerkschaften und auch dieArbeiterkultur- und Sportbewegungen zerschlagen. Die Mitglieder ver-suchten deshalb zunächst Organisationszusammenhänge wieder-herzustellen. Im Mai 1935 wurde in Iserlohn eine sozialdemokratischeWiderstandsgruppe zerschlagen, die Kontakte zur Exil-SPD, der sog.

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„Sopade“ hatte. Über Belgien und die Niederlande erhielt sie Propa-gandamaterial. Die Mitglieder dieser Gruppe waren zwischen 21 und35 Jahren alt. Sie hatten Politik unter den Bedingungen der WeimarerRepublik und nicht denen des Kaiserreiches kennen gelernt. Siewaren überzeugte Sozialdemokraten. Die führenden Mitglieder dieserGruppe, Fritz Rustemeyer, Heinrich Schaper und Paul Neumann, wur-den nach Verbüßung ihrer Haftstrafen bis Anfang 1940 in denKonzentrationslagern Lichtenburg und Buchenwald festgehalten.Heinrich Schaper und Paul Neumann wurden anschließend gezwun-gen, die ihnen aberkannte Wehrwürdigkeit neu zu beantragen undkehrten beide nicht lebend aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. 1939wurden Mitglieder einer kommunistischen Widerstandsgruppe um diebekannte Iserlohner Familie Auth vor dem Oberlandesgericht Hammzu hohen Zuchthausstrafen verurteilt.

Neben Mitgliedern organisierter Widerstandsgruppen wurden auchMenschen allein aufgrund kritischer Äußerungen verfolgt und zum Teilnach dem sog. Heimtückegesetz verurteilt. Bei den wenigen inIserlohn bekannten Fällen ist auffällig, dass die beschuldigten Per-sonen in der Weimarer Republik der Arbeiterbewegung nahegestan-den hatten. Doch nicht jede Kritik wurde gleich ernst genommen. Sosprach Kreisleiter Hermann Menze 1934 öffentlich nur verächtlich vonden „Spießbürgern, die (...) in der Weltgeschichte herummeckern“.Das bürgerliche Vereinswesen war von den Nationalsozialisten nichtverboten, sondern „gleichgeschaltet“ worden, d. h. die Vereine muss-ten fortan von Mitgliedern der NSDAP geleitet werden. Die Kreislei-tung war an einer weiteren Umgestaltung des Vereinslebens interes-siert, sie förderte z. B. die erst 1938 verwirklichte Bildung von Groß-vereinen im Bereich des Sports, die aber mit Querelen und heftigerKritik („Parteiverein“) verbunden war. Einem exklusiv bürgerlichenVerein wie der Gesellschaft „Harmonie“ wurde öffentlich die „Daseins-berechtigung“ abgesprochen. Während die Iserlohner Freimaurerloge1935 aufgelöst wurde, wurden Schützenvereine als Vereinigungenaktiver Sportschützen unbehelligt gelassen. Der „Iserlohner Bürger-Schützenverein“ (IBSV), einer der größten Vereine am Ort, meldete1939 für die Ortsgruppe des „Nationalsozialistischen Reichsbundesfür Leibesübungen“ nur 42 Mitglieder.Die jüdische Bevölkerung Iserlohns wurde auf Grundlage derNürnberger Gesetze von 1935 immer stärker aus dem gesellschaft-lichen Leben herausgedrängt. Die offene (und offensichtliche)

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Verfolgung setzte 1938 ein. Auch Iserlohn zählte zu den deutschenStädten, in denen in der sog. „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10.November 1938 die Synagogen brannten. Die Täter waren Angehörigeder SS. Seit 1938 wurden vor allem sog. „Ostjuden“, die nach demEnde des Ersten Weltkriegs eingewandert waren, rigoros nach Polenund in die Sowjetunion abgeschoben. Einer von ihnen, Max Blecher,kehrte nach 1945 nach Iserlohn zurück. Er wurde später Vorsteher derjüdischen Gemeinde in Hagen. 1938 begann die nun auch vom„Iserlohner Kreisanzeiger“ öffentlich unterstützte „Entjudung“ des Ge-schäftslebens der Stadt. Iserlohner Juden mussten ihre Häuser undGeschäfte verkaufen. Bei der „Arisierung“ des Geschäftes vonSiegfried Ehrlich, der wegen seiner Beschwerden bei der NSDAPbesonders unbeliebt war, erreichte der Iserlohner OberbürgermeisterWietfeld eine Korrektur des vom Sachverständigen vorgeschlagenenKaufpreises. Er erklärte in Anwesenheit des Iserlohner KreisleitersHermann Menze, „daß es eines starken Staates unwürdig sei, wehrlo-se Menschen wie Wanzen an die Wand zu drücken“. Siegfried Ehrlichgehörte zu den letzten aus Iserlohn deportierten Juden. Er starb imMärz 1945 in Berlin. Seit Februar 1941 wurden Iserlohner Juden nachAuschwitz und Theresienstadt deportiert, wo sie zum größten Teil er-mordet wurden. Anfang der 1940er Jahre kam es auch zur ErmordungIserlohner Behinderter im hessischen Hadamar. Die systematischeVernichtung geistig Behinderter war auch Gegenstand offener Kritikdes münsterischen Bischofs von Galen, dessen Predigten von einerkleinen Gruppe katholischer Jugendlicher in Iserlohn verbreitet wur-den.

Wie in anderen Städten gab es auch in Iserlohn gegen Ende desKrieges Gerüchte über Trinkgelage und andere Exzesse der führen-den lokalen Nationalsozialisten. Die Ortsgruppen der NSDAP verein-ten seit 1936 nicht mehr nur die Parteimitglieder, sondern sie „betreu-ten“ die Bevölkerung durch ein engmaschiges Kontroll- und Überwa-chungssystem (Ortsgruppe-Zelle-Block). So bat der Ortsgruppenleitervon Iserlohn-Mitte, Aloys Dornbracht, am 27. August 1944 „um be-schleunigte Namhaftmachung aller Personen, die in der Vergangen-heit oder Gegenwart durch ihr Verhalten Anlass zu Zweifeln an ihrernationalen Haltung und weltanschaulichen Festigkeit gegebenhaben“. Die Herrschaft der NSDAP in Iserlohn begann und endete mitblutigem Terror. Der Iserlohner Fabrikant Walter Sondermann wurdenoch am 13. April 1945 in der Grabenstraße (heute Theodor-Heuss-

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Ring) wegen kritischer Äußerungen erschossen. Ihm wurde ein Zettelangeheftet, auf dem geschrieben stand: „So ergeht es dem Verräter.Der Wehrwolf.“ Mit der Einnahme Iserlohns durch amerikanische Trup-pen am 16. April 1945 endete die nationalsozialistische Gewaltherr-schaft.

Letmathe im Jahr 1933Peter Trotier

Die Gemeinde Letmathe, im Gegensatz zum gesamten Umland über-wiegend katholisch geprägt, war traditionell eine Hochburg desZentrums gewesen, das noch bei den Kommunalwahlen am 12. März1933 sechs von 15 Sitzen in der Gemeindevertretung erzielte. DieNSDAP stagnierte bei nur drei Sitzen. Dennoch gelang es denNationalsozialisten bald, die bürgerlichen und linken Gemeindevertre-ter in die Enge zu treiben. So setzten sie die Beurlaubung des demZentrum nahe stehenden Bürgermeisters Pöggeler durch. Es war eineMischung aus Drohung und Gewalt, dem Appell an das nationaleGewissen und dem Bewusstsein bei den traditionellen Parteien, aufverlorenem Posten zu stehen, der zur Parteiauflösung Mitte 1933 führ-te. Die Zentrumspolitiker legten ihr Mandat nieder, einer von ihnen tratder NSDAP-Fraktion als Hospitant bei. Stolz konnte der Ortsgruppen-führer Josef Seideneck (1897-1974) im Juli aus Anlass eines großinszenierten SA-Standartentreffens in Letmathe in der Presse verkün-den, Letmathe sei nun nationalsozialistisch, was allein aufgrund derstarken religiösen Vorbehalte in beiden Kirchengemeinden des Ortesmehr als übertrieben war. Höhepunkt des Standartentreffens war dieEhrung des 1932 tödlich auf der Lenne verunglückten SA-MannesRobert Boss.

Josef Seideneck, ein „alter Kämpfer“, wurde 1934 Bürgermeister undentfernte 20 missliebige Beamte, Angestellte und Arbeiter aus demDienst, setzte linientreue Schulleiter durch und errang mit der Stadt-erhebung Letmathes 1935 seinen größten Prestigeerfolg. Bei derTeilung der Ortsgruppe in „Unterstadt“ und „Oberstadt“ entschied sichSeideneck gegen das Parteiamt und blieb Bürgermeister. Zeitweisestellvertretender Kreisleiter in Unna, unterstützte er 1941 den Aufbauvon Parteistrukturen in Luxemburg, wurde 1942 Stadtkommissar in derUkraine und 1944 unter Beibehaltung des Letmather Amtes Bürgermeis-

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III. Die Filme

FILM 1Kundgebung zum Volkstrauertag, 1933Götz Bettge

Originaltitel: Ohne Titel [Kundgebung zum Volkstrauertag in Iserlohn,Sonntag, 12. März 1933]

Format: s/w, Stummfilm ohne Zwischentitel, 16 mmFragment (Schnittrest?), erster Teil des Films „Standarten-Treffen Letmathe“ (Film 2)

Dauer: ca. 1:30 Min.Hersteller: unbekannt, [1933]

Annotation

Das Filmfragment zeigt u.a. die Aufstellung einer SA-Einheit vor dem„Braunen Haus“, den Marsch zum Rathaus, das Fahnenhissen aufdem Rathaus und die Kranzniederlegung auf dem Friedhof. ZumGedenken an die Toten des Ersten Weltkrieges wurde 1923 der Volks-trauertag (am 5. Sonntag vor Ostern) eingeführt. Die Nationalsozialis-ten benannten diesen Tag 1934 in „Heldengedenktag“ um, an demauch der „Gefallenen der Bewegung“ gedacht wurde. Die nach 1925in Iserlohn gegründete SA hatte im November 1931 die ehemaligeFabrik Bindel, Rahmenstraße 4, gegenüber dem Westbahnhof, als„Braunes Haus“ bezogen.An die Stelle der offiziellen schwarz-rot-goldenen Fahne trat nach 1933neben der Hakenkreuzfahne die schwarz-weiß-rote Fahne des Kaiser-reichs als Symbol konservativer und nationalistischer Gegner derRepublik. Durch die Fahnenhissungen sollte das Ende der schwarz-

ter von Lünen. Nach seiner Internierung 1945-48 und Einstufung als„Mitläufer“ lebte Seideneck bis zu seinem Tod 1974 wieder inLetmathe.

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rot-goldenen Weimarer Republik symbolisiert werden. Gerade dieserprovokante Verstoß gegen bürgerliches Rechtsempfinden reizte zuBeginn bestimmte SA-Aktivisten.

FILM 2Standarten-Treffen Letmathe, 1933

Peter Trotier

Originaltitel: Standarten-Treffen Letmathe, Sonntag den 23. Juli 1933Format: s/w, Stummfilm mit einem Zwischentitel, 16 mm

Fragment Dauer: ca. 6:00 Min.Hersteller: unbekannt, [1933]

Annotation

Das Standartentreffen wird durch den Film nicht vollständig wiederge-geben. Gezeigt werden Formationen der SA, der Gottesdienst, derMarsch durch die Innenstadt, die Einweihung der Begräbnisstätte vonRobert Boss und das Treffen auf der Lennewiese (in Höhe Bergstraße).Der Film endet mit dem Propagandamarsch durch Letmathe. DieEinweihung des Bootes „Robert Boss“ und des Kreuzes an der Un-glücksstelle sowie die Fahnenweihe des Reserve-Sturms sind nicht imFilm dokumentiert.

Der SA-Mann Robert Boss, seit 1928 als Schlosser in Letmathe be-schäftigt, betätigte sich in seiner Freizeit als Bootswart beim LetmatherWassersportverein. Bei dem Versuch, ein gekentertes Boot in derHochwasser führenden Lenne zu bergen, ertrank er am 29. Oktober1932 in der Höhe des Oeger Wehrs. Anlass dieses Propagandatref-fens war zweifellos die Ehrung von Robert Boss. Im August 1933 folg-ten noch zwei weitere Propaganda-Aufmärsche, um die Fahne der NS-Betriebsorganisation sowie des SA-Sturms 4E zu weihen. Die „Letma-ther Nachrichten“ berichteten ausführlich über diese Veranstaltungen.

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FILM 3Aufmarsch der Zehntausend, 1933Simone Epking

Originaltitel: Aufmarsch der Zehntausend – SA-Gedenktreffen am 27.August 1933 in Iserlohn. Zum Gedenken an den ermor-deten Truppführer Hans Bernsau

Format: s/w, Stummfilm mit Zwischentiteln, 16 mmDauer: ca. 20:00 Min.Hersteller: Kopera Iserlohn / Kine-Photo-Projektion, [1933]

Annotation

Das Gedenktreffen in Erinnerung an Hans Bernsau war die erste SA-Veranstaltung, ja die erste Großveranstaltung in Iserlohn überhaupt,die in ausgewählten Ausschnitten fast vollständig in einem zwanzig-minütigen, hier leicht gekürzten Film festgehalten ist.SA-Standartenführer Walter Vogt reichte wenige Tage zuvor bei demerst im April 1933 von den Nazis eingesetzten Bürgermeister WalterRiedel eine Einladung mit genauem Ablaufplan ein. Vier beigefügteLageskizzen zeigen die weitgehend ausgeführte Aufstellung derFormationen. Das im Film wiedergegebene Tagesprogramm sah fol-gendermaßen aus: Morgendliches Wecken (in dieser Edition nicht zusehen), Sternmarsch, Appell und Gottesdienst auf dem Schillerplatz,den Zug der Standarten über den Hans-Bernsau-Platz (früherBahnhofsplatz) zum Friedhof, Einweihung des vom SA-Mann undArchitekten Justus Hellmuth entworfenen und – wie pathetisch in derPresse zu lesen war – „von Kameraden“ Hans Bernsaus errichtetenGrabmals und Kranzniederlegungen, Gemeinschaftsessen auf demSchillerplatz, Marsch der SA durch die Stadt (ohne „Propagandafahrt“der SA-Motorstaffel), nachmittäglicher Einmarsch ins Seilerseestadionmit Ansprache von SA-Gruppenführer Wilhelm Schepmann, „Hans-Bernsau-Gedenksportkämpfe“ und abendliche Hakenkreuzbildung ausFackelträgern im Seilerseestadion.Ungeklärt ist, von wem, unter welchen Umständen und mit welchenfinanziellen Mitteln der Film realisiert wurde. Der Herstellernachweis imAbspann gibt „Kopera Iserlohn / Kine-Photo-Projektion“ an. Die Dro-gerie mit Foto- und später auch Filmbedarf war im Jahr 1900 von Dr.Albert Kopera aus Bonn in der Wermingser Straße 12 eröffnet worden.

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Dort verwendete man in den 1920er Jahren in Iserlohn und Umgebungerstmals die moderne Agfa-Entwicklung. Zur Entstehungszeit desFilms gehörte das Geschäft bereits dem Sohn Franz, der auchSchulen und Filmbetriebe im gesamten Sauerland mit Filmausrüstun-gen belieferte.Die in dieser Edition übernommene originale Ablaufgeschwindigkeitunterliegt erheblichen Schwankungen. Die Sequenzierung ist sehrdicht. Teile des Filmmaterials, insbesondere bei der Sportveranstal-tung, sind überbelichtet. Der Kameramann brachte jedoch ein filmi-sches Grundwissen mit und wandte bereits damals gängige Filmstil-mittel unter Einbezug des NS-Propagandaregelwerks an.

FILM 4Jubiläumsfilm zur 700-Jahr-Feier, 1937 Götz Bettge

Originaltitel: Iserlohn – 700 Jahre Stadt. Ein Film von den festlichen Veranstaltungen der 700 Jahrfeier der Stadt Iserlohn, 1. bis 4. Juli 1937

Format: s/w, Stummfilm mit Zwischentiteln,16 mmDauer: ca. 44:00 Min.Hersteller: Theo Klein-Happe, Iserlohn, [1937]

Originaltitel: Der Festzug in FarbfotografieFormat: Farbe, Stummfilm, 16 mmDauer: ca. 8:00 Min.Hersteller: Theo Osterholt, [1937]

Annotation

Der Film dokumentiert die Vorbereitungen der Feierlichkeiten sowiedie einzelnen Veranstaltungen während der Jubiläumstage. Er gibtnicht den gesamten Festverlauf wieder, auch ist der Festzug selbstnicht vollständig aufgenommen. Die Reihenfolge der einzelnen Ver-anstaltungen im Film entspricht nicht der Reihenfolge des Festes imgedruckten Veranstaltungsprogramm.Zu Beginn werden die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten sowie dieumgebende Landschaft vorgestellt. Im Festzug wird die geschichtli-

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che, wirtschaftliche und politische Entwicklung der Stadt in chronolo-gischer Abfolge gezeigt, dargestellt durch Fußgruppen, „Lebende Bil-der“, Marschkolonnen sowie Motivwagen (u.a. mit Architekturmodel-len), ergänzt durch zeitgeschichtliche Bezüge mit den Bezeichnun-gen: „Versailles“, „Inflation“, „Volkszerrissenheit“, „Kampf und Sieg derNSDAP“. Auch örtliche Eigenheiten finden ihre Berücksichtigung.Darüber hinaus zeigt der Film die Veränderung des Stadtbildes unddamit wichtige Momente der Stadtentwicklung. Das Fehlen einer Urkunde über die Verleihung der Stadtrechte mitAngabe eines genauen Datums war neben finanziellen Problemen undnicht zuletzt auch aus politischen Gründen seit Mitte Januar 1933immer wieder Anlass, den Jubiläumstermin zu verschieben. Stadt undKreisleitung der NSDAP einigten sich für die Durchführung der Feierschließlich auf das Jahr 1937. Die „Begründung“ dazu lieferte WilhelmSchulte in seiner 1937/38 herausgegebenen Stadtgeschichte: Er ließeine Textstelle in einer Aufzeichnung des Stadtsekretärs Giffenig weg,die ein anderes Datum beinhaltete. Man kann also durchaus voneinem „Stadtjubiläum auf Bestellung“ sprechen.Weitere Programmpunkte der Festveranstaltungen waren die Einwei-hung des „Hauses der Heimat“, dem heutigen Stadtmuseum, dieÜberreichung der Amtskette an den Oberbürgermeister durch denKreisleiter sowie die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an GauleiterJosef Wagner. Während der Jubiläumsveranstaltungen wurde vonSeiten der NSDAP auf eine offensive Propaganda verzichtet. LauteAuftritte wurden vermieden – vier Jahre nach der „Machtergreifung“fühlte man sich sicher. Auch nach außen hin bot die Stadt ein vertrau-tes Bild: Noch konnte man die Reklameschilder jüdischer Geschäfte inder Innenstadt lesen. Dieses Bild war jedoch trügerisch: Abseits derFeierlichkeiten wurde der nahezu alltägliche Terror mit Einschüchte-rungen und Verhaftungen unvermindert fortgesetzt.

FILM 5 Kreistag der NSDAP, 1939Simone EpkingOriginaltitel: Der Kreistag der NSDAP in Iserlohn am 3. und 4. Juni 1939Format: s/w, Stummfilm mit Zwischentiteln, 16 mmDauer: ca. 40:00 Min.Hersteller: Hans Müsse, Iserlohn, 1939

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Annotation

Der Film über den Parteitag der NSDAP im Kreis Iserlohn ist mit einerOriginaldauer von annähernd einer Stunde und zwanzig Minuten derlängste Film dieser Edition. Seine vier Teile pro Filmrolle umfassen je20 bzw. 15 Minuten. Er wird hier in einer auf 40 Minuten gekürztenFassung wiedergegeben. Kameramann Hans Müsse hatte auf derWermingser Straße 41 in Iserlohn ein Fotogeschäft. Ob er auch dieHerstellung besorgte, ist unbekannt.

Der erste Teil, gedreht im Mai und Anfang Juni 1939, zeigt Stadt undUmland sowie die Vorbereitungen auf das Ereignis. Erstmals war auchdie Filmstelle des Gaus Westfalen-Süd in Iserlohn präsent. DieTechnische Nothilfe, eine Vorgängerin des heutigen Technischen Hilfs-werks, baute eine Großleinwand für eine Vorführung des Spielfilms„Kameraden auf See“ am zweiten Veranstaltungsabend auf (hier ge-kürzt). Die restlichen drei Teile geben den zweitägigen Kreistag wie-der. Trotz der Filmdauer hat Müsse längst nicht alle Programmpunkteaufgenommen. Der zweite Teil gibt das Geschehen am Samstag, 3. Juni, wieder: Stand-ortkonzert des NSDAP-Kreismusikzugs auf dem Adolf-Hitler-Platz, Zu-sammenkunft der Führer von Partei und Wehrmacht zum Essen,Feierstunde am Hans-Bernsau-Denkmal, Amtswaltertagung der DAFin der „Schauburg“ (nicht gefilmt), Standortkonzert der Wehrmacht aufdem Adolf-Hitler-Platz (nicht gefilmt), Tagung des Führerkorps derNSDAP mit anschließendem öffentlichen Konzert auf der Alexander-höhe (nicht gefilmt). Sonntag, 4. Juni: Wecken durch Spielmannszügeund Fanfaren, Marsch der SA-Standarte zum Stadion, Start derMannschaften, Straßenabsperrungen durch das NSKK (nicht gefilmt),Eröffnung der Sportwettkämpfe (nicht gefilmt), Ausscheidungskämpfeder SA-Standarte 259, Gaukulturtagung (nicht gefilmt), Standortkon-zert des Gaumusikzugs des RAD auf dem Adolf-Hitler-Platz (nichtgefilmt: in der Siedlung Dröschederfeld, an der Wittekindschule), Ver-pflegung von SA, Werkscharen und Politischen Leitern bei derOberschule für Jungen an der Stefan-/Baarstraße, Eintreffen der aus-wärtigen NSKK-Männer an der Argonner-Kaserne am Seilersee (nichtgefilmt). Der dritte Teil ist dem Antreten der Formationen, dem Fahnenein-marsch und der Eröffnung der Großkundgebung im Stadion vorbehal-ten.

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Der vierte Teil schließlich hat den Vorbeimarsch der Formationen amSchillerplatz, den Abschied von Gauleiter Florian, das Volksfest amSchillerplatz (nicht gefilmt), Großtonfilmvorführung auf der Alexander-höhe (nicht gefilmt) zum Gegenstand.

IV. Nationalsozialistische Propaganda im Film.Analyse und BewertungSimone Epking

Das Medium Film wurde vom nationalsozialistischen Regime unmittel-bar nach der ‚Machtübernahme’ konsequent für propagandistischeZwecke eingesetzt. Zahlreiche gesetzliche und institutionelle Ände-rungen bildeten hierfür die Grundlage. Bereits am 13. März 1933unterzeichnete Reichspräsident Paul von Hindenburg das Gesetzüber die Errichtung des „Reichsministeriums für Volksaufklärung undPropaganda“ und setzte Joseph Goebbels, der seit 1929 Reichspro-pagandaleiter der NSDAP war, als Minister ein. Fortan war das Pro-pagandaministerium „zuständig für alle Aufgaben der geistigen Ein-wirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft,der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sieund der Verwaltung aller diesen Zwecken dienenden Einrichtungen“.Dafür wurden Geschäftsbereiche, die bislang bei den Reichsministe-rien des Äußeren, des Inneren, der Wirtschaft, der Post und desVerkehrs angesiedelt waren, auf das RMVP übertragen. Die Abteilung„Film“ hatte fünf Referate: Filmwesen und Lichtspielgesetz, Filmwirt-schaft, Filmwesen im Ausland, Filmwochenschauen und Filmdrama-turgie. Alle filmschaffenden Künstler mussten außerdem in dieReichsfilmkammer (RFK), eine Unterabteilung der Reichskulturkam-mer (RKK), eintreten, in der alle Kulturschaffenden seit dem 22. Sep-tember 1933 zur Kontrolle und „Gleichschaltung“ zwangsweisezusammengeschlossen waren. Juden und Ausländern war die künst-lerische Betätigung seither untersagt.

Wie auf Reichsebene wurden auch auf Länderebene neue Sonder-behörden installiert. Kulturarbeit, so auch der Film, oblag zunächstden Gauleitern persönlich, dann den Kulturabteilungen innerhalb der

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Gauleitungen (Gaukulturämter). Seit 1937 waren Länderabteilungen desPropagandaministeriums (Gaupropagandaämter) zuständig. Vom 31.Mai 1934 an sorgten 32 Gaufilmstellen für eine dauerhafte Organi-sationsstruktur der Filmpropaganda.

Für Goebbels selbst hatte das Wort „Propaganda“ einen „bitteren Bei-geschmack“. Sein Vorschlag, sein Ressort in „Reichsministerium fürKultur und Volksaufklärung“ umzubenennen, stieß jedoch bei Hitler aufAblehnung. Der Begriff beinhaltete schon damals den absichtlichenund systematischen Versuch, Verhalten zu steuern, Erkenntnisse zumanipulieren und Sichtweisen zu formen, um die Herrschaft zu sichern.Hierfür eignete sich das Medium Film in besonderer Weise. Auf demErsten Internationalen Filmkongress 1935 formulierte Goebbels, dassder Film im Vergleich zu anderen Kunstformen seine eigene Sprachespräche und nicht die Aufgabe habe, „einem blassen Ästhetizismuszu dienen. Im Gegenteil: Gerade auf Grund seiner unerhört umfassen-den Reichweite muss er [der Film], mehr noch als alle anderenKunstarten Volkskunst im besten Sinne des Wortes sein“.

Alle Filme der vorliegenden Edition sind in diesem Absichtsrahmenentstanden. Zwei Kernaspekte machen sie besonders beachtenswert:Zum einen legen sie als Quellen Zeugnis darüber ab, wie und in wel-chem Ausmaß parteiliche, schon bald staatsparteiliche Propagandaauf die Provinz zugeschnitten wurde. Zum anderen geben sie Einblickin den Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaft am Beginn (1933),in der Konsolidierungsphase (1937) und kurz vor Ausbruch des Zwei-ten Weltkriegs (1939) in einer mittelgroßen, für Westfalen exemplarischanzusehenden Stadt.

Grundsätzlich unterschieden werden muss zwischen den Instrumen-ten der NS-Propaganda selbst und solchen ihrer filmischen Umset-zung, durch die der propagandistische Effekt nochmals verstärkt wer-den konnte. Allen Filmen gemeinsam ist die erzwungene Beschrän-kung auf die Wirkung ausschließlich der Bilder, die nur durch einge-blendete Zwischentexte ergänzt oder verstärkt wurde. Der nach 1930aufkommende Tonfilm war technisch noch sehr aufwändig und wurdefast ausschließlich in der kommerziellen Filmwirtschaft produziert. Ver-gleiche mit anderen nichtfiktionalen Filmen propagandistischerPrägung (Wochenschauen, Parteitagsfilme, „Kulturfilme“) mit kom-

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mentierend gesprochenen Texten und musikalischer Untermalung las-sen sich daher nur bedingt ziehen. Viele der amateurhaft bzw. semi-professionell hergestellten Propagandafilme dieser Zeit wurden um1945 durch die Kriegswirren oder von den Filmern selbst aus Angstvor Konsequenzen zerstört, so dass auch hier geringe Vergleichs-möglichkeiten bestehen. Die wissenschaftliche Auswertung dokumen-tarischer Amateurfilme als historische Quelle steht insgesamt noch amAnfang.

Über die Vorbildung der Kameramänner, die Produktionsbedingungen(inklusive Finanzierung) und die konkreten Vorführungsabsichten (Ver-leih) ist nichts überliefert. Die Parteiakten wurden 1945 planmäßig ver-nichtet. In den wenigen Unterlagen der Gaufilmstelle für den GauWestfalen-Süd (Bochum) sind ebenfalls keine Informationen vorhan-den.

Der SA-Aufmarsch am Volkstrauertag, das SA-Standartentreffen in Let-mathe und der „Aufmarsch der Zehntausend“ wurden 1933 politischund damit auch (film-) propagandistisch in einer Übergangszeit ge-dreht. Der NS-Propagandakanon war zwar von Beginn an vorhanden,erfuhr jedoch in kürzester Zeit eine deutliche Erweiterung und Profes-sionalisierung.

Das kurze Filmfragment über die Kundgebung zum Volkstrauertag am12. März 1933 (FILM 1) ist als frühes Zeugnis der NS-Herrschaft be-sonders interessant. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzleram 30. Januar 1933 hebelten Notverordnungen und Sondererlasse diedemokratische Verfassung systematisch aus. Am 17. Februar erfolgteder berüchtigte Schießbefehl von Hermann Göring gegen „Staatsfein-de“, weil „die zunehmenden Ausschreitungen von linksradikaler, ins-besondere kommunistischer Seite zu einer unerträglichen Bedrohungder öffentlichen Sicherheit sowie des Lebens und Eigentums derstaatsbewußten Bevölkerung geführt [haben].“ SA, SS und Stahlhelmbildeten seit dem 22. Februar eine Art „Hilfspolizei“, die sich weiterhinerbitterte Straßenschlachten mit Kommunisten lieferte. Die „Verord-nung zum Schutz von Volk und Staat“ (sog. „Reichstagsbrandverord-nung“) setzte am 28. Februar 1933 die wichtigsten Grundrechte außerKraft. An diesem Tag wurden in Iserlohn zahlreiche Kommunisten ver-haftet. Ungeachtet dessen erzielte die KPD bei der Reichstagswahlam 5. März immerhin noch 16 Prozent der Stimmen. Auch Parteien des

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bürgerlichen Lagers, allen voran das Zentrum, erhielten insgesamtüber 20 Prozent. Grund genug, bei den Kommunalwahlen am 12. Märzmit einem SA-Aufmarsch, der durch die mit den Nazis sympathisie-renden Verbände „Stahlhelm“ und „Jungdeutscher Orden“ verstärktwurde, Präsenz zu zeigen und für die „Neue Bewegung“ zu werben.

Der Film zeigt bereits die wichtigsten NS-Propagandaformen, die ins-besondere seit dem Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei seit 1930konsequent als Rituale bei Veranstaltungen eingesetzt wurden undauch in den anderen Filmen dieser Edition immer wieder zu sehensind. Sie waren vor allem der Militärtradition (Hierarchie, Uniform,Aufmarsch, Gleichschritt, Fahne), der christlichen Religion (Toten-ehrung, „Märtyrerkult“) und antik-heidnischen Gebräuchen (Grußfor-meln, Runenzeichen) entlehnt und zu einer eigenen Propagandaspra-che neu zusammengesetzt worden. Zentrales Element war außerdemdie agitatorische, von markigen Gesten begleitete Rede, wie sie derFilm von Standartenführer Vogt auf dem Iserlohner Marktplatz wieder-gibt. Der Aufmarsch begann bewusst am SA-Heim (Rahmen-straße/Bahnhofsplatz), weil dort der lokale „NS-Blutzeuge“ Hans Bern-sau am 16. Januar angeblich von einem Kommunisten angeschossenworden und zwei Tage später gestorben war. Die Verbindung zum offi-ziellen Volkstrauertag verlieh diesem Aspekt besonderes Gewicht.Demonstrativ wurde die kaiserliche Reichsflagge Schwarz-Weiß-Rotauf dem Rathaus auf Halbmast gesetzt. Die am Schluss kurz einge-blendete Totenehrung an einem Grab scheint sich ebenfalls aufBernsau zu beziehen. Der Film dokumentiert demnach den Anfangeiner über die Jahre perfektionierten „Märtyrerverehrung“ Bernsaus inIserlohn. Das Propagandamittel „Hitlergruß“, antik-römischen Ursprungsund vormals nur zwischen Parteianhängern üblich, wird nun auch von(sympathisierenden) Bürgern, so in den Szenen auf der Rahmenstraßeoder auf dem Markt, praktiziert. Viele Passanten verhalten sich jedochauch auffallend passiv. Gerade zu Filmbeginn ist sowohl bei denVeranstaltern als auch den Zuschauern eine unkoordiniert-abwartendeSituation erkennbar, der verhältnismäßig viel Filmzeit eingeräumt wird– ein Beleg dafür, dass die Routine der Selbstinszenierung in derFrühzeit der Herrschaft auf Provinzebene noch nicht besonders aus-geprägt war. Die starre, undifferenzierte Kameraführung legt außer-dem eine parteiintern-private Filmherstellung ohne öffentliche Vorfüh-rungsabsichten nahe.

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Auch das Filmfragment auf derselben Filmrolle über das SA-Standar-tentreffen Letmathe am 23. Juli 1933 (FILM 2) kann durchaus noch als‚Werbeveranstaltung’ von SA und NSDAP angesehen werden, obwohlrund vier Monate zwischen den beiden Ereignissen (Volkstrauertagund Standartentreffen) liegen. Wichtig ist, dass das Treffen erstmalseinen standardisierten, nachfolgend mehr oder weniger verbindlichenAblauf hat: 1. An- und Aufmarsch der Formationen, 2. Gottesdienst, 3.Totenehrung auf dem Friedhof, 4. Gemeinschaftsessen, 5. Propagan-damarsch/Parade mit Truppenbesichtigung, 6. Sportwettkämpfe (nichtgefilmt), 7. „geselliger Teil“ (nicht gefilmt). Der morgendliche Auf-marsch durch die Straßen ist interne Sammlung und externe Ankündi-gung zugleich. Zusätzliche Konzession an das überwiegend katholi-sche Letmathe ist ein katholischer Gottesdienst. Erst danach findet derökumenische Gottesdienst im Freien statt. Die bewusst gewählteBezeichnung „Feldgottesdienst“, eigentlich im Krieg von Militärgeist-lichen abgehalten, betont sowohl die militärische Struktur der SA alsauch den durch sie kämpferisch errungenen Sieg über die verhassteWeimarer Demokratie. Im Kreis Iserlohn waren in den Augen der Nazismit Robert Boss und Hans Bernsau gleich zwei Protagonisten daranbeteiligt und zu Tode gekommen. Boss ertrank am 23. November 1932bei einer Rettungsaktion. Er war Mitglied des Wassersportvereins, derder SA während ihres Verbots (13. April – 14. Juni 1932) als Ersatz-und Tarnorganisation diente. Seine Tat wurde nun propagandistischals ‚Opfergabe’ hochstilisiert. Nicht umsonst erscheint sein neu einge-weihter Grabstein in Großaufnahme. Der Einsatz von Musik als festerBestandteil der NS-Propaganda ist in diesem Film erstmals zu sehen.In ihrer funktionalen Eigenschaft, Emotionen direkter als Sprache ver-mitteln zu können, sollte die Musik eine feierlich-erhabene Stimmung,die die Gemeinschaft und damit die Gefolgschaft stärkt, hervorrufen.Die Standartenkapelle spielte christliche (Choräle) wie militärische(Propagandamarsch) Musikstücke oder eine Mischung aus beidem(Totenehrung). Überhaupt ist die Überformung propagandistischerZeichen und Riten mit traditionellen Elementen gerade für dieAnfangsphase des NS-Regimes charakteristisch – eine Verschleie-rungstaktik, die die Menschen im guten Glauben an bestehende Wertelassen und Unrechtshandlungen vor allem der SA überdecken sollte.Neben Uniformierten treten viele Personen in bürgerlicher Trauer- bzw.Sonntagskleidung auf. Der Filmzwischentext kombiniert ‚neue’ Platz-und Straßennamen („Adolf-Hitler-Platz“ statt „Neumarkt“) mit alther-

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gebrachten Bezeichnungen („Lennewiese“, Lokal „Mickenbecker“).Die genauen Orts- und Uhrzeitangaben lassen die Geschehensab-läufe wie in einem Tagebuch exakt nachvollziehen. Da dieser Filmansonsten keine technische Raffinesse oder irgendeine Dramaturgieaufweist, ist wohl von einem der SA nahe stehenden oder ihr angehö-renden Amateur auszugehen, der den Tag dokumentieren und denFilm in kleinerem Kreis öffentlich vorführen wollte.

Ganz anders verhält es sich mitdem Film „Aufmarsch der Zehn-tausend“ (FILM 3). Zwar bliebauch hier der Kameramannunbekannt und die Handlungorientierte sich ebenfalls anjenem Veranstaltungsablauf, dersich seit dem Letmather SA-Treffen etabliert hatte, doch derFilm ist eindeutig eine SA- bzw.parteigesteuerte Auftragsarbeitzur öffentlichen Vorführung. Erweist eine erkennbare Konzep-tion unter Verwendung damalsgängiger filmdramaturgischerMittel auf. Das lässt bereits derVorspann erkennen. Titel undUntertitel sind vom Parteizei-chen (Hakenkreuz mit Adler)getrennt. Ein Foto Hans Bern-saus wird anschließend ganze

11 Sekunden lang eingeblendet. Zusammen mit dem Subtitel „ZumGedenken an den / ermordeten Truppführer / Hans Bernsau“ ist dieFilmintention klar umrissen. Hier sollte dem „Iserlohner NS-Blutzeu-gen“ nur ein gutes halbes Jahr nach seinem Tod ein filmisches Denk-mal gesetzt und sein „Sterben für Deutschland“ in voller Breite zele-briert werden. Die Möglichkeiten hierfür waren lokal begrenzt. DerAbspann gibt ein heimisches Drogerie- und Fotogeschäft als Herstel-ler an. Eine Auswahl repräsentativer Szenen für 20 Minuten Filmdauermusste getroffen werden. Die Wiedergabe des Gesamtprogrammsoder gar ein Spielfilm über Bernsaus Leben und Sterben hätten den

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Grabmal Hans Bernsau

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Rahmen gesprengt. Dieser war ein berüchtigter Schläger und wurdewegen seines impulsiven, die SA-Disziplin gefährdenden Charaktersvielleicht sogar aus den eigenen Reihen ‚ausgeschaltet’ – Geschichts-klitterung durch Verschweigen und Weglassen von Inhalten war ebengängige NS-Propagandapraxis.

Weiterer Beleg für eine Auftragsarbeit ist die Fokussierung undErweiterung des Propagandaspektrums, das nun – institutionell durchReichspropagandaministerium und Gaukulturamt gesteuert – in derProvinz Wirkung zeigte. Fahnen werden, wie in den Filmen über denVolkstrauertag (Szenen am Rathaus) und das Letmather Standarten-treffen (Totenehrung auf dem Friedhof), nicht nur feierlich gesenkt,sondern als kultische Zeichen überhöht. Die nach Hans Bernsaubenannten „Sturmfahnen des Sturmbanns II“, in dem der TruppführerDienst tat, werden – vergleichbar mit Reliquien in einer christlichenZeremonie – von ehemaligen Kameraden vor das Portal des Feuer-wehrgerätehauses herangetragen, damit sie von allen Teilnehmern aufdem Platz gesehen werden können. Vorbild sind die Hakenkreuzfah-nen der „Märtyrer der Bewegung“, die beim Hitler-Putsch am 9. Novem-ber 1923 vor der Münchner Feldherrnhalle umkamen. Alle Fahnen wur-den fortan durch Berührung mit diesen „Blutfahnen“ ‚geweiht’ underhielten ‚heiligen’ Status – eine NS-Imitation der kirchlichen Reliquien-verehrung. Reliquien heißt übersetzt „Überbleibsel“. Berührungsreli-quien sind Objekte wie Kleidungsstoffe, mit denen der oder die Heiligein Kontakt gekommen sein soll. Die heilbringende Kraft dieser Reliquiegeht durch Berührung auf einen mitgebrachten Gegenstand über. Die„Fahnenweihe“ als feierlicher Akt bildete mit anderen Elementen christ-licher Herkunft eine „NS-Ersatzreligion“ mit dem Ziel, das Christentummit seinen ethischen Werten zu verdrängen. Dass beim Feldgottes-dienst auf dem Schillerplatz wie schon beim Letmather Standarten-treffen Geistliche beider christlicher Konfessionen auftreten, ist dazukein Widerspruch. Viele kirchliche Vertreter, so auch der im Film zusehende protestantische Pfarrer Bruno Linde, waren in der Frühzeitvon der Aufbruchstimmung der „Bewegung“ begeistert und merktenerst später, dass sie in der Konsolidierungsphase des Regimes als tra-ditionelle Instanz zur moralischen Legitimation buchstäblich instru-mentalisiert worden waren. Das Denkmal Hans Bernsaus wird wie einAltar oder Heiligengrab mit Memorialcharakter behandelt. Tatsächlichwar Bernsau jedoch in der Familiengruft bestattet worden. Thematischgehört dazu auch das am Denkmal angestimmte Lied „Die Fahnen

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hoch, die Reihen fest geschlossen“, besser bekannt als „Horst-Wes-sel-Lied“. Zunächst ein Kampflied der SA, avancierte es rasch zurParteihymne der NSDAP und war zum Zeitpunkt der Filmaufnahmenbereits obligatorische zweite Nationalhymne. Der Textverfasser HorstWessel starb 1930 an den Folgen einer Schussverletzung durch denkommunistischen „Roten Frontkämpferbund“ und galt als ‘der’ NS-Blutzeuge schlechthin. Unverkennbar, dass Bernsau und damit auchdie Stadt Iserlohn durch diesen Bezug aufgewertet werden sollten.

Alle diese Riten und Gebräuche sollten die Menschen zu einer ‘Volks-gemeinschaft’ in unreflektiertem Gehorsam gegenüber dem Regimezusammenschweißen. Dazu gehören auch das kollektiv eingenomme-ne Mittagessen und die nachmittäglichen Wettkämpfe in sportlichemEinheitsgeist. Hierfür setzte der Kameramann bei noch unzureichen-der Schnitttechnik geschickt filmdramaturgische Effekte ein. Eine qua-litative Steigerung im Vergleich mit den beiden früheren Filmen istdarin zu erkennen, dass er durchgehend verschiedene Aufnahme-standorte derselben Motive wählte, um das Interesse des Zuschauersam Geschehen zu erhöhen. Kameraeinstellungen aus der Vogelper-spektive bekräftigen in symbolischer Weise den Veranstaltungstitel,der auch dem Film seinen Namen gab. Der beinahe restlos vonMenschen in Kolonnenformationen besetzte, aus dem Löschturm desFeuerwehrgerätehauses aufgenommene Schillerplatz oder das vonder Tribüne gefilmte Stadion sollten jeden Zweifel ausräumen undbeweisen, dass in Iserlohn mittlerweile jeder der nationalsozialisti-schen Bewegung angehörte. Unverkennbar kopierte der Filmer diekolossal in Szene gesetzten Aufmärsche und Massenszenen ausnationalsozialistischen Propagandafilmen. Beim Marsch durch dieStadt erscheinen die SA-Männer in Gegenlichtaufnahme als dunkleUniformen vor gleißendem Straßenbelag in heroisch wirkendenSchwarz-Weiß-Kontrasten. Noch prägnanter ist die Kameraführung intotaler Aufsicht. Als geometrische Figuren mutieren sie aus heutiger,kritischer Sicht zu einer amorphen, jederzeit steuerbaren Masse.Kulminierend bilden Fackelträger im Schlussbild des Films eineHakenkreuzformation. Ebenso nutzt der Kameramann Teleobjektivein-stellungen, so etwa beim Marsch der Standarten zum Friedhof, um dieKolonnenreihen länger erscheinen zu lassen. Um die Ernsthaftigkeitder Botschaft abzumildern, werden „lockere“ kameradschaftlicheSzenen bei der Essenseinnahme oder beim Sport eingestreut.Beachtenswert ist, dass als lustige Note gewisse Sequenzen der

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Sportvorführungen rückwärts laufend mehrfach in den Film auch dorteinmontiert wurden (Radsport, Motorsport), wo nicht ausdrücklich einGag im Zwischentitel („Fabelhafte Erfolge der Dressur“) angedeutet ist.

Wann und ob dieser Film in Iserlohn vorgeführt wurde, ist nicht mehrzu ermitteln. Nach den ersten Monaten sollte die revolutionäre Gewaltder SA zunehmend abgebaut und sollten vielmehr die zentralenFührungen in Staat und Partei gestärkt werden. Gau- und Kreisleiterhatten seit Mitte 1933 Fuß gefasst und etablierten in Gemeinden undLändern ihre Machtposition. Die SA störte und hemmte diesen Pro-zess. Im Juni 1934 erlebte sie mit der durch Hitler angeordnetenErmordung ihres obersten Stabschefs Ernst Röhm ihre Entmachtung.Der Film wanderte demnach vermutlich rasch in den „Giftschrank“.

Die Filme über das Iserlohner Stadtjubiläum vom 1. bis 4. Juli 1937 dürf-ten Auftragsarbeiten gewesen sein. Der 44 Minuten lange, in der Editionleicht gekürzte Film „Iserlohn – 700 Jahre Stadt“ (FILM 4) in Schwarz-weiß stammt von Theo Klein-Happe, der ein „Photo-Spezialhaus“ in derFriedrichstraße 7 unterhielt. Der acht Minuten lange Farbfilm „Der Fest-zug in Farbenfotografie“ (FILM 4) wurde von dem damals erst 16 Jahrealten Theo Osterholt gedreht, der später, nach dem Krieg, Fotograf beim„Iserlohner Kreisanzeiger“ und als Kameramann freier Mitarbeiter beimFernsehen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) war.

Die Herstellung und öffentliche Präsentation der beiden Filme am 24.November 1937 im Saal der „Harmonie“ rundet eine für die damaligeZeit enorme Werbe- und Veranstaltungsmaschinerie ab. Das Jubiläumwurde bereits im Vorfeld mit 3.000 großen und 1.500 kleinen Plakaten,200.000 Werbemarken, 10.000 Prospekten, 20.000 Faltblättern und30.000 Postkarten sowie zahlreichen Anzeigen, Presseartikeln undSonderausgaben von Zeitungen und Zeitschriften beworben. Die Ge-samtkosten betrugen insgesamt 47.819,02 Reichsmark. Analog dazuwerden im ersten, Ende Juni hergestellten Teil des längeren Films vonTheo Klein-Happe die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten sowie dieumgebende Landschaft vorgestellt. Das eigentliche Festprogrammbeginnt im Film mit dem Eintreffen der Gäste („Bund heimattreuerIserlohner“) am 1. Juli 1937. Der zweite Teil zeigt die Feierlichkeitenvom 2. bis 4. Juli, allerdings in einer nicht vollständigen und auch nichtin der im Veranstaltungsprogramm abgedruckten Reihenfolge. Darin

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eingebettet sind Aufnahmen über „Führungen in die Umgebung vonIserlohn“ und „Leben und Treiben in der Stadt“, die mit ihrem ‘touristi-schen’ Charakter thematisch an den ersten Teil anknüpfen.

Im Gegensatz zu allen anderen gefilmten Ereignissen handelt es sichum keine parteiliche, sondern um eine kommunale Veranstaltung, dieregelrecht „auf Bestellung“ (Götz Bettge) erfolgte. Schon seit 1933diskutierte man öffentlich, ein Stadtjubiläum durchzuführen. Weil keingesichertes Gründungsjahr ermittelt werden konnte, manipulierte derStadthistoriker Wilhelm Schulte die Quellenlage (vgl. Annotation zuFILM 4, S. 23). Mittlerweile hatten sich die Verhältnisse im gesamtenDeutschen Reich wirtschaftlich konsolidiert. In Iserlohn herrschte 1937Vollbeschäftigung. Grund genug, die staatsparteilichen Erfolge in Be-zug auf das städtische Wohl gebührend zu feiern. Vordergründig wardie Stadt Veranstalter, im Hintergrund zog aber die Partei die Strippen.Leiter des Organisationsausschusses war der Propagandaleiter derNSDAP für das Stadtgebiet, Fritz Loeschke. Für die Ausführung desFestzuges zeichnete der Iserlohner Kaufmann Otto Pilke verantwort-lich, der im Film „Aufmarsch der Zehntausend“ von 1933 als Kranz-niederleger für den (1934 aufgelösten) Bund der ehemaligenFrontsoldaten „Stahlhelm“ zu sehen ist. Im Rechenschaftsbericht derStadtverwaltung vom 17. Januar 1938 heißt es dann auch: „Die 700-Jahr-Feier der Stadt Iserlohn wurde in engster Fühlungnahme mit derNSDAP durchgeführt“. Zugleich wurden bewusst Vereine wie z. B. derKanu-Club Iserlohn für eine abendliche Lampionfahrt auf dem Seiler-see in die Programmgestaltung einbezogen.

Man fuhr hier demnach eine zurückgenommene Propagandastrategie.Das Jubiläum war eine Feier für die Bevölkerung. Selbstidentifikationsollte primär über historisch-bürgerliche und nicht über parteilicheInhalte vermittelt werden. So sind Hakenkreuzfahnen zwar in den ein-leitenden Szenen über die Stadt, jedoch nicht im eigentlichen Festzugzu sehen. Waren die „geselligen Teile“ bei den Parteifeiern eher Rand-erscheinungen, wurden sie hier gleichberechtigt behandelt („Lebenund Treiben in der Stadt“, „Volksfest auf dem Schillerplatz“). Im Um-kehrschluss wurde während des Jubiläums auch kein Eintopf zurStärkung der Volksgemeinschaft gegessen. Nichtsdestotrotz enthieltdas Festprogramm die mittlerweile obligatorischen NS-Programm-punkte wie die „Ehrung der Gefallenen des Weltkrieges und der Totender Bewegung“ am Denkmal von Hans Bernsau und ein Sportfest.

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Äußeres Zeichen der Aufrüstung im Deutschen Reich war eine Militär-parade der Wehrmacht. Doch nicht diese, sondern die städtisch aus-gerichteten Feierlichkeiten wie der offizielle Empfang im Rathaus undder öffentliche Festakt in der großen Halle der Alexanderhöhe, bei derder (allerdings dienstlich verhinderte) Gauleiter Josef Wagner zumEhrenbürger ernannt wurde, standen im Vordergrund.

Die Filme spiegeln diese „verhaltene Propaganda“ (Götz Bettge) wider.Das wird vor allem am Festumzug deutlich, der in drei fotografischenBegleitdokumentationen und auch in Klein-Happes Film als Höhepunktder Großveranstaltung bezeichnet wird. Die Nazis nutzten historischeFestzüge, um die von ihnen für kanonisch deklarierten Epochen undEreignisse sowie der antiken und der deutschen Kunst zur Schau zustellen und zugleich den (kultur- und kunst-) politischen Anspruch desRegimes medienwirksam zu präsentieren. Besonders bekannt sind dieMünchner Festzüge 1933 und 1937-1939, in denen die deutsche Ge-schichte und die deutsche Kunst glorifiziert wurden. Dem Jubiläum ent-sprechend trugen die Festwagen in Iserlohn die Stadtgeschichte an-hand von „lebenden Bildern“, Einzelpersonen und Architekturmodellenzur Schau. Die „Erfolge“ des NS-Regimes wurden propagandistisch-subtil in die Stadthistorie eingebunden. Auf die Wagen mit dem Titel„Der Weltkrieg, der Umsturz, die Inflation, die Volkszerrissenheit“, indenen das „Versailler Diktat“ und die Weimarer Republik verunglimpftwerden, folgte der Wagen „Der Kampf und Sieg der NSDAP“. Am Endeder vorbeiziehenden Parteigliederungen wurde das Schild „Wir helfen“hoch gehalten – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Vor allem Klein-Happes Film sollte keine bloße Dokumentation sein,sondern offensichtlich auch unterhalten. Goebbels selbst hatte seit 1935allzu propagandistische Inhalte in Spielfilmen per Dekret zurückfahrenlassen, weil das beim Publikum keinen allzu großen Anklang fand.Klein-Happe nahm nicht alle Gruppen und Wagen auf. Auch sindBeginn, Aufstellung und Formierung des Umzugs an der unteren Men-dener Straße, einer großen östlichen Ausfallallee Iserlohns, nicht kor-rekt, so dass es sich eventuell um einen Zusammenschnitt handelt.Vermutlich wollte der Filmer eine übermäßige Filmlänge vermeiden.Als Kamerastandort für den Festzug wählte er dann die GastwirtschaftScheidt mit Blick in die Grabenstraße. Osterholts Film ist nicht nur auf-grund seiner Farbigkeit, sondern auch wegen der variationsreichen

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und bewegten Kameraführung sehr viel prägnanter als sein längeresPendant. Im Gegensatz zu Klein-Happe vollzog er den Festzugsver-lauf durch wechselnde Kamerastandorte mit. Der Film beginnt an deroberen Mendener Straße, wo der Zug auch startete, und wechseltdann auf die Hagener Straße (vor dem Wichelhovenhaus) zum Adolf-Hitler-Platz (früher Markt bzw. Rathausplatz) in der Innenstadt. Er lässtden Filmbetrachter dadurch stärker am Geschehen teilhaben. SeinFilm ist offenbar eine der ersten filmischen Quellen in Farbe, die voneinem nicht professionellen Kameramann in Westfalen bekannt sind,und entstand sogar zwei Jahre vor dem recht verbreiteten Amateur-farbfilm des Münchner Prothesenherstellers und Hobbyfilmers HansFeierabend über den Münchner Festzug von 1939.

Zur Zeit der Entstehung des Films über den Kreistag der NSDAP am3. und 4. Juni 1939 (FILM 5) waren 6,7 % der Einwohner im Kreis Iser-lohn so wie Kameramann Hans Müsse selbst Parteimitglied (Gau West-falen-Süd: 5,9 %). Dem vermutlichen Auftraggeber entsprechend han-delt es sich um einen parteigesteuerten „Dokumentarfilm“, dem An-teile eines so genannten „Kulturfilms“ über die Besonderheiten derStadt und des Umlands vorgeschaltet sind. Damit konnte man ihnauch einem nicht ortskundigen Publikum vorführen und gleichzeitigtouristisch für die Region werben. Hauptintention blieb jedoch die Ver-mittlung einer vermeintlichen Hochstimmung aus der dynamischenAnfangszeit des Regimes. Nach Beseitigung von Wirtschaftsnot undArbeitslosigkeit definierte sich seine Akzeptanz seitens der Bevölke-rung 1939 vor allem über Hitlers außenpolitische Erfolge (Saarland,Sudetenland, Hitler-Stalin-Pakt). Wie 1933 ist also auch dieser Filmeine „Werbung“, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Die Wahl einesKreistags als Filmsujet bot sich an. Kreisleiter standen in der Hierarchiezwischen Ortsgruppenleitern auf Gemeindeebene und den Gauleiternauf Gauebene. Sie bildeten das ‚mittlere Management’ der NSDAP. IhrHoheitsgebiet (855 Kreise reichsweit) war groß genug für eine nutz-bringende Einwirkung und zugleich überschaubar für den direktenKontakt mit der Bevölkerung. Kreisleiter wurden daher von den Pro-pagandastellen als Schlüsselfiguren eingestuft und mussten monatli-che „Stimmungs- und Tätigkeitsberichte“ liefern.Kreisparteitage waren Reichsparteitage im Kleinen, anhand derer sichdie ganze Bandbreite an Organisationen und Formationen vergegen-wärtigen ließ. Ihre Selbstinszenierung sollte mit Hilfe des NS-Pro-

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pagandakanons zu einem „sinnlichen Gesamterlebnis“ (Peter Lon-gerich) werden. Reichsparteitage hatten sogar Aufnahme in den NS-Festkalender gefunden, mit dem das Regime über Alltag und Fest-gebräuche der Menschen verfügen wollte:

30. Januar: „Tag der ‚Machtergreifung’“Ende Februar: „Parteifeiertag“ (Erinnerung an Verkündigung des

25-Punkte-Programms der NSDAP)März: „Heldengedenktag“ (Gefallene des Ersten Welt-

kriegs, Denkmalskult und Heldentod)20. April: „Führers Geburtstag“ (aus der Tradition des Kaiser-

geburtstags mit Aufmärschen und Paraden, zu-gleich Aufnahme der 14-Jährigen in die HJ)

1. Mai: „Maifeiertag“ (arbeitsfrei, Traditionselement der Arbeiterschaft, Fest der Volksgemeinschaft)

September: „Reichsparteitage“ (mehrtägige, grandiose Selbst-darstellung, produziert mit modernsten Licht- und Inszenierungstechniken und durch Rundfunk und Film massenhaft reproduziert)

Oktober: „Erntedankfest auf dem Bückeberg“ („NS-Blut- undBoden-Kult“)

9. November: Gedenken an den „Marsch auf die Feldherrnhalle inMünchen“ 1923 (Ritus und Dekoration erinnern an die einstige ‚Niederlage’)

In Iserlohn fand 1939 zum ersten Mal ein Kreisparteitag statt undwurde demnach mit großem Aufwand betrieben. Der seit den SA-Treffen 1933 etablierte Programmablauf ist im Kern noch vorhanden,aber durch Arbeitstagungen von Partei und Organisationen sowiePlatzkonzerte und Volksfeste ergänzt. Die gängigen Propaganda-methoden sind erkennbar fest gefügt und unter massenpsychologi-schen Gesichtspunkten zusätzlich erweitert. Die Kolonnen bewegensich nunmehr in einer an den Reichsparteitagen orientierten Kulissen-dekoration aus martialischen Stelen und überdimensionierten Partei-symbolen entlang. Der Fahnenschmuck ist überbordend. Zugleichwurde der „Führer-Mythos“ weiter ausgebaut und verstärkt. Gau- undKreisleiter – tatsächlich immer von Hitler selbst ernannt – treten wieStellvertreter des Führers auf, auf die alle Teilnehmer ausgerichtetsind. Der Sport fungiert drei Monate vor Kriegsbeginn als Wehrsport.Großaufmärsche sollen das Gemeinschaftsgefühl stärken und Stan-

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desunterschiede einebnen. „Saloppe“ Szenen Limonade trinkenderKameraden wirken im Vergleich zu ähnlichen Episoden im Film „Auf-marsch der Zehntausend“ eher gestellt. Auch lässt sich das Desinter-esse der (generell) wenigen Zivilisten im Film (Platzkonzert, morgend-licher SA-Marsch durch die Stadt, Vorbeimarsch der Formationen amSchillerplatz) nicht verbergen. Die Szenen auf dem Adolf-Hitler-Platzzeigen zudem, dass alteingesessene jüdische Geschäfte mittlerweile„arisiert“ worden waren.

Gab es beim Stadtjubiläum bereits eine Rundfunkübertragung, so istdie angerückte Gaufilmstelle Ausdruck einer noch gesteigerten Medien-nutzung, die ob ihrer Bedeutung auch Eingang in den Film fand.Gaufilmstellen organisierten Filmvorführungen auf dem Land ohnefeste Kinos mit mobilen Vorführeinrichtungen, so genannten „Film-wagen“. Zuständig war der Kreisfilmwart, der nach Goebbels „dereigentliche Träger der Propagandatätigkeit [ist]. Er bildet den organi-satorischen Mittelpunkt in seinem Fachgebiet, indem er die Verbin-dung mit den Lichtspieltheatern und den Filmorganisationen aufrecht-erhält.“

Gesamtdramaturgisch lehnte sich Müsse an Klein-Happes Film an,indem er eine in sich geschlossene, am Geschehen weitgehend orien-tierte Konzeption verfolgte. Jedoch gibt es keine szenischen Zusam-menschnitte, sondern nur Auslassungen, die vor allem die internen,massenunwirksameren Arbeitstagungen der Parteiführer und politi-schen Leiter betreffen. Zugleich hat der Film viele Redundanzen, z. B.beim Aufbau der Fahnenmasten und den Sportszenen, vor allem aberbeim Ein- und Aufmarsch der Formationen ins Stadion sowie beim Vor-beimarsch vor dem Feuerwehrgerätehaus auf dem Schillerplatz. Esging Müsse nicht um Kürzung – im Gegenteil. Die volkserzieherischeBotschaft von Gefolgschaft und Gehorsam sollte den Empfänger überdie Länge stereotyper, sich in den Köpfen festsetzender Bilder undnicht mittels ausgefeilter Filmästhetik erreichen, obwohl Müsse insbe-sondere den Reichsparteitagsfilm Leni Riefenstahls von 1935 gekannthaben dürfte. Verknappt formuliert: Was lange gezeigt wird, ist wich-tig. Nach diesem Schema hat die Wehrmacht im Zeichen der Auf-rüstung die größte Bedeutung. Danach kommen SA (als Vertreterindes Iserlohner „Blutzeugen“ Bernsau) und die HJ. Um diese ursprüng-liche Intention zu bewahren, sind die entsprechenden Szenen fürdiese Edition auch nicht noch weiter gekürzt worden.

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Im Vergleich zu den stadtdarstellenden Teilen in Klein-Happes Filmüber das Jubiläum 1937 wählte Müsse seine „repräsentativen“ Aus-schnitte wohl in Absprache mit dem Gaupropagandaamt oder derKreispropagandaleitung. So wurden z. B. Kirchenbauten als Stätte vonReligionsausübung kaum einzeln, sondern lediglich innerhalb desStadtpanoramas aufgenommen. Müsse lässt gerade bei diesenSzenen seine fotografische Ausbildung erkennen. Er bevorzugt Stand-bilder bzw. extrem langsame Kamerafahrten und behandelt die Motivewie Postkarten, was seiner mangelnden Erfahrung als Filmemachergeschuldet sein dürfte. Genau deshalb hatte der Film wohl auch keineTonspur, obwohl die Finanzen dafür möglicherweise verfügbar gewe-sen wären. Bewegte Bilder erzeugte er nur aus einem fahrenden Autoheraus (Alexanderstraße, Wermingser Straße) und mit der Kamera aufeinem fahrbaren Untersatz (Sportszenen im Stadion) − beides proba-te Mittel für Amateurfilmer. Fiel die Wahl womöglich auf einen parteili-nientreuen Iserlohner, weil man den Film keinem versierteren Kamera-mann von auswärts anvertrauen wollte? Schriftliche Zeugnisse oderZeitzeugenaussagen lassen diese wie viele andere Fragen leideroffen.

V. Ausgewählte Biografien Wolfgang Wilkop

Hans Bernsau wurde am 22. Oktober 1905 in Iserlohn geboren, woseine Familie einen Lebensmittelgroßhandel besaß. 1926 begannBernsau in Schleswig eine Lehre zum kaufmännischen Angestellten.Er schloss sich schon 1926 der ein Jahr zuvor neu gegründetenNSDAP an (Mitglieds-Nr. 47984) und wurde 1927 Mitglied der SA. Erging mehr und mehr in der Bewegung auf und verlor das Interesse anseinem Beruf. 1929 wurde er Kreisgeschäftsführer der NSDAP inSchleswig. Für seine politischen Freunde war er ein Kämpfer, “dieaktivste Kraft“, für seine Gegner ein „politischer Rowdy“. Hans

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Bernsau stand mehrmals vor Gericht. Anfang 1931 musste er einezweiwöchige Haftstrafe wegen Beleidigung Stresemanns absitzen. Inden frühen Morgenstunden des 2. Mai 1931 soll er nach einem Streitauf einer Gewerkschaftsfeier in Schleswig von seiner Waffe Gebrauchgemacht haben. Er wurde angeklagt und von der NSDAP, die aufLegalität bedacht war, suspendiert. Nach seinem umstrittenenFreispruch war Hans Bernsau für kurze Zeit Kreisgeschäftsführer derNSDAP in Husum, kehrte aber 1932 in seine Heimatstadt Iserlohnzurück. Dort trat er wie schon in Schleswig als Redner für die NSDAPauf. Hans Bernsau war Truppführer der SA und zuletzt im SA-Heim,dem „Braunen Haus“ an der Rahmenstraße 4, polizeilich gemeldet.Am 16. Januar wurde er bei einer Schießerei zwischen Kommunistenund Nationalsozialisten in der Nähe des SA-Heims schwer verletzt. Erstarb am 18. Januar 1933. Am 21. Januar 1933 wurde er unterBeteiligung von etwa 1500 Nationalsozialisten beerdigt. DerSturmbann II (Iserlohn) der SA, der Bahnhofsvorplatz und das Stadionam Seilersee wurden nach ihm benannt. Anlässlich des gefilmten SA-Gedenktreffens am 27. August 1933 wurde ein ihm gewidmetes, vomArchitekten Justus Hellmuth gestaltetes Denkmal, eine mit einemHakenkreuz versehene Stele, auf dem Iserlohner Friedhof enthüllt, dasnach dem Kriegsende zerstört und abgetragen wurde. Es bestehennoch heute Zweifel an der Schuld des im September 1933 von demLandgericht Hagen als Mörder Hans Bernsaus verurteilten und 1934hingerichteten Franz Schidzick.

Heinrich („Hein“) Diehl wurde am 23. Februar 1896 in Iserlohn alsSohn des Ingenieurs und Hilfslehrers Heinrich Diehl sen. geboren.Nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule schlug er sich als „Kunst-gewerbler“, „Kunstmaler“ und als „Schriftsteller“ durchs Leben. In den1920er Jahren zeigte er auch ein großes Interesse an anarchistischenund syndikalistischen Ideen. Er war ein enger Freund von Hans(„Hänschen“) Weber, der im Jahre 1929 mit seiner auch als„Sudelblatt“ bezeichneten Zeitung „Die Zündschnur“ und als Kandidatdes Leninbundes (Linke Kommunisten) bei den Kommunalwahlen inIserlohn von sich Reden machte. Um das Jahr 1930 trat Hein Diehl derNSDAP bei (Mitglieds-Nr. 249518). Er trat vor allem als Redner auf(„Reichsstoßtruppredner“) und war Schriftleiter des Ende 1930 er-schienenen „Freiheitsrufes“, einem Propagandablatt der IserlohnerNSDAP. 1932 wurde Hein Diehl erster Kreisleiter für den Stadt- und

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Landkreis Iserlohn und auch in den preußischen Landtag gewählt. VonNovember 1933 bis 1944 war er Mitglied des nicht mehr aus freienWahlen hervorgegangenen Deutschen Reichstages. 1934 stieg erzum Gauorganisationsleiter beim Gau Westfalen-Süd in Bochum aufund war zwischen 1937 und dem Spätsommer 1939 beim Hauptorga-nisationsamt der NSDAP in München tätig. Bei der Gauleitung inBochum war er seit 1939 u.a. Gauinspekteur. Nach der Entlassungdes Iserlohner Ehrenbürgers Josef Wagner als Gauleiter hatte DiehlSchwierigkeiten mit der neuen Gauführung. Auch seine Stellung alsKreisleiter von Olpe im Frühjahr 1944 verlor er wegen alkoholisierterAuftritte sehr schnell. Er wurde 1948 zu 2 ½ Jahren Gefängnis undeiner hohen Geldstrafe verurteilt. Hein Diehl starb am 18. Juni 1963 inIserlohn.

Hermann Menze wurde am 29.August 1901 in Kalthof (KreisIserlohn) als Sohn eines Stell-machers geboren. Er ging ineine kaufmännische Lehre imnahen Iserlohn und war dortauch als kaufmännischer Ange-stellter tätig. Hermann Menzestieß im Gegensatz zu seinemVorgänger als Kreisleiter, HeinDiehl, oder anderen führendenIserlohner Nationalsozialistensehr früh zur NSDAP. Er trat am21. September 1921 der Orts-gruppe München bei. Auch anNachfolgeorganisationen dernach dem missglückten Putschim November 1923 verbotenenPartei wirkte er mit. Als sich dieNSDAP am 28. Februar 1924neu gründete, trat er u.a. zu-

sammen mit seinem Bruder Wilhelm am 7. März 1925 in die Partei ein.Im April 1926 kam es zu zahlreichen NSDAP-Eintritten in Kalthof undauch in Oestrich, die gewiss auch dem Einfluss der Familie Menzezuzuschreiben waren. 1929 verzog Hermann Menze nach Iserlohn

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Kreisleiter Hermann Menze, 1937

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und übergab die Leitung der Ortsgruppe der NSDAP seinem jüngerenBruder Wilhelm. In Iserlohn trat Hermann Menze politisch erst 1933 inden Vordergrund. Er kandidierte auf einem vorderen Listenplatz für dieNSDAP bei den Iserlohner Kommunalwahlen und wurde nach Teilungder Ortsgruppe im Mai 1933 Leiter der NSDAP in Iserlohn-Ost. 1933nahm Menze auffälligerweise Positionen ein, die zuvor von den Sozial-demokraten vertreten worden waren. So wurde er stellvertretenderVorsitzender beim Arbeitsamt Iserlohn und kommissarischer Leiter des„gleichgeschalteten“ Iserlohner Konsumvereins. Nach 1934 machte ersich als Kreisleiter in der Nachfolge Hein Diehls für die „Volksgemein-schaft“ stark und vertrat als überzeugter Nationalsozialist undAntisemit radikalere Positionen bei den „Arisierungen“ als z. B. Bürger-meister Wietfeld. Hermann Menze wurde 1948 zu drei Jahren Haft ver-urteilt, die durch seine Internierung als verbüßt galten. Er starb am 13.Juli 1979 in Kalthof.

Wilhelm Schepmann wurde 1894 geboren und wurde späterVolksschullehrer. 1925 trat er der NSDAP bei und wurde 1931 aus poli-tischen Gründen aus dem Schuldienst entlassen. 1933 war er nicht nurSA-Gruppenführer, sondern von Februar 1933 bis Juli 1934 auchPolizeipräsident von Dortmund.

Walter Vogt wurde am 21. November 1892 als Sohn des IserlohnerStadtsekretärs Heinrich Vogt geboren. In der Revolutionszeit 1919tauchte er als Leutnant der Reserve in seiner Heimatstadt auf und ver-suchte unter dubiosen Umständen, Männer für bewaffnete Freikorpsanzuwerben. Walter Vogt lebte bis 1927 in Berlin. Er konnte aber imzivilen Leben nicht Fuß fassen und schlug sich mehr schlecht als rechtals Kaufmann und Vertreter durch. Karriere machte er seit Ende der1920er Jahre in der SA im Stadt- und Landkreis Iserlohn. 1930 wurdeer Sturmführer, 1931 Sturmbannführer und 1933 Standartenführer derSA. Walter Vogt war umstritten und unbeliebt bis in Kreise der NSDAPhinein. Ein Zeitzeuge charakterisierte ihn als "Großschnauze". Hinterihm stand aber der Kreisleiter Hein Diehl. Ein wichtiger Gegner desMachtanspruches Vogts und der SA insbesondere im Frühjahr 1933war der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Dr. Fritz Katz. Katz fand heraus,dass Vogt u. a. wegen Sittlichkeitsverbrechen vorbestraft war. Am 1.November 1933 verließ Walter Vogt Iserlohn, ging zunächst nachBielefeld, später wieder nach Berlin. Sein Nachfolger bei der

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Standarte 259 (vorher E) war Friedrich Helmich, der in seiner Heimat-stadt Hohenlimburg 1933 als Kriminalkommissar eingesetzt wordenwar und u. a. am Bernsau-Fall gearbeitet hatte.

VI. Quellen, Literatur und Weblinks

Ungedruckte Quellenw Stadtarchiv Iserlohn

Bestand Hauptamt, Zgg. 2/77, Nrn. 4-6, 98Rechenschaftsbericht der Stadtverwaltung über das Jubiläum 1938Zeitungssammlung (Iserlohner Kreisanzeiger, WLZ – Rote Erde)Fotosammlung

w LWL-Archivamt für Westfalen, MünsterLWL 702, Nr. 258: NS-Kulturgemeinde (1933-1938)LWL 702, Nr. 259: Gaukulturämter der NSDAP Westfalen-Süd (1933-1944)

Gedruckte Quellenw Goebbels, Joseph: Sieben Filmgrundsätze, vorgetragen auf dem

Ersten Internationalen Filmkongress 1935, in: Kriegk, Otto: Derdeutsche Film im Spiegel der Ufa. 25 Jahre Kampf und Vollendung,Berlin 1943, S. 189-192.

w Organisationsbuch der NSDAP, München 19373.

Literatur (Auswahl)w Bauer, Gerhard: Triumphe der Macht. Militärparaden in Krieg und

Frieden, in: Triumphzüge. Paraden durch Raum und Zeit, hg. vonHarald Kimpel und Johanna Werckmeister, Marburg 2001, S. 146-159.

w Beck, Friedrich Alfred: Kampf und Sieg. Geschichte der National-sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei im Gau Westfalen-Südvon den Anfängen bis zur Machtübernahme, Dortmund 1938.

w Bettge, Götz (Hg.): Iserlohn-Lexikon, Iserlohn 1987.w Broszat, Martin: Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung

seiner inneren Verfassung, München 1995.w Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hg. von Wolfgang Benz,

Hermann Graml und Hermann Weiß, München 20075.w Freitag, Werner (Hg.): Das Dritte Reich im Fest. Führermythos, Feier-

laune und Verweigerung in Westfalen 1933-1945, Bielefeld 1997.

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w Kimpel, Harald u.a. (Hg.): Triumphzüge, Paraden durch Raum undZeit, Marburg 2001.

w Klueting, Harm: Westfalen im „Dritten Reich“, in: Geschichte West-falens, das Land zwischen Rhein und Weser vom 8. bis zum 20.Jahrhundert, Paderborn 1998, S. 399-416.

w Longerich, Peter: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA,München 1989.

w Quanz, Constanze: Der Film als Propagandainstrument JosephGoebbels’, Köln 2000.

w Schmidt, Christoph: Nationalsozialistische Kulturpolitik im GauWestfalen-Nord. Regionale Strukturen und lokale Milieus 1933-1945 (Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 54), Paderborn /München / Wien / Zürich 2006.

w Schulte, Wilhelm: Iserlohn. Die Geschichte einer Stadt, 2 Bde.,Iserlohn 1937-38.

w Schweizer, Stefan: „Unserer Weltanschauung sichtbaren Ausdruckgeben“: Nationalsozialistische Geschichtsbilder in historischenFestzügen zum „Tag der Deutschen Kunst", Göttingen 2007.

w Stahr, Gerhard: Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der natio-nalsozialistische Film und sein Publikum, Berlin 2001.

w Stellbrink, Wolfgang: Die Kreisleiter der NSDAP in Westfalen-Lippe.Versuch einer Kollektivbiographie mit biographischem Anhang,Münster 2003. Kurzfassung in: Ruck, Michael / Pohl, Karl-Heinz(Hg.): Regionen im Nationalsozialismus, Bielefeld 2003, S. 157-187.

w Thamer, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus, Stuttgart 2001.w Wehler, Hans-Ulrich: Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führer-

herrschaft, Verbrechen, München 2009. w Wilhelm, Friedrich: Die Polizei im NS-Staat. Die Geschichte ihrer

Organisation im Überblick, Paderborn 1997.w Wilkop, Wolfgang: Erforschung der Geschichte des Nationalsozi-

alismus in Iserlohn (Manuskript), Stadtarchiv Iserlohn (1991).

Weblinks (Auswahl)w Bundeszentrale für politische Bildung, Nationalsozialismus und

Zweiter Weltkrieg:http://www.bpb.de/themen/3X63VA,0,0,NSStaat.html

w Einwohneradressbücher der Stadt Iserlohn 1929, 1934 und 1939:http://www.iserlohn.de/Kultur/Stadtarchiv/ab_recherche.php

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w Gauleiter der NSDAP im Ruhrgebiet: http://www.historisches-centrum.de/index.php?id=282

w Internet-Portal „Westfälische Geschichte“:http://www.westfaelische-geschichte.de

VII. Kapitelgliederung der DVD

Film 1: ca. 01:30 Min. – Kundgebung zum Volkstrauertag

Film 2: ca. 05:00 Min. – Standartentreffen Letmathe

Film 3: ca. 17:30 Min. – Aufmarsch der Zehntausend

Film 4: ca. 27:30 Min. + 08:00 – Jubiläumsfilm zur 700-Jahr-Feier

Film 5: ca. 40:00 Min. – Kreistag der NSDAP

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Iserlohn unterm Hakenkreuz

Die hier vorgelegte DVD vereinigt sechs verschiedene Filmeund Filmfragmente aus den Jahren 1933 bis 1939, diejeweils Ereignisse und politische Veranstaltungen in und umIserlohn zum Thema haben. Alle Filme inszenieren dieMacht des NS-Regimes – sie zeigen die immer wieder glei-chen propagandistischen Bilder und Einstellungen von uni-formierten Kolonnen und Aufmärschen. Mit dieserZusammenschau soll Geschichtsinteressierten und insbe-sondere den Schulen der Region ein Medium zur Verfügunggestellt werden, das durch Originalfilme und im Begleitheftbereitgestellte Hintergrundinformationen Geschichte kon-kretisiert und authentisch dokumentiert.

Eine Edition desLWL-Medienzentrums für WestfalenISBN 978-3-939974-08-6

Lehrprogramm gemäß § 14 JuSchG

Festplakette zur 700-Jahrfeier Iserlohn 1937

Gefördert durch: