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1. Mai 1933 Der „Tag der nationalen Arbeit“ 2. Mai 1933 Die Zerschlagung der Gewerkschaften Die Vorgänge in Hameln Text: Bernhard Gelderblom Vorsitzender des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln Nie wieder!!!

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1. Mai 1933 Der „Tag der nationalen Arbeit“

2. Mai 1933 Die Zerschlagung der Gewerkschaften

Die Vorgänge in Hameln

Text: Bernhard Gelderblom Vorsitzender des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln

Nie wieder!!!

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Das Doppelgesicht des Dritten Reiches

Joseph Goebbels, seit dem 13. März Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda,notierte am 14. April in sein Tagebuch:

„Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillensgestalten.Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch aufdiesem Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sieuns.“

Goebbels sollte mit dieser Ankündigung recht behalten. Das Doppelgesicht von „schönemSchein“ und Gewalt, das den Nationalsozialismus insgesamt charakterisiert, kam an diesenbeiden Tagen in besonderer Schärfe zur Geltung.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts war der 1. Mai „Kampftag“ der Arbeiterbewegung gewesen.Er war aber nie gesetzlicher Feiertag geworden. Als eine ihrer ersten großenPropagandamaßnahmen reklamierten die Nationalsozialisten diesen Tag für sich. Durch dasGesetz vom 10. April 1933 erhoben sie ihn zum „Feiertag der nationalen Arbeit“.

In Berlin waren am 1. Mai in einer gewaltigen Veranstaltung über eine Million Menschenversammelt. Sie hörten eine lange Rede Hitlers, in der er die „wiedererweckteVolksgemeinschaft aus Arbeitern der Faust und der Stirn“ beschwor und ein großesArbeitsbeschaffungsprogramm ankündigte. Arbeitsbeschaffung habe für ihn absolutePriorität.

Die zentrale Großveranstaltung zum „Tag der nationalen Arbeit“ am 1. Mai 1933 fand im BerlinerLustgarten statt.Das Foto entstand kurz nach der Ankunft Hitlers. In der zentralen Gasse schreitet er mit erhobenemArm die Formation der Wehrmacht ab.(Quelle: Bundesarchiv Berlin)

Die andere Seite der nationalsozialistischen Politik zeigte sich am nächsten Tag.Rollkommandos von Polizei, SA und SS besetzten überall in Deutschland dieGewerkschaftshäuser. Die Organisationen der Arbeiterbewegung wurden verboten, ihr

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Vermögen beschlagnahmt. Viele Gewerkschaftsfunktionäre wurden festgenommen,geschlagen und in KZs verschleppt.

Die Nationalsozialisten errichteten stattdessen die „Deutsche Arbeitsfront“ (DAF), eineZwangsorganisation, die weder über Löhne verhandeln noch die Interessen derArbeiternehmer gegenüber den Arbeitgebern vertreten durfte. Als „Gefolgschaftsführer“hatten die Unternehmer Befehlsgewalt über ihre „Gefolgschaft“.

Der 1. Mai in Hameln

In einem gemeinsamen Aufruf kündigten die NationalsozialistischeBetriebszellenorganisation (NSBO, die spätere DAF) und der Magistrat die Feierlichkeiten fürden „Tag der nationalen Arbeit“ in Hameln an:

“Der 1. Mai wird nicht, wie in vergangenen Zeiten, in klassenkämpferischem Geistebegangen werden, er wird vielmehr die Arbeiter der Faust und des Kopfes in wahrerdeutscher Volksgemeinschaft vereint finden zu dem Ziele, mitzuhelfen an demWiederaufbau unseres deutschen Vaterlandes“ (Dewezet 26. April 1933).

Die Einwohner wurden aufgefordert, die Häuser mit schwarz-weiß-roten undHakenkreuzfahnen und mit frischem Birkengrün zu schmücken.

Das geplante Fest stellte alles in den Schatten, was es bisher in Hameln gegeben hatte.Entsprechend aufwendig und militärisch exakt war die Organisation. Insgesamt 16 über dieStadt verteilte Sammelstellen hatten die Organisatoren festgelegt, von denen aus dieMarschteilnehmer in einer bestimmten Reihenfolge auf den zentralen Sammelplatz auf dem„Rummel“ abgerufen werden sollten. Der Marsch sollte durch die ganze Stadt und auch aufdie westliche Weserseite führen.

Das offizielle Festabzeichen des „Tages der deutschen Arbeit“, das zum Preise von 30 Pfennigenerstanden werden konnte.(Quelle: Dewezet vom 25.4.1933)

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Am Vorabend zogen SA, SS, Stahlhelm und Jungstahlhelm unter Musikbegleitung durch dieStadt, um zwischen 23 und 24 Uhr zum Zapfenstreich zu blasen. Der Tag selbst begann miteinem Frühkonzert der SA-Kapelle und anderer Musikzüge. Es folgte ein Festgottesdienst imMünster, bei dem die nationalen Verbände sowie die übrigen Vereine und Jugendverbändemit Fahnenabordnungen vertreten waren. Senior Schotte predigte:

„Dieser Feiertag der nationalen Arbeit ist ein gütiges Geschenk Gottes. Vor einemJahre noch war es die Parole des Klassenhasses, die am 1. Mai gepredigt wurde, jetztheißt die Devise ‚Ehret die Arbeit und achtet die Arbeiter!‘ Stirn und Faust habeneinen Bund geschlossen.“

Durch Bäcker- und Osterstraße zogen die Fahnengruppen nach dem Gottesdienst zumStadion, wo NSDAP-Kreisleiter Hauptmann Franz Scheller die Front der Abteilungenabnahm und NSBO-Führer Melcher die „Volksgemeinschaft“ beschwor.

„Ein unlöslicher Bund zwischen allen Gliedern unseres Volkes ist geschmiedet,Schulter an Schulter stehen von jetzt ab Arbeiter, Bauer und Akademiker. Der Dankfür die Vollendung solcher Volksgemeinschaft gebührt dem Volkskanzler Adolf Hitlerund dem Reichspräsidenten Hindenburg.“

Ein dreifaches Sieg-Heil als Gelöbnis dauernder Treue sowie das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied beschlossen die Veranstaltung.

Der Höhepunkt der Feier war der Festzug am Nachmittag, an dem die Hamelner Vereine undVerbände und die Belegschaften der Betriebe teilnahmen, viele mit geschmückten Festwagen.Die ausführliche und mit vielen Details gespickte Schilderung in der Dewezet endet mit denSätzen:

„Ein endloser Zug voll immer neuer hübscher Bilder. Eine Stunde und 20 Minutenlang wogte das bunte Band durch die Straßen, durch ganz Hameln. In der Stadt hattensich zahlreiche Menschen gesammelt, die den Zug freudig begrüßten, Blumen auf dieeinzelnen Gruppen warfen und die Scharen mit Hochrufen grüßten. Für alle, die ihnerlebten, war dieser Umzug und der ganze gestrige Tag ein Erlebnis.“ (Dewezet2.5.1933)

Insgesamt sollen – so sagten die Veranstalter – über 12.200 Menschen am Zug teilgenommenhaben. Damit wäre halb Hameln auf den Beinen gewesen und die Nationalsozialisten wärenihrem Ziel, die Bevölkerung in ihren Feiern total zu erfassen, nahe gekommen.

Störungen der Feier hat es offenkundig nicht gegeben. Der Festtag sei „völlig reibungslos undohne jede Störung“ verlaufen, meldete der Oberbürgermeister an den Regierungspräsidenten.

Der 2. Mai in Hameln

Die Angriffe der Nationalsozialisten zielten auf die Vernichtung der gesamten Infrastruktur,die sich die Arbeiterschaft seit dem Kaiserreich aufgebaut hatte. Neben den Parteien SPD undKPD waren das die Gewerkschaften, soziale Einrichtungen wie die „Arbeiterwohlfahrt“, mitder „Niedersächsischen Volksstimme“ eine Tageszeitung, die Konsum- undSpargenossenschaft sowie zahlreiche Sport- und Kulturvereine.

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Die genannten Einrichtungen waren den Angriffen hilflos ausgesetzt und es gelang sehr rasch,sie entweder zu zerschlagen oder sie „gleichzuschalten“. Immobilien waren ohnehin nicht vordem Zugriff durch die Nationalsozialisten zu schützen.

Die SPD hatte im Berliner Reichstag versucht, eine legale Opposition zu betreiben. Nachdemdie Mandate der KPD annulliert worden waren, hatte sie als einzige Fraktion gegen dasErmächtigungsgesetz gestimmt. Auf eine mögliche Illegalität war sie gar nicht eingestellt.

Nachdem das Erscheinen der „Niedersächsischen Volksstimme“ bereits am 2. März 1933verboten worden war, wurde am 10. Mai das Druckhaus in der Heiliggeiststraße (heute„Rosa-Helfers-Haus“ der SPD) samt Maschinen und Vermögen beschlagnahmt. Gleichzeitigwurde das Vermögen der SPD und des Reichsbanners beschlagnahmt.

Geschäftsführer der „Hamelner Druckerei- und Verlagsgesellschaft GmbH“ war der gelernteBuchdrucker Karl Löffler. Löffler war 1930 nach Hameln gekommen, wo er den Umzug derDruckerei der „Volksstimme“ aus den Räumen der Konsum-Genossenschaft in derDeisterstraße in das neu gekaufte Haus Heiliggeiststraße 2 organisierte. Redakteur derZeitung war der Journalist Arno Reichard.

Eine der letzten Ausgaben der in Hameln erscheinenden „Niedersächsischen Volksstimme“ vom 18.Februar 1933 (links)Reklametafel der „Niedersächsischen Tageszeitung“ Hannover (rechts), die sich als „Kampfblatt fürden Nationalsozialismus“ verstand.(Quelle: Sammlung Gelderblom)

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Das von den Nationalsozialisten enteignete Gewerkschaftshaus in der Baustraße wurde anschließendin eine Parteikneipe umgewandelt.(Foto: Gelderblom)

Nach dem Gewerkschaftshaus in der Baustraße wurden am 13. Mai Einrichtungen undVermögen des Allgemeinen freien Angestelltenbundes (AfA) besetzt und beschlagnahmt.Dasselbe geschah mit der „Arbeiterwohlfahrt“. Mit der Einziehung des Vermögens folgte dieendgültige Auflösung. Einrichtungen und Vermögen wurden dem örtlichen Beauftragten derNationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO) Wilhelm Melcher übergebenund 1935 in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) integriert.

Der Hamelner Beauftragte der Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO) WilhelmMelcher war der Hauptorganisator der Zerschlagung bzw. Gleichschaltung der gewerkschaftlichenOrganisationen in Hameln.(Quelle: Bundesarchiv Berlin)

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Andere Einrichtungen wurden „gleichgeschaltet“, also unter nationalsozialistischer Leitungweitergeführt. Das gilt für die Konsum- und Spargenossenschaft, obwohl der HamelnerEinzelhandel ihre Auflösung energisch forderte, um eine lästige Konkurrenz loszuwerden,und für den „Arbeiter-Samariterbund“ (Dewezet 12.6.1933).

Der große Gebäudekomplex der Konsum- und Spargenossenschaft in der Deisterstraße(Quelle: Monographien deutscher Städte, 1929 und Dewezet 25.5.1933)

Im ehemaligen Verlagshaus der „Volksstimme“ wurde fortan die Weserberglandausgabe derNiedersächsischen Tageszeitung (NTZ) gedruckt. Die Hauptausgabe der NTZ erschien inHannover und verstand sich als „Kampfblatt für den Nationalsozialismus“. Am 13. April1933 verlor die Dewezet ihren Charakter als amtliches Publikationsorgan an die NTZWeserbergland.

Die Aktionen wurden in den Zeitungen zumeist verschwiegen oder nur sehr knapp mitgeteilt.Am 11. Mai berichtete die Dewezet von der Beschlagnahme der „Volksstimme“, am 17. Maivon der Umwandlung des Gewerkschaftshauses in den „Gasthof zum goldenen Stern“ und am25. Mai, dass die „Konsum- und Spargenossenschaft“ nun unter nationalsozialistischerLeitung stehe. Viele Einzelheiten liegen für Hameln im Dunkeln.

Völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit verlief die Auflösung der Arbeiterkultur- undSportvereine. Da gab es, um einige zu nennen, den Arbeitersängerbund, den Spielmannszugder Eisengießerei Concordia, den Arbeiter- und Turn- und Sportverein, den freien SportvereinVorwärts, den Rad- und Motorradfahrerbund Solidarität, den Boxclub Eintracht, denFußballverein Union, den Flugsportverein Zugvogel, den Segelflugverein Sturmvogel, denWassersportverein, den freien Arbeiterschützenverein Reichsadler, den Wander- undTouristenverein Naturfreunde und den Sportverein Fichte. Die Vereine wurden vor die Wahlgestellt, sich entweder aufzulösen oder den von den Nationalsozialisten gleichgeschaltetenbürgerlichen Vereinen anzuschließen.

Am 18. Juni geschah in aller Öffentlichkeit ein Akt besonderer Brutalität. 22 SPD-Funktionäre, die in „Schutzhaft“ genommen worden waren, wurden – teilweise in Ketten –vom Rathaus durch die Bäckerstraße geführt, ein Spießrutenlauf durch eine feindlich gesinnteMenge. Arno Reichard, Redakteur der „Volksstimme“, wegen seiner kämpferischen Artikel

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bei den Nationalsozialisten besonders verhasst, musste dabei ein Schild mit der Aufschrifttragen „Auch ich habe von Arbeitergroschen gelebt“. Das weitere Schicksal Reichards konntebisher nicht geklärt werden.

Einer der Verhafteten war Heinrich Löffler. Nach seiner Entlassung aus der „Schutzhaft“ warer bis 1939 für sechs Jahre zur Arbeitslosigkeit verurteilt und musste politische Repressalienerdulden. Nach Kriegsende beteiligte sich Löffler am demokratischen Wiederaufbau. Erwurde Gewerkschaftssekretär, Kreisvorsitzender der SPD, Mitglied des ersten von derMilitärregierung ernannten Stadtrates und Landtagsabgeordneter. 1946 wählte ihn der erstefreie Rat der Stadt zum Oberbürgermeister. Heinrich Löffler bekleidete dieses Amt bis 1949und noch einmal von 1951 bis 1952. Er starb 1966 in Hameln.

Links: Heinrich Löffler, Geschäftsführer des Druckhauses der Volksstimme in einer Aufnahme ausder Nachkriegszeit; rechts: Arno Reichard, Redakteur der „Volksstimme“, auf einem undatierten Fotoaus den 1930er Jahren(Quelle: Linkes Foto: Spanuth, Geschichte der Stadt Hameln; rechtes Foto: Stadtarchiv Hameln)

Maßnahmen der Gleichschaltung betrafen übrigens auch – freilich in zahlenmäßig geringemAusmaß – Personen aus dem bürgerlichen Lager. Heinrich Spanuth, Direktor desOberlyzeum, also des heutigen Viktoria-Luise-Gymnasiums, wurde Anfang Mai 1933 seinesDienstes enthoben. (Dewezet 13. Mai 1933) Einen Monat später verlor er auch seinen Postenals Vorsitzender des renommierten Hamelner „Vereins für Kunst und Wissenschaft“, den erseit 1919 inne hatte. Sein Nachfolger wurde Oberstudiendirektor Dr. Boeckmann. (Dewezet17. Juni 1933)

Um die Mitglieder der Partei nachhaltig einzuschüchtern, kam es – nach dem Verbot der SPDvom 22. Juni – am 24. Juni noch einmal zu einer größeren Verhaftungswelle. Zeitweise sollen

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zwischen 200 und 300 Sozialdemokraten im Hamelner Gefängnis eingesessen haben. Danachwar die SPD zerschlagen. Gegen die Mitglieder der Hamelner KPD-Ortsgruppe war dieGestapo bereits im Februar und März mit großer Brutalität vorgegangen. Den letzten undendgültigen Schlag führte sie dann im November 1933.

Warum war Hitler in seinem Vorgehen gegen die Arbeiterbewegung so erfolgreich? Geradejunge Arbeiter fühlten sich von den Parolen der Nazis angesprochen. Hitler verkündete die„Volksgemeinschaft“, ein Reich der Chancengleichheit. Er veränderte das sozialeBewusstsein, verminderte Klassendenken und Standesdünkel. Leistung sollte zählen stattHerkommen und Rang. Das setzte bei vielen Menschen ungeahnte neue Kräfte frei.

Der Glaube an die „Volksgemeinschaft“ funktionierte auch wegen des verbreiteten Wissensum die Terrormaßnahmen des Regimes. Gerade das harte Vorgehen gegen die„Volksschädlinge“ war populär. Wer nichts leistet, soll auch nichts essen und am besten imLager erzogen werden soll. Zum Bild der „Volksgemeinschaft“ gehörte immer auch dasGegenbild derer, die nicht dazu gehören durften oder wollten: die weltanschaulichen Feinde,die rassisch oder sexuell „Andersartigen“, die „erblich“ und psychisch Belasteten.

Als Hitler im November zum zweiten Mal im Jahre 1933 an die Wahlurnen rief, entfielen aufdie Einheitsliste der NSDAP 92,2 Prozent. Nach Meinung renommierter Historiker entsprachdieses Ergebnis im Großen und Ganzen der wirklichen Stimmung.

Wie konnte es soweit kommen?

Die brutale Gewalt des NS-Regimes nach der 'Machtübergabe' am 30. Januar 1933 erklärt dieNiederlage der Arbeiterbewegung nur teilweise. Wir Nachgeborenen tragen dieVerantwortung dafür, ein nochmaliges Erstarken faschistischen Denkens zu verhindern. Diesstellt uns vor die Herausforderung, aus der Geschichte zu lernen und zu hinterfragen, unterwelchen Voraussetzungen konnte es soweit kommen – was waren die politischen Fehler, ausdenen es zu lernen gilt?

WeltwirtschaftskriseDie Weltwirtschaftskrise wird von allen, die den Untergang der Weimarer Republikuntersuchen, als der auslösende Faktor beschrieben. Für viele von uns ist heute kaum mehrvorstellbar, wie groß das Ausmaß der Wirtschaftskrise auf das Leben der Menschen war.Elend, Hunger und Not waren unmittelbare Folge von Arbeitslosigkeit. Verzweiflung undHoffnungslosigkeit prägten das Leben vieler Menschen.

Hameln war 1932 eine kreisfreie Stadt mit gut 25.600 Einwohnern, davon circa 19.000Wahlberechtigten. Von diesen erhielten Mitte 1932 über 2.000 Unterstützung aus der Haupt-und der Krisenunterstützung. Diese Zahl allein sagt über das gesamte Ausmaß derErwerbslosigkeit allerdings nichts aus. Denn hinzu zu zählen sind Erwerbslose ohneirgendeine Unterstützung. 200 Familien Hamelns mussten Hilfe der städtischenWohlfahrtspflege in Anspruch nehmen, die in den Jahren 1931 und 1932 bei wachsender Notgekürzt wurden.

Hinzu kommt, dass die Netto-Wochenlöhne 1932 bei durchschnittlich nur noch 21,75Reichsmark (RM) lagen, das wöchentliche Existenzminimum für eine Familie mit 2 Kindern

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jedoch gut 39 RM betrug. Diese Zahlen zeigen das Maß der Not in der Arbeiterbewegungauch Hamelns deutlicher an. Noch deutlicher wird dies, wenn wir uns vergegenwärtigen, dassdie Hamelner Gewerkschaften zu Weihnachten 1931 bereits Listen vorlegten, nach denenknapp 400 ihrer Mitglieder der Awo zum Empfang von Weihnachtsunterstützung empfohlenwurden. Die Weihnachtspakete enthielten vor allem Lebensmittel.

Im September 1932 richtete die Awo schließlich in der Heiliggeiststraße eine Küche ein, inder billiges Essen abgegeben wurde. 1932 seien etwa 10.000 Essen verteilt worden, schriebder Awo-Vorsitzende Johannes Krahn in seinem Tätigkeitsbericht für das Jahr 1932.

Besonders betroffen von der allgemeinen Not waren die Arbeiterkinder. Im Winterhalbjahr1931/ 32 erhielten durchschnittlich 445 Kinder täglich einen Viertel Liter Milch und einMilchbrötchen.

Vor diesem Hintergrund inszenierten sich die Nazis als Hoffnungsträger undinstrumentalisierten die um sich greifende Verzweiflung. Die Wahlergebnisse in Hamelnzeigen dies – sie waren bei den Wahlen erfolgreich und die Nazis provozierten mit Gewaltund Machtdemonstrationen auf Hamelns Straßen.

Spaltung der ArbeiterbewegungUnter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise musste es den Gewerkschaften schwerfallen, die zunehmenden Angriffe auf die Tarifverträge und Arbeitnehmerrechte abzuwehren.Zumal die Gewerkschaften zugleich in ihrer Organisationskraft geschwächt wurden: In denJahren 1930 – 1932 verlor der ADGB gut ein Viertel seiner Mitglieder, ca. 1,2 Millionen.Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sowie Lohneinbußen führten zu geringeren Einnahmen derFreien Gewerkschaften, während zugleich die Zahl der Unterstützungsbedürftigen wuchs.Auch die Gewerkschaften kürzten Dauer und Höhe ihrer Leistungen, um mit dem Geldauszukommen.

Diese Situation bot beständig Stoff für Kritik am sozialdemokratisch geprägten ADGB undvertiefte die bestehende Spaltung der Arbeiterbewegung ebenso wie die Tolerierung derBrüning`schen Deflationspolitik durch die Sozialdemokratische Partei im Reichstag. Mit derBildung der kommunistischen Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) als ‚roteKlassengewerkschaft‘ verschärften sich die Konflikte in der Gewerkschaftsbewegung.

Zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten war bis auf ganz wenige örtliche Ausnahmenkeine gemeinsame Politik möglich: Die KPD schimpfte Sozialdemokraten Sozialfaschisten,während die SPD in der KPD aus Moskau gesteuertes revolutionäres Abenteurertum amWerke sah. Zu gegensätzlich war die Einschätzung der Errungenschaften der WeimarerRepublik und zu unterschiedlich war die Politik von ADGB als reformistischeInteressensvertretung und der RGO, die versuchte, unzufriedene Arbeiter zu gewinnen und

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dafür Streiks zur Abwehr von Lohnkürzungen oder für bessere Arbeitsbedingungen, aber vorallem für revolutionäre Forderungen zu organisieren.

Politische FehleinschätzungenWährend Sozialdemokraten und ADGB-Gewerkschaften die Weimarer Republik als gefestigteinschätzten und auf die Verteidigung der Republik mit dem Stimmzettel setzten, rief dieKPD früh warnend vor dem Hitler-Faschismus zur Einheitsfrontpolitik auf, verband dies abermit dem Interesse der Stärkung der eigenen Partei. Während die KPD ihre Wahlergebnisse1930 und 1932 als Hinweis auf eine vorrevolutionäre Situation fehl deutete, unterschätztendie Sozialdemokraten die immer breiter werdende Massenbasis der Nazis, ihre Unterstützungdurch bedeutende Kapitalfraktionen und die Absicht, die Weimarer Republik mit brutalerGewalt zu zerschlagen.

Aus heutiger Sicht erscheint es nur schwer verständlich, dass der ADGB nach der'Machtübergabe' an Hitler im Januar 1933 dazu aufrief, nur eigenständig – schließlich sogarin Distanzierung gegenüber der SPD - gewerkschaftliche Kraft gegen die neue Regierung zuorganisieren und nicht zum Generalstreik mobilisierte. In den Tagen nach dem von den Nazisinszenierten Reichstagsbrand Ende Februar traf die erste Verhaftungswelle die Kommunisten.Die damit verbundenen Gewaltexzesse wurden von der Sozialdemokratie nicht als Hinweisverstanden, dass der Terror der Nazis auch sie treffen wird. Als Anfang März 1933 bereits in45 Städten Gewerkschaftshäuser in Trümmer gelegt wurden und die ersten Gewerkschafter

gefoltert und ermordet wurden, war auch dies keinAnlass, zum offenen Widerstand gegen die Nazisaufzurufen. Und auch der Aufruf der Nazi-Schergenzum Boykott jüdischer Geschäfte Anfang April ließbei den Spitzen im ADGB und seinenMitgliedsgewerkschaften nicht Alarmglockenschrillen. Die Freien Gewerkschaften kapituliertenund suchten in Ergebenheitsadressen ihr Heil.Vergeblich, wie der 2. Mai 1933 dann zeigte.

Es gehört zur Tragik der deutschenArbeiterbewegung, dass sich mit den Widersprüchenin der Politik von SPD und KPD zwar neuelinkssozialistische Abspaltungen wie dieSozialistische Arbeiterpartei (SAPD, u.a. mit WillyBrandt) bildeten, aber auch aus der Kritik, diegleichermaßen gegenüber beiden Arbeiterparteiengeübt wurde, kein wirksamer Impuls hervorging, ausdem heraus gemeinsam die faschistische Gefahr

abgewehrt wurde. Zuletzt war es im Juli 1932 und nochmals im Februar 1933 derInternationale Sozialistische Kampfbund (ISK), der es nicht schaffte, SPD und KPDangesichts der drohenden Vernichtung aller persönlichen und politischen Freiheit in einemdringenden Appell zu einer einheitlichen Arbeiterfront zu bewegen.

Zu den Unterstützern des ersten Aufrufes im Juli 1932 gehörten unter anderem: AlbertEinstein, Erich Kästner, Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Ernst Toller und Arnold Zweig.

So mahnt die Geschichte des 2. Mai 1933, wie wichtig es ist, über weltanschauliche Grenzenhinweg die Gefahr faschistischer Gewalt frühzeitig und aufmerksam politisch zu bekämpfen.

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„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,habe ich geschwiegen,ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen,ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr,der protestieren konnte.“

Pastor Martin Niemöller

Hamelner Gewerkschaften und Parteien

V.i.S.d.P. Peter Kurbjuweit, DIE LINKE. Hameln-Pyrmont, Domeierstr. 6, 31785 Hameln