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Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der
‚Schulschar’ – über den Einfluss von Jugendbewegung und
Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
Hausarbeit zum 1. Staatsexamen
Universität Bremen
Fachbereich 12 – Erziehungswissenschaften
vorgelegt von:
Jeff Horstmann Violenstr.20 28195 Bremen Tel.: 0421-2761804 [email protected]
Bremen, 11.Dezember 2005
Referent: Prof. Reiner Ubbelohde
Koreferent: Prof. Bodo Voigt
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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1. Inhaltsverzeichnis
1. Inhaltsverzeichnis
2. Vorwort/ persönliche Motivation 1
3. Die deutsche Jugendbewegung 2
3.1. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg 3
3.1.1. Politische und kulturelle Hintergründe 3
3.1.2. Vom Wandervogel bis zur Freideutschen Jugend 4
3.2. Die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg 6
3.2.1. Politische und kulturelle Hintergründe 6
3.2.2. Von der Bündischen Jugend bis zur Hitlerjugend 7
4. Die Pfadfinderbewegung 11
4.1. Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung der internationalen Pfadfinderbewegung
11
4.2. Die Grundlagen der Pfadfinderbewegung 13
4.3. Pfadfindererziehung 16
5. Die Reformpädagogik 21
5.1. Einführung in die Reformpädagogik 21
5.2. Reformpädagogik und Jugendbewegung 24
5.3. Adolf REICHWEIN – Reformpädagoge mit jugendbewegter Sozialisation
27
5.3.1. A. REICHWEINs Lebenslauf 27
5.3.2. A. REICHWEINs jugendbewegter Lebenslauf 28
5.3.3. Jugendbewegte Einflüsse in A. REICHWEINs Pädagogik
29
6. Die Erlebnispädagogik 33
6.1. Einführung in die Erlebnispädagogik 33
6.2. Erlebnispädagogik und Pfadfindertum 37
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7. Die ‚bündischen’ Elemente 39
8. Der pädagogische Wert der beiden bündischen Haupt-Aktionen – das Lager und die Fahrt
42
8.1. Das Lager 42
8.2. Die Fahrt 44
8.3. Die Gruppe 46
8.4. Die Gruppenführung 48
8.5. Gemeinsamer pädagogischer Wert 50
8.5.1. Soziale Kompetenzen 50
8.5.2. Die Stille 53
8.5.3. Grenzerlebnisse 54
8.5.4. Naturerlebnisse
56
8.5.5. Internationalität 57
9. Die ‚Schulschar’ – ‚bündische’ Arbeit an der Schule 58
9.1. Außerschulische Unternehmungen 58
9.2. Fahrt und Lager an Schulen 61
9.3. Die ‚bündische’ ‚Schulschar’ in Form einer AG 62
9.3.1. ‚Schulschar’ 65
9.3.2. Heterogenität 66
9.3.3. Schulgemeinde 68
9.3.4. Die ‚Freie Pfadfinderschaft Obervieland’ – ‚Pfadfinder’-Schul-AG
69
10. Zusammenfassung/ Aussicht 72
11. Literaturverzeichnis 73
12. Anhang
Kurz-Chronik der ‚Freien Pfadfinderschaft Obervieland’ I-X
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2. Vorwort/ persönliche Motivation
Seit mehr als zwei Jahrzehnten bin ich Mitglied in einem christlich-bündisch geprägten
Pfadfinderbund, der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands e.V. (CPD1), habe dort
Gruppen (‚Sippen’) geführt und diverse Sippenführerschulungen und –rüsten geleitet,
Fahrten und Lager haben mich durch Deutschland und Europa geführt.
Mit dem nahenden Ende meines Studiums habe ich mich verstärkt mit der Fragestellung
beschäftigt, welche Arbeitsformen, Methoden und Erfahrungen ich aus meiner
‚bündischen’ Sozialisation in meinen Lehrerberuf mit hinübernehmen kann.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit der Herkunft der ‚bündischen’ Methoden,
Stile und Formen beschäftigen. Die ‚bündischen’ Elemente sind eine Mischung aus den
jugendbewegten Ideen des Wandervogels, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in
Wechselbeziehung zur damaligen Reformpädagogik stand, und der Pfadfindermethode,
die fast zeitgleich aus England kommend zu einer weltweiten Bewegung wurde und die
selben Grundzüge wie die Erlebnispädagogik aufweist. – Ich möchte einen Einblick in die
Entstehung der deutschen Jugendbewegung und Reformpädagogik, sowie in die
Entstehung des Pfadfindertums und der Erlebnispädagogik geben. Die Parallelen und
Schnittstellen der Jugendbewegung und Reformpädagogik einerseits und des
Pfadfindertums und der Erlebnispädagogik andererseits sollen kurz aufgezeigt werden.
Aus der Synthese der Jugend- und Pfadfinderbewegung zur ‚Bündischen Jugend’ in der
Weimarer Zeit möchte ich deren Arbeitsformen herausfiltern und anhand der beiden
Haupt-Aktionsformen – der (Wander-) Fahrt und des (Zelt-) Lagers – ihren pädagogischen
Wert herausarbeiten. In diesem Zusammenhang möchte ich prüfen, ob die Absichten und
Ziele dieser außerschulischen Jugendarbeit auch für die schulische sinnvoll ist.
In einem weiteren Schritt möchte ich schauen, inwieweit Fahrten und Lager im heutigen
schulischen Geschehen eingebettet sind.
Abschließend möchte ich in einem Kapitel eine Arbeitsgemeinschaft entwickeln – die
‚Schulschar’ –, die versucht, ‚bündisches’ Leben in die Schule zu holen.
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verzichte ich darauf, jeweils die weibliche und männliche Form niederzuschreiben. Es sind sowohl Männer als auch Frauen gemeint.
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3. Die deutsche Jugendbewegung
Die deutsche Jugendbewegung hatte ihren Ursprung gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu
Beginn des 20. Jahrhunderts. Es war einerseits die Zeit der großen Erfindungen, der
Industrialisierung und der rasanten Entwicklung im wirtschaftlichen Bereich, andererseits
ging ein sozialer Wandel damit einher, der Veränderung, Zukunftsängste und
Zivilisationsskepsis mit sich brachte. Es war die Epoche der Emanzipations- und
Reformbewegungen, z.B.
• im lebensreformerischen Bereich (Kleidungsreform, Freikörperkultur, Ernährungsreform, Vegetarismus, Antialkoholbewegung),
• im Arbeitsbereich (Genossenschaften, Bodenreform, Biologischer Landbau),
• im Bereich der Kunst und Kultur (Theaterreform und Laienspiel, Ausdruckstanz, Kunstgewerbebewegung),
• im religiös-spirituellen Bereich (Erneuerungsbewegungen in der protestantischen und katholischen Kirche, Anthroposophie),
• im Bereich der Erziehung und Bildung (Reformpädagogik, Arbeitslagerbewegung, Volksbildungs- und Volkshochschulbewegung, Kunsterziehungsbewegung, Jugendmusikbewegung, Landerziehungsheimbewegung) und
• im gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen2 Bereich (Frauen- und eben die Jugendbewegung)3.
Die deutsche Jugendbewegung selber gliedert sich in die bürgerliche und proletarische
Jugendbewegung, wobei ich auf die Historie der Arbeiterjugendbewegung (incl. der
‚Kinderfreunde’- Bewegung ab 19234) nicht näher eingehe, da es mir in erster Linie um die
Arbeitsweise und den Stil des Wandervogels, bzw. der bürgerlichen Jugendbewegung geht.
Die Emanzipations- und Reformbewegungen standen in vielfältiger Weise untereinander in
Verbindung und im Austausch. Laut GIESECKE5 ist eine ‚Bewegung’ stets „eine Reaktion
auf eine Situation, die als Krise erlebt wird.“ Wie erklärt sich nun die Vielzahl der
‚Bewegungen’ zum Ende der wilhelminischen Zeit und auch später in der Weimarer
Republik?
2 die „Gesellschaft“ als Sozialgebilde im Gegensatz zur sozialgewachsenen „Gemeinschaft“ 3 vgl. das Inhaltsverzeichnis in KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.5ff 4 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.120ff 5 s. ebenda, S.11
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3.1. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg
3.1.1. Politische und kulturelle Hintergründe
Deutschland war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einem großen wirtschaftlichen –
und damit einhergehend auch sozialen – Wandel unterzogen. Die rasante Industrialisierung
mit ihren neuen Technologien und ihren strukturellen Veränderungen in der Organisation der
Arbeit und die Verstädterung wandelten das Leben nachhaltig. Während 1870 noch zwei
Drittel der deutschen Bevölkerung in ländlichen Gemeinden wohnte, stieg der prozentuale
Anteil der Großstadtbewohner von 5% (1871) auf 21% im Jahre 1910, der Anteil der in der
Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Bewohner fiel von 50% auf 33%, der Anteil der
Arbeiter im industriellen und handwerklichen Sektor stieg hingegen deutlich an.6 Neue
Berufe, neue Lebensgewohnheiten, Wandel und Unruhe durchdrangen alle Lebensbereiche7.
Das gemeindlich-soziale, nachbarschaftliche Miteinander der dörflichen Struktur wich den
„unpersönlichen, auf Rechenhaftigkeit und materiellen Wachstum gegründeten Prinzipien der
Industrialisierung“8. Der neugegründete Mittelstand suchte noch nach seinem Platz in der
Gesellschaft, und jede soziale Klasse fühlte eine stete Unsicherheit in seinem Status. Man
versuchte, in dieser von Umbrüchen gekennzeichneten Welt überlieferte Formen und
Traditionen aufrechtzuerhalten, doch stellten sie sich im privaten und öffentlichen Leben
zunehmend nur noch als leere, innerlich hohle Hülsen dar. Die Jugend wandte sich
zunehmend gegen die patriarchiale und autoritäre Erwachsenenwelt mit ihrem militärischen
Untertanengeist.
Im Bürgertum entwickelte sich eine Spannung zwischen dem neuen Wirtschaftsbürgertum, als
Vertreter neuer Werte und Normen mit ihrer zweckrationalen Leistungsorientierung9, und
dem alten Bildungsbürgertum, die „die klassische Bildung als verbindlichen Wert an sich“10
betrachteten. Gerade das Bildungsbürgertum war für die ‚Kulturkritik’ besonders
empfänglich, da man sich durch die geistigen Werte eine Rettung vor dem Wirtschaftsgeist,
der Vermassung und Übertechnisierung erhoffte. Dabei setzten sie ihre Erneuerungshoffnung
– was in diesem Fall die Wiederherstellung der ‚alten’ Werte bedeutete, bzw. eine Reform,
die an diese Werte direkt ansetzte – auf die Jugend, denn sie sei „der Inbegriff von Zukunft,
der Aufbruch zu neuen Ufern, die Überwindung eines kranken und überalterten Systems.“11
6 vgl. GIESECKE, H. 1981 S.12ff 7 vgl. KLOSE, W. 1970, S.13 8 s. GIESECKE, H. 1981, S.12 9 vgl.: TREZIAK, U. 1986, S.9 10 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.13 11 vgl. MOGGE, Winfried „Jugendbewegung“, S.181-196 in KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.181
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In dieser historischen Phase entwickelte sich ein Bewusstsein, dass Jugend mehr sei als nur
eine biologische Durchgangsstation zwischen Kindheit und Erwachsensein. Sie war vielmehr
eine eigene und eigenwertige Lebensphase, für die sich besonders die Mitglieder der
deutschen Jugendbewegung emanzipatorisch einsetzten. Es waren „[...] jugendliche
Menschen und erwachsene Ideengeber, die sich über mehrere Generationen hinweg in
jugendkultureller Zusammengehörigkeit und elitärer Absonderung verstanden, dabei jedoch
eingebunden waren in lebensreformerischen und reformpädagogischen Zusammenhängen
und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen.“12
Die Jugendbewegung war eine Gegenbewegung gegen die aus unterschiedlichen Gründen von
Erwachsenen initiierte Jugendpflege. Konfessionelle, parteipolitische, berufliche und andere
Träger und Vereine wollte die Jugend vor „Verstädterung, Bindungslosigkeit,
Verwahrlosung, Kriminalität, ‚Sozialdemokratismus’“13 bewahren.
3.1.2. Vom Wandervogel bis zur Freideutschen Jugend
Ihren Ausgangspunkt nahm die Entstehung der bürgerlichen Jugendbewegung im Steglitzer
Gymnasium bei Berlin14. Eine kleine Stenographie-Schülergruppe unternahm mit dem
lehrenden Studenten Hermann HOFFMANN (1875-1955) als ‚primus inter pares’ ab 1896
Ausflüge in die nähere Umgebung und später mehrwöchige Fahrten in den Böhmerwald. 1900
verließ H. HOFFMANN Steglitz und der Schüler Karl FISCHER (1881-1941) übernahm die
Leitung der Fahrtengruppe. Da zur damaligen Zeit freie Schülervereinigungen verboten
waren, wurde mit der Unterstützung von Eltern, Lehrern und weiteren Fürsprechern der
Verein „Wandervogel, Ausschuss für Schülerfahrten“ (AfS) gegründet. Dieser bildete ein
Gegengewicht zur pflichtmäßigen Gebundenheit des Schulalltags zu bilden, sich durch freie
Bewegung zu kräftigen und sich durch Wanderungen mit der Schönheit der engeren und
weiteren Heimat bekannt zu machen.15
Die Idee des Schülerwanderns breitete sich schnell im deutschsprachigen Raum aus. Während
es 1902 150 Mitglieder gab, stieg die Zahl bis 1910 auf 8800 Mitglieder16 und bis zu weit
über 25000 kurz vor dem Ersten Weltkrieg17.
12 vgl. MOGGE, W. „Jugendbewegung“, 1998, S.181 13 vgl. ebenda, S.182 14 vgl.: KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.183ff + SEIDELMANN, K. 1966, S.26ff + TREZIAK, U.
1986, S.7ff 15 vgl. POHL, Max „Die Geburt des Wandervogels in Steglitz“, S.26-29 in SEIDELMANN, K. 1966 16 vgl. TREZIAK, U. 1986, S.6 17 vgl.: KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.189 „Die engeren Wandervögel-Bünde vor dem Ersten
Weltkrieg können für das Stichjahr 1914 dank einiger Statistiken auf etwa 25000 Jugendliche und 10000 Erwachsene als Führer oder in Eltern- und Freundeskreisen addiert werden.“
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Unabhängig vom Steglitzer Wandervogel gründete 1905 Knud AHLBORN den ‚Hamburger
Wanderverein’, der später zum ‚Bund Deutscher Wanderer’ wurde. Einen weiteren ähnlichen
Anfang nahm der ‚Schülerabstinentenbund Germania’, der 1902 unter dem Einfluss von
Hermann LIETZ (1868-1919) entstand.
Unterschiedliche Auffassungen und Arbeitsweisen führten innerhalb der
Wandervogelbewegung schon frühzeitig zu Spaltungen18. Die Gründe lagen zumeist in
Kontroversen und Konflikten in der Führungs- und Autoritätsfrage, in der Verpflichtung zur
Alkohol- und Nikotinabstinenz, in der Aufnahme von weiblichen Mitgliedern19, sowie später
im Miteinander der Generationen.
Der Großteil der Wandervögel kam aus dem Bildungsbürgertum. Die der Schule
entwachsenen Jugendbewegten gründeten an den Universitäten neue akademische
Verbindungen20, in denen Idee und Stil jugendbewegter Gemeinschaften fortlebte21.
Das eigentlich Neue an der Jugendbewegung war, dass die Jugendlichen die Wochenenden
und Ferien für gemeinsame Wanderfahrten ohne Aufsicht der Erwachsenen durchführten,
dabei bewusst auf jeglichen Komfort verzichteten, sich dabei eine romantische Welt schufen
und sich einen Freiraum ausbauen könnten, der die Möglichkeit bot, die Lebensweise des
Bürgertums kritisch zu betrachten. Die Fahrten brachten den städtischen Kindern die Natur
näher und die Gebräuche, Sitten und Traditionen der ländlichen Bevölkerung. Man kreierte
eine eigene Lebensform, in dem sich ein eigener Kleidungsstil prägte, Volkslieder22 und
Volkstänze, Puppenspiel und Theater aufgenommen wurden. Man kochte selber und schlief in
der Scheune oder unter freiem Himmel. War man nicht auf Fahrt, traf man sich zu
Nestabenden in eigenen Räumen. In einer Kleingruppe Gleichgesinnter herrschte ein
kameradschaftlicher Geist, und es bildete sich ein eigenes Wertesystem heraus.
Ein weiteres Novum war der Ruf nach einem eigenen ‚Jugendreich’, eine selbstbewusste
Forderung nach Jugendemanzipation. Höhepunkt der Jugendbewegung war das sogenannte
„Meißner-Fest“, das im Oktober 1913 bei Kassel von jugendbewegten, studentischen,
lebensreformerischen und reformpädagogischen Gruppierungen23 als Protestveranstaltung
gegen die ‚patriotische Parade-Veranstaltung’ des wilhelminischen Bürgertums anlässlich der
18 neue Wandervogel-Bünde waren u.a. „Steglitzer e.V.“ (1904), „Altwandervogel“ (1904), „Wandervogel
Deutscher Bund für Jugendwandern“ (1907), „Jungwandervogel“ (1910) 19 1905 wurde der „Bund der Wanderschwestern“ gegründet, 1914 der „Deutsche Mädchen-Wanderbund“ –
vgl. KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.184 20 u.a. „Deutsche Akademische Freischar“ (1907), „Akademische Vereinigung“ (1912) 21 s. KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.185 22 1909 erschien das Liederbuch: ‚Zupfgeigenhansel’, herausgegeben von Hans BREUER (1883-1918) 23 eingeladen haben: Deutsche Akademische Freischar, Deutscher Bund abstinenter Studenten, Deutscher
Vortruppbund, Bund deutscher Wanderer, Wandervogel e.V./ Jungwandervogel, Österreichischer Wandervogel, Germania - Bund abstinenter Schüler, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden, Landschulheim am Solling, Akademische Vereinigung Marburg und Jena, Serakreis, Burschenschaft Vandalia..
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100 Jahr-Feier der Völkerschlacht bei Leipzig durchgeführt wurde. Man formierte sich als
‚Freideutsche Jugend’, und knapp 2000 Personen nahmen am 1. Freideutschen Jugendtag teil.
Trotz unterschiedlicher eigener Schwerpunkte gelang es mit der „Meißner-Formel“, ein
gemeinsames Wollen zu formulieren: „Die freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.“24
Während der Wandervogel eher nach neuen geistigen Werten suchte, wollte die Freideutsche
Jugend diese Suche mit kulturreformerischen Versuchen, einer bewussten Autonomie und der
Idee der Selbsterziehung fortsetzen. So war die „Meißner-Formel“ auch kein konkretes
Programm. Die gemeinsame Bestrebung der Freideutschen Jugend wurde aber mit dem
Beginn des Ersten Weltkrieges nahezu beendet. Von den 15000 freideutschen
Kriegsfreiwilligen fielen 9000. Nach dem Krieg zeigten sich offen Spannungen zwischen dem
linken und dem völkischen Lager, und 1923 fand das letzte Treffen der Freideutschen Jugend
statt.
Den Wandervogel und die Freideutsche Jugend bezeichnet man als die erste Phase der
deutschen Jugendbewegung.
3.2. Die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg
3.2.1. Politische und kulturelle Hintergründe
Der verlorene Erste Weltkrieg hat nicht nur viele Menschenleben gefordert und zu einem
wirtschaftlichen Chaos geführt, sondern auch einen ideellen Schaden hinterlassen25. Mehrere
Krisen suchten die Weimarer Zeit heim: Besetzung des Ruhrgebiets, Inflation, fehlende
Zukunfts- und Altersversorgungen, Massenarbeitslosigkeit in der zweiten Hälfte der 20er
Jahre. Auch die neu entstandene Demokratie der Weimarer Republik wurde skeptisch
betrachtet. „Demokratisches Denken und demokratische Vorstellungen und Werte hatten in
Deutschland so gut wie keine Tradition...“26, so gab es viele unterschiedliche Deutungen und
Vorstellungen, was ‚Demokratie’ eigentlich war. Es gab zwar eine gemeinsame
demokratische Verfassung, dennoch wurde ein „ideologisches Warenlager ohne jegliche
24 s. GIESECKE, H. 1981, S.22 + KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.186 25 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.81ff 26 s. ebenda, S.83
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Orientierung“27 geboten. Es fehlte die Möglichkeit der unmittelbaren Identifikation, und es
entstand eine Sehnsucht nach ‚Gemeinschaft’. ‚Volksgemeinschaft’,
‚Gemeinschaftserziehung’ waren weit verbreitete Vokabeln.
Die Jugend wurde weiterhin als Zukunfts-Heilbringer betrachtet und wurde von allen
politischen, konfessionellen und gesellschaftlichen Lagern umringt. Die Jugendarbeit wurde
bunter, vielfältiger und größer. Während die Jugendbewegung bis zum 1. Weltkrieg nur eine
Erscheinung am Rande war, verbreitete sich diese „Erfindung der Jugendbewegung
hinsichtlich eines jugendgemäßen Lebensstils“28 in der ganzen Jugendarbeit – auch im
jugendpflegerischen Bereich, der in erster Linie von Erwachsenen gesteuert wurde. Eine
Politisierung der Jugendarbeit und damit der Jugendbewegung und der Jugendgruppen ging
damit einher.
Anfang 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht, und alle Jugendbünde und
Jugendverbände wurden verboten. Sie sollten in die Staatsjugend überführt werden: der
Hitlerjugend29 – vorher ein unbedeutender Bund von vielen.
3.2.2. Von der Bündischen Jugend bis zur Hitlerjugend
Die zweite Phase der deutschen Jugendbewegung ist die sogenannte ‚bündische’ Phase.
Die Übernahme der jugendbewegten Erlebniswelt in die Jugendarbeit – u.a. auch in die
Arbeiterjugendbewegung und in konfessionelle Gruppen –, die Kriegserlebnisse der
Jugendbewegten, das Kennenlernen und der Austausch der Wandervögel mit den Pfadfindern
in den Schützesgräben des Ersten Weltkriegs, der Verlust vieler Kameraden, der intensive
Wunsch nach einer geistigen Gemeinschaft und das Bedürfnis nach Bindung veränderte das
Gesicht der Jugendbewegung. Das Romantisch-Irrationale und Unreflektierte30 als
Selbstzweck des Wandervogels geriet in den Hintergrund, stattdessen hatte man zum Ziel,
„zur Einigung des Volkes und zur Errichtung eines ‚neuen Reiches’ beizutragen.“31
Gesellungsform des neues Reiches sollte der ‚Bund’ sein, ein freiwilliger Zusammenschluss
aufgrund gleicher geistiger Werte in Form von Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. In der
Weimarer Zeit entstanden nun unzählige Bünde mit unterschiedlichen reformerischen,
politischen, pädagogischen und ideologischen Schwerpunkten.
27 s. ebenda, S.84 28 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.87 29 incl. der Untergliederungen: Jungvolk (JV), Jungmädelbund (JM) und Bund Deutscher Mädel (BDM) 30 vgl.: KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.186 31 s. TEZIAK, U. 1986, S.12
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Nicht nur Wandervogel-Bünde veränderten ihre Arbeitsweise, auch innerhalb der deutschen
Pfadfindergruppen kam es zu nachhaltigen Reformbestrebungen. Bisher am internationalen
Pfadfindertum (‚Scoutismus’) orientiert und den deutschen Verhältnissen angeglichen, gab es
innerhalb des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB) ab 1920 Kreise, deren Vorstellungen im
frühen Wandervogel wurzelten, und die Stile des Woodcraft-Pfadfindertums von John
HARGRAVES32 (1894-1982) übernahmen, was zur Folge hatte, dass eine Überprüfung der
bisherigen Arbeitsweisen, Erziehungsgebiete und -ziele und Führerstand zur Folge hatte33.
Einige Gruppen um Martin VOELKEL (1884-1950) spalteten sich als Neupfadfinder ab.
„Das neue Reich, die ‚neue Volkswerdung’ wird als Ziel solchen Wollens aus dem Geist der
Jugendgemeinschaft verstanden. In diesem Sinne gestalten sie Lebensform in Bund und
Stamm.“34 Die Neupfadfinder und besonders die ‚Bundesidee’35 hatte einen großen Einfluss
auf die Bünde der Jugendbewegung und -pflege. Der ‚Bund’ war ein „freiwilliges
Zusammenfinden unter einem aus ihrer Reihe stammenden Führer, mit dem Ziel, ein
eigengesetzliches Leben außerhalb der Erwachsenenwelt zu führen.“36 Der ‚Bund’ als
Sozialform war letztlich Namensgeber für die ‚Bündische Jugend’, die wiederum
Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Bünde mit verschiedenen politischen
Auffassungen, Positionen und Ideologien war. Für den Jugendlichen war der Grund sich
einem Bund anzuschließen „nicht Ideen, Ziele und Zwecke [...], sondern die Suche nach dem
Alters- und Schicksalsgenossen.“37
Mit weiteren reformorientierten Wandervogel- und Pfadfinderbünden gründete man 1926 den
‚Bund der Wandervögel und Pfadfinder’, der sich ein Jahr später in die ‚Deutsche Freischar’
umbenannte. In der Deutschen Freischar „[...] mündeten die erzieherisch wichtigsten
geschichtlichen Strömungen der Wandervögel und Pfadfinder in einem gemeinsamen Strom
zusammen, beide mit einer Fülle von Erfahrungen und innerlicher Tradition.“38
Innerhalb der Freischar bildete sich 1929 unter Eberhard KOEBEL (1907-1955) – genannt
‚tusk’ – die sogenannte Jungenschafts-Richtung aus. Seine ‚autonome deutsche jungenschaft,
32 John HARGRAVE wurde 1920 aus der englischen Pfadfinderbewegung ausgeschlossen, nachdem er
gegen die zunehmende Militarisierung und den Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg protestiert hatte. Bis dahin bekleidete er hohe Ämter bei den englischen Pfadfindern. Sein Ziel war der Weltfrieden und die Erneuerung des Stadtmenschen durch das Leben in der Natur. Sein indianisch beeinflusstes ‚Kibbi Kift’-Pfadfinderkonzept war eng mit der amerikanischen ‚Woodcraft’-Bewegung verwandt, die sich als Erziehungsbewegung verstand, basierend auf dem Leben in Zeltlagern, dem Naturerlebnis und den handwerklichen Tätigkeiten. HARGRAVE führte die Stammeserziehung ein, in der sich die Jugendlichen in ihren Gruppen gegenseitig erziehen sollten, wo der Erwachsene nur noch einen geringen Einfluss hatte. Stammeserziehung und das Lager waren für ihn die eigentlichen Orte der Erziehung in der Pfadfinderbewegung.
33 vgl. EHRENTHAL, G. „Die freie Jugendbewegung bis 1928“, S. 7-15 in SEIDELMANN, K. 1966, S.11 34 vgl. ebenda, S.11 35 vgl. MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.73 36 s. TEZIAK, U. 1986, S.16 37 s. RAABE, F. 1961, S.45 38 s. EHRENTHAL, G. in SEIDELMANN, K. 1966, S.12
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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gegründet am 01.11.192939’ – kurz: ‚dj.1.11’ – wollte die Jugendbewegung von innen heraus
verändern, erteilte den erwachsenen Führern eine deutliche Absage, forderte einen
Jungenstaat ohne parteipolitische und weltanschauliche Bindung und sollte rein zur
Selbstverwirklichung der Jugend dienen.40 Die jungenschaftliche Lebensform gab der
Bündischen Jugend nochmal einen Impuls in Richtung Eigenverantwortlichkeit; die
jungenschaftliche Form wirkte attraktiv auf die Bünde, und ihr Stil, wie das Feuerzelt – die
sogenannte ‚Kohte’ – die Jungenschaftsjacke, das Liedgut aus Osteuropa und das elitäre
Bewusstsein, wurde vielfach übernommen41.
Die kurze, aber dynamische Phase der Jungenschaften – sie wird in einigen Publikationen
auch als dritte Phase der deutschen Jugendbewegung bezeichnet – endete mit der
Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Per Erlass wurde die Hitlerjugend die
einzige Jugendorganisation. Alle anderen Jugendbünde und -verbände wurden verboten,
aufgelöst oder traten der Hitlerjugend bei. Konfessionelle Jugendgruppen konnten unter dem
Dach der Kirche noch etwas länger eigenständig existieren. Durch einen Staatsvertrag
zwischen der evangelischen Kirche und der Hitlerjugend musste z.B. evangelische Gruppen
erst 1934 ihre unter 18-jährigen Mitglieder entlassen und in die HJ überführen42. Katholische
Jugendgruppen existierten noch bis 1937/38. Sie konnten durch den Abschluss des
‚Konkordats’ zwischen dem Vatikan und der nationalsozialistischen Regierung zunächst ihre
Eigenständigkeit bewahren. Die katholische Jugendbewegung konnte sogar die Zahl seiner
Mitglieder zu Beginn der NS-Zeit steigern, u.a. traten viele Bündische aus inzwischen
verbotenen Gruppen und Bünden den katholischen Gruppen bei43.
Gerade der Zuspruch aus den Reihen der Bündischen Jugend dem Nationalsozialismus und
dem ‚Dritten Reich’ gegenüber war groß, da sie wie das deutsche Bürgertum – aus dessen
Kreise weiterhin die Mitglieder kamen – und ein großer Teil des Zeitgeistes völkische, anti-
demokratische Positionen vertraten. Die Bündische Jugend war ein Spiegelbild der
Gesellschaft; es mangelte hier an demokratischen Traditionen44. Man wollte sich in den
Dienst des neuen Reiches stellen. Während das Wandervogel- und Freideutschtum eher zum
Republikanischen, Antiautoritären, Liberalen und Linken tendierte, trat die Bündische Jugend
mit ihren innerbündischen Struktur- und Lebensformen mit dem Anspruch auf, „Muster für
eine ‚volkliche’ Ordnung“ zu sein.45 Pädagogisch und menschlich war der ‚Bündische’ zwar
anders gesinnt, aber die NSDAP hatte ihn leicht einfangen können46. Die Unduldsamkeit, der
39 die Kleinschreibung in jungenschaftlichen Texten orientierte sich an der ‚Bauhaus’-Kunstbewegung. –
vgl. MALZACER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.105 40 vgl. TEZIAK, U. 1986, S.21 41 vgl. MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.103ff 42 vgl. CECONI, C./ FABIAN, B./ HAHN, T. 2003, S.187 + vgl. DUCKSTEIN, W. 1989, S.19ff 43 vgl. DPB-Jungenschaft Schwarzer Adler 1996, S. 24ff 44 vgl. TREZIAK, U. 1986, S.64 45 vgl. KLÖNNE, A. 1995, S.98 46 vgl. ebenda, S.102
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
13
Zwang, die Intoleranz, die einseitige politische Ausrichtung und der totalitäre Anspruch
waren dem freien Jugendbewegten jedoch eher fremd47.
Dennoch bot Bündische Jugend der neuen Staatsjugend diverse Anknüpfungspunkte in
Bereichen der Arbeitsform, Aktivitäten, Ideologie und im Personal. „Ein Großteil der
Methoden und Gestaltungsmittel der NS-Jugendarbeit, der Gruppenformen und des
Verbandsaufbaus der HJ hatte im Bündischen seinen Ursprung.“48 Es wurden Fahrten und
Lager unternommen, Heimabende und Geländespiele durchgeführt, das Führungs-
Gefolgschafts-Prinzip übernommen, sowie Teile des Liedgutes und des Sprachgebrauchs,
doch wurden ihre Inhalte und ursprünglichen pädagogischen Prinzipien verändert. Auch
Schlüsselworte der damaligen Zeit, wie Führer und Gefolgschaft, Volk und Reich, Ehre und
Treue, Nation und Sozialismus oder Volksgemeinschaft hatten in der Jugendbewegung und
im Nationalsozialismus keine identische Vorstellung, zumal man in der Jugendbewegung
selber schon auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen war49. Die Schlüsselwörter waren
vielmehr Worthülsen, die je nach gewünschtem Ziel mit unterschiedlicher Bedeutung gefüllt
wurden. „Der Bündische wurde zum Volksgenossen, nicht zum Staatsbürger erzogen. Die
politischen Vorstellungen der Bünde kreisten aus diesem Grund immer wieder um den
Gedanken des Volkes, des Volkstums und der Volksgemeinschaft.“50 Der Volksgedanke
gründete sich z.B. auf die Fahrtenerlebnisse in der Heimat, wo man die Verbundenheit mit
dem Volk pflegte und man sich als Teil dieser Volksgemeinschaft sah.
Trotz des Erfasstwerdens von einem Rausch zur „nationalen Erhebung“51 stand man der
NSDAP als Partei und Organisation skeptisch gegenüber, und der Aufgabe der eigenen
Autonomie versuchte man sich auf unterschiedlichen Wegen zu widersetzen. Sei es durch
Unterwanderung der Hitlerjugend, indem man mit der alten Gruppe ein eigenes HJ-Fähnlein
bildete – besonders das Jungvolk war bis 1936 bündisch geprägt und durchsetzt –, sei es
durch Versuche, den Wert der eigenen Gruppe für den Nationalsozialismus zu verdeutlichen52
oder durch das Weiterführen der Gruppe in der Illegalität53.
47 vgl. KNEIP, R. 1976, S.19 48 s. KLÖNNE, A. 1995, S.102 49 vgl. ebenda, S.103ff 50 s. RAABE, F. 1961, S.115 51 s. KLÖNNE, A. 1995, S.103 52 so schrieb der Bruder Karl OELBERMANN des Bundesführers des Nerother Wandervogels in einem
Rundschreiben am 24.März 1933: „So wie damals Robert [OELBERMANN] unser Führer war, hat heute unser geliebtes Deutschland in Adolf Hitler seinen Führer gefunden. Wir bekennen uns zu ihm und seinen Fahnen.“ Man folgte der Strategie, sich Regierungsfromm zu zeigen, um möglichst lange legal weiter bestehen zu dürfen. Vergebens. Der Bund löste sich am 23.Juni 1933 selber auf. – Der Nerother Wandervogel war neben der dj.1.11 der massiv verfolgteste Bund seitens der Nationalsozialisten, weil der Autonomie-Gedanke in beiden Bünden am ausgereiftesten war. – vgl. MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.127ff
53 s. hierzu: KLÖNNE, A. 195, S.143ff + MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.130ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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4. Die Pfadfinderbewegung
Das Pfadfindertum ist eine internationale Bewegung mit derzeit mehr als 28 Millionen
Mitgliedern weltweit54. Die Entstehung vor knapp 100 Jahren ist eng mit dem Leben des
Gründers Lord BADEN-POWELL verknüpft. Das deutsche Pfadfindertum hat in der Historie
einen eigenen Weg eingeschlagen. Alle Pfadfindergruppen basieren auf den selben
Grundlagen, und der Scoutismus versteht sich als Erziehungsmethode.
4.1. Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung der internationalen Pfadfinderbewegung
Lord BADEN-POWELL55 wurde am 22. Februar 1857 als achtes von zehn Kindern in
London geboren. Im Alter von zwei Jahren verstarb sein Vater. 1870 trat er in die
Charterhouse-Schule ein, die drei Jahre später aufs Land übersiedelt, wo BADEN-POWELL
die Kunst der Waldläufer für sich entdeckte, indem er sich in den Wäldern beim
‚Schulschwänzen’ vor den Lehrern versteckte. 1876 begann er eine militärische Laufbahn und
übernahm in Indien die Ausbildung der jungen Soldaten. Er sprach sich gegen die bisherigen
Drill-Methoden aus und ersetzte sie durch sportliche und kulturelle Aktivitäten. Ab 1888
kämpfte er in Afrika für die britische Krone. In den Jahren 1899 und 1900 verteidigte er
sieben Monate lang die südafrikanische Stadt Mafeking gegen die zahlenmäßig weit
überlegenden Buren. Er setzte Jugendliche für Meldedienste ein und organisierte sie in
kleinen Gruppen, die gut und flexibel operierten56. Er trainierte sie in Spurenlesen, im
Umgang mit Karte und Kompass und in Survival-Techniken. BADEN-POWELL erkannte
dabei, dass junge Leute Gutes leisten, wenn man ihnen Verantwortung überträgt. Im selben
Jahr veröffentlichte er das Buch „Aids to scouting“57 für Soldaten, das aber auch in England
bei der Erziehung an Jungen- und Mädchenschulen genutzt wurde. 1902 und 1903 kümmerte
er sich um die Organisation der südafrikanischen Polizei.
Nach England zurückgekehrt wurde er aufgrund der Mafeking-Verteidigung als Held
empfangen. Seine Eindrücke, die er in der Arbeit mit jungen Menschen machte, und der
Erfolg seines Militär-Buches veranlassten ihn, die gesammelten Erfahrungen unter
Friedensbedingungen umzusetzen. So lud er 1907 22 Jungen aus verschiedenen
Gesellschaftsschichten zu einem mehrwöchigen Probelager auf Brownsea-Island ein.
54 „There are more than 28 million Scouts, youth and adults, boys and girls, in 216 countries and
territories“ – vgl. www.scout.org, Juni 2005 55 sein ‚vollständiger’ Name lautet: Robert Stephenson Smyth BADEN-POWELL, Lord of Gilwell – vgl.
Pfadfinderbund Bayern e.V. 1991, S.9ff 56 CECONI, C./ FABIAN, B./ HAHN, T. 2003, S.182 57 dt. ‚Handbuch zur Pfadfinderei’
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Eingeteilt in mehreren Gruppen, denen jeweils einer aus ihrer Reihe als Leiter vorstand, und
gekleidet in einer gemeinsamen Uniform, spielten und bauten sie auf diesem Lager. Der
erfolgreiche Verlauf des Lagers veranlasste BADEN-POWELL, sein Soldaten-Erziehungs-
Handbuch zu überarbeiten; er veröffentlichte es 1908 als „Scouting for boys“. Die
Veröffentlichung führte zu einer großen Zahl von Pfadfindergruppen, die sich an diesem Buch
orientierten.
1910 trat er aus der Armee aus, um sich der Leitung und Koordination der weltweit
wachsenden Pfadfinderbewegung zu widmen. 1916 entstand die Wölflings-58 und
Pfadfinderinnenbewegung. Auf unzähligen Reisen durch die Länder warb er für seine Idee der
Jugendarbeit. Er verstarb am 08. Januar 1941 in der Nähe von Nairobi.
Mit der Veröffentlichung von „Scouting for boys“ gründeten sich nicht nur in England und
den britischen Kolonialländern Pfadfindergruppen, sondern auch weltweit. 1909
veröffentlichte Alexander LION das ins Deutsche übersetzte Buch „Das Pfadfinderbuch“, wo
er BADEN-POWELLs Scoutismus mit deutschen Tugenden verband. Aufgrund der gewollten
staatsbürgerlichen Erziehung fand diese Form der Jugendarbeit viele Fürsprecher in den
Reihen der Erwachsenen, und es kam zu Gruppengründungen.
Trotz der gemeinsamen Grundlage (Gesetz, Versprechen, Arbeitsweise etc.) aller Pfadfinder
weltweit konnte sie nicht verhindert, dass sich die Pfadfinder als Soldaten im Ersten
Weltkrieg gegenüberstanden. Die Erlebnisse gaben der Bewegungen einen Impuls zu mehr
Internationalität und gemeinsamer Solidarität.
Das deutsche Pfadfindertum nahm nach dem Ersten Weltkrieg einen eigenwilligen Weg,
indem Teile der deutschen Pfadfinder mit dem Wandervogel zur Bündischen Jugend
verschmolzen.
Heute gibt es nahezu in jedem Land Pfadfinder59, die i.d.R. in einen männlichen60 und
weiblichen61 Verband organisiert sind. In keinem Land findet man eine solch zersplitterte
Pfadfinderbünde-Landschaft vor wie in Deutschland62, was darauf zurückzuführen ist, das
sich die westdeutschen Bünde der Nachkriegszeit auf scoutistische oder jugendbewegte
Wurzeln berufen, bzw. auf eine Mischform. Zum Teil fließen auch konfessionelle Grundsätze
58 Pfadfinder-Vorstufe für 8 bis 11-Jährige 59 einige kommunistische und totalitäre Systeme bilden hier eine Ausnahme 60 weltweit im WOSM organisiert: World Organization of Scout Movement – vgl. STRUNK, P. 1995, S.167 61 weltweit im WAGGGS organisiert: World Association of Girl Guides und Girl Scouts – vgl. STRUNK, P.
1995, S.171 62 von diesen weit über 150 Pfadfinderbünden sind nur drei international anerkannt, die sich zum Ring
deutscher Pfadfinderverbände zusammengeschlossen haben. Dazu gehören der interkonfessionelle Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP), die katholische Deutsche Pfadfinderschaft St.Georg (DPSG) und der evangelische Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP).
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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mit hinein. Besonders gegen Ende der 60er Jahre/ Anfang der 70er Jahre mit dem
einhergehenden gesellschaftlichen Wertewandel führte die Auseinandersetzung zwischen
traditionellen und eher progressiven Ideen in der Pfadfinderarbeit zu einer weiteren
Zersplitterung. In Ostdeutschland blieb die Pfadfinderarbeit verboten, doch orientierte sich die
staatliche Pionierarbeit63 an der Pfadfinderbewegung64, Formen und Inhalte bezog man ferner
aus der nationalen und internationalen Arbeiterjugendbewegung65.
Eine angemessene nähere Ausarbeitung zur Nachkriegs-Geschichte der (Pfadfinder-) Bünde
kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden.
4.2. Die Grundlagen der Pfadfinderbewegung
Die weltweite Pfadfinderarbeit basiert auf den selben Grundlagen. Auch wenn das
Pfadfindertum in unterschiedlichen Stilen und Formen vorkommt – je nach dem Bedürfnis der
jeweiligen Gesellschaft –, sind der Zweck, die Pfadfinderprinzipien und die
Pfadfindermethode verbindliche Elemente für die Mitgliedschaft im Weltbund.
Der Scoutismus bezeichnet sich selbst bewusst als eine ‚Bewegung’66 und ist Veränderungen
unterworfen. So müssen Begrifflichkeiten und Formulierungen stets im Kontext der Zeit
betrachtet werden. Da der Scoutismus ein handlungsorientierter Ansatz ist, bekommen die
formulierten Ideale und Methoden erst Gültigkeit, wenn sie „von der jungen Generation mit
einem neuen, der Zeit entsprechenden Geist belebt werden.“67
Der Zweck der Pfadfinderbewegung ist: „zur Entwicklung junger Menschen beizutragen,
damit sie ihre vollen körperlichen, intellektuellen, sozialen und geistigen Fähigkeiten als
Persönlichkeiten, als verantwortungsbewusste Bürger und als Mitglieder ihrer örtlichen,
nationalen und internationalen Gemeinschaft einsetzen können.“68 Dieser ganzheitliche
Ansatz soll ergänzend zu den herkömmlichen Erziehungseinrichtungen wie Familie, Schule,
Kirche und Umwelt bei der Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen wirken.
Durch die drei Grundprinzipien soll eine gemeinsame Verhaltens- und Werte-Ebene
geschaffen werden. Sie lauten69:
63 die ‚Freie Deutsche Jugend’ (FDJ), die jedoch nichts mit der ‚Freideutschen Jugend’ gemein hat! 64 vgl. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hrsg.), 1952 65 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.222 66 Zitat: BADEN POWELL „We are a Movement, not an Organization“ in GERR, H.E. 1998, S.35 67 s. GERR, H.E. 1998, S.15 68 s. VCP (Hrsg.) 1996, S.18 + WOSM (Hrsg.) 1994, S.6 69 vgl. VCP (Hrsg.) 1996, S.18ff + GERR, H.E. 1998, S.13
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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1. die Pflicht gegenüber Gott (und seiner Schöpfung)
Es ist weniger der Glaube an einen bestimmten Gott gemeint, sondern eher die persönliche Auseinandersetzung mit den geistigen und spirituellen Werten der Welt. Das Pfadfindertum soll dabei behilflich sein, über die materialistische Welt hinauszuschauen, um zu erkennen, dass jeder Pfadfinder Teil eines größeren Ganzen ist und Verantwortung für dieses trägt.
2. die Pflicht gegenüber Dritten
Als Teil einer Gemeinschaft und Gesellschaft soll sich der Pfadfinder für den Erhalt und die Weiterentwicklung dieser einsetzen. Der Respekt vor den Mitmenschen, der Einsatz für das Verständnis untereinander und der schonende Umgang mit der Umwelt sind Grundzüge dieses Prinzips.
3. die Pflicht gegenüber sich selbst
Jeder Pfadfinder hat für seine eigene persönliche Entwicklung Sorge zu tragen. Die Pfadfinderidee und -methode sollen ihn bei der Ausbildung seiner Persönlichkeit unterstützen.
Die drei Prinzipien, die sich auf der geistigen, sozialen und persönlichen Ebene befinden,
werden in den Pfadfindergesetzen und im Pfadfinderversprechen wieder aufgegriffen. Die
drei ausgestreckten Finger des Pfadfindergrußes70 erinnern ebenso wie die drei Blätter der
Lilie71 an diese Prinzipien.
Die Pfadfindermethode umfasst folgende Unterpunkte, wobei kein einzelner für sich stehen
kann; erst in der Kombination aller kann man von der pfadfinderischen Methode sprechen:
• Das Pfadfindergesetz und -versprechen72:
70 die drei mittleren Finger der rechten Hand werden gestreckt, während sich der Daumen auf den kleinen
Finger legt – „Der Große schützt den Kleinen!“ 71 die Lilie ist das internationale Symbol der männlichen Pfadfinder; weibliche Pfadfinder haben ein
Kleeblatt als Zeichen – ebenfalls mit drei Blättern! 72 Eine alte deutsche Übersetzung des englischen Gesetzes von 1923 lautet (s. GERR, H.E. 1996, S34):
1. Auf eines Pfadfinders Ehre ist Verlaß. 2. Ein Pfadfinder ist treu dem König, seinem Lande, seinen Führern, seinen Eltern, seinen Meistern und
Untergebenen. 3. Eines Pfadfinders Pflicht ist es, sich nützlich zu erweisen und anderen zu helfen. 4. Ein Pfadfinder ist der Freund aller und jedem anderen Pfadfinder ein Bruder, gleichgültig zu welcher
Gesellschaftsklasse der andere gehört. 5. Ein Pfadfinder ist höflich. 6. Ein Pfadfinder ist ein Freund der Tiere. 7. Ein Pfadfinder gehorcht ohne Widerrede seinen Eltern, seinem Patrouillenchef oder Feldmeister. 8. Ein Pfadfinder lächelt und pfeift bei allen Schwierigkeiten. 9. Ein Pfadfinder ist sparsam. 10. Ein Pfadfinder ist sauber in Gedanken, Wort und Tat.
Eine aktuelle Formulierung des Pfadfindergesetzes der Deutschen Pfadfinderschaft St.Georg (DPSG) von 2005 lautet (s. www.dpsg.de).
Als Pfadfinderin…/ Als Pfadfinder… …begegne ich allen Menschen mit Respekt und habe alle Pfadfinder und Pfadfinderinnen als
Geschwister. …gehe ich zuversichtlich und mit wachen Augen durch die Welt. …bin ich fröhlich und helfe da, wo es notwendig ist.
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Die zehn von BADEN-POWELL formulierten Pfadfindergesetze basieren auf christlichen Grundwerten und -regeln, erleichtern das Leben in der Gruppe und geben einem Orientierung. Diese ethischen Forderungen wurden in die jeweiligen Landessprachen übersetzt – eng am Original angelehnt. Durch die Verinnerlichung dieser scoutistischen Normen soll es zu einer Lebenseinstellung werden. „Once a Scout, always a Scout!“73 – Wer in eine Pfadfindergruppe aufgenommen werden will, muss der Gruppe gegenüber ein freiwilliges Versprechen ablegen; eine Beliebigkeit scheidet aus. Durch das Versprechen gibt der junge Mensch eine Verpflichtung ab, sich an die Pfadfinderprinzipien zu halten. Diese persönliche Verpflichtung hat eine große selbsterzieherische Wirkung74.
Die Formulierung des deutschen Pfadfindergesetzes unterscheidet sich in den einzelnen Bünden erheblich. Inhaltlich sind sie zwar identisch, doch werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Das Gesetz wurde im Laufe der Jahrzehnte stets umformuliert und der jeweiligen Zeit angepasst und auch hier mit neuen Schwerpunkten belegt. So werden seit einigen Jahrzehnten z.B. Autoritäten kritisch hinterfragt und es wird zu mehr Eigeninitiative aufgerufen. Ein genauerer Vergleich der unterschiedlichen Formulierungen in den Pfadfinderbünden durch die einzelnen historischen Epochen würde eine eigenständige Examensarbeit vom Umfang her bedeuten.
• Die kleine Gruppe:
Eine Pfadfindergruppe sollte i.d.R. aus 6 bis 8 Jungen (Mädchen) bestehen, die von einem wenig älteren Pfadfinderleiter geführt werden. Jeder einzelne trägt Verantwortung innerhalb der und für die Gruppe. Jeder bringt sich mit seinen Interessen und Fähigkeiten für das Wohl der Gruppe ein. Die kleine Gruppe gewährleistet ein bestmögliches Kennenlernen untereinander. I.d.R. sollte eine Pfadfindergruppe altershomogen sein!
• Learning by Doing:
Das Prinzip „Lernen durch eigenes Handeln“ hat sich mittlerweile in vielen Bereichen der (Erlebnis-)Pädagogik durchgesetzt. Bei den Pfadfindern ist es eine grundsätzliche Methode. Durch eigenes Probieren, Beobachten, Experimentieren und Erleben soll das Kind seine Fähigkeiten und Kenntnisse erweitern. BADEN-POWELL betont selber75: „Ein Junge ist immer eher bereit etwas zu tun, als darüber zu reflektieren.“
• Erlebnispyramide:
Das Programm wird dem Alter des Kindes angepasst. Hinzu kommt eine allmähliche Steigerung der Erlebniswelt. Die Kombination aus Spiel, dem Erwerb von handwerklichen und geistigen Techniken, sowie der Dienst an der Gemeinschaft und die steigenden Herausforderungen bei den Gruppen-Aktivitäten – vom Wochenendlager zur mehrwöchigen Großfahrt – gewährleisten eine anspruchsvolle und ganzheitliche Erziehung.
…mache ich nichts halb und gebe auch in Schwierigkeiten nicht auf. …entwickle ich eine eigene Meinung und stehe für diese ein. …sage ich, was ich denke, und tue, was ich sage. …lebe ich einfach und umweltbewusst. …stehe ich zu meiner Herkunft und zu meinem Glauben.
73 s. GERR, H.E. 1996, S.35 74 vgl. GERR, H.E. 1998, S.59 75 BADEN-POWELL, R. (1996), S.23
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Hinzu kommt noch:
• die Kluft:
Um die Standes-Unterschiede äußerlich zu verwischen und alle einheitlich erscheinen zu lassen, hat BADEN-POWELL eine Kluft eingeführt (Hemd und Halstuch). Jeder soll aufgrund seiner Fähig- und Fertigkeiten beurteilt werden und nicht aufgrund seiner sozialen Herkunft. Darüber hinaus stärkt sie das Gruppengefühl, ist Bekenntnis zur internationalen Pfadfinderidee und eine Identifikation mit ihren Zielen.
4.3. Pfadfindererziehung
Schon die heutige Definition der Pfadfinderbewegung zeigt, dass sie sich als
Erziehungsbewegung versteht: „[Die Pfadfinderbewegung ist] eine freiwillige, nicht-
politische Erziehungsbewegung für junge Leute, die offen ist für alle, ohne Unterschiede von
Herkunft, Rasse oder Glaubensbekenntnis, übereinstimmend mit dem Zweck, den Prinzipien
und der Methode, die vom Gründer der Bewegung entwickelt wurden.“76
Obwohl nicht aus dem pädagogischen Bereich kommend, verfolgt BADEN-POWELL in der
Gründungszeit Erziehungsziele. Dank seiner guten Menschenkenntnis, seiner
Beobachtungsgabe und seiner Fähigkeit, sich auf neue Situationen spontan einzustellen,
gelang es ihm, ein Erziehungsmodell zu entwickeln, das weitreichende Impulse in den
außerschulischen und familiären Bereich hineintrug.
Dieselben negativen Auswirkungen der Industrialisierung – Naturentfremdung,
Verkümmerung der emotionalen Kräfte und der individuelle Fähig- und Fertigkeiten, der
Mangel an Streben nach Lebenserfahrung und das ‚überzivilisierte Leben’77 –, die in
Deutschland zur Wandervogel-Gründung führten, nahm auch BADEN-POWELL wahr und
setzte sein ‚Scouttraining’78 dagegen, das zu einem guten, nützenden Staatsbürger erziehen
sollte79.
Folgende vier Erziehungsziele hatte er im Blick:
• Erziehung zur Charakterstärke
76 s. VCP (Hrsg.) 1996, S.15 + WOSM (Hrsg.) 1994, S.4 77 vgl.: GERR, H.E. 1996, S.39 + GERR, H.E. 1998, S.13 78 vgl.: GERR, H.E. 1996, S.41 + GERR, H.E. 1998, S.17ff 79 Die ursprüngliche Zielsetzung, staatsbürgerliche und patriotische Tugenden zu entwickeln, muss im
historischen Zusammenhang gesehen werden, da sein Denken nicht frei vom imperialistischen Streben seines Landes war.
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
20
Er strebte in seiner Erziehung Eigenschaften wie Selbstlosigkeit, Mut, Ausdauer, Tatkraft, Selbstvertrauen, Ergebenheit, Ehrfurcht und -gefühl, Selbstzucht und Frohsinn an.
• Erziehung zu physischer Kraft und Gesundheit
Die gesunde körperliche und seelische Entwicklung des jungen Menschen hatte bei ihm einen zentralen Wert.
• Erziehung zu handwerklicher Geschicklichkeit
Das Erlernen handwerklicher Techniken, das Ausbilden eines technischen Verständnisses und künstlerisch-kreativer Ansätze waren in BADEN-POWELLs Modell wichtig. Es sollte auch der Berufsvorbereitung dienen80.
• Erziehung zur Dienstbereitschaft
Dieses Erziehungsziel beinhaltet BADEN-POWELLs primäres Wollen. „Ehrfurcht gegenüber Gott, gegenüber dem Nächsten und gegenüber sich selbst und die Bereitschaft und die Fähigkeit, der Gemeinschaft und dem Nächsten zu dienen, sind für ihn die zu entwickelnden Grundeigenschaften.“81
Erreicht werden sollte diese Erziehung durch die Pfadfindermethode.
Die scoutistische Erziehung orientierte sich stark am englischen Gentleman-Ideal, bzw. an
ritterlichen Tugenden und spiegelt den christlichen Wertekanon wieder. Ziele wie Ehre, Hilfs-
und Dienstbereitschaft, Treue zu Gott und dem König, Gehorsam, Höflichkeit und Reinheit
finden sich im Pfadfindergesetz und -versprechen wieder82.
In seinem Erziehungsmodell berücksichtigt er bewusst kindliche und jugendliche
Bedürfnisse83 und baut sie in seine Arbeitsweise ein:
• den Bewegungs-, Tätigkeits- und Entdeckungsdrang,
• das Bedürfnis nach Abenteuer und Wagnis,
• das Bedürfnis nach Spiel und Wettstreit,
• das Bedürfnis nach Integration in eine Gemeinschaft Gleichaltriger,
• das Bedürfnis nach sichtbarer Anerkennung vollbrachter Leistungen,
• das Bedürfnis, körperlichen und charakterlichen Anforderungen zu genügen
• und die Sehnsucht nach Leitbildern für die eigene Lebensführung.
80 BADEN-POWELLs handwerklicher Ansatz und das Ziel der staatsbürgerlichen Erziehung gleichen sich
mit der Auffassung des deutschen Reformpädagogen G. KERSCHENSTEINER. Beide sahen in der staatsbürgerlichen Erziehung kein Problem des Wissenserwerbs, sondern es war eine Frage der Charakterbildung. – vgl. GERR, H.E. 1998, S.19
81 s. GERR, H.E. 1998, S.18 82 vgl. ebenda, S.14 83 s. GERR, H.E. 1996, S.43
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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In der Umsetzung seiner scoutistischen Erziehung lassen sich methodische Grundsätze
erkennen. Zum einen erfolgt die Erziehung zu und durch eine Tätigkeit bzw. eine Handlung.
GERR, H.E. spricht hier vom ‚Aktivitätsprinzip’84. Des weiteren spielt die Zivilisationsferne
und ein naturverbundenes Leben in BADEN-POWELLs Methode eine entscheidene Rolle,
sowie die Erziehung durch eine und hin zu einer Gemeinschaft und die einhergehende
Selbsterziehung.
BADEN-POWELL war ein Praktiker, und so ist sein Ausspruch ‚Scouting is Doing’ auch sein
Programm. „Die von ihm intendierten Qualitäten [waren] nicht über ein schulmäßiges
Lernen, nicht über Buchwissen zu erreichen.“85, so dass das ständige Einüben und das
spielerische Ausprobieren die erwünschten Charaktereigenschaften ausbilden und festigen
sollte. Die Aufgabe des begleitenden Pfadfinderführers ist es, Anreize und Situationen zu
schaffen, die den jungen Menschen begeistern und seine Begeisterung im Sinne der
Pfadfinderprinzipien und der -methode kanalisieren.
Der Natur misst er den größten erzieherischen Wert zu, deshalb werden Orte fern der
Zivilisation aufgesucht. So ist das Zeltlager Schwerpunkt der Pfadfindererziehung und
Höhepunkt des Gemeinschaftslebens zugleich86. Um im Lager bestehen zu können, muss der
Pfadfinder handwerkliche Techniken beherrschen, wie Zeltbau, Knoten und Funktionsbauten
(Brücken, Kochtische, Lagertürme etc.). Unter einfachen Bedingungen wird das
gemeinschaftliche Leben organisiert, bei bewusstem Verzicht auf Komfort und sonstigen
zivilisatorischen Errungenschaften. Der pädagogische Wert des (Zelt-) Lagers wird an
späterer Stelle ausführlich aufgezeigt.
Die kleine Gruppe Gleichaltriger mit 6 bis 8 Personen, die sich durch ein Versprechen
gebunden hat, stößt bewusst an die Existenzgrenze ihrer Aktionsfähigkeit, da nun jedes
Mitglied aktiv das Gruppenleben mitbestimmen und -gestalten muss, um diese Existenz nicht
zu gefährden. Die Übernahme dieser Verantwortung und das Gefühl, in und für die Gruppe
gebraucht zu werden und ein wichtiger Teil des Ganzen zu sein, führt zur gegenseitigen
Selbsterziehung. Ferner übt die Übernahme von Gruppenämtern (z.B. Koch, Materialwart
etc.) ebenfalls einen erzieherischen Effekt aus. Das enge Gefüge einer Pfadfindergruppe
bedingt eine „relative Dauerhaftigkeit der Gruppenbindung“87.
Der „Bewegungs“-Charakter des Scoutismus führt zu einer Weiterentwicklung der
Pfadfindermethode sowie der Erziehungsziele. Die heutige Generation ist eine andere als zur
Gründungszeit, denn die frühe scoutistische Erziehung schloss z.B. die selbstlose, patriotische
84 vgl. ebenda, S.57 85 s. GERR, H. E. 1996, S.57 86 vgl. ebenda, S.61ff 87 vgl. GERR, H.E. 1996, S.63 + GERR, H.E. 1998, S.49ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Bereitschaft zur Vaterlandsverteidigung mit ein. Heute versteht man unter einer
staatsbürgerlichen Erziehung eher eine aktive Mitwirkung an der Weiterentwicklung der
Demokratie, was auch den Erziehungsziel-Katalog im Scoutismus erweitert hat.
Erziehungsziele werden nun mit Normen gleichgesetzt, an denen sich die Erziehung
orientiert. Kompetenzen wie Kritik-, Entscheidungs-, Handlungsfähigkeit (Selbst- und
Sozialkompetenz), das soziale und (sozial-) politische Lernen stehen im Mittelpunkt der
modernen scoutistischen Erziehung88.
Das soziale Lernen als Förderung der Selbst- und Sozialkompetenz und das politische Lernen
werden an einer anderen Stelle – bei der Frage des ‚pädagogischen Wertes der Fahrt und des
Lagers’ [Kap. 8] – näher betrachtet.
Die fünf Erziehungsgrundsätze der modernen Pfadfindermethode sind im folgenden Schema
zusammengefasst89:
Die fünf Erziehungsgrundsätze der modernen Pfadfindermethode:
Erziehung zur und durch Tätigkeit („Scouting is Doing“)
• Erfahrungslernen durch spiel- und projektorientiertes Tun • erlebnispädagogische Aktivitäten • Erkundungslernen • Tat-Christentum (soziales Engagement, z.B.
Behindertenarbeit) • schöpferisches Tun • musische Aktivitäten • Sport
Gemeinschaftsprinzip und Selbsterziehung
• Kleingruppenarbeit: Gruppendynamik, Prinzip der kleineren und größeren Gemeinschaften
• Übernahme von Verantwortung • soziales und politisches Lernen • Kluft und pfadfinderische Symbole • Koedukation • Gestaltung des Gemeinschaftslebens nach den
Pfadfinderregeln/ -gesetzen
Orientierung an Werten und Normen (Regeln)
• Ausrichtung des alltäglichen Lebens an pfadfinderischen Werten und Normen
• Pfadfinderregeln/ -gesetze, Versprechen • Orientierung an den Bundeszielen • Vorbild des erwachsenen Begleiters
Naturverbundenheit und natürliches Leben
• Sinngerechte Gestaltung des Lebens (Einfachheit, Sparsamkeit, Mäßigkeit...)
• Erziehung in freier Natur (Lager, Wanderungen...) • verantwortungsbewusster Umgang mit der Schöpfung Gottes • zivilisationskritische Einstellung (bewusster Verzicht auf
übermäßigen Konsum) • Umweltschutzprojekte
88 vgl. GERR, H.E. 1998, S.21ff 89 s. ebenda, S.43
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Internationalismus als Erziehungsgrundsatz
• Internationale Kontakte • Übernahme von Pfadfinder-Patenschaften in der Dritten Welt • Leben des Freundschaftsgedankens (Beteiligung an Projekten
in der Dritten Welt, Einsatz für Arme und Schwache) • Friedenserziehung (Abbau von Vorurteilen gegenüber
ausländischen Mitbürgern)
Die erweiterte Pfadfindermethode basiert auf den ursprünglichen Vorstellungen BADEN-
POWELLs, hat sich aber um den internationalen Anspruch erweitert und kommt heute
bewusst als ‚Erziehungsgrundsätze’ zur Anwendung. Sie sind weiterhin als Einheit zu sehen
und haben verpflichtenden Charakter, um ‚Pfadfinder-Arbeit’ zu sein.
Viele dieser Erziehungsgrundsätze werden auch von der heutigen Erlebnispädagogik verfolgt.
Dazu mehr im 6.Kapitel.
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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5. Die Reformpädagogik
5.1. Einführung in die Reformpädagogik
Eine weitere Strömung des auslaufenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die sich mit
dem Kind und der Jugend befasste, war die Reformpädagogik.
Es war eine internationale Bewegung, die die aktuelle Schul- und Lebenssituation der
Gesellschaft reflektierte. Man orientierte sich an Jean-Jacques ROUSSEAUs (1712-1778)
Bild des Kindes. Er forderte für die Kinder das Recht auf Eigenleben ein, sah in Erlebnissen,
Erfahrungen und Abenteuer notwendige Lernprinzipien und maß dem Lernen über die Sinne
in der Natur einen hohen Stellenwert bei. „Wer handelt, lernt besser und mehr und wer gut
handelt, wird ein guter Mensch“ war ROUSSEAUs einfache Logik90.
Ellen KEY (1849-1926) brachte es mit dem Titel ihres 1900 veröffentlichen Buches „Das
Jahrhundert des Kindes“ auf den Punkt91. Es kam zu einer Synthese aus kindzentrierten
pädagogischen Ideen und einer sich am Subjekt ‚Schüler’ orientierten pädagogischen Praxis92.
Unter den Begriff ‚Reformpädagogik’ fielen in Deutschland und Europa eine Unmenge an
unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen, Unterrichtsmodellen und Methoden, die jedoch
eine veränderte Sichtweise auf den Menschen – speziell auf das Kind – und die Kritik an der
‚alte Schule’ gemein hatten. Der dem Umfeld des Steglitzer Gründungs-Wandervogel
zuzurechnenden Pädagoge Ludwig GURLITT93 (1855-1931) kritisierte die alte Schule: „Die
Schule nehme den Kindern das Köstlichste, was sie mit ins Leben bekommen, ihre Eigenart,
um sie in das langweilige Schulschema einzuzwängen.“94 Noch radikaler formulierte es
Johannes GLÄSER in Hinblick auf den Taten- und Bewegungsdrang des Kindes in seinem
Buch: „Von Kinde aus“95 (Hamburg 1920): „Das Kind musste totgeschlagen werden, damit
das Schulkind auferstehe.“96 Der ‚alten Schule’ mangelte es an der Verbindung zum
eigentlichen Leben. Ferner wurde die zunehmende Stofffülle und die einseitige
Wissensvermittlung mit der autoritären ‚Rohrstock’-Methode kritisiert97. Stattdessen
versuchte man diesem durch neue, alternative Unterrichtsgestaltungs-Konzeptionen (z.B.
keine Prügelstrafe, kein Sitzenbleiben, keine Zensuren, Gesamtunterricht, Projekt-Arbeit,
90 vgl. HECKMAIR B./ MICHL, W. 1998, S.9 91 vgl. SCHONIG, B. „Reformpädagogik“, S.319 in KREBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.319-330 92 s. SCHONIG, B. 2002, S.13 in HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002a 93 vgl. MOGGE, W. “Aufbruch der Jugendbewegung“, S.9 in WEIßLER, S. 2001, S.9-25 94 s. SCHONIG, B. 1998, S.319 95 „Vom Kinde aus“ galt in der Weimarer Zeit auch als ‚Slogan’ der Reformpädagogik 96 s. GLÄSER, J. 1920 „Von Kinde aus“, S.74 in HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002a, S. 71-
83 97 vgl. OELKERS, J. 1989, S.27ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
25
gleichberechtigtes Nebeneinander von praktischen Themen wie Gartenbau, Schlosserei oder
Küche und ‚traditionellen’ Fächern) und einem persönlicheren Miteinander zwischen den
Schülern und Lehrern zu begegnen. Man orientierte sich verstärkt an den Interessen und
Bedürfnissen des Kindes, wollte ihre Persönlichkeit entwickeln, förderte Musisches und
Sportliches und wollte die Schule als Lebensort für alle Beteiligten gestalten. Man wollte die
jungen Menschen zur Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und -organisation, zur
Verantwortungsübernahme für sich und die Gemeinschaft (z.B. für die Demokratie) und zum
koedukativen Miteinander erziehen98. PESTALOZZIs ganzheitlicher „Kopf, Herz und Hand“-
Lernansatz war allgemeine Grundlage reformpädagogischer Bestrebungen. Jede
Reformschule, jedes Modell hatte seine eigenen Schwerpunkte. Es waren nicht überall alle
Wollensbekundungen vorzufinden.
Kennzeichnend für diese pädagogische Epoche war eine Fülle von Schulerprobungen und
Schulversuchen. Die meisten dabei erfolgten zunächst in Privatschule und
Landerziehungsheimen.
Einige einflussreiche Reformpädagogen, die ich stellvertretend für eine bestimmte Richtung
nennen möchte, waren99:
• Hermann LIETZ (1868-1919)100
Er gilt als Begründer der deutschen Landerziehungsheimbewegung (erste Gründung 1898 in Ilsenburg/ Harz) Die grundsätzlichen Züge der Landerziehungsheime waren die kindgerechte, ganzheitliche Erziehung in einer internat-ähnlichen Schule fernab der negativen, zivilisatorischen Einflüsse der Stadt, wobei Schüler und Lehrer eine ‚Schulgemeinde’ bildeten und miteinander in ‚Familien’ lebten.
• Gustav WYNEKEN (1875-1964)
Er gründete die Freie Schulgemeinde Wickersdorf – einem jugendbewegten Typus des Landerziehungsheims – und stand in enger Beziehung zur Freideutschen Jugend. Als Mit-Autor der Meißner-Formel nahm er Einfluss auf die pädagogischen Geschicke der Jugendbewegung und formulierte ihren Autonomie-Anspruch. Er sprach von einer eigenen ‚Jugendkultur’, einer „Erziehung in der selbst erziehenden Gemeinschaft“101.
• Paul GEHEEB (1870-1961)
Er gründete die Odenwaldschule (1910) und die Ecole d’Humanité in seiner Exilzeit. Es waren koedukative Schulen, international ausgerichtet. Die Schulgemeinde war demokratisch organisiert.
98 vgl. OELKERS, J. 1989, S.132ff + SCHONIG, B. 2002, S.42ff 99 vgl. HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002a, S.14ff + siehe diese und weitere
Reformpädagogen in der auf die Erlebnispädagogik bezogenen Übersicht in WORM, H.-L. 1995, S.66 100 vgl. HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002b – ebenso über P. GEHEEB und G. WYNEKEN 101 s. KREBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.33
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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• Maria MONTESSORI (1870-1952)
Sie ging von der schöpferischen Eigentätigkeit des Kindes aus und ihre kindzentrierte pädagogische Praxis – in Italien erprobt – verbreitete sich rasch in Deutschland. Selbstbestimmte Freiarbeit konsequent an den Bedürfnissen des Kindes orientiert, frei nach dem Ausspruch: „Hilf mir, es zu tun!“
• Rudolf STEINER (1851-1925)
Seine Pädagogik basiert auf anthroposophischen Annahmen. Epochenunterricht und ästhetisch-rhythmische Erziehung findet man in seinen Schule (u.a. Waldorfschulen).
• Peter PETERSEN (1884-1952)
Er kombinierte theoretische und praktische reformpädagogische Ansätze zur Fragestellung, wie Erziehung gestaltet werden müsste, zum sog. „Jena-Plan“.
• Georg KERSCHENSTEINER (1854-1932)
Er gilt als Begründer der Arbeitsschulbewegung. Er führte das handwerkliche Prinzip konsequent in den Unterricht ein: Schülerwerkstätten, Schulgarten und -küchen, Laboratorien. Die Schulklasse wird als Arbeitsgemeinschaft organisiert, die sich durch eigenes Handeln Wissen aneignet.
• Bertold OTTO (1859-1933)
Er prägte den Gesamt-Unterricht.
• Kurt HAHN (1886-1974)
Er gilt als Begründer der Erlebnispädagogik (‚Erlebnistherapie’) und der ‚Kurzschulen’, wo mehrwöchige, erlebnisorientierte Einheiten durchgeführt wurden. Dazu mehr im Kapitel zur Erlebnispädagogik (Kap. 6.1.).
Ebenso wie die Jugendbewegung war die reformpädagogische Bewegung in ihrer
weltanschaulichen Ausrichtung heterogen. So wurden während der NS-Zeit die meisten
reformpädagogischen Versuche verboten oder mit nationalsozialistischer Ideologie vermischt.
Nur wenige reformpädagogische Modelle konnten nach 1933 fortgeführt, bzw. neu aufgebaut
werden, u.a. in jüdischen Schulen, in Tiefensee bei Berlin unter Adolf REICHWEIN und im
Ausland in von Exil-Reformpädagogen gegründeten Schulen102.
Der Nationalsozialismus beendete weitestgehend die reformpädagogische Entwicklung in
Deutschland, die u.a. auf den Erfahrungen und Erlebnissen der Jugendbewegung basierte,
darüber hinaus neue Lern- und Erlebnismodelle für Gruppen entwickelte, das Verhältnis
zwischen Schülern und Lehrern erneuerte, die sich gleichberechtigt in ‚Schulgemeinden’
trafen und das Ziel verfolgten, selbstbewusste und mündige Bürger zu erziehen. Es fehlte
102 vgl. SCHONIG, B. 2002, S.20
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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vielleicht letztlich die Einsicht, dass man gemeinschaftliche Erlebnisse auch kritisch
reflektieren und im Unterricht behandeln muss103.
5.2. Reformpädagogik und Jugendbewegung
Die Jugendbewegung und Reformpädagogik waren Reformbewegungen, die in vielerlei
Hinsicht miteinander verknüpft waren oder in Beziehung zueinander standen. Beide wandten
sich gegen die erstarrten Formen der Gesellschaft, verbanden Zivilisationskritik mit der Suche
nach Naturerleben, fanden in Lebens- und Arbeitsgemeinschaften sowie
Selbsterziehungsgemeinschaften und Lebensbünden einen Rückhalt und kämpften für die
Autonomie des Jugendalters. Die einen, um einen eigenen Rückzugsraum zu haben, die
anderen, um sie gezielt jugendgerecht – mit den besten Absichten – zu erziehen. Ziel beider
Bewegungen war es, für die freie Entfaltung der Anlagen, Eigenschaften und Fähigkeiten der
Kinder sowie für eine Persönlichkeits- und Charakterbildung zu sorgen.
Frühzeitig hatte der Wandervogel durch einem ‚eingetragenen Verein’ (Wandervogel,
Ausschuss für Schülerfahrten e.V.) Unterstützung erhalten, der an einem Steglitzer
Gymnasium gegründet wurde. Die ersten Wandervögel, die einen akademischen Weg
einschlugen, versuchten, der Jugendbewegung einen pädagogischen Wert zu geben, und es
gründeten sich ‚Erziehungsgemeinschaften’104. In der damaligen Zeit klang die Forderung,
dass sich ‚Unmündige’ gegenseitig erziehen wollen, wie eine „Kampfansage gegen die
etablierte Rolle der Lehrer“105.
Auf dem Meißnertreffen 1913 verbanden sich erstmals jugendbewegte und
reformpädagogische Strömungen und gaben mit der Meißnerformel ein gemeinsames Wollen
zum Ausdruck. Vier der 13 Unterzeichner-Bünde, bzw. -Gemeinschaften kamen aus dem
schulischen Bereich: Germania – Bund abstinenter Schüler, Freie Schulgemeinde
Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden und das Landschulheim Solling.
103 vgl. MÜLLER, C.W. 1973, S.46 104 aus einer Werbeschrift der Deutschen Akademischen Freischar (1911) in MÜLLER, C.W. 1973, S.26ff:
„Die Freischar ist [...] eine Erziehungsgemeinschaft. [...] Die Freischar erstrebt in ihrer Organisation eine Vereinigung solcher Bildungsmittel und Erziehungselemente, die die Schule und das Berufsstudium nicht gewähren können und die dem einzelnen nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Sie veranstaltet Vorträge und Diskussionen, wirkt für die Gestaltung einer freien Geselligkeit, die unabhängig von Alkohol ist, ohne jede Verpflichtung zur Abstinent, pflegt Wandern und Reisen im Sinne der Jugendwanderbünde und gibt ihren Mitgliedern reiche Gelegenheit zum Turnen, Spiel und Sport. [...] Die Freischar ist Bildungsgemeinschaft auf korporativer Grundlage. Dieses Prinzip des festen inneren Zusammenschlusses (nicht Abschlusses nach außen) und der Verpflichtung der Mitglieder gegeneinander ist das grundlegende Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Freistudentenschaft. In ihm sieht die Freischar die günstigsten Bedingungen eigener und gegenseitiger Erziehung und Förderung gemeinsamer Interessen.“
105 s. MÜLLER, C.W. 1973, S.16
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Die ‚Freideutschen’ sahen sich im Bereich der Erziehung weniger als Konkurrenten denn als
Ergänzung. Bruno LEMKE – aus der Deutschen Akademischen Freischar kommend –
formulierte am Vorabend des Festtages auf der Burg Hanstein vor Vertretern aller Meißner-
Verbände: „Tun wir selbst unsere Schuldigkeit an uns, indem wir selbst unsere Erziehung in
die Hand nehmen. Nicht um die Erziehung, die uns andere Institutionen angedeihen lassen, zu
ersetzen, sondern um sie zu ergänzen.“106 Der Gedanke der ‚Selbsterziehung der Jugend’ und
durch „das Bewusstwerden dieser reichhaltigen individuellen Chancen [hat] ein mächtiges
pädagogisches Erkenntnisfeld eröffnet [...], das vorher brach gelegen hat.“107 Dass Jugend
durch Jugend geführt werden konnte und wollte, hat diese Bewegung gezeigt.
Einen großen Anteil an der Planung des Meißner-Treffens und der Formulierung der Formel
hat Gustav WYNEKEN (Gründer der Freien Schulgemeinde Wickersdorf).
In Wickersdorf setzte er seine pädagogische Konzeption um, eine Synthese aus
Jugendautonomie und gelenkter Erziehung. So lebten die Schüler und Lehrer in
Kameradschaften zusammen. 10 bis 20 Schüler scharten sich freiwillig um einen Lehrer, der
Kern dieser Gemeinschaft war. Ähnlich wie in jugendbewegten Gruppen war der Lehrer der
frei gewählte Führer und konnte den Geist der Kameradschaft prägen, da es eine intensive
persönliche Bindung zwischen den Mitgliedern gab, und der Lehrer so die Entwicklung der
Persönlichkeiten beeinflussen konnte, was ein großes Vertrauen zwischen allen voraussetzte.
Man verbrachte die freie Zeit miteinander und unternahm Fahrten. In Gegensatz zu anderen
Familien in Landerziehungsheimen fanden sich die Kameradschaften aufgrund gemeinsamer
geistiger Interessen und Ideale zusammen.108
WYNEKEN sah im Wandervogel die Jugend, die in seine Schule passen würde. Dem
Autonomie-Willen wollte er ein pädagogisch-erzieherisches Dach geben, indem er in der
‚neuen Schule’ den Ort der ‚Jugendkultur’ sah. Er wollte, dass die ‚aus der Schule
entflohenen Wandervögel’ zurückkehren und die neue Schule als ihre Lebensstätte
annehmen109. Doch schoss er damit über das Ziel hinaus, weil seine bevorzugte Jugend sich
gerade gegen die Bevormundung der Erwachsenen auflehnte – unabhängig davon, ob sie gute
Absichten hatten.
Dennoch hatte die Freie Schulgemeinde Wickersdorf eine geistige Verbindung zur
Jugendbewegung, und viele Reformpädagogen arbeiteten zeitweilig dort, u.a. Paul GEHEEB
oder Martin LUSERKE.
106 s. LEMKE, B. „Einleitungsworte bei der Ansprache des ersten Freideutschen Jugendtages auf dem ‚Hanstein’“ 1913, S.33 in MÜLLER,C.W. 1973, S.31-35
107 s. SEIDELMANN, K. 1966, S.134 108 vgl. SCHMID, J.R. 1936/ 1973, S.112ff 109 vgl. WYNEKEN, G. „Wandervogel und Freie Schulgemeinde“ 1913, S.36ff in MÜLLER, C.H. 1987,
S.36-41
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
29
Ein weiteres jugendbewegtes Schulkonzept verfolgte man an Hamburger
Gemeinschaftsschule während der Weimarer Zeit110. Es gab keine starren Klassen, die Kinder
wählten sich ihre altersheterogenen Gruppen selber, die sich wiederum in einem
kameradschaftlichen Miteinander um einen Lehrer scharten. „Die Zusammengehörigkeit der
Kinder [war] wichtiger zu nehmen als alle didaktischen und administrativen Bedenken.“111
‚Erzieher’ sollte das ganze Schulleben selber sein.
Als Mitarbeiter des preußischen Kulturministeriums formulierte WYNEKEN Ende 1918
einen Schulerlass, der sich an der Meißnerformel orientierte und „der Jugend die Möglichkeit
eröffnete, aus innerer Wahrhaftigkeit und unter eigener Verantwortung an der Gestaltung des
Lebens mitzuwirken.“112 Es sollten Schulgemeinden gegründet werden, als freie
Ausspracheorte aller am Schulleben Beteiligten, sowie Schülerräte als Vertretung der
Schülerschaft. Ferner durften unpolitische Vereine begründet werden. Der Widerhall auf
diesen Erlass war regional sehr unterschiedlich. Dort, wo die Jugendbewegung sehr stark
vertreten war, wurde der Erlass übernommen, so z.B. in Sachsen, Böhmen und Österreich.
Dort, wo die aus dem Wandervogel hervorgegangene Lehrerschaft noch fehlte, blieb das
Verhältnis zwischen Lehrern und Schüler das alte.
Es ist sowohl der Jugendbewegung als auch der Landerziehungsheimbewegung – als eine
Strömung der Reformpädagogik – zu verdanken, dass neben Wandertagen und
Schülerfahrten, Sportfesten und Schulfeiern „sich heutiges Schulleben mit Landheimen,
Schülermitverantwortung [und -mitverwaltung], Schülerzeitungen und dem persönlichen
Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern doch wesentlich von dem der ersten beiden
Jahrzehnte dieses Jahrhunderts [20.Jh.] unterscheidet.“113
Personen aus der Jugendbewegung ist es zu verdanken, dass sich das menschliche Klima an
der Schule zum Besseren entwickelt hat: „Die Leute der Jugendbewegung hatten in ihren
Gruppen gelernt, scharf auf die jeweiligen Befindlichkeiten im Grundmenschlichen
hinzuschauen. Daraus und aus ihrer Übung im vertraulichen Umgang mit Kindern und
Jugendlichen sind ihnen Fähigkeiten im Aufspüren und Erkennen von Missklängen und
Störungsfaktoren im Atmosphärischen der Schulwirklichkeit erwachsen, die der
durchschnittliche Lehrer der damaligen Zeit nicht im gleichen Maß besaß.“114 – Durch diese
Sensibilität gelang es dem jugendbewegten Lehrer- und Erziehertypus, die Schüler zu
erreichen und zu begeistern und so die ‚Schulfeindlichkeit’ zu negieren. Die Sozialisation in
den Bünden brachte menschliche Qualitäten mit, die das pädagogische Wirken mehr
110 vgl. SCHMID, J.R. 1936/ 1973, S.21ff 111 s. SCHMID, J.R. 1936/ 1973, S.30 112 s. KNEIP, R. 1976, S.16 113 s. KNEIP, R. 1976, S.16 + vgl. SEIDELMANN, K. 1966, S.139 114 s. SEIDELMANN, K. 1966, S.138
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
30
verstärkten und die pädagogischen Wirkungen auf die anvertraute Gruppe intensivierten als
beim wissenschaftlich ausgebildeten Lehrer.115 Der eher partnerschaftliche Führungsstil hatte
in der Schule umfassend Einzug gehalten.
5.3. Adolf REICHWEIN – Reformpädagoge mit jugendbewegter Sozialisation
Am Beispiel des Reformpädagogen A.REICHWEIN lässt sich der Einfluss einer
jugendbewegten Sozialisation auf das spätere berufliche Schaffen verdeutlichen.
5.3.1. A. REICHWEINs Lebenslauf116
Der „Volkshochschulleiter, Bildungspolitiker, Lehrerbildner, Dorfschullehrer und
Museumspädagoge“117 Adolf REICHWEIN wurde am 3.Oktober 1898 in Bad Ems geboren.
Er war das älteste von drei Kindern des Lehrers Karl REICHWEIN und seiner Ehefrau Anna
Maria. 1904 zog die Familie nach Ober-Rosbach, wo er bei seinem Vater zur Schule ging;
1909 wechselte er auf das Friedberger Realgymnasium. Zur selben Zeit nahm er an seinen
ersten Wandervogel-Aktivitäten teil. Im Spätherbst 1916 wurde er in den Militärdienst
eingezogen, kämpfte in Polen und in Frankreich und wurde Ende 1917 schwer verwundet. Im
Mai 1918 begann Adolf REICHWEIN in Frankfurt am Main ein Studium der Geschichte,
Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie und Nationalökonomie. Ab 1920 studierte er in
Marburg. Im selben Jahr heiratete er seine erste Frau Eva HILLMANN. Ein Jahr später
schloss er seinen Doktor-Titel mit der Dissertation ‚China und Europa im 18. Jahrhundert’ ab.
Im Dezember übernahm er die Geschäftsführung des ‚Ausschusses der deutschen
Volksbildungsvereinigung’ in Berlin. 1923 beendete er seine Promotion zum Doktor der
Philosophie, leitete als neue Aufgabe die ‚Abteilung Nordostdeutschland des deutsch-
amerikanischen Kinderhilfswerkes’ und koordinierte im Anschluss als Geschäftsführer die
‚Volkshochschule Thüringen’ und zog dafür mit seiner Familie nach Jena. 1925 übernahm er
die Leitung der ‚Volkshochschule Jena’. Im Sommer 1926 begann er eine knapp einjährige
Forschungsreise durch Nord- und Mittelamerika sowie Südostasien. 1929 wurde er Leiter der
Pressestelle im preußischen Kultusministeriums und hatte parallel dazu weiterhin die Leitung
der ‚Volkshochschule Jena’ inne. 1930 übernahm er die Professur für Geschichte und
Staatsbürgerkunde an der ‚Pädagogischen Akademie’ in Halle/ Saale.
115 vgl. ebenda, S.139ff 116 s. KOPPMANN, J. 1998, Zeittafel ab S.179ff 117 s. ebenda, S.11
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Im April 1933 wurde er vom NS-Kulturministerium von seiner Professur u.a. aufgrund seiner
SPD-Mitgliedschaft entbunden. Im Oktober nahm A. REICHWEIN eine Lehrerstelle an der
einklassigen Dorfschule in Tiefensee in der Mark Brandenburg an. Im Mai 1939 wurde er
Leiter des ‚Museum für Deutsche Volkskunde’ der neu gegründeten Abteilung ‚Schule und
Museum’. Aufgrund seiner Verwundungen aus dem 1.Weltkrieg musste er keinen
Kriegsdienst leisten. In den folgenden Jahren nahm er an konspirativen Treffen von
Oppositionellen des ‚Kreisauer Kreises’ teil und wurde im Zusammenhang des HITLER-
Attentats vom 20.Juli 1944 wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und am 20. Oktober
1944 hingerichtet.
5.3.2. A. REICHWEINs jugendbewegter Lebenslauf118
Durch einen jungen Lehrerkollegen seines Vaters lernte A. REICHWEIN 1907 den
Wandervogel kennen und nahm im Folgejahr als Gast bei Nestabenden und Wanderungen
teil. 1911 wurde er dann Mitglied im Wandervogel e.V.119 in der Friedberger Ortsgruppe, die
damals ca. 20 Personen zählte. Ab 1913 leitete er mehrere kleinere Ausflüge und Fahrten
seiner Wandervogelgruppe in die nähere Umgebung, 1914 nach Hamburg und Helgoland,
sowie nach Holland. In der Zeitschrift ‚Wandervogel in Hessen und am Rhein’ wurde er 1916
als ‚Führer’ der Wandervogelgruppe in Friedberg genannt. Nach seinem Militäreinzug in
Mainz nahm er an den Heimabenden der ansässige Wandervögel teil.
In Polen gründete er dort mit weiteren Kriegskameraden eine eigenständige Wandervogel-
Ortsgruppe. In einem Brief an die Eltern schrieb er am 8. April 1917: „Ostern hat uns etwas
Schönes beschert, nämlich eine Wandervogelortsgruppe Jablonna. [...] Es ist doch was
Schönes, wie Wandervögel sofort gut Freund sind, mögen sie auch aus ganz verschiedenen
Landschaften des Vaterlandes stammen. Man weiß eben gleich: Der da denkt mit Dir. [...]“120
1918 suchte er bei seinem Studienbeginn in Frankfurt/ Main Kontakt zu dem dortigen Alt-
Wandervogel, wurde Mitglied des ‚Internationalen Jugendbundes’121 und trat 1920 in
Marburg der ‚Akademischen Vereinigung Marburg’122 (A.V.) bei. Die aus der
118 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.179ff 119 die Ortsgruppe des Friedberger Wandervogels stand in der Tradition des 1904 gegründeten Steglitzer
e.V., der ‚sinnvolles’ Wandern dem ‚Kilometerfressen’ vorzog. 120 s. PALLAT, G./ REICHWEIN, R./ KUNZ, L. 1999 121 der „Internationale Jugendbund“ wurde von dem Göttinger Philosophen Leonard NELSON gegründet.
NELSON „wollte aus der Jugend aller Völker eine Partei der Vernunft schaffen, wobei eine scharfe klassenkämpferische und revolutionäre Haltung bejahrt wurde.“ – vgl. KNEIP, R. 1974, S.139
122 die „Akademische Vereinung Marburg“ wurde am 13.Mai 1912 von dem Wandervogel Wolfgang KROUG gegründet und war eine führende Vereinigung der studentisch-jugendbewegten Erneuerungskräfte. „Das Leitbild der freien Selbsterziehungsgemeinschaft kam in ihr am reinsten zur Geltung.“ Man beharrte entschieden „auf dem Grundsatz der Neutralität“ und weigerte sich 1933 z.B. der NS-Anordnung zu folgen, jüdische und kommunistische Mitglieder auszuschließen. Unter Zwang löste sich die A.V. 1934 selber auf. – vgl. KNEIP, R. 1974, S.27+28
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Jugendbewegung kommenden Studenten wandten sich gegen „die antirepublikanische,
deutsch-nationale Gesinnung und den ’elitär-autoritären’ Kastengeist der
Korpsstudenten.“123
5.3.3. Jugendbewegte Einflüsse in A. REICHWEINs Pädagogik
Neben dem Einfluss seines Vaters wurde die Reformpädagogik einer „selbsttätigen
Erziehungsgemeinschaft“124 von Adolf REICHWEIN maßgeblich durch seine, bzw. in seiner
jugendbewegte(n) Sozialisation entwickelt. – Sein Vater Karl orientierte sich an J.H.
PESTALOZZIs ‚Kopf, Herz und Hand’-Lernen, förderte das Musisch-Künstlerische und die
Leibeserziehung in seiner Landschule. Karl REICHWEINs ‚Helfersystem’125 unter den
Lernenden übernahm er später in sein pädagogisches Konzept, weil er selber als Kind des
Dorflehrers seinem Vater half und so eine Helferrolle in der Klassengemeinschaft innehatte.
Wie prägend seine Wandervogelzeit gewesen ist, lässt sich aus einem Abschnitt seines
Abschiedsbriefes an seine Frau vom 16. Oktober 1944 herauslesen, wo er seine wichtigsten
Lebensabschnitte Revue passieren ließ: „[...] die 10 Jahre im Wandervogel mit den weiten
und nahen Fahrten.“126, die vielen Äußerungen zum Wandervogel, sein Streben, am neuen
Wohnort bzw. neuer Wirkstätte sofort Kontakt zu Wandervögeln oder jugendbewegten
Vereinigungen aufzunehmen, und die lebenslangen Freundschaften zu Mitgliedern des
Wandervogels127 verdeutlichen dies. Besonders die ‚Fahrten’, „die sich auch in allen Formen
von REICHWEINs pädagogischem Konzept wiederfinden“128, waren ihm wichtig. Seiner
Tochter schrieb er einige Tage vor seiner Hinrichtung: „Erwandere Dir in jungen Jahren
Deutschland, wie ich es getan habe. Man kann gar nicht früh genug damit anfangen [...]“129.
Die beim Wandervogel in der Regel sorgfältig vor- und nachbereiteten Unternehmungen, die
ständige Erweiterung „des geistigen und geographischen Horizonts“130, das Kennenlernen
der direkten Umgebung, sowie des Auslands finden ebenfalls Einzug in seine
reformpädagogische Arbeit.
Die erlebte Kameradschaft und Gemeinschaft im Wandervogel sah er als Idealbild für seine
späteren Vorhaben. Er wollte das Proletariat und das Bürgertum u.a. über eine gemeinsame
123 s. KOPPMANN, J. 1998, S.36 124 s. KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.327 125 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.18 126 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.9 127 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.15 128 s. ebenda, S.15 129 Brief vom 16.10.1944 – vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.29 130 vgl. ebenda, S.23
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Volksbildung näher zu bringen und sah „das Wandern in der solidarischen Gemeinschaft der
Kameraden zum Bildungsprozess [werden]. [...] Das Wandern in der freien Natur sollte nicht
Selbstzweck sein, sondern mit vielfältigen naturkundlichen, volkskundlich-geographischen,
künstlerischen und sozialen Ambitionen verbunden sein.“131 – Er selber schrieb auf seinen
Fahrten Berichte, Gedichte, zeichnete und spielte Geige.
Auch der handwerkliche Aspekt des Ausbauens und Einrichtens der Wandervogelnester und
der Versammlungsräume der Friedberger Ortsgruppe spielte in seiner späteren pädagogischen
Praxis eine zentrale Rolle. Im Wandervogel sah er das Modell einer Werkgenossenschaft, das
gemeinsame Handeln und Werken und das gegenseitige Kennenlernen als eine mögliche
„Einheit von Arbeit, Leben und Lernen“132, das auch von der Akademischen Vereinigung
Marburg angestrebt wurde. Er erkannte in der solidarischen Gemeinschaft der
Jugendbewegten ein Ideal für sein Menschenbild. Für ihn war die Jugendbewegung ein
Brückenbauer für eine menschlichere Gesellschaftsform, sie wollte die Gegensätze wie Stadt
und Land, Arbeiter und Unternehmer oder Kopf- und Handarbeiter beseitigen. Der Gedanke
an der Überwindung sozialer Klassengegensätze reifte schon in seiner Wandervogelzeit.
REICHWEIN schrieb: „Ja, ich erinnere mich, dass es mir als Zwölfjähriger tiefen Eindruck
machte, wenn die Älteren, die Studenten unter uns, an Nestabenden und an Treffen davon
sprachen, dass wir die Kluft zwischen Gelehrtentum und Volk, zwischen Arbeiter und Bauer,
zwischen Volk und Staat nicht durch künstliche Überbrückung weniger spürbar machen
sollten, sondern durch ein neues Leben und eine neue Lebensform wirklich überwinden.“133
Diese neue Lebensform aus jugendbewegtem Geist zu bilden, zieht sich durch sein
berufliches und politisches Leben („Wandervogel zu sein, war nicht bloß Freizeitvergnügen,
es war ein politisches Bekenntnis.“134).
REICHWEINs Interesse für alles Volkstümliche speiste sich auch aus seiner jugendbewegten
Zeit: „Diese romantische, aber der Jugendbewegung eigentümliche Vorliebe für alles
Gewachsene, Echte, Volkstümliche und Überlieferte kommt auch in REICHWEINs späterer
pädagogischen Arbeit, v.a. bei seiner Tätigkeit am Berliner Volkskundemuseum, immer
wieder zum Ausdruck.“135
Das durch den Vater geweckte Interesse an der Reformpädagogik und ihrer Methoden
verstärkte sich in seiner Wandervogelzeit; konkret setzte REICHWEIN seine aus der
Jugendbewegung übernommenen Einflüsse und Ansichten u.a. in folgenden Vorhaben um:
131 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.23ff 132 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.150 133 aus „Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung“ von A.REICHWEIN 1933 – s. KOPPMANN, J. 1998,
S.28 134 s. KOPPMANN, J. 1998, S.26 135 s. ebenda, S.26
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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• 1921 organisierte er ein Arbeitslager in Bodenrod, an dem Arbeiter und Studenten
teilnahmen. Die vier Wochen in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft sollten die
jungen Menschen durch gemeinsame körperliche Arbeit, Sport und
Abendveranstaltungen – ganz in Wandervogel-Manier mit Gesang, Literatur und
Tanz136 – zum geistigen Austausch und zur Überwindung der sozialen Grenzen
anregen. Darüberhinaus sollte „das Lager [...] zu einer wichtigen Erfahrung
demokratischer Verhaltensweisen“137 werden, da es galt, das Verständnis für die
junge, noch anfällige Demokratie der Weimarer Zeit zu festigen.
• Als Geschäftsführer der Volkshochschule (VHS) Thüringens gründete er gemeinsam
mit dem schweizer Wandervogel Hans BERLEPSCH-VALENDAS Arbeits- und
Bildungsgemeinschaften, die u.a. einwöchige Lehrgänge auf der Burg Lauenstein und
der Leuchtenburg absolvierten. Die Lerngruppen verstanden sich als
Lebensgemeinschaften, die auch Sport, Feste, Wanderungen und Tänze in ihrer Arbeit
mit aufnahmen. 1924 führte REICHWEIN mit Dozenten der Volkshochschule
ebenfalls Lager durch.138 Bei der VHS-Bildung schwebten ihm ‚Selbstbildungs-
Gemeinschaften’ vor, „wie er sie selbst im Wandervogel erfahren hatte.“139
• Ab 1925 ersetzte er als Leiter der Volkshochschule in Jena die abendlichen Vorträge
durch Arbeitsgemeinschaften. Das ganzheitliche Konzept beinhaltete auch mehrtägige
Fahrten der VHS-Teilnehmer, denn „die Volkshochschule dient[e] der Entfaltung des
Einzelnen und seiner Kräfte.“140
• Im Jenaer Volkshochschulheim lebten junge Arbeiter im Alter von 18 bis 25 Jahren
ein Jahr zusammen in einer Lebensgemeinschaft. Neben der beruflichen Arbeit als
Grundlage erwarben sie im Heim ein umfassendes Wissen u.a. durch das gemeinsame
Leben. Am Ende des Wohnjahres wurde eine mehrwöchige Auslandsfahrt
unternommen, wofür die Bewohner wöchentlich fünf Mark sparten. 1928 ging es für
zwei Monate nach Skandinavien und 1929 nach Südeuropa. Ziel war es, Land und
Leute kennenzulernen.141
• In seiner Lehrerbildung an der pädagogischen Akademie in Halle organisierte
REICHWEIN für die angehenden Studenten Lager, um abermals demokratische
Verhaltensweisen zu erlernen und zu erproben. Seine „Lager- und
Wandererziehung“142 wurde auch von anderen Akademien übernommen. Die
Ferienlager wurden unter der verantwortlichen Führung eines jüngeren Dozenten unter
einfachsten Bedingungen durchgeführt. Auch „Landschulpraktika und
sozialpädagogische Praktika mit schwierigen Kindern wurden ebenfalls in Form von
mehrwöchigen Zeltlagern durchgeführt.“143
136 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.148ff 137 s. KOPPMANN, J. 1998, S.149 138 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.24 & KOPPMANN, J. 1998, S.152ff 139 s. KOPPMANN, J. 1998, S.34 140 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.31 & KOPPMANN, J. 1998, S.154ff 141 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.156ff 142 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.45 143 s. KOPPMANN, J. 1998, S.165
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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• In seiner Zeit als Dorflehrer in einer einklassigen, staatlichen Landschule in Tiefensee
hat er all die Erfahrungen aus seiner Wandervogelzeit und den daraus resultierenden
reformpädagogischen, ganzheitlichen Ansatz zu einem alternativen Schulmodell
weiterentwickelt: Werken, sorgfältig vor- und nachbereitete Wanderungen und
Fahrten, Naturbeobachtung und -erleben, solidarische Gemeinschaft, soziales
Verantwortungsbewusstsein, Selbsterziehung, Musisches, Sport und Spiel,
projektorientiertes Arbeiten in altersheterogenen Gruppen usw. – Adolf REICHWEIN
konnte von 1933-1939 eine reformpädagogisch geführte Schule aufrecht erhalten, die
„der NS-Erziehungsideologie und -praxis diametral entgegengesetzt [war]“144
REICHWEINs Ansatz schulischer Werkerziehung bereitete „die Mädchen und Jungen
für das Leben in einer anderen Gesellschaftsordnung vor, für eine Zeit nach dem
‚Führerstaat’.“145
„[...] Dörfliches Leben, Jugendbewegung, Frontkameradschaft [im 1.Weltkrieg] waren die
drei Wurzeln, aus dem ich die Idee nährte [mich der volkstümlichen Bildung zu widmen].“146
So wie Adolf REICHWEIN wurden im ersten Drittel des 20. Jahrhundert viele Lehrer und
Pädagogen von der Jugendbewegung geprägt und haben die Ansätze und Ideen des
Wandervogels in ihre reformpädagogische Arbeit integriert.
144 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.166 145 s. AMLUNG, U. 1999, S.12 146 s. KOPPMANN, J. 1998, S.34
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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6. Die Erlebnispädagogik
6.1. Einführung in die Erlebnispädagogik
Die moderne Erlebnispädagogik hat ihre Wurzeln in der Reformpädagogik. Als Vater der
modernes Erlebnispädagogik wird Kurt HAHN (1886-1974) gesehen147, der die zentralen
Begriffe und Ideen der Reformpädagogik: „Erlebnis, Augenblick, Unmittelbarkeit,
Gemeinschaft, Natur, Echtheit und Einfachheit“148 in einer neuen Weise miteinander
verknüpfte.
Sein Modell der ‚Erlebnistherapie’ wandte sich gegen die Verfallserscheinungen der
damaligen Gesellschaft. Er kritisierte
o den Mangel an menschlicher Anteilnahme – aufgrund der hastigen und eiligen Welt der modernen Gesellschaft
o den Mangel an Sorgsamkeit – bei der Massenproduktion und in der Wegwerfgesellschaft rückt der Wert des sorgsam Hergestellten in den Hintergrund
o den Verfall der körperlichen Tüchtigkeit – u.a. durch die Nutzung moderner Fortbewegungsmittel
o den Mangel an Initiative und Spontaneität149 – durch passives Konsumieren und die eingenommene Zuschauerrolle.
HAHN geht von den positiven ‚natürlichen’ Eigenschaften des Kindes aus, zu denen
Abenteuer- und Forscherdrang und ein hohes kreatives Potential gehören150. Um die
obengenannten Mängel zu bekämpfen und die verborgenen Kräfte des Kindes zu erwecken,
setzte er vier Elemente seiner Erlebnistherapie entgegen151:
147 als ‚Urgroßväter und -mütter’ müssen genannt werden: – vgl. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.5ff
• SOKRATES (469-399 v.Chr.) und PLATON (427-347 v.Chr.), die erste Konzepte des handlungsorientiertes Erziehens entwickelten,
• Jean-Jaques ROUSSEAU (1712-1778), der die Einfachheit predigte und als Bewunderer der Natur galt,
• Johann Heinrich PESTALOZZI (1746-1827) mit seinem ganzheitlichen „Kopf, Hand und Herz“- Ansatz,
• sowie die amerikanischen Philosophen, Erzieher David Henry THOREAU (1817-1862), der in der Natur die große Erzieherin und Lehrmeisterin sah und das Erlebnis als Therapie nutze, und John DEWEY (1859-1952), der das handlungs- und erfahrungsorientierte Lernen und deren Reflexion in den USA prägte, sowie
• Minna SPECHT (1879-1961), die das entdeckende Lernen, das die Selbsttätigkeit der Jugendlichen voraussetzt, in ihre Erziehung konsequent einsetzte.
148 s. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.18 149 nach SCHWARZ, K. „Die Kurzschulen Kurt HAHNs“ 1968, S.40f in s. HECKMAIR, B./ MICHL, W.
1998, S.24 150 vgl. REINERS, A. 2000, S.1ff 151 vgl. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.25
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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1. Das körperliche Training: durch sportliche Übungen (Leichtathletik, Ballsportarten) und Natursportarten wie Bergsteigen, Segeln, Skilaufen oder Kanufahren – je nach regionalen Möglichkeiten sollten die Kondition verbessert, aber auch die eigenen Grenzen ausgetestet werden.
2. Die Expedition: bei der Durchführung von mehrtägigen Fahrten in reizvollen und herausfordernden Landschaften ging es um eine intensive vorbereitende Planungsphase, den natursportlichen Aspekt, sowie um die alltäglichen Dinge des ‚Fahrtenlebens’, wie das Transportieren des Materials, das Versorgen durch eigene Essenszubereitung oder das Einrichten von einfachen Nachtquartieren.
3. Das Projekt: durch ein produkt- und prozessorientiertes Arbeiten soll der Teilnehmer in einer thematisch und zeitlich eingegrenzten Aktion handwerklich und künstlerisch gefordert werden. HAHN orientierte sich an der Projekt-Methode der Amerikaner John DEWEY (1859-1952) und seines Schülers und Kollegen William H. KILPATRICK (1871-1965).
J. DEWEY betont die Rationalität und Charakterbildung durch ein systematisches Lernen und konkretes Handeln, W.H. KILPATRICK favorisiert hingegen die Aktivität, das Spontane und die Befriedigung der Bedürfnisse152.
4. Der Dienst war für HAHN das entscheidendste Element seiner Erlebnistherapie. Im Gegensatz zu anderen reformpädagogischen Modellen, z.B. den Landerziehungsheimen, sollten die Hilfsdienste in der Zivilisation stattfinden. Je nach Standort wurden herausfordernde Dienste im Bereich der Ersten Hilfe, Seenot- und Bergrettung eingeübt.
Die Charakterförderung und Erziehung zum verantwortlichen Denken und Handeln auf der
Grundlage einer freiheitlich-demokratischen Gemeinschaft durch Auseinandersetzung mit
sich und der Umwelt ist HAHNs grundlegendes Erziehungsziel153. Er gründete neben dem
Landerziehungsheim Salem Schulen – ‚Outward Bound’ oder ‚Kurzschulen’ genannt –, in
denen er die Teilnehmer in mehrtägigen oder -wöchigen Kursen und Lehrgängen mit seiner
Erlebnistherapie konfrontierte. Er wollte ein möglichst intensives Erlebnis initiieren, „um
tiefe Einprägungen in das Bewusstsein der jungen Menschen zu erzielen, [...] die auch Jahre
später noch abrufbar sind“154 und so im Leben Anwendung finden.
Grundlage der Erlebnispädagogik ist das handlungsorientierte Lernen. Dabei sollte das
Wissen nicht instruiert werden, sondern konstruiert werden können. Man lernt effektiver,
wenn man sich dem Lernstoff ganzheitlich nähert. Dabei spielt die Umgebung, Situation und
der Kontext eine wichtige Rolle. Das Lernen sollte in einer Umgebung eingebettet sein, die
durch die Atmosphäre, ihrem Stil und ihrer Stimmung zum Lernen anregt. Da Lernen immer
interaktiv stattfindet, muss man Lernen auch unter sozialen Gesichtspunkten betrachten und
152 vgl. KNOLL, M. 1984, S.667 153 vgl. REINERS, A. 2000, S.2ff 154 s. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.26
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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auf gruppendynamische Prozesse achten und eingehen. Einen Lernstoff merkt man sich am
ehesten, wenn man ihn sich selbsttätig erarbeitet155.
Das irrationale Moment des Erlebens, bzw. des Erlebnisses stellt man der rationalen,
verstandesmäßigen Lehrstoffaufnahme entgegen. Ein Erlebnis ist eine besondere Situation,
die einem unmittelbar anspricht und die innere und äußere Wahrnehmung steigert. Die
Intensität eines Erlebnisses ist von der inneren Bereitschaft und den Vorerfahrungen
abhängig. Jedes Einzelerlebnis ‚prägt’ den Menschen weiter. Da jedes Erleben ein subjektives
Empfinden ist, und Personen die selbe Situation unterschiedlich ‚erleben’, ist ein
gemeinsamer Vergleich eines Erlebnisses nahezu unmöglich.
Das schwierige Miteinander zwischen ‚Erlebnis’ und ‚Erziehung’156 – die
‚Unberechenbarkeit’ eines Erlebnisses – erschwert die erzieherische Nutzung, doch kann
mittels einer Reflexion eine Erfahrung entstehen, der man wiederum Erkenntnisse entnehmen
kann, die dann für die Erziehung genutzt werden. Es sollen Reize und Impulse initiiert
werden, die zum Überdenken des eigenen Verhaltens anregen, die dann ggf. zu einer
Verhaltensänderung führen. Durch die emotionale Beziehung und die daraus resultierende
innere Teilnahme und Begeisterung zum Lehrstoff soll ein effektiveres Lernen ermöglicht
werden.
Ein Erlebnis macht jedoch noch keine Erlebnispädagogik aus. Erst eine zielgerichtete
Reflexion entfaltet den pädagogischen Wert. Reflexionen, die an ein Erlebnis anschließen,
können recht vielfältig umgesetzt werden: „Reflexionen sollen einen festen Platz haben, sich
aber auch spontan ergeben können. Reflexionsimpulse sollten so konkret wie möglich sein.
Reflexionen gewinnen eine positive Energie, wenn sie nach vorne gerichtet sind. Reflexionen
sollten einen Impuls geben, der genug Freiheit zur Entwicklung in andere Richtungen
lässt.“157 Die Reflexionen haben zum einen die Funktion, die gemachte Erfahrung in den
situativen Kontext zu stellen und zum anderen „Vorausschau im Sinne einer Nutzung dieser
Erfahrungen für künftige Lebenssituationen“158 zu sein.
In der heutigen Erlebnispädagogik werden Transfer-Modelle genutzt, um das Erlebte
unterschiedlich intensiv zu reflektieren. Es reicht vom ‚The Mountain Speaks for
Themselves’-Modell, wobei die Primärerfahrungen in der Natur unreflektiert bleiben, dem
‚Outward Bound Plus’-Modell, das eine anschließende Reflexion vorsieht, bis hin zum
‚metaphorischen Modell’, bei dem man sich bei Metaphern und Bildern bedient, die während
155 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. 1999, S.10ff 156 vgl. OELKERS, J. in MEIER-GANTENBEIN, K.F. 2000, S.17ff 157 s. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.42ff 158 s. ebenda, S.41
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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der Aktion aufgetaucht sind, und die auch eine Relevanz für das alltägliche Leben haben, um
so das erlebnispädagogische Erlebnis mit dem Alltag zu verknüpfen159.
In vielen Jugendverbänden wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zwar erlebnispädagogisch
gearbeitet, aber ohne es als solche zu benennen. „Im Wesentlichen stützten sich die nach 1945
gegründeten bzw. sich neu formierten Träger der Jugendarbeit auf ein Handlungsrepertoire,
das die Jugendbewegung und die daraus hervorgegangenen Bünde bis zu deren
Vereinnahmung durch das NS-Regime kennzeichnete.“160 Es waren primär die Fahrten und
Lager, die in der Tradition des Bündischen standen, die einen besonderen Stellenwert in der
Nachkriegs-Jugendarbeit hatten. „Wenn man in Chroniken der Jugendverbände nachliest, so
fällt generell auf, dass Sport treiben, Zeltlager veranstalten und auf Fahrt gehen zumindest
bis zur Mitte der 60er Jahre offenbar die Höhepunkte und Sinn stiftenden
Gemeinschaftsunternehmungen waren.“161 Die neuen Träger der Jugendarbeit hatten zwar die
Rolle der Bünde übernommen, die selber nur unbedeutend fußfassen konnten, „ohne deren
Prinzip der Selbstorganisation zu verfolgen.“162 Vielmehr standen erwachsenbestimmte
Verbandsinteressen dahinter.
Der Missbrauch der Elemente, die der Jugendbewegung, der Reformpädagogik und der
Erlebnistherapie gemein sind, durch den Nationalsozialismus für ihre parteipolitischen Ziele
wirkte lähmend. Seitens pädagogischer Institutionen wurden die erlebnispädagogischen
Ansätze nach dem Zweiten Weltkrieg ungenügend reflektiert. Aufgrund der zunehmenden
Veränderung der kindlichen Lebenswelt, die in Bezug auf primäre Erlebnisse negativ zu
beurteilen sind, wie z.B. der passive Medienkonsum, fehlende soziale Kontakte, das
Aufwachsen in der Großstadt mit seinen fehlenden Austob-Möglichkeiten, hat die
Erlebnispädagogik seit den 80er Jahren einen regelrechten ‚Boom’163 erlebt und ringt seitdem
verstärkt um ein pädagogisches Profil, um sich von den abenteuer- und actionreichen
Freizeitangeboten abzugrenzen, die ebenfalls mit den selben Schlagwörtern wie ‚Erlebnis,
‚Abenteuer’ und ‚Natur’ werben.
Der Erlebnispädagogik geht es primär um „Erziehung und Bildung, um Helfen und Heilen,
um Begleiten und Betreuen, um Therapie und Training“164, wobei sich die Arbeit im
Spannungsfeld ‚Erleben und Erziehen’ abspielt, und man sich als pädagogische
Suchbewegung versteht, die stets nach neuen effektiven Lernformen Ausschau hält.
159 vg. MEIER-GANTENBEIN, K. F. 2000, S.31ff 160 s. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.36 161 s. ebenda, S.35 162 s. ebenda, S.36 163 der Begriff ‚Erlebnispädagogik’ wird erst seit Beginn der 80er Jahre in der sozialpädagogischen
Theoriediskussion verwendet (vorher u.a. ‚Freizeitpädagogik’ und ‚Abenteuerpädagogik’) – vgl. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.39
164 s. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. 1999, S.12
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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6.2. Erlebnispädagogik und Pfadfindertum
Zwischen der Erlebnispädagogik und der Methode des Pfadfindens und seiner
Erziehungsziele lassen sich diverse Parallelen und Gemeinsamkeiten aufzeigen.
Zum einen beinhaltet das Prinzip „Scouting is Doing“ ein handelndes Lernen, d.h. das Lernen
durch Erfahrungen. Die Erlebnispädagogik will ebenfalls Lernsituationen initiieren, in denen
das praktische, handelnde Lernen im Mittelpunkt steht. Die Verknüpfung aus Handlungs- und
Erfahrungsorientierung ist im Prinzip „Learning by Doing“ in der Erlebnispädagogik am
konsequentesten verwirklicht worden165. Der Großteil der Unternehmungen beide Ansätze
findet in der Natur statt.
HAHNs Erlebnistherapie und BADEN-POWELLs Erziehungsmodell basieren auf den selben
Ansätzen und Schwerpunkten. Beide sprechen urmenschliche Erfahrungsbereiche an „wie
Gefahr, Not und Abenteuer, sowie die Entfaltung entsprechender Lösungsmöglichkeiten wie
Gemeinsinn, Wachsamkeit, Tapferkeit und Nächstenliebe.“166
W. FÜRST167 benennt folgende Merkmale der Erlebnispädagogik, die ebenso die Merkmale
der pfadfinderischen Erlebniswelt beschreiben. Die daraus resultierenden Situationen werden
sowohl von der Erlebnispädagogik als auch von der Pfadfinderei als Erziehungsmodell
pädagogisch genutzt:
• die unfertige Situation
Nicht alles kann bei einer erlebnispädagogischen oder pfadfinderischen Aktion bis ins Detail geplant werden. So hat man z.B. bei Unternehmungen in der Natur keinen Einfluss auf das Wetter. Es muss aus der Situation heraus gehandelt werden, wobei gruppendynamisch kreative und flexible Lösungen zeitnah gefunden werden müssen. Man hat so die Möglichkeit, auf den Ablauf der Unternehmung Einfluss zu nehmen und sie mitzugestalten.
• die Ernsthaftigkeit/ Unausweichlichkeit
Man kann keiner Situation aus dem Weg gehen; man kann dieser nur mit den Mitteln und Möglichkeiten begegnen, die die Gruppen zusammentragen kann. Es sind keine künstlich erzeugten Situationen, die man per Knopfdruck beenden kann. Der Hunger, die Kälte, die Erschöpfung sind authentisch, aber ebenso die positiven Eindrücke.
• die Körperlichkeit
Bei erlebnispädagogischen oder pfadfinderischen Unternehmungen lernt jeder die Grenzen seiner physischen und psychischen Kondition kennen. Man
165 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.12 166 s. WORM, H.-L. 1995, S.61 167 vgl. Pfadfinderbund Weltenbummler e.V. (Hrsg.) 2001, S.85ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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entdeckt innere Reserven, erkennt aber auch, wann der Akku leer ist. Durch die gewonnenen Erfahrungen der eigenen Stärken und Schwächen lernt man, sich bewusst mit seinen Grenzen auseinanderzusetzen.
• die Überschaubarkeit
Die bei den Aktionen gewonnenen Erfahrungen sollen auch in das alltägliche Leben transferiert werden können. Dafür ist es notwendig, dass der Rahmen der Situation überschaubar bleibt und die Unternehmung nicht losgelöst von den sonstigen Erfahrungen – oder gar der Vorstellbarkeit – der Teilnehmer stattfindet. Bei den Unternehmungen geht es darum, Möglichkeiten zu erlernen, wie man in bestimmten Situationen handelt und wie man Lösungsansätze findet. Die Herausforderungen sollen so gestaltet sein, dass Eigeninitiative und solidarisches Verhalten, sowie die Übernahme von Verantwortung gefördert wird und jeder abhängig von seinem Alter, seiner Erfahrung und seiner Fähigkeit zum Gesamtgelingen betragen kann.
• die Unmittelbarkeit des Erlebens
Jede eigene Handlung und die der Gruppe hat eine unmittelbare Auswirkung bzw. Konsequenz. Auf diese muss wiederum mit einer neuen Entscheidung reagiert werden. Diese endlose Kette ist ein Übungsfeld für soziale, methodische und fachliche Kompetenzen.
Im Pfadfindertum und in der Erlebnispädagogik geht es nicht um ‚Abenteuerlichkeiten’,
sondern um Erlebnisse aus denen persönliche Lerneffekte abgeleitet werden, die einem zur
Bewältigung des Alltags nützen sollen.
Die Arbeit nach der Pfadfindermethode und nach den pfadfinderischen
Erziehungsgrundsätzen ist letztlich die Umsetzung der Erlebnispädagogik. Der
Hauptunterschied besteht darin, dass bei erlebnispädagogischen Unternehmungen die direkte
und zielgerichtete Reflexion des Erlebten ein wichtiger Bestandteil ist. Bei Pfadfindergruppen
finden Reflexionen unregelmäßig und nicht zielgerichtet statt. Da es sich bei einer
erlebnispädagogischen Aktion zumeist um eine Kurzzeit-Unternehmung handelt, ist eine
unmittelbare Reflexion notwendig, um ein Erlebnis als eine Erfahrung zu festigen. Pfadfinder-
Aktionen finden zumeist in einer festen Gruppe statt, die über mehrere Jahre Bestand hat. Das
Erfahrungslernen zieht sich über einen längeren Zeitraum hin.
Angesichts der deutlichen Verwandtschaft der Pfadfinderarbeit zur Erlebnispädagogik ist es
ein wenig verwunderlich, dass BADEN-POWELL mit seinem internationalen
praxisbezogenen Erziehungsmodell, das immerhin seit fast hundert Jahren weltweit bei vielen
Millionen Menschen in der außerschulischen Erziehung erfolgreich angewendet wird, in der
reformpädagogischen Literatur keine Beachtung findet. Möglicherweise liegt es daran, dass
BADEN-POWELL das praxisbezogene Lernen der pädagogischen Theorie vorzog.
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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7. Die bündischen Elemente
Die Verschmelzung der frühen deutschen Jugendbewegung und des internationalen
Pfadfindertums in der Weimarer Zeit zur sogenannten Phase der ‚Bündischen Jugend’ ergab
auch eine Verbindung der Arbeitsweisen, Formen und Rituale beider Richtungen.
Das Wort ‚bündisch’ ist schwer zu fassen. Es leitet sich aus der irrational-gefühlsmäßigen,
über der reinen Vernunftebene liegenden Gemeinschaftsform des ‚Bundes’ ab. Viele, die auch
heutzutage noch in Gruppen aufwachsen, die ihre Wurzeln in der Jugendbewegung, bzw. der
Bündischen Jugend haben, sehen rückblickend diese Jahre als „eine ‚unerhört intensive’, als
eine ‚erfüllte’ Zeit, [mit] Erfahrungen, die mich verändert haben, ohne dass ich im einzelnen
genau sagen könnte, was es war.“168 ‚Bündisch’ ist in diesem Zusammenhang eine
Bezeichnung für eine Lebens- und Geisteshaltung169, die sich aus einer bestimmten
Sozialisation nährt.
Im Vorwort der ‚Dokumentation 1993-95’ der Bündischen Akademie Lüdersburg werden
folgende Merkmale des ‚Bündischen’ aufgeführt170.
‚Bündisch’ ist...
...zusammen zu sein, gemeinsam zu handeln
...keine Clique ohne Ziel und Stil zu sein
...keine Einrichtung zu sein, die von Erwachsenenseite Jugendarbeit und -pflege anbietet, autonom zu sein
...herausfinden, wie man selbstbestimmt und nicht fremdbestimmt leben kann
...gemeinsam statt einsam zu sein
...sich aufeinander verlassen zu können
...sich selber auf den Weg zu machen, sich nicht treiben zu lassen, sondern selber die Initiative zu übernehmen
...die Welt zu entdecken, fremde Länder und Lebensweisen kennenzulernen fernab der oberflächlichen Touristen-Neugier
...neugierig zu bleiben
...fremde Lieder singen und Geschichten erzählen zu können, eigene Lieder zu komponieren
...bewusste Einfachheit der Lebensführung zu wählen, selber zu kochen
...in der Kohte zu schlafen statt ‚Camping’ zu machen, selbstgeplante Fahrten zu unternehmen
...souverän zu werden gegenüber den Anpassungs- und Konsumzwängen
168 s. Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) 1995, S.3 169 vgl. RAABE, F. 1961, S.57ff 170 vgl. Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) 1995, S.3ff
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Filtert man die bindenden Elemente heraus, und nimmt man die bereits erwähnten
Arbeitsmethoden/ -weisen und Ausdrucksformen der Wandervögel und Pfadfinder hinzu,
dann ergibt sich ein umfassender Kanon an Stilen und Formen, die der Bündische für seine
Arbeit nutzt, bzw. die das Erleben in einer bündischen Gruppe erzeugen. Diese Stile und
Formen, die sich aus jugendbewegter und pfadfinderischer Herkunft herleiten und
zusammenfügen lassen, sind für mich die sogenannten ‚bündischen Elemente’, und das Wort
‚bündisch’ ist für mich in erster Linie ein Synonym für die Synthese dieser Elemente.
Dazu gehören:
Stile und Formen des ‚Bündischen’ – die ‚bündischen’ Elemente
(Reihenfolge ohne Gewichtung, zwei Unterpunkte wurden jedoch hervorgehoben, da das Kapitel 8 sich mit diesen beschäftigt!):
Eher aus dem Wandervogel kommend:
• Jugendromantik
• Jugend führt Jugend
• bewusster Verzicht auf Komfort und Bequemlichkeiten
• Freiheit (von Zwängen)
• ‚Leben statt Lektionen’
• das Recht junger Menschen auf das selbstgewählte Leben
• ungebunden, autonom
• ein eigenes ‚Nest’ haben
• unabhängig von gesellschaftlichen Mode-erscheinungen
• auf sich selbst gestellt
• Erziehung durch Selbsterziehung
• Fahne als Symbol der Gemeinschaft
• kreative musisch-ästhetische Gestaltung des Gemeinschafts-lebens (Singen, Theater...)
• (Wander-) Fahrt
• Selbstorganisation
• Selbstbestimmung
• Eigeninitiative
Eher aus dem Pfadfindertum kommend:
• Kluft
• Learning by Doing
• Gesetz und Versprechen
• internationale Begegnungen
• (Zelt-) Lager
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Beiden Richtungen zuordnend:
• Gemeinschaft • Naturerleben • die kleine Gruppe
• Freundschaft
• Kohte/ Jurte
• Abenteuer
• Fernweh
• Sehnsucht nach dem Feuer
• einfache Lebensweise bei Selbstverpflegung und geringen Kosten
• Drang nach eigenen Erfahrungen
• Kameradschaft
• Neugier
• Lebenslust
Ein Element für sich macht noch keine bündische Arbeit aus, erst die Kombination möglichst
vieler Elemente – wobei sich viele wechselseitig bedingen – erzeugt die intensive und
anregende Erlebniswelt des ‚Bündischen’, die den Teilnehmenden ganzheitlich beansprucht
und nachhaltig auf ihn wirkt, und man sie so zur Ausbildung von sozialen, emotionalen und
motorischen Kompetenzen pädagogisch zielgerichtet einsetzen kann. Besonders die Fahrt und
das Lager eignen sich sehr gut, um diese Kompetenzen auszubilden und zu fördern.
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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8. Der pädagogische Wert der beiden ‚bündischen’ Haupt-Aktionen – das Lager und die Fahrt
Kristallisationspunkte der ‚bündischen’ Arbeit, bzw. die Arbeit nach den ‚bündischen’
Elementen sind die in der freien Natur stattfindenden (Zelt-) Lager und (Wander-) Fahrten.
Das Lager zeichnet aus, dass es an einem Standort stattfindet, von dem aus die Aktionen und
Programme gestartet werden, während man auf der Fahrt ständig unterwegs ist und nur selten
zwei Tage am selben Ort verbleibt. Während der Jugendbewegte die mehrwöchige Großfahrt
bevorzugt, veranstaltet der Scoutist eher ein Lager.
Beide Aktionsformen haben ihren pädagogischen Wert und beide haben eine unterschiedliche
Bedeutung für und Wirkung auf die Teilnehmer. „Wer sich an einen anderen Ort begibt,
verlässt seine gewohnte Lebenswelt und damit auch seine übliche Lebensform.“171 – Der
Teilnehmer muss sich auf etwas Anderes einstellen, Veränderungen bewältigen und eine
innere Beziehung zum neuen Ort aufbauen. Fahrten und Lager eröffnen neue Lebensräume,
die den ganzen Menschen fordern.
Eine wichtige Rolle für jede Aktion im ‚bündischen’ Sinne spielt die Gruppe, sowie das
Verhältnis zwischen dem Führer und der Gruppe. (siehe Punkt 8.3. und 8.4.)
8.1. Das Lager
‚Lager’ bedeutet172, sich für einen bestimmten Zeitraum, Tag und Nacht im Freien
aufzuhalten und in selbstgebauten Hütten oder Zelten zu leben. Man nimmt bewusst
fehlenden Komfort der modernen, technisierten Welt und Beschwerlichkeiten in Kauf. Man
setzt sich der Witterung aus, ist verstärkt auf seine Sinne angewiesen und lernt ein alternatives
Leben kennen. Man gestaltet sich kreativ eine eigene Welt, lebt in einer Gemeinschaft, in der
jeder die Möglichkeit hat, das Lagerleben aktiv mitzugestalten. Man bestreitet die Zeit nach
eigenen Vorstellungen, jedoch im Konsens aller Teilnehmer, und man hat den Freiraum, sich
für eine Weile seine eigene Welt zu schaffen. Ein Lager fördert die Selbständigkeit und
Selbstbestimmung und ist im Großen und Ganzen ein Abenteuer.
Im Gegensatz zur Fahrt existiert auf einem Lager ein gewisses Maß an Infrastruktur. Feuer-
und Bauholz, Waschmöglichkeiten etc. wurden bei der Auswahl des Lagerplatzes
berücksichtigt.
171 s. ISENBERG, W. 1993, S.124 172 vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.5ff + vgl. STRUNK, P. 1995, S.19ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Das erste Pfadfinder-Zeltlager führte BADEN-POWELL 1907 auf Brownsea-Island durch,
wo er knapp zwei Dutzend Jungen aus verschiedenen sozialen Schichten zusammenführte.
Aus dem Erfolg dieses Lagers zog er endgültig die Motivation, eine Pfadfinderorganisation
aufzubauen. Das (Feld-) Lager der Kaiser- und auch der Weimarer Zeit beinhaltete noch viele
paramilitärische Formen, und die Körperertüchtigung und das Handwerkliche standen im
Vordergrund, doch spätestens in der bündischen Zeit spielte der soziale Effekt eine
bedeutende Rolle: „Das Lager ist uns heute nicht mehr bloß ein gutes Erziehungsmittel für
die Jüngsten, noch weniger soll es deine Möglichkeit des schrankenlosen Austobens und zum
Wildwestspielen sein. Die kleinen Lager der Gruppen geben uns Gelegenheit, ganz in tiefster
Gemeinschaft zu leben. [...] Was bedeutet uns denn eigentlich das Lager? Es ist das
Sichtbarwerden des Bundes, Leben in all seinen Formen.“173 SEIDELMANN schreibt, dass
„[...] ein besonderer Wert der Lagerlebensweise in der Dauer der Lückenlosigkeit ihrer
Eindrücke“174 liegt. Erst im Lager kann sich das Gemeinschaftsleben ungestört in stetiger
Linie entfalten; es wird zum Erziehungsraum.
Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Lager in den Bünden „Zeichen der
neugewonnen Freiheit, zu Schaufenstern des eigenen Wollens und zur Selbstdarstellung der
eigenen Autonomie“175. Ihr Erlebnisgehalt wirkt prägend auf jeden Teilnehmer.
Im Grunde ist es unmöglich, von ‚dem’ Lager zu sprechen, da sie sich im Aufbau, in den
äußeren Parametern, im Inhaltlichen und im Programmablauf stark unterscheiden können.
Dennoch gibt es einige Elemente, die allen Lagern gemein sind.
Aufgrund des Verzichts auf Bequemlichkeiten wird der kreative, erfinderische Geist angeregt.
Es wird das ganzheitliche Herausbilden handwerklicher, künstlerischer und musischer
Fähigkeiten und Fertigkeiten eingeübt und gefestigt. Um ein Lager durchzuführen, sind
Grundkenntnisse in Zeltbau, Knotenkunde, Feuer, Kochen, Erste Hilfe etc. notwendig176, die
man in der Regel in den regelmäßigen Gruppenstunden lernt, die jedoch auch auf dem Lager
einstudiert werden können. Es werden Gilden (AGs, Workshops) angeboten, bei denen man
bastelt, zeichnet, modelliert oder singt und musiziert. Man gewinnt Erfahrungen aus erster
Hand, durch eigenes Tun und Erleben. Die natürliche Umgebung spricht alle Sinne an.
173 Zitat aus „Auf neuem Pfad“ Nr.5/1926, Zeitschrift der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands im
VCP (Hrsg.) 1998, S.9 174 s. SEIDELMANN, K. 1966, S.104 175 s. VCP (Hrsg.) 1998, S.9 176 Lagerpraxis: vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.33ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Einen großen Anteil am Lagerprogramm177 nimmt klassisch der Spiel- und Sportbereich ein.
Geländespiele und Einzel- und Gruppenwettkämpfe fördern die körperliche Ertüchtigung und
leisten einen Beitrag zur gesundheitlichen Erziehung.
Man gründet für einen gewissen Zeitraum eine ‚Lebensgemeinschaft’178 und meistert den
‚Lager-Alltag’, indem man zusammen isst, trinkt, spielt, diskutiert, feiert, organisiert, arbeitet,
Probleme löst usw. Das Lager lebt vom Zusammengehörigkeitsgefühl der Teilnehmer und der
Bereitschaft, sich einzubringen, mitzuhelfen und Verantwortung füreinander zu übernehmen.
Die Teilnehmer stehen in einer engen Beziehung zueinander, und Verhaltensdefizite können
durch ‚Vorleben’ kompensiert werden. Zuschauen, Nachahmen, Ausprobieren und
Identifizieren wirkt erzieherisch.
8.2. Die Fahrt
Die ‚Fahrt’ ist eine selbstgeplante Unternehmung, die die Gruppe in möglichst unbekannte
Regionen und Länder führt. Sie kann von einem Wochenende bis zu mehreren Wochen
dauern. Genutzt wird, was man selber dabei hat. Es wird in Zelten sogenannten Kohten, unter
freien Himmel oder in einfachsten Quartieren, z.B. in Scheunen o.ä. übernachtet. Die Gruppe
verpflegt sich selber und kocht – soweit möglich – über offenem Feuer. Die Fahrtengruppe
sollte acht Teilnehmer nicht überschreiten, da ein intensives Miteinander für das Gelingen der
Fahrt unabdingbar ist.
Die Fahrt ist ein bewusster Schritt zurück zur Natur, man will den zivilisatorischen Zwängen
und Annehmlichkeiten entsagen, die Freiheit spüren, wenn man auf seinen eigenen Füßen
steht – mit jeglicher Konsequenz! Es geht dabei „um Bewegung und Erfahren, Veränderung
und Kommunikation, Weggehen und Ankommen, Forschen und Erschrecken, Überraschung
und Erholung…“179 Man bewegt sich möglichst wandernd fort, ggf. auch mit dem Fahrrad
oder dem Kanu. „Der Wanderer wandert nicht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern
er wandert um des Wanderns willen. Das Wandern ist Selbstzweck. Das heißt nicht, dass er
sich nicht auch ein Ziel setzt, [...] aber diese Ziele dienen nur dazu, seiner Wanderung einen
Inhalt zu geben.“180 Hier steht nicht nur das Ziel im Mittelpunkt, sondern auch der Weg
dorthin.
177 Lagerprogramm: vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.67ff + s. Hessische Kindergruppenteamer (Hrsg.) 1981 + vgl.
STRUNK, P. 1995, S.22ff 178 vgl. HARM, Wolfgang “Zeltlager als Lebensgemeinschaft”, S. 62 in FISCHER, D./ KLAWE, W./
THIESEN, H.-J. (Hrsg.) 1985, S.60-63 179 s. GRIESE, C./ LOST, C. 2004, S.325 180 s. BOLLNOW, O.F. 1997 in SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.49
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Die Fahrt ist nicht unbedingt im Sinne einer Fortbewegungsmethode zu sehen, sondern eher
sinnbildlich als ‚Neues erfahren’. ‚Fahren’ kann man auch mit ‚Erfahrung’ im Sinne von
‚Bildung’ und ‚Erziehung’ in Verbindung bringen. Die alte Volksweisheit „Reisen bildet“
könnte man für den Jugendbewegten in „Wandern erzieht“ übersetzen. – Es geht dabei darum,
im Kreise der Vertrauten Ungewohntes und Neues zu erleben, die Gruppe und sich zu fordern
– sowohl körperlich und geistig als auch emotional und sozial. Die soziale Interaktion ist
besonders intensiv, da man sich ihr nicht entziehen kann.
Auf Fahrt entkommt man dem Alltagstrott und entschleunigt diesen. Die aufgenommenen
Eindrücke und deren Verarbeitung stehen weitestgehend im Gleichgewicht.
Das Wandern ist eine erlebnispädagogische Methode und ist sinnbildlich als ‚Lernen als Weg’
zu deuten. Auch wenn sich im vergangenen Jahrzehnt ein „Wander“-Sektor als eigener Markt
etabliert hat, gehören Jugendliche nicht unbedingt zur Zielgruppe. Wandern gilt hier eher als
unmodern. Angesichts der vielen technischen Fortbewegungsmittel, die schneller, weniger
anstrengend und komfortabler sind, ist es nicht verwunderlich, dass „unsere Kinder heute
körperlich wenig leisten können und wollen.“181 Trotz des alten Kommentars von 1976 wird
sich die Lage nicht verbessert haben, da sich der Anreiz, sich in der immer technisierteren
Welt zu bewegen, nicht erhöht hat.
Das Wandern beinhaltet Ziele wie182:
• körperliche und sportliche Herausforderung, Anstrengungen aushalten, Ausdauer einüben, gewandt und mutig sein
• soziale Werte vermitteln wie Verantwortung, Rücksicht, Kameradschaft, Zusammenwachsen in einer kleinen Gruppe
• gesunde Selbstwertgefühle fördern wie Leistungserlebnis, Angstüberwindung
• den Menschen aus der künstlichen Welt hinaus in Beziehung mit der Natur bringen
• Naturerlebnisse wie Schönheit und Werte, Gefahr und Gewitter, Nebelmeere und Abende
• einen leisen Übergang zur Transzendenz über die Faszination der Schöpfung finden.
Fahrten sind keine touristischen Ausflüge „sondern Bildungsreisen im Sinne einer
Erweiterung des Horizontes.“183 Außerdem geht es bei Fahrten „nicht um Entertainment,
sondern um Selbständigkeit, Eigenaktivität und -verantwortlichkeit beim Umgang mit der
Umgebungswirklichkeit, ihrer Aneignung und Vermittlung.“184
181 vgl. ISLAR, K.G. 1976, S.10 182 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.69 183 vgl. HURRELMANN, J. 1998, S.23 184 s. ISENBERG, W. 1993, S.125
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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8.3. Die Gruppe
Voraussetzung für gelingende und gehaltvolle Fahrten und Lager ist die ‚bündische’ Gruppe
als freiwilliger Zusammenschluss von Jugendlichen und jungen Menschen aufgrund einer
emotionellen Übereinstimmung und geistiger Verwandtschaft.
Wie im Wandervogel führen junge und ältere Schüler auf ihren Fahrten einen anspruchslosen
Lebensstil, d.h. sie leben enthaltsam, kommen mit dem aus, was sie mit sich führen und
entsagen bewusst dem Konsum. Schon frühe Wandervogelführer erkannten, dass Fahrten und
die Gruppe Gleichaltriger „verhaltensnormierend“185 wirkt.
Die kleine (Fahrten-) Gruppe ist das entscheidene Konstrukt. In ihr laufen fortwährend
vielfältige Prozesse ab, in die jeder Teilnehmer direkt oder indirekt involviert ist. A.
REICHWEIN schrieb einmal: „Ob man sang, spielte, tanzte, turnte, wanderte – immer tat
man im Grunde dasselbe, eben: gemeinsam.“186
Dem Bedürfnis nach ‚Bestätigung und Liebe’, sowie ‚Sicherheit und Gewissheit’ folgend,
geht eine besondere Dynamik und Bewegung von einer Gruppe aus, die von I. KLEIN und K.
RITTER stichpunktartig skizziert wird187:
Die Gruppe...
...kann Selbstvertrauen stärken und bei seiner Entfaltung helfen.
...kann aber auch Entfaltung blockieren und das Selbstbild und -vertrauen zerstören und zur Übernahme von fremden Meinungen und Einstellungen führen. Der Gruppenführer weiß um diese Prozesse und kann sie ggf. steuern.
...beeinflusst das Verhalten des Einzelnen.
...neigt zur Konformität.
...beeinflusst die Selbsteinschätzung.
Die Gruppe ist eine Erziehungsgemeinschaft, die durch ständige Interaktion alle miteinander
verknüpft. „Es ist die Erziehung in der Gemeinschaft, durch die Gemeinschaft zur
Gemeinschaft.“188 Die Gruppe ist kein Kollektiv, sondern eine Gemeinschaft von Individuen.
Die gemeinschaftsbildene Funktion der Gruppe und der intensive Kontakt zu Gleichaltrigen
spielt bei der Selbstfindung und -verwirklichung, sowie für das soziale Lernen eine
185 vgl. MÜLLER, C.W. 1973, S.16 186 s. HURRELMANN, J. 1998, S.24 187 s. KLEIN, I./ RITTER, K. 2001, S.36ff 188 ISLAR, K.G. 1976, S.23
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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entscheidene Rolle. Soziales Lernen erfolgt u.a. durch Imitation, somit hat jedes
Gruppenmitglied eine Vorbildrolle inne – besonders der Führer („Look at the boy“189).
Dem Führer einer solchen Gruppe obliegt die Aufgabe, Situationen zu initiieren, an denen die
Kinder und Jugendlichen erleben können, was Geborgenheit in einer Gemeinschaft ist und in
der jeder seine Persönlichkeit entwickeln und ausbilden kann. Gerade dieses intensive
Gemeinschaftsleben macht den Unterschied zwischen einer bündischen Gruppe und einer der
offenen Jugendarbeit aus. Die Mitglieder müssen selbst durch eigene Aktivität, ihr
Engagement und ihre Verbindlichkeit aus der beliebigen Ansammlung von Kindern eine
Gruppe bilden, wobei das Gruppenergebnis zumeist das beste Individualergebnis übertrifft.
Man ist selbst Teil eines Erlebnisses, des Gemeinschaftserlebnisses.
Mehr noch als auf einem Lager sind auf einer Fahrt ein guter Zusammenhalt und Vertrauen
existenziell notwendig. Die Fahrt ist in der Regel anspruchsvoller und gefährlicher, und man
muss sich aufeinander verlassen können. Ein kameradschaftliches Miteinander ist das
Minimum der Beziehungsbasis.
Eine ‚Kameradschaft’ zeichnet eine besondere Verbundenheit aus, die nicht zwingend auf
einer Freundschaft beruhen muss, sondern auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet ist, bei
dessen Erreichen man sich gegenseitig beisteht, und das auf gemeinsamen Erfahrungen und
Erlebnissen basiert. Desweiteren werden die eigenen Gefühle und Empfindungen in der
Gemeinschaft geteilt und gelebt. In den meisten Fallen ist das ‚Du’ in solchen Verhältnissen
selbstverständlich. Aus der zielgerichteten, geistigen und emotionellen Verbundenheit und
dem gemeinsamen Erlebnispool werden zumeist intensive lebenslange Freundschaften.
Auf einer Fahrt wird jeder gebraucht, und jeder ist ein wichtiger Bestandteil der Gruppe. In
einer ‚bündischen’ Gruppe gibt es im Grunde nur eine mitverantwortende Zugehörigkeit. Das
Gefühl des Gebrauchtwerdens bedingt eine positive Rückkopplung und die Bereitschaft zur
Übernahme von Verantwortung, die jeder Fahrtenteilnehmer für sich und die Gruppe trägt.
Das enge ‚Zusammenhocken’ fordert von jedem Rücksicht ein. Man muss sein Interesse
hinter das Wohl der Gruppe stellen. Konflikte dürfen nicht verschleppt werden und müssen
zeitnah geklärt werden. Wie auf einem Lager findet auch auf einer Fahrt umfangreiches
‚soziales Lernen’ statt, doch in einem sehr viel intensiveren und direkteren Rahmen. Der Lohn
ist zumeist das Zusammenwachsen zu „einer kleinen verlorenen Schar“190.
189 vgl. CECONI, C./ FABIAN, B./ HAHN, T. 2003, S.34 190 Zeile aus dem Lied „Wir sind eine kleine verlorene Schar“ vom Nerother Wandervogel Alf Zschiesche in
den frühen 30ern geschrieben. Die erste Strophe lautet: „Wir sind eine kleine verlorene Schar, wir stehen für uns auf der Welt. Und jeder Kerl, der mit uns war, hat für immer sich zu uns gesellt.“
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
51
Freiwilligkeit ist nicht nur bei der Gruppenbildung oberstes Gebot, sondern auch beim
Ausscheiden aus dieser.
8.4. Gruppenführung
Um in die intensive Erlebniswelt des ‚Bündischen’ eintauchen zu können, bedarf es eines
engen persönlichen Miteinanders zwischen allen Beteiligten innerhalb der Gruppe. Man findet
ein aristokratisches Führertum vor, wobei auf Qualität vor Quantität gesetzt wird. Es ist ein
elitärer Ansatz, bei dem sich z. T. die Gruppe, bzw. der Führer dieser Gruppe, ihre weiteren
Mitglieder selber aussucht. Es herrscht in den bündischen Gruppen ein partnerschaftlich-
kameradschaftlicher Führungsstil vor. Dieses ‚Führer-Gefolgschafts’-Verhältnis hat mit dem
nationalsozialistischen, autoritären Führertum wenig gemein, das auf Masse,
zwangsverpflichtende Teilnahme und abkommandiertem Führen basierte.
Das Wort ‚Führer’, bzw. ‚Führung’ bedarf aufgrund der Assoziation mit dem
nationalsozialistischen Sprachgebrauch einer näheren Definition. – ‚Führung’ im
‚bündischen’ Sinne ist eng verwandt mit den Begriffen ‚Wegleitung’, ‚Begleitung’ und
‚Weisung’. Alle Gruppenmitglieder sind auf ein Ziel ausgerichtet, wobei der ‚Führer’ die
kundigere und erfahrenere Person ist, die den Unerfahrenen den Weg zum Ziel zeigt und ihn
dorthin helfend und begleitend hinführt. Entscheidend für ein verantwortungsbewusstes
Führen ist das richtige Ziel, denn hier liegt die Gefahr des Führens, bzw. des
‚Verführtwerdens’. Das Ziel der Führung sollten „die Ideale der Freiheit und der
Eigenständigkeit, der Menschlichkeit und der Toleranz, der Selbstachtung und der
Nächstenliebe“191 sein, der Geführte muss die Möglichkeit haben, seine Eigenart zu
entwickeln und sich selber zu entfalten. Der Führer muss diesen Prozess fördern. Mit
zunehmendem Alter der Geführten und deren Wissenszuwachs nimmt der
‚Erfahrungsvorsprung’ des Führers ab und damit die Notwendigkeit des Führens.
In einer bündischen Gruppen folgen die Mitglieder dem (Horten-, Sippen-, Gruppen-) Führer
freiwillig, der wiederum stets bemüht sein muss, nur das Beste für seine Gruppe zu wollen.
Denn ‚führte’ er nicht im Sinne seiner Gruppe, würde sich diese von ihm abwenden, und das
‚bündische’ Führungs-Modell hatte keine Berechtigung mehr, weil der Führer keine
Gefolgschaft mehr hätte.
Jede ‚bündische’ Gruppe ist eine Erziehungsgemeinschaft und „wirkliche Erziehung
geschieht nur auf einer Grundlage einer wirklichen Beziehung zum jungen Menschen.“192 Die
innere Autorität des Führers (‚Charisma’), die auf ein freundschaftliches Verbundensein
191 s. ROTHE, F. K. 2002, S.64 192 s. Pfadfinderbund Weltenbummler e.V. (Hrsg.) 2001, S.97
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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aufbaut, und das Verlangen der Jugend nach einem Vorbild für die eigene Lebensführung,
sind Grundsteine dieses Verhältnisses193.
Das partnerschaftlich-kameradschaftliche Miteinander beruht auf einer weiteren Größe, die
ebenso wie das ‚Erlebnis’ pädagogisch schwer zu fassen und rational zu erklären ist und somit
nicht planmäßig erzeugt bzw. initiiert werden kann: ‚Sympathie’. ‚Zusammen fühlen’ oder
‚zusammen leiden’ bedeutet das aus dem griechischen kommenden Wort und ist „Ausdruck
einer spontanen Nähe, ein Gefühl von Wohlsein, eine Empfindung von Harmonie, ein Wunsch
nach Zusammengehörigkeit.“194
‚Sympathie’ beruht nicht zwingend auf Gegenseitigkeit, bzw. ist nicht unbedingt von Dauer;
es bedarf des persönlichen Einsatzes durch Vertrauen, Wahrhaftigkeit und dem offenen
Umgang miteinander, um eine mögliche ‚Sympathie’ zu pflegen.
Die Erziehung wird wesentlich von der Sympathie und Antipathie beeinflusst. Da sich die
‚bündische’ Gruppe als Erziehungsgemeinschaft sieht, ist die gegenseitige ‚Sympathie’ eine
Grundlage der Erziehung. Ebenso spielt sie im Bezug auf das Lernen eine wichtige Rolle,
denn in einem „Klima der Sympathie entfaltet sich eine pädagogische Atmosphäre, die das
Lernen leicht macht, weil sie die Motivation […] belebt und unterstützt.“195
Aufgrund der Tatsache, dass man ‚Sympathie’ nicht willentlich erzeugen kann, gilt es aus
pädagogischer Verantwortung heraus, sich um die Mitglieder zu kümmern, denen man
emotionell noch nicht so zugetan ist. Herrscht eine freundschaftliche, offene und
sympathische Grundatmosphäre, so kommt sie grundsätzlich jedem zugute. Goethe schrieb:
„Man muss nur ein Wesen von Grund aus lieben, da kommen einem die übrigen alle
liebenswürdig vor.“196 Gegenseitige Achtung und Respekt bringen alle Gruppenmitglieder
näher, gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen führen zur Bündigung bei.
Das Führungsverhältnis in ‚bündischen’ Gruppen basiert letztlich auf der freiwilligen
Gefolgschaft und der persönlichen Zuneigung (‚Sympathie’).
193 vgl. GERR, H. E. 1998, S.66f 194 s. ROTHE, F. K. 2002, S.8 195 s. ebenda, S.20 196 vgl. ebenda, S.23
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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8.5. Gemeinsamer pädagogischer Wert
8.5.1 Soziale Kompetenzen
Das Leben und Lernen auf Fahrten und Lager findet immer im sozialen Kontext statt. Es
lassen sich dabei diverse pädagogische Ziele verfolgen, die besonders auf das soziale Lernen/
Sozialerziehung abzielen und die Charakterbildung und -festigung anstreben. Sie wirken den
Defiziten in der Real-, Selbst- und Fremdwahrnehmung, sowie in der
Verständigungsbeziehung, der Toleranz und der Kooperationsfähigkeit der heutigen
Jugendlichen entgegen197. In einer sich in den letzten Jahrzehnten veränderten Lebenswelt für
die Kinder und Jugendlichen, in der teilweise verbindliche kollektive Wertmaßstäbe fehlen,
müssen die unterschiedlichen Erfahrungen, Vorstellungen und Einstellungen angeglichen und
ein gemeinsamer Wertekanon aufgebaut werden.
Das Ziel der sozialen Erziehung ist die Ausbildung und Steigerung von Sozial- und
Selbstkompetenzen und richtet sich gegen das eigennützige Streben nach materiellen Gütern
und der ungebundenen Selbstverwirklichung, bei der soziale Werte wie Verantwortung,
Solidarität, Kompromissfähigkeit o.ä. nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Bei den
geförderten Kompetenzen handelt es sich um sogenannte ‚Schlüsselqualifikationen’. Die
folgende Sammlung solcher Kompetenzen ist auf das Lager bezogen, hat aber auch auf Fahrt
die selben Effekte.
Die Reihenfolge der Aufzählung ist beliebig, da sich die Komponenten in der Regel
gegenseitig bedingen oder ergänzen198:
Identitätsfindung: Wo liegen meine Bedürfnisse und meine Interesse? Wo meine Stärken und
Schwächen? Die ständige Interaktion mit den übrigen Lager-Teilnehmern bedingt eine
selbstkritische Betrachtung der eigenen Person. Maßstäbe, die sonst gelten, sind auf einem
Lager zumeist hinfällig, da zusätzliche Qualifikationen und Fähigkeiten gefragt sind. Eine
umfassende Selbstfindung in unterschiedlichen Bereichen beginnt. Die eigene Reflexion
fließt in die Gruppenprozesse mit ein, da jedes Individuum Teil eines größeren Kollektivs
ist, und die Gruppe als soziale Umwelt letztlich „Mittel zur Selbstverwirklichung des
Individuums [ist]... und ebenso von jedem Gruppenmitglied geprägt [wird].“199 Da die
Gruppenmitglieder während des Lagers in der Regel dieselben bleiben und man sie
zunehmend besser kennen lernt, dienen sie als Orientierungspunkte für die neuen
Maßstäbe. Jeder wird merken, dass er sich von den anderen durch besondere Fähig- und
197 vgl. ISENBERG, W. 1993, S.123 198 vgl. GERR, H.E. 1998, S.23ff & S.50ff + KICINSKI, A. 1981, S.73ff + KRÜGER, J. 1976, S.9ff + VCP
(Hrsg.) 1988, S.81ff 199 s. KICINSKI, A. 1981, S.75
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Fertigkeiten unterscheidet, die er zum Wohl der Gruppe einbringen kann. Eine Steigerung
des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls geht damit einher. – Die Gefahr, in eine
unliebsame Rolle gedrängt zu werden, besteht jedoch ebenso. Es gilt, ein
abwechslungsreiches Programm zu gestalten, das die Teilnehmer ganzheitlich fordert und
die Komplexität eines jeden Einzelnen sichtbar macht. Gegebenfalls muss der Führer der
Gruppe eingreifen, indem er die gruppendynamischen Prozesse direkter lenkt oder
Missstände thematisiert und mit der Gruppe gemeinsam reflektiert.
Selbständigkeit: Auf einem Lager müssen von allen Teilnehmern Aufgaben – wie Ordnung
halten, Essen zubereiten, abwaschen – übernommen werden, die ihnen sonst im Alltag
abgenommen werden. Diese wahrzunehmen und zu erledigen, indem vorab die praktischen
Fertigkeiten eingeübt werden, wirkt nachhaltig. Das selbständige, eigenverantwortliche
Wahrnehmen und Umsetzen von Arbeiten führt erst zum Gelingen eines Lagers. Die
empfundene Unabhängigkeit, es selber zu leisten, ist zumeist ein großer Anreiz.
Verantwortungsbewusstsein: Auf einem Lager ist jeder Teilnehmer für das gesamte Gelingen
verantwortlich. Jeder sollte in die Planung, Organisation und Gestaltung mit einbezogen
sein, damit er sich verstärkt für die gemeinsame Zeit zuständig fühlt. Durch die Einsicht in
die Notwendigkeit vieler Arbeiten und durch das von der Gruppe ausgesprochene
Vertrauen, selbstbestimmt und selbstverantwortlich nach Lösungen suchen zu können,
wird das Verantwortungsbewusstsein für sich, seine Mitwelt und die Dinge, die jedem
anvertraut sind, gefördert. Die positive Rückkopplung, etwas ‚Gutes’ zu tun, verstärkt eine
Identifikation mit der Aufgabe und die Bereitschaft, sich dafür verantwortlich zu fühlen.
Sensibilität: Die „Fähigkeit zur Wahrnehmung und Bewusstmachung von Bedürfnissen,
emotionalen Regungen und Ausdrucksweisen“200 von sich selber und den anderen
Teilnehmern ist die Voraussetzung für sämtliche Sozialkompetenzen – jedoch in
unterschiedlichem Maße. Die ständige Rückkopplung, bzw. durch die Reflexion der
anderen lernt man, auf die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Rücksicht zu nehmen und
fördert somit die Sensibilität dafür.
Hilfsbereitschaft: Die Sensibilität zu erkennen, wann eine Person Hilfe benötigt, und das
Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, sind Voraussetzung für diesen ‚Dienst am Nächsten’.
Viele Arbeiten auf einem Lager können nur zusammen ausgeführt werden, so werden
zwangsläufig unzählige Situationen erzeugt, die an die Hilfsbereitschaft appellieren. Dazu
gehört auch die selbstlose Übernahme von Aufgaben, die einem persönlich primär keinen
Vorteil verschaffen, aber der Gruppe dienlich sind.
200 s. KICINSKI, A. 1981, S.80
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Kritikfähigkeit: Maßvolle positive und negative Kritik zu erhalten und zu geben, sowie
selbstkritisch zu sein, ist abhängig von selbstgemachten Erfahrungen in Interaktion mit den
anderen Teilnehmern, sprich: Um das Wissen des Machbaren. Sich Vorurteile zu bewahren
und die Realität im Blick zu behalten, beruht auf dem genauen Kennenlernen seiner
Umwelt und seiner Mitstreiter.
Toleranz: Toleranz bezeichnet „die Fähigkeit, Meinungen und Standpunkte anderer zu
akzeptieren und gelten zu lassen, selbst wenn sie mit der eigenen Meinung und dem
eigenen Standpunkt nicht übereinstimmen.“201 Grundlage ist hierbei das Menschenrecht.
Die Komplexität des Miteinanders auf einem Lager fordert ein, sich mit unterschiedlichen
Ansichten auseinanderzusetzen und einen gemeinsamen Konsens zu finden. Man muss
Rücksicht nehmen und darf sein Anliegen nicht ständig in den Mittelpunkt stellen.
Kooperationsfähigkeit: Zusammenarbeit als Schlüssel zum Erfolg gehört zum Grundstock
eines erfolgreichen Lagers. Ein Lager spielt sich in der Gruppe ab, und jeder muss mit
anpacken. Man muss auf die Zuverlässigkeit aller bauen können.
Solidarität: Gemeinsame Ziele, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Identifikation mit der
Gruppe und die Bereitschaft zur gemeinsamen Aktion beinhaltet die ‚Solidarität’.
Kommunikationsfähigkeit: Kommunikation beschränkt sich nicht nur auf die Sprache, sondern
umfasst auch optische Ausdrucksformen, wie Gestiken, Mimiken und Körperkontakte. Um
sich verständigen zu können, muss man die selbe Sprache sprechen, was wiederum auch
die Deutung von optischen Signalen einschließt. Darüber hinaus wird jeder in der
Interaktion mit den anderen Teilnehmern ‚Gesetzmäßigkeiten’ – „im Sinne von Abläufen,
die wir nicht umgehen oder vermeiden können, [...] die Bestandteil unserer
Kommunikation sind“202 – feststellen, dass ein Handeln stets Folgen hat, dass die eigenen
Werte das Handeln beeinflussen und dass man sein Handeln bewusst lenken kann. Hierfür
ist es unabdingbar, einen gemeinsamen Weg der Verständigung zu finden.
Konfliktfähigkeit: Es ist zumeist unausweichlich, dass es auf einem Lager, wo man derart
intensiv miteinander lebt, auch zu Auseinandersetzungen und Streiterein kommt. Auf
einem längeren Lager hat man durchaus die zeitliche Möglichkeit, Konflikte zu erkennen
und zu besprechen, die im Alltäglichen sonst unterschwellig aufgeschoben werden. Die
Konfliktfähigkeit beinhaltet immer die Kenntnis von Lösungsstrategien, die gemeinsam
erarbeitet und einstudiert werden müssen.
201 vgl. ebenda, S.84 202 s. KLEIN, I./ RITTER, U. 2001, S.20
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Kompromissfindung: Zur Durchführung eines Lagers sind gewissen Regeln unabdingbar, die
sich aus der Notwendigkeit (Dienste, Spielregeln, verbindliche Zeiten) und den
Erfordernissen ergeben. Ihr gegenüber stehen die Interessen der Teilnehmer, und um ein
funktionierendes Zusammenleben zu ermöglichen, muss eine Einigung mittels eines
Kompromisses gefunden werden.
Kreativität und Spontaneität: Trotz guter Planung bietet ein Lager viele unvorhersehbare
Situationen, die zeitnah und flexibel gelöst werden müssen.
Gelebte Demokratie: Ein Lager ist auch ein Übungsfeld gelebter Demokratie. Werden
Entscheidungen per Abstimmung eingeholt, so hat jede Stimme das selbe Gewicht –
unabhängig vom Alter und Amt. Jeder hat vorab die Möglichkeit, sein Anliegen zu
begründen. Ein Unterliegender muss die Entscheidung der Gruppenmehrheit mittragen.
Zusätzlich kann man weitere demokratische Verhaltensweisen und Strukturen ausprobieren
und einstudieren, z.B. mit einem ‚Lagerrat’, der aus Vertretern der Lagerleitung und den
einzelnen Gruppen besteht, oder mit einer ‚Lager-Vollversammlung’, einem Treffen aller
Lagerteilnehmer203. Ein Lager ist eine demokratische Gesellschaft im kleinen und fördert
ein verantwortliches politisches Handeln.
Es gilt, die Urteilskraft des Jugendlichen zu entwickeln, die sinnliche Wahrnehmung zu
fördern und ihnen das Geflecht von Beziehungen zur Mit- und Umwelt innerhalb der Realität
zu verdeutlichen. Dabei sollen sie ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen, ein Ich-Gefühl
entwickeln, ihre eigene Bedürfnisse und Gefühle wahrnehmen und akzeptieren, selbstkritisch
sowie kontakt-, kommunikations- und kooperationsfähig sein. Es soll ein ausgewogenes
Mittel zwischen der Selbst- und Sozialkompetenz erreicht werden. Beide Kompetenzen kann
man nur in der Interaktion mit anderen ausbilden. Jeder soll soziale Bindungen eingehen und
dabei seine persönliche Selbständigkeit bewahren können.
Die aufgeführten Kompetenzen spielen z.T. auch in den folgenden Unterpunkten eine
relevante Rolle, ohne dass dies hier nochmals aufgeführt werden müsste.
8.5.2. Die Stille
Einen besonderen Wert haben die stillen Momente jenseits von künstlichen Lärmquellen.
Fernab der alltäglichen Geräuschkulisse ist vielen die Stille fremd und unheimlich.
Schweigend in einer reizvollen Landschaft nur den Naturgeräuschen zu lauschen oder abends
am Lagerfeuer sitzend das knisternde Holz zu hören, erzeugt Ehrfurcht und lässt selbst den
203 vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.88ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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lebhaftesten Jugendlichen verstummen204. Besonders das Lagerfeuer ist in der Lage,
„Romantik und Andacht und somit eine sakrale Atmosphäre […] zu erzeugen.“205
Die Stille hat intensive meditative Züge. Bei der Meditation „geht das aktive Sich-Bemühen
der Konzentration in ein mehr passives Gehenlassen über“206, wobei man sich bei der
Konzentration bemüht, sich selber zu sammeln und dabei äußere, störende Einflüsse
ausblendet.
„Wie alles, was Dauer haben soll, wächst in der Stille.“207 Die gewonnene innere Ruhe
verdeutlicht zumeist den Wert des Verweilens fern der hektischen Welt. Man kann Stress,
Ruhelosigkeit, Reizüberflutung, Ängste und Nervosität mildern, wenn man sich auf die
Besinnlichkeit einlässt. Das meditative Erleben hat einen positiven Einfluss auf die Psyche
und Gesundheit. Die Palette reicht von Gelassenheit, erhöhter Stresstoleranz, Selbsterfahrung,
größerer Stimmungsstabilität, Willensstärke, Optimismus, körperlichem Wohlbefinden, dem
Gefühl, Anforderungen gewachsen zu sein, bis hin zu verbesserter Leistungsfähigkeit und
Kreativität zu Mitgefühl, Mitfreude, Hilfsbereitschaft, Solidarität und Rücksichtnahme.208
Bei einer damit häufig einhergehenden Selbstreflexion kann man die ruhigen Momente
nutzen, um sich der Gefühle, der Handlungen, der Sinneswahrnehmungen und der Gedanken
des Tages oder der Aktion noch mal bewusst zu werden. Die Verbindungen aus Emotion und
Erkenntnissen können zu neuen (Selbst-) Einsichten führen, die man im Alltagsleben nicht
gewonnen hätte.209 In der Stille erfährt man ein „tiefes, positives Gefühl, […] eine Einheit mit
allem, […] ein Gefühl der Unaussprechlichkeit.“210 – Der Wandervogel und spätere
Schriftsteller Manfred HAUSMANN schrieb über eine erlebte Winternacht 1912 auf der Burg
Hanstein: „[…] Dort summten und sangen die Kameraden. Und da überkam mich ein
Glücksgefühl von geradezu mystischer Tiefe. Wie traumverloren war das mattsilberne
Bergland mit einen Schatten, wie geheimnisvoll die Grenzenlosigkeit der Nacht mit den
strahlenden Sternenbildern. Wie abgründig das Schweigen ringsherum. Wie liebte ich alles!
Wie liebte ich diese Welt. […]“211
204 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.71 205 s. MATTIG, R. 2004, S.301 206 s. GEORGE, S. 1993, S.21 207 s. ISLAR, K.G. 1976, S.11 208 vgl. PIRON, H. 2003, S.170+177ff 209 vgl. GEORGE, S. 1993, S.32ff 210 vgl. PIRON, H. 2003, S.187 211 aus „Tröstliche Zeichen“ von Manfred HAUSMANN (1957) in MÜLLER, C.W. 1973, S.19+20
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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8.5.3. Grenzerlebnisse
Auf Fahrt und Lager lernt man nicht nur seine eigenen Fähigkeiten kennen, sondern auch
seine eigenen Grenzen. Wandern z. B. bedeutet Mühen und Anstrengungen ertragen, was
einen ganz besonderen Teil des Erlebens ausmacht. Es erzieht zu der Fähigkeit, in einem
Augenblick zugunsten eines höheren Ziels zu verzichten. Langgezogene, eintönige Strecken
können frustrierend sein, aber man lernt eine Toleranz gegenüber solchen Frustrationen, wenn
man merkt, dass am Ende der Mühen z. B. ein schöner Lagerplatz wartet.
„Das Erleben ist nicht die ganze Erziehung – aber ohne gemütsmäßig tiefergehendes Erleben
geht beim jungen Menschen nichts, weder in der Schule des Umgangs mit der Natur, noch in
der Schule des Wissens, noch in der Schule des Umgangs miteinander, noch in der Schule des
Umgangs mit Verantwortung und Gefahr, noch in der Schule der Werte, noch in der Schule
des Glaubens.“212
Jeder ist durch eigene Anlagen, körperliche Merkmale und erlernte bzw. nicht erlernte
Fähigkeiten begrenzt, doch sind diese Grenzen nicht unveränderlich. ‚Learning by Doing’,
körperliche und geistige Ertüchtigung und die Neugierde, ‚was hinter dem nächsten Berg
kommen mag’, können die eigene empfundene Begrenztheit neu ausloten. Auf einer Fahrt
bleibt es nicht aus, dass man an seine physischen und psychischen Grenzen stößt. FÜRST
unterscheidet vier verschiedene Typen der Grenzerlebnisse213:
1. das Durchbeißen, bei dem das Überschreiten der eigenen Grenzen im Vordergrund steht,
2. das Ertragen, bei dem es umgekehrt um ein Akzeptieren eigener Grenzen geht,
3. das Erforschen der Selbstbegrenzungen, bei dem die bewusste Wahrnehmung der Situation an der Grenze gefördert wird,
4. die Gestaltung von Beziehungen, bei welcher der Focus auf dem Umgang mit zwischenmenschlichen Grenzen geht.
Die Kenntnis um die eigenen Grenzen – sowohl im positiven als auch im negativen Bereich –
stecken die eigenen Belastungsparameter ab und schaffen im Grunde erst das Fundament
eines stabilen Selbstwertgefühls und einer echten Selbstsicherheit214.
Es versteht sich von selbst, dass Grenzerlebnisse niemanden gefährden dürfen. Da sie in der
Regel nicht planbar sind, gilt es, darauf zu achten, dass sich das Maß im pädagogisch und
212 s. Bischof R. STECHER in SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.76 213 s. FÜRST, Walter „Die Erlebnisgruppe. Ein heilpädagogisches Konzept für soziales Lernen“, 1992,
S.71ff in GILSGORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.34 214 vgl. ROTHE, F. K. 2002, S.33
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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rechtlich verantwortbaren Bereich abspielt. Zumeist sind Grenzerlebnisse temporäre
Erfahrungen, die wichtige Erkenntnisse über die eigene Person vermitteln und von daher
einen besonderen Wert für die Selbstreflexion haben und in die Fragestellung münden
können, inwieweit jeder diese Erfahrung in sein weiteres Leben einbauen kann.
8.5.4. Naturerlebnisse
Sowohl die Wandervögel als auch die Pfadfinder zog es von Anfang an bereits in die Natur.
Die Gründe hierfür waren: Die einengende Zivilisation und die zunehmende
Naturentfremdung, sowie der gesundheitsfördernde Aspekt waren die Gründe.
Bereits in den regelmäßigen Gruppenstunden eignet man sich Wissen über die Natur an:
Pflanzenkunde, Tierspuren, Witterungsanzeichen, Sternenkunde – all das Wissen findet auf
Fahrt und Lager unmittelbar Anwendung.
Die Aktionen unter freiem Himmel eröffnen vielen Teilnehmern eine neue Welt. Die
Häufigkeit von primären Sinneserfahrungen hat sich aufgrund der technisierten und
medienorientierten Umwelt verringert. Die Teilnehmer können auf Fahrten und Lager die
Natur fühlen, riechen, hören, ganz nah betrachten und anfassen. Dieser emotionelle und
ästhetische Eindruck verdeutlicht einem jungen Menschen die Lebensqualität, die die Natur
bietet. Er begreift, dass er ein Teil dieser ist und es seiner aktiven Hilfe bedarf, dass die Natur
geschützt wird.
Auf Fahrten und Lager richtet man sich mit zunehmender Aktionsdauer ganz nach dem
‚Rhythmus der Natur’215. Man ordnet sich den natürlichen Zeitmaßstäben unter; der Hunger
bestimmt die Essenszeiten, die Müdigkeit bedingt die Pausen. Es gibt speziell auf der Fahrt
keinen durchorganisierten Zeitplan. Der Sonnenauf- und -untergang bestimmt die Tageslänge.
Das direkte Naturerlebnis und das zeitliche Ausrichten nach der Natur sind wichtige Beiträge
zur Umwelterziehung, die seit ca. 25 Jahren in der pädagogischen Diskussionen einen eigenen
Zweig etablieren konnte – samt einer Fülle von Literatur. Die Umwelterziehung ist „auf das
Herausbilden eines ‚Umweltbewusstseins’ und eine ‚ökologische Handlungskompetenz’
angelegt.“216 Nach TROMMLER soll „aus dem konkreten, elementaren Erleben und
Erforschen von Naturphänomenen […] ein Verständnis für den nachhaltigen Umgang mit
dem […] Naturerbe erwachsen.“217 Über einen sinnlich-ästhetischen und erlebnisorientierten
Ansatz soll als dritte Komponente ein werteorientiert-ethischer Ansatz entstehen. Die
215 vgl. HOLLER, E. 1999, S.14 216 s. BÖLTS, H. 1995, S.1 217 s. LANGENHORST, B. 2005, S.18
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Teilnehmer sollen ihr Verhältnis zur Natur reflektieren und eine ökologische
Urteilskompetenz einüben.
8.5.5. Internationalität
Um ferne und fremde Regionen und Länder aufzusuchen, empfiehlt es sich, sich mit deren
Geschichte, deren Geographie und Sprache auseinander zu setzen. – ‚Land und Leute
kennenzulernen’ heißt die Devise!
„Im pädagogischen Kontext gilt die Begegnung mit dem Fremden noch weithin als Mittel der
Wahl zum Abbau von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit, als Mittel, Neues und
Unbekanntes zu erleben und zu erfahren, als Mittel, Lebensraum zu erweitern, über den
eigenen Horizont zu blicken, Lebenspraxis zu gewinnen.“218 Man erhält einen Einblick in
unbekannte Kulturen. Durch das Bereisen anderer Regionen und Länder kann man deren
Sitten, Gebräuche und Traditionen kennenlernen, diese respektieren und mit denen der
eigenen Heimat vergleichen219. Man begegnet ‚Andersartigkeit’ mit Offenheit und Neugierde.
Neugierde und Abenteuerdrang lassen die Gruppe in Gegenden vordringen, die sich
physiogeographisch von der heimatlichen unterscheiden. Man sichtet andere Tiere und
Pflanzen, muss mit einer unbekannten Witterung auskommen etc. Die Teilnehmer erhalten
eine Vorstellung davon, was man alles jenseits der touristischen Angebote sehen und erleben
kann. Der ‚bündische’ Stil könnte ein Maßstab für das eigene spätere Reisen werden.
Das internationale Netz der Pfadfinderbewegung erleichtert die Planung und Umsetzung von
Fahrten und Lagers. Zum einen kann man den direkten Kontakt zu Gruppen in anderen
Ländern suchen, sich informieren lassen oder gar gemeinsame Aktionen planen. Darüber
hinaus ist das Äußere eines Pfadfinders international bekannt, das Pfadfinder-Verständnis
weitestgehend identisch und mit einem positiven Image in jedem Land verbunden. Als
klufttragender Wanderer fühlt man sich der internationalen Bewegung verbunden, vertritt
ihren Wertekanon und verhält sich in der Öffentlichkeit entsprechend. Die Kluft ist nicht
selten eine ‚Eintrittskarte’ in eine Scheune oder ein sonstiges Nachtquartier – manchmal mit
Abendbrot und Frühstück inklusive!
218 s. GRIESE, C./ LOST, C. 2004, S.326 219 vgl. KRÜGER, J. 1976, S.9
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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9. Die ‚Schulschar’ – ‚bündische’ Arbeit an der Schule
Dort, wo man die Atmosphäre der Schulgemeinde und das Zusammenleben zwischen
Schülern und Lehrern verbessern möchte, dort, wo man den Schülern verstärkt Verantwortung
übertragen will, ließen sich die ‚bündischen’ Elemente gezielt und erfolgreich einsetzen.
Viele ‚bündische’ Elemente, u.a. auch die Fahrt und das Lager, haben in einigen
Schulversuchen der späten Kaiserzeit und der Weimarer Zeit einerseits, aber auch in der
heutigen Zeit ihren Platz gefunden. Es sind in erster Linie Schulen mit Internats-Charakter,
wo ein intensiveres Miteinander von Schülern und Lehrern von vornherein gegeben ist.
Der Reformpädagoge Hartmut von HENTIG, Gründer der Bielefelder Laborschule220, schrieb
im Zusammenhang mit verlängerten Sommer-Schulferien: „In den […] drei großen
Sommermonaten gehen die jungen Menschen in Jugend- und Arbeitslager, machen Fahrten,
betätigen sich im Dienste der Gesellschaft. […] Vereine, Pfadfindergruppen, Bünde, Kirchen
und Jugendfürsorgeverbände werden mit der Ausarbeitung von Erfahrungs- und
Arbeitsmöglichkeiten beauftragt.“221
Es stellt sich die Frage, inwieweit sich ‚bündische’ Arbeit die zum Ziel hat, in der Gruppe
gemeinsame Fahrten und Lager durchzuführen, an einer heutigen Regelschule umsetzen
ließe?
9.1. Außerschulische Unternehmungen
In der heutigen Schulwelt gibt es diverse Unternehmen, die außerhalb des Schulgeländes und
der regelmäßigen Unterrichtszeit stattfinden, aber eine erste Einsicht in die Literatur über
diese Klassen- und Schul-Unternehmungen zeigt, dass es keinen gemeinsamen
Sprachgebrauch für solche Unternehmungen gibt. Für den einen sind es ‚Wanderungen’, der
andere spricht von ‚Reisen’ oder ‚Exkursionen’, ‚Fahrten’ werden sowohl mit dem Fahrrad
also auch zu Fuß unternommen.
Das niedersächsische SVBl222 beschreibt unter ‚Fahrten’ unterschiedliche Aktionen mit einem
Ortswechsel. Klassenfahrten können z.B. Wanderfahrten mit Übernachtung sein. Schulfahrten
im allgemeinen sollen u.a. folgenden Bildungs- und Erziehungszielen dienen:
220 Die Laborschule Bielefeld wurde 1974 nach den Vorstellungen von H. v. HENTIG gegründet und ist eine
Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen – s. http://laborschule.de 221 vgl. v. HENTIG, H. „Kyklopen, Babylonier, Bürger“, S.2o+21 in Bündische Akademie Lüdersburg
1997, S.11-25 222 vgl. niedersächsisches SVBI 7/97, S.266 - Schulfahrten
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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• Förderung sozialen Lernens und sozialer Verhaltensweisen,
• Verbesserung der Lehrer-Schüler-Verhältnisses,
• Vertiefung des Verständnisses für Geschichte, Heimat und Naturschutz,
• Freizeit- und Gesundheitserziehung,
• Entfaltung der Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksmöglichkeiten.
„Wanderungen, Fahrten und Landheimaufenthalte ragen jährlich aus der üblichen
Schularbeit heraus“, schrieb J.KRÜGER223. Auch für W. ISENBERG ist „Reisen mit der
Schule integraler Bestandteil der Schulwirklichkeit.“224 Diese Einschätzung ist noch heute
ebenso gültig, auch wenn sich die Art und Weise des ‚Reisens’ verändert hat.
Der pädagogische Wert von Schulwanderungen, -fahrten und -landheimaufenthalten ist im
allgemeinen sehr vielseitig225. Zum einen kann man den Unterricht in allen Fächern sinnvoll
ergänzen, indem man den Schüler mit einem bestimmten Unterrichtsinhalt unmittelbar
konfrontiert. Diese direkte Nähe kann die Lernbereitschaft steigern. Der reale Bezug kann
gewisse Zusammenhänge nachvollziehbarer machen, die in der Schule so nicht hätten
hergestellt werden können.
Man kommt aus dem Schulalltag heraus, findet Abenteuer, erfreuliche Ereignisse, neue
Erkenntnisse und Erlebnisse. Außerschulische Veranstaltungen haben zumeist einen positiven
Effekt auf die Klassengemeinschaft, verbessern sie durch Verhaltensänderungen, z. B. durch
soziales Lernen und durch Aufhebung der schulischen Zwänge, sie stabilisieren die
Verhaltensänderungen bzw. entwickeln sie weiter. Außerdem wird der „pädagogische
Spielraum einer Schule“226 erweitert. Für den Lehrer ist eine solche Unternehmung zwar mit
einer zusätzlichen zeitlichen Mehrbelastung verbunden – sowohl im Vorfeld als auch während
der Aktion selber – und stellt ihn vor viele neuen Herausforderungen, doch es ergibt sich auch
die Chance, das Miteinander zwischen Schüler und Lehrer zu pflegen und zu intensivieren.
„Die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer wird konkreter, unverwechselbarer und
lebendiger.“227
Das Rollenverhalten innerhalb der Schule wird aufgelöst und neu ausgelotet. Zumeist sind die
Aktionen so ausgelegt, dass man aufeinander Rücksicht nehmen muss, sich intensiver
kennenlernen und in der Gemeinschaft agieren muss. Es werden Verbindlichkeit,
Verpflichtung und Verantwortung eingefordert und Vertrauen und Einsicht zurückgegeben.
223 s. KRÜGER, J. 1976 im Vorwort 224 s. ISENBERG, W. 1993, S.13 225 vgl. KRÜGER, J. 1976, S.9ff 226 s. HOMFELDT, H.G./ KÜHN, A. 1981, S.10 227 vgl. ebenda, S.9
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
63
Je nach Klassenstufe eignen sich unterschiedliche Unternehmungen. Das Spektrum reicht von
thematischen Wandertagen im Primarstufenbereich bis zu Studienfahrten in der Oberstufe.
Vor jeder Reise muss man sich mit folgenden Kriterien auseinandersetzen, wobei neben
Schülern und Lehrer auch die Eltern und die Schule selber in die Diskussion mit einbezogen
werden sollen228:
• pädagogische Absichten, Themen, Inhalte und Methoden,
• Kostengestaltung und -begrenzung,
• Destination (Entfernung, Städte, Regionen, Länder...),
• Vorbereitung, Durchführung, Auswertung, Nachbereitung,
• Formen (maximale / minimale Schülerzahl pro Reise, Transportmittel, Dauer, Häufigkeit...)
Klassenfahrten sollten Bildungsreisen sein, d. h. man sollte diese mit den Schülern inhaltlich
gut vorbereiten und es vermeiden, dass die touristische Komponente der Fahrt dominiert. In
diesem Zusammenhang sollte man Angebote von Reise-Anbietern, die sich zunehmend auf
Klassenfahrten spezialisieren, auf deren pädagogischen Tauglichkeit und inhaltlichen Gehalt
vorab kritisch überprüfen.
Man sollte dabei die sozialen und ökologischen Folgen der Unternehmung im Auge behalten
und für zukünftige touristische Reisen der Schüler Maßstäbe erarbeiten, da Reisen im Kindes-
und Jugendalter eine Langzeitwirkung haben können229.
Das Kennenlernen bekannter und fremder Lebenswelten (‚Land und Leute’) führt zu einem
interkulturellen Lernen. Eine Bezugsherstellung zu eigenen Lebenserfahrungen führt zur
Reflexion seiner eigenen nationalen Identität230. Das Erschließen neuer Naturräume und
Naturlandschaften unterstützt die Umweltbildung.
Jede Fahrt bietet eine gute Möglichkeit, die Schüler in Planung und Umsetzung
einzubeziehen. In der Regel werden Schulfahrten nach dem Prinzip der Projektmethode
organisiert.
Unabhängig vom unterrichtlichen Schulalltag können außerschulische Unternehmungen auch
in einer wöchentlich stattfindenen Arbeitsgemeinschaft [AG] geplant und durchgeführt
werden.
228 vgl. ISENBERG, W. 1993, S.14ff 229 vgl. ebenda, S.25 230 vgl. ebenda, S.14
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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9.2. Fahrt und Lager an heutigen Schulen
An vielen heutigen reformpädagogisch geprägten Schulen gehört das Wandern, die Fahrt, das
Lager und der Austausch zu den zentralen Elementen der Schularbeit.
In der Bielefelder Laborschule nehmen z.B. die 13- bis15-jährigen Schüler an mehrwöchigen
Exkursionen und Lagern zur Erkundung eines polnischen Naturschutzgebietes teil231.
Für die Helene-Lange-Schule232 in Wiesbaden gehört die ‚Fahrt’ zum Bestandteil des
Schulkonzeptes233. Am Ende der sechs-jährigen Schulzeit soll ein intensives Natur- und
Gemeinschaftsleben erfahren worden sein. Sie sind in der Regel mit großen Projektthemen
gekoppelt. Die Wochen außerhalb des Schulalltags sollen nicht nur dem Zusammenwachsen
der Klassengemeinschaft durch gemeinsame Herausforderungen und Aufgaben dienen,
sondern es soll „etwas Sinnvolles gearbeitet, geforscht oder erfahren werden.“234
So wurde im Herbst 1995 eine 14-tägige Fahrt in eine Osttiroler Hochgebirgshütte
unternommen. Neben ökologischen Fragestellungen ging es um den „Verzicht auf den
gewohnten Komfort, um Naturerfahrungen, verbunden mit körperlicher Anstrengung und
Belastung.“235 Im Resümee waren die Jugendlichen stolz darauf, dass sie die Schwierigkeiten
und Strapazen gemeistert haben, sich gegenseitig geholfen haben, und dass ihnen die Lehrer
das Vertrauen aussprachen, es schaffen zu können.
Ein Jahr später steigerte man den Anspruch an die Klassenfahrt der älteren Schüler. Die
Schüler der 9. Klassen waren angehalten, für das Ende des Schuljahres eine 7- bis10-tägige
Fahrt zu organisieren, die in klassenübergreifenden koedukativen Gruppen von 6 bis 10
Personen ohne Begleitung eines Lehrers durchgeführt werden sollte236.
Die Fahrt sollte in Deutschland stattfinden, und es sollte ein bestimmtes – recht niedriges
Budget – nicht überschritten werden. Ferner sollte es sich ein sportlicher, kultureller oder
ökologischer Schwerpunkt gesucht werden, und die Schüler hatten sich um ein Ziel, einen
begleitenden Studenten – der die Funktion der rechtlichen Aufsichtsperson wahrnehmen, aber
231 vgl. v. HENTIG, H. 1993, S.246ff 232 die Helene-Lange-Schule ist seit 1995 eine Versuchsschule des Landes Hessen – s. www.helene-lange-
schule-de 233 vgl. BECKER, G./ KUNZE,A./ RIEGEL, E./ WEBER, H. 1997, S.185 234 s. ebenda, S.182 235 vgl. ebenda, S.184 236 Für die 9. und 10.Klassen war ursprünglich angedacht, die Schüler für drei Wochen auf Auslandsfahrten
in die benachbarten Länder zu schicken, doch scheiterte es an rechtlichen Gründen, da alle Schüler hierfür mindestens 16 Jahre alt sein mussten
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
65
nicht in die Umsetzung der Fahrt eingreifen sollte –, Art der Fortbewegung (Fahrrad, Kajak,
Wanderung), Material, Quartiere und Verpflegung zu kümmern. Alle anstehenden
Entscheidungen mussten von der Gruppe allein getroffen werden. Die Gruppe war angehalten,
„sich auch und gerade in Konfliktsituationen sozial und verantwortlich zu verhalten.“237
Trotz der enormen körperlichen Beanspruchung, der Ermüdung und Erschöpfung und dem
widrigen Wetter überwogen bei den Schülern die positiven Eindrücke und Erlebnisse und der
Stolz, sich ihren Ängsten gestellt und es ‚überlebt’ zu haben. Es zeigte sich, dass „wachsende
Selbständigkeit bei erweiterten, altersgemäßen Anforderungen selbstbewusst [macht] und
Vertrauen in die eigene Fähigkeiten [schafft]. Die Erfahrung zeigt, dass Schüler in dieser
Hinsicht weit mehr leisten können und wollen, als ihnen die Erwachsenengesellschaft
üblicherweise zugesteht.“238
In der Reflexion des Kollegiums zeigte sich jedoch, dass in der Planungs- und
Umsetzungsphase die Schüler in ihrem jeweiligen Rollenmuster verblieben sind, d.h. die
passiven sich wenig eingebracht haben, während die aktiven äußerst engagiert alles
vorangetrieben haben. Um hier alle Jugendlichen in die Arbeit einzubinden, ist über eine
mögliche ‚Führung’ nachzudenken.
Wander- und Fahrtengruppen mehrerer Waldorfschulen aus Deutschland und Österreich
haben sich 1985 zum Bund der „Freien Fahrtengemeinschaft Artaban“239
zusammengeschlossen. Die Initiatoren haben allesamt jugendbewegte Wurzeln. Die
‚bündischen Elemente’ sind hier die Grundlage des Gemeinschaftslebens. Zweimal im Jahr
finden Treffen aller Gruppen statt, zu dem auch Teilnehmer aus anderen ‚außerschulischen’
Bünden kommen. Höhepunkte des Gruppenlebens sind die Fahrten, die in Tradition des
Wandervogels durchgeführt werden. Neben Wochenendfahrten, einwöchigen Oster- und
Herbstfahrten finden mehrwöchige Sommerfahrten statt.
Diese Beispiele zeigen, dass Schule durchaus in der Lage ist, Selbsterfahrungen,
Verantwortungsübernahme, Selbständigkeit, Kooperation und weitere soziale Kompetenzen
durch Fahrtenerlebnisse zu initiieren, wenn man als Schule dem Schüler zutraut, mit neuen
Situationen zurechtzukommen, ihn anhält, Grenzen zu erfahren und ihm das Vertrauen
ausspricht, eigenständig Lösungen zu erarbeiten.
237 s. BECKER, G./ KUNZE,A./ RIEGEL, E./ WEBER, H. 1997, S.185 238 vgl. ebenda, S.185 239 s. www.artaban.info, 22.10.2005
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
66
9.3. Die ‚bündische’ Schulschar - in Form einer AG
Ausgehend von der Erkenntnis, dass eine Arbeit mit den ‚bündische’ Elementen – allem
voran den erlebnisorientierten Aktionsformen des Lagers und der Fahrt – und die
Gruppenbildung im ‚bündischen’ Sinne pädagogisch für die Teilnehmenden äußerst
gehaltvoll ist, möchte ich nun konkreter darüber nachdenken, inwieweit man diese
Erlebniswelt in das Schulgeschehen einbinden kann.
Der erlebnispädagogische Ansatz, der „[...] seit einigen Jahren in der außerschulischen
Jugendarbeit und – wenngleich unter anderem Label – in der beruflichen Bildung und im
Managementtraining eine beachtliche Resonanz gefunden hat, [fristet] in der Schule
bestenfalls ein Schattendasein.“240 Das unplanbare Erlebnis steht im Widerspruch zu der auf
Kontrollierbarkeit ausgelegten schulischen Routine. Die derzeitigen Rahmenbedingungen im
Schullalltag mit ihren großen Klassen, dem 45 Minuten-Takt, dem Fachlehrersystem, dem
Notendruck, Standard-Unterrichtsräumen ohne angenehme Atmosphäre, teilweise fehlender
heterogene Altersdurchmischung des Kollegiums etc. erschweren eine auf Erfahrungen und
Erlebnisse ausgerichtete Arbeit241. – Im Grunde sind es die selben Kritikpunkte, die die
Reformpädagogik vor 100 Jahren aufgegriffen und denen sie ihre Modelle entgegengesetzt
hat. Die ebenso alte Forderung, dass die Schule ein ‚Lebens- und Erfahrungsraum’ sein soll,
wo man die Möglichkeit hat, primäre Erfahrungen zu machen, wo man nicht nur für das
Leben, sondern vor allem auch im Leben lernt, hat immer noch seine Berechtigung und
Aktualität.
Das Kind und der Jugendliche verbringt einen großen Teil seiner Zeit in der Schule und
darüber hinaus ist die Klassengemeinschaft und Schulgemeinde – neben der Familie – häufig
die einzig dauerhafte Bezugsgruppe. Jugendliche wollen „sich als Handelnde und
Gestaltende erleben [und] geistig und körperlich aktiv sein“242, sie verspüren bei der Suche
nach Erfahrungen ein Bedürfnis nach Autonomie, sowie Selbstbestimmung und streben eine
Abgrenzung gegenüber der Welt der Erwachsenen an. So liegt es nahe, in der Schule
Angebote und Arbeitsweisen zu etablieren, die jugendbewegte Formen beinhalten.
Hartmut von HENTIG schrieb über eine Wunsch-Schulgemeinschaft: „[...] Schon deshalb
sollte man Jungen- und Mädchenschaften der Bündischen Jugend, den Pfadfindergruppen,
den Sommer- und Arbeitslagern neue Aufmerksamkeit schenken: als Vor-Bilder für eine
gewollte und gelingende Gemeinschaft. Was die verschulte Schule noch nicht kann, sollte sie
240 s. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.13 241 vgl. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.15 + vgl. Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) 1995,
S.33 242 s. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S15ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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entweder von diesen Vereinigungen lernen, oder ihnen willig überlassen – und das heißt: den
Kindern und Jugendlichen neidlos die Zeit dafür einräumen.“243 In einem weiteren Beitrag
heißt es über das Gemeinschafts-Ideal: „Jugendbünde, Jugendorden, Pfadfindergruppen
müsste man erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe.“244
Ohne in die organisatorische Struktur eingreifen oder den schulischen Ablauf
‚revolutionieren’ zu wollen, würde sich ein ‚bündisches’ Angebot in Form einer
Arbeitsgemeinschaft [AG] eignen. Zum einen wäre es vermessen zu behaupten, dass man
jedes Kind mit den ‚bündischen’ Elementen begeistern könne. Zum anderen muss dieses
Alternativ-Angebot innerhalb der Schule auf Freiwilligkeit beruhen – eine
Grundvoraussetzung für das Gelingen jeglicher ‚bündische’ Arbeit.
Gerade in Zeiten, in denen viele Ganztagsschulen gegründet werden, wäre eine solche AG
eine Bereicherung für die Schulgemeinde. Auch v. HENTIG fordert, Angebote der
Jugendarbeit in Verbänden und Bünden mit den schulischen Angeboten zu koppeln, um ein
unproduktives Nebeneinander zu vermeiden245 und so die Möglichkeit zu nutzen, die
Interessen der Schüler, und damit einen Teil des Lebens der Schüler, in die Schule zu
transferieren, um so wiederum eine ‚Lebens’-Schule zu schaffen, die nicht völlig losgelöst
von der sonstigen Lebenswirklichkeit der Schüler existiert.
H. v. HENTIG greift vier Mängel, bzw. Versäumnisse der Unterrichtsschule auf, die im
Grunde ohne jeglichen Gesetzesaufwand gelöst werden könnten:246
1. Natur / das Ungeplante / Abenteuer
Jedes Kind im Alter von 8 bis 18 Jahren soll jährlich zwei Wochen ‚Natur’ erleben. Wandern, zelten, rudern, paddeln, kraxeln, beim Bauern arbeiten oder sich an ökologischen Projekten beteiligen, sind v. HENTIGs Forderungen. Die inhaltliche und emotionelle Steigerung soll sich an der Erlebnispyramide orientieren.
2. Gemeinschaft
Er hat eine Gemeinschaft im Sinn, die sich auf eine gemeinsame Aufgabe, ein gemeinsames Ziel verständigt, und jeder – auch die Kinder – eigenverantwortlich an der Gemeinschaft baut.
3. Sachen machen
243 s. v. HENTIG, H. „Was leistet die Schule? – kein freundliches Urteil“, S.55ff in Bündische Akademie
Lüdersburg (Hrsg.) 1995, S.54-56 + s. v. HENTIG, H. 1993, S.247 244 s. v. HENTIG, H. in Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.24 245 vgl. v. HENTIG, H. 1993, S.245ff 246 vgl. v. HENTIG, H. in Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.21ff
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Es sollen Gegenstände und Güter eigenhändig hergestellt werden, die man auch selber gebraucht. Man soll so den Wert schätzen lernen. Bei der handwerklichen Umsetzung steht nicht nur die Zweckmäßigkeit im Mittelpunkt, sondern auch die optische, saubere und ästhetische Herstellung, denn „[…] höhere Ansprüche ergeben höhere Befriedigung.“247
4. Glücksmomente / Geselligkeit / Sinnlichkeit
Wege sind ‚bündische’ Tätigkeiten wie „[…] singen, tanzen, erzählen, Spiele spielen, Theater spielen […]“, aber auch hier wieder mit einem besonderen Blick auf die Feinheiten, die die eigentliche Lust bereiten, denn „[…] erst beim zweistimmigen, dann beim vielstimmigen Singen [erlebt man], wie die eigene Stimme von der der anderen getragen, vermehrt, zum Wohlklang gebracht wird.“248
Ich möchte im Folgenden einen solchen ‚bündischen’ AG-Typus kurz skizzieren, der sich
gegen die Mängel und Versäumnisse wendet und auf die positiven Effekte und
Rückkopplungen für die Gruppe selber, aber auch für die Schulgemeinde eingehen.
9.3.1. ‚Schulschar’
Ich möchte diese AG ‚Schulschar’ benennen, zum einen als Anspielung auf die ‚Deutsche
Freischar’, die sich in der Weimarer Zeit aus Pfadfinder- und Wandervogelbünden gegründet
hat und somit beide Elemente vereinte, und zum anderen möchte ich eine Assoziation zur
kirchlichen ‚Jungschar’-Arbeit herstellen, die in ihren Gruppen eigene Schwerpunkte setzt,
die häufig auf gemeinsame Fahrten und Lager hinauslaufen.
Die ‚Schulschar’ trifft sich in der Schulzeit zu wöchentlichen Gruppenstunden, übt dort
soziale, handwerkliche, musische und geistige Fertigkeiten ein, die darauf ausgerichtet sind,
mindestens einmal im Quartal eine Wochenendfahrt und ein -lager zu unternehmen, bzw. in
den großen Ferien eine möglichst mehrwöchige Großfahrt zu unternehmen. Der Lehrer steht
dieser Gruppe vorerst als Führer zur Seite, doch sollte das Ziel sein, dass sich die Gruppe
eigenständig führt und der Lehrer nur noch organisatorisch beratend und helfend zur Seite
steht. Die anfangs ‚angeleitete’ Arbeit sollte in eine ‚freie’ Arbeit übergehen.
Grundlage der gemeinsamen Arbeit soll die Meißner-Formel von 1913 sein, wonach die
‚Schulschar’ „[…] nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer
Wahrhaftigkeit“ ihr eigenes und ihr Gruppenleben gestalten soll. Das schließt von Beginn an
mit ein, dass sich die Gruppe eigene, selbstbestimmte inhaltliche Schwerpunkte setzen kann,
wo z.B. das Musische dominiert, die ‚Schulschar’ zu einer Umweltschutzgruppe wird oder gar
eine redaktionelle Arbeit übernimmt. Die Möglichkeiten sind vielfältig, doch sollten die
bindenden Aktionen nicht aus den Augen verloren werden!
247 s. v. HENTIG, H. in Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.24 248 s. ebenda, S.24
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Die ‚Schulschar’ ist für die Schulstufen der Sekundarstufen I und II geeignet - besonders an
Gesamtschulen, die von der fünften bis zur 13. Klasse durchgängig sind, denn hier können im
Idealfall Oberstufenschüler die Gruppen eigenständig führen, die aus der eigenen heterogenen
Gruppe stets nachwachsen.
Es soll eine verbindliche Gruppe mit intensivem Kontakt untereinander entstehen, aber auch
mit dem Bewusstsein, dass die ‚Schulschar’ Teil eines größeren Ganzen sind – in diesem Fall
ein Teil der Schulgemeinschaft. Die Gruppe soll in diese hineinwirken und eine offene (jeder
kann teilnehmen) und öffentliche (jeder erfährt von ihren Aktionen) Alternative sein. Die
‚Schulschar’ soll sich für die Schulgemeinde engagieren.
9.3.2. Heterogenität
Die AG richtet sich in vielerlei Hinsicht positiv an eine heterogene Schülerschaft. Die
‚Schulschar’ soll sich am ‚Horten’- Prinzip des Wandervogels orientieren, in der
jahrgangsübergreifend die Schüler teilnehmen können. In dieser Erziehungsgemeinschaft
lernen die jüngeren Horten-Mitglieder von den älteren, und die älteren wiederum geben ihnen
als gleichberechtigte Glieder der Gruppe das Gefühl, genauso wichtig und wertvoll zu sein.
Jede Altersstufe hat ihre Besonderheiten, was eine Bereicherung für die Gesamtgruppe ist.
Diese altersheterogene Gruppe kann sich dann einen Führer aus ihren Reihen wählen.
Durch die Einführung einer gemeinsamen Kluft soll die optische Unterschiedlichkeit der
sozialen Herkunft minimiert werden. Die Horten-Mitglieder sollen aufgrund der
Charakterzüge, der Fähig- und Fertigkeiten über den anderen urteilen. Gelebte Solidarität soll
finanzielle Unterschiede in den Hintergrund drängen. Fehlendes Fahrtengeld sollte durch
gemeinsame Aktionen verdient werden.
Eine kulturellere Heterogenität ist für die ‚Schulschar’ eine Bereicherung. Das Kennenlernen
unterschiedlicher Kulturen, Sprachkenntnisse, Religionen und Traditionen könnten bei der
Wahl der Fahrtengebiete hilfreich sein. Besonders die internationale Ausrichtung des
Scoutismus sollte hier als Leitlinie dienen. BADEN-POWELL schrieb selber: „Nur die
internationale Konzeption der Prinzipien der Brüderlichkeit kann die Welt vor dem Chaos
retten.“249 und laut G. MEBUS muss man das Schulleben dahingehend steuern, dass der
„Umgang mit Heterogenität, das Bemühen um Perspektivenvielfalt, [...] die Anerkennung der
Gleichwertigkeit“250 erkennbar werden. – Die Horte sollte das im Kleinen bieten.
249 s. BADEN-POWELL, R. 1996, S.20 250 s. MEBUS, G. 2003, S.29
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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In der Differenzierung der Geschlechter soll die ‚Schulschar’ offen für alle Arbeitsformen
sein. Sowohl eingeschlechtliche als auch koedukative Gruppen haben ihren Wert. Der an die
Koedukation herangetragenen Kritik, dass sich beide Geschlechter im pubertären Alter
gegenseitig in ihrer Entwicklung hemmen, was zum Verlust von Erlebniswelten führen
könnte, ließe sich mit der Argumentation begegnen, dass sich beide Geschlechter durch
gegenseitiges Kennenlernen in ihrer Entwicklung bereichern. Die koedukative Frage wird
schon seit Entstehung der Jugendbewegung hitzig diskutiert; im (deutschen) Scoutismus
haben sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte alle Arbeitsformen etabliert. Sicherlich liegt
in beiden Ansätzen ein Stück Wahrheit. Eine intensive Beschäftigung mit diesem Thema
würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Letztlich sollte man die Gruppe sich selber finden
lassen. Von einem Führer einer koedukativen Gruppe erwarte ich jedoch eine größere
Übersicht, so dass die Mädchen und Jungen nicht in ihre gesellschaftlichen Rollen verfallen.
Mädchen müssen ebenso Zelte aufbauen können, wie die Jungen auch kochen und abwaschen
müssen.
Im Bezug auf die Integration unterschiedlicher Begabungen lebt die Horte von der Vielfalt der
einzelnen Charaktere. Ein ‚Lernschwacher’ kann z.B. durch seine glühende Begeisterung die
ganze Gruppe anspornen. Er selber wird insgesamt von einer Gruppendynamik mitgerissen,
die zum einen einen hohen Erlebnisgehalt hat und zum anderen sein Selbstwertgefühl und
sein Selbstbewusstsein fördert. Außerdem könnte er dem leistungsstärkeren Schüler
nacheifern wollen. Der ‚Begabte’ hingegen lernt Rücksicht zu nehmen und wird schnell
bemerken, dass viele Aufgaben ausschließlich mit der Hilfe aller zu bewältigen sind.
Teamarbeit ist Grundvoraussetzung! – Ferner können in der ‚Schulschar’ Begabungen
gefördert und ausgelebt werden, die im Notensystem der Regelschule sonst keine Beachtung
finden und zumeist unterdrückt würden251.
A. v.d. GROEBEN – die „die Ansätze des bündischen / jugendbewegten Lebens als ‚perfekte
Pädagogik’“252 nach dem Erleben dieser bezeichnete – nennt noch die Heterogenität der
Orientierung, Wertvorstellungen und Moralen253. In einer Schule existieren häufig
konkurrierende „Ich-AGs, [...] die kaum oder gar nicht durch gemeinsame Grundwerte
verbunden sind.“254. – Laut Wolfgang HUBER soll sich die Schule „zu einem Raum
entwickeln, in dem eine Balance zwischen Wissensvermittlung und Lebensorientierung Platz
haben kann.“255 Die inhaltliche Übernahme des Pfadfindergesetzes, bzw. die Übernahme der
moral-ethischen Prinzipien des Gesetzes zu Regeln des Zusammenlebens, das freiwillige
Ablegen eines verbindlichen Versprechens der Gemeinschaft gegenüber, sowie das
251 vgl. Ludwigsteiner Blätter Juni 2005, S.29 252 s. Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.59 253 vgl. v.d. GROEBEN, A. 2003, S.6 254 s. ebenda, S.6ff 255 s. HUBER, W. „Mehr als postmodern und multikulti?“, S.55 in Bündische Akademie Lüdersburg 1997,
S.47-57
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Einstudieren gemeinsamer Rituale schafft eine gemeinsame Wertebasis, an der sich jedes
Mitglied orientieren kann und ihm als eine feste Größe Sicherheit garantiert.
9.3.3. Schulgemeinde
Damit die Schule ein Ort der Gemeinschaft wird, die sich selber erzieht und zu der sie
erzogen wird, muss jeder in der Schulgemeinde erfahren, dass er gebraucht wird und ein
wichtiger Teil der Gemeinschaft ist. Es darf jedoch nicht nur beim ‚Nehmen’ verbleiben,
sondern jeder ist angehalten, einen Dienst für die Schulgemeinde zu leisten. – Es muss eine
Vernetzung über die Jahrgangsklassen, Generationen und Funktionen hinweg geschaffen
werden. Hier kann die ‚Schulschar’ wichtige Impulse geben.
Das Potential der ‚Schulschar’ ließe sich auch für die Schule nutzen. Das enge Miteinander
der Gruppe erzeugt eine vertraute Gesamtatmosphäre, die auch in den Schulalltag und in den
Unterricht hineinstrahlen kann. Erst wenn die Atmosphäre ansprechend ist, lässt sich
inhaltlich produktiv arbeiten. Die Kluft zwischen Schülern und Lehrern wird durch eine
Annäherung aufgehoben. Jeder hat die Möglichkeit, authentisch zu sein – frei nach einem
Ausspruch des Gründers der Odenwaldschule, Paul GEHEEB: „Werde der du bist!“.256 Das
freundschaftliche ‚Du’ zwischen Schülern und Lehrern wäre der Ausdruck eines persönlichen
und entkrampften Zusammenlebens.
Es ist in der Gruppe möglich, ohne Zeit- und Leistungsdruck neue Fähigkeiten zu erlernen.
Das ‚Learning by Doing’-Prinzip des ständigen Ausprobierenkönnens ermöglicht ein
angstfreies Lernen, was der Schüler in seinen Schulalltag mit übernehmen kann. So lässt sich
die ursprüngliche Lust des Kindes am Lernen bewahren und fördern.
Die freiwillige Übernahme von Verantwortung für eine Gemeinschaft, ein gewisses Maß an
sozialer Kompetenz, sowie spezielle Fähigkeiten und Eigenschaften kann man in die
Übernahme von Aufgaben für die Schulgemeinde münden lassen: u.a. Schüler-Patenschaften,
Schüler-Vertreter, Klassen- / Schulsprecher, aber auch Schul-Sanitäter oder Streitschlichter.
Die Schüler sollen sich mit ihrer Schule identifizieren, was am Besten gelingt, wenn sie sich
als wichtiger Teil dieser sehen.
Darüberhinaus können sie aufgrund ihrer Kenntnisse bei Planungen und Umsetzungen von
Wanderungen und Klassenfahrten eigenverantwortlich mithelfen, bzw. diese koordinieren.
Die Fahrten und Lager der ‚Schulschar’ könnten den Klassen als Vorbild dienen –
selbstorganisierte Klassenfahrten und -ausflüge bei denen versucht wird, sich das Wissen
selbstständig zu erschließen und bei denen die Erfahrungen und Interessen der Schüler
256 vgl. ROESNER, F. 2002, S.68
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Ausgangspunkt der Planung sind. Bei der Umsetzung selber ist eine Vernetzung
unterschiedlicher Aufgaben und Fragestellungen erforderlich, die von der Gruppe kreativ
gelöst und gemeistert werden müssen.
Das internationale Netz der Pfadfinderbewegung bzw. die Existenz weiterer ‚Schulscharen’
kann man für Patenschaften und Austauschbesuche nutzen – u.a. auch in Form von Fahrten
und Lagern.
Über die eigenständig durchgeführten Lager und Fahrten können sie im Anschluss auf einem
Vortragsabend berichten und reflektieren, bzw. ihre Abenteuer in einer Photo-Ausstellung
präsentieren. Zeitungsartikel in der regionalen Tagespresse und in der Schülerzeitung könnten
begleitend erscheinen.
Die ‚Schulschar’ kann für die Schulgemeinde auch eigenständige Aktionen anbieten, wie z.B.
musische Treffen in Form von regelmäßigen, offenen Singerunden. Das Liedgut, das zum
Allgemeingut in ‚bündischen’ Gruppen geworden ist, ist recht vielfältig. Es reicht von alten
Volks-, über Fahrten-, Widerstandsliedern bishin zu Liedern aus nahezu allen Ländern und
Völkern, die auf Fahrten durchwandert wurden und man von den Einheimischen erlernt hat. –
Außerdem können eigenständig Theaterstücke erstellt und einstudiert werden. Bei Auftritten
auf Schulfesten könnten die Lieder und Theaterstücke vorgetragen werden.
Wenn es das Schulgelände hergibt, könnten auch Lagerfeuerabende angeboten werden, an
denen Geschichten vorgelesen, Gedichte vorgetragen und Lieder gesungen werden.
Übergeordnetes Ziel sollte es sein, möglichst viel (Mit-) Verantwortung in die Hände der
Schüler zu legen und ihnen bewusst zu machen, dass sie ebenso wie die Lehrer und sonstigen
an der Schule Beteiligten für das Leben in und das Wohl an der Schulgemeinde
verantwortlich sind. Dafür sollte man in gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren
können.
9.3.4. Die ‚Freie Pfadfinderschaft Obervieland’ – ‚Pfadfinder’-Schul-AG
Zwischen September 2003 und Juni 2005 hatte ich die Gelegenheit als Werkstudent an der
integrierten Stadtteilschule ‚Theodor-Billroth-Straße’ in Bremen-Obervieland zwei
‚Pfadfinder’-AGs zu leiten. Die Stadtteilschule befand sich im Abbau, beinhaltete anfangs nur
die Klassenjahrgänge 5 bis 7 und strebte das Modell einer Ganztagsschule an. Aus diesem
Grund wurden in den Nachmittagsstunden Arbeitsgemeinschaften gefördert.
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Ich warb auf Handzetteln und Plakaten mit den Schlagwörtern: Naturerleben, Abenteuer,
Spiel und Spaß, Gemeinschaft, Zeltlager und Wanderfahrten. Die Lehrerschaft informierte ich
mit einem zusätzlichen Informationsschreiben, in dem ich mich und mein Wollen vorstellte.
Ziel der Pfadfinder-Schulgruppen sollten gemeinsame Unternehmungen in Form von Fahrten
und Lager sein.
Die erste ‚Pfadfinder’-AG lief von September 2003 bis zum Ende des Schuljahres 2003/4. Es
fanden sich zu Beginn vier Jungs ein, unter ihnen z. B. der Schulsprecher und ein auffällig
unsicherer Schüler, der durch häufiges Schulschwänzen auffiel. Gegen Ende des Schuljahres
kamen weitere interessierte Mädchen und Jungen aller Jahrgänge – die meisten jedoch aus der
7. Klasse – hinzu. In den regelmäßigen AG-Stunden lernten wir die Techniken, um eine
schneereiche Winter-Wochenendfahrt ins thüringische Eichsfeld und ein viertägiges
Pfingstlager mit Pfadfindern der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands (CPD) aus
Bremen zu meistern. In den Sommerferien nahm ich mit einer fünfköpfigen Schülergruppe an
der Bauhütte der CPD teil, bei der sich Pfadfinder aus dem ganzen Bundesgebiet einfinden,
um das Bundeszentrum – ein alter Vierkanthof in Birkenfelde bei Heiligenstadt – auszubauen.
Handwerkliches stand im Mittelpunkt. Es mussten Türen bearbeitet, Wände gemauert und
verputzt werden, die Bau-Mannschaft musste sich selber bekochen. Abends saß man am
Lagerfeuer.
Im Schuljahr 2004/5 musste ich in der ersten Schuljahreshälfte eine AG mit
naturwissenschaftlichen Profil für die 5. Klassen anbieten, aus der sich ab März 2005 die
zweite ‚Pfadfinder’-AG ergab. Es war eine reine Mädchengruppe. Unter ihnen war auch ein
hörbehindertes Mädchen. Höhepunkt war die Teilnahme am Pfingstlager mit ca. 80
Pfadfindern aus norddeutschen CPD-Gruppen.
Mit den AGs gelang es mir, eine jahrgangsübergreifende Vernetzungen zwischen einigen
Schülern zu initiieren. Trotz der multikulturellen Schülerschaft kamen zu Beginn in erster
Linie Schüler aus deutschen Familien, in einer späteren Phase zusätzlich Schüler mit
osteuropäischen Hintergrund (Ukraine, Mazedonien, Polen, Russland). Es ist mir nicht
gelungen, muslimische Schüler für eine regelmäßige Teilnahme zu gewinnen. Einzelne AG-
Stunden – besonders die, die draußen stattfanden – wurde von ihnen jedoch interessiert
besucht. Ich bin mir sicher, dass man eine größere Heterogenität erreichen kann, wenn man in
der Findungsphase einen größeren Wert darauf legt.
Die gemeinsamen Fahrten und Lager wurden im Anschluss auf Photowänden dokumentiert
und der Schulgemeinde auf diesem Wege vorgestellt. Ferner erschienen Berichte in der
Schülerzeitung ‚Theo’. – Die erste AG wählte sich eine blaue Takelbluse und ein grün-graues
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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Halstuch als gemeinsame Kluft. Beide AGs liefen im Laufe der Zeit unter dem Namen ‚Freie
Pfadfinderschaft Obervieland’ (kurz: ‚FPO’).
Seitens des Kollegiums gab es ein starkes Interesse an der Pfadfinder-AG, da sie den sozialen
Effekt der Gruppe erkannten. In Absprache mit einer Lehrerin wurde z.B. ein Schüler in die
erste Pfadfinder-AG vermittelt, der nach einem Schulwechsel Schwierigkeiten hatten,
Kontakte zu knüpfen. Dank der Vernetzung in der Pfadfindergruppe besserte sich die
Situation im Laufe der Monate. Es gelang ebenso den ‚unsicheren Schulschwänzer’ und die
Hörbehinderte zu integrieren.
Im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass die Titulierung als ‚Pfadfinder’-AG für die frühe
Gruppenfindungsphase recht einschränkend war, da das Ziel dadurch einengend vorgegeben
war. Die Ausbildung eines selbstbestimmten Arbeitsschwerpunkts im ‚bündischen’ Sinne
war nur begrenzt möglich. Abhilfe würde hier der flexiblere und umfassendere Begriff der
‚Schulschar’ leisten.
Mit zunehmender Dauer und mit Steigerung der gemeinsamen Erlebnisse erhöhte sich die
Verbindlichkeit des Erscheinens, und das Interesse an der Pfadfinder-Arbeit wurde in der AG-
Zeit im Grunde gerade erst geweckt. – Beide AGs sind seit dem Spätsommer 2005
eigenständige Pfadfindersippen im außerschulischen Bereich. Schülerinnen aus der ersten
‚Pfadfinder’-AG helfen mir bei der Führung der jüngeren Sippe und sollen diese eigenständig
im Frühjahr 2006 übernehmen.
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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10. Zusammenfassung/ Aussicht
„Sie [die Schule] entlässt die jungen Menschen kenntnisreich, aber erfahrungsarm,
erwartungsvoll, aber orientierungslos, ungebunden, aber auch unselbständig.“257 schreibt H.
v. HENTIG in seinem Buch „Die Schule neu denken“.
Die ‚bündischen’ Elemente zeigen, dass sich die Schule durchaus Methoden und
Arbeitsweisen bedienen kann, die dem Schüler primäre Erfahrungen bieten, ihm eine
Orientierungshilfe an die Hand geben und seine Selbständigkeit fördern.
Die Methoden werden nun seit einem knappen Jahrhundert erfolgreich im außerschulischen
Bereich, sowie in reformpädagogisch geprägten Schulen in die Erziehungsarbeit mit
einbezogen.
Die Vorgaben und Rahmenbedingungen einer Regelschule sind zwar ungünstiger
einzuschätzen, dennoch ist die Nutzung der ‚bündischen’ Elemente durch interessierte Schüler
und Lehrer mehr als nur eine Alternative im Schulalltag. Bei den positiven Rückkopplungen
der gruppendynamischen Elemente für die Schulgemeinde und auch für die Beteiligten selber
liegt die Forderung nahe, zum einen die Rahmenbedingungen der Schule dahingehen zu
öffnen, dass sich ‚Schulscharen’ gründen und sie sich mit ihren Kompetenzen in das
Schulgeschehen einbringen können. Zum anderen sollten Schülergruppen von Lehrern
dahingehend gefördert werden, dass sie recht früh zu einer eigenständigen, autonomen
Gruppe werden, die bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft und das Gemeinwohl der
Schule mitzutragen.
Besonders die gemeinsamen Fahrten und Lager, die in erster Linie von Schülern
hauptverantwortlich ausgearbeitet und umgesetzt werden, sind ein geeignetes Mittel, um die
Erziehung und Bildung ganzheitlich zu gestalten.
Mit Zuversicht und der Erkenntnis, dass ich aus meiner ‚bündischen’ Sozialisation sinnvolle
Arbeitsweisen und -methoden mitnehmen kann, mit der ich positive Impulse initiieren kann,
freue ich mich auf die Herausforderung des Lehrer-Daseins.
257 s. v. HENTIG, H. 1993, S.10
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte
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11. Literaturverzeichnis
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Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) (Hrsg.) „Spuren – Materialien für die Gruppe: Suchen – Entdecken – Begegnen: Pfadfinderinnen und Pfadfinder international“, Eigenvertrieb, Kassel 1996
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b) genutzte Internet-Adressen
��www.artaban.info – Internetseite des Bundes ‚Freie Fahrtengemeinschaft Artaban’
��www.scout.info – Internetseite der World Organization of Scout Movement (WOSM)/ Weltpfadfinderverband
��www.c-p-d.info - Internetseite der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands (CPD)
��www.dpsg.de – Internetseite der katholischen Deutschen Pfadfinderschaft St.Georg (DPSG)
��www.helene-lange-schule.de – Internetseite der Helene-Lange-Schule, Wiesbaden (Versuchsschule)
��http://laborschule.de – Internetseite der Laborschule in Bielefeld (Versuchsschule)
c) sonstige Quellen
��SVBl 7/97 - Schulverwaltungsblatt für Niedersachsen (Amtsblatt des Niedersächsischen Kultusministeriums für Schule und Schulverwaltung)