Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des...

79
Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte 1 Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ – über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte Hausarbeit zum 1. Staatsexamen Universität Bremen Fachbereich 12 – Erziehungswissenschaften vorgelegt von: Jeff Horstmann Violenstr.20 28195 Bremen Tel.: 0421-2761804 [email protected] Bremen, 11.Dezember 2005 Referent : Prof. Reiner Ubbelohde Koreferent : Prof. Bodo Voigt

Transcript of Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des...

Page 1: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

1

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der

‚Schulschar’ – über den Einfluss von Jugendbewegung und

Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

Hausarbeit zum 1. Staatsexamen

Universität Bremen

Fachbereich 12 – Erziehungswissenschaften

vorgelegt von:

Jeff Horstmann Violenstr.20 28195 Bremen Tel.: 0421-2761804 [email protected]

Bremen, 11.Dezember 2005

Referent: Prof. Reiner Ubbelohde

Koreferent: Prof. Bodo Voigt

Page 2: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

2

1. Inhaltsverzeichnis

1. Inhaltsverzeichnis

2. Vorwort/ persönliche Motivation 1

3. Die deutsche Jugendbewegung 2

3.1. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg 3

3.1.1. Politische und kulturelle Hintergründe 3

3.1.2. Vom Wandervogel bis zur Freideutschen Jugend 4

3.2. Die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg 6

3.2.1. Politische und kulturelle Hintergründe 6

3.2.2. Von der Bündischen Jugend bis zur Hitlerjugend 7

4. Die Pfadfinderbewegung 11

4.1. Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung der internationalen Pfadfinderbewegung

11

4.2. Die Grundlagen der Pfadfinderbewegung 13

4.3. Pfadfindererziehung 16

5. Die Reformpädagogik 21

5.1. Einführung in die Reformpädagogik 21

5.2. Reformpädagogik und Jugendbewegung 24

5.3. Adolf REICHWEIN – Reformpädagoge mit jugendbewegter Sozialisation

27

5.3.1. A. REICHWEINs Lebenslauf 27

5.3.2. A. REICHWEINs jugendbewegter Lebenslauf 28

5.3.3. Jugendbewegte Einflüsse in A. REICHWEINs Pädagogik

29

6. Die Erlebnispädagogik 33

6.1. Einführung in die Erlebnispädagogik 33

6.2. Erlebnispädagogik und Pfadfindertum 37

Page 3: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

3

7. Die ‚bündischen’ Elemente 39

8. Der pädagogische Wert der beiden bündischen Haupt-Aktionen – das Lager und die Fahrt

42

8.1. Das Lager 42

8.2. Die Fahrt 44

8.3. Die Gruppe 46

8.4. Die Gruppenführung 48

8.5. Gemeinsamer pädagogischer Wert 50

8.5.1. Soziale Kompetenzen 50

8.5.2. Die Stille 53

8.5.3. Grenzerlebnisse 54

8.5.4. Naturerlebnisse

56

8.5.5. Internationalität 57

9. Die ‚Schulschar’ – ‚bündische’ Arbeit an der Schule 58

9.1. Außerschulische Unternehmungen 58

9.2. Fahrt und Lager an Schulen 61

9.3. Die ‚bündische’ ‚Schulschar’ in Form einer AG 62

9.3.1. ‚Schulschar’ 65

9.3.2. Heterogenität 66

9.3.3. Schulgemeinde 68

9.3.4. Die ‚Freie Pfadfinderschaft Obervieland’ – ‚Pfadfinder’-Schul-AG

69

10. Zusammenfassung/ Aussicht 72

11. Literaturverzeichnis 73

12. Anhang

Kurz-Chronik der ‚Freien Pfadfinderschaft Obervieland’ I-X

Page 4: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

4

2. Vorwort/ persönliche Motivation

Seit mehr als zwei Jahrzehnten bin ich Mitglied in einem christlich-bündisch geprägten

Pfadfinderbund, der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands e.V. (CPD1), habe dort

Gruppen (‚Sippen’) geführt und diverse Sippenführerschulungen und –rüsten geleitet,

Fahrten und Lager haben mich durch Deutschland und Europa geführt.

Mit dem nahenden Ende meines Studiums habe ich mich verstärkt mit der Fragestellung

beschäftigt, welche Arbeitsformen, Methoden und Erfahrungen ich aus meiner

‚bündischen’ Sozialisation in meinen Lehrerberuf mit hinübernehmen kann.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit der Herkunft der ‚bündischen’ Methoden,

Stile und Formen beschäftigen. Die ‚bündischen’ Elemente sind eine Mischung aus den

jugendbewegten Ideen des Wandervogels, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in

Wechselbeziehung zur damaligen Reformpädagogik stand, und der Pfadfindermethode,

die fast zeitgleich aus England kommend zu einer weltweiten Bewegung wurde und die

selben Grundzüge wie die Erlebnispädagogik aufweist. – Ich möchte einen Einblick in die

Entstehung der deutschen Jugendbewegung und Reformpädagogik, sowie in die

Entstehung des Pfadfindertums und der Erlebnispädagogik geben. Die Parallelen und

Schnittstellen der Jugendbewegung und Reformpädagogik einerseits und des

Pfadfindertums und der Erlebnispädagogik andererseits sollen kurz aufgezeigt werden.

Aus der Synthese der Jugend- und Pfadfinderbewegung zur ‚Bündischen Jugend’ in der

Weimarer Zeit möchte ich deren Arbeitsformen herausfiltern und anhand der beiden

Haupt-Aktionsformen – der (Wander-) Fahrt und des (Zelt-) Lagers – ihren pädagogischen

Wert herausarbeiten. In diesem Zusammenhang möchte ich prüfen, ob die Absichten und

Ziele dieser außerschulischen Jugendarbeit auch für die schulische sinnvoll ist.

In einem weiteren Schritt möchte ich schauen, inwieweit Fahrten und Lager im heutigen

schulischen Geschehen eingebettet sind.

Abschließend möchte ich in einem Kapitel eine Arbeitsgemeinschaft entwickeln – die

‚Schulschar’ –, die versucht, ‚bündisches’ Leben in die Schule zu holen.

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verzichte ich darauf, jeweils die weibliche und männliche Form niederzuschreiben. Es sind sowohl Männer als auch Frauen gemeint.

1 s. www.c-p-d.info

Page 5: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

5

3. Die deutsche Jugendbewegung

Die deutsche Jugendbewegung hatte ihren Ursprung gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu

Beginn des 20. Jahrhunderts. Es war einerseits die Zeit der großen Erfindungen, der

Industrialisierung und der rasanten Entwicklung im wirtschaftlichen Bereich, andererseits

ging ein sozialer Wandel damit einher, der Veränderung, Zukunftsängste und

Zivilisationsskepsis mit sich brachte. Es war die Epoche der Emanzipations- und

Reformbewegungen, z.B.

• im lebensreformerischen Bereich (Kleidungsreform, Freikörperkultur, Ernährungsreform, Vegetarismus, Antialkoholbewegung),

• im Arbeitsbereich (Genossenschaften, Bodenreform, Biologischer Landbau),

• im Bereich der Kunst und Kultur (Theaterreform und Laienspiel, Ausdruckstanz, Kunstgewerbebewegung),

• im religiös-spirituellen Bereich (Erneuerungsbewegungen in der protestantischen und katholischen Kirche, Anthroposophie),

• im Bereich der Erziehung und Bildung (Reformpädagogik, Arbeitslagerbewegung, Volksbildungs- und Volkshochschulbewegung, Kunsterziehungsbewegung, Jugendmusikbewegung, Landerziehungsheimbewegung) und

• im gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen2 Bereich (Frauen- und eben die Jugendbewegung)3.

Die deutsche Jugendbewegung selber gliedert sich in die bürgerliche und proletarische

Jugendbewegung, wobei ich auf die Historie der Arbeiterjugendbewegung (incl. der

‚Kinderfreunde’- Bewegung ab 19234) nicht näher eingehe, da es mir in erster Linie um die

Arbeitsweise und den Stil des Wandervogels, bzw. der bürgerlichen Jugendbewegung geht.

Die Emanzipations- und Reformbewegungen standen in vielfältiger Weise untereinander in

Verbindung und im Austausch. Laut GIESECKE5 ist eine ‚Bewegung’ stets „eine Reaktion

auf eine Situation, die als Krise erlebt wird.“ Wie erklärt sich nun die Vielzahl der

‚Bewegungen’ zum Ende der wilhelminischen Zeit und auch später in der Weimarer

Republik?

2 die „Gesellschaft“ als Sozialgebilde im Gegensatz zur sozialgewachsenen „Gemeinschaft“ 3 vgl. das Inhaltsverzeichnis in KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.5ff 4 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.120ff 5 s. ebenda, S.11

Page 6: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

6

3.1. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg

3.1.1. Politische und kulturelle Hintergründe

Deutschland war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einem großen wirtschaftlichen –

und damit einhergehend auch sozialen – Wandel unterzogen. Die rasante Industrialisierung

mit ihren neuen Technologien und ihren strukturellen Veränderungen in der Organisation der

Arbeit und die Verstädterung wandelten das Leben nachhaltig. Während 1870 noch zwei

Drittel der deutschen Bevölkerung in ländlichen Gemeinden wohnte, stieg der prozentuale

Anteil der Großstadtbewohner von 5% (1871) auf 21% im Jahre 1910, der Anteil der in der

Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Bewohner fiel von 50% auf 33%, der Anteil der

Arbeiter im industriellen und handwerklichen Sektor stieg hingegen deutlich an.6 Neue

Berufe, neue Lebensgewohnheiten, Wandel und Unruhe durchdrangen alle Lebensbereiche7.

Das gemeindlich-soziale, nachbarschaftliche Miteinander der dörflichen Struktur wich den

„unpersönlichen, auf Rechenhaftigkeit und materiellen Wachstum gegründeten Prinzipien der

Industrialisierung“8. Der neugegründete Mittelstand suchte noch nach seinem Platz in der

Gesellschaft, und jede soziale Klasse fühlte eine stete Unsicherheit in seinem Status. Man

versuchte, in dieser von Umbrüchen gekennzeichneten Welt überlieferte Formen und

Traditionen aufrechtzuerhalten, doch stellten sie sich im privaten und öffentlichen Leben

zunehmend nur noch als leere, innerlich hohle Hülsen dar. Die Jugend wandte sich

zunehmend gegen die patriarchiale und autoritäre Erwachsenenwelt mit ihrem militärischen

Untertanengeist.

Im Bürgertum entwickelte sich eine Spannung zwischen dem neuen Wirtschaftsbürgertum, als

Vertreter neuer Werte und Normen mit ihrer zweckrationalen Leistungsorientierung9, und

dem alten Bildungsbürgertum, die „die klassische Bildung als verbindlichen Wert an sich“10

betrachteten. Gerade das Bildungsbürgertum war für die ‚Kulturkritik’ besonders

empfänglich, da man sich durch die geistigen Werte eine Rettung vor dem Wirtschaftsgeist,

der Vermassung und Übertechnisierung erhoffte. Dabei setzten sie ihre Erneuerungshoffnung

– was in diesem Fall die Wiederherstellung der ‚alten’ Werte bedeutete, bzw. eine Reform,

die an diese Werte direkt ansetzte – auf die Jugend, denn sie sei „der Inbegriff von Zukunft,

der Aufbruch zu neuen Ufern, die Überwindung eines kranken und überalterten Systems.“11

6 vgl. GIESECKE, H. 1981 S.12ff 7 vgl. KLOSE, W. 1970, S.13 8 s. GIESECKE, H. 1981, S.12 9 vgl.: TREZIAK, U. 1986, S.9 10 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.13 11 vgl. MOGGE, Winfried „Jugendbewegung“, S.181-196 in KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.181

Page 7: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

7

In dieser historischen Phase entwickelte sich ein Bewusstsein, dass Jugend mehr sei als nur

eine biologische Durchgangsstation zwischen Kindheit und Erwachsensein. Sie war vielmehr

eine eigene und eigenwertige Lebensphase, für die sich besonders die Mitglieder der

deutschen Jugendbewegung emanzipatorisch einsetzten. Es waren „[...] jugendliche

Menschen und erwachsene Ideengeber, die sich über mehrere Generationen hinweg in

jugendkultureller Zusammengehörigkeit und elitärer Absonderung verstanden, dabei jedoch

eingebunden waren in lebensreformerischen und reformpädagogischen Zusammenhängen

und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen.“12

Die Jugendbewegung war eine Gegenbewegung gegen die aus unterschiedlichen Gründen von

Erwachsenen initiierte Jugendpflege. Konfessionelle, parteipolitische, berufliche und andere

Träger und Vereine wollte die Jugend vor „Verstädterung, Bindungslosigkeit,

Verwahrlosung, Kriminalität, ‚Sozialdemokratismus’“13 bewahren.

3.1.2. Vom Wandervogel bis zur Freideutschen Jugend

Ihren Ausgangspunkt nahm die Entstehung der bürgerlichen Jugendbewegung im Steglitzer

Gymnasium bei Berlin14. Eine kleine Stenographie-Schülergruppe unternahm mit dem

lehrenden Studenten Hermann HOFFMANN (1875-1955) als ‚primus inter pares’ ab 1896

Ausflüge in die nähere Umgebung und später mehrwöchige Fahrten in den Böhmerwald. 1900

verließ H. HOFFMANN Steglitz und der Schüler Karl FISCHER (1881-1941) übernahm die

Leitung der Fahrtengruppe. Da zur damaligen Zeit freie Schülervereinigungen verboten

waren, wurde mit der Unterstützung von Eltern, Lehrern und weiteren Fürsprechern der

Verein „Wandervogel, Ausschuss für Schülerfahrten“ (AfS) gegründet. Dieser bildete ein

Gegengewicht zur pflichtmäßigen Gebundenheit des Schulalltags zu bilden, sich durch freie

Bewegung zu kräftigen und sich durch Wanderungen mit der Schönheit der engeren und

weiteren Heimat bekannt zu machen.15

Die Idee des Schülerwanderns breitete sich schnell im deutschsprachigen Raum aus. Während

es 1902 150 Mitglieder gab, stieg die Zahl bis 1910 auf 8800 Mitglieder16 und bis zu weit

über 25000 kurz vor dem Ersten Weltkrieg17.

12 vgl. MOGGE, W. „Jugendbewegung“, 1998, S.181 13 vgl. ebenda, S.182 14 vgl.: KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.183ff + SEIDELMANN, K. 1966, S.26ff + TREZIAK, U.

1986, S.7ff 15 vgl. POHL, Max „Die Geburt des Wandervogels in Steglitz“, S.26-29 in SEIDELMANN, K. 1966 16 vgl. TREZIAK, U. 1986, S.6 17 vgl.: KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.189 „Die engeren Wandervögel-Bünde vor dem Ersten

Weltkrieg können für das Stichjahr 1914 dank einiger Statistiken auf etwa 25000 Jugendliche und 10000 Erwachsene als Führer oder in Eltern- und Freundeskreisen addiert werden.“

Page 8: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

8

Unabhängig vom Steglitzer Wandervogel gründete 1905 Knud AHLBORN den ‚Hamburger

Wanderverein’, der später zum ‚Bund Deutscher Wanderer’ wurde. Einen weiteren ähnlichen

Anfang nahm der ‚Schülerabstinentenbund Germania’, der 1902 unter dem Einfluss von

Hermann LIETZ (1868-1919) entstand.

Unterschiedliche Auffassungen und Arbeitsweisen führten innerhalb der

Wandervogelbewegung schon frühzeitig zu Spaltungen18. Die Gründe lagen zumeist in

Kontroversen und Konflikten in der Führungs- und Autoritätsfrage, in der Verpflichtung zur

Alkohol- und Nikotinabstinenz, in der Aufnahme von weiblichen Mitgliedern19, sowie später

im Miteinander der Generationen.

Der Großteil der Wandervögel kam aus dem Bildungsbürgertum. Die der Schule

entwachsenen Jugendbewegten gründeten an den Universitäten neue akademische

Verbindungen20, in denen Idee und Stil jugendbewegter Gemeinschaften fortlebte21.

Das eigentlich Neue an der Jugendbewegung war, dass die Jugendlichen die Wochenenden

und Ferien für gemeinsame Wanderfahrten ohne Aufsicht der Erwachsenen durchführten,

dabei bewusst auf jeglichen Komfort verzichteten, sich dabei eine romantische Welt schufen

und sich einen Freiraum ausbauen könnten, der die Möglichkeit bot, die Lebensweise des

Bürgertums kritisch zu betrachten. Die Fahrten brachten den städtischen Kindern die Natur

näher und die Gebräuche, Sitten und Traditionen der ländlichen Bevölkerung. Man kreierte

eine eigene Lebensform, in dem sich ein eigener Kleidungsstil prägte, Volkslieder22 und

Volkstänze, Puppenspiel und Theater aufgenommen wurden. Man kochte selber und schlief in

der Scheune oder unter freiem Himmel. War man nicht auf Fahrt, traf man sich zu

Nestabenden in eigenen Räumen. In einer Kleingruppe Gleichgesinnter herrschte ein

kameradschaftlicher Geist, und es bildete sich ein eigenes Wertesystem heraus.

Ein weiteres Novum war der Ruf nach einem eigenen ‚Jugendreich’, eine selbstbewusste

Forderung nach Jugendemanzipation. Höhepunkt der Jugendbewegung war das sogenannte

„Meißner-Fest“, das im Oktober 1913 bei Kassel von jugendbewegten, studentischen,

lebensreformerischen und reformpädagogischen Gruppierungen23 als Protestveranstaltung

gegen die ‚patriotische Parade-Veranstaltung’ des wilhelminischen Bürgertums anlässlich der

18 neue Wandervogel-Bünde waren u.a. „Steglitzer e.V.“ (1904), „Altwandervogel“ (1904), „Wandervogel

Deutscher Bund für Jugendwandern“ (1907), „Jungwandervogel“ (1910) 19 1905 wurde der „Bund der Wanderschwestern“ gegründet, 1914 der „Deutsche Mädchen-Wanderbund“ –

vgl. KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.184 20 u.a. „Deutsche Akademische Freischar“ (1907), „Akademische Vereinigung“ (1912) 21 s. KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.185 22 1909 erschien das Liederbuch: ‚Zupfgeigenhansel’, herausgegeben von Hans BREUER (1883-1918) 23 eingeladen haben: Deutsche Akademische Freischar, Deutscher Bund abstinenter Studenten, Deutscher

Vortruppbund, Bund deutscher Wanderer, Wandervogel e.V./ Jungwandervogel, Österreichischer Wandervogel, Germania - Bund abstinenter Schüler, Freie Schulgemeinde Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden, Landschulheim am Solling, Akademische Vereinigung Marburg und Jena, Serakreis, Burschenschaft Vandalia..

Page 9: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

9

100 Jahr-Feier der Völkerschlacht bei Leipzig durchgeführt wurde. Man formierte sich als

‚Freideutsche Jugend’, und knapp 2000 Personen nahmen am 1. Freideutschen Jugendtag teil.

Trotz unterschiedlicher eigener Schwerpunkte gelang es mit der „Meißner-Formel“, ein

gemeinsames Wollen zu formulieren: „Die freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.“24

Während der Wandervogel eher nach neuen geistigen Werten suchte, wollte die Freideutsche

Jugend diese Suche mit kulturreformerischen Versuchen, einer bewussten Autonomie und der

Idee der Selbsterziehung fortsetzen. So war die „Meißner-Formel“ auch kein konkretes

Programm. Die gemeinsame Bestrebung der Freideutschen Jugend wurde aber mit dem

Beginn des Ersten Weltkrieges nahezu beendet. Von den 15000 freideutschen

Kriegsfreiwilligen fielen 9000. Nach dem Krieg zeigten sich offen Spannungen zwischen dem

linken und dem völkischen Lager, und 1923 fand das letzte Treffen der Freideutschen Jugend

statt.

Den Wandervogel und die Freideutsche Jugend bezeichnet man als die erste Phase der

deutschen Jugendbewegung.

3.2. Die Entwicklung bis zum Zweiten Weltkrieg

3.2.1. Politische und kulturelle Hintergründe

Der verlorene Erste Weltkrieg hat nicht nur viele Menschenleben gefordert und zu einem

wirtschaftlichen Chaos geführt, sondern auch einen ideellen Schaden hinterlassen25. Mehrere

Krisen suchten die Weimarer Zeit heim: Besetzung des Ruhrgebiets, Inflation, fehlende

Zukunfts- und Altersversorgungen, Massenarbeitslosigkeit in der zweiten Hälfte der 20er

Jahre. Auch die neu entstandene Demokratie der Weimarer Republik wurde skeptisch

betrachtet. „Demokratisches Denken und demokratische Vorstellungen und Werte hatten in

Deutschland so gut wie keine Tradition...“26, so gab es viele unterschiedliche Deutungen und

Vorstellungen, was ‚Demokratie’ eigentlich war. Es gab zwar eine gemeinsame

demokratische Verfassung, dennoch wurde ein „ideologisches Warenlager ohne jegliche

24 s. GIESECKE, H. 1981, S.22 + KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.186 25 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.81ff 26 s. ebenda, S.83

Page 10: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

10

Orientierung“27 geboten. Es fehlte die Möglichkeit der unmittelbaren Identifikation, und es

entstand eine Sehnsucht nach ‚Gemeinschaft’. ‚Volksgemeinschaft’,

‚Gemeinschaftserziehung’ waren weit verbreitete Vokabeln.

Die Jugend wurde weiterhin als Zukunfts-Heilbringer betrachtet und wurde von allen

politischen, konfessionellen und gesellschaftlichen Lagern umringt. Die Jugendarbeit wurde

bunter, vielfältiger und größer. Während die Jugendbewegung bis zum 1. Weltkrieg nur eine

Erscheinung am Rande war, verbreitete sich diese „Erfindung der Jugendbewegung

hinsichtlich eines jugendgemäßen Lebensstils“28 in der ganzen Jugendarbeit – auch im

jugendpflegerischen Bereich, der in erster Linie von Erwachsenen gesteuert wurde. Eine

Politisierung der Jugendarbeit und damit der Jugendbewegung und der Jugendgruppen ging

damit einher.

Anfang 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht, und alle Jugendbünde und

Jugendverbände wurden verboten. Sie sollten in die Staatsjugend überführt werden: der

Hitlerjugend29 – vorher ein unbedeutender Bund von vielen.

3.2.2. Von der Bündischen Jugend bis zur Hitlerjugend

Die zweite Phase der deutschen Jugendbewegung ist die sogenannte ‚bündische’ Phase.

Die Übernahme der jugendbewegten Erlebniswelt in die Jugendarbeit – u.a. auch in die

Arbeiterjugendbewegung und in konfessionelle Gruppen –, die Kriegserlebnisse der

Jugendbewegten, das Kennenlernen und der Austausch der Wandervögel mit den Pfadfindern

in den Schützesgräben des Ersten Weltkriegs, der Verlust vieler Kameraden, der intensive

Wunsch nach einer geistigen Gemeinschaft und das Bedürfnis nach Bindung veränderte das

Gesicht der Jugendbewegung. Das Romantisch-Irrationale und Unreflektierte30 als

Selbstzweck des Wandervogels geriet in den Hintergrund, stattdessen hatte man zum Ziel,

„zur Einigung des Volkes und zur Errichtung eines ‚neuen Reiches’ beizutragen.“31

Gesellungsform des neues Reiches sollte der ‚Bund’ sein, ein freiwilliger Zusammenschluss

aufgrund gleicher geistiger Werte in Form von Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. In der

Weimarer Zeit entstanden nun unzählige Bünde mit unterschiedlichen reformerischen,

politischen, pädagogischen und ideologischen Schwerpunkten.

27 s. ebenda, S.84 28 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.87 29 incl. der Untergliederungen: Jungvolk (JV), Jungmädelbund (JM) und Bund Deutscher Mädel (BDM) 30 vgl.: KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.186 31 s. TEZIAK, U. 1986, S.12

Page 11: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

11

Nicht nur Wandervogel-Bünde veränderten ihre Arbeitsweise, auch innerhalb der deutschen

Pfadfindergruppen kam es zu nachhaltigen Reformbestrebungen. Bisher am internationalen

Pfadfindertum (‚Scoutismus’) orientiert und den deutschen Verhältnissen angeglichen, gab es

innerhalb des Deutschen Pfadfinderbundes (DPB) ab 1920 Kreise, deren Vorstellungen im

frühen Wandervogel wurzelten, und die Stile des Woodcraft-Pfadfindertums von John

HARGRAVES32 (1894-1982) übernahmen, was zur Folge hatte, dass eine Überprüfung der

bisherigen Arbeitsweisen, Erziehungsgebiete und -ziele und Führerstand zur Folge hatte33.

Einige Gruppen um Martin VOELKEL (1884-1950) spalteten sich als Neupfadfinder ab.

„Das neue Reich, die ‚neue Volkswerdung’ wird als Ziel solchen Wollens aus dem Geist der

Jugendgemeinschaft verstanden. In diesem Sinne gestalten sie Lebensform in Bund und

Stamm.“34 Die Neupfadfinder und besonders die ‚Bundesidee’35 hatte einen großen Einfluss

auf die Bünde der Jugendbewegung und -pflege. Der ‚Bund’ war ein „freiwilliges

Zusammenfinden unter einem aus ihrer Reihe stammenden Führer, mit dem Ziel, ein

eigengesetzliches Leben außerhalb der Erwachsenenwelt zu führen.“36 Der ‚Bund’ als

Sozialform war letztlich Namensgeber für die ‚Bündische Jugend’, die wiederum

Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Bünde mit verschiedenen politischen

Auffassungen, Positionen und Ideologien war. Für den Jugendlichen war der Grund sich

einem Bund anzuschließen „nicht Ideen, Ziele und Zwecke [...], sondern die Suche nach dem

Alters- und Schicksalsgenossen.“37

Mit weiteren reformorientierten Wandervogel- und Pfadfinderbünden gründete man 1926 den

‚Bund der Wandervögel und Pfadfinder’, der sich ein Jahr später in die ‚Deutsche Freischar’

umbenannte. In der Deutschen Freischar „[...] mündeten die erzieherisch wichtigsten

geschichtlichen Strömungen der Wandervögel und Pfadfinder in einem gemeinsamen Strom

zusammen, beide mit einer Fülle von Erfahrungen und innerlicher Tradition.“38

Innerhalb der Freischar bildete sich 1929 unter Eberhard KOEBEL (1907-1955) – genannt

‚tusk’ – die sogenannte Jungenschafts-Richtung aus. Seine ‚autonome deutsche jungenschaft,

32 John HARGRAVE wurde 1920 aus der englischen Pfadfinderbewegung ausgeschlossen, nachdem er

gegen die zunehmende Militarisierung und den Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg protestiert hatte. Bis dahin bekleidete er hohe Ämter bei den englischen Pfadfindern. Sein Ziel war der Weltfrieden und die Erneuerung des Stadtmenschen durch das Leben in der Natur. Sein indianisch beeinflusstes ‚Kibbi Kift’-Pfadfinderkonzept war eng mit der amerikanischen ‚Woodcraft’-Bewegung verwandt, die sich als Erziehungsbewegung verstand, basierend auf dem Leben in Zeltlagern, dem Naturerlebnis und den handwerklichen Tätigkeiten. HARGRAVE führte die Stammeserziehung ein, in der sich die Jugendlichen in ihren Gruppen gegenseitig erziehen sollten, wo der Erwachsene nur noch einen geringen Einfluss hatte. Stammeserziehung und das Lager waren für ihn die eigentlichen Orte der Erziehung in der Pfadfinderbewegung.

33 vgl. EHRENTHAL, G. „Die freie Jugendbewegung bis 1928“, S. 7-15 in SEIDELMANN, K. 1966, S.11 34 vgl. ebenda, S.11 35 vgl. MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.73 36 s. TEZIAK, U. 1986, S.16 37 s. RAABE, F. 1961, S.45 38 s. EHRENTHAL, G. in SEIDELMANN, K. 1966, S.12

Page 12: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

12

gegründet am 01.11.192939’ – kurz: ‚dj.1.11’ – wollte die Jugendbewegung von innen heraus

verändern, erteilte den erwachsenen Führern eine deutliche Absage, forderte einen

Jungenstaat ohne parteipolitische und weltanschauliche Bindung und sollte rein zur

Selbstverwirklichung der Jugend dienen.40 Die jungenschaftliche Lebensform gab der

Bündischen Jugend nochmal einen Impuls in Richtung Eigenverantwortlichkeit; die

jungenschaftliche Form wirkte attraktiv auf die Bünde, und ihr Stil, wie das Feuerzelt – die

sogenannte ‚Kohte’ – die Jungenschaftsjacke, das Liedgut aus Osteuropa und das elitäre

Bewusstsein, wurde vielfach übernommen41.

Die kurze, aber dynamische Phase der Jungenschaften – sie wird in einigen Publikationen

auch als dritte Phase der deutschen Jugendbewegung bezeichnet – endete mit der

Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Per Erlass wurde die Hitlerjugend die

einzige Jugendorganisation. Alle anderen Jugendbünde und -verbände wurden verboten,

aufgelöst oder traten der Hitlerjugend bei. Konfessionelle Jugendgruppen konnten unter dem

Dach der Kirche noch etwas länger eigenständig existieren. Durch einen Staatsvertrag

zwischen der evangelischen Kirche und der Hitlerjugend musste z.B. evangelische Gruppen

erst 1934 ihre unter 18-jährigen Mitglieder entlassen und in die HJ überführen42. Katholische

Jugendgruppen existierten noch bis 1937/38. Sie konnten durch den Abschluss des

‚Konkordats’ zwischen dem Vatikan und der nationalsozialistischen Regierung zunächst ihre

Eigenständigkeit bewahren. Die katholische Jugendbewegung konnte sogar die Zahl seiner

Mitglieder zu Beginn der NS-Zeit steigern, u.a. traten viele Bündische aus inzwischen

verbotenen Gruppen und Bünden den katholischen Gruppen bei43.

Gerade der Zuspruch aus den Reihen der Bündischen Jugend dem Nationalsozialismus und

dem ‚Dritten Reich’ gegenüber war groß, da sie wie das deutsche Bürgertum – aus dessen

Kreise weiterhin die Mitglieder kamen – und ein großer Teil des Zeitgeistes völkische, anti-

demokratische Positionen vertraten. Die Bündische Jugend war ein Spiegelbild der

Gesellschaft; es mangelte hier an demokratischen Traditionen44. Man wollte sich in den

Dienst des neuen Reiches stellen. Während das Wandervogel- und Freideutschtum eher zum

Republikanischen, Antiautoritären, Liberalen und Linken tendierte, trat die Bündische Jugend

mit ihren innerbündischen Struktur- und Lebensformen mit dem Anspruch auf, „Muster für

eine ‚volkliche’ Ordnung“ zu sein.45 Pädagogisch und menschlich war der ‚Bündische’ zwar

anders gesinnt, aber die NSDAP hatte ihn leicht einfangen können46. Die Unduldsamkeit, der

39 die Kleinschreibung in jungenschaftlichen Texten orientierte sich an der ‚Bauhaus’-Kunstbewegung. –

vgl. MALZACER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.105 40 vgl. TEZIAK, U. 1986, S.21 41 vgl. MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.103ff 42 vgl. CECONI, C./ FABIAN, B./ HAHN, T. 2003, S.187 + vgl. DUCKSTEIN, W. 1989, S.19ff 43 vgl. DPB-Jungenschaft Schwarzer Adler 1996, S. 24ff 44 vgl. TREZIAK, U. 1986, S.64 45 vgl. KLÖNNE, A. 1995, S.98 46 vgl. ebenda, S.102

Page 13: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

13

Zwang, die Intoleranz, die einseitige politische Ausrichtung und der totalitäre Anspruch

waren dem freien Jugendbewegten jedoch eher fremd47.

Dennoch bot Bündische Jugend der neuen Staatsjugend diverse Anknüpfungspunkte in

Bereichen der Arbeitsform, Aktivitäten, Ideologie und im Personal. „Ein Großteil der

Methoden und Gestaltungsmittel der NS-Jugendarbeit, der Gruppenformen und des

Verbandsaufbaus der HJ hatte im Bündischen seinen Ursprung.“48 Es wurden Fahrten und

Lager unternommen, Heimabende und Geländespiele durchgeführt, das Führungs-

Gefolgschafts-Prinzip übernommen, sowie Teile des Liedgutes und des Sprachgebrauchs,

doch wurden ihre Inhalte und ursprünglichen pädagogischen Prinzipien verändert. Auch

Schlüsselworte der damaligen Zeit, wie Führer und Gefolgschaft, Volk und Reich, Ehre und

Treue, Nation und Sozialismus oder Volksgemeinschaft hatten in der Jugendbewegung und

im Nationalsozialismus keine identische Vorstellung, zumal man in der Jugendbewegung

selber schon auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen war49. Die Schlüsselwörter waren

vielmehr Worthülsen, die je nach gewünschtem Ziel mit unterschiedlicher Bedeutung gefüllt

wurden. „Der Bündische wurde zum Volksgenossen, nicht zum Staatsbürger erzogen. Die

politischen Vorstellungen der Bünde kreisten aus diesem Grund immer wieder um den

Gedanken des Volkes, des Volkstums und der Volksgemeinschaft.“50 Der Volksgedanke

gründete sich z.B. auf die Fahrtenerlebnisse in der Heimat, wo man die Verbundenheit mit

dem Volk pflegte und man sich als Teil dieser Volksgemeinschaft sah.

Trotz des Erfasstwerdens von einem Rausch zur „nationalen Erhebung“51 stand man der

NSDAP als Partei und Organisation skeptisch gegenüber, und der Aufgabe der eigenen

Autonomie versuchte man sich auf unterschiedlichen Wegen zu widersetzen. Sei es durch

Unterwanderung der Hitlerjugend, indem man mit der alten Gruppe ein eigenes HJ-Fähnlein

bildete – besonders das Jungvolk war bis 1936 bündisch geprägt und durchsetzt –, sei es

durch Versuche, den Wert der eigenen Gruppe für den Nationalsozialismus zu verdeutlichen52

oder durch das Weiterführen der Gruppe in der Illegalität53.

47 vgl. KNEIP, R. 1976, S.19 48 s. KLÖNNE, A. 1995, S.102 49 vgl. ebenda, S.103ff 50 s. RAABE, F. 1961, S.115 51 s. KLÖNNE, A. 1995, S.103 52 so schrieb der Bruder Karl OELBERMANN des Bundesführers des Nerother Wandervogels in einem

Rundschreiben am 24.März 1933: „So wie damals Robert [OELBERMANN] unser Führer war, hat heute unser geliebtes Deutschland in Adolf Hitler seinen Führer gefunden. Wir bekennen uns zu ihm und seinen Fahnen.“ Man folgte der Strategie, sich Regierungsfromm zu zeigen, um möglichst lange legal weiter bestehen zu dürfen. Vergebens. Der Bund löste sich am 23.Juni 1933 selber auf. – Der Nerother Wandervogel war neben der dj.1.11 der massiv verfolgteste Bund seitens der Nationalsozialisten, weil der Autonomie-Gedanke in beiden Bünden am ausgereiftesten war. – vgl. MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.127ff

53 s. hierzu: KLÖNNE, A. 195, S.143ff + MALZACHER, F./ DAENSCHEL, M. 1993, S.130ff

Page 14: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

14

4. Die Pfadfinderbewegung

Das Pfadfindertum ist eine internationale Bewegung mit derzeit mehr als 28 Millionen

Mitgliedern weltweit54. Die Entstehung vor knapp 100 Jahren ist eng mit dem Leben des

Gründers Lord BADEN-POWELL verknüpft. Das deutsche Pfadfindertum hat in der Historie

einen eigenen Weg eingeschlagen. Alle Pfadfindergruppen basieren auf den selben

Grundlagen, und der Scoutismus versteht sich als Erziehungsmethode.

4.1. Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung der internationalen Pfadfinderbewegung

Lord BADEN-POWELL55 wurde am 22. Februar 1857 als achtes von zehn Kindern in

London geboren. Im Alter von zwei Jahren verstarb sein Vater. 1870 trat er in die

Charterhouse-Schule ein, die drei Jahre später aufs Land übersiedelt, wo BADEN-POWELL

die Kunst der Waldläufer für sich entdeckte, indem er sich in den Wäldern beim

‚Schulschwänzen’ vor den Lehrern versteckte. 1876 begann er eine militärische Laufbahn und

übernahm in Indien die Ausbildung der jungen Soldaten. Er sprach sich gegen die bisherigen

Drill-Methoden aus und ersetzte sie durch sportliche und kulturelle Aktivitäten. Ab 1888

kämpfte er in Afrika für die britische Krone. In den Jahren 1899 und 1900 verteidigte er

sieben Monate lang die südafrikanische Stadt Mafeking gegen die zahlenmäßig weit

überlegenden Buren. Er setzte Jugendliche für Meldedienste ein und organisierte sie in

kleinen Gruppen, die gut und flexibel operierten56. Er trainierte sie in Spurenlesen, im

Umgang mit Karte und Kompass und in Survival-Techniken. BADEN-POWELL erkannte

dabei, dass junge Leute Gutes leisten, wenn man ihnen Verantwortung überträgt. Im selben

Jahr veröffentlichte er das Buch „Aids to scouting“57 für Soldaten, das aber auch in England

bei der Erziehung an Jungen- und Mädchenschulen genutzt wurde. 1902 und 1903 kümmerte

er sich um die Organisation der südafrikanischen Polizei.

Nach England zurückgekehrt wurde er aufgrund der Mafeking-Verteidigung als Held

empfangen. Seine Eindrücke, die er in der Arbeit mit jungen Menschen machte, und der

Erfolg seines Militär-Buches veranlassten ihn, die gesammelten Erfahrungen unter

Friedensbedingungen umzusetzen. So lud er 1907 22 Jungen aus verschiedenen

Gesellschaftsschichten zu einem mehrwöchigen Probelager auf Brownsea-Island ein.

54 „There are more than 28 million Scouts, youth and adults, boys and girls, in 216 countries and

territories“ – vgl. www.scout.org, Juni 2005 55 sein ‚vollständiger’ Name lautet: Robert Stephenson Smyth BADEN-POWELL, Lord of Gilwell – vgl.

Pfadfinderbund Bayern e.V. 1991, S.9ff 56 CECONI, C./ FABIAN, B./ HAHN, T. 2003, S.182 57 dt. ‚Handbuch zur Pfadfinderei’

Page 15: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

15

Eingeteilt in mehreren Gruppen, denen jeweils einer aus ihrer Reihe als Leiter vorstand, und

gekleidet in einer gemeinsamen Uniform, spielten und bauten sie auf diesem Lager. Der

erfolgreiche Verlauf des Lagers veranlasste BADEN-POWELL, sein Soldaten-Erziehungs-

Handbuch zu überarbeiten; er veröffentlichte es 1908 als „Scouting for boys“. Die

Veröffentlichung führte zu einer großen Zahl von Pfadfindergruppen, die sich an diesem Buch

orientierten.

1910 trat er aus der Armee aus, um sich der Leitung und Koordination der weltweit

wachsenden Pfadfinderbewegung zu widmen. 1916 entstand die Wölflings-58 und

Pfadfinderinnenbewegung. Auf unzähligen Reisen durch die Länder warb er für seine Idee der

Jugendarbeit. Er verstarb am 08. Januar 1941 in der Nähe von Nairobi.

Mit der Veröffentlichung von „Scouting for boys“ gründeten sich nicht nur in England und

den britischen Kolonialländern Pfadfindergruppen, sondern auch weltweit. 1909

veröffentlichte Alexander LION das ins Deutsche übersetzte Buch „Das Pfadfinderbuch“, wo

er BADEN-POWELLs Scoutismus mit deutschen Tugenden verband. Aufgrund der gewollten

staatsbürgerlichen Erziehung fand diese Form der Jugendarbeit viele Fürsprecher in den

Reihen der Erwachsenen, und es kam zu Gruppengründungen.

Trotz der gemeinsamen Grundlage (Gesetz, Versprechen, Arbeitsweise etc.) aller Pfadfinder

weltweit konnte sie nicht verhindert, dass sich die Pfadfinder als Soldaten im Ersten

Weltkrieg gegenüberstanden. Die Erlebnisse gaben der Bewegungen einen Impuls zu mehr

Internationalität und gemeinsamer Solidarität.

Das deutsche Pfadfindertum nahm nach dem Ersten Weltkrieg einen eigenwilligen Weg,

indem Teile der deutschen Pfadfinder mit dem Wandervogel zur Bündischen Jugend

verschmolzen.

Heute gibt es nahezu in jedem Land Pfadfinder59, die i.d.R. in einen männlichen60 und

weiblichen61 Verband organisiert sind. In keinem Land findet man eine solch zersplitterte

Pfadfinderbünde-Landschaft vor wie in Deutschland62, was darauf zurückzuführen ist, das

sich die westdeutschen Bünde der Nachkriegszeit auf scoutistische oder jugendbewegte

Wurzeln berufen, bzw. auf eine Mischform. Zum Teil fließen auch konfessionelle Grundsätze

58 Pfadfinder-Vorstufe für 8 bis 11-Jährige 59 einige kommunistische und totalitäre Systeme bilden hier eine Ausnahme 60 weltweit im WOSM organisiert: World Organization of Scout Movement – vgl. STRUNK, P. 1995, S.167 61 weltweit im WAGGGS organisiert: World Association of Girl Guides und Girl Scouts – vgl. STRUNK, P.

1995, S.171 62 von diesen weit über 150 Pfadfinderbünden sind nur drei international anerkannt, die sich zum Ring

deutscher Pfadfinderverbände zusammengeschlossen haben. Dazu gehören der interkonfessionelle Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP), die katholische Deutsche Pfadfinderschaft St.Georg (DPSG) und der evangelische Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP).

Page 16: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

16

mit hinein. Besonders gegen Ende der 60er Jahre/ Anfang der 70er Jahre mit dem

einhergehenden gesellschaftlichen Wertewandel führte die Auseinandersetzung zwischen

traditionellen und eher progressiven Ideen in der Pfadfinderarbeit zu einer weiteren

Zersplitterung. In Ostdeutschland blieb die Pfadfinderarbeit verboten, doch orientierte sich die

staatliche Pionierarbeit63 an der Pfadfinderbewegung64, Formen und Inhalte bezog man ferner

aus der nationalen und internationalen Arbeiterjugendbewegung65.

Eine angemessene nähere Ausarbeitung zur Nachkriegs-Geschichte der (Pfadfinder-) Bünde

kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden.

4.2. Die Grundlagen der Pfadfinderbewegung

Die weltweite Pfadfinderarbeit basiert auf den selben Grundlagen. Auch wenn das

Pfadfindertum in unterschiedlichen Stilen und Formen vorkommt – je nach dem Bedürfnis der

jeweiligen Gesellschaft –, sind der Zweck, die Pfadfinderprinzipien und die

Pfadfindermethode verbindliche Elemente für die Mitgliedschaft im Weltbund.

Der Scoutismus bezeichnet sich selbst bewusst als eine ‚Bewegung’66 und ist Veränderungen

unterworfen. So müssen Begrifflichkeiten und Formulierungen stets im Kontext der Zeit

betrachtet werden. Da der Scoutismus ein handlungsorientierter Ansatz ist, bekommen die

formulierten Ideale und Methoden erst Gültigkeit, wenn sie „von der jungen Generation mit

einem neuen, der Zeit entsprechenden Geist belebt werden.“67

Der Zweck der Pfadfinderbewegung ist: „zur Entwicklung junger Menschen beizutragen,

damit sie ihre vollen körperlichen, intellektuellen, sozialen und geistigen Fähigkeiten als

Persönlichkeiten, als verantwortungsbewusste Bürger und als Mitglieder ihrer örtlichen,

nationalen und internationalen Gemeinschaft einsetzen können.“68 Dieser ganzheitliche

Ansatz soll ergänzend zu den herkömmlichen Erziehungseinrichtungen wie Familie, Schule,

Kirche und Umwelt bei der Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen wirken.

Durch die drei Grundprinzipien soll eine gemeinsame Verhaltens- und Werte-Ebene

geschaffen werden. Sie lauten69:

63 die ‚Freie Deutsche Jugend’ (FDJ), die jedoch nichts mit der ‚Freideutschen Jugend’ gemein hat! 64 vgl. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hrsg.), 1952 65 vgl. GIESECKE, H. 1981, S.222 66 Zitat: BADEN POWELL „We are a Movement, not an Organization“ in GERR, H.E. 1998, S.35 67 s. GERR, H.E. 1998, S.15 68 s. VCP (Hrsg.) 1996, S.18 + WOSM (Hrsg.) 1994, S.6 69 vgl. VCP (Hrsg.) 1996, S.18ff + GERR, H.E. 1998, S.13

Page 17: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

17

1. die Pflicht gegenüber Gott (und seiner Schöpfung)

Es ist weniger der Glaube an einen bestimmten Gott gemeint, sondern eher die persönliche Auseinandersetzung mit den geistigen und spirituellen Werten der Welt. Das Pfadfindertum soll dabei behilflich sein, über die materialistische Welt hinauszuschauen, um zu erkennen, dass jeder Pfadfinder Teil eines größeren Ganzen ist und Verantwortung für dieses trägt.

2. die Pflicht gegenüber Dritten

Als Teil einer Gemeinschaft und Gesellschaft soll sich der Pfadfinder für den Erhalt und die Weiterentwicklung dieser einsetzen. Der Respekt vor den Mitmenschen, der Einsatz für das Verständnis untereinander und der schonende Umgang mit der Umwelt sind Grundzüge dieses Prinzips.

3. die Pflicht gegenüber sich selbst

Jeder Pfadfinder hat für seine eigene persönliche Entwicklung Sorge zu tragen. Die Pfadfinderidee und -methode sollen ihn bei der Ausbildung seiner Persönlichkeit unterstützen.

Die drei Prinzipien, die sich auf der geistigen, sozialen und persönlichen Ebene befinden,

werden in den Pfadfindergesetzen und im Pfadfinderversprechen wieder aufgegriffen. Die

drei ausgestreckten Finger des Pfadfindergrußes70 erinnern ebenso wie die drei Blätter der

Lilie71 an diese Prinzipien.

Die Pfadfindermethode umfasst folgende Unterpunkte, wobei kein einzelner für sich stehen

kann; erst in der Kombination aller kann man von der pfadfinderischen Methode sprechen:

• Das Pfadfindergesetz und -versprechen72:

70 die drei mittleren Finger der rechten Hand werden gestreckt, während sich der Daumen auf den kleinen

Finger legt – „Der Große schützt den Kleinen!“ 71 die Lilie ist das internationale Symbol der männlichen Pfadfinder; weibliche Pfadfinder haben ein

Kleeblatt als Zeichen – ebenfalls mit drei Blättern! 72 Eine alte deutsche Übersetzung des englischen Gesetzes von 1923 lautet (s. GERR, H.E. 1996, S34):

1. Auf eines Pfadfinders Ehre ist Verlaß. 2. Ein Pfadfinder ist treu dem König, seinem Lande, seinen Führern, seinen Eltern, seinen Meistern und

Untergebenen. 3. Eines Pfadfinders Pflicht ist es, sich nützlich zu erweisen und anderen zu helfen. 4. Ein Pfadfinder ist der Freund aller und jedem anderen Pfadfinder ein Bruder, gleichgültig zu welcher

Gesellschaftsklasse der andere gehört. 5. Ein Pfadfinder ist höflich. 6. Ein Pfadfinder ist ein Freund der Tiere. 7. Ein Pfadfinder gehorcht ohne Widerrede seinen Eltern, seinem Patrouillenchef oder Feldmeister. 8. Ein Pfadfinder lächelt und pfeift bei allen Schwierigkeiten. 9. Ein Pfadfinder ist sparsam. 10. Ein Pfadfinder ist sauber in Gedanken, Wort und Tat.

Eine aktuelle Formulierung des Pfadfindergesetzes der Deutschen Pfadfinderschaft St.Georg (DPSG) von 2005 lautet (s. www.dpsg.de).

Als Pfadfinderin…/ Als Pfadfinder… …begegne ich allen Menschen mit Respekt und habe alle Pfadfinder und Pfadfinderinnen als

Geschwister. …gehe ich zuversichtlich und mit wachen Augen durch die Welt. …bin ich fröhlich und helfe da, wo es notwendig ist.

Page 18: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

18

Die zehn von BADEN-POWELL formulierten Pfadfindergesetze basieren auf christlichen Grundwerten und -regeln, erleichtern das Leben in der Gruppe und geben einem Orientierung. Diese ethischen Forderungen wurden in die jeweiligen Landessprachen übersetzt – eng am Original angelehnt. Durch die Verinnerlichung dieser scoutistischen Normen soll es zu einer Lebenseinstellung werden. „Once a Scout, always a Scout!“73 – Wer in eine Pfadfindergruppe aufgenommen werden will, muss der Gruppe gegenüber ein freiwilliges Versprechen ablegen; eine Beliebigkeit scheidet aus. Durch das Versprechen gibt der junge Mensch eine Verpflichtung ab, sich an die Pfadfinderprinzipien zu halten. Diese persönliche Verpflichtung hat eine große selbsterzieherische Wirkung74.

Die Formulierung des deutschen Pfadfindergesetzes unterscheidet sich in den einzelnen Bünden erheblich. Inhaltlich sind sie zwar identisch, doch werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Das Gesetz wurde im Laufe der Jahrzehnte stets umformuliert und der jeweiligen Zeit angepasst und auch hier mit neuen Schwerpunkten belegt. So werden seit einigen Jahrzehnten z.B. Autoritäten kritisch hinterfragt und es wird zu mehr Eigeninitiative aufgerufen. Ein genauerer Vergleich der unterschiedlichen Formulierungen in den Pfadfinderbünden durch die einzelnen historischen Epochen würde eine eigenständige Examensarbeit vom Umfang her bedeuten.

• Die kleine Gruppe:

Eine Pfadfindergruppe sollte i.d.R. aus 6 bis 8 Jungen (Mädchen) bestehen, die von einem wenig älteren Pfadfinderleiter geführt werden. Jeder einzelne trägt Verantwortung innerhalb der und für die Gruppe. Jeder bringt sich mit seinen Interessen und Fähigkeiten für das Wohl der Gruppe ein. Die kleine Gruppe gewährleistet ein bestmögliches Kennenlernen untereinander. I.d.R. sollte eine Pfadfindergruppe altershomogen sein!

• Learning by Doing:

Das Prinzip „Lernen durch eigenes Handeln“ hat sich mittlerweile in vielen Bereichen der (Erlebnis-)Pädagogik durchgesetzt. Bei den Pfadfindern ist es eine grundsätzliche Methode. Durch eigenes Probieren, Beobachten, Experimentieren und Erleben soll das Kind seine Fähigkeiten und Kenntnisse erweitern. BADEN-POWELL betont selber75: „Ein Junge ist immer eher bereit etwas zu tun, als darüber zu reflektieren.“

• Erlebnispyramide:

Das Programm wird dem Alter des Kindes angepasst. Hinzu kommt eine allmähliche Steigerung der Erlebniswelt. Die Kombination aus Spiel, dem Erwerb von handwerklichen und geistigen Techniken, sowie der Dienst an der Gemeinschaft und die steigenden Herausforderungen bei den Gruppen-Aktivitäten – vom Wochenendlager zur mehrwöchigen Großfahrt – gewährleisten eine anspruchsvolle und ganzheitliche Erziehung.

…mache ich nichts halb und gebe auch in Schwierigkeiten nicht auf. …entwickle ich eine eigene Meinung und stehe für diese ein. …sage ich, was ich denke, und tue, was ich sage. …lebe ich einfach und umweltbewusst. …stehe ich zu meiner Herkunft und zu meinem Glauben.

73 s. GERR, H.E. 1996, S.35 74 vgl. GERR, H.E. 1998, S.59 75 BADEN-POWELL, R. (1996), S.23

Page 19: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

19

Hinzu kommt noch:

• die Kluft:

Um die Standes-Unterschiede äußerlich zu verwischen und alle einheitlich erscheinen zu lassen, hat BADEN-POWELL eine Kluft eingeführt (Hemd und Halstuch). Jeder soll aufgrund seiner Fähig- und Fertigkeiten beurteilt werden und nicht aufgrund seiner sozialen Herkunft. Darüber hinaus stärkt sie das Gruppengefühl, ist Bekenntnis zur internationalen Pfadfinderidee und eine Identifikation mit ihren Zielen.

4.3. Pfadfindererziehung

Schon die heutige Definition der Pfadfinderbewegung zeigt, dass sie sich als

Erziehungsbewegung versteht: „[Die Pfadfinderbewegung ist] eine freiwillige, nicht-

politische Erziehungsbewegung für junge Leute, die offen ist für alle, ohne Unterschiede von

Herkunft, Rasse oder Glaubensbekenntnis, übereinstimmend mit dem Zweck, den Prinzipien

und der Methode, die vom Gründer der Bewegung entwickelt wurden.“76

Obwohl nicht aus dem pädagogischen Bereich kommend, verfolgt BADEN-POWELL in der

Gründungszeit Erziehungsziele. Dank seiner guten Menschenkenntnis, seiner

Beobachtungsgabe und seiner Fähigkeit, sich auf neue Situationen spontan einzustellen,

gelang es ihm, ein Erziehungsmodell zu entwickeln, das weitreichende Impulse in den

außerschulischen und familiären Bereich hineintrug.

Dieselben negativen Auswirkungen der Industrialisierung – Naturentfremdung,

Verkümmerung der emotionalen Kräfte und der individuelle Fähig- und Fertigkeiten, der

Mangel an Streben nach Lebenserfahrung und das ‚überzivilisierte Leben’77 –, die in

Deutschland zur Wandervogel-Gründung führten, nahm auch BADEN-POWELL wahr und

setzte sein ‚Scouttraining’78 dagegen, das zu einem guten, nützenden Staatsbürger erziehen

sollte79.

Folgende vier Erziehungsziele hatte er im Blick:

• Erziehung zur Charakterstärke

76 s. VCP (Hrsg.) 1996, S.15 + WOSM (Hrsg.) 1994, S.4 77 vgl.: GERR, H.E. 1996, S.39 + GERR, H.E. 1998, S.13 78 vgl.: GERR, H.E. 1996, S.41 + GERR, H.E. 1998, S.17ff 79 Die ursprüngliche Zielsetzung, staatsbürgerliche und patriotische Tugenden zu entwickeln, muss im

historischen Zusammenhang gesehen werden, da sein Denken nicht frei vom imperialistischen Streben seines Landes war.

Page 20: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

20

Er strebte in seiner Erziehung Eigenschaften wie Selbstlosigkeit, Mut, Ausdauer, Tatkraft, Selbstvertrauen, Ergebenheit, Ehrfurcht und -gefühl, Selbstzucht und Frohsinn an.

• Erziehung zu physischer Kraft und Gesundheit

Die gesunde körperliche und seelische Entwicklung des jungen Menschen hatte bei ihm einen zentralen Wert.

• Erziehung zu handwerklicher Geschicklichkeit

Das Erlernen handwerklicher Techniken, das Ausbilden eines technischen Verständnisses und künstlerisch-kreativer Ansätze waren in BADEN-POWELLs Modell wichtig. Es sollte auch der Berufsvorbereitung dienen80.

• Erziehung zur Dienstbereitschaft

Dieses Erziehungsziel beinhaltet BADEN-POWELLs primäres Wollen. „Ehrfurcht gegenüber Gott, gegenüber dem Nächsten und gegenüber sich selbst und die Bereitschaft und die Fähigkeit, der Gemeinschaft und dem Nächsten zu dienen, sind für ihn die zu entwickelnden Grundeigenschaften.“81

Erreicht werden sollte diese Erziehung durch die Pfadfindermethode.

Die scoutistische Erziehung orientierte sich stark am englischen Gentleman-Ideal, bzw. an

ritterlichen Tugenden und spiegelt den christlichen Wertekanon wieder. Ziele wie Ehre, Hilfs-

und Dienstbereitschaft, Treue zu Gott und dem König, Gehorsam, Höflichkeit und Reinheit

finden sich im Pfadfindergesetz und -versprechen wieder82.

In seinem Erziehungsmodell berücksichtigt er bewusst kindliche und jugendliche

Bedürfnisse83 und baut sie in seine Arbeitsweise ein:

• den Bewegungs-, Tätigkeits- und Entdeckungsdrang,

• das Bedürfnis nach Abenteuer und Wagnis,

• das Bedürfnis nach Spiel und Wettstreit,

• das Bedürfnis nach Integration in eine Gemeinschaft Gleichaltriger,

• das Bedürfnis nach sichtbarer Anerkennung vollbrachter Leistungen,

• das Bedürfnis, körperlichen und charakterlichen Anforderungen zu genügen

• und die Sehnsucht nach Leitbildern für die eigene Lebensführung.

80 BADEN-POWELLs handwerklicher Ansatz und das Ziel der staatsbürgerlichen Erziehung gleichen sich

mit der Auffassung des deutschen Reformpädagogen G. KERSCHENSTEINER. Beide sahen in der staatsbürgerlichen Erziehung kein Problem des Wissenserwerbs, sondern es war eine Frage der Charakterbildung. – vgl. GERR, H.E. 1998, S.19

81 s. GERR, H.E. 1998, S.18 82 vgl. ebenda, S.14 83 s. GERR, H.E. 1996, S.43

Page 21: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

21

In der Umsetzung seiner scoutistischen Erziehung lassen sich methodische Grundsätze

erkennen. Zum einen erfolgt die Erziehung zu und durch eine Tätigkeit bzw. eine Handlung.

GERR, H.E. spricht hier vom ‚Aktivitätsprinzip’84. Des weiteren spielt die Zivilisationsferne

und ein naturverbundenes Leben in BADEN-POWELLs Methode eine entscheidene Rolle,

sowie die Erziehung durch eine und hin zu einer Gemeinschaft und die einhergehende

Selbsterziehung.

BADEN-POWELL war ein Praktiker, und so ist sein Ausspruch ‚Scouting is Doing’ auch sein

Programm. „Die von ihm intendierten Qualitäten [waren] nicht über ein schulmäßiges

Lernen, nicht über Buchwissen zu erreichen.“85, so dass das ständige Einüben und das

spielerische Ausprobieren die erwünschten Charaktereigenschaften ausbilden und festigen

sollte. Die Aufgabe des begleitenden Pfadfinderführers ist es, Anreize und Situationen zu

schaffen, die den jungen Menschen begeistern und seine Begeisterung im Sinne der

Pfadfinderprinzipien und der -methode kanalisieren.

Der Natur misst er den größten erzieherischen Wert zu, deshalb werden Orte fern der

Zivilisation aufgesucht. So ist das Zeltlager Schwerpunkt der Pfadfindererziehung und

Höhepunkt des Gemeinschaftslebens zugleich86. Um im Lager bestehen zu können, muss der

Pfadfinder handwerkliche Techniken beherrschen, wie Zeltbau, Knoten und Funktionsbauten

(Brücken, Kochtische, Lagertürme etc.). Unter einfachen Bedingungen wird das

gemeinschaftliche Leben organisiert, bei bewusstem Verzicht auf Komfort und sonstigen

zivilisatorischen Errungenschaften. Der pädagogische Wert des (Zelt-) Lagers wird an

späterer Stelle ausführlich aufgezeigt.

Die kleine Gruppe Gleichaltriger mit 6 bis 8 Personen, die sich durch ein Versprechen

gebunden hat, stößt bewusst an die Existenzgrenze ihrer Aktionsfähigkeit, da nun jedes

Mitglied aktiv das Gruppenleben mitbestimmen und -gestalten muss, um diese Existenz nicht

zu gefährden. Die Übernahme dieser Verantwortung und das Gefühl, in und für die Gruppe

gebraucht zu werden und ein wichtiger Teil des Ganzen zu sein, führt zur gegenseitigen

Selbsterziehung. Ferner übt die Übernahme von Gruppenämtern (z.B. Koch, Materialwart

etc.) ebenfalls einen erzieherischen Effekt aus. Das enge Gefüge einer Pfadfindergruppe

bedingt eine „relative Dauerhaftigkeit der Gruppenbindung“87.

Der „Bewegungs“-Charakter des Scoutismus führt zu einer Weiterentwicklung der

Pfadfindermethode sowie der Erziehungsziele. Die heutige Generation ist eine andere als zur

Gründungszeit, denn die frühe scoutistische Erziehung schloss z.B. die selbstlose, patriotische

84 vgl. ebenda, S.57 85 s. GERR, H. E. 1996, S.57 86 vgl. ebenda, S.61ff 87 vgl. GERR, H.E. 1996, S.63 + GERR, H.E. 1998, S.49ff

Page 22: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

22

Bereitschaft zur Vaterlandsverteidigung mit ein. Heute versteht man unter einer

staatsbürgerlichen Erziehung eher eine aktive Mitwirkung an der Weiterentwicklung der

Demokratie, was auch den Erziehungsziel-Katalog im Scoutismus erweitert hat.

Erziehungsziele werden nun mit Normen gleichgesetzt, an denen sich die Erziehung

orientiert. Kompetenzen wie Kritik-, Entscheidungs-, Handlungsfähigkeit (Selbst- und

Sozialkompetenz), das soziale und (sozial-) politische Lernen stehen im Mittelpunkt der

modernen scoutistischen Erziehung88.

Das soziale Lernen als Förderung der Selbst- und Sozialkompetenz und das politische Lernen

werden an einer anderen Stelle – bei der Frage des ‚pädagogischen Wertes der Fahrt und des

Lagers’ [Kap. 8] – näher betrachtet.

Die fünf Erziehungsgrundsätze der modernen Pfadfindermethode sind im folgenden Schema

zusammengefasst89:

Die fünf Erziehungsgrundsätze der modernen Pfadfindermethode:

Erziehung zur und durch Tätigkeit („Scouting is Doing“)

• Erfahrungslernen durch spiel- und projektorientiertes Tun • erlebnispädagogische Aktivitäten • Erkundungslernen • Tat-Christentum (soziales Engagement, z.B.

Behindertenarbeit) • schöpferisches Tun • musische Aktivitäten • Sport

Gemeinschaftsprinzip und Selbsterziehung

• Kleingruppenarbeit: Gruppendynamik, Prinzip der kleineren und größeren Gemeinschaften

• Übernahme von Verantwortung • soziales und politisches Lernen • Kluft und pfadfinderische Symbole • Koedukation • Gestaltung des Gemeinschaftslebens nach den

Pfadfinderregeln/ -gesetzen

Orientierung an Werten und Normen (Regeln)

• Ausrichtung des alltäglichen Lebens an pfadfinderischen Werten und Normen

• Pfadfinderregeln/ -gesetze, Versprechen • Orientierung an den Bundeszielen • Vorbild des erwachsenen Begleiters

Naturverbundenheit und natürliches Leben

• Sinngerechte Gestaltung des Lebens (Einfachheit, Sparsamkeit, Mäßigkeit...)

• Erziehung in freier Natur (Lager, Wanderungen...) • verantwortungsbewusster Umgang mit der Schöpfung Gottes • zivilisationskritische Einstellung (bewusster Verzicht auf

übermäßigen Konsum) • Umweltschutzprojekte

88 vgl. GERR, H.E. 1998, S.21ff 89 s. ebenda, S.43

Page 23: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

23

Internationalismus als Erziehungsgrundsatz

• Internationale Kontakte • Übernahme von Pfadfinder-Patenschaften in der Dritten Welt • Leben des Freundschaftsgedankens (Beteiligung an Projekten

in der Dritten Welt, Einsatz für Arme und Schwache) • Friedenserziehung (Abbau von Vorurteilen gegenüber

ausländischen Mitbürgern)

Die erweiterte Pfadfindermethode basiert auf den ursprünglichen Vorstellungen BADEN-

POWELLs, hat sich aber um den internationalen Anspruch erweitert und kommt heute

bewusst als ‚Erziehungsgrundsätze’ zur Anwendung. Sie sind weiterhin als Einheit zu sehen

und haben verpflichtenden Charakter, um ‚Pfadfinder-Arbeit’ zu sein.

Viele dieser Erziehungsgrundsätze werden auch von der heutigen Erlebnispädagogik verfolgt.

Dazu mehr im 6.Kapitel.

Page 24: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

24

5. Die Reformpädagogik

5.1. Einführung in die Reformpädagogik

Eine weitere Strömung des auslaufenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, die sich mit

dem Kind und der Jugend befasste, war die Reformpädagogik.

Es war eine internationale Bewegung, die die aktuelle Schul- und Lebenssituation der

Gesellschaft reflektierte. Man orientierte sich an Jean-Jacques ROUSSEAUs (1712-1778)

Bild des Kindes. Er forderte für die Kinder das Recht auf Eigenleben ein, sah in Erlebnissen,

Erfahrungen und Abenteuer notwendige Lernprinzipien und maß dem Lernen über die Sinne

in der Natur einen hohen Stellenwert bei. „Wer handelt, lernt besser und mehr und wer gut

handelt, wird ein guter Mensch“ war ROUSSEAUs einfache Logik90.

Ellen KEY (1849-1926) brachte es mit dem Titel ihres 1900 veröffentlichen Buches „Das

Jahrhundert des Kindes“ auf den Punkt91. Es kam zu einer Synthese aus kindzentrierten

pädagogischen Ideen und einer sich am Subjekt ‚Schüler’ orientierten pädagogischen Praxis92.

Unter den Begriff ‚Reformpädagogik’ fielen in Deutschland und Europa eine Unmenge an

unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen, Unterrichtsmodellen und Methoden, die jedoch

eine veränderte Sichtweise auf den Menschen – speziell auf das Kind – und die Kritik an der

‚alte Schule’ gemein hatten. Der dem Umfeld des Steglitzer Gründungs-Wandervogel

zuzurechnenden Pädagoge Ludwig GURLITT93 (1855-1931) kritisierte die alte Schule: „Die

Schule nehme den Kindern das Köstlichste, was sie mit ins Leben bekommen, ihre Eigenart,

um sie in das langweilige Schulschema einzuzwängen.“94 Noch radikaler formulierte es

Johannes GLÄSER in Hinblick auf den Taten- und Bewegungsdrang des Kindes in seinem

Buch: „Von Kinde aus“95 (Hamburg 1920): „Das Kind musste totgeschlagen werden, damit

das Schulkind auferstehe.“96 Der ‚alten Schule’ mangelte es an der Verbindung zum

eigentlichen Leben. Ferner wurde die zunehmende Stofffülle und die einseitige

Wissensvermittlung mit der autoritären ‚Rohrstock’-Methode kritisiert97. Stattdessen

versuchte man diesem durch neue, alternative Unterrichtsgestaltungs-Konzeptionen (z.B.

keine Prügelstrafe, kein Sitzenbleiben, keine Zensuren, Gesamtunterricht, Projekt-Arbeit,

90 vgl. HECKMAIR B./ MICHL, W. 1998, S.9 91 vgl. SCHONIG, B. „Reformpädagogik“, S.319 in KREBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.319-330 92 s. SCHONIG, B. 2002, S.13 in HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002a 93 vgl. MOGGE, W. “Aufbruch der Jugendbewegung“, S.9 in WEIßLER, S. 2001, S.9-25 94 s. SCHONIG, B. 1998, S.319 95 „Vom Kinde aus“ galt in der Weimarer Zeit auch als ‚Slogan’ der Reformpädagogik 96 s. GLÄSER, J. 1920 „Von Kinde aus“, S.74 in HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002a, S. 71-

83 97 vgl. OELKERS, J. 1989, S.27ff

Page 25: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

25

gleichberechtigtes Nebeneinander von praktischen Themen wie Gartenbau, Schlosserei oder

Küche und ‚traditionellen’ Fächern) und einem persönlicheren Miteinander zwischen den

Schülern und Lehrern zu begegnen. Man orientierte sich verstärkt an den Interessen und

Bedürfnissen des Kindes, wollte ihre Persönlichkeit entwickeln, förderte Musisches und

Sportliches und wollte die Schule als Lebensort für alle Beteiligten gestalten. Man wollte die

jungen Menschen zur Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und -organisation, zur

Verantwortungsübernahme für sich und die Gemeinschaft (z.B. für die Demokratie) und zum

koedukativen Miteinander erziehen98. PESTALOZZIs ganzheitlicher „Kopf, Herz und Hand“-

Lernansatz war allgemeine Grundlage reformpädagogischer Bestrebungen. Jede

Reformschule, jedes Modell hatte seine eigenen Schwerpunkte. Es waren nicht überall alle

Wollensbekundungen vorzufinden.

Kennzeichnend für diese pädagogische Epoche war eine Fülle von Schulerprobungen und

Schulversuchen. Die meisten dabei erfolgten zunächst in Privatschule und

Landerziehungsheimen.

Einige einflussreiche Reformpädagogen, die ich stellvertretend für eine bestimmte Richtung

nennen möchte, waren99:

• Hermann LIETZ (1868-1919)100

Er gilt als Begründer der deutschen Landerziehungsheimbewegung (erste Gründung 1898 in Ilsenburg/ Harz) Die grundsätzlichen Züge der Landerziehungsheime waren die kindgerechte, ganzheitliche Erziehung in einer internat-ähnlichen Schule fernab der negativen, zivilisatorischen Einflüsse der Stadt, wobei Schüler und Lehrer eine ‚Schulgemeinde’ bildeten und miteinander in ‚Familien’ lebten.

• Gustav WYNEKEN (1875-1964)

Er gründete die Freie Schulgemeinde Wickersdorf – einem jugendbewegten Typus des Landerziehungsheims – und stand in enger Beziehung zur Freideutschen Jugend. Als Mit-Autor der Meißner-Formel nahm er Einfluss auf die pädagogischen Geschicke der Jugendbewegung und formulierte ihren Autonomie-Anspruch. Er sprach von einer eigenen ‚Jugendkultur’, einer „Erziehung in der selbst erziehenden Gemeinschaft“101.

• Paul GEHEEB (1870-1961)

Er gründete die Odenwaldschule (1910) und die Ecole d’Humanité in seiner Exilzeit. Es waren koedukative Schulen, international ausgerichtet. Die Schulgemeinde war demokratisch organisiert.

98 vgl. OELKERS, J. 1989, S.132ff + SCHONIG, B. 2002, S.42ff 99 vgl. HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002a, S.14ff + siehe diese und weitere

Reformpädagogen in der auf die Erlebnispädagogik bezogenen Übersicht in WORM, H.-L. 1995, S.66 100 vgl. HANSEN-SCHABERG, I./ SCHONIG, B. 2002b – ebenso über P. GEHEEB und G. WYNEKEN 101 s. KREBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.33

Page 26: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

26

• Maria MONTESSORI (1870-1952)

Sie ging von der schöpferischen Eigentätigkeit des Kindes aus und ihre kindzentrierte pädagogische Praxis – in Italien erprobt – verbreitete sich rasch in Deutschland. Selbstbestimmte Freiarbeit konsequent an den Bedürfnissen des Kindes orientiert, frei nach dem Ausspruch: „Hilf mir, es zu tun!“

• Rudolf STEINER (1851-1925)

Seine Pädagogik basiert auf anthroposophischen Annahmen. Epochenunterricht und ästhetisch-rhythmische Erziehung findet man in seinen Schule (u.a. Waldorfschulen).

• Peter PETERSEN (1884-1952)

Er kombinierte theoretische und praktische reformpädagogische Ansätze zur Fragestellung, wie Erziehung gestaltet werden müsste, zum sog. „Jena-Plan“.

• Georg KERSCHENSTEINER (1854-1932)

Er gilt als Begründer der Arbeitsschulbewegung. Er führte das handwerkliche Prinzip konsequent in den Unterricht ein: Schülerwerkstätten, Schulgarten und -küchen, Laboratorien. Die Schulklasse wird als Arbeitsgemeinschaft organisiert, die sich durch eigenes Handeln Wissen aneignet.

• Bertold OTTO (1859-1933)

Er prägte den Gesamt-Unterricht.

• Kurt HAHN (1886-1974)

Er gilt als Begründer der Erlebnispädagogik (‚Erlebnistherapie’) und der ‚Kurzschulen’, wo mehrwöchige, erlebnisorientierte Einheiten durchgeführt wurden. Dazu mehr im Kapitel zur Erlebnispädagogik (Kap. 6.1.).

Ebenso wie die Jugendbewegung war die reformpädagogische Bewegung in ihrer

weltanschaulichen Ausrichtung heterogen. So wurden während der NS-Zeit die meisten

reformpädagogischen Versuche verboten oder mit nationalsozialistischer Ideologie vermischt.

Nur wenige reformpädagogische Modelle konnten nach 1933 fortgeführt, bzw. neu aufgebaut

werden, u.a. in jüdischen Schulen, in Tiefensee bei Berlin unter Adolf REICHWEIN und im

Ausland in von Exil-Reformpädagogen gegründeten Schulen102.

Der Nationalsozialismus beendete weitestgehend die reformpädagogische Entwicklung in

Deutschland, die u.a. auf den Erfahrungen und Erlebnissen der Jugendbewegung basierte,

darüber hinaus neue Lern- und Erlebnismodelle für Gruppen entwickelte, das Verhältnis

zwischen Schülern und Lehrern erneuerte, die sich gleichberechtigt in ‚Schulgemeinden’

trafen und das Ziel verfolgten, selbstbewusste und mündige Bürger zu erziehen. Es fehlte

102 vgl. SCHONIG, B. 2002, S.20

Page 27: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

27

vielleicht letztlich die Einsicht, dass man gemeinschaftliche Erlebnisse auch kritisch

reflektieren und im Unterricht behandeln muss103.

5.2. Reformpädagogik und Jugendbewegung

Die Jugendbewegung und Reformpädagogik waren Reformbewegungen, die in vielerlei

Hinsicht miteinander verknüpft waren oder in Beziehung zueinander standen. Beide wandten

sich gegen die erstarrten Formen der Gesellschaft, verbanden Zivilisationskritik mit der Suche

nach Naturerleben, fanden in Lebens- und Arbeitsgemeinschaften sowie

Selbsterziehungsgemeinschaften und Lebensbünden einen Rückhalt und kämpften für die

Autonomie des Jugendalters. Die einen, um einen eigenen Rückzugsraum zu haben, die

anderen, um sie gezielt jugendgerecht – mit den besten Absichten – zu erziehen. Ziel beider

Bewegungen war es, für die freie Entfaltung der Anlagen, Eigenschaften und Fähigkeiten der

Kinder sowie für eine Persönlichkeits- und Charakterbildung zu sorgen.

Frühzeitig hatte der Wandervogel durch einem ‚eingetragenen Verein’ (Wandervogel,

Ausschuss für Schülerfahrten e.V.) Unterstützung erhalten, der an einem Steglitzer

Gymnasium gegründet wurde. Die ersten Wandervögel, die einen akademischen Weg

einschlugen, versuchten, der Jugendbewegung einen pädagogischen Wert zu geben, und es

gründeten sich ‚Erziehungsgemeinschaften’104. In der damaligen Zeit klang die Forderung,

dass sich ‚Unmündige’ gegenseitig erziehen wollen, wie eine „Kampfansage gegen die

etablierte Rolle der Lehrer“105.

Auf dem Meißnertreffen 1913 verbanden sich erstmals jugendbewegte und

reformpädagogische Strömungen und gaben mit der Meißnerformel ein gemeinsames Wollen

zum Ausdruck. Vier der 13 Unterzeichner-Bünde, bzw. -Gemeinschaften kamen aus dem

schulischen Bereich: Germania – Bund abstinenter Schüler, Freie Schulgemeinde

Wickersdorf, Bund für freie Schulgemeinden und das Landschulheim Solling.

103 vgl. MÜLLER, C.W. 1973, S.46 104 aus einer Werbeschrift der Deutschen Akademischen Freischar (1911) in MÜLLER, C.W. 1973, S.26ff:

„Die Freischar ist [...] eine Erziehungsgemeinschaft. [...] Die Freischar erstrebt in ihrer Organisation eine Vereinigung solcher Bildungsmittel und Erziehungselemente, die die Schule und das Berufsstudium nicht gewähren können und die dem einzelnen nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Sie veranstaltet Vorträge und Diskussionen, wirkt für die Gestaltung einer freien Geselligkeit, die unabhängig von Alkohol ist, ohne jede Verpflichtung zur Abstinent, pflegt Wandern und Reisen im Sinne der Jugendwanderbünde und gibt ihren Mitgliedern reiche Gelegenheit zum Turnen, Spiel und Sport. [...] Die Freischar ist Bildungsgemeinschaft auf korporativer Grundlage. Dieses Prinzip des festen inneren Zusammenschlusses (nicht Abschlusses nach außen) und der Verpflichtung der Mitglieder gegeneinander ist das grundlegende Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Freistudentenschaft. In ihm sieht die Freischar die günstigsten Bedingungen eigener und gegenseitiger Erziehung und Förderung gemeinsamer Interessen.“

105 s. MÜLLER, C.W. 1973, S.16

Page 28: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

28

Die ‚Freideutschen’ sahen sich im Bereich der Erziehung weniger als Konkurrenten denn als

Ergänzung. Bruno LEMKE – aus der Deutschen Akademischen Freischar kommend –

formulierte am Vorabend des Festtages auf der Burg Hanstein vor Vertretern aller Meißner-

Verbände: „Tun wir selbst unsere Schuldigkeit an uns, indem wir selbst unsere Erziehung in

die Hand nehmen. Nicht um die Erziehung, die uns andere Institutionen angedeihen lassen, zu

ersetzen, sondern um sie zu ergänzen.“106 Der Gedanke der ‚Selbsterziehung der Jugend’ und

durch „das Bewusstwerden dieser reichhaltigen individuellen Chancen [hat] ein mächtiges

pädagogisches Erkenntnisfeld eröffnet [...], das vorher brach gelegen hat.“107 Dass Jugend

durch Jugend geführt werden konnte und wollte, hat diese Bewegung gezeigt.

Einen großen Anteil an der Planung des Meißner-Treffens und der Formulierung der Formel

hat Gustav WYNEKEN (Gründer der Freien Schulgemeinde Wickersdorf).

In Wickersdorf setzte er seine pädagogische Konzeption um, eine Synthese aus

Jugendautonomie und gelenkter Erziehung. So lebten die Schüler und Lehrer in

Kameradschaften zusammen. 10 bis 20 Schüler scharten sich freiwillig um einen Lehrer, der

Kern dieser Gemeinschaft war. Ähnlich wie in jugendbewegten Gruppen war der Lehrer der

frei gewählte Führer und konnte den Geist der Kameradschaft prägen, da es eine intensive

persönliche Bindung zwischen den Mitgliedern gab, und der Lehrer so die Entwicklung der

Persönlichkeiten beeinflussen konnte, was ein großes Vertrauen zwischen allen voraussetzte.

Man verbrachte die freie Zeit miteinander und unternahm Fahrten. In Gegensatz zu anderen

Familien in Landerziehungsheimen fanden sich die Kameradschaften aufgrund gemeinsamer

geistiger Interessen und Ideale zusammen.108

WYNEKEN sah im Wandervogel die Jugend, die in seine Schule passen würde. Dem

Autonomie-Willen wollte er ein pädagogisch-erzieherisches Dach geben, indem er in der

‚neuen Schule’ den Ort der ‚Jugendkultur’ sah. Er wollte, dass die ‚aus der Schule

entflohenen Wandervögel’ zurückkehren und die neue Schule als ihre Lebensstätte

annehmen109. Doch schoss er damit über das Ziel hinaus, weil seine bevorzugte Jugend sich

gerade gegen die Bevormundung der Erwachsenen auflehnte – unabhängig davon, ob sie gute

Absichten hatten.

Dennoch hatte die Freie Schulgemeinde Wickersdorf eine geistige Verbindung zur

Jugendbewegung, und viele Reformpädagogen arbeiteten zeitweilig dort, u.a. Paul GEHEEB

oder Martin LUSERKE.

106 s. LEMKE, B. „Einleitungsworte bei der Ansprache des ersten Freideutschen Jugendtages auf dem ‚Hanstein’“ 1913, S.33 in MÜLLER,C.W. 1973, S.31-35

107 s. SEIDELMANN, K. 1966, S.134 108 vgl. SCHMID, J.R. 1936/ 1973, S.112ff 109 vgl. WYNEKEN, G. „Wandervogel und Freie Schulgemeinde“ 1913, S.36ff in MÜLLER, C.H. 1987,

S.36-41

Page 29: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

29

Ein weiteres jugendbewegtes Schulkonzept verfolgte man an Hamburger

Gemeinschaftsschule während der Weimarer Zeit110. Es gab keine starren Klassen, die Kinder

wählten sich ihre altersheterogenen Gruppen selber, die sich wiederum in einem

kameradschaftlichen Miteinander um einen Lehrer scharten. „Die Zusammengehörigkeit der

Kinder [war] wichtiger zu nehmen als alle didaktischen und administrativen Bedenken.“111

‚Erzieher’ sollte das ganze Schulleben selber sein.

Als Mitarbeiter des preußischen Kulturministeriums formulierte WYNEKEN Ende 1918

einen Schulerlass, der sich an der Meißnerformel orientierte und „der Jugend die Möglichkeit

eröffnete, aus innerer Wahrhaftigkeit und unter eigener Verantwortung an der Gestaltung des

Lebens mitzuwirken.“112 Es sollten Schulgemeinden gegründet werden, als freie

Ausspracheorte aller am Schulleben Beteiligten, sowie Schülerräte als Vertretung der

Schülerschaft. Ferner durften unpolitische Vereine begründet werden. Der Widerhall auf

diesen Erlass war regional sehr unterschiedlich. Dort, wo die Jugendbewegung sehr stark

vertreten war, wurde der Erlass übernommen, so z.B. in Sachsen, Böhmen und Österreich.

Dort, wo die aus dem Wandervogel hervorgegangene Lehrerschaft noch fehlte, blieb das

Verhältnis zwischen Lehrern und Schüler das alte.

Es ist sowohl der Jugendbewegung als auch der Landerziehungsheimbewegung – als eine

Strömung der Reformpädagogik – zu verdanken, dass neben Wandertagen und

Schülerfahrten, Sportfesten und Schulfeiern „sich heutiges Schulleben mit Landheimen,

Schülermitverantwortung [und -mitverwaltung], Schülerzeitungen und dem persönlichen

Verhältnis zwischen Lehrer und Schülern doch wesentlich von dem der ersten beiden

Jahrzehnte dieses Jahrhunderts [20.Jh.] unterscheidet.“113

Personen aus der Jugendbewegung ist es zu verdanken, dass sich das menschliche Klima an

der Schule zum Besseren entwickelt hat: „Die Leute der Jugendbewegung hatten in ihren

Gruppen gelernt, scharf auf die jeweiligen Befindlichkeiten im Grundmenschlichen

hinzuschauen. Daraus und aus ihrer Übung im vertraulichen Umgang mit Kindern und

Jugendlichen sind ihnen Fähigkeiten im Aufspüren und Erkennen von Missklängen und

Störungsfaktoren im Atmosphärischen der Schulwirklichkeit erwachsen, die der

durchschnittliche Lehrer der damaligen Zeit nicht im gleichen Maß besaß.“114 – Durch diese

Sensibilität gelang es dem jugendbewegten Lehrer- und Erziehertypus, die Schüler zu

erreichen und zu begeistern und so die ‚Schulfeindlichkeit’ zu negieren. Die Sozialisation in

den Bünden brachte menschliche Qualitäten mit, die das pädagogische Wirken mehr

110 vgl. SCHMID, J.R. 1936/ 1973, S.21ff 111 s. SCHMID, J.R. 1936/ 1973, S.30 112 s. KNEIP, R. 1976, S.16 113 s. KNEIP, R. 1976, S.16 + vgl. SEIDELMANN, K. 1966, S.139 114 s. SEIDELMANN, K. 1966, S.138

Page 30: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

30

verstärkten und die pädagogischen Wirkungen auf die anvertraute Gruppe intensivierten als

beim wissenschaftlich ausgebildeten Lehrer.115 Der eher partnerschaftliche Führungsstil hatte

in der Schule umfassend Einzug gehalten.

5.3. Adolf REICHWEIN – Reformpädagoge mit jugendbewegter Sozialisation

Am Beispiel des Reformpädagogen A.REICHWEIN lässt sich der Einfluss einer

jugendbewegten Sozialisation auf das spätere berufliche Schaffen verdeutlichen.

5.3.1. A. REICHWEINs Lebenslauf116

Der „Volkshochschulleiter, Bildungspolitiker, Lehrerbildner, Dorfschullehrer und

Museumspädagoge“117 Adolf REICHWEIN wurde am 3.Oktober 1898 in Bad Ems geboren.

Er war das älteste von drei Kindern des Lehrers Karl REICHWEIN und seiner Ehefrau Anna

Maria. 1904 zog die Familie nach Ober-Rosbach, wo er bei seinem Vater zur Schule ging;

1909 wechselte er auf das Friedberger Realgymnasium. Zur selben Zeit nahm er an seinen

ersten Wandervogel-Aktivitäten teil. Im Spätherbst 1916 wurde er in den Militärdienst

eingezogen, kämpfte in Polen und in Frankreich und wurde Ende 1917 schwer verwundet. Im

Mai 1918 begann Adolf REICHWEIN in Frankfurt am Main ein Studium der Geschichte,

Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie und Nationalökonomie. Ab 1920 studierte er in

Marburg. Im selben Jahr heiratete er seine erste Frau Eva HILLMANN. Ein Jahr später

schloss er seinen Doktor-Titel mit der Dissertation ‚China und Europa im 18. Jahrhundert’ ab.

Im Dezember übernahm er die Geschäftsführung des ‚Ausschusses der deutschen

Volksbildungsvereinigung’ in Berlin. 1923 beendete er seine Promotion zum Doktor der

Philosophie, leitete als neue Aufgabe die ‚Abteilung Nordostdeutschland des deutsch-

amerikanischen Kinderhilfswerkes’ und koordinierte im Anschluss als Geschäftsführer die

‚Volkshochschule Thüringen’ und zog dafür mit seiner Familie nach Jena. 1925 übernahm er

die Leitung der ‚Volkshochschule Jena’. Im Sommer 1926 begann er eine knapp einjährige

Forschungsreise durch Nord- und Mittelamerika sowie Südostasien. 1929 wurde er Leiter der

Pressestelle im preußischen Kultusministeriums und hatte parallel dazu weiterhin die Leitung

der ‚Volkshochschule Jena’ inne. 1930 übernahm er die Professur für Geschichte und

Staatsbürgerkunde an der ‚Pädagogischen Akademie’ in Halle/ Saale.

115 vgl. ebenda, S.139ff 116 s. KOPPMANN, J. 1998, Zeittafel ab S.179ff 117 s. ebenda, S.11

Page 31: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

31

Im April 1933 wurde er vom NS-Kulturministerium von seiner Professur u.a. aufgrund seiner

SPD-Mitgliedschaft entbunden. Im Oktober nahm A. REICHWEIN eine Lehrerstelle an der

einklassigen Dorfschule in Tiefensee in der Mark Brandenburg an. Im Mai 1939 wurde er

Leiter des ‚Museum für Deutsche Volkskunde’ der neu gegründeten Abteilung ‚Schule und

Museum’. Aufgrund seiner Verwundungen aus dem 1.Weltkrieg musste er keinen

Kriegsdienst leisten. In den folgenden Jahren nahm er an konspirativen Treffen von

Oppositionellen des ‚Kreisauer Kreises’ teil und wurde im Zusammenhang des HITLER-

Attentats vom 20.Juli 1944 wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und am 20. Oktober

1944 hingerichtet.

5.3.2. A. REICHWEINs jugendbewegter Lebenslauf118

Durch einen jungen Lehrerkollegen seines Vaters lernte A. REICHWEIN 1907 den

Wandervogel kennen und nahm im Folgejahr als Gast bei Nestabenden und Wanderungen

teil. 1911 wurde er dann Mitglied im Wandervogel e.V.119 in der Friedberger Ortsgruppe, die

damals ca. 20 Personen zählte. Ab 1913 leitete er mehrere kleinere Ausflüge und Fahrten

seiner Wandervogelgruppe in die nähere Umgebung, 1914 nach Hamburg und Helgoland,

sowie nach Holland. In der Zeitschrift ‚Wandervogel in Hessen und am Rhein’ wurde er 1916

als ‚Führer’ der Wandervogelgruppe in Friedberg genannt. Nach seinem Militäreinzug in

Mainz nahm er an den Heimabenden der ansässige Wandervögel teil.

In Polen gründete er dort mit weiteren Kriegskameraden eine eigenständige Wandervogel-

Ortsgruppe. In einem Brief an die Eltern schrieb er am 8. April 1917: „Ostern hat uns etwas

Schönes beschert, nämlich eine Wandervogelortsgruppe Jablonna. [...] Es ist doch was

Schönes, wie Wandervögel sofort gut Freund sind, mögen sie auch aus ganz verschiedenen

Landschaften des Vaterlandes stammen. Man weiß eben gleich: Der da denkt mit Dir. [...]“120

1918 suchte er bei seinem Studienbeginn in Frankfurt/ Main Kontakt zu dem dortigen Alt-

Wandervogel, wurde Mitglied des ‚Internationalen Jugendbundes’121 und trat 1920 in

Marburg der ‚Akademischen Vereinigung Marburg’122 (A.V.) bei. Die aus der

118 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.179ff 119 die Ortsgruppe des Friedberger Wandervogels stand in der Tradition des 1904 gegründeten Steglitzer

e.V., der ‚sinnvolles’ Wandern dem ‚Kilometerfressen’ vorzog. 120 s. PALLAT, G./ REICHWEIN, R./ KUNZ, L. 1999 121 der „Internationale Jugendbund“ wurde von dem Göttinger Philosophen Leonard NELSON gegründet.

NELSON „wollte aus der Jugend aller Völker eine Partei der Vernunft schaffen, wobei eine scharfe klassenkämpferische und revolutionäre Haltung bejahrt wurde.“ – vgl. KNEIP, R. 1974, S.139

122 die „Akademische Vereinung Marburg“ wurde am 13.Mai 1912 von dem Wandervogel Wolfgang KROUG gegründet und war eine führende Vereinigung der studentisch-jugendbewegten Erneuerungskräfte. „Das Leitbild der freien Selbsterziehungsgemeinschaft kam in ihr am reinsten zur Geltung.“ Man beharrte entschieden „auf dem Grundsatz der Neutralität“ und weigerte sich 1933 z.B. der NS-Anordnung zu folgen, jüdische und kommunistische Mitglieder auszuschließen. Unter Zwang löste sich die A.V. 1934 selber auf. – vgl. KNEIP, R. 1974, S.27+28

Page 32: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

32

Jugendbewegung kommenden Studenten wandten sich gegen „die antirepublikanische,

deutsch-nationale Gesinnung und den ’elitär-autoritären’ Kastengeist der

Korpsstudenten.“123

5.3.3. Jugendbewegte Einflüsse in A. REICHWEINs Pädagogik

Neben dem Einfluss seines Vaters wurde die Reformpädagogik einer „selbsttätigen

Erziehungsgemeinschaft“124 von Adolf REICHWEIN maßgeblich durch seine, bzw. in seiner

jugendbewegte(n) Sozialisation entwickelt. – Sein Vater Karl orientierte sich an J.H.

PESTALOZZIs ‚Kopf, Herz und Hand’-Lernen, förderte das Musisch-Künstlerische und die

Leibeserziehung in seiner Landschule. Karl REICHWEINs ‚Helfersystem’125 unter den

Lernenden übernahm er später in sein pädagogisches Konzept, weil er selber als Kind des

Dorflehrers seinem Vater half und so eine Helferrolle in der Klassengemeinschaft innehatte.

Wie prägend seine Wandervogelzeit gewesen ist, lässt sich aus einem Abschnitt seines

Abschiedsbriefes an seine Frau vom 16. Oktober 1944 herauslesen, wo er seine wichtigsten

Lebensabschnitte Revue passieren ließ: „[...] die 10 Jahre im Wandervogel mit den weiten

und nahen Fahrten.“126, die vielen Äußerungen zum Wandervogel, sein Streben, am neuen

Wohnort bzw. neuer Wirkstätte sofort Kontakt zu Wandervögeln oder jugendbewegten

Vereinigungen aufzunehmen, und die lebenslangen Freundschaften zu Mitgliedern des

Wandervogels127 verdeutlichen dies. Besonders die ‚Fahrten’, „die sich auch in allen Formen

von REICHWEINs pädagogischem Konzept wiederfinden“128, waren ihm wichtig. Seiner

Tochter schrieb er einige Tage vor seiner Hinrichtung: „Erwandere Dir in jungen Jahren

Deutschland, wie ich es getan habe. Man kann gar nicht früh genug damit anfangen [...]“129.

Die beim Wandervogel in der Regel sorgfältig vor- und nachbereiteten Unternehmungen, die

ständige Erweiterung „des geistigen und geographischen Horizonts“130, das Kennenlernen

der direkten Umgebung, sowie des Auslands finden ebenfalls Einzug in seine

reformpädagogische Arbeit.

Die erlebte Kameradschaft und Gemeinschaft im Wandervogel sah er als Idealbild für seine

späteren Vorhaben. Er wollte das Proletariat und das Bürgertum u.a. über eine gemeinsame

123 s. KOPPMANN, J. 1998, S.36 124 s. KERBS, D./ REULECKE, J. 1998, S.327 125 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.18 126 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.9 127 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.15 128 s. ebenda, S.15 129 Brief vom 16.10.1944 – vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.29 130 vgl. ebenda, S.23

Page 33: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

33

Volksbildung näher zu bringen und sah „das Wandern in der solidarischen Gemeinschaft der

Kameraden zum Bildungsprozess [werden]. [...] Das Wandern in der freien Natur sollte nicht

Selbstzweck sein, sondern mit vielfältigen naturkundlichen, volkskundlich-geographischen,

künstlerischen und sozialen Ambitionen verbunden sein.“131 – Er selber schrieb auf seinen

Fahrten Berichte, Gedichte, zeichnete und spielte Geige.

Auch der handwerkliche Aspekt des Ausbauens und Einrichtens der Wandervogelnester und

der Versammlungsräume der Friedberger Ortsgruppe spielte in seiner späteren pädagogischen

Praxis eine zentrale Rolle. Im Wandervogel sah er das Modell einer Werkgenossenschaft, das

gemeinsame Handeln und Werken und das gegenseitige Kennenlernen als eine mögliche

„Einheit von Arbeit, Leben und Lernen“132, das auch von der Akademischen Vereinigung

Marburg angestrebt wurde. Er erkannte in der solidarischen Gemeinschaft der

Jugendbewegten ein Ideal für sein Menschenbild. Für ihn war die Jugendbewegung ein

Brückenbauer für eine menschlichere Gesellschaftsform, sie wollte die Gegensätze wie Stadt

und Land, Arbeiter und Unternehmer oder Kopf- und Handarbeiter beseitigen. Der Gedanke

an der Überwindung sozialer Klassengegensätze reifte schon in seiner Wandervogelzeit.

REICHWEIN schrieb: „Ja, ich erinnere mich, dass es mir als Zwölfjähriger tiefen Eindruck

machte, wenn die Älteren, die Studenten unter uns, an Nestabenden und an Treffen davon

sprachen, dass wir die Kluft zwischen Gelehrtentum und Volk, zwischen Arbeiter und Bauer,

zwischen Volk und Staat nicht durch künstliche Überbrückung weniger spürbar machen

sollten, sondern durch ein neues Leben und eine neue Lebensform wirklich überwinden.“133

Diese neue Lebensform aus jugendbewegtem Geist zu bilden, zieht sich durch sein

berufliches und politisches Leben („Wandervogel zu sein, war nicht bloß Freizeitvergnügen,

es war ein politisches Bekenntnis.“134).

REICHWEINs Interesse für alles Volkstümliche speiste sich auch aus seiner jugendbewegten

Zeit: „Diese romantische, aber der Jugendbewegung eigentümliche Vorliebe für alles

Gewachsene, Echte, Volkstümliche und Überlieferte kommt auch in REICHWEINs späterer

pädagogischen Arbeit, v.a. bei seiner Tätigkeit am Berliner Volkskundemuseum, immer

wieder zum Ausdruck.“135

Das durch den Vater geweckte Interesse an der Reformpädagogik und ihrer Methoden

verstärkte sich in seiner Wandervogelzeit; konkret setzte REICHWEIN seine aus der

Jugendbewegung übernommenen Einflüsse und Ansichten u.a. in folgenden Vorhaben um:

131 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.23ff 132 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.150 133 aus „Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung“ von A.REICHWEIN 1933 – s. KOPPMANN, J. 1998,

S.28 134 s. KOPPMANN, J. 1998, S.26 135 s. ebenda, S.26

Page 34: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

34

• 1921 organisierte er ein Arbeitslager in Bodenrod, an dem Arbeiter und Studenten

teilnahmen. Die vier Wochen in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft sollten die

jungen Menschen durch gemeinsame körperliche Arbeit, Sport und

Abendveranstaltungen – ganz in Wandervogel-Manier mit Gesang, Literatur und

Tanz136 – zum geistigen Austausch und zur Überwindung der sozialen Grenzen

anregen. Darüberhinaus sollte „das Lager [...] zu einer wichtigen Erfahrung

demokratischer Verhaltensweisen“137 werden, da es galt, das Verständnis für die

junge, noch anfällige Demokratie der Weimarer Zeit zu festigen.

• Als Geschäftsführer der Volkshochschule (VHS) Thüringens gründete er gemeinsam

mit dem schweizer Wandervogel Hans BERLEPSCH-VALENDAS Arbeits- und

Bildungsgemeinschaften, die u.a. einwöchige Lehrgänge auf der Burg Lauenstein und

der Leuchtenburg absolvierten. Die Lerngruppen verstanden sich als

Lebensgemeinschaften, die auch Sport, Feste, Wanderungen und Tänze in ihrer Arbeit

mit aufnahmen. 1924 führte REICHWEIN mit Dozenten der Volkshochschule

ebenfalls Lager durch.138 Bei der VHS-Bildung schwebten ihm ‚Selbstbildungs-

Gemeinschaften’ vor, „wie er sie selbst im Wandervogel erfahren hatte.“139

• Ab 1925 ersetzte er als Leiter der Volkshochschule in Jena die abendlichen Vorträge

durch Arbeitsgemeinschaften. Das ganzheitliche Konzept beinhaltete auch mehrtägige

Fahrten der VHS-Teilnehmer, denn „die Volkshochschule dient[e] der Entfaltung des

Einzelnen und seiner Kräfte.“140

• Im Jenaer Volkshochschulheim lebten junge Arbeiter im Alter von 18 bis 25 Jahren

ein Jahr zusammen in einer Lebensgemeinschaft. Neben der beruflichen Arbeit als

Grundlage erwarben sie im Heim ein umfassendes Wissen u.a. durch das gemeinsame

Leben. Am Ende des Wohnjahres wurde eine mehrwöchige Auslandsfahrt

unternommen, wofür die Bewohner wöchentlich fünf Mark sparten. 1928 ging es für

zwei Monate nach Skandinavien und 1929 nach Südeuropa. Ziel war es, Land und

Leute kennenzulernen.141

• In seiner Lehrerbildung an der pädagogischen Akademie in Halle organisierte

REICHWEIN für die angehenden Studenten Lager, um abermals demokratische

Verhaltensweisen zu erlernen und zu erproben. Seine „Lager- und

Wandererziehung“142 wurde auch von anderen Akademien übernommen. Die

Ferienlager wurden unter der verantwortlichen Führung eines jüngeren Dozenten unter

einfachsten Bedingungen durchgeführt. Auch „Landschulpraktika und

sozialpädagogische Praktika mit schwierigen Kindern wurden ebenfalls in Form von

mehrwöchigen Zeltlagern durchgeführt.“143

136 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.148ff 137 s. KOPPMANN, J. 1998, S.149 138 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.24 & KOPPMANN, J. 1998, S.152ff 139 s. KOPPMANN, J. 1998, S.34 140 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.31 & KOPPMANN, J. 1998, S.154ff 141 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.156ff 142 vgl. AMLUNG, U. 1999, S.45 143 s. KOPPMANN, J. 1998, S.165

Page 35: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

35

• In seiner Zeit als Dorflehrer in einer einklassigen, staatlichen Landschule in Tiefensee

hat er all die Erfahrungen aus seiner Wandervogelzeit und den daraus resultierenden

reformpädagogischen, ganzheitlichen Ansatz zu einem alternativen Schulmodell

weiterentwickelt: Werken, sorgfältig vor- und nachbereitete Wanderungen und

Fahrten, Naturbeobachtung und -erleben, solidarische Gemeinschaft, soziales

Verantwortungsbewusstsein, Selbsterziehung, Musisches, Sport und Spiel,

projektorientiertes Arbeiten in altersheterogenen Gruppen usw. – Adolf REICHWEIN

konnte von 1933-1939 eine reformpädagogisch geführte Schule aufrecht erhalten, die

„der NS-Erziehungsideologie und -praxis diametral entgegengesetzt [war]“144

REICHWEINs Ansatz schulischer Werkerziehung bereitete „die Mädchen und Jungen

für das Leben in einer anderen Gesellschaftsordnung vor, für eine Zeit nach dem

‚Führerstaat’.“145

„[...] Dörfliches Leben, Jugendbewegung, Frontkameradschaft [im 1.Weltkrieg] waren die

drei Wurzeln, aus dem ich die Idee nährte [mich der volkstümlichen Bildung zu widmen].“146

So wie Adolf REICHWEIN wurden im ersten Drittel des 20. Jahrhundert viele Lehrer und

Pädagogen von der Jugendbewegung geprägt und haben die Ansätze und Ideen des

Wandervogels in ihre reformpädagogische Arbeit integriert.

144 vgl. KOPPMANN, J. 1998, S.166 145 s. AMLUNG, U. 1999, S.12 146 s. KOPPMANN, J. 1998, S.34

Page 36: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

36

6. Die Erlebnispädagogik

6.1. Einführung in die Erlebnispädagogik

Die moderne Erlebnispädagogik hat ihre Wurzeln in der Reformpädagogik. Als Vater der

modernes Erlebnispädagogik wird Kurt HAHN (1886-1974) gesehen147, der die zentralen

Begriffe und Ideen der Reformpädagogik: „Erlebnis, Augenblick, Unmittelbarkeit,

Gemeinschaft, Natur, Echtheit und Einfachheit“148 in einer neuen Weise miteinander

verknüpfte.

Sein Modell der ‚Erlebnistherapie’ wandte sich gegen die Verfallserscheinungen der

damaligen Gesellschaft. Er kritisierte

o den Mangel an menschlicher Anteilnahme – aufgrund der hastigen und eiligen Welt der modernen Gesellschaft

o den Mangel an Sorgsamkeit – bei der Massenproduktion und in der Wegwerfgesellschaft rückt der Wert des sorgsam Hergestellten in den Hintergrund

o den Verfall der körperlichen Tüchtigkeit – u.a. durch die Nutzung moderner Fortbewegungsmittel

o den Mangel an Initiative und Spontaneität149 – durch passives Konsumieren und die eingenommene Zuschauerrolle.

HAHN geht von den positiven ‚natürlichen’ Eigenschaften des Kindes aus, zu denen

Abenteuer- und Forscherdrang und ein hohes kreatives Potential gehören150. Um die

obengenannten Mängel zu bekämpfen und die verborgenen Kräfte des Kindes zu erwecken,

setzte er vier Elemente seiner Erlebnistherapie entgegen151:

147 als ‚Urgroßväter und -mütter’ müssen genannt werden: – vgl. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.5ff

• SOKRATES (469-399 v.Chr.) und PLATON (427-347 v.Chr.), die erste Konzepte des handlungsorientiertes Erziehens entwickelten,

• Jean-Jaques ROUSSEAU (1712-1778), der die Einfachheit predigte und als Bewunderer der Natur galt,

• Johann Heinrich PESTALOZZI (1746-1827) mit seinem ganzheitlichen „Kopf, Hand und Herz“- Ansatz,

• sowie die amerikanischen Philosophen, Erzieher David Henry THOREAU (1817-1862), der in der Natur die große Erzieherin und Lehrmeisterin sah und das Erlebnis als Therapie nutze, und John DEWEY (1859-1952), der das handlungs- und erfahrungsorientierte Lernen und deren Reflexion in den USA prägte, sowie

• Minna SPECHT (1879-1961), die das entdeckende Lernen, das die Selbsttätigkeit der Jugendlichen voraussetzt, in ihre Erziehung konsequent einsetzte.

148 s. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.18 149 nach SCHWARZ, K. „Die Kurzschulen Kurt HAHNs“ 1968, S.40f in s. HECKMAIR, B./ MICHL, W.

1998, S.24 150 vgl. REINERS, A. 2000, S.1ff 151 vgl. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.25

Page 37: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

37

1. Das körperliche Training: durch sportliche Übungen (Leichtathletik, Ballsportarten) und Natursportarten wie Bergsteigen, Segeln, Skilaufen oder Kanufahren – je nach regionalen Möglichkeiten sollten die Kondition verbessert, aber auch die eigenen Grenzen ausgetestet werden.

2. Die Expedition: bei der Durchführung von mehrtägigen Fahrten in reizvollen und herausfordernden Landschaften ging es um eine intensive vorbereitende Planungsphase, den natursportlichen Aspekt, sowie um die alltäglichen Dinge des ‚Fahrtenlebens’, wie das Transportieren des Materials, das Versorgen durch eigene Essenszubereitung oder das Einrichten von einfachen Nachtquartieren.

3. Das Projekt: durch ein produkt- und prozessorientiertes Arbeiten soll der Teilnehmer in einer thematisch und zeitlich eingegrenzten Aktion handwerklich und künstlerisch gefordert werden. HAHN orientierte sich an der Projekt-Methode der Amerikaner John DEWEY (1859-1952) und seines Schülers und Kollegen William H. KILPATRICK (1871-1965).

J. DEWEY betont die Rationalität und Charakterbildung durch ein systematisches Lernen und konkretes Handeln, W.H. KILPATRICK favorisiert hingegen die Aktivität, das Spontane und die Befriedigung der Bedürfnisse152.

4. Der Dienst war für HAHN das entscheidendste Element seiner Erlebnistherapie. Im Gegensatz zu anderen reformpädagogischen Modellen, z.B. den Landerziehungsheimen, sollten die Hilfsdienste in der Zivilisation stattfinden. Je nach Standort wurden herausfordernde Dienste im Bereich der Ersten Hilfe, Seenot- und Bergrettung eingeübt.

Die Charakterförderung und Erziehung zum verantwortlichen Denken und Handeln auf der

Grundlage einer freiheitlich-demokratischen Gemeinschaft durch Auseinandersetzung mit

sich und der Umwelt ist HAHNs grundlegendes Erziehungsziel153. Er gründete neben dem

Landerziehungsheim Salem Schulen – ‚Outward Bound’ oder ‚Kurzschulen’ genannt –, in

denen er die Teilnehmer in mehrtägigen oder -wöchigen Kursen und Lehrgängen mit seiner

Erlebnistherapie konfrontierte. Er wollte ein möglichst intensives Erlebnis initiieren, „um

tiefe Einprägungen in das Bewusstsein der jungen Menschen zu erzielen, [...] die auch Jahre

später noch abrufbar sind“154 und so im Leben Anwendung finden.

Grundlage der Erlebnispädagogik ist das handlungsorientierte Lernen. Dabei sollte das

Wissen nicht instruiert werden, sondern konstruiert werden können. Man lernt effektiver,

wenn man sich dem Lernstoff ganzheitlich nähert. Dabei spielt die Umgebung, Situation und

der Kontext eine wichtige Rolle. Das Lernen sollte in einer Umgebung eingebettet sein, die

durch die Atmosphäre, ihrem Stil und ihrer Stimmung zum Lernen anregt. Da Lernen immer

interaktiv stattfindet, muss man Lernen auch unter sozialen Gesichtspunkten betrachten und

152 vgl. KNOLL, M. 1984, S.667 153 vgl. REINERS, A. 2000, S.2ff 154 s. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.26

Page 38: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

38

auf gruppendynamische Prozesse achten und eingehen. Einen Lernstoff merkt man sich am

ehesten, wenn man ihn sich selbsttätig erarbeitet155.

Das irrationale Moment des Erlebens, bzw. des Erlebnisses stellt man der rationalen,

verstandesmäßigen Lehrstoffaufnahme entgegen. Ein Erlebnis ist eine besondere Situation,

die einem unmittelbar anspricht und die innere und äußere Wahrnehmung steigert. Die

Intensität eines Erlebnisses ist von der inneren Bereitschaft und den Vorerfahrungen

abhängig. Jedes Einzelerlebnis ‚prägt’ den Menschen weiter. Da jedes Erleben ein subjektives

Empfinden ist, und Personen die selbe Situation unterschiedlich ‚erleben’, ist ein

gemeinsamer Vergleich eines Erlebnisses nahezu unmöglich.

Das schwierige Miteinander zwischen ‚Erlebnis’ und ‚Erziehung’156 – die

‚Unberechenbarkeit’ eines Erlebnisses – erschwert die erzieherische Nutzung, doch kann

mittels einer Reflexion eine Erfahrung entstehen, der man wiederum Erkenntnisse entnehmen

kann, die dann für die Erziehung genutzt werden. Es sollen Reize und Impulse initiiert

werden, die zum Überdenken des eigenen Verhaltens anregen, die dann ggf. zu einer

Verhaltensänderung führen. Durch die emotionale Beziehung und die daraus resultierende

innere Teilnahme und Begeisterung zum Lehrstoff soll ein effektiveres Lernen ermöglicht

werden.

Ein Erlebnis macht jedoch noch keine Erlebnispädagogik aus. Erst eine zielgerichtete

Reflexion entfaltet den pädagogischen Wert. Reflexionen, die an ein Erlebnis anschließen,

können recht vielfältig umgesetzt werden: „Reflexionen sollen einen festen Platz haben, sich

aber auch spontan ergeben können. Reflexionsimpulse sollten so konkret wie möglich sein.

Reflexionen gewinnen eine positive Energie, wenn sie nach vorne gerichtet sind. Reflexionen

sollten einen Impuls geben, der genug Freiheit zur Entwicklung in andere Richtungen

lässt.“157 Die Reflexionen haben zum einen die Funktion, die gemachte Erfahrung in den

situativen Kontext zu stellen und zum anderen „Vorausschau im Sinne einer Nutzung dieser

Erfahrungen für künftige Lebenssituationen“158 zu sein.

In der heutigen Erlebnispädagogik werden Transfer-Modelle genutzt, um das Erlebte

unterschiedlich intensiv zu reflektieren. Es reicht vom ‚The Mountain Speaks for

Themselves’-Modell, wobei die Primärerfahrungen in der Natur unreflektiert bleiben, dem

‚Outward Bound Plus’-Modell, das eine anschließende Reflexion vorsieht, bis hin zum

‚metaphorischen Modell’, bei dem man sich bei Metaphern und Bildern bedient, die während

155 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. 1999, S.10ff 156 vgl. OELKERS, J. in MEIER-GANTENBEIN, K.F. 2000, S.17ff 157 s. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.42ff 158 s. ebenda, S.41

Page 39: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

39

der Aktion aufgetaucht sind, und die auch eine Relevanz für das alltägliche Leben haben, um

so das erlebnispädagogische Erlebnis mit dem Alltag zu verknüpfen159.

In vielen Jugendverbänden wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zwar erlebnispädagogisch

gearbeitet, aber ohne es als solche zu benennen. „Im Wesentlichen stützten sich die nach 1945

gegründeten bzw. sich neu formierten Träger der Jugendarbeit auf ein Handlungsrepertoire,

das die Jugendbewegung und die daraus hervorgegangenen Bünde bis zu deren

Vereinnahmung durch das NS-Regime kennzeichnete.“160 Es waren primär die Fahrten und

Lager, die in der Tradition des Bündischen standen, die einen besonderen Stellenwert in der

Nachkriegs-Jugendarbeit hatten. „Wenn man in Chroniken der Jugendverbände nachliest, so

fällt generell auf, dass Sport treiben, Zeltlager veranstalten und auf Fahrt gehen zumindest

bis zur Mitte der 60er Jahre offenbar die Höhepunkte und Sinn stiftenden

Gemeinschaftsunternehmungen waren.“161 Die neuen Träger der Jugendarbeit hatten zwar die

Rolle der Bünde übernommen, die selber nur unbedeutend fußfassen konnten, „ohne deren

Prinzip der Selbstorganisation zu verfolgen.“162 Vielmehr standen erwachsenbestimmte

Verbandsinteressen dahinter.

Der Missbrauch der Elemente, die der Jugendbewegung, der Reformpädagogik und der

Erlebnistherapie gemein sind, durch den Nationalsozialismus für ihre parteipolitischen Ziele

wirkte lähmend. Seitens pädagogischer Institutionen wurden die erlebnispädagogischen

Ansätze nach dem Zweiten Weltkrieg ungenügend reflektiert. Aufgrund der zunehmenden

Veränderung der kindlichen Lebenswelt, die in Bezug auf primäre Erlebnisse negativ zu

beurteilen sind, wie z.B. der passive Medienkonsum, fehlende soziale Kontakte, das

Aufwachsen in der Großstadt mit seinen fehlenden Austob-Möglichkeiten, hat die

Erlebnispädagogik seit den 80er Jahren einen regelrechten ‚Boom’163 erlebt und ringt seitdem

verstärkt um ein pädagogisches Profil, um sich von den abenteuer- und actionreichen

Freizeitangeboten abzugrenzen, die ebenfalls mit den selben Schlagwörtern wie ‚Erlebnis,

‚Abenteuer’ und ‚Natur’ werben.

Der Erlebnispädagogik geht es primär um „Erziehung und Bildung, um Helfen und Heilen,

um Begleiten und Betreuen, um Therapie und Training“164, wobei sich die Arbeit im

Spannungsfeld ‚Erleben und Erziehen’ abspielt, und man sich als pädagogische

Suchbewegung versteht, die stets nach neuen effektiven Lernformen Ausschau hält.

159 vg. MEIER-GANTENBEIN, K. F. 2000, S.31ff 160 s. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.36 161 s. ebenda, S.35 162 s. ebenda, S.36 163 der Begriff ‚Erlebnispädagogik’ wird erst seit Beginn der 80er Jahre in der sozialpädagogischen

Theoriediskussion verwendet (vorher u.a. ‚Freizeitpädagogik’ und ‚Abenteuerpädagogik’) – vgl. HECKMAIR, B./ MICHL, W. 1998, S.39

164 s. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. 1999, S.12

Page 40: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

40

6.2. Erlebnispädagogik und Pfadfindertum

Zwischen der Erlebnispädagogik und der Methode des Pfadfindens und seiner

Erziehungsziele lassen sich diverse Parallelen und Gemeinsamkeiten aufzeigen.

Zum einen beinhaltet das Prinzip „Scouting is Doing“ ein handelndes Lernen, d.h. das Lernen

durch Erfahrungen. Die Erlebnispädagogik will ebenfalls Lernsituationen initiieren, in denen

das praktische, handelnde Lernen im Mittelpunkt steht. Die Verknüpfung aus Handlungs- und

Erfahrungsorientierung ist im Prinzip „Learning by Doing“ in der Erlebnispädagogik am

konsequentesten verwirklicht worden165. Der Großteil der Unternehmungen beide Ansätze

findet in der Natur statt.

HAHNs Erlebnistherapie und BADEN-POWELLs Erziehungsmodell basieren auf den selben

Ansätzen und Schwerpunkten. Beide sprechen urmenschliche Erfahrungsbereiche an „wie

Gefahr, Not und Abenteuer, sowie die Entfaltung entsprechender Lösungsmöglichkeiten wie

Gemeinsinn, Wachsamkeit, Tapferkeit und Nächstenliebe.“166

W. FÜRST167 benennt folgende Merkmale der Erlebnispädagogik, die ebenso die Merkmale

der pfadfinderischen Erlebniswelt beschreiben. Die daraus resultierenden Situationen werden

sowohl von der Erlebnispädagogik als auch von der Pfadfinderei als Erziehungsmodell

pädagogisch genutzt:

• die unfertige Situation

Nicht alles kann bei einer erlebnispädagogischen oder pfadfinderischen Aktion bis ins Detail geplant werden. So hat man z.B. bei Unternehmungen in der Natur keinen Einfluss auf das Wetter. Es muss aus der Situation heraus gehandelt werden, wobei gruppendynamisch kreative und flexible Lösungen zeitnah gefunden werden müssen. Man hat so die Möglichkeit, auf den Ablauf der Unternehmung Einfluss zu nehmen und sie mitzugestalten.

• die Ernsthaftigkeit/ Unausweichlichkeit

Man kann keiner Situation aus dem Weg gehen; man kann dieser nur mit den Mitteln und Möglichkeiten begegnen, die die Gruppen zusammentragen kann. Es sind keine künstlich erzeugten Situationen, die man per Knopfdruck beenden kann. Der Hunger, die Kälte, die Erschöpfung sind authentisch, aber ebenso die positiven Eindrücke.

• die Körperlichkeit

Bei erlebnispädagogischen oder pfadfinderischen Unternehmungen lernt jeder die Grenzen seiner physischen und psychischen Kondition kennen. Man

165 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.12 166 s. WORM, H.-L. 1995, S.61 167 vgl. Pfadfinderbund Weltenbummler e.V. (Hrsg.) 2001, S.85ff

Page 41: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

41

entdeckt innere Reserven, erkennt aber auch, wann der Akku leer ist. Durch die gewonnenen Erfahrungen der eigenen Stärken und Schwächen lernt man, sich bewusst mit seinen Grenzen auseinanderzusetzen.

• die Überschaubarkeit

Die bei den Aktionen gewonnenen Erfahrungen sollen auch in das alltägliche Leben transferiert werden können. Dafür ist es notwendig, dass der Rahmen der Situation überschaubar bleibt und die Unternehmung nicht losgelöst von den sonstigen Erfahrungen – oder gar der Vorstellbarkeit – der Teilnehmer stattfindet. Bei den Unternehmungen geht es darum, Möglichkeiten zu erlernen, wie man in bestimmten Situationen handelt und wie man Lösungsansätze findet. Die Herausforderungen sollen so gestaltet sein, dass Eigeninitiative und solidarisches Verhalten, sowie die Übernahme von Verantwortung gefördert wird und jeder abhängig von seinem Alter, seiner Erfahrung und seiner Fähigkeit zum Gesamtgelingen betragen kann.

• die Unmittelbarkeit des Erlebens

Jede eigene Handlung und die der Gruppe hat eine unmittelbare Auswirkung bzw. Konsequenz. Auf diese muss wiederum mit einer neuen Entscheidung reagiert werden. Diese endlose Kette ist ein Übungsfeld für soziale, methodische und fachliche Kompetenzen.

Im Pfadfindertum und in der Erlebnispädagogik geht es nicht um ‚Abenteuerlichkeiten’,

sondern um Erlebnisse aus denen persönliche Lerneffekte abgeleitet werden, die einem zur

Bewältigung des Alltags nützen sollen.

Die Arbeit nach der Pfadfindermethode und nach den pfadfinderischen

Erziehungsgrundsätzen ist letztlich die Umsetzung der Erlebnispädagogik. Der

Hauptunterschied besteht darin, dass bei erlebnispädagogischen Unternehmungen die direkte

und zielgerichtete Reflexion des Erlebten ein wichtiger Bestandteil ist. Bei Pfadfindergruppen

finden Reflexionen unregelmäßig und nicht zielgerichtet statt. Da es sich bei einer

erlebnispädagogischen Aktion zumeist um eine Kurzzeit-Unternehmung handelt, ist eine

unmittelbare Reflexion notwendig, um ein Erlebnis als eine Erfahrung zu festigen. Pfadfinder-

Aktionen finden zumeist in einer festen Gruppe statt, die über mehrere Jahre Bestand hat. Das

Erfahrungslernen zieht sich über einen längeren Zeitraum hin.

Angesichts der deutlichen Verwandtschaft der Pfadfinderarbeit zur Erlebnispädagogik ist es

ein wenig verwunderlich, dass BADEN-POWELL mit seinem internationalen

praxisbezogenen Erziehungsmodell, das immerhin seit fast hundert Jahren weltweit bei vielen

Millionen Menschen in der außerschulischen Erziehung erfolgreich angewendet wird, in der

reformpädagogischen Literatur keine Beachtung findet. Möglicherweise liegt es daran, dass

BADEN-POWELL das praxisbezogene Lernen der pädagogischen Theorie vorzog.

Page 42: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

42

7. Die bündischen Elemente

Die Verschmelzung der frühen deutschen Jugendbewegung und des internationalen

Pfadfindertums in der Weimarer Zeit zur sogenannten Phase der ‚Bündischen Jugend’ ergab

auch eine Verbindung der Arbeitsweisen, Formen und Rituale beider Richtungen.

Das Wort ‚bündisch’ ist schwer zu fassen. Es leitet sich aus der irrational-gefühlsmäßigen,

über der reinen Vernunftebene liegenden Gemeinschaftsform des ‚Bundes’ ab. Viele, die auch

heutzutage noch in Gruppen aufwachsen, die ihre Wurzeln in der Jugendbewegung, bzw. der

Bündischen Jugend haben, sehen rückblickend diese Jahre als „eine ‚unerhört intensive’, als

eine ‚erfüllte’ Zeit, [mit] Erfahrungen, die mich verändert haben, ohne dass ich im einzelnen

genau sagen könnte, was es war.“168 ‚Bündisch’ ist in diesem Zusammenhang eine

Bezeichnung für eine Lebens- und Geisteshaltung169, die sich aus einer bestimmten

Sozialisation nährt.

Im Vorwort der ‚Dokumentation 1993-95’ der Bündischen Akademie Lüdersburg werden

folgende Merkmale des ‚Bündischen’ aufgeführt170.

‚Bündisch’ ist...

...zusammen zu sein, gemeinsam zu handeln

...keine Clique ohne Ziel und Stil zu sein

...keine Einrichtung zu sein, die von Erwachsenenseite Jugendarbeit und -pflege anbietet, autonom zu sein

...herausfinden, wie man selbstbestimmt und nicht fremdbestimmt leben kann

...gemeinsam statt einsam zu sein

...sich aufeinander verlassen zu können

...sich selber auf den Weg zu machen, sich nicht treiben zu lassen, sondern selber die Initiative zu übernehmen

...die Welt zu entdecken, fremde Länder und Lebensweisen kennenzulernen fernab der oberflächlichen Touristen-Neugier

...neugierig zu bleiben

...fremde Lieder singen und Geschichten erzählen zu können, eigene Lieder zu komponieren

...bewusste Einfachheit der Lebensführung zu wählen, selber zu kochen

...in der Kohte zu schlafen statt ‚Camping’ zu machen, selbstgeplante Fahrten zu unternehmen

...souverän zu werden gegenüber den Anpassungs- und Konsumzwängen

168 s. Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) 1995, S.3 169 vgl. RAABE, F. 1961, S.57ff 170 vgl. Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) 1995, S.3ff

Page 43: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

43

Filtert man die bindenden Elemente heraus, und nimmt man die bereits erwähnten

Arbeitsmethoden/ -weisen und Ausdrucksformen der Wandervögel und Pfadfinder hinzu,

dann ergibt sich ein umfassender Kanon an Stilen und Formen, die der Bündische für seine

Arbeit nutzt, bzw. die das Erleben in einer bündischen Gruppe erzeugen. Diese Stile und

Formen, die sich aus jugendbewegter und pfadfinderischer Herkunft herleiten und

zusammenfügen lassen, sind für mich die sogenannten ‚bündischen Elemente’, und das Wort

‚bündisch’ ist für mich in erster Linie ein Synonym für die Synthese dieser Elemente.

Dazu gehören:

Stile und Formen des ‚Bündischen’ – die ‚bündischen’ Elemente

(Reihenfolge ohne Gewichtung, zwei Unterpunkte wurden jedoch hervorgehoben, da das Kapitel 8 sich mit diesen beschäftigt!):

Eher aus dem Wandervogel kommend:

• Jugendromantik

• Jugend führt Jugend

• bewusster Verzicht auf Komfort und Bequemlichkeiten

• Freiheit (von Zwängen)

• ‚Leben statt Lektionen’

• das Recht junger Menschen auf das selbstgewählte Leben

• ungebunden, autonom

• ein eigenes ‚Nest’ haben

• unabhängig von gesellschaftlichen Mode-erscheinungen

• auf sich selbst gestellt

• Erziehung durch Selbsterziehung

• Fahne als Symbol der Gemeinschaft

• kreative musisch-ästhetische Gestaltung des Gemeinschafts-lebens (Singen, Theater...)

• (Wander-) Fahrt

• Selbstorganisation

• Selbstbestimmung

• Eigeninitiative

Eher aus dem Pfadfindertum kommend:

• Kluft

• Learning by Doing

• Gesetz und Versprechen

• internationale Begegnungen

• (Zelt-) Lager

Page 44: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

44

Beiden Richtungen zuordnend:

• Gemeinschaft • Naturerleben • die kleine Gruppe

• Freundschaft

• Kohte/ Jurte

• Abenteuer

• Fernweh

• Sehnsucht nach dem Feuer

• einfache Lebensweise bei Selbstverpflegung und geringen Kosten

• Drang nach eigenen Erfahrungen

• Kameradschaft

• Neugier

• Lebenslust

Ein Element für sich macht noch keine bündische Arbeit aus, erst die Kombination möglichst

vieler Elemente – wobei sich viele wechselseitig bedingen – erzeugt die intensive und

anregende Erlebniswelt des ‚Bündischen’, die den Teilnehmenden ganzheitlich beansprucht

und nachhaltig auf ihn wirkt, und man sie so zur Ausbildung von sozialen, emotionalen und

motorischen Kompetenzen pädagogisch zielgerichtet einsetzen kann. Besonders die Fahrt und

das Lager eignen sich sehr gut, um diese Kompetenzen auszubilden und zu fördern.

Page 45: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

45

8. Der pädagogische Wert der beiden ‚bündischen’ Haupt-Aktionen – das Lager und die Fahrt

Kristallisationspunkte der ‚bündischen’ Arbeit, bzw. die Arbeit nach den ‚bündischen’

Elementen sind die in der freien Natur stattfindenden (Zelt-) Lager und (Wander-) Fahrten.

Das Lager zeichnet aus, dass es an einem Standort stattfindet, von dem aus die Aktionen und

Programme gestartet werden, während man auf der Fahrt ständig unterwegs ist und nur selten

zwei Tage am selben Ort verbleibt. Während der Jugendbewegte die mehrwöchige Großfahrt

bevorzugt, veranstaltet der Scoutist eher ein Lager.

Beide Aktionsformen haben ihren pädagogischen Wert und beide haben eine unterschiedliche

Bedeutung für und Wirkung auf die Teilnehmer. „Wer sich an einen anderen Ort begibt,

verlässt seine gewohnte Lebenswelt und damit auch seine übliche Lebensform.“171 – Der

Teilnehmer muss sich auf etwas Anderes einstellen, Veränderungen bewältigen und eine

innere Beziehung zum neuen Ort aufbauen. Fahrten und Lager eröffnen neue Lebensräume,

die den ganzen Menschen fordern.

Eine wichtige Rolle für jede Aktion im ‚bündischen’ Sinne spielt die Gruppe, sowie das

Verhältnis zwischen dem Führer und der Gruppe. (siehe Punkt 8.3. und 8.4.)

8.1. Das Lager

‚Lager’ bedeutet172, sich für einen bestimmten Zeitraum, Tag und Nacht im Freien

aufzuhalten und in selbstgebauten Hütten oder Zelten zu leben. Man nimmt bewusst

fehlenden Komfort der modernen, technisierten Welt und Beschwerlichkeiten in Kauf. Man

setzt sich der Witterung aus, ist verstärkt auf seine Sinne angewiesen und lernt ein alternatives

Leben kennen. Man gestaltet sich kreativ eine eigene Welt, lebt in einer Gemeinschaft, in der

jeder die Möglichkeit hat, das Lagerleben aktiv mitzugestalten. Man bestreitet die Zeit nach

eigenen Vorstellungen, jedoch im Konsens aller Teilnehmer, und man hat den Freiraum, sich

für eine Weile seine eigene Welt zu schaffen. Ein Lager fördert die Selbständigkeit und

Selbstbestimmung und ist im Großen und Ganzen ein Abenteuer.

Im Gegensatz zur Fahrt existiert auf einem Lager ein gewisses Maß an Infrastruktur. Feuer-

und Bauholz, Waschmöglichkeiten etc. wurden bei der Auswahl des Lagerplatzes

berücksichtigt.

171 s. ISENBERG, W. 1993, S.124 172 vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.5ff + vgl. STRUNK, P. 1995, S.19ff

Page 46: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

46

Das erste Pfadfinder-Zeltlager führte BADEN-POWELL 1907 auf Brownsea-Island durch,

wo er knapp zwei Dutzend Jungen aus verschiedenen sozialen Schichten zusammenführte.

Aus dem Erfolg dieses Lagers zog er endgültig die Motivation, eine Pfadfinderorganisation

aufzubauen. Das (Feld-) Lager der Kaiser- und auch der Weimarer Zeit beinhaltete noch viele

paramilitärische Formen, und die Körperertüchtigung und das Handwerkliche standen im

Vordergrund, doch spätestens in der bündischen Zeit spielte der soziale Effekt eine

bedeutende Rolle: „Das Lager ist uns heute nicht mehr bloß ein gutes Erziehungsmittel für

die Jüngsten, noch weniger soll es deine Möglichkeit des schrankenlosen Austobens und zum

Wildwestspielen sein. Die kleinen Lager der Gruppen geben uns Gelegenheit, ganz in tiefster

Gemeinschaft zu leben. [...] Was bedeutet uns denn eigentlich das Lager? Es ist das

Sichtbarwerden des Bundes, Leben in all seinen Formen.“173 SEIDELMANN schreibt, dass

„[...] ein besonderer Wert der Lagerlebensweise in der Dauer der Lückenlosigkeit ihrer

Eindrücke“174 liegt. Erst im Lager kann sich das Gemeinschaftsleben ungestört in stetiger

Linie entfalten; es wird zum Erziehungsraum.

Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Lager in den Bünden „Zeichen der

neugewonnen Freiheit, zu Schaufenstern des eigenen Wollens und zur Selbstdarstellung der

eigenen Autonomie“175. Ihr Erlebnisgehalt wirkt prägend auf jeden Teilnehmer.

Im Grunde ist es unmöglich, von ‚dem’ Lager zu sprechen, da sie sich im Aufbau, in den

äußeren Parametern, im Inhaltlichen und im Programmablauf stark unterscheiden können.

Dennoch gibt es einige Elemente, die allen Lagern gemein sind.

Aufgrund des Verzichts auf Bequemlichkeiten wird der kreative, erfinderische Geist angeregt.

Es wird das ganzheitliche Herausbilden handwerklicher, künstlerischer und musischer

Fähigkeiten und Fertigkeiten eingeübt und gefestigt. Um ein Lager durchzuführen, sind

Grundkenntnisse in Zeltbau, Knotenkunde, Feuer, Kochen, Erste Hilfe etc. notwendig176, die

man in der Regel in den regelmäßigen Gruppenstunden lernt, die jedoch auch auf dem Lager

einstudiert werden können. Es werden Gilden (AGs, Workshops) angeboten, bei denen man

bastelt, zeichnet, modelliert oder singt und musiziert. Man gewinnt Erfahrungen aus erster

Hand, durch eigenes Tun und Erleben. Die natürliche Umgebung spricht alle Sinne an.

173 Zitat aus „Auf neuem Pfad“ Nr.5/1926, Zeitschrift der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands im

VCP (Hrsg.) 1998, S.9 174 s. SEIDELMANN, K. 1966, S.104 175 s. VCP (Hrsg.) 1998, S.9 176 Lagerpraxis: vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.33ff

Page 47: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

47

Einen großen Anteil am Lagerprogramm177 nimmt klassisch der Spiel- und Sportbereich ein.

Geländespiele und Einzel- und Gruppenwettkämpfe fördern die körperliche Ertüchtigung und

leisten einen Beitrag zur gesundheitlichen Erziehung.

Man gründet für einen gewissen Zeitraum eine ‚Lebensgemeinschaft’178 und meistert den

‚Lager-Alltag’, indem man zusammen isst, trinkt, spielt, diskutiert, feiert, organisiert, arbeitet,

Probleme löst usw. Das Lager lebt vom Zusammengehörigkeitsgefühl der Teilnehmer und der

Bereitschaft, sich einzubringen, mitzuhelfen und Verantwortung füreinander zu übernehmen.

Die Teilnehmer stehen in einer engen Beziehung zueinander, und Verhaltensdefizite können

durch ‚Vorleben’ kompensiert werden. Zuschauen, Nachahmen, Ausprobieren und

Identifizieren wirkt erzieherisch.

8.2. Die Fahrt

Die ‚Fahrt’ ist eine selbstgeplante Unternehmung, die die Gruppe in möglichst unbekannte

Regionen und Länder führt. Sie kann von einem Wochenende bis zu mehreren Wochen

dauern. Genutzt wird, was man selber dabei hat. Es wird in Zelten sogenannten Kohten, unter

freien Himmel oder in einfachsten Quartieren, z.B. in Scheunen o.ä. übernachtet. Die Gruppe

verpflegt sich selber und kocht – soweit möglich – über offenem Feuer. Die Fahrtengruppe

sollte acht Teilnehmer nicht überschreiten, da ein intensives Miteinander für das Gelingen der

Fahrt unabdingbar ist.

Die Fahrt ist ein bewusster Schritt zurück zur Natur, man will den zivilisatorischen Zwängen

und Annehmlichkeiten entsagen, die Freiheit spüren, wenn man auf seinen eigenen Füßen

steht – mit jeglicher Konsequenz! Es geht dabei „um Bewegung und Erfahren, Veränderung

und Kommunikation, Weggehen und Ankommen, Forschen und Erschrecken, Überraschung

und Erholung…“179 Man bewegt sich möglichst wandernd fort, ggf. auch mit dem Fahrrad

oder dem Kanu. „Der Wanderer wandert nicht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern

er wandert um des Wanderns willen. Das Wandern ist Selbstzweck. Das heißt nicht, dass er

sich nicht auch ein Ziel setzt, [...] aber diese Ziele dienen nur dazu, seiner Wanderung einen

Inhalt zu geben.“180 Hier steht nicht nur das Ziel im Mittelpunkt, sondern auch der Weg

dorthin.

177 Lagerprogramm: vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.67ff + s. Hessische Kindergruppenteamer (Hrsg.) 1981 + vgl.

STRUNK, P. 1995, S.22ff 178 vgl. HARM, Wolfgang “Zeltlager als Lebensgemeinschaft”, S. 62 in FISCHER, D./ KLAWE, W./

THIESEN, H.-J. (Hrsg.) 1985, S.60-63 179 s. GRIESE, C./ LOST, C. 2004, S.325 180 s. BOLLNOW, O.F. 1997 in SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.49

Page 48: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

48

Die Fahrt ist nicht unbedingt im Sinne einer Fortbewegungsmethode zu sehen, sondern eher

sinnbildlich als ‚Neues erfahren’. ‚Fahren’ kann man auch mit ‚Erfahrung’ im Sinne von

‚Bildung’ und ‚Erziehung’ in Verbindung bringen. Die alte Volksweisheit „Reisen bildet“

könnte man für den Jugendbewegten in „Wandern erzieht“ übersetzen. – Es geht dabei darum,

im Kreise der Vertrauten Ungewohntes und Neues zu erleben, die Gruppe und sich zu fordern

– sowohl körperlich und geistig als auch emotional und sozial. Die soziale Interaktion ist

besonders intensiv, da man sich ihr nicht entziehen kann.

Auf Fahrt entkommt man dem Alltagstrott und entschleunigt diesen. Die aufgenommenen

Eindrücke und deren Verarbeitung stehen weitestgehend im Gleichgewicht.

Das Wandern ist eine erlebnispädagogische Methode und ist sinnbildlich als ‚Lernen als Weg’

zu deuten. Auch wenn sich im vergangenen Jahrzehnt ein „Wander“-Sektor als eigener Markt

etabliert hat, gehören Jugendliche nicht unbedingt zur Zielgruppe. Wandern gilt hier eher als

unmodern. Angesichts der vielen technischen Fortbewegungsmittel, die schneller, weniger

anstrengend und komfortabler sind, ist es nicht verwunderlich, dass „unsere Kinder heute

körperlich wenig leisten können und wollen.“181 Trotz des alten Kommentars von 1976 wird

sich die Lage nicht verbessert haben, da sich der Anreiz, sich in der immer technisierteren

Welt zu bewegen, nicht erhöht hat.

Das Wandern beinhaltet Ziele wie182:

• körperliche und sportliche Herausforderung, Anstrengungen aushalten, Ausdauer einüben, gewandt und mutig sein

• soziale Werte vermitteln wie Verantwortung, Rücksicht, Kameradschaft, Zusammenwachsen in einer kleinen Gruppe

• gesunde Selbstwertgefühle fördern wie Leistungserlebnis, Angstüberwindung

• den Menschen aus der künstlichen Welt hinaus in Beziehung mit der Natur bringen

• Naturerlebnisse wie Schönheit und Werte, Gefahr und Gewitter, Nebelmeere und Abende

• einen leisen Übergang zur Transzendenz über die Faszination der Schöpfung finden.

Fahrten sind keine touristischen Ausflüge „sondern Bildungsreisen im Sinne einer

Erweiterung des Horizontes.“183 Außerdem geht es bei Fahrten „nicht um Entertainment,

sondern um Selbständigkeit, Eigenaktivität und -verantwortlichkeit beim Umgang mit der

Umgebungswirklichkeit, ihrer Aneignung und Vermittlung.“184

181 vgl. ISLAR, K.G. 1976, S.10 182 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.69 183 vgl. HURRELMANN, J. 1998, S.23 184 s. ISENBERG, W. 1993, S.125

Page 49: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

49

8.3. Die Gruppe

Voraussetzung für gelingende und gehaltvolle Fahrten und Lager ist die ‚bündische’ Gruppe

als freiwilliger Zusammenschluss von Jugendlichen und jungen Menschen aufgrund einer

emotionellen Übereinstimmung und geistiger Verwandtschaft.

Wie im Wandervogel führen junge und ältere Schüler auf ihren Fahrten einen anspruchslosen

Lebensstil, d.h. sie leben enthaltsam, kommen mit dem aus, was sie mit sich führen und

entsagen bewusst dem Konsum. Schon frühe Wandervogelführer erkannten, dass Fahrten und

die Gruppe Gleichaltriger „verhaltensnormierend“185 wirkt.

Die kleine (Fahrten-) Gruppe ist das entscheidene Konstrukt. In ihr laufen fortwährend

vielfältige Prozesse ab, in die jeder Teilnehmer direkt oder indirekt involviert ist. A.

REICHWEIN schrieb einmal: „Ob man sang, spielte, tanzte, turnte, wanderte – immer tat

man im Grunde dasselbe, eben: gemeinsam.“186

Dem Bedürfnis nach ‚Bestätigung und Liebe’, sowie ‚Sicherheit und Gewissheit’ folgend,

geht eine besondere Dynamik und Bewegung von einer Gruppe aus, die von I. KLEIN und K.

RITTER stichpunktartig skizziert wird187:

Die Gruppe...

...kann Selbstvertrauen stärken und bei seiner Entfaltung helfen.

...kann aber auch Entfaltung blockieren und das Selbstbild und -vertrauen zerstören und zur Übernahme von fremden Meinungen und Einstellungen führen. Der Gruppenführer weiß um diese Prozesse und kann sie ggf. steuern.

...beeinflusst das Verhalten des Einzelnen.

...neigt zur Konformität.

...beeinflusst die Selbsteinschätzung.

Die Gruppe ist eine Erziehungsgemeinschaft, die durch ständige Interaktion alle miteinander

verknüpft. „Es ist die Erziehung in der Gemeinschaft, durch die Gemeinschaft zur

Gemeinschaft.“188 Die Gruppe ist kein Kollektiv, sondern eine Gemeinschaft von Individuen.

Die gemeinschaftsbildene Funktion der Gruppe und der intensive Kontakt zu Gleichaltrigen

spielt bei der Selbstfindung und -verwirklichung, sowie für das soziale Lernen eine

185 vgl. MÜLLER, C.W. 1973, S.16 186 s. HURRELMANN, J. 1998, S.24 187 s. KLEIN, I./ RITTER, K. 2001, S.36ff 188 ISLAR, K.G. 1976, S.23

Page 50: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

50

entscheidene Rolle. Soziales Lernen erfolgt u.a. durch Imitation, somit hat jedes

Gruppenmitglied eine Vorbildrolle inne – besonders der Führer („Look at the boy“189).

Dem Führer einer solchen Gruppe obliegt die Aufgabe, Situationen zu initiieren, an denen die

Kinder und Jugendlichen erleben können, was Geborgenheit in einer Gemeinschaft ist und in

der jeder seine Persönlichkeit entwickeln und ausbilden kann. Gerade dieses intensive

Gemeinschaftsleben macht den Unterschied zwischen einer bündischen Gruppe und einer der

offenen Jugendarbeit aus. Die Mitglieder müssen selbst durch eigene Aktivität, ihr

Engagement und ihre Verbindlichkeit aus der beliebigen Ansammlung von Kindern eine

Gruppe bilden, wobei das Gruppenergebnis zumeist das beste Individualergebnis übertrifft.

Man ist selbst Teil eines Erlebnisses, des Gemeinschaftserlebnisses.

Mehr noch als auf einem Lager sind auf einer Fahrt ein guter Zusammenhalt und Vertrauen

existenziell notwendig. Die Fahrt ist in der Regel anspruchsvoller und gefährlicher, und man

muss sich aufeinander verlassen können. Ein kameradschaftliches Miteinander ist das

Minimum der Beziehungsbasis.

Eine ‚Kameradschaft’ zeichnet eine besondere Verbundenheit aus, die nicht zwingend auf

einer Freundschaft beruhen muss, sondern auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet ist, bei

dessen Erreichen man sich gegenseitig beisteht, und das auf gemeinsamen Erfahrungen und

Erlebnissen basiert. Desweiteren werden die eigenen Gefühle und Empfindungen in der

Gemeinschaft geteilt und gelebt. In den meisten Fallen ist das ‚Du’ in solchen Verhältnissen

selbstverständlich. Aus der zielgerichteten, geistigen und emotionellen Verbundenheit und

dem gemeinsamen Erlebnispool werden zumeist intensive lebenslange Freundschaften.

Auf einer Fahrt wird jeder gebraucht, und jeder ist ein wichtiger Bestandteil der Gruppe. In

einer ‚bündischen’ Gruppe gibt es im Grunde nur eine mitverantwortende Zugehörigkeit. Das

Gefühl des Gebrauchtwerdens bedingt eine positive Rückkopplung und die Bereitschaft zur

Übernahme von Verantwortung, die jeder Fahrtenteilnehmer für sich und die Gruppe trägt.

Das enge ‚Zusammenhocken’ fordert von jedem Rücksicht ein. Man muss sein Interesse

hinter das Wohl der Gruppe stellen. Konflikte dürfen nicht verschleppt werden und müssen

zeitnah geklärt werden. Wie auf einem Lager findet auch auf einer Fahrt umfangreiches

‚soziales Lernen’ statt, doch in einem sehr viel intensiveren und direkteren Rahmen. Der Lohn

ist zumeist das Zusammenwachsen zu „einer kleinen verlorenen Schar“190.

189 vgl. CECONI, C./ FABIAN, B./ HAHN, T. 2003, S.34 190 Zeile aus dem Lied „Wir sind eine kleine verlorene Schar“ vom Nerother Wandervogel Alf Zschiesche in

den frühen 30ern geschrieben. Die erste Strophe lautet: „Wir sind eine kleine verlorene Schar, wir stehen für uns auf der Welt. Und jeder Kerl, der mit uns war, hat für immer sich zu uns gesellt.“

Page 51: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

51

Freiwilligkeit ist nicht nur bei der Gruppenbildung oberstes Gebot, sondern auch beim

Ausscheiden aus dieser.

8.4. Gruppenführung

Um in die intensive Erlebniswelt des ‚Bündischen’ eintauchen zu können, bedarf es eines

engen persönlichen Miteinanders zwischen allen Beteiligten innerhalb der Gruppe. Man findet

ein aristokratisches Führertum vor, wobei auf Qualität vor Quantität gesetzt wird. Es ist ein

elitärer Ansatz, bei dem sich z. T. die Gruppe, bzw. der Führer dieser Gruppe, ihre weiteren

Mitglieder selber aussucht. Es herrscht in den bündischen Gruppen ein partnerschaftlich-

kameradschaftlicher Führungsstil vor. Dieses ‚Führer-Gefolgschafts’-Verhältnis hat mit dem

nationalsozialistischen, autoritären Führertum wenig gemein, das auf Masse,

zwangsverpflichtende Teilnahme und abkommandiertem Führen basierte.

Das Wort ‚Führer’, bzw. ‚Führung’ bedarf aufgrund der Assoziation mit dem

nationalsozialistischen Sprachgebrauch einer näheren Definition. – ‚Führung’ im

‚bündischen’ Sinne ist eng verwandt mit den Begriffen ‚Wegleitung’, ‚Begleitung’ und

‚Weisung’. Alle Gruppenmitglieder sind auf ein Ziel ausgerichtet, wobei der ‚Führer’ die

kundigere und erfahrenere Person ist, die den Unerfahrenen den Weg zum Ziel zeigt und ihn

dorthin helfend und begleitend hinführt. Entscheidend für ein verantwortungsbewusstes

Führen ist das richtige Ziel, denn hier liegt die Gefahr des Führens, bzw. des

‚Verführtwerdens’. Das Ziel der Führung sollten „die Ideale der Freiheit und der

Eigenständigkeit, der Menschlichkeit und der Toleranz, der Selbstachtung und der

Nächstenliebe“191 sein, der Geführte muss die Möglichkeit haben, seine Eigenart zu

entwickeln und sich selber zu entfalten. Der Führer muss diesen Prozess fördern. Mit

zunehmendem Alter der Geführten und deren Wissenszuwachs nimmt der

‚Erfahrungsvorsprung’ des Führers ab und damit die Notwendigkeit des Führens.

In einer bündischen Gruppen folgen die Mitglieder dem (Horten-, Sippen-, Gruppen-) Führer

freiwillig, der wiederum stets bemüht sein muss, nur das Beste für seine Gruppe zu wollen.

Denn ‚führte’ er nicht im Sinne seiner Gruppe, würde sich diese von ihm abwenden, und das

‚bündische’ Führungs-Modell hatte keine Berechtigung mehr, weil der Führer keine

Gefolgschaft mehr hätte.

Jede ‚bündische’ Gruppe ist eine Erziehungsgemeinschaft und „wirkliche Erziehung

geschieht nur auf einer Grundlage einer wirklichen Beziehung zum jungen Menschen.“192 Die

innere Autorität des Führers (‚Charisma’), die auf ein freundschaftliches Verbundensein

191 s. ROTHE, F. K. 2002, S.64 192 s. Pfadfinderbund Weltenbummler e.V. (Hrsg.) 2001, S.97

Page 52: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

52

aufbaut, und das Verlangen der Jugend nach einem Vorbild für die eigene Lebensführung,

sind Grundsteine dieses Verhältnisses193.

Das partnerschaftlich-kameradschaftliche Miteinander beruht auf einer weiteren Größe, die

ebenso wie das ‚Erlebnis’ pädagogisch schwer zu fassen und rational zu erklären ist und somit

nicht planmäßig erzeugt bzw. initiiert werden kann: ‚Sympathie’. ‚Zusammen fühlen’ oder

‚zusammen leiden’ bedeutet das aus dem griechischen kommenden Wort und ist „Ausdruck

einer spontanen Nähe, ein Gefühl von Wohlsein, eine Empfindung von Harmonie, ein Wunsch

nach Zusammengehörigkeit.“194

‚Sympathie’ beruht nicht zwingend auf Gegenseitigkeit, bzw. ist nicht unbedingt von Dauer;

es bedarf des persönlichen Einsatzes durch Vertrauen, Wahrhaftigkeit und dem offenen

Umgang miteinander, um eine mögliche ‚Sympathie’ zu pflegen.

Die Erziehung wird wesentlich von der Sympathie und Antipathie beeinflusst. Da sich die

‚bündische’ Gruppe als Erziehungsgemeinschaft sieht, ist die gegenseitige ‚Sympathie’ eine

Grundlage der Erziehung. Ebenso spielt sie im Bezug auf das Lernen eine wichtige Rolle,

denn in einem „Klima der Sympathie entfaltet sich eine pädagogische Atmosphäre, die das

Lernen leicht macht, weil sie die Motivation […] belebt und unterstützt.“195

Aufgrund der Tatsache, dass man ‚Sympathie’ nicht willentlich erzeugen kann, gilt es aus

pädagogischer Verantwortung heraus, sich um die Mitglieder zu kümmern, denen man

emotionell noch nicht so zugetan ist. Herrscht eine freundschaftliche, offene und

sympathische Grundatmosphäre, so kommt sie grundsätzlich jedem zugute. Goethe schrieb:

„Man muss nur ein Wesen von Grund aus lieben, da kommen einem die übrigen alle

liebenswürdig vor.“196 Gegenseitige Achtung und Respekt bringen alle Gruppenmitglieder

näher, gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen führen zur Bündigung bei.

Das Führungsverhältnis in ‚bündischen’ Gruppen basiert letztlich auf der freiwilligen

Gefolgschaft und der persönlichen Zuneigung (‚Sympathie’).

193 vgl. GERR, H. E. 1998, S.66f 194 s. ROTHE, F. K. 2002, S.8 195 s. ebenda, S.20 196 vgl. ebenda, S.23

Page 53: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

53

8.5. Gemeinsamer pädagogischer Wert

8.5.1 Soziale Kompetenzen

Das Leben und Lernen auf Fahrten und Lager findet immer im sozialen Kontext statt. Es

lassen sich dabei diverse pädagogische Ziele verfolgen, die besonders auf das soziale Lernen/

Sozialerziehung abzielen und die Charakterbildung und -festigung anstreben. Sie wirken den

Defiziten in der Real-, Selbst- und Fremdwahrnehmung, sowie in der

Verständigungsbeziehung, der Toleranz und der Kooperationsfähigkeit der heutigen

Jugendlichen entgegen197. In einer sich in den letzten Jahrzehnten veränderten Lebenswelt für

die Kinder und Jugendlichen, in der teilweise verbindliche kollektive Wertmaßstäbe fehlen,

müssen die unterschiedlichen Erfahrungen, Vorstellungen und Einstellungen angeglichen und

ein gemeinsamer Wertekanon aufgebaut werden.

Das Ziel der sozialen Erziehung ist die Ausbildung und Steigerung von Sozial- und

Selbstkompetenzen und richtet sich gegen das eigennützige Streben nach materiellen Gütern

und der ungebundenen Selbstverwirklichung, bei der soziale Werte wie Verantwortung,

Solidarität, Kompromissfähigkeit o.ä. nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Bei den

geförderten Kompetenzen handelt es sich um sogenannte ‚Schlüsselqualifikationen’. Die

folgende Sammlung solcher Kompetenzen ist auf das Lager bezogen, hat aber auch auf Fahrt

die selben Effekte.

Die Reihenfolge der Aufzählung ist beliebig, da sich die Komponenten in der Regel

gegenseitig bedingen oder ergänzen198:

Identitätsfindung: Wo liegen meine Bedürfnisse und meine Interesse? Wo meine Stärken und

Schwächen? Die ständige Interaktion mit den übrigen Lager-Teilnehmern bedingt eine

selbstkritische Betrachtung der eigenen Person. Maßstäbe, die sonst gelten, sind auf einem

Lager zumeist hinfällig, da zusätzliche Qualifikationen und Fähigkeiten gefragt sind. Eine

umfassende Selbstfindung in unterschiedlichen Bereichen beginnt. Die eigene Reflexion

fließt in die Gruppenprozesse mit ein, da jedes Individuum Teil eines größeren Kollektivs

ist, und die Gruppe als soziale Umwelt letztlich „Mittel zur Selbstverwirklichung des

Individuums [ist]... und ebenso von jedem Gruppenmitglied geprägt [wird].“199 Da die

Gruppenmitglieder während des Lagers in der Regel dieselben bleiben und man sie

zunehmend besser kennen lernt, dienen sie als Orientierungspunkte für die neuen

Maßstäbe. Jeder wird merken, dass er sich von den anderen durch besondere Fähig- und

197 vgl. ISENBERG, W. 1993, S.123 198 vgl. GERR, H.E. 1998, S.23ff & S.50ff + KICINSKI, A. 1981, S.73ff + KRÜGER, J. 1976, S.9ff + VCP

(Hrsg.) 1988, S.81ff 199 s. KICINSKI, A. 1981, S.75

Page 54: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

54

Fertigkeiten unterscheidet, die er zum Wohl der Gruppe einbringen kann. Eine Steigerung

des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls geht damit einher. – Die Gefahr, in eine

unliebsame Rolle gedrängt zu werden, besteht jedoch ebenso. Es gilt, ein

abwechslungsreiches Programm zu gestalten, das die Teilnehmer ganzheitlich fordert und

die Komplexität eines jeden Einzelnen sichtbar macht. Gegebenfalls muss der Führer der

Gruppe eingreifen, indem er die gruppendynamischen Prozesse direkter lenkt oder

Missstände thematisiert und mit der Gruppe gemeinsam reflektiert.

Selbständigkeit: Auf einem Lager müssen von allen Teilnehmern Aufgaben – wie Ordnung

halten, Essen zubereiten, abwaschen – übernommen werden, die ihnen sonst im Alltag

abgenommen werden. Diese wahrzunehmen und zu erledigen, indem vorab die praktischen

Fertigkeiten eingeübt werden, wirkt nachhaltig. Das selbständige, eigenverantwortliche

Wahrnehmen und Umsetzen von Arbeiten führt erst zum Gelingen eines Lagers. Die

empfundene Unabhängigkeit, es selber zu leisten, ist zumeist ein großer Anreiz.

Verantwortungsbewusstsein: Auf einem Lager ist jeder Teilnehmer für das gesamte Gelingen

verantwortlich. Jeder sollte in die Planung, Organisation und Gestaltung mit einbezogen

sein, damit er sich verstärkt für die gemeinsame Zeit zuständig fühlt. Durch die Einsicht in

die Notwendigkeit vieler Arbeiten und durch das von der Gruppe ausgesprochene

Vertrauen, selbstbestimmt und selbstverantwortlich nach Lösungen suchen zu können,

wird das Verantwortungsbewusstsein für sich, seine Mitwelt und die Dinge, die jedem

anvertraut sind, gefördert. Die positive Rückkopplung, etwas ‚Gutes’ zu tun, verstärkt eine

Identifikation mit der Aufgabe und die Bereitschaft, sich dafür verantwortlich zu fühlen.

Sensibilität: Die „Fähigkeit zur Wahrnehmung und Bewusstmachung von Bedürfnissen,

emotionalen Regungen und Ausdrucksweisen“200 von sich selber und den anderen

Teilnehmern ist die Voraussetzung für sämtliche Sozialkompetenzen – jedoch in

unterschiedlichem Maße. Die ständige Rückkopplung, bzw. durch die Reflexion der

anderen lernt man, auf die Gefühle und Bedürfnisse der anderen Rücksicht zu nehmen und

fördert somit die Sensibilität dafür.

Hilfsbereitschaft: Die Sensibilität zu erkennen, wann eine Person Hilfe benötigt, und das

Gefühl, dafür verantwortlich zu sein, sind Voraussetzung für diesen ‚Dienst am Nächsten’.

Viele Arbeiten auf einem Lager können nur zusammen ausgeführt werden, so werden

zwangsläufig unzählige Situationen erzeugt, die an die Hilfsbereitschaft appellieren. Dazu

gehört auch die selbstlose Übernahme von Aufgaben, die einem persönlich primär keinen

Vorteil verschaffen, aber der Gruppe dienlich sind.

200 s. KICINSKI, A. 1981, S.80

Page 55: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

55

Kritikfähigkeit: Maßvolle positive und negative Kritik zu erhalten und zu geben, sowie

selbstkritisch zu sein, ist abhängig von selbstgemachten Erfahrungen in Interaktion mit den

anderen Teilnehmern, sprich: Um das Wissen des Machbaren. Sich Vorurteile zu bewahren

und die Realität im Blick zu behalten, beruht auf dem genauen Kennenlernen seiner

Umwelt und seiner Mitstreiter.

Toleranz: Toleranz bezeichnet „die Fähigkeit, Meinungen und Standpunkte anderer zu

akzeptieren und gelten zu lassen, selbst wenn sie mit der eigenen Meinung und dem

eigenen Standpunkt nicht übereinstimmen.“201 Grundlage ist hierbei das Menschenrecht.

Die Komplexität des Miteinanders auf einem Lager fordert ein, sich mit unterschiedlichen

Ansichten auseinanderzusetzen und einen gemeinsamen Konsens zu finden. Man muss

Rücksicht nehmen und darf sein Anliegen nicht ständig in den Mittelpunkt stellen.

Kooperationsfähigkeit: Zusammenarbeit als Schlüssel zum Erfolg gehört zum Grundstock

eines erfolgreichen Lagers. Ein Lager spielt sich in der Gruppe ab, und jeder muss mit

anpacken. Man muss auf die Zuverlässigkeit aller bauen können.

Solidarität: Gemeinsame Ziele, das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Identifikation mit der

Gruppe und die Bereitschaft zur gemeinsamen Aktion beinhaltet die ‚Solidarität’.

Kommunikationsfähigkeit: Kommunikation beschränkt sich nicht nur auf die Sprache, sondern

umfasst auch optische Ausdrucksformen, wie Gestiken, Mimiken und Körperkontakte. Um

sich verständigen zu können, muss man die selbe Sprache sprechen, was wiederum auch

die Deutung von optischen Signalen einschließt. Darüber hinaus wird jeder in der

Interaktion mit den anderen Teilnehmern ‚Gesetzmäßigkeiten’ – „im Sinne von Abläufen,

die wir nicht umgehen oder vermeiden können, [...] die Bestandteil unserer

Kommunikation sind“202 – feststellen, dass ein Handeln stets Folgen hat, dass die eigenen

Werte das Handeln beeinflussen und dass man sein Handeln bewusst lenken kann. Hierfür

ist es unabdingbar, einen gemeinsamen Weg der Verständigung zu finden.

Konfliktfähigkeit: Es ist zumeist unausweichlich, dass es auf einem Lager, wo man derart

intensiv miteinander lebt, auch zu Auseinandersetzungen und Streiterein kommt. Auf

einem längeren Lager hat man durchaus die zeitliche Möglichkeit, Konflikte zu erkennen

und zu besprechen, die im Alltäglichen sonst unterschwellig aufgeschoben werden. Die

Konfliktfähigkeit beinhaltet immer die Kenntnis von Lösungsstrategien, die gemeinsam

erarbeitet und einstudiert werden müssen.

201 vgl. ebenda, S.84 202 s. KLEIN, I./ RITTER, U. 2001, S.20

Page 56: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

56

Kompromissfindung: Zur Durchführung eines Lagers sind gewissen Regeln unabdingbar, die

sich aus der Notwendigkeit (Dienste, Spielregeln, verbindliche Zeiten) und den

Erfordernissen ergeben. Ihr gegenüber stehen die Interessen der Teilnehmer, und um ein

funktionierendes Zusammenleben zu ermöglichen, muss eine Einigung mittels eines

Kompromisses gefunden werden.

Kreativität und Spontaneität: Trotz guter Planung bietet ein Lager viele unvorhersehbare

Situationen, die zeitnah und flexibel gelöst werden müssen.

Gelebte Demokratie: Ein Lager ist auch ein Übungsfeld gelebter Demokratie. Werden

Entscheidungen per Abstimmung eingeholt, so hat jede Stimme das selbe Gewicht –

unabhängig vom Alter und Amt. Jeder hat vorab die Möglichkeit, sein Anliegen zu

begründen. Ein Unterliegender muss die Entscheidung der Gruppenmehrheit mittragen.

Zusätzlich kann man weitere demokratische Verhaltensweisen und Strukturen ausprobieren

und einstudieren, z.B. mit einem ‚Lagerrat’, der aus Vertretern der Lagerleitung und den

einzelnen Gruppen besteht, oder mit einer ‚Lager-Vollversammlung’, einem Treffen aller

Lagerteilnehmer203. Ein Lager ist eine demokratische Gesellschaft im kleinen und fördert

ein verantwortliches politisches Handeln.

Es gilt, die Urteilskraft des Jugendlichen zu entwickeln, die sinnliche Wahrnehmung zu

fördern und ihnen das Geflecht von Beziehungen zur Mit- und Umwelt innerhalb der Realität

zu verdeutlichen. Dabei sollen sie ihren eigenen Fähigkeiten vertrauen, ein Ich-Gefühl

entwickeln, ihre eigene Bedürfnisse und Gefühle wahrnehmen und akzeptieren, selbstkritisch

sowie kontakt-, kommunikations- und kooperationsfähig sein. Es soll ein ausgewogenes

Mittel zwischen der Selbst- und Sozialkompetenz erreicht werden. Beide Kompetenzen kann

man nur in der Interaktion mit anderen ausbilden. Jeder soll soziale Bindungen eingehen und

dabei seine persönliche Selbständigkeit bewahren können.

Die aufgeführten Kompetenzen spielen z.T. auch in den folgenden Unterpunkten eine

relevante Rolle, ohne dass dies hier nochmals aufgeführt werden müsste.

8.5.2. Die Stille

Einen besonderen Wert haben die stillen Momente jenseits von künstlichen Lärmquellen.

Fernab der alltäglichen Geräuschkulisse ist vielen die Stille fremd und unheimlich.

Schweigend in einer reizvollen Landschaft nur den Naturgeräuschen zu lauschen oder abends

am Lagerfeuer sitzend das knisternde Holz zu hören, erzeugt Ehrfurcht und lässt selbst den

203 vgl. VCP (Hrsg.) 1998, S.88ff

Page 57: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

57

lebhaftesten Jugendlichen verstummen204. Besonders das Lagerfeuer ist in der Lage,

„Romantik und Andacht und somit eine sakrale Atmosphäre […] zu erzeugen.“205

Die Stille hat intensive meditative Züge. Bei der Meditation „geht das aktive Sich-Bemühen

der Konzentration in ein mehr passives Gehenlassen über“206, wobei man sich bei der

Konzentration bemüht, sich selber zu sammeln und dabei äußere, störende Einflüsse

ausblendet.

„Wie alles, was Dauer haben soll, wächst in der Stille.“207 Die gewonnene innere Ruhe

verdeutlicht zumeist den Wert des Verweilens fern der hektischen Welt. Man kann Stress,

Ruhelosigkeit, Reizüberflutung, Ängste und Nervosität mildern, wenn man sich auf die

Besinnlichkeit einlässt. Das meditative Erleben hat einen positiven Einfluss auf die Psyche

und Gesundheit. Die Palette reicht von Gelassenheit, erhöhter Stresstoleranz, Selbsterfahrung,

größerer Stimmungsstabilität, Willensstärke, Optimismus, körperlichem Wohlbefinden, dem

Gefühl, Anforderungen gewachsen zu sein, bis hin zu verbesserter Leistungsfähigkeit und

Kreativität zu Mitgefühl, Mitfreude, Hilfsbereitschaft, Solidarität und Rücksichtnahme.208

Bei einer damit häufig einhergehenden Selbstreflexion kann man die ruhigen Momente

nutzen, um sich der Gefühle, der Handlungen, der Sinneswahrnehmungen und der Gedanken

des Tages oder der Aktion noch mal bewusst zu werden. Die Verbindungen aus Emotion und

Erkenntnissen können zu neuen (Selbst-) Einsichten führen, die man im Alltagsleben nicht

gewonnen hätte.209 In der Stille erfährt man ein „tiefes, positives Gefühl, […] eine Einheit mit

allem, […] ein Gefühl der Unaussprechlichkeit.“210 – Der Wandervogel und spätere

Schriftsteller Manfred HAUSMANN schrieb über eine erlebte Winternacht 1912 auf der Burg

Hanstein: „[…] Dort summten und sangen die Kameraden. Und da überkam mich ein

Glücksgefühl von geradezu mystischer Tiefe. Wie traumverloren war das mattsilberne

Bergland mit einen Schatten, wie geheimnisvoll die Grenzenlosigkeit der Nacht mit den

strahlenden Sternenbildern. Wie abgründig das Schweigen ringsherum. Wie liebte ich alles!

Wie liebte ich diese Welt. […]“211

204 vgl. SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.71 205 s. MATTIG, R. 2004, S.301 206 s. GEORGE, S. 1993, S.21 207 s. ISLAR, K.G. 1976, S.11 208 vgl. PIRON, H. 2003, S.170+177ff 209 vgl. GEORGE, S. 1993, S.32ff 210 vgl. PIRON, H. 2003, S.187 211 aus „Tröstliche Zeichen“ von Manfred HAUSMANN (1957) in MÜLLER, C.W. 1973, S.19+20

Page 58: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

58

8.5.3. Grenzerlebnisse

Auf Fahrt und Lager lernt man nicht nur seine eigenen Fähigkeiten kennen, sondern auch

seine eigenen Grenzen. Wandern z. B. bedeutet Mühen und Anstrengungen ertragen, was

einen ganz besonderen Teil des Erlebens ausmacht. Es erzieht zu der Fähigkeit, in einem

Augenblick zugunsten eines höheren Ziels zu verzichten. Langgezogene, eintönige Strecken

können frustrierend sein, aber man lernt eine Toleranz gegenüber solchen Frustrationen, wenn

man merkt, dass am Ende der Mühen z. B. ein schöner Lagerplatz wartet.

„Das Erleben ist nicht die ganze Erziehung – aber ohne gemütsmäßig tiefergehendes Erleben

geht beim jungen Menschen nichts, weder in der Schule des Umgangs mit der Natur, noch in

der Schule des Wissens, noch in der Schule des Umgangs miteinander, noch in der Schule des

Umgangs mit Verantwortung und Gefahr, noch in der Schule der Werte, noch in der Schule

des Glaubens.“212

Jeder ist durch eigene Anlagen, körperliche Merkmale und erlernte bzw. nicht erlernte

Fähigkeiten begrenzt, doch sind diese Grenzen nicht unveränderlich. ‚Learning by Doing’,

körperliche und geistige Ertüchtigung und die Neugierde, ‚was hinter dem nächsten Berg

kommen mag’, können die eigene empfundene Begrenztheit neu ausloten. Auf einer Fahrt

bleibt es nicht aus, dass man an seine physischen und psychischen Grenzen stößt. FÜRST

unterscheidet vier verschiedene Typen der Grenzerlebnisse213:

1. das Durchbeißen, bei dem das Überschreiten der eigenen Grenzen im Vordergrund steht,

2. das Ertragen, bei dem es umgekehrt um ein Akzeptieren eigener Grenzen geht,

3. das Erforschen der Selbstbegrenzungen, bei dem die bewusste Wahrnehmung der Situation an der Grenze gefördert wird,

4. die Gestaltung von Beziehungen, bei welcher der Focus auf dem Umgang mit zwischenmenschlichen Grenzen geht.

Die Kenntnis um die eigenen Grenzen – sowohl im positiven als auch im negativen Bereich –

stecken die eigenen Belastungsparameter ab und schaffen im Grunde erst das Fundament

eines stabilen Selbstwertgefühls und einer echten Selbstsicherheit214.

Es versteht sich von selbst, dass Grenzerlebnisse niemanden gefährden dürfen. Da sie in der

Regel nicht planbar sind, gilt es, darauf zu achten, dass sich das Maß im pädagogisch und

212 s. Bischof R. STECHER in SCHÖDLBAUER, C./ PAFFRATH, F.H./ MICHL, W. (Hrsg.) 1999, S.76 213 s. FÜRST, Walter „Die Erlebnisgruppe. Ein heilpädagogisches Konzept für soziales Lernen“, 1992,

S.71ff in GILSGORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.34 214 vgl. ROTHE, F. K. 2002, S.33

Page 59: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

59

rechtlich verantwortbaren Bereich abspielt. Zumeist sind Grenzerlebnisse temporäre

Erfahrungen, die wichtige Erkenntnisse über die eigene Person vermitteln und von daher

einen besonderen Wert für die Selbstreflexion haben und in die Fragestellung münden

können, inwieweit jeder diese Erfahrung in sein weiteres Leben einbauen kann.

8.5.4. Naturerlebnisse

Sowohl die Wandervögel als auch die Pfadfinder zog es von Anfang an bereits in die Natur.

Die Gründe hierfür waren: Die einengende Zivilisation und die zunehmende

Naturentfremdung, sowie der gesundheitsfördernde Aspekt waren die Gründe.

Bereits in den regelmäßigen Gruppenstunden eignet man sich Wissen über die Natur an:

Pflanzenkunde, Tierspuren, Witterungsanzeichen, Sternenkunde – all das Wissen findet auf

Fahrt und Lager unmittelbar Anwendung.

Die Aktionen unter freiem Himmel eröffnen vielen Teilnehmern eine neue Welt. Die

Häufigkeit von primären Sinneserfahrungen hat sich aufgrund der technisierten und

medienorientierten Umwelt verringert. Die Teilnehmer können auf Fahrten und Lager die

Natur fühlen, riechen, hören, ganz nah betrachten und anfassen. Dieser emotionelle und

ästhetische Eindruck verdeutlicht einem jungen Menschen die Lebensqualität, die die Natur

bietet. Er begreift, dass er ein Teil dieser ist und es seiner aktiven Hilfe bedarf, dass die Natur

geschützt wird.

Auf Fahrten und Lager richtet man sich mit zunehmender Aktionsdauer ganz nach dem

‚Rhythmus der Natur’215. Man ordnet sich den natürlichen Zeitmaßstäben unter; der Hunger

bestimmt die Essenszeiten, die Müdigkeit bedingt die Pausen. Es gibt speziell auf der Fahrt

keinen durchorganisierten Zeitplan. Der Sonnenauf- und -untergang bestimmt die Tageslänge.

Das direkte Naturerlebnis und das zeitliche Ausrichten nach der Natur sind wichtige Beiträge

zur Umwelterziehung, die seit ca. 25 Jahren in der pädagogischen Diskussionen einen eigenen

Zweig etablieren konnte – samt einer Fülle von Literatur. Die Umwelterziehung ist „auf das

Herausbilden eines ‚Umweltbewusstseins’ und eine ‚ökologische Handlungskompetenz’

angelegt.“216 Nach TROMMLER soll „aus dem konkreten, elementaren Erleben und

Erforschen von Naturphänomenen […] ein Verständnis für den nachhaltigen Umgang mit

dem […] Naturerbe erwachsen.“217 Über einen sinnlich-ästhetischen und erlebnisorientierten

Ansatz soll als dritte Komponente ein werteorientiert-ethischer Ansatz entstehen. Die

215 vgl. HOLLER, E. 1999, S.14 216 s. BÖLTS, H. 1995, S.1 217 s. LANGENHORST, B. 2005, S.18

Page 60: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

60

Teilnehmer sollen ihr Verhältnis zur Natur reflektieren und eine ökologische

Urteilskompetenz einüben.

8.5.5. Internationalität

Um ferne und fremde Regionen und Länder aufzusuchen, empfiehlt es sich, sich mit deren

Geschichte, deren Geographie und Sprache auseinander zu setzen. – ‚Land und Leute

kennenzulernen’ heißt die Devise!

„Im pädagogischen Kontext gilt die Begegnung mit dem Fremden noch weithin als Mittel der

Wahl zum Abbau von Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit, als Mittel, Neues und

Unbekanntes zu erleben und zu erfahren, als Mittel, Lebensraum zu erweitern, über den

eigenen Horizont zu blicken, Lebenspraxis zu gewinnen.“218 Man erhält einen Einblick in

unbekannte Kulturen. Durch das Bereisen anderer Regionen und Länder kann man deren

Sitten, Gebräuche und Traditionen kennenlernen, diese respektieren und mit denen der

eigenen Heimat vergleichen219. Man begegnet ‚Andersartigkeit’ mit Offenheit und Neugierde.

Neugierde und Abenteuerdrang lassen die Gruppe in Gegenden vordringen, die sich

physiogeographisch von der heimatlichen unterscheiden. Man sichtet andere Tiere und

Pflanzen, muss mit einer unbekannten Witterung auskommen etc. Die Teilnehmer erhalten

eine Vorstellung davon, was man alles jenseits der touristischen Angebote sehen und erleben

kann. Der ‚bündische’ Stil könnte ein Maßstab für das eigene spätere Reisen werden.

Das internationale Netz der Pfadfinderbewegung erleichtert die Planung und Umsetzung von

Fahrten und Lagers. Zum einen kann man den direkten Kontakt zu Gruppen in anderen

Ländern suchen, sich informieren lassen oder gar gemeinsame Aktionen planen. Darüber

hinaus ist das Äußere eines Pfadfinders international bekannt, das Pfadfinder-Verständnis

weitestgehend identisch und mit einem positiven Image in jedem Land verbunden. Als

klufttragender Wanderer fühlt man sich der internationalen Bewegung verbunden, vertritt

ihren Wertekanon und verhält sich in der Öffentlichkeit entsprechend. Die Kluft ist nicht

selten eine ‚Eintrittskarte’ in eine Scheune oder ein sonstiges Nachtquartier – manchmal mit

Abendbrot und Frühstück inklusive!

218 s. GRIESE, C./ LOST, C. 2004, S.326 219 vgl. KRÜGER, J. 1976, S.9

Page 61: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

61

9. Die ‚Schulschar’ – ‚bündische’ Arbeit an der Schule

Dort, wo man die Atmosphäre der Schulgemeinde und das Zusammenleben zwischen

Schülern und Lehrern verbessern möchte, dort, wo man den Schülern verstärkt Verantwortung

übertragen will, ließen sich die ‚bündischen’ Elemente gezielt und erfolgreich einsetzen.

Viele ‚bündische’ Elemente, u.a. auch die Fahrt und das Lager, haben in einigen

Schulversuchen der späten Kaiserzeit und der Weimarer Zeit einerseits, aber auch in der

heutigen Zeit ihren Platz gefunden. Es sind in erster Linie Schulen mit Internats-Charakter,

wo ein intensiveres Miteinander von Schülern und Lehrern von vornherein gegeben ist.

Der Reformpädagoge Hartmut von HENTIG, Gründer der Bielefelder Laborschule220, schrieb

im Zusammenhang mit verlängerten Sommer-Schulferien: „In den […] drei großen

Sommermonaten gehen die jungen Menschen in Jugend- und Arbeitslager, machen Fahrten,

betätigen sich im Dienste der Gesellschaft. […] Vereine, Pfadfindergruppen, Bünde, Kirchen

und Jugendfürsorgeverbände werden mit der Ausarbeitung von Erfahrungs- und

Arbeitsmöglichkeiten beauftragt.“221

Es stellt sich die Frage, inwieweit sich ‚bündische’ Arbeit die zum Ziel hat, in der Gruppe

gemeinsame Fahrten und Lager durchzuführen, an einer heutigen Regelschule umsetzen

ließe?

9.1. Außerschulische Unternehmungen

In der heutigen Schulwelt gibt es diverse Unternehmen, die außerhalb des Schulgeländes und

der regelmäßigen Unterrichtszeit stattfinden, aber eine erste Einsicht in die Literatur über

diese Klassen- und Schul-Unternehmungen zeigt, dass es keinen gemeinsamen

Sprachgebrauch für solche Unternehmungen gibt. Für den einen sind es ‚Wanderungen’, der

andere spricht von ‚Reisen’ oder ‚Exkursionen’, ‚Fahrten’ werden sowohl mit dem Fahrrad

also auch zu Fuß unternommen.

Das niedersächsische SVBl222 beschreibt unter ‚Fahrten’ unterschiedliche Aktionen mit einem

Ortswechsel. Klassenfahrten können z.B. Wanderfahrten mit Übernachtung sein. Schulfahrten

im allgemeinen sollen u.a. folgenden Bildungs- und Erziehungszielen dienen:

220 Die Laborschule Bielefeld wurde 1974 nach den Vorstellungen von H. v. HENTIG gegründet und ist eine

Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen – s. http://laborschule.de 221 vgl. v. HENTIG, H. „Kyklopen, Babylonier, Bürger“, S.2o+21 in Bündische Akademie Lüdersburg

1997, S.11-25 222 vgl. niedersächsisches SVBI 7/97, S.266 - Schulfahrten

Page 62: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

62

• Förderung sozialen Lernens und sozialer Verhaltensweisen,

• Verbesserung der Lehrer-Schüler-Verhältnisses,

• Vertiefung des Verständnisses für Geschichte, Heimat und Naturschutz,

• Freizeit- und Gesundheitserziehung,

• Entfaltung der Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksmöglichkeiten.

„Wanderungen, Fahrten und Landheimaufenthalte ragen jährlich aus der üblichen

Schularbeit heraus“, schrieb J.KRÜGER223. Auch für W. ISENBERG ist „Reisen mit der

Schule integraler Bestandteil der Schulwirklichkeit.“224 Diese Einschätzung ist noch heute

ebenso gültig, auch wenn sich die Art und Weise des ‚Reisens’ verändert hat.

Der pädagogische Wert von Schulwanderungen, -fahrten und -landheimaufenthalten ist im

allgemeinen sehr vielseitig225. Zum einen kann man den Unterricht in allen Fächern sinnvoll

ergänzen, indem man den Schüler mit einem bestimmten Unterrichtsinhalt unmittelbar

konfrontiert. Diese direkte Nähe kann die Lernbereitschaft steigern. Der reale Bezug kann

gewisse Zusammenhänge nachvollziehbarer machen, die in der Schule so nicht hätten

hergestellt werden können.

Man kommt aus dem Schulalltag heraus, findet Abenteuer, erfreuliche Ereignisse, neue

Erkenntnisse und Erlebnisse. Außerschulische Veranstaltungen haben zumeist einen positiven

Effekt auf die Klassengemeinschaft, verbessern sie durch Verhaltensänderungen, z. B. durch

soziales Lernen und durch Aufhebung der schulischen Zwänge, sie stabilisieren die

Verhaltensänderungen bzw. entwickeln sie weiter. Außerdem wird der „pädagogische

Spielraum einer Schule“226 erweitert. Für den Lehrer ist eine solche Unternehmung zwar mit

einer zusätzlichen zeitlichen Mehrbelastung verbunden – sowohl im Vorfeld als auch während

der Aktion selber – und stellt ihn vor viele neuen Herausforderungen, doch es ergibt sich auch

die Chance, das Miteinander zwischen Schüler und Lehrer zu pflegen und zu intensivieren.

„Die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer wird konkreter, unverwechselbarer und

lebendiger.“227

Das Rollenverhalten innerhalb der Schule wird aufgelöst und neu ausgelotet. Zumeist sind die

Aktionen so ausgelegt, dass man aufeinander Rücksicht nehmen muss, sich intensiver

kennenlernen und in der Gemeinschaft agieren muss. Es werden Verbindlichkeit,

Verpflichtung und Verantwortung eingefordert und Vertrauen und Einsicht zurückgegeben.

223 s. KRÜGER, J. 1976 im Vorwort 224 s. ISENBERG, W. 1993, S.13 225 vgl. KRÜGER, J. 1976, S.9ff 226 s. HOMFELDT, H.G./ KÜHN, A. 1981, S.10 227 vgl. ebenda, S.9

Page 63: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

63

Je nach Klassenstufe eignen sich unterschiedliche Unternehmungen. Das Spektrum reicht von

thematischen Wandertagen im Primarstufenbereich bis zu Studienfahrten in der Oberstufe.

Vor jeder Reise muss man sich mit folgenden Kriterien auseinandersetzen, wobei neben

Schülern und Lehrer auch die Eltern und die Schule selber in die Diskussion mit einbezogen

werden sollen228:

• pädagogische Absichten, Themen, Inhalte und Methoden,

• Kostengestaltung und -begrenzung,

• Destination (Entfernung, Städte, Regionen, Länder...),

• Vorbereitung, Durchführung, Auswertung, Nachbereitung,

• Formen (maximale / minimale Schülerzahl pro Reise, Transportmittel, Dauer, Häufigkeit...)

Klassenfahrten sollten Bildungsreisen sein, d. h. man sollte diese mit den Schülern inhaltlich

gut vorbereiten und es vermeiden, dass die touristische Komponente der Fahrt dominiert. In

diesem Zusammenhang sollte man Angebote von Reise-Anbietern, die sich zunehmend auf

Klassenfahrten spezialisieren, auf deren pädagogischen Tauglichkeit und inhaltlichen Gehalt

vorab kritisch überprüfen.

Man sollte dabei die sozialen und ökologischen Folgen der Unternehmung im Auge behalten

und für zukünftige touristische Reisen der Schüler Maßstäbe erarbeiten, da Reisen im Kindes-

und Jugendalter eine Langzeitwirkung haben können229.

Das Kennenlernen bekannter und fremder Lebenswelten (‚Land und Leute’) führt zu einem

interkulturellen Lernen. Eine Bezugsherstellung zu eigenen Lebenserfahrungen führt zur

Reflexion seiner eigenen nationalen Identität230. Das Erschließen neuer Naturräume und

Naturlandschaften unterstützt die Umweltbildung.

Jede Fahrt bietet eine gute Möglichkeit, die Schüler in Planung und Umsetzung

einzubeziehen. In der Regel werden Schulfahrten nach dem Prinzip der Projektmethode

organisiert.

Unabhängig vom unterrichtlichen Schulalltag können außerschulische Unternehmungen auch

in einer wöchentlich stattfindenen Arbeitsgemeinschaft [AG] geplant und durchgeführt

werden.

228 vgl. ISENBERG, W. 1993, S.14ff 229 vgl. ebenda, S.25 230 vgl. ebenda, S.14

Page 64: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

64

9.2. Fahrt und Lager an heutigen Schulen

An vielen heutigen reformpädagogisch geprägten Schulen gehört das Wandern, die Fahrt, das

Lager und der Austausch zu den zentralen Elementen der Schularbeit.

In der Bielefelder Laborschule nehmen z.B. die 13- bis15-jährigen Schüler an mehrwöchigen

Exkursionen und Lagern zur Erkundung eines polnischen Naturschutzgebietes teil231.

Für die Helene-Lange-Schule232 in Wiesbaden gehört die ‚Fahrt’ zum Bestandteil des

Schulkonzeptes233. Am Ende der sechs-jährigen Schulzeit soll ein intensives Natur- und

Gemeinschaftsleben erfahren worden sein. Sie sind in der Regel mit großen Projektthemen

gekoppelt. Die Wochen außerhalb des Schulalltags sollen nicht nur dem Zusammenwachsen

der Klassengemeinschaft durch gemeinsame Herausforderungen und Aufgaben dienen,

sondern es soll „etwas Sinnvolles gearbeitet, geforscht oder erfahren werden.“234

So wurde im Herbst 1995 eine 14-tägige Fahrt in eine Osttiroler Hochgebirgshütte

unternommen. Neben ökologischen Fragestellungen ging es um den „Verzicht auf den

gewohnten Komfort, um Naturerfahrungen, verbunden mit körperlicher Anstrengung und

Belastung.“235 Im Resümee waren die Jugendlichen stolz darauf, dass sie die Schwierigkeiten

und Strapazen gemeistert haben, sich gegenseitig geholfen haben, und dass ihnen die Lehrer

das Vertrauen aussprachen, es schaffen zu können.

Ein Jahr später steigerte man den Anspruch an die Klassenfahrt der älteren Schüler. Die

Schüler der 9. Klassen waren angehalten, für das Ende des Schuljahres eine 7- bis10-tägige

Fahrt zu organisieren, die in klassenübergreifenden koedukativen Gruppen von 6 bis 10

Personen ohne Begleitung eines Lehrers durchgeführt werden sollte236.

Die Fahrt sollte in Deutschland stattfinden, und es sollte ein bestimmtes – recht niedriges

Budget – nicht überschritten werden. Ferner sollte es sich ein sportlicher, kultureller oder

ökologischer Schwerpunkt gesucht werden, und die Schüler hatten sich um ein Ziel, einen

begleitenden Studenten – der die Funktion der rechtlichen Aufsichtsperson wahrnehmen, aber

231 vgl. v. HENTIG, H. 1993, S.246ff 232 die Helene-Lange-Schule ist seit 1995 eine Versuchsschule des Landes Hessen – s. www.helene-lange-

schule-de 233 vgl. BECKER, G./ KUNZE,A./ RIEGEL, E./ WEBER, H. 1997, S.185 234 s. ebenda, S.182 235 vgl. ebenda, S.184 236 Für die 9. und 10.Klassen war ursprünglich angedacht, die Schüler für drei Wochen auf Auslandsfahrten

in die benachbarten Länder zu schicken, doch scheiterte es an rechtlichen Gründen, da alle Schüler hierfür mindestens 16 Jahre alt sein mussten

Page 65: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

65

nicht in die Umsetzung der Fahrt eingreifen sollte –, Art der Fortbewegung (Fahrrad, Kajak,

Wanderung), Material, Quartiere und Verpflegung zu kümmern. Alle anstehenden

Entscheidungen mussten von der Gruppe allein getroffen werden. Die Gruppe war angehalten,

„sich auch und gerade in Konfliktsituationen sozial und verantwortlich zu verhalten.“237

Trotz der enormen körperlichen Beanspruchung, der Ermüdung und Erschöpfung und dem

widrigen Wetter überwogen bei den Schülern die positiven Eindrücke und Erlebnisse und der

Stolz, sich ihren Ängsten gestellt und es ‚überlebt’ zu haben. Es zeigte sich, dass „wachsende

Selbständigkeit bei erweiterten, altersgemäßen Anforderungen selbstbewusst [macht] und

Vertrauen in die eigene Fähigkeiten [schafft]. Die Erfahrung zeigt, dass Schüler in dieser

Hinsicht weit mehr leisten können und wollen, als ihnen die Erwachsenengesellschaft

üblicherweise zugesteht.“238

In der Reflexion des Kollegiums zeigte sich jedoch, dass in der Planungs- und

Umsetzungsphase die Schüler in ihrem jeweiligen Rollenmuster verblieben sind, d.h. die

passiven sich wenig eingebracht haben, während die aktiven äußerst engagiert alles

vorangetrieben haben. Um hier alle Jugendlichen in die Arbeit einzubinden, ist über eine

mögliche ‚Führung’ nachzudenken.

Wander- und Fahrtengruppen mehrerer Waldorfschulen aus Deutschland und Österreich

haben sich 1985 zum Bund der „Freien Fahrtengemeinschaft Artaban“239

zusammengeschlossen. Die Initiatoren haben allesamt jugendbewegte Wurzeln. Die

‚bündischen Elemente’ sind hier die Grundlage des Gemeinschaftslebens. Zweimal im Jahr

finden Treffen aller Gruppen statt, zu dem auch Teilnehmer aus anderen ‚außerschulischen’

Bünden kommen. Höhepunkte des Gruppenlebens sind die Fahrten, die in Tradition des

Wandervogels durchgeführt werden. Neben Wochenendfahrten, einwöchigen Oster- und

Herbstfahrten finden mehrwöchige Sommerfahrten statt.

Diese Beispiele zeigen, dass Schule durchaus in der Lage ist, Selbsterfahrungen,

Verantwortungsübernahme, Selbständigkeit, Kooperation und weitere soziale Kompetenzen

durch Fahrtenerlebnisse zu initiieren, wenn man als Schule dem Schüler zutraut, mit neuen

Situationen zurechtzukommen, ihn anhält, Grenzen zu erfahren und ihm das Vertrauen

ausspricht, eigenständig Lösungen zu erarbeiten.

237 s. BECKER, G./ KUNZE,A./ RIEGEL, E./ WEBER, H. 1997, S.185 238 vgl. ebenda, S.185 239 s. www.artaban.info, 22.10.2005

Page 66: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

66

9.3. Die ‚bündische’ Schulschar - in Form einer AG

Ausgehend von der Erkenntnis, dass eine Arbeit mit den ‚bündische’ Elementen – allem

voran den erlebnisorientierten Aktionsformen des Lagers und der Fahrt – und die

Gruppenbildung im ‚bündischen’ Sinne pädagogisch für die Teilnehmenden äußerst

gehaltvoll ist, möchte ich nun konkreter darüber nachdenken, inwieweit man diese

Erlebniswelt in das Schulgeschehen einbinden kann.

Der erlebnispädagogische Ansatz, der „[...] seit einigen Jahren in der außerschulischen

Jugendarbeit und – wenngleich unter anderem Label – in der beruflichen Bildung und im

Managementtraining eine beachtliche Resonanz gefunden hat, [fristet] in der Schule

bestenfalls ein Schattendasein.“240 Das unplanbare Erlebnis steht im Widerspruch zu der auf

Kontrollierbarkeit ausgelegten schulischen Routine. Die derzeitigen Rahmenbedingungen im

Schullalltag mit ihren großen Klassen, dem 45 Minuten-Takt, dem Fachlehrersystem, dem

Notendruck, Standard-Unterrichtsräumen ohne angenehme Atmosphäre, teilweise fehlender

heterogene Altersdurchmischung des Kollegiums etc. erschweren eine auf Erfahrungen und

Erlebnisse ausgerichtete Arbeit241. – Im Grunde sind es die selben Kritikpunkte, die die

Reformpädagogik vor 100 Jahren aufgegriffen und denen sie ihre Modelle entgegengesetzt

hat. Die ebenso alte Forderung, dass die Schule ein ‚Lebens- und Erfahrungsraum’ sein soll,

wo man die Möglichkeit hat, primäre Erfahrungen zu machen, wo man nicht nur für das

Leben, sondern vor allem auch im Leben lernt, hat immer noch seine Berechtigung und

Aktualität.

Das Kind und der Jugendliche verbringt einen großen Teil seiner Zeit in der Schule und

darüber hinaus ist die Klassengemeinschaft und Schulgemeinde – neben der Familie – häufig

die einzig dauerhafte Bezugsgruppe. Jugendliche wollen „sich als Handelnde und

Gestaltende erleben [und] geistig und körperlich aktiv sein“242, sie verspüren bei der Suche

nach Erfahrungen ein Bedürfnis nach Autonomie, sowie Selbstbestimmung und streben eine

Abgrenzung gegenüber der Welt der Erwachsenen an. So liegt es nahe, in der Schule

Angebote und Arbeitsweisen zu etablieren, die jugendbewegte Formen beinhalten.

Hartmut von HENTIG schrieb über eine Wunsch-Schulgemeinschaft: „[...] Schon deshalb

sollte man Jungen- und Mädchenschaften der Bündischen Jugend, den Pfadfindergruppen,

den Sommer- und Arbeitslagern neue Aufmerksamkeit schenken: als Vor-Bilder für eine

gewollte und gelingende Gemeinschaft. Was die verschulte Schule noch nicht kann, sollte sie

240 s. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.13 241 vgl. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S.15 + vgl. Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) 1995,

S.33 242 s. GILSDORF, R./ VOLKERT, K. 1999, S15ff

Page 67: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

67

entweder von diesen Vereinigungen lernen, oder ihnen willig überlassen – und das heißt: den

Kindern und Jugendlichen neidlos die Zeit dafür einräumen.“243 In einem weiteren Beitrag

heißt es über das Gemeinschafts-Ideal: „Jugendbünde, Jugendorden, Pfadfindergruppen

müsste man erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe.“244

Ohne in die organisatorische Struktur eingreifen oder den schulischen Ablauf

‚revolutionieren’ zu wollen, würde sich ein ‚bündisches’ Angebot in Form einer

Arbeitsgemeinschaft [AG] eignen. Zum einen wäre es vermessen zu behaupten, dass man

jedes Kind mit den ‚bündischen’ Elementen begeistern könne. Zum anderen muss dieses

Alternativ-Angebot innerhalb der Schule auf Freiwilligkeit beruhen – eine

Grundvoraussetzung für das Gelingen jeglicher ‚bündische’ Arbeit.

Gerade in Zeiten, in denen viele Ganztagsschulen gegründet werden, wäre eine solche AG

eine Bereicherung für die Schulgemeinde. Auch v. HENTIG fordert, Angebote der

Jugendarbeit in Verbänden und Bünden mit den schulischen Angeboten zu koppeln, um ein

unproduktives Nebeneinander zu vermeiden245 und so die Möglichkeit zu nutzen, die

Interessen der Schüler, und damit einen Teil des Lebens der Schüler, in die Schule zu

transferieren, um so wiederum eine ‚Lebens’-Schule zu schaffen, die nicht völlig losgelöst

von der sonstigen Lebenswirklichkeit der Schüler existiert.

H. v. HENTIG greift vier Mängel, bzw. Versäumnisse der Unterrichtsschule auf, die im

Grunde ohne jeglichen Gesetzesaufwand gelöst werden könnten:246

1. Natur / das Ungeplante / Abenteuer

Jedes Kind im Alter von 8 bis 18 Jahren soll jährlich zwei Wochen ‚Natur’ erleben. Wandern, zelten, rudern, paddeln, kraxeln, beim Bauern arbeiten oder sich an ökologischen Projekten beteiligen, sind v. HENTIGs Forderungen. Die inhaltliche und emotionelle Steigerung soll sich an der Erlebnispyramide orientieren.

2. Gemeinschaft

Er hat eine Gemeinschaft im Sinn, die sich auf eine gemeinsame Aufgabe, ein gemeinsames Ziel verständigt, und jeder – auch die Kinder – eigenverantwortlich an der Gemeinschaft baut.

3. Sachen machen

243 s. v. HENTIG, H. „Was leistet die Schule? – kein freundliches Urteil“, S.55ff in Bündische Akademie

Lüdersburg (Hrsg.) 1995, S.54-56 + s. v. HENTIG, H. 1993, S.247 244 s. v. HENTIG, H. in Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.24 245 vgl. v. HENTIG, H. 1993, S.245ff 246 vgl. v. HENTIG, H. in Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.21ff

Page 68: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

68

Es sollen Gegenstände und Güter eigenhändig hergestellt werden, die man auch selber gebraucht. Man soll so den Wert schätzen lernen. Bei der handwerklichen Umsetzung steht nicht nur die Zweckmäßigkeit im Mittelpunkt, sondern auch die optische, saubere und ästhetische Herstellung, denn „[…] höhere Ansprüche ergeben höhere Befriedigung.“247

4. Glücksmomente / Geselligkeit / Sinnlichkeit

Wege sind ‚bündische’ Tätigkeiten wie „[…] singen, tanzen, erzählen, Spiele spielen, Theater spielen […]“, aber auch hier wieder mit einem besonderen Blick auf die Feinheiten, die die eigentliche Lust bereiten, denn „[…] erst beim zweistimmigen, dann beim vielstimmigen Singen [erlebt man], wie die eigene Stimme von der der anderen getragen, vermehrt, zum Wohlklang gebracht wird.“248

Ich möchte im Folgenden einen solchen ‚bündischen’ AG-Typus kurz skizzieren, der sich

gegen die Mängel und Versäumnisse wendet und auf die positiven Effekte und

Rückkopplungen für die Gruppe selber, aber auch für die Schulgemeinde eingehen.

9.3.1. ‚Schulschar’

Ich möchte diese AG ‚Schulschar’ benennen, zum einen als Anspielung auf die ‚Deutsche

Freischar’, die sich in der Weimarer Zeit aus Pfadfinder- und Wandervogelbünden gegründet

hat und somit beide Elemente vereinte, und zum anderen möchte ich eine Assoziation zur

kirchlichen ‚Jungschar’-Arbeit herstellen, die in ihren Gruppen eigene Schwerpunkte setzt,

die häufig auf gemeinsame Fahrten und Lager hinauslaufen.

Die ‚Schulschar’ trifft sich in der Schulzeit zu wöchentlichen Gruppenstunden, übt dort

soziale, handwerkliche, musische und geistige Fertigkeiten ein, die darauf ausgerichtet sind,

mindestens einmal im Quartal eine Wochenendfahrt und ein -lager zu unternehmen, bzw. in

den großen Ferien eine möglichst mehrwöchige Großfahrt zu unternehmen. Der Lehrer steht

dieser Gruppe vorerst als Führer zur Seite, doch sollte das Ziel sein, dass sich die Gruppe

eigenständig führt und der Lehrer nur noch organisatorisch beratend und helfend zur Seite

steht. Die anfangs ‚angeleitete’ Arbeit sollte in eine ‚freie’ Arbeit übergehen.

Grundlage der gemeinsamen Arbeit soll die Meißner-Formel von 1913 sein, wonach die

‚Schulschar’ „[…] nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer

Wahrhaftigkeit“ ihr eigenes und ihr Gruppenleben gestalten soll. Das schließt von Beginn an

mit ein, dass sich die Gruppe eigene, selbstbestimmte inhaltliche Schwerpunkte setzen kann,

wo z.B. das Musische dominiert, die ‚Schulschar’ zu einer Umweltschutzgruppe wird oder gar

eine redaktionelle Arbeit übernimmt. Die Möglichkeiten sind vielfältig, doch sollten die

bindenden Aktionen nicht aus den Augen verloren werden!

247 s. v. HENTIG, H. in Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.24 248 s. ebenda, S.24

Page 69: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

69

Die ‚Schulschar’ ist für die Schulstufen der Sekundarstufen I und II geeignet - besonders an

Gesamtschulen, die von der fünften bis zur 13. Klasse durchgängig sind, denn hier können im

Idealfall Oberstufenschüler die Gruppen eigenständig führen, die aus der eigenen heterogenen

Gruppe stets nachwachsen.

Es soll eine verbindliche Gruppe mit intensivem Kontakt untereinander entstehen, aber auch

mit dem Bewusstsein, dass die ‚Schulschar’ Teil eines größeren Ganzen sind – in diesem Fall

ein Teil der Schulgemeinschaft. Die Gruppe soll in diese hineinwirken und eine offene (jeder

kann teilnehmen) und öffentliche (jeder erfährt von ihren Aktionen) Alternative sein. Die

‚Schulschar’ soll sich für die Schulgemeinde engagieren.

9.3.2. Heterogenität

Die AG richtet sich in vielerlei Hinsicht positiv an eine heterogene Schülerschaft. Die

‚Schulschar’ soll sich am ‚Horten’- Prinzip des Wandervogels orientieren, in der

jahrgangsübergreifend die Schüler teilnehmen können. In dieser Erziehungsgemeinschaft

lernen die jüngeren Horten-Mitglieder von den älteren, und die älteren wiederum geben ihnen

als gleichberechtigte Glieder der Gruppe das Gefühl, genauso wichtig und wertvoll zu sein.

Jede Altersstufe hat ihre Besonderheiten, was eine Bereicherung für die Gesamtgruppe ist.

Diese altersheterogene Gruppe kann sich dann einen Führer aus ihren Reihen wählen.

Durch die Einführung einer gemeinsamen Kluft soll die optische Unterschiedlichkeit der

sozialen Herkunft minimiert werden. Die Horten-Mitglieder sollen aufgrund der

Charakterzüge, der Fähig- und Fertigkeiten über den anderen urteilen. Gelebte Solidarität soll

finanzielle Unterschiede in den Hintergrund drängen. Fehlendes Fahrtengeld sollte durch

gemeinsame Aktionen verdient werden.

Eine kulturellere Heterogenität ist für die ‚Schulschar’ eine Bereicherung. Das Kennenlernen

unterschiedlicher Kulturen, Sprachkenntnisse, Religionen und Traditionen könnten bei der

Wahl der Fahrtengebiete hilfreich sein. Besonders die internationale Ausrichtung des

Scoutismus sollte hier als Leitlinie dienen. BADEN-POWELL schrieb selber: „Nur die

internationale Konzeption der Prinzipien der Brüderlichkeit kann die Welt vor dem Chaos

retten.“249 und laut G. MEBUS muss man das Schulleben dahingehend steuern, dass der

„Umgang mit Heterogenität, das Bemühen um Perspektivenvielfalt, [...] die Anerkennung der

Gleichwertigkeit“250 erkennbar werden. – Die Horte sollte das im Kleinen bieten.

249 s. BADEN-POWELL, R. 1996, S.20 250 s. MEBUS, G. 2003, S.29

Page 70: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

70

In der Differenzierung der Geschlechter soll die ‚Schulschar’ offen für alle Arbeitsformen

sein. Sowohl eingeschlechtliche als auch koedukative Gruppen haben ihren Wert. Der an die

Koedukation herangetragenen Kritik, dass sich beide Geschlechter im pubertären Alter

gegenseitig in ihrer Entwicklung hemmen, was zum Verlust von Erlebniswelten führen

könnte, ließe sich mit der Argumentation begegnen, dass sich beide Geschlechter durch

gegenseitiges Kennenlernen in ihrer Entwicklung bereichern. Die koedukative Frage wird

schon seit Entstehung der Jugendbewegung hitzig diskutiert; im (deutschen) Scoutismus

haben sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte alle Arbeitsformen etabliert. Sicherlich liegt

in beiden Ansätzen ein Stück Wahrheit. Eine intensive Beschäftigung mit diesem Thema

würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Letztlich sollte man die Gruppe sich selber finden

lassen. Von einem Führer einer koedukativen Gruppe erwarte ich jedoch eine größere

Übersicht, so dass die Mädchen und Jungen nicht in ihre gesellschaftlichen Rollen verfallen.

Mädchen müssen ebenso Zelte aufbauen können, wie die Jungen auch kochen und abwaschen

müssen.

Im Bezug auf die Integration unterschiedlicher Begabungen lebt die Horte von der Vielfalt der

einzelnen Charaktere. Ein ‚Lernschwacher’ kann z.B. durch seine glühende Begeisterung die

ganze Gruppe anspornen. Er selber wird insgesamt von einer Gruppendynamik mitgerissen,

die zum einen einen hohen Erlebnisgehalt hat und zum anderen sein Selbstwertgefühl und

sein Selbstbewusstsein fördert. Außerdem könnte er dem leistungsstärkeren Schüler

nacheifern wollen. Der ‚Begabte’ hingegen lernt Rücksicht zu nehmen und wird schnell

bemerken, dass viele Aufgaben ausschließlich mit der Hilfe aller zu bewältigen sind.

Teamarbeit ist Grundvoraussetzung! – Ferner können in der ‚Schulschar’ Begabungen

gefördert und ausgelebt werden, die im Notensystem der Regelschule sonst keine Beachtung

finden und zumeist unterdrückt würden251.

A. v.d. GROEBEN – die „die Ansätze des bündischen / jugendbewegten Lebens als ‚perfekte

Pädagogik’“252 nach dem Erleben dieser bezeichnete – nennt noch die Heterogenität der

Orientierung, Wertvorstellungen und Moralen253. In einer Schule existieren häufig

konkurrierende „Ich-AGs, [...] die kaum oder gar nicht durch gemeinsame Grundwerte

verbunden sind.“254. – Laut Wolfgang HUBER soll sich die Schule „zu einem Raum

entwickeln, in dem eine Balance zwischen Wissensvermittlung und Lebensorientierung Platz

haben kann.“255 Die inhaltliche Übernahme des Pfadfindergesetzes, bzw. die Übernahme der

moral-ethischen Prinzipien des Gesetzes zu Regeln des Zusammenlebens, das freiwillige

Ablegen eines verbindlichen Versprechens der Gemeinschaft gegenüber, sowie das

251 vgl. Ludwigsteiner Blätter Juni 2005, S.29 252 s. Bündische Akademie Lüdersburg 1997, S.59 253 vgl. v.d. GROEBEN, A. 2003, S.6 254 s. ebenda, S.6ff 255 s. HUBER, W. „Mehr als postmodern und multikulti?“, S.55 in Bündische Akademie Lüdersburg 1997,

S.47-57

Page 71: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

71

Einstudieren gemeinsamer Rituale schafft eine gemeinsame Wertebasis, an der sich jedes

Mitglied orientieren kann und ihm als eine feste Größe Sicherheit garantiert.

9.3.3. Schulgemeinde

Damit die Schule ein Ort der Gemeinschaft wird, die sich selber erzieht und zu der sie

erzogen wird, muss jeder in der Schulgemeinde erfahren, dass er gebraucht wird und ein

wichtiger Teil der Gemeinschaft ist. Es darf jedoch nicht nur beim ‚Nehmen’ verbleiben,

sondern jeder ist angehalten, einen Dienst für die Schulgemeinde zu leisten. – Es muss eine

Vernetzung über die Jahrgangsklassen, Generationen und Funktionen hinweg geschaffen

werden. Hier kann die ‚Schulschar’ wichtige Impulse geben.

Das Potential der ‚Schulschar’ ließe sich auch für die Schule nutzen. Das enge Miteinander

der Gruppe erzeugt eine vertraute Gesamtatmosphäre, die auch in den Schulalltag und in den

Unterricht hineinstrahlen kann. Erst wenn die Atmosphäre ansprechend ist, lässt sich

inhaltlich produktiv arbeiten. Die Kluft zwischen Schülern und Lehrern wird durch eine

Annäherung aufgehoben. Jeder hat die Möglichkeit, authentisch zu sein – frei nach einem

Ausspruch des Gründers der Odenwaldschule, Paul GEHEEB: „Werde der du bist!“.256 Das

freundschaftliche ‚Du’ zwischen Schülern und Lehrern wäre der Ausdruck eines persönlichen

und entkrampften Zusammenlebens.

Es ist in der Gruppe möglich, ohne Zeit- und Leistungsdruck neue Fähigkeiten zu erlernen.

Das ‚Learning by Doing’-Prinzip des ständigen Ausprobierenkönnens ermöglicht ein

angstfreies Lernen, was der Schüler in seinen Schulalltag mit übernehmen kann. So lässt sich

die ursprüngliche Lust des Kindes am Lernen bewahren und fördern.

Die freiwillige Übernahme von Verantwortung für eine Gemeinschaft, ein gewisses Maß an

sozialer Kompetenz, sowie spezielle Fähigkeiten und Eigenschaften kann man in die

Übernahme von Aufgaben für die Schulgemeinde münden lassen: u.a. Schüler-Patenschaften,

Schüler-Vertreter, Klassen- / Schulsprecher, aber auch Schul-Sanitäter oder Streitschlichter.

Die Schüler sollen sich mit ihrer Schule identifizieren, was am Besten gelingt, wenn sie sich

als wichtiger Teil dieser sehen.

Darüberhinaus können sie aufgrund ihrer Kenntnisse bei Planungen und Umsetzungen von

Wanderungen und Klassenfahrten eigenverantwortlich mithelfen, bzw. diese koordinieren.

Die Fahrten und Lager der ‚Schulschar’ könnten den Klassen als Vorbild dienen –

selbstorganisierte Klassenfahrten und -ausflüge bei denen versucht wird, sich das Wissen

selbstständig zu erschließen und bei denen die Erfahrungen und Interessen der Schüler

256 vgl. ROESNER, F. 2002, S.68

Page 72: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

72

Ausgangspunkt der Planung sind. Bei der Umsetzung selber ist eine Vernetzung

unterschiedlicher Aufgaben und Fragestellungen erforderlich, die von der Gruppe kreativ

gelöst und gemeistert werden müssen.

Das internationale Netz der Pfadfinderbewegung bzw. die Existenz weiterer ‚Schulscharen’

kann man für Patenschaften und Austauschbesuche nutzen – u.a. auch in Form von Fahrten

und Lagern.

Über die eigenständig durchgeführten Lager und Fahrten können sie im Anschluss auf einem

Vortragsabend berichten und reflektieren, bzw. ihre Abenteuer in einer Photo-Ausstellung

präsentieren. Zeitungsartikel in der regionalen Tagespresse und in der Schülerzeitung könnten

begleitend erscheinen.

Die ‚Schulschar’ kann für die Schulgemeinde auch eigenständige Aktionen anbieten, wie z.B.

musische Treffen in Form von regelmäßigen, offenen Singerunden. Das Liedgut, das zum

Allgemeingut in ‚bündischen’ Gruppen geworden ist, ist recht vielfältig. Es reicht von alten

Volks-, über Fahrten-, Widerstandsliedern bishin zu Liedern aus nahezu allen Ländern und

Völkern, die auf Fahrten durchwandert wurden und man von den Einheimischen erlernt hat. –

Außerdem können eigenständig Theaterstücke erstellt und einstudiert werden. Bei Auftritten

auf Schulfesten könnten die Lieder und Theaterstücke vorgetragen werden.

Wenn es das Schulgelände hergibt, könnten auch Lagerfeuerabende angeboten werden, an

denen Geschichten vorgelesen, Gedichte vorgetragen und Lieder gesungen werden.

Übergeordnetes Ziel sollte es sein, möglichst viel (Mit-) Verantwortung in die Hände der

Schüler zu legen und ihnen bewusst zu machen, dass sie ebenso wie die Lehrer und sonstigen

an der Schule Beteiligten für das Leben in und das Wohl an der Schulgemeinde

verantwortlich sind. Dafür sollte man in gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren

können.

9.3.4. Die ‚Freie Pfadfinderschaft Obervieland’ – ‚Pfadfinder’-Schul-AG

Zwischen September 2003 und Juni 2005 hatte ich die Gelegenheit als Werkstudent an der

integrierten Stadtteilschule ‚Theodor-Billroth-Straße’ in Bremen-Obervieland zwei

‚Pfadfinder’-AGs zu leiten. Die Stadtteilschule befand sich im Abbau, beinhaltete anfangs nur

die Klassenjahrgänge 5 bis 7 und strebte das Modell einer Ganztagsschule an. Aus diesem

Grund wurden in den Nachmittagsstunden Arbeitsgemeinschaften gefördert.

Page 73: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

73

Ich warb auf Handzetteln und Plakaten mit den Schlagwörtern: Naturerleben, Abenteuer,

Spiel und Spaß, Gemeinschaft, Zeltlager und Wanderfahrten. Die Lehrerschaft informierte ich

mit einem zusätzlichen Informationsschreiben, in dem ich mich und mein Wollen vorstellte.

Ziel der Pfadfinder-Schulgruppen sollten gemeinsame Unternehmungen in Form von Fahrten

und Lager sein.

Die erste ‚Pfadfinder’-AG lief von September 2003 bis zum Ende des Schuljahres 2003/4. Es

fanden sich zu Beginn vier Jungs ein, unter ihnen z. B. der Schulsprecher und ein auffällig

unsicherer Schüler, der durch häufiges Schulschwänzen auffiel. Gegen Ende des Schuljahres

kamen weitere interessierte Mädchen und Jungen aller Jahrgänge – die meisten jedoch aus der

7. Klasse – hinzu. In den regelmäßigen AG-Stunden lernten wir die Techniken, um eine

schneereiche Winter-Wochenendfahrt ins thüringische Eichsfeld und ein viertägiges

Pfingstlager mit Pfadfindern der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands (CPD) aus

Bremen zu meistern. In den Sommerferien nahm ich mit einer fünfköpfigen Schülergruppe an

der Bauhütte der CPD teil, bei der sich Pfadfinder aus dem ganzen Bundesgebiet einfinden,

um das Bundeszentrum – ein alter Vierkanthof in Birkenfelde bei Heiligenstadt – auszubauen.

Handwerkliches stand im Mittelpunkt. Es mussten Türen bearbeitet, Wände gemauert und

verputzt werden, die Bau-Mannschaft musste sich selber bekochen. Abends saß man am

Lagerfeuer.

Im Schuljahr 2004/5 musste ich in der ersten Schuljahreshälfte eine AG mit

naturwissenschaftlichen Profil für die 5. Klassen anbieten, aus der sich ab März 2005 die

zweite ‚Pfadfinder’-AG ergab. Es war eine reine Mädchengruppe. Unter ihnen war auch ein

hörbehindertes Mädchen. Höhepunkt war die Teilnahme am Pfingstlager mit ca. 80

Pfadfindern aus norddeutschen CPD-Gruppen.

Mit den AGs gelang es mir, eine jahrgangsübergreifende Vernetzungen zwischen einigen

Schülern zu initiieren. Trotz der multikulturellen Schülerschaft kamen zu Beginn in erster

Linie Schüler aus deutschen Familien, in einer späteren Phase zusätzlich Schüler mit

osteuropäischen Hintergrund (Ukraine, Mazedonien, Polen, Russland). Es ist mir nicht

gelungen, muslimische Schüler für eine regelmäßige Teilnahme zu gewinnen. Einzelne AG-

Stunden – besonders die, die draußen stattfanden – wurde von ihnen jedoch interessiert

besucht. Ich bin mir sicher, dass man eine größere Heterogenität erreichen kann, wenn man in

der Findungsphase einen größeren Wert darauf legt.

Die gemeinsamen Fahrten und Lager wurden im Anschluss auf Photowänden dokumentiert

und der Schulgemeinde auf diesem Wege vorgestellt. Ferner erschienen Berichte in der

Schülerzeitung ‚Theo’. – Die erste AG wählte sich eine blaue Takelbluse und ein grün-graues

Page 74: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

74

Halstuch als gemeinsame Kluft. Beide AGs liefen im Laufe der Zeit unter dem Namen ‚Freie

Pfadfinderschaft Obervieland’ (kurz: ‚FPO’).

Seitens des Kollegiums gab es ein starkes Interesse an der Pfadfinder-AG, da sie den sozialen

Effekt der Gruppe erkannten. In Absprache mit einer Lehrerin wurde z.B. ein Schüler in die

erste Pfadfinder-AG vermittelt, der nach einem Schulwechsel Schwierigkeiten hatten,

Kontakte zu knüpfen. Dank der Vernetzung in der Pfadfindergruppe besserte sich die

Situation im Laufe der Monate. Es gelang ebenso den ‚unsicheren Schulschwänzer’ und die

Hörbehinderte zu integrieren.

Im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass die Titulierung als ‚Pfadfinder’-AG für die frühe

Gruppenfindungsphase recht einschränkend war, da das Ziel dadurch einengend vorgegeben

war. Die Ausbildung eines selbstbestimmten Arbeitsschwerpunkts im ‚bündischen’ Sinne

war nur begrenzt möglich. Abhilfe würde hier der flexiblere und umfassendere Begriff der

‚Schulschar’ leisten.

Mit zunehmender Dauer und mit Steigerung der gemeinsamen Erlebnisse erhöhte sich die

Verbindlichkeit des Erscheinens, und das Interesse an der Pfadfinder-Arbeit wurde in der AG-

Zeit im Grunde gerade erst geweckt. – Beide AGs sind seit dem Spätsommer 2005

eigenständige Pfadfindersippen im außerschulischen Bereich. Schülerinnen aus der ersten

‚Pfadfinder’-AG helfen mir bei der Führung der jüngeren Sippe und sollen diese eigenständig

im Frühjahr 2006 übernehmen.

Page 75: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

75

10. Zusammenfassung/ Aussicht

„Sie [die Schule] entlässt die jungen Menschen kenntnisreich, aber erfahrungsarm,

erwartungsvoll, aber orientierungslos, ungebunden, aber auch unselbständig.“257 schreibt H.

v. HENTIG in seinem Buch „Die Schule neu denken“.

Die ‚bündischen’ Elemente zeigen, dass sich die Schule durchaus Methoden und

Arbeitsweisen bedienen kann, die dem Schüler primäre Erfahrungen bieten, ihm eine

Orientierungshilfe an die Hand geben und seine Selbständigkeit fördern.

Die Methoden werden nun seit einem knappen Jahrhundert erfolgreich im außerschulischen

Bereich, sowie in reformpädagogisch geprägten Schulen in die Erziehungsarbeit mit

einbezogen.

Die Vorgaben und Rahmenbedingungen einer Regelschule sind zwar ungünstiger

einzuschätzen, dennoch ist die Nutzung der ‚bündischen’ Elemente durch interessierte Schüler

und Lehrer mehr als nur eine Alternative im Schulalltag. Bei den positiven Rückkopplungen

der gruppendynamischen Elemente für die Schulgemeinde und auch für die Beteiligten selber

liegt die Forderung nahe, zum einen die Rahmenbedingungen der Schule dahingehen zu

öffnen, dass sich ‚Schulscharen’ gründen und sie sich mit ihren Kompetenzen in das

Schulgeschehen einbringen können. Zum anderen sollten Schülergruppen von Lehrern

dahingehend gefördert werden, dass sie recht früh zu einer eigenständigen, autonomen

Gruppe werden, die bereit ist, Verantwortung für die Gemeinschaft und das Gemeinwohl der

Schule mitzutragen.

Besonders die gemeinsamen Fahrten und Lager, die in erster Linie von Schülern

hauptverantwortlich ausgearbeitet und umgesetzt werden, sind ein geeignetes Mittel, um die

Erziehung und Bildung ganzheitlich zu gestalten.

Mit Zuversicht und der Erkenntnis, dass ich aus meiner ‚bündischen’ Sozialisation sinnvolle

Arbeitsweisen und -methoden mitnehmen kann, mit der ich positive Impulse initiieren kann,

freue ich mich auf die Herausforderung des Lehrer-Daseins.

257 s. v. HENTIG, H. 1993, S.10

Page 76: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

76

11. Literaturverzeichnis

a) Bücher, Zeitschriften, Artikel:

AMLUNG, Ulrich „...in der Entscheidung gibt es keine Umwege – Adolf Reichwein“, Schüren Presseverlag, Marburg 1999, 2.Auflage

BADEN-POWELL, Robert „Pfadfinder“ – deutsche Übersetzung von „Scouting for Boys“, Ausgabe von 1946, Georg-Verlag, Neuss 1996, 3.Auflage

BECKER, Gerold/ KUNZE, Arnulf/ RIEGEL, Enja/ WEBER, Hajo „Die Helene-Lange-Schule, Wiesbaden – Das andere Lernen“, Bergmann & Helbig, Hamburg 1997

BÖLTS, Hartmut „Umwelterziehung – Grundlagen, Kritik und Modelle für die Praxis“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995

Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) „Dokumentation der Jahrestagungen 1993-1995“, Eigenverlag 1995

Bündische Akademie Lüdersburg (Hrsg.) „Dokumentation der Jahrestagung 1996“, Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 1997

CECONI, Christian/ FABIAN, Birgit/ HAHN, Thorsten “Spurbeginn – Dein Weg mit der Sippe”, Pfadverlag, Salzgitter 2003

Deutscher Pfadfinderbund (DPB) – Jungenschaft Schwarzer Adler (Hrsg.) „Gegen den Strom – Lieder aus dem Widerstand der Bündischen Jugend gegen den Nationalsozialismus“, Köln, Eigenvertrieb 1996

DUCKSTEIN, Wilfried „Uns geht die Sonne nicht unter“, edition aej, Stuttgart 1989

GEORGE, Siegfried „Erschließendes Denken“, Wochenschau Verlag, Schwabach/ Ts. 1993

GERR, Hans E. „Pfadfindererziehung“, Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 1996, 2.Auflage

GERR, Hans E. „Pfadfinden – Erziehungsziele, pädagogische Grundsätze und bedürfnisorientierte Arbeit in den Altersstufen“, Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 1998

GIESECKE, Hermann „Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend – Jugendarbeit zwischen Politik und Pädagogik“, Juventa Verlag, München 1981

GILSDORF, Rüdiger/ VOLKERT, Kathi (Hrsg.) „Abenteuer Schule“, Fachverlag Dr. Sandmann, Alling 1999

GRIESE, Christiane/ LOST, Christine „Einführung in den Themenschwerpunkt [VerREISEN – ErFAHREN]“ in „PÄD Forum – Unterrichten erziehen“ , 23.Jg. Heft 6/ Nov./ Dez. 2004, S.325-327

von der GROEBEN, Annemarie „Lernen in heterogenen Gruppen – Chance und Herausforderung“ in „Pädagogik“, 55.Jg. Heft 9/ Sept. 2003, S.6-9

HANSEN-SCHABERG, Inge/ SCHONIG, Bruno (Hrsg.) „Reformpädagogik – Geschichte und Rezeption“, Schneider Verlag, Hohengehren 2002

HANSEN-SCHABERG, Inge/ SCHONIG, Bruno (Hrsg.) „Landerziehungsheim-Pädagogik“, Schneider Verlag, Hohengehren 2002

Page 77: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

77

HECKMAIR, Bernd/ MICHL, Werner „Erleben und Lernen – Einstieg in die Erlebnispädagogik“, Hermann Luchterhand Verlag GmbH Neuwied 1998, 3.Auflage

Hessische Kindergruppenteamer (Hrsg.) „Mit Kindern im Sommerlager – Ein Leitfaden“, Verlag Jugend & Politik, Frankfurt am Main 1981

HOLLER, Eckhard „Ethische Orientierung in der Jugendbewegung“ in STICHWORT 2/99 – Zeitschrift für bündische Ältere, S.12-15

HOMFELDT, Hans Günther/ KÜHN, Arthur „Klassenfahrt“. Juventa Verlag, München 1981

ISENBERG, Wolfgang (Hrsg.) „Schule unterwegs – Ziele, Konzepte und Erfahrungen“, Thomas-Morus-Akademie Bensberg, Bergisch-Gladbach 1993

ISLAR, Kurt-Gerhard „Schulwandern und Klassenfahrten“, Aloys Hann Verlag KG, Kastellaun 1976

KERBS, Diethard/ REULECKE, Jürgen „Handbuch der deutschen Reformbewegungen: 1880-1933“, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1998

KICINSKI, Axel „Soziales Lernen in Ferienlager und Schullandheim“, Verlag Erziehung und Wissenschaft, Hamburg 1981

KLEIN, Irene/ RITTER, Klaus „Freizeit-Handbuch – Jugendarbeit mit Kindern lebendig gestalten“, Auer Verlag, Donauwörth 2001

KLÖNNE, Arno „Jugend im Dritten Reich – Die Hitler-Jugend und ihre Gegner“, R. Piper GmbH & Co. KG, München 1995

KLOSE, Werner „Lebensformen deutscher Jugend – vom Wandervogel zur Popgeneration“, Günter Olzog Verlag, München 1970

KNEIP, Rudolf „Jugend der Weimarer Zeit – Handbuch der Jugendverbände 1919-1938“, dipa Verlag, Frankfurt am Main 1974, 1.Auflage

KNOLL, M. „Paradoxien der Projektpädagogik – Zur Geschichte und Rezeption der Projektmethode in den USA und in Deutschland“ in „Zeitschrift für Pädagogik“, Heft 5785, S.663-674

KOPPMANN, Jörn „Adolf Reichweins Reformpädagogik“, Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied; Kriftel; Berlin 1998

KRÜGER, Jürgen „Mit Schülern unterwegs“, Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1976

LANGENHORST, Berthold „Waldscout und Waldranger – Naturbildung macht Schule“ in „Unterricht Biologie“ Heft 305/ Juli 2005, S.18-22

Ludwigsteiner Blätter – Zeitschrift der Vereinigung Jugendburg Ludwigstein e.V. (Hrsg.) „Jugendbewegte Erziehungsideale in unserer Zeit“, S.28-31, Eigenvertrieb/ Witzenhausen, Heft 227/ Juni 2005

MALZACHER, Florian/ DAENSCHEL, Matthias „Jugendbewegung für Anfänger“, Südmarkverlag, Witzenhausen 1993

MEBUS, Gundula „Anregung zum Umgang mit kultureller Heterogenität“ in „Pädagogik“, 55.Jg. Heft 9/ Sept. 2003, S. 28-31

Page 78: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

78

MEIER-GANTENBEIN, Karl F. „Ermöglichen statt erziehen – Bausteine einer erlebnispädagogischen Didaktik“, Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau 2000

MICHL, Werner (Hrsg.)/ SCHÖDLBAUER, Cornelia/ PAFFRATH, F. Hartmut „Metaphern – Schnellstraßen, Saumpfade und Sackgassen des Lernens“, ZIEL GmbH, Augsburg 1999

MÜLLER, C. Wolfgang „Gruppenpädagogik – Auswahl aus Schriften und Dokumenten“, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1973, 3.Auflage

OELKERS, Jürgen „Reformpädagogik – Eine kritische Dogmengeschichte“, Juventa Verlag, Weinheim und München 1996, 3.Auflage

PALLAT, Gabriele C./ REICHWEIN, Roland/ KUNZ, Lothar (Hrsg.) „Adolf Reichwein: Pädagoge und Widerstandskämpfer – Ein Lebensbild in Briefen und Dokumenten (1914-1944), Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1999

Pfadfinderbund Bayern e.V. (Hrsg.) „Baustein: Die Sippe“, Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 1991, 1.Auflage

Pfadfinderbund Weltenbummler e.V. (Hrsg.) „Aufbruch: Baustein für Ranger und Rover“, Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 2001

PIRON, Harald „Meditation und ihrer Bedeutung für die seelische Gesundheit“, BIS Verlag, Oldenburg 2003

RAABE, Felix „Die Bündische Jugend – Ein Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik“, Brentanoverlag, Stuttgart 1961

REINERS, Annette „Praktische Erlebnispädagogik – Neue Sammlung motivierender Interaktionsspiele“, Kesseler Verlag, Bobingen, 2000, 5.Auflage

ROESNER, Florian „Bündische Pädagogik gibt es nicht! – Gedanken zu einer Schnittstelle“ in OSO-Nachrichten/ Odenwaldschule 2002, Heft 70, S.68+69

ROTHE, Friedrich Karl „Heranwachsen in bündischen Geist“, Spurbuchverlag, Baunach 2002

SCHMID, Jakob R. „Freiheitspädagogik – Schulreform und Schulrevolution in Deutschland 1919-1933“,Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek/ Hamburg 1973 – Original von 1936 unter dem Titel: „Le maitre-camarade et la pédagogie libertaire“

SEIDELMANN, Karl „Die deutsche Jugendbewegung“, Verlag Julis Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1966

STRUNK, Piet „Mein Pfadfinderbuch“, Wenzel Verlag, Marburg 1995

TREZIAK, Ulrike „Deutsche Jugendbewegung am Ende der Weimarer Republik: Verhältnis von bündischer Jugend zum Nationalsozialismus“, dipa-Verlag, Frankfurt/ Main 1986

Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) (Hrsg.) „Spuren – Materialien für die Gruppe: Lager“, Eigenvertrieb, Kassel 1988

Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) (Hrsg.) „Spuren – Materialien für die Gruppe: Suchen – Entdecken – Begegnen: Pfadfinderinnen und Pfadfinder international“, Eigenvertrieb, Kassel 1996

Page 79: Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des ...nord-com.net/olaf.emig/Examenarbeit_Schulpadagogik.pdf · Biographie von Lord BADEN-POWELL mit Schwerpunkt auf Gründung

Der pädagogische Wert der (bündischen) Fahrt und des Lagers am Beispiel der ‚Schulschar’ - über den Einfluss von Jugendbewegung und Reformpädagogik auf heutige pädagogische Konzepte

79

von HENTIG, Hartmut „Die Schule neu denken“, Carl Hanser Verlag, München und Wien 1993

WEIßLER, Sabine (Hrsg.) „Fokus Wandervogel: Der Wandervogel und seine Beziehungen zu den Reformbewegungen vor dem Ersten Weltkrieg“, Jonas Verlag, Marburg 2001

World Organization of Scout Movement (WOSM) (Hrsg.) „Die Grundlagen der Pfadfinderbewegung”, Eigenverlag, Brüssel 1994

WORM, Heinz-Lothar „Reparaturwerkstatt Schule – Plädoyer für einen Verbund von Kompensations- und Erlebnispädagogik“, edition erlebnispädagogik, Lüneburg 1995

Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hrsg.) „Handbuch des Pionierleiters“, Verlag Neues Leben, Berlin 1952

b) genutzte Internet-Adressen

��www.artaban.info – Internetseite des Bundes ‚Freie Fahrtengemeinschaft Artaban’

��www.scout.info – Internetseite der World Organization of Scout Movement (WOSM)/ Weltpfadfinderverband

��www.c-p-d.info - Internetseite der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands (CPD)

��www.dpsg.de – Internetseite der katholischen Deutschen Pfadfinderschaft St.Georg (DPSG)

��www.helene-lange-schule.de – Internetseite der Helene-Lange-Schule, Wiesbaden (Versuchsschule)

��http://laborschule.de – Internetseite der Laborschule in Bielefeld (Versuchsschule)

c) sonstige Quellen

��SVBl 7/97 - Schulverwaltungsblatt für Niedersachsen (Amtsblatt des Niedersächsischen Kultusministeriums für Schule und Schulverwaltung)