Der Schleifer vom alten Strom

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Der Schleifer vom alten Strom Seit über 20 Jahren werkelt ein Mann an Scheren, Messer und anderen Werkzeugen. Er schleift, poliert, entgratet und repariert fast alles was ihm zwischen die Finger kommt. Kaum einer beherrscht dieses uralte Handwerk noch, kaum einer weiß von der Existenz seiner Schleiferei. Die Schleifer am Strom ist hier der Letzte seiner Art. Günther Scarbarth ist gelernter Werkzeugmacher. Nach der Schule ist er zur See gefahren und war dort als Schiffsingenieur tätig. Nicht allzu lange, durch eine Operation am Auge war die Seetauglichkeit nicht mehr gegeben. Seine Frau war damals leitende Schwester in der orthopädischen Klinik. Dort gab es öfter einige Instrumente, die repariert werden mussten, was aber vom damaligen Dienstleistungskombinat nicht gemacht wurde. Da der Warnemünder ein gewisses Händchen durch Ausbildung, vor allen Dingen aber Talent für Angelegenheiten dieser Art hat, wurde er gebeten sich dieser klinischen Werkzeuge anzunehmen. Dabei handelte es sich vorwiegend um Skalpelle, die ungeschärft selbstverständlich nicht einsetzbar waren. In der DDR lebend, profitierte er davon, dass die Verhältnisse damals nicht zuließen, die Operationsmesser wie im Westen einfach wegzuwerfen. Zuerst nur nebenbei und unter der Hand, doch die Nachfrage wurde größer und stetig wuchs die Zahl der Branchen und damit auch der Kunden für die er arbeitete. So wurde aus Hobby und Nebentätigkeit ab Mai ´89 ein Beruf. Das wurde der Startschuss zur Selbstständigkeit und die heute immer noch existierende Schleiferei wurde eröffnet. Schnell baute sich Scarbarth Beziehungen zu großen Messer- und Scherenherstellern auf und verkaufte diese in seinem Laden. Das Besondere ist, dass diese Messer weder im normalen Fachhandel noch bei den Herstellern direkt erhältlich sind. So verwiesen die Messermanufakturen einfach auf den Laden am alten Strom im Seebad. Das ist in jedem Falle vorteilhaft. Das lief auch lange gut, doch mit den Jahren und dem Pensionsantritt ging die Kosten-Nutzen-Rechnung schlichtweg nicht mehr auf. Als ein vom Aussterben bedrohtes Handwerk, interessiert mich sehr, was heutzutage in der Schleiferei so vorgeht. Die kurze Reise führt mich also nach Warnemünde ans Wasser. Der heute rüstige Rentner begrüßt mich herzlich vor seiner im Hinterhof gelegenen Werkstatt. Mir fällt die riesige Voliere im Garten auf. Solch’ fliegende Bewohner hab ich noch nie gesehen. Erinnert an spontan an eine Kreuzung aus Wachtel und Spatz. Wir verharren aber erst gar nicht lange und betreten die gemütliche, kleine Werkstatt. Kurz erklärt mir Scarbarth die Räumlichkeit, bevor der Journalist in mir ihn mit Fragen löchert. Nach der „Fragestunde“ geht es in den praktischen Teil über: Ich darf dem Meister bei der Arbeit zusehen. Zur Vorführung greift sich der Schleifer ein Messer. Das hat offensichtlich schon bessere Tage erlebt, aber „für eine Demonstration reicht es allemal“. Er setzt sich vor die so genannte Nassbandschleifmaschine. Zwei verschiedene Schleifbänder sind dort installiert, ein grobes und ein feines. Das Grobe für die Härtefälle und das Feine für den „normalen“ Schärfeschliff. „Ganz wichtig ist die Kühlung des Messers“, erklärt mir Scarbarth. Während des Schleifens entsteht ein kleiner Grat. Das sind unschöne Kanten, die entfernt werden müssen. Dafür muss an einer anderen Maschine poliert werden. Poliert wird trocken, hier wird mit Abluft gekühlt. Die Scheibe besteht aus Filz und Schleifpaste. Durch die Weichheit der Scheibe fliegt das abgetragene Material spürbar in der Gegend herum. Ein Mundschutz ist normalerweise von Nöten, aber dieser scheint verschollen und für diese kurze Zeit geht es dann auch ohne. Der Vorgang geht wesentlich leiser als das Schleifen von statten. Meine Ohren danken es mir. In der Werkstatt von Günther Scarbarth wird auch Scheren zwar nicht zu neuem Glanz, aber neuer Schärfe verholfen. „Das Polieren der Schere ist aufwendig und teuer, vor alledem unnötig. Dadurch schneidet sich auch nicht besser“. Wo er Recht hat, hat er Recht. Zur Darbietung seines Könnens, krallt er sich seine private Schere. Die ist an sich in Ordnung, doch für mich geht er alle Schritte der Reparatur und des Schleifens durch. In den meisten Fällen kommen die Scheren entweder mit rostigen Stellen zu ihm oder die Bewegungsfähigkeit der Schneiden ist eingeschränkt. Der erste Schritt ist die Zerlegung der Schere. Dafür muss die Schraube die beiden Schneiden zusammenhält, gelöst werden. Dann wird gesäubert und geschliffen. Eine Vielzahl an Kniffen ist zu beachten. Die Schere ist in der Länge leicht gebogen, was das Schleifen noch schwieriger macht. Beim Scherenschleifen wird außerdem nicht gekühlt, damit die Schleifspur besser zu sehen ist. „Besonders pingelig sind die Schneider, aber das ist in Ordnung so“, berichtet Scarbarth von seinem Kundenklientel während er vor dem Schleifband sitzt. Die Hände sind vom Leben, von seiner Arbeit gezeichnet. Im positiven Sinne. Leicht angeschwollen, mit Hornhaut übersäht, die Fingernägel sind lang und teilweise schmutzig. Die Nägel gehören zu seinem Werkzeug: „Die brauche ich um die Schärfe des Messers oder Schere zu testen. Ganz zum Leidwesen meiner Frau“. Nach dem Schliff wird Schafwollfett für das Loch verwendet, damit die Schraube die dort wieder eingeführt wird, nicht schneller abnutzt. Das ist besonders dünnflüssiges und säurefreies Fett, was zusätzlich zur Schonung der Schere beiträgt. Die Ersatzteile, wie Schrauben, Schleifscheiben haben sich im Laufe der Jahre angesammelt oder zur Not aus dem Messermekka Solingen bestellt. Gelegentlich ist es gar nicht nötig diese zu benutzen, zumindest wenn „die Schere gut war. Gut, bedeutet nicht so ganz billig, dann ist sie aber gut für alle Zeiten. Die geht nicht kaputt“. Nachdem die einzelnen Arbeitsschritte durchgeführt sind, geht es zum Zusammenbau und natürlich dem großen Schärfetest. Dazu nimmt sich der Mann einen alten Putzlappen von der Werkbank und schneidet heiter drauf los: „Die Schere muss durch den Stoff fallen, sonst ist sie nicht scharf genug“, klärt mich der Handwerker auf. Nun ist erstmal des Schaulaufens Ende erreicht. Mir werden die Reste des damaligen Ladens gezeigt. In zwei Vitrinen werden die Messer und Scheren der verschiedenen Hersteller aufbewahrt. Vom japanischen Küchenmesser bis zur professionellen Nagelschere ist alles dabei. Exemplarisch zeigt er mir eine Friseurschere: „Die Friseure denken, dass die Scheren hier zu günstig sind um gut zu sein. Das stimmt aber nicht, sie werden von Vertretern übers Ohr gehauen. Die gleiche Schere, die hier für 63 € verkauft wird, bieten die Vertriebler für über 100 € an. Zum Teil kommen diese Herren und Damen sogar zu mir, lassen die Scheren schleifen und verkaufen sie dann in den Friseurläden“.

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Reportag ezum Thema "Der letzte seiner Art - Handwerk" von Andreas Fromm

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Der Schleifer vom alten StromSeit über 20 Jahren werkelt ein Mann an Scheren, Messer und anderen Werkzeugen. Er schleift, poliert, entgratet und repariert fast alles was ihm zwischen die Finger kommt. Kaum einer beherrscht dieses uralte Handwerk noch, kaum einer weiß von der Existenz seiner Schleiferei. Die Schleifer am Strom ist hier der Letzte seiner Art.

Günther Scarbarth ist gelernter Werkzeugmacher. Nach der Schule ist er zur See gefahren und war dort als Schiffsingenieur tätig. Nicht allzu lange, durch eine Operation am Auge war die Seetauglichkeit nicht mehr gegeben. Seine Frau war damals leitende Schwester in der orthopädischen Klinik. Dort gab es öfter einige Instrumente, die repariert werden mussten, was aber vom damaligen Dienstleistungskombinat nicht gemacht wurde. Da der Warnemünder ein gewisses Händchen durch Ausbildung, vor allen Dingen aber Talent für Angelegenheiten dieser Art hat, wurde er gebeten sich dieser klinischen Werkzeuge anzunehmen. Dabei handelte es sich vorwiegend um Skalpelle, die ungeschärft selbstverständlich nicht einsetzbar waren. In der DDR lebend, profitierte er davon, dass die Verhältnisse damals

nicht zuließen, die Operationsmesser wie im Westen einfach wegzuwerfen. Zuerst nur nebenbei und unter der Hand, doch die Nachfrage wurde größer und stetig wuchs die Zahl der Branchen und damit auch der Kunden für die er arbeitete. So wurde aus Hobby und Nebentätigkeit ab Mai ´89 ein Beruf. Das wurde der Startschuss zur Selbstständigkeit und die heute immer noch existierende Schleiferei wurde eröffnet.Schnell baute sich Scarbarth Beziehungen zu großen Messer- und Scherenherstellern auf und verkaufte diese in seinem Laden. Das Besondere ist, dass diese Messer weder im normalen Fachhandel noch bei den Herstellern direkt erhältlich sind. So verwiesen die Messermanufakturen einfach auf den Laden am alten Strom im Seebad. Das ist in jedem Falle vorteilhaft. Das lief auch lange gut, doch mit den Jahren und dem Pensionsantritt ging die Kosten-Nutzen-Rechnung schlichtweg nicht mehr auf. Als ein vom Aussterben bedrohtes Handwerk, interessiert mich sehr, was heutzutage in der Schleiferei so vorgeht. Die kurze Reise führt mich also nach Warnemünde ans Wasser. Der heute rüstige Rentner begrüßt mich herzlich vor seiner im Hinterhof gelegenen Werkstatt. Mir fällt die riesige Voliere im Garten auf. Solch’ fliegende Bewohner hab ich noch nie gesehen. Erinnert an spontan an eine Kreuzung aus Wachtel und Spatz. Wir verharren aber erst gar nicht lange und betreten die gemütliche, kleine Werkstatt. Kurz erklärt mir Scarbarth die Räumlichkeit, bevor der Journalist in mir ihn mit Fragen löchert.Nach der „Fragestunde“ geht es in den praktischen Teil über: Ich darf dem Meister bei der Arbeit zusehen. Zur Vorführung

greift sich der Schleifer ein Messer. Das hat offensichtlich schon bessere Tage erlebt, aber „für eine Demonstration reicht es allemal“. Er setzt sich vor die so genannte Nassbandschleifmaschine. Zwei verschiedene Schleifbänder sind dort installiert, ein grobes und ein feines. Das Grobe für die Härtefälle und das Feine für den „normalen“ Schärfeschliff.

„Ganz wichtig ist die Kühlung des Messers“, erklärt mir Scarbarth. Während des Schleifens entsteht ein kleiner Grat. Das sind unschöne Kanten, die entfernt werden müssen. Dafür muss an einer anderen Maschine poliert werden. Poliert wird trocken, hier wird mit Abluft gekühlt. Die Scheibe besteht aus Filz und Schleifpaste. Durch die Weichheit der Scheibe fliegt das abgetragene Material spürbar in der Gegend herum. Ein Mundschutz ist normalerweise von Nöten, aber dieser scheint verschollen und für diese kurze Zeit geht es dann auch ohne. Der Vorgang geht wesentlich leiser als das Schleifen von statten. Meine Ohren danken es mir. In der Werkstatt von Günther Scarbarth wird auch Scheren zwar nicht zu neuem Glanz, aber neuer Schärfe verholfen. „Das Polieren der Schere ist aufwendig

und teuer, vor alledem unnötig. Dadurch schneidet sich auch nicht besser“. Wo er Recht hat, hat er Recht. Zur Darbietung seines Könnens, krallt er sich seine private Schere. Die ist an sich in Ordnung, doch für mich geht er alle Schritte der Reparatur und des Schleifens durch. In den meisten Fällen kommen die Scheren entweder mit rostigen Stellen zu ihm oder die Bewegungsfähigkeit der Schneiden ist eingeschränkt. Der erste Schritt ist die Zerlegung der Schere. Dafür muss die Schraube die beiden Schneiden zusammenhält, gelöst werden. Dann wird gesäubert und geschliffen. Eine Vielzahl an Kniffen ist zu beachten. Die Schere ist in der Länge leicht gebogen, was das Schleifen noch schwieriger macht. Beim Scherenschleifen wird außerdem nicht gekühlt, damit die Schleifspur besser zu sehen ist. „Besonders pingelig sind die Schneider, aber das ist in Ordnung so“, berichtet Scarbarth von seinem Kundenklientel während er vor dem Schleifband sitzt. Die Hände sind vom Leben, von seiner Arbeit gezeichnet. Im positiven Sinne. Leicht angeschwollen, mit Hornhaut übersäht, die Fingernägel sind lang und teilweise schmutzig. Die Nägel gehören zu seinem Werkzeug: „Die brauche ich um die Schärfe des Messers oder Schere zu testen. Ganz zum Leidwesen meiner Frau“. Nach dem Schliff wird Schafwollfett für das Loch verwendet, damit die Schraube die dort wieder eingeführt wird, nicht schneller abnutzt. Das ist besonders dünnflüssiges und säurefreies Fett, was zusätzlich zur Schonung der Schere beiträgt. Die Ersatzteile, wie Schrauben, Schleifscheiben haben sich im Laufe der Jahre angesammelt oder zur Not aus dem Messermekka Solingen bestellt. Gelegentlich ist es gar nicht nötig diese

zu benutzen, zumindest wenn „die Schere gut war. Gut, bedeutet nicht so ganz billig, dann ist sie aber gut für alle Zeiten. Die geht nicht kaputt“.Nachdem die einzelnen Arbeitsschritte durchgeführt sind, geht es zum Zusammenbau und natürlich dem großen Schärfetest. Dazu nimmt sich der Mann einen alten Putzlappen von der Werkbank und schneidet heiter drauf los: „Die Schere muss durch den Stoff fallen, sonst ist sie nicht scharf genug“, klärt mich der Handwerker auf.Nun ist erstmal des Schaulaufens Ende erreicht. Mir werden die Reste des damaligen Ladens gezeigt. In zwei Vitrinen werden die Messer und Scheren der verschiedenen Hersteller aufbewahrt. Vom japanischen Küchenmesser bis zur professionellen Nagelschere ist alles dabei. Exemplarisch zeigt er mir eine Friseurschere: „Die Friseure denken, dass die Scheren hier zu günstig sind

um gut zu sein. Das stimmt aber nicht, sie werden von Vertretern übers Ohr gehauen. Die gleiche Schere, die hier für 63 € verkauft wird, bieten die Vertriebler für über 100 € an. Zum Teil kommen diese Herren und Damen sogar zu mir, lassen die Scheren schleifen und verkaufen sie dann in den Friseurläden“.