Der Spiegel 2013 30 Snowden

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    Kanzlerin Merkel vor der Bundespressekonferenz am vergangenen Freitag

    Der fleiige PartnerDie NSA-Affre rckt an die Kanzlerin heran. Angela Merkel will erst aus der Presse

    von der Abhrmanie der US-Regierung erfahren haben dabei nutzen deutsche Geheimdienste eines der ergiebigsten NSA-Schnffelwerkzeuge selbst.

    Auszug aus dem Snowden-Archiv: Deutsche Datenschutzgesetze aufgeweicht

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  • Es waren zwei geschftige Tage frdie Abhrspezialisten des Bundes-nachrichtendienstes. Ende Aprilflog eine zwlfkpfige, hochrangig be-setzte Reisegruppe des BND in die USA,sie besuchte das Herz des globalen ame-rikanischen Abhrimperiums: die Natio-nal Security Agency (NSA). Was die De-legation dort wollte, steht in einem alstop secret klassifizierten NSA-Papier:BND-Chef Gerhard Schindler, heit esdarin, habe wiederholt seinen dringen-den Wunsch geuert, enger mit derNSA ins Geschft zu kommen. Die Deut-schen suchten Fhrung und Rat.

    Der Wunsch wurde offenbar erfllt.Spitzenkrfte aus dem Foreign Affairs Directorate der NSA umsorgten die deut-sche Delegation. Die Amerikaner organi-sierten eine Strategische Planungskon-ferenz, um die Partner aus Deutschlandauf den letzten Stand zu bringen.

    Einer der Hhepunkte war fr denNachmittag vorgesehen: Nach mehrerenVortrgen zu aktuellen Methoden derDatenbeschaffung (Data Acquisition)referierten Fhrungskrfte der Einheitspezielle Quellen, intern SSO ge-nannt. Sie gehrt zum Geheimsten derGeheimen, es ist die Abteilung, die zumDatenabschpfen unter anderem mit IT-Unternehmen paktiert. Der WhistleblowerEdward Snowden bezeichnet diese Elite-einheit als Kronjuwelen der NSA.

    Es war nicht die erste Fortbildungsreisedeutscher Geheimdienstler ber den At-lantik in diesem Frhling 2013 und auchnicht die letzte. Tatschlich belegen Do-kumente, die der SPIEGEL einsehen konn-te, dass in der Regierungszeit von Kanzle-rin Angela Merkel (CDU) die Zusammen-arbeit zwischen Berlin und Washingtonauf dem Gebiet der digitalen Aufklrungund Abwehr erheblich intensiviert wurde.Die Deutschen, so heit es in einem Do-kument, seien entschlossen, die Koopera-tion zu festigen und auszubauen.

    Das sind heikle Nachrichten fr AngelaMerkel. Bisher pltscherte der Wahl-kampf in Deutschland trge vor sich hin,jetzt scheint er ein Thema gefunden zuhaben: die Gier der Amerikaner nach Da-ten. In den vergangenen Tagen wurdendie Angriffe der Opposition heftiger. Zu-erst warf Kanzlerkandidat Peer Stein-brck (SPD) der Kanzlerin vor, ihrenAmtseid gebrochen zu haben, weil sie dieGrundrechte der Deutschen nicht zuschtzen wisse. Jetzt sagt SPD-ParteichefSigmar Gabriel: Merkel ist eine Schn-rednerin, die die Bevlkerung einlullt.Mittlerweile sei erwiesen, so Gabriel, dassdie Bundesregierung von den Machen-schaften der NSA gewusst habe.

    Aber es sind nicht so sehr die Attackender SPD, die der Kanzlerin Sorgen berei-ten. Die eigentliche Gefahr droht fr sievon innen. Merkel hat sich sehr frh dar -auf festgelegt, dass die Regierung nichts

    vom dem Treiben der NSA wusste. Bevorsie sich vorigen Freitag in den Urlaub ver-abschiedete, beteuerte sie das erneut.

    Daran wird sie nun gemessen. Internargumentieren Merkels Leute, ihr sei jagar nichts anderes brig geblieben, alssich so klar festzulegen. Schlielich htten sowohl der Chef des Bundesnachrichten-dienstes (BND) als auch der Prsident desVerfassungsschutzes versichert, dass siekeine genaueren Kenntnisse von demSphprogramm Prism und der Daten-sammelwut der Amerikaner htten. Mitwelcher Begrndung solle die Kanzlerindieser Einschtzung widersprechen?

    Aber mit jedem Tag wchst in der Re-gierungszentrale die Furcht, dass amEnde doch ein Papier auftauchen knnte,das die Mitwisserschaft der Regierung be-legt.

    Aber kommt es darauf berhaupt nochan? Was wre schlimmer? Von einem Ka-binett regiert zu werden, das den Brgernseine Mitwisserschaft verschweigt? Odereine Kanzlerin und Minister zu haben,deren Geheimdienste ein Eigenleben fh-ren, auerhalb der Kontrolle von Regie-rung und Parlament? Denn interne Do-kumente der NSA belegen, dass die Ame-rikaner und die deutschen Dienste engerzusammenarbeiten als bisher bekannt.Die seit Wochen mantrahaft vorgetrageneBeteuerung von Regierung und Geheim-diensten, man wisse gar nicht genau, was

    die Abhrspezialisten aus den USA trie-ben, lsst sich angesichts der nun erstmalsvom SPIEGEL ausgewerteten Dokumen-te aus dem Archiv des amerikanischenWhistleblowers Snowden kaum aufrecht-erhalten.

    Demnach spielen neben dem BNDnmlich das Bundesamt fr Verfassungs-schutz (BfV) und das in Bonn ansssigeBundesamt fr Sicherheit in der Informa-tionstechnik (BSI) eine zentrale Rolle imAustausch der Dienste, die NSA sprichtvon ihnen gar als Schlsselpartnern.

    Dem Inlandsgeheimdienst BfV stelltendie Amerikaner eines ihrer ergiebigstenSchnffelwerkzeuge zur Verfgung: einSystem namens XKeyscore. Es ist jenesSpionageprogramm, mit dem die NSAselbst einen Groteil der monatlich biszu 500 Millionen Datenstze aus Deutsch-land erfasst, auf die sie internen Doku-menten zufolge Zugriff hat (SPIEGEL27/2013).

    Darber hinaus zeigen die Unterlagen,welche Anstrengungen die deutschenDienste und die Politik unternahmen, umnoch enger als bisher mit den Amerika-nern ins Geschft zu kommen. Das gilt

    vor allem fr den Umgang mit dem G-10-Gesetz, das festlegt, unter welchen Be-dingungen deutsche Brger abgehrt wer-den drfen. So heit es in einem alsstreng geheim deklarierten Papier derAgency von diesem Januar unter der Ru-brik Success stories (Erfolgsgeschich-ten): Die deutsche Regierung hat ihreAuslegung des G-10-Gesetzes gendert,um dem BND mehr Flexibilitt bei derWeitergabe geschtzter Daten an ausln-dische Partner zu ermglichen.

    Die Behauptung von der Unwissenheitder deutschen Dienste ist schon deshalbwenig glaubwrdig, weil diese seit Jahr-zehnten mit den Amerikanern zusam-menarbeiten. Bereits im Jahr 1962 habedie Kooperation der offensiven Abteilun-gen der NSA und der Technischen Auf-klrung des BND begonnen, so heit esin einem NSA-Papier aus dem Januar.

    Die Amerikaner sind berwiegend zu-frieden mit den Deutschen. ber Jahr-zehnte hatte man sich in Washington berdie braven deutschen Spione lustig ge-macht, die immer eine Rechtsverordnungzur Hand hatten, mit der sie begrndenkonnten, warum sie bei einer heiklenOperation leider nicht mitmachen durf-ten. Die Amerikaner nervte das zwar,aber am Ende blieb ihnen nichts, als eszu akzeptieren.

    Doch in jngster Zeit hat sich etwasverndert, das zeigen die Snowden-Do-

    kumente. Aus den deutschen Brokratenwurden echte Schlapphte.

    Vor allem im Laufe des Jahres 2012habe der Partner groen Eifer an denTag gelegt, seine berwachungskapazi-tten zu verbessern, und sogar Risikenin Kauf genommen, um US-Informa -tionsbedrfnisse zu befriedigen, heites in den NSA-Papieren, die der SPIE-GEL einsehen konnte.

    Der Schwenk hin zu einer offensiverendeutschen Sicherheitspolitik begann be-reits 2007. Damals regierte in Berlin dieGroe Koalition. Den deutschen Behr-den gingen aufgrund eines Hinweisesder NSA an den Verfassungsschutz Is-lamisten der sogenannten Sauerland- Zelle um den Konvertiten Fritz Gelowiczins Netz. Dieser hatte mit Freunden inDeutschland Bomben znden wollen. Frden Hinweis ist die Bundesregierung denAmerikanern bis heute dankbar.

    Der Fahndungserfolg habe ein hohesMa an Vertrauen zwischen NSA undVerfassungsschutz gebildet, heit es indem NSA-Dokument. Seitdem gebe eseinen regelmigen amerikanisch-deut-schen Analyse-Austausch und eine enge-

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    Der deutsche Partner habe groen Eifer

    an den Tag gelegt, lobt die NSA.

  • re Kooperation bei der Verfolgung vondeutschen wie nichtdeutschen Extremis-ten. Die NSA habe mehrere Schulungenfr Beamte des Verfassungsschutzes ab-gehalten, um die Fhigkeiten der Deut-schen auszubauen, heimische Daten zugewinnen, zu filtern und weiterzuverar-beiten. Am besten sollten Schnittstellengeschaffen werden, um den Datenaus-tausch in grerem Umfang zu ermgli-chen. Von dieser engen Form der Zusam-menarbeit knnten sowohl Deutschlandals auch die USA profitieren.

    Der Pakt vertieft sich auch auf deut-schem Boden: Ein NSA-Analyst, der alsDiplomat an der amerikanischen Bot-schaft am Brandenburger Tor akkreditiertist, bezieht einmal pro Woche im BfV einBro. Aufgabe des NSA-Mannes ist demPapier zufolge, die gedeihliche Beziehung

    zum deutschen Verfassungsschutz zunhren und natrlich amerikanischeWnsche einzubringen. Zudem richte-ten die Deutschen einen Communica -tions link zur NSA ein, um die Verbin-dung der Dienste zu verbessern.

    Auch der persnliche Austausch ist in-tensiv. Allein im vergangenen Mai, nurwenige Wochen bevor die Enthllungenvon Edward Snowden begannen, besuch-ten Verfassungsschutzchef Hans-GeorgMaaen, Innenminister Hans-Peter Fried-rich und die zwlfkpfige Delegation desBND die NSA-Zentrale. Umgekehrt reis-te im selben Monat NSA-Chef Keith Alex -ander nach Berlin und machte auch einenZwischenstopp im Kanzleramt, das dieAufsicht ber den BND fhrt.

    Und es blieb nicht nur bei regem Rei-severkehr. Aus den Snowden-Akten geht

    hervor, dass die NSA das Bundesamt frVerfassungsschutz mit XKeyscore ausge-stattet hat und dass auch der BND dasWerkzeug bestens kennt, schlielich soller die Kollegen vom deutschen Inlands-geheimdienst im Umgang mit dem Spio-nageprogramm unterweisen. Das BfV solle vor allem deshalb mit XKeyscoreausgerstet werden, um dessen Fhig-keit auszubauen, die NSA bei der gemein-samen Terrorbekmpfung zu unter -sttzen.

    Was XKeyscore schon vor fnf Jahrenalles konnte, erschliet sich aus einer topsecret eingestuften Prsentation vom 25. Februar 2008, die fast schon die Formeiner Werbebroschre hat offenbar sinddie amerikanischen Spione sehr stolz aufdas System.

    Es sei einfach zu bedienen und er-mgliche Aussphungen von rohem Da-tenverkehr wie kein anderes System,heit es dort. In einer der NSA-Folienmit dem Titel Was ist XKeyscore? istzu erfahren, das Programm verfge bereinen Zwischenspeicher, der fr mehrereTage einen full take aller ungefiltertenDaten aufnehmen knne. Im Klartext:XKeyscore registriert nicht nur Verbin-dungsdaten; es kann wohl zumindest teil-weise Kommunikationsinhalte erfassen.

    Zudem lsst sich mit dem System rck-wirkend sichtbar machen, welche Stich-wrter Zielpersonen in Internetsuchma-schinen eingaben und welche Orte sieber Google Maps suchten.

    Das Programm, fr das es verschiedeneErweiterungen (Plug-ins) gibt, kann of-fenbar noch mehr. So lassen sich Nut-zeraktivitten nahezu in Echtzeit verfol-gen und Anomalien im Internetverkehraufspren. Wenn das stimmt, bedeutetdas: XKeyscore ermglicht annhernd diedigitale Totalberwachung.

    Aus hiesiger Sicht ist das besonders brisant. Denn von den rund 500 MillionenDatenstzen aus Deutschland, auf die dieNSA monatlich Zugriff hat, wurden bei-spielsweise im Dezember 2012 rund 180Millionen von XKeyscore erfasst.

    Das wirft Fragen auf: Hat die NSA da-mit nicht nur Zugriff auf Hunderte Mil-lionen Datenstze aus Deutschland, son-dern zumindest tageweise auch aufeinen full take, also auch deutscheKommunikationsinhalte? Knnen BNDund Verfassungsschutz ber ihre XKey -score-Ausfhrungen auf die NSA-Daten-banken zugreifen und damit auf die dortgespeicherten Daten deutscher Brger?

    Wre das der Fall, dann knnte die Re-gierung kaum behaupten, sie wisse nichtsvom Sammeleifer der Amerikaner.

    Der SPIEGEL hat beide Dienste unddas Bundeskanzleramt dazu befragt. Antworten zum Einsatz des Systems gab es nicht. In einer Reaktion des BND heit es lapidar, zu Einzelheiten der nach richtendienstlichen Ttigkeit

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    Verfassungsschutzchef Maaen, Innenminister Friedrich: Verlsslicher Partner

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  • knne man leider ffentlich nicht Stellungnehmen.

    hnlich einsilbig gaben sich auf An -frage auch NSA und Weies Haus: DenWorten Barack Obamas bei seinem jngs-ten Besuch in Berlin sei nichts hinzuzu-fgen.

    Mit den neuen Enthllungen rckendie Prsidenten von BND und Verfassungs -schutz ebenfalls in das Blickfeld: GerhardSchindler und Hans-Georg Maaen. Bei-de sind vergleichsweise neu in ihrem Amt.Aber vor allem der seit Januar 2012 am-tierende BND-Prsident Schindler hatschon seinen Fuabdruck hinterlassen. Ersteht fr den neuen, offensiveren Kursdes Auslandsgeheimdienstes, den dieNSA ausdrcklich lobt. Schindlers Ei-fer, heit es in den NSA-Dokumenten,habe man schon 2012 willkommen ge-heien.

    Die neue Devise hatte der forsche BND-Chef zu Amtsbeginn in einen Satz gepackt,den in Amerika jedes Schulkind kennt:No risk, no fun. Intern forderte er jedeAbteilung des BND auf, sie solle drei Vor-schlge fr gemeinsame Operationen mitden US-Nachrichtendiensten machen.

    Natrlich hat diese engere Kooperationmit den Amerikanern auch positive Sei-ten. Es gehrt zu den Aufgaben des BND,deutsche Soldaten zu schtzen und Ter-rorangriffe zu verhindern. Kein deutscherGeheimdienstchef kommt dabei ohne dieHilfe der Amerikaner aus. Umgekehrt hatsich der BND bei US-Spionen einen gu-ten Ruf erarbeitet, gerade im Norden Af-ghanistans war er hilfreich, im Umfeldvon Kunduz, wo die Bundeswehr statio-niert ist. Dort sind die Deutschen mittler-weile die drittgrten Informations -beschaffer.

    Sie teilen ihre Erkenntnisse nicht nurmit der NSA, sondern mit 13 westlichenStaaten. Vor einiger Zeit hat der Dienstseine technische Ausrstung am Hindu-kusch auf den neuesten Stand gebracht.Die Ergebnisse seien seitdem richtig gut,freut sich die NSA.

    Seit einigen Jahren ist der BND im Norden Afghanistans in der Lage, fl-chendeckend Gesprche mitzuverfolgen.Auch mit dieser Hilfe gelang die Verhaf-tung von mehr als 20 hochrangigen Tali-ban darunter war mit Mullah Rahmander zeitweilige Schattengouverneur vonKunduz.

    Deutschland habe sich in der afghani-schen Abhrkoalition zum fleiigstenPartner der NSA entwickelt, heit es ineinem Papier der Agency vom 9. Aprildieses Jahres. hnlich erfolgreich sinddie Deutschen in Nordafrika, wo sie eben-

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    NSA-Tagesordnung fr den BND-Besuch in den USA (oben), NSA-Papier ber Geheimdienstzusammenarbeit mit dem BND

    Verschiedene technische Zusammenknfte mit BND und BfV

    Die Deutsche Regierung legt das Datenschutzgesetz neu aus

  • falls ber besondere technische Fhigkei-ten verfgen, die die NSA interessieren.Das Gleiche gilt fr den Irak.

    Im Bemhen, den Amerikanern zu ge-fallen, ging der deutsche Auslandsgeheim-dienst den Unterlagen zufolge aber nochweiter: Der BND hat daran gearbeitet,die deutsche Regierung so zu beeinflus-sen, dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um grereMglichkeiten fr den Austausch von Ge-heimdienstinformationen zu schaffen,notierten die NSA-Leute im Januar zu -frieden.

    Tatschlich war es im BND bis zuSchindlers Amtsantritt rechtlich umstrit-ten, ob die nach dem deutschen G-10-Ge-setz gewonnenen Informationen an Part-nerdienste weitergegeben werden drfen.Schindler entschied: Sie drfen. Die USAregistrierten es mit Wohlgefallen.

    Wie eng die BND-Bande zur NSA sind,zeigt auch ein altbekannter Lauschpostender Amerikaner in Sddeutschland: dieAbhrbasis in Bad Aibling. Sie war dasSymbol fr technische Spionage whrenddes Kalten Krieges. NSA-intern wurdeder Horchposten zuletzt unter dem Code -wort Knoblauch (Garlic) gefhrt.Zwar wurden im Mai 2012 die letzten Teil-bereiche offiziell an den BND bergeben.Doch die NSA geht dort immer noch einund aus.

    In der rtlichen Mangfall-Kaserne istbis heute der NSA-Chef fr Deutschlandstationiert. Anfang des Jahres arbeitetennoch 18 Amerikaner in der Abhrstation,12 davon kamen von der NSA, 6 standenin Diensten von Privatfirmen, Con-tractors. Die Reprsentanz sollim Laufe dieses Jahres schrump-fen, brig bleiben den Plnenzufolge am Ende noch sechsNSA-Leute. Sie sollen neueKooperationsmglichkeiten mitDeutschland ausfindig machen,so heit es in den Snowden- Dokumenten.

    Zwar gehrt die intensive Zusammenarbeit bei der Ter - rorabwehr zum Kerngeschftdes deutschen Auslandsgeheim-dienstes. Die Frage wird nun je-doch sein: Wusste die Politikvom Ausma der Zusammenar-beit mit den Amerikanern? Undwenn ja: seit wann?

    Bislang konnte sich der BNDbei seiner neuen Linie auf dieRckendeckung des Kanzler -amtes verlassen. Nun aber scheinen sich die Dinge zu dre-hen. Die Abhraffre hat dasPo tential, das Vertrauen in diedeutsche Regierung und AngelaMerkel nachhaltig zu er -schttern und damit auch demWahlkampf eine Wende zu geben.

    Noch treiben die Machenschaften derNSA die Menschen nicht scharenweiseauf die Strae. Doch die internationalenSphorgien der Amerikaner nagen anMerkels Image als verlssliche Managerinder Regierung. 69 Prozent der Deutschensind unzufrieden mit ihrer Aufklrungs-arbeit, vor allem diese Zahl hat das Kanz-leramt aufgeschreckt. Bis zum Ende ver-gangener Woche hatte Merkel versucht,das Thema von sich fernzuhalten, sie gabnur drre Erklrungen ab. Statt ihrer

    sollte sich Innenminister Friedrich der delikaten Sache annehmen.

    Doch der machte alles nur noch schlim-mer. Von seiner Visite in Washington kamer mit leeren Hnden zurck. Stattdessengab er sich mchtig stolz, dass er mit demamerikanischen Vizeprsidenten Joe Bi-den reden durfte.

    Kaum zurck in Deutschland, erfandFriedrich zu allem berfluss noch das Su-pergrundrecht Sicherheit, das wie einRumbagger die anderen Grundrechte im

    Notfall zur Seite schieben darf.Ein Verfassungsminister, derpltzlich eine NSA-konformeInterpretation des Grundgeset-zes erfindet? Sptestens in die-sem Moment war Merkel wohlklar, dass sie die Dinge nicht al-lein ihrem Innenminister ber-lassen darf.

    Am vergangenen Freitag,kurz vor ihrem Abschied in denSommerurlaub, prsentierte sieeinen Acht-Punkte-Plan, derfr mehr Datensicherheit sor-gen soll. Aber die meistenPunkte wirkten eher wie Pla -cebopillen. Wie zum Beispielsollen sich die europischen Ge-heimdienste auf gemeinsameRichtlinien beim Datenschutzeinigen, wenn doch die briti-schen und franzsischen Spioneschon jetzt ber die Daten-schutz-Obsession der Deut-schen schmunzeln?

    Merkel steckt in der Klemme.Einerseits will sie nicht den Ein-druck erwecken, dass sie der In-formationsgier der Amerikanertatenlos zusieht. Andererseits

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    In einer geheimen Prsentation erlutert die NSA dasAbhrprogramm XKeyscore.

    Dabei werden die unterschiedlichen Module aufgelistet, mit de-nen auf breiter Front folgende Informationen ausgespht werden:E-Mail-Daten, Dateinamen, Internet-Verbindungsdaten, Zugriffeauf Websites, Telefonnummern, aber auch Freundeslisten,Chats oder aktive Cookies.

    Das Diagramm zeigt den Weg dieser Daten in eine zentraleDatenbank, auf die der Analyst zugreift.

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    BND-Prsident Schindler, Neubau der BND-Zentrale in Berlin: Lobende Worte fr den eifrigen

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  • rckt damit die Affre auch nher an sieheran. Es wird am Ende um die Frage ge-hen, wie viel die Regierung von denSchnffelttigkeiten der Amerikanerwusste. Am vergangenen Freitag beteu-erte der BND noch einmal, dass er keineKenntnis vom Namen, Umfang und Aus-ma des in Rede stehenden NSA-Projek-tes PRISM hatte.

    Doch selbst wenn das stimmt Prism war nur ein Teil der Abhr -technik der NSA, und die neuen Doku-mente zeigen, dass die Deutschen sehrwohl im Bilde waren ber umfassendeSpionagemglichkeiten der Agency. Sieprofitieren davon, und sie verlangtennach mehr.

    Merkel aber nimmt fr sich in An-spruch, gar nichts von der Sphsoftwareder Amerikaner gewusst zu haben. VonProgrammen wie Prism habe ich durchdie aktuelle Berichterstattung Kenntnisgenommen, sagte sie der Zeit. Bei St-zen wie diesem sttze sie sich auf Aussa-gen der deutschen Geheimdienstchefs, sojedenfalls erzhlen es ihre Leute.

    Doch was bedeutet das? Hat die Bun-desregierung ihre Geheimdienste nochim Griff? Oder gibt es eine Art Staat imStaat?

    Und wer kontrolliert eigentlich, ob dieDienste in ihrem Eifer, das Supergrund-recht Sicherheit durchzusetzen, nichtlngst ber das Ziel hinausschieen?

    Der Ort, an dem ber das Treiben derGeheimen im In- und Ausland debattiertwerden msste, ist das ParlamentarischeKontrollgremium des Deutschen Bundes-tages. Die Regierung ist gesetzlich dazuverpflichtet, die elf geheim tagenden Ab-geordneten regelmig umfassend berdie Arbeit von BND und BfV zu infor-

    mieren und Vorgnge von besondererBedeutung zu erlutern.

    Seltsam nur: Seit Beginn der NSA-Af-fre hat das Gremium viermal getagt viermal erfuhren die Parlamentarier we-nig ber die weltweiten Datensaugpro-gramme. Stattdessen hrten sie zum Teillangatmige Vortrge der Verantwortli-chen, deren Essenz in der Regel war: Wirwissen eigentlich auch nichts.

    Das Gremium ist im Laufe der Jahrelngst zu einem gar nicht mehr so ge-heimen Schauplatz der Eitelkeiten mu-tiert. Es sitzen eben nicht nur Mitgliedermit ausreichend Zeit und technischer Ex-pertise in der Runde. Den Diensten kannes nur recht sein. Je weniger die ffent-lichkeit von ihren Aktivitten erfhrt,desto ungestrter knnen sie walten.

    Die Kontrolle der Dienste findet nurin der Theorie statt, klagt denn auch derGrnen-Vertreter im Gremium, Hans-Christian Strbele. Die wirklich brisan-ten Sachen erfahren wir erst, wenn Me-dien sie enthllt haben. Verwunderlichist das nicht. Die gesetzlichen Bestimmun-gen zur Geheimdienstkontrolle sind vage.

    Die Dienste genssen Narrenfreiheit,sagt der Jurist Wolfgang Nekovi, derlange fr Die Linke im Kontrollgremiumsa. Union und FDP haben sich nun dar -auf geeinigt, im Bundestag ein zustzli-ches Geheimdienstreferat einzurichten.Im Licht der jngsten Ereignisse glaubtjedoch der CDU-Innenexperte ClemensBinninger, dass eine groe Lsung er-forderlich sei. Er pldiert fr einen parla-mentarischen Geheimdienstbeauftragten,der mit eigenen Befugnissen und einemeigenen Stab ausgestattet sein sollte.

    Doch auch in der Regierung wchstdas Misstrauen gegen die Geheimdienste.

    Am vergangenen Mittwoch kam es deshalb zu einer denkwrdigen Szene inder Bundespressekonferenz. Zuvor hatteein Nato-Papier die Runde gemacht, wonach die Bundeswehr sehr wohl vonder Existenz von Prism Kenntnis hat.Regierungssprecher Steffen Seibert ver-kndete zwar die Einschtzung des BND,wonach es sich bei dem erwhnten Programm nicht um die Sphsoftwareder NSA handle. Aber er machte sich dieBewertung des Geheimdienstes aus -drcklich nicht zu eigen. Spter ver -breitete dann das Verteidigungsminis -terium ein Statement, das man auch alsDementi der Worte des BND verstehenkann.

    Fr Merkel ist das misslich. Mitten imWahlkampf steht sie als Chefin einer Re-gierung da, in der es drunter und drbergeht. Natrlich, sollte sich herausstellen,dass die Geheimdienste sie hinters Lichtgefhrt haben, knnte sie personelle Kon-sequenzen ziehen. Eng knnte es dannvor allem fr BND-Chef Schindler wer-den, aber auch fr Ronald Pofalla, derals Kanzleramtschef fr die Geheimdiens-te zustndig ist.

    Aber ihre Leute machen sich keine Illusionen. SPD und Grne wrden voneinem Bauernopfer reden. Die Bundes-kanzlerin vertritt eher die Interessen derUS-Geheimdienste in Deutschland als diedeutschen Interessen in den USA, sagtSPD-Chef Gabriel. Die Opposition hatsich in der NSA-Affre ganz auf die Kanz-lerin eingeschossen. Und es sieht nichtso aus, als wrde sich das bis zum Wahl-tag am 22. September ndern.

    REN PFISTER, LAURA POITRAS,MARCEL ROSENBACH, JRG SCHINDLER,

    HOLGER STARK

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    Geheimdienstchef aus Deutschland

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    Der Vertrag ist schon recht alt. Im Kanzleramt hat manihn vielleicht deshalb bersehen. Doch er ist aktuellerdenn je. Es ist der Vertrag mit Leviathan. Das Volk hatdas Abkommen einst mit dem wsten Kerl im Kettenhemd geschlossen. Leviathan beschtzt mit seinem Schwert undKrummstab Freiheit und Eigentum der Menschen vor fremdenGewalthabern und der Unbill daheim. Dafr schulden ihm dieBeschtzten Gehorsam.

    Das ist der Deal. Und auf dieser Erzhlung beruht der mo-derne Staat, wie ihn vor fast 400 Jahren der britische PhilosophThomas Hobbes begrndet hat. Schutz gegen Loyalitt: Aufdieses Prinzip sttzen sich bis heute die Regierungen fast allerStaaten, auch deutsche Innenminister berufen sich auf den Le-viathan.

    Doch nun wird klar, dass der alte Vertrag notleidend gewor-den ist. Leviathan kann seine Verpflichtungen nicht mehr er-fllen. Die Enthllungen Edward Snowdens ber die weltum-spannenden Informationsangriffe der Geheimdienste machenunbersehbar, dass das groe Versprechen des Staates, dieFreiheit seiner Brger zu schtzen, hohl geworden ist. Werschtzt die Bevlkerung vor dem totalen Datenkrieg, den derUS-General und NSA-Chef Keith Alexander mit seiner For-derung ausgerufen hat, alle Signale der Menschen immerund berall abzufangen? Ich kann mich nicht in auslndischeRechtslagen einmischen, ist die hilflose Antwort der deut-schen Regentin.

    Um die Hilflosigkeit zu verschleiern, hat Leviathan sich aufsArgumentieren verlegt. Der millionenfache Angriff auf die Pri-vatsphre der Menschen geschehe ja nur zu deren Besten. Ge-rade um seine Schutzpflicht zu erfllen und die Menschen vor

    * Projektion des Knstlers Oliver Bienkowski auf die Fassade der US-Botschaft inder Nacht zum 8. Juli.

    den Gefahren des Terrorismus zu bewahren, msse alles undjeder berwacht werden knnen oder solche berwachungdurch fremde Machthaber hingenommen werden. Es gehe umdie Balance von Sicherheit und Freiheit, sagt InnenministerHans-Peter Friedrich, den man sich nun nicht mehr anders vor-stellen kann denn als Leviathan ohne Hemd.

    Er hat es nicht besser verdient. Der Verfassungsministersollte schwerwiegenden Verfassungsbruch nicht mit dem Hin-weis schnreden, er sei gutgemeint. Die Verfassung bringt denStaat erst hervor, der deutsche Leviathan balanciert auf denschmalen Planken des Grundgesetzes. Tritt er daneben, ist erweg.

    Der moderne Staat ist das schtzende Konstrukt, unter demdie Brger ihre grundgesetzlich verbrgten Freiheiten verwirk-lichen knnen: Diese Funktion, das Freiheitsversprechen desdemokratischen Rechtsstaates, ist seine einzige Existenzbe-rechtigung, seine letzte. Weil er als Gehuse der Brgerfreiheitunverzichtbar ist, kann sich so ein Staat im groen Weltge-schiebe der Globalisierung berhaupt noch halten. Nun siehtes so aus, als werde das Schutzgehuse der Menschen durchdie globale Vernetzung und Speicherung digitalisierter Infor-mationen geradezu paralysiert. Das ist kein Problem der Kanz-lerin und ihres Innenministers, es ist ein Problem des Staates:Es droht sein digitaler Zerfall.

    Der moderne Staat ist schwach, unheilbar schwach. Dennals demokratischer Rechtsstaat verfgt er nicht ber Ketten-hemd und Schwert, um seine Versprechen einzulsen, sondernnur ber das Mittel des Gesetzes und seiner Durchsetzung.Diese Instrumente des modernen Leviathan aber erweisen sichin einer digitalen Welt als erschreckend stumpf.

    Ist der Umgang mit digitalen Informationen mit dem Mitteldes Rechts noch beherrschbar? Die Frage qult Politiker wieJuristen in zahllosen Zusammenhngen. Die Aufgabe der Re-

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    Protestaktion gegen NSA-Spionage in Berlin*

    Leviathan ohne HemdDer Staat ist vom digitalen Zerfall bedroht.

    Von Thomas Darnstdt

  • gulierung im Netz stellt weite Teile der Privatrechtsordnungauf die Probe.

    Mit der Verfassungsordnung ist es noch schwieriger. Wo es um die Freiheit der Brger und die Verantwortung des Staates geht, hat das Bundesverfassungsgericht dringende Erwartungen geuert. In ihrem Urteil zur Vorratsdaten -speicherung haben die Richter vor drei Jahren dem Staat dieVerantwortung bertragen, die Privatsphre der Brger nichtnur zu respektieren, sondern aktiv vor Ausforschung zu scht-zen. Es msse in einer funktionierenden Demokratie jeder-mann mglich sein, sich zu uern, ohne Sorge haben zu mssen, dass irgendjemand auer dem Adressaten dies zurKenntnis nimmt.

    Das Urteil ist das Update des alten Leviathan-Vertrages frdie digitalisierte Gesellschaft. Und es ist emprend, dass dieRegierung den Karlsruher Spruch bislang ignoriert. Aber es istnicht verwunderlich. Denn es scheint fast unmglich, dieserVerpflichtung gerecht zu werden.

    Ein rechtsstaatliches Gesetz funktioniert nur, wenn es in sei-nen Worten genau beschreibt, unter welchen Voraussetzungender Staat was genau tun darf oder muss. Doch in der Welt derFestplatten, Glasfaserkabel und Algorithmen fehlen dem gutenalten Recht allzu oft die Worte. Was ist berhaupt ein digitalerEingriff in Brgerfreiheiten und worin liegt er? Es war ja erstdas Volkszhlungsurteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr1983, das fr den Geltungsbereich des Grundgesetzes klarstellte,dass die Panscherei mit personenbezogenen Daten freiheits -relevant, ein Eingriff in die Brgerrechte ist. Das war im digitalen Mittelalter.

    Nun geht es darum: In welcher Weise ist das Anzapfen einesUnterwasserkabels zwischen Deutschland und Grobritannienein Eingriff in die Freiheitsrechte von (zum Beispiel) HerrnMller in Bielefeld? Und wer ist der Tter? Und wo ist der Tat-ort? Nicht mal der klgste Gesetzgeber wre in der Lage, auchnur die Tat so in Worte zu fassen, dass daraus rechtliche Kon-sequenzen zu ziehen sind. Was machen wir mit einer Maschine,die irgendwo an dem besagten Kabelklemmt warum auch immer , einigeDaten pltzlich in unbefugte Hnde leitet,verhaften wir dann die Maschine? Und istwirklich Herrn Mllers Freiheit in Biele-feld dadurch vermindert, dass seine Datendabei waren? Es ist kein Wunder, dass dieAmerikaner, die da ganz anders denken, anfangen, ber dasalte Europa, das analoge, zu spotten.

    Spttisch mag ein Datensammler wie Keith Alexander (al-les, immer, berall) auf das altmodische Projekt blicken,Datenverarbeitung mit Gesetzen regeln zu wollen. DieFrage Wozu? drngt sich in einer Welt, die sich ihre Regelnim Wesentlichen nach Gesichtspunkten der konomie und derEffektivitt gibt, geradezu auf. Gesetze haben in dieser Hinsichteine Dosierungs- und eine Lenkungsfunktion. Jede Aktion egal ob von staatlicher Hand oder durch ein privates Unter-nehmen wird an das Vorliegen von Voraussetzungen geknpft,einfach weil nur so rationales und ressourcenschonendes Han-deln mglich ist. Die Dosierung und Lenkung wird in der De-mokratie dann der Weisheit des parlamentarischen Gesetz -gebers berantwortet.

    Warum aber brauchen wir Gesetze, wenn es um ein Nichtswie Daten geht? Daten wiegen nichts, ihre Erhebung sprtman nicht, ihre Lagerung auf Vorrat ist fast unbegrenzt mglich,sie sind berall und jederzeit in jeder Menge vorhanden. DenUmgang mit ihnen zu regeln ist Haschen nach Wind.

    So hnlich haben sie frher auch im Umweltschutz gedacht.Erst die sprbare Vergiftung, die Sondermllablagerung, das Fischsterben im Fluss hatten genug Gewicht, staatlichesEingreifen auszulsen. Dass es eine Pflicht des Staates gebenknnte, das Klima, die Reinheit der Gewsser, die Wlder zu

    schtzen, nahm lange niemand ernst. Denn hier ging es umVerletzungen, die scheinbar nicht zu spren, die fr sich gese-hen folgenlos waren. Heute ist zumindest in Deutschland der Klimaschutz eine Verfassungspflicht des Staates.

    Um so weit zu kommen, hat die Umwelt-Rechtsordnungeinen Wandel durchgemacht. Im Immissionsschutzrechtetwa kommt es nicht mehr nur darauf an, Leben undGesundheit einzelner Brger zu schtzen, sondern die Luftum ihrer selbst willen sauber zu halten, Lrm zu verhindern,weil Stille gut ist. Die Verantwortung des Staates nicht nurfr Leben und Gesundheit einzelner Brger, sondern fr knf-tige Generationen steht im Grundgesetz. Staatsziel: die Offen -haltung von Freirumen zum Leben.

    Es gibt nicht wenige einflussreiche Juristen in Deutschland,die ber Plne brten, etwas hnliches fr den Datenschutzzu erreichen. Gesetzliche Regelungen mssen nicht nur amdrohenden Eingriff in die Rechte einzelner Brger ansetzen,sondern an der Quelle der Gefahr und digitale Datenanlagensowie ihre Programme behandeln wie etwa ein Braunkohle-kraftwerk: Googles Datenserver als gefhrliche Anlage, gegenderen schdliche Auswirkungen Vorsorge getroffen werdenmuss. Der Witz: Auch staatliche Anlagen, auch auslndische,auch die der Geheimdienste wren dann einem strengen Ge-nehmigungs- und berwachungsverfahren zu unterwerfen. DerZweck eines solchen Datenschutzregimes wre nicht mehr derSchutz der Privatsphre von Herrn Mller in Bielefeld, sonderndie Offenhaltung von Freirumen unbelauschten Diskurses inder Demokratie.

    Das wrde bedeuten, dass es statt Privatschutz-Gesetzenknftig Datenschleuderschutz-Gesetze gibt. Fachleute der Ge-nehmigungsbehrde wrden sich massiv in die Frage einmi-schen, welche Software wie verwendet wird. So wie die Tech-nische Anleitung Luft heute fr jede Industrieanlage inDeutschland verbindliche Grenzwerte fr die Substanzen fest-legt, die aus den Schornsteinen der Industrie geblasen werden

    drfen, msste es eine Technische Anleitung Datenschutzgeben, mit einer verbindlichen und vom Parlament kontrol-lierten Liste, nach welchen Schlagwrtern im Netz gesuchtwerden darf.

    Natrlich folgt so einer Idee der Protest von Google undvom Bundesinnenminister. Weil die Geschftsmodelle der Da-tenwirtschaft und der Geheimdienstler damit in Gefahr gerie-ten. Wir werden sie darauf hinweisen, dass auch das Bundes-immissionsschutzgesetz und erst recht der Klimaschutz aufmassiven Widerstand der Industrie stieen.

    Nun ist es im Klimaschutz wie im Datenschutz: Die USA se-hen das nicht ein und machen nur zgernd mit. Doch geradekologie ist ein Beispiel dafr, dass es mglich ist, ein Staatszielber die Grenzen des eigenen Staates hinaus zu verfolgen. Klimaschutz ist mittlerweile Bestandteil des Vlkerrechts unddie deutsche Kanzlerin macht sich auch zu Hause beliebt, weilsie als Klimakanzlerin durch die Welt reist.

    Angela Merkel als Datenkanzlerin? Dass es Probleme gibt,vor denen auch Leviathan allein die Menschen nicht schtzenkann, hat 150 Jahre nach Thomas Hobbes der Philosoph Im-manuel Kant eingerumt. In seinem Traktat Zum ewigen Frie-den hat er gefordert, dass ber die Grenzen eines Staates hin -aus viele Leviathane zusammenwirken, um das groe Verspre-chen zu erfllen.

    Aber wer wei, ob sie im Kanzleramt die alte Schwarte kennen.

    Titel

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    Warum brauchen wir Gesetze, wenn es um

    ein Nichts wie Daten geht?

  • D E R S P I E G E L 3 0 / 2 0 1 324

    Morozov, 29, wurde in Weirussland ge-

    boren. Als Netzaktivist machte er sich in

    ehemaligen Sowjetrepubliken fr soziale

    Medien stark und wollte mit Hilfe von

    YouTube oder Facebook die Demokratie

    und Transparenz frdern. Heute lebt der

    Autor in den USA und warnt vor einer

    umfassenden Kontrolle des digitalen Le-

    bens. Sein neuestes Buch To Save Every-

    thing, Click Here erscheint im Oktober

    auch auf Deutsch.

    SPIEGEL: Sind die Enthllungen von EdwardSnowden ein Weckruf fr die Welt? Morozov: Ich will seine Leistung nichtschmlern. Aber ausgerechnet China undMoskau als Fluchtorte zu whlen daskommt bei der amerikanischen ffentlich-keit eher nicht so gut an. Mein Gott,Snowden wusste doch, mit wem er sich an-legt. Er hat ja fr diese verrckten Leutegearbeitet. So hat er es den USA leichtge-macht, ihn als Landesverrter zu behan-deln. Ich glaube deshalb nicht, dass dieNSA-Affre die Gesellschaft in einem Mawachrtteln wird, wie es mglich gewesenwre. Das Tragische an Snowdens Enthl-

    lungen ist, dass sich die meisten Nutzernicht darum scheren.SPIEGEL: Warum ist das so?Morozov: Viele haben sich lngst damit ab-gefunden, dass sie zu Werbezwecken ber-wacht werden. Was denken Sie denn, warumneben Ihren Suchergebnissen bei Googlestets Anzeigen auftauchen, die haargenau zuIhnen passen? Auerdem scheint durch dieberwachungsprogramme der NSA fr denEinzelnen zunchst mal kein Schaden zu ent-stehen. Es ist ein opferloses Verbrechen.SPIEGEL: Hat Sie das Ausma der berwa-chung berrascht? Morozov: Jeder, der sich mit US-Auenpoli-tik auskennt, wei, dass die Amerikanerihre politischen Ideale in der Welt nicht mitHilfe von Poesie durchgesetzt haben. Daswre ja womglich noch in Ordnung, wenndie Obama-Regierung nicht so penetrantihre Internet Freedom Agenda vermark-tet htte. Das State Department hat welt-weit gegen Internetzensur und berwa-chung gekmpft. Dieser Kampf wirkt jetztnur noch scheinheilig. SPIEGEL: Noch im Mai haben die USA an-gekndigt, gegen Internetsperren in Iran

    Ntzliche IdiotenInternetkritiker Evgeny Morozov ber die Folgen der

    Snowden-Affre und die zunehmende berwachung im Zeitalter von Smartphones und Apps.

    App-Icons auf einem Tablet

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    Netzaktivist Morozov

    vorzugehen, um dort die Meinungsfreiheitzu garantieren.Morozov: Diese Agenda ist tot. Und bereine Rede, wie sie die damalige Auen -ministerin Hillary Clinton noch im Januar2010 ber die Bedeutung der Freiheit imNetz gehalten hat, wrde heute die ganzeWelt lachen. SPIEGEL: Wie konnte es dazu kommen? DasInternet galt ursprnglich doch als Hort der Freiheit, in den Regierungen nicht ein-dringen. Morozov: In der Mitte der neunziger Jahrestand das Netz an einem Scheideweg: Eshtte auch kommerzfrei von Tftlern, vonGeeks dominiert werden knnen, die freieServer betreiben, auf denen jeder Nutzerseine E-Mails speichern kann ohne staat-liche berwachung. Doch dann gewannengroe amerikanische Internetkonzerne anBedeutung. Fr viele Leute im Silicon Val-ley ist das Netz kein Medium mehr, sonderneine Religion. Sie glauben ernsthaft, dasssie die Welt mit ihren einfach zu bedienen-den Apps befreien knnen. Sie sind dientzlichen Idioten der staatlichen Daten-berwacher geworden.

  • Titel

    D E R S P I E G E L 3 0 / 2 0 1 3 25

    SPIEGEL: Was ist so schlimm daran, wenndie Menschen mehr miteinander kommu-nizieren? Wenn Apps den Konsum erleich-tern und sich Leute auf Facebook zu politi-schen Kampagnen verabreden? Morozov: Per se ist das nicht schlimm. Tat-schlich lassen sich Demonstrationen ein-facher ber das Netz organisieren. Man sollte aber bedenken, dass sich nicht nurdie NSA wahnsinnig frdiese Kommunikation inter -essiert. Woanders werdendiese Technologien auchfr Propaganda, Zensurund Repression benutzt,etwa in Iran oder China.Und die Regierungen sindden Brgern in der Technikmeistens einen Schritt voraus.SPIEGEL: Sie bezeichnenviele Netzaktivisten alsUtopisten, die die Gefah-ren des Internets unter-schtzen. Es gab aber eineZeit, in der auch Sie vieloptimistischer waren. Morozov: Ja als ich als Ak-tivist einer Nichtregie-rungsorganisation durchdie Staaten der frherenSowjetunion reiste. Ichglaubte, dass soziale Netz-werke, Blogs und Wikis dabei helfen kn-nen, die Demokratie und Menschenrechtezu frdern. SPIEGEL: Wie kam es zum Sinneswandel?Morozov: Es gab nicht den einen Tag, andem ich in den Spiegel sah und dachte, dassmein Leben in die falsche Richtung luft.Aber ich erinnere mich an Konferenzen, anTreffen mit anderen Aktivisten immerwieder haben wir unsere Absichten aufPowerpoint-Folien ber YouTube und Twit-ter verbreitet. Irgendwann erkannte ich:Whrend wir diskutieren, besorgen sich au-toritre Regierungen die neueste berwa-chungstechnik, um Aktivisten in den sozia-len Netzwerken auszusphen. SPIEGEL: Die Digitalisierung schreitet weitervoran. Was befrchten Sie?

    Morozov: Bald werden wir nicht nurSmartphones haben, die mit dem Internetverbunden sind, sondern auch intelligenteAutos, intelligente Khlschrnke, intelligen-te Schuhe, sogar intelligente Mlltonnen,die unermdlich Daten ber uns sammeln.Intelligente Zahnbrsten werden rausfin-den, was wir in den vergangenen Wochengegessen haben, und dann ein gesnderesErnhrungsprogramm fr uns entwickeln.SPIEGEL: Na und?

    Morozov: Das klingt alles ganz prima. Abersehen Sie sich das Beispiel Fettsucht an.Eine Krankheit, die in der amerikanischenGesellschaft weitverbreitet ist. Die Firmenim Silicon Valley haben tolle Apps ent -wickelt, die dabei helfen, die Pfunde abzu-trainieren. Solche Anwendungen beruhenauf Sensoren an Ihrem Smartphone, diezum Beispiel aufzeichnen, wie viele Kilo-

    meter Sie gejoggt sind. Und wenn Sie maleinen Tag aussetzen, erinnert Sie Ihre Appdaran, dass Sie nicht genug getan haben.Und was ist mit Ihrem dicken Nachbarn,der die App nicht nutzt? Ist der nicht auto-matisch verdchtig? Kriegt er die gleicheVersicherungspolice wie Sie? Wird er beider Jobsuche genauso behandelt? SPIEGEL: Wie sollen Dritte an diese indivi-duellen Informationen kommen?Morozov: Heute regt man sich noch auf, dassdie NSA Daten umstndlich und heimlichber Glasfasernetze absaugt. In fnf Jahrenwerden Unternehmen und GeheimdiensteDaten auf dem freien Markt erwerben kn-nen sie kaufen sie einfach bei den Her-stellern smarter Technologien. Denn dieMenschen stellen ihre Daten freiwillig zur

    Verfgung, wie bei Apps, die eigentlich dieFettsucht bekmpfen sollen. Mein Problemdamit ist, dass sich die Politiker nicht mehrzustndig fhlen. Ab jetzt bernehmen jadie Smartphones ihre Arbeit. SPIEGEL: Die pure Existenz von Smart -phones und Apps bedeutet doch nicht au-tomatisch einen Rckzug der Politik.Morozov: In dem Moment, in dem alles Wis-sen ber uns in Datenbanken fliet, knnenwir vielleicht effizienter werden. Aber um

    eine tragfhige Gesellschaft zu bauen, brau-chen wir politische Prozesse und mssenwir uns historischer Entwicklungen bewusstwerden. Es ist ja nicht so, dass uns Wertewie Gleichheit, Gerechtigkeit, Fairness vor200 Jahren mit Hilfe von Apps eingeblutwurden. Es mag ein altmodischer Ansatzsein, aber ich finde, um die Verhltnisse zundern, brauchen wir Menschen, die sich

    auf gemeinsame Werte ver-stndigen und nicht aufAlgorithmen.SPIEGEL: Schon heute nut-zen manche Polizeibehr-den in den USA eine Software namens PredPol,die angeblich vorhersagenkann, wo es zu Straftatenkommen knnte. Ist es keinFortschritt, wenn auf dieseWeise Verbrechen verhin-dert werden knnten? Morozov: Ich denke, dasswir als Gesellschaft etwasverlieren werden. Dennsolche Technologien habendie Tendenz, sehr rigide zusein. Denken Sie zum Bei-spiel an den berhmtenFall der Rosa Parks SPIEGEL: eine schwarzeBrgerrechtlerin in denUSA, die sich in den fnf-

    ziger Jahren weigerte, im Bus fr einenWeien aufzustehen. Morozov: Stellen Sie sich vor, es htte da-mals Kameras mit Gesichtserkennung ander Bustr gegeben. Rosa Parks wre viel-leicht gar nicht erst in den Bus gekommen.Wir brauchen demokratische Instanzen, diesich mit der Technik befassen und in Zu-kunft darauf achten, dass Algorithmen nichtzur Diskriminierung der Brger benutztwerden. SPIEGEL: Also parlamentarische Kontroll-gremien fr Algorithmen? So, wie wir siefr Geheimdienste haben? Morozov: Warum nicht? Ich verstehe ja dieArgumente von Google und anderen Un-ternehmen, die ihre Betriebsgeheimnisseschtzen wollen. Aber ihr Einfluss auf dieGesellschaft ist zu gro geworden, als dasswir einfach nur zusehen knnten.SPIEGEL: Wie schtzen Sie eigentlich IhreDaten? Morozov: Ich habe mehr als 40000 Followerbei Twitter und versuche nicht, mich zu ver-stecken. Ich bin auch zu faul. Ich nutze dasE-Mail-Programm von Google und habe einMobiltelefon. SPIEGEL: Ihre Glaubwrdigkeit strkt dasnicht.Morozov: Ich lehne neue Technologien nichtgrundstzlich ab. Mir geht es darum, eineDebatte ber ihre gesellschaftliche Kontrol-le anzustoen. Unser System braucht einUpdate, und wir brauchen Politiker, die die-sen Wandel gestalten.

    INTERVIEW: SVEN BECKER, JRG SCHINDLER

    CHAPPATTE IN "NZZ AM SONNTAG", ZRICH / GLOBECARTOON

    In fnf Jahren werden die Geheimdienste

    unsere Daten ganz legal erwerben knnen.