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113 Rawschan M. Alimow Der strategische Ansatz Usbekistans zur Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in Zentralasien Gegenwärtig durchlebt die Weltgemeinschaft eine extrem schwierige, mit hoher Verantwortung behaftete Phase ihrer Entwicklung: die Herausbildung einer neuen Weltordnung, in der sie sich im Zeitalter der Globalisierung oft- mals mit grundsätzlichen Problemen und Herausforderungen der internatio- nalen Sicherheit wie internationalem Terrorismus, religiösem Extremismus und illegalem Drogenhandel konfrontiert sieht. Aufgrund seiner Nähe zu Af- ghanistan, der Hauptquelle von Instabilität in der Region, leidet gerade Zent- ralasien unter den direkten Auswirkungen dieser Bedrohungen. Eine ähnliche Einschätzung der Herausforderungen und Bedrohungen, die von internationalem Terrorismus, religiösem Extremismus und Drogenhandel ausgehen, verlangt von den zentralasiatischen Staaten gemeinsame Anstren- gungen, um gleiche Sicherheitsbedingungen für alle zu erreichen. Die Unter- stützung, die die zentralasiatischen Staaten im internationalen Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan geleistet haben, hat die Region von der Peri- pherie ins Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit gerückt. Sie hat auch den Stellenwert der Region als eine Basis gegen die weitere Ausbreitung des in- ternationalen Terrorismus, religiösen Extremismus und Drogenhandels auf globaler Ebene verändert. Die Aussicht auf eine Normalisierung der Lage in Afghanistan und die Her- ausbildung langfristiger Voraussetzungen für die Herstellung von Sicherheit in Zentralasien sowie das zunehmende Interesse der internationalen Gemein- schaft an der zentralasiatischen Region schaffen in der Tat einmalige Chan- cen für ihre Gesamtentwicklung. Die Weltgemeinschaft ihrerseits ist gefor- dert, die Staaten Zentralasiens in angemessener Weise zu unterstützen, deren gemeinsame Anstrengungen zu fördern und den positiven Entwicklungen der Region von außen den notwendigen Rückhalt zu geben. Das Tempo der weiteren Entwicklung der regionalen Zusammenarbeit wird in erster Linie von der Fähigkeit der zentralasiatischen Staaten abhängen, den im Folgenden beschriebenen Bedrohungen und Sicherheitsrisiken zu begeg- nen. Bedrohungen der Sicherheit in Zentralasien Terrorismus und Drogenhandel. Trotz der jüngsten Erfolge der antiterroristi- schen Operation in Afghanistan ist die terroristische Bedrohung für die zent- ralasiatischen Staaten nach wie vor ein Destabilisierungsfaktor. Noch immer In: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2002, Baden-Baden 2002, S. 113-125.

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Rawschan M. Alimow Der strategische Ansatz Usbekistans zur Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in Zentralasien Gegenwärtig durchlebt die Weltgemeinschaft eine extrem schwierige, mit hoher Verantwortung behaftete Phase ihrer Entwicklung: die Herausbildung einer neuen Weltordnung, in der sie sich im Zeitalter der Globalisierung oft-mals mit grundsätzlichen Problemen und Herausforderungen der internatio-nalen Sicherheit wie internationalem Terrorismus, religiösem Extremismus und illegalem Drogenhandel konfrontiert sieht. Aufgrund seiner Nähe zu Af-ghanistan, der Hauptquelle von Instabilität in der Region, leidet gerade Zent-ralasien unter den direkten Auswirkungen dieser Bedrohungen. Eine ähnliche Einschätzung der Herausforderungen und Bedrohungen, die von internationalem Terrorismus, religiösem Extremismus und Drogenhandel ausgehen, verlangt von den zentralasiatischen Staaten gemeinsame Anstren-gungen, um gleiche Sicherheitsbedingungen für alle zu erreichen. Die Unter-stützung, die die zentralasiatischen Staaten im internationalen Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan geleistet haben, hat die Region von der Peri-pherie ins Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit gerückt. Sie hat auch den Stellenwert der Region als eine Basis gegen die weitere Ausbreitung des in-ternationalen Terrorismus, religiösen Extremismus und Drogenhandels auf globaler Ebene verändert. Die Aussicht auf eine Normalisierung der Lage in Afghanistan und die Her-ausbildung langfristiger Voraussetzungen für die Herstellung von Sicherheit in Zentralasien sowie das zunehmende Interesse der internationalen Gemein-schaft an der zentralasiatischen Region schaffen in der Tat einmalige Chan-cen für ihre Gesamtentwicklung. Die Weltgemeinschaft ihrerseits ist gefor-dert, die Staaten Zentralasiens in angemessener Weise zu unterstützen, deren gemeinsame Anstrengungen zu fördern und den positiven Entwicklungen der Region von außen den notwendigen Rückhalt zu geben. Das Tempo der weiteren Entwicklung der regionalen Zusammenarbeit wird in erster Linie von der Fähigkeit der zentralasiatischen Staaten abhängen, den im Folgenden beschriebenen Bedrohungen und Sicherheitsrisiken zu begeg-nen. Bedrohungen der Sicherheit in Zentralasien Terrorismus und Drogenhandel. Trotz der jüngsten Erfolge der antiterroristi-schen Operation in Afghanistan ist die terroristische Bedrohung für die zent-ralasiatischen Staaten nach wie vor ein Destabilisierungsfaktor. Noch immer

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operieren unkoordinierte Gruppen internationaler Terroristen und religiöser Extremisten auf afghanischem Territorium. Trotz der Neutralisierung der mi-litärischen und administrativen Strukturen der Taliban, hat die internationale Anti-Terror-Koalition ihre Ziele nicht vollständig erreicht. Die militärischen und terroristischen Bedrohungen, die von afghanischem Territorium ausge-hen, wurden lediglich vermindert. Der Oberbefehlshaber des Zentralkom-mandos der amerikanischen Streitkräfte (USCENTCOM), General Tommy Frank, bemerkte dazu auf einer Pressekonferenz am 26. Februar dieses Jah-res: „Der Prozess, auf afghanischem Territorium für Stabilität zu sorgen, wird noch wesentlich länger dauern“, die Situation im Lande sei derzeit noch „düster und alarmierend“. In Afghanistan gebe es - so der General weiter - 120 Orte, an denen sich nach US-Geheimdienstangaben möglicherweise noch Al-Qaida-Kämpfer verstecken.1 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Taliban nach einigen Schät-zungen vor Beginn der antiterroristischen Operation über eine große Militär-macht mit bis zu 45.000 Mann verfügten.2 Diese Kräfte - zumindest Teile da-von - wurden bislang nicht ausgeschaltet, was bedeutet, dass von ihnen noch immer eine ernsthafte Bedrohung ausgeht. Auch ist es bislang noch nicht gelungen, in Afghanistan eine starke Zentral-macht zu schaffen, die in der Lage ist, die Situation in allen Provinzen des Landes zu kontrollieren und den Prozess der nationalen Aussöhnung sicher-zustellen. Nach Einschätzung vieler westlicher Beobachter könnte Afghanis-tan erneut „in Anarchie versinken“, da die Feldkommandeure „interne Kon-flikte wieder haben aufleben lassen, derer Herr zu werden die Übergangsre-gierung nicht in der Lage ist“. Eine weitere Eskalation der inneren Konflikte in Afghanistan könnte letztendlich zu militärischen Zusammenstößen führen, die nicht nur den Friedensprozess in Afghanistan gefährden, sondern das Land auch wieder zu einem sicheren Zufluchtsort für internationale Terro-risten und Vertreter extremistischer Ideen machen könnten. Noch immer befinden sich in Afghanistan große Mengen an Waffen und mi-litärischer Ausrüstung. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist die Bevöl-kerung des Landes im Besitz von rund zehn Millionen leichten Infanteriewaf-fen.3 Da es keine staatliche Kontrolle über den Gebrauch von Schusswaffen gibt und die Nachschubkanäle gesichert und jederzeit verfügbar sind, kann jeder lokale Konflikt zu einer militärischen Auseinandersetzung eskalieren. Die schwierigen sozioökonomischen Bedingungen und das Fehlen alternati-ver Einkommensquellen für die afghanische Bevölkerung sind mit die wich-tigsten Gründe für den blühenden Drogenhandel in Afghanistan. Obwohl die Übergangsregierung den Anbau von Schlafmohn offiziell verboten hat, neh-men die Mohnplantagen seit Frühjahrsbeginn zu. Insbesondere im Osten Af- 1 Kommersant vom 26. Februar 2002 (diese und alle weiteren Zitate aus fremdsprachigen

Quellen sind eigene Übersetzungen). 2 Vgl. The Taliban’s military forces, in: Jane’s Information Group, 8. November 2001. 3 Vgl. Daniel Smith/Rachel Stohl/Reyko Huang, Afghanistan: Re-emergence of State, Cen-

ter for Defense Information, 21. Dezember 2001.

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ghanistans ist auf einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche Opium angesät.4 Der finanzielle Vorteil des Opiumanbaus für die afghani-schen Bauern liegt auf der Hand: Ein Hektar Schlafmohn bringt zehnmal so-viel Ertrag wie ein Hektar Getreide. Nach Schätzungen des Büros der Ver-einten Nationen für Drogenkontrolle und Verbrechensverhütung (United Na-tions Office for Drug Control and Crime Prevention, UNODCCP) könnte die diesjährige Schlafmohnernte in Afghanistan mit 1.900 bis 2.700 Tonnen das Niveau des Jahres 2000 erreichen.5 Darüber hinaus wurden während der Anti-Terror-Einsätze in Afghanistan weder die „Heroinvorräte noch die klei-nen Fabriken zur Herstellung von Heroin beschädigt“.6 Die „hervorragende“ Lage der zentralasiatischen Staaten für den Drogen-transport nach Europa ist nach wie vor einer der Hauptgründe für die gestei-gerten Aktivitäten terroristischer Elemente in der Region. Es ist nachweislich das Ziel der internationalen Terroristen, die ständigen Kanäle für den Dro-genhandel von Afghanistan durch Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan nach Russland und weiter nach Westeuropa aufrechtzuerhalten. Es ist bekannt, dass Afghanistan bis heute 70 Prozent der gesamten Weltpro-duktion an Opium produziert. Statistiken zeigen, dass die zentralasiatische Route für den Herointransport von Afghanistan nach Europa dabei ist, sich zu einer der wichtigsten Routen überhaupt zu entwickeln. Nach den Statistiken für das letzte Jahrzehnt hat allein der usbekische Zoll nahezu 30 Tonnen Betäubungsmittel und 77 Tonnen Essigsäureanhydrid (ei-ner der wichtigsten Grundstoffe für die Heroinherstellung) beschlagnahmt.7 Die russischen Grenztruppen haben im Jahre 2001 fast vier Tonnen Betäu-bungsmittel und 1.400 Kilogramm Heroin an verschiedenen Abschnitten der tadschikisch-afghanischen Grenze konfisziert. Tatsächlich ist Zentralasien bereits zu einem riesigen Umschlagplatz für den Drogentransport nach Eu-ropa geworden, was unweigerlich auch zu einem Anstieg des Drogenkon-sums in den Ländern der Region selbst führen wird. Das Ausmaß des Drogenschmuggels und die Verbindungen radikaler islami-scher Gruppen zum Drogengeschäft belegen daher, dass ein Schlag gegen das Drogengeschäft in der Region einen direkten Schlag gegen den Terrorismus bedeutet - und umgekehrt. Religiöser Extremismus. Eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität Zentral-asiens stellen die Aktivitäten der religiös-extremistischen Gruppierung Hizb ut-Tahrir dar, die unter dem Deckmantel des Islam versucht, ihr politisches Ziel, den Sturz der verfassungsmäßigen Regime in Zentralasien, zu erreichen. Als Folge der Entschlossenheit und Konsequenz, mit der die Weltgemein-schaft bei der Bekämpfung des Terrorismus vorgeht, werden die extremisti-schen Organisationen möglicherweise aus taktischen Gründen ihre bewaff- 4 Vgl. BBC News Online vom 27. Februar 2002. 5 Vgl. Afghanistan UNDCP Opium P oppy Survey, in: www.odccp.org :80/pakistan/report

_2002-02-28_1.pdf. 6 ITAR-TASS vom 11. Februar 2002. 7 Vgl. Website der Gazeta SNG vom 9. Januar 2002.

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neten Angriffe und Gewaltaktionen aufgeben. Gleichzeitig könnten die Zent-ren des religiösen Extremismus und des Terrorismus kurz- und mittelfristig ihre materiellen und finanziellen Ressourcen auf die ideologischen Aspekte ihrer Tätigkeit in verschiedenen Regionen - darunter Zentralasien - verlagern. Die Hizb ut-Tahrir könnte zum wichtigsten Vorkämpfer für die Interessen der religiös-extremistischen Kräfte in der Region werden. Die Bedrohung, die von der Hizb ut-Tahrir ausgeht, liegt in ihrem strategischen Ziel: der Er-richtung eines einzigen theokratischen Staates, und zwar nicht nur in einem bestimmten muslimischen Staat oder in einer bestimmten muslimischen Re-gion; der Staat soll vielmehr die gesamte muslimische Welt umfassen, da die Ideologie dieser Organisation auf die Schaffung eines Weltkalifats ausge-richtet ist. Um dieses Ziel zu erreichen, rufen sie alle Muslime auf, „den Dschihad unaufhörlich (bis zum Tag des Jüngsten Gerichts) fortzusetzen“. Die Tatsache, dass diese Bedrohung im Ferganatal, wo die Grenzen mehrerer zentralasiatischer Staaten aufeinander treffen, ihren Ursprung hat, macht die Frage der nationalen und regionalen Stabilität zu einer Sphäre besonderer Verantwortung. Da sich die Bedrohung nicht nur auf bestimmte Staaten und Regionen erstreckt, sondern sich gegen die gesamte Zivilisation richtet, sollte die gemeinsame Position der Staaten der Region in dieser Frage sein, die re-ligiös-extremistischen und terroristischen Bedrohungen mit rechtlichen und allen anderen verfügbaren Mitteln zu neutralisieren. Zur Bekämpfung dieses Übels bedarf es komplexer Maßnahmen, politischer, militärischer, finanzieller, diplomatischer und rechtlicher, sowie der Stärkung der verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen. Diese Maßnahmen können bilateral oder regional und international ergriffen wer-den. Größere Bedeutung sollte den rechtlichen Maßnahmen derjenigen Staa-ten verliehen werden, in denen für die Probleme Extremismus und Terroris-mus soziale Ursachen erkannt wurden. Nach Ansicht der usbekischen Regierung muss die ständige Bereitschaft und Wachsamkeit gegenüber den verschiedenen Formen von politischem und re-ligiösem Extremismus auf Dauer zu einer vorrangigen Aufgabe der Weltge-meinschaft werden. Die geostrategische Lage. Geostrategisch liegt Zentralasien in einer Zone vitaler Interessen der wichtigsten Weltmächte und Machtzentren, die um Ein-flusssphären in der Region kämpfen. Die geo-ökonomischen Faktoren - ein Kampf um die Energieressourcen der Region - können die Region in naher Zukunft zu einem der „Nervenzentren“ der Weltpolitik machen. Unter diesen Bedingungen müssen die Staaten Zentralasiens ein starkes Inte-resse daran an den Tag legen, die geo-ökonomische Präsenz des Westens in der Region zu stärken, ohne dabei die Interessen anderer Machtzentren zu vernachlässigen. Die Transformation der Region in einen organischen Teil des globalen politischen Raumes und der Weltwirtschaft wird jedoch nicht zum Verschwinden der objektiv vorhandenen Widersprüche führen. Gleich-wohl wird dies dazu beitragen, den Gang der Ereignisse vorherzusagen und

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zu bewältigen. Die Herausbildung einer Zone miteinander verflochtener Wirtschaftsinteressen in Zentralasien wird die überragende Bedeutung von Stabilität für alle politischen Akteure stärken. Zwischenstaatliche Beziehungen. Zahlreiche ungelöste Probleme in den zwi-schenstaatlichen Beziehungen wie z.B. Fragen des Grenzverlaufs oder der gemeinsamen Nutzung grenzüberschreitender Flüsse haben negative Auswir-kungen auf die Sicherheit und Stabilität Zentralasiens. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass die tatsächliche Lage in diesen Fragen von den Medien stark dramatisiert wird. In einer Zeit, in der sich die Situation in der Region und um sie herum schnell verändert, erkennen die zentralasiatischen Staaten durchaus die objektive Notwendigkeit, die politische Zusammenarbeit zu entwickeln und die Kooperation auf wirtschaftlichem, wissenschaftlichem und technischem, kulturellem und humanitärem Gebiet sowie in anderen Be-reichen zu erweitern und zu vertiefen. Probleme beim Wiederaufbau Afghanistans Angesichts der Schwere und der Charakteristika der erwähnten Bedrohungen geht die Republik Usbekistan bei der Erarbeitung ihrer Strategie davon aus, dass es objektiv notwendig ist, ein umfassendes System regionaler Sicherheit in Zentralasien zu schaffen, das auf den Prinzipien gegenseitigen Vertrauens, Offenheit, Festhalten an einem rationalen Gleichgewicht zwischen nationalen und regionalen Interessen und strikter Implementierung aller Beschlüsse be-ruht. Die Einrichtung wirksamer regionaler Mechanismen gegen die Bedrohungen durch internationalen Terrorismus, religiösen Extremismus und Drogenhan-del wird entscheidend von der Entwicklung des Friedensprozesses in Afgha-nistan abhängen. In diesem Zusammenhang kommen die Initiativen der Re-publik Usbekistan zur Bewältigung der afghanischen Krise, die Präsident Is-lam Karimow anlässlich einer Pressekonferenz für ausländische Journalisten am 20. Dezember 2001 bekannt gab, zur rechten Zeit und sind gut begründet. Hervorgehoben wurde insbesondere, dass die folgenden Bedingungen zur Herstellung von Frieden und Stabilität in Afghanistan sowie zur Bildung ei-ner legitimen und repräsentativen afghanischen Regierung berücksichtigt werden sollten:8 Demilitarisierung des Landes. Das Vorhandensein großer Mengen an Waffen auf afghanischem Territorium schafft die Voraussetzungen für eine neue Phase innerstaatlicher Konfrontationen - in erster Linie zwischen regionalen und Stammesführern - und kann so zur erneuten Bedrohung sowohl der regi-onalen als auch der globalen Sicherheit führen. Die Dringlichkeit einer Lö-sung dieses Problems unterstrich Präsident Karimow in einer Note an VN- 8 Vgl. Presseerklärung des Außenministeriums der Republik Usbekistan vom 20. Dezember

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Generalsekretär Kofi Annan vom 18. Dezember 2001. In Afghanistan müs-sen so viele Waffen wie möglich aus dem Verkehr gezogen und zerstört wer-den, da dies die einzige Maßnahme ist, die voraussichtliche Versuche, den Prozess des Staatsaufbaus zu unterminieren, zumindest verringern und die Kriminalitätsrate senken kann. Föderalisierung des afghanischen Staates. Es ist unstrittig, dass ein verei-nigtes und unteilbares Afghanistan mit einer starken Staatsmacht, die in der Lage ist, die Situation im Lande zu kontrollieren, sowohl den Sicherheitsinte-ressen der zentralasiatischen Staaten als auch denen der Weltgemeinschaft dient. Es sollte gleichwohl bedacht werden, dass die gegenwärtigen Spezifika der afghanischen Innenpolitik nur wenig Aussicht auf Erfolg beim Aufbau eines Staatssystems versprechen, wenn nicht die Interessen aller wichtigen militärisch-politischen und ethnischen Gruppen berücksichtigt werden. Unter den gegenwärtigen Umständen sind alle Versuche, die afghanische Regie-rung zu stärken und ein neues Afghanistan aufzubauen, die ausschließlich auf militärischer Stärke beruhen, zum Scheitern verurteilt, da sie letzten Endes zu einer Militärdiktatur und zum Wiederaufleben innerafghanischer Konflikte sowie zur Zunahme separatistischer Tendenzen und zum Zerfall des Landes in kleine Fürstentümer führen. Versuche, dauerhafte und echte Stabilität in Afghanistan durch „Gentlemen’s Agreements“ über Sicherheitsgarantien mit den einzelnen regionalen Führern getrennt voneinander als Gegenleistung für direkte finanzielle und andere Unterstützung zu gewährleisten, sind ebenfalls nicht akzeptabel. Es scheint, als könnten die Grundvoraussetzungen für einen Interessenausgleich zwischen den wichtigsten innerafghanischen Kräften nur auf der Grundlage föderaler Strukturen geschaffen werden. Einrichtung eines einheitlichen internationalen Fonds zum Wiederaufbau Af-ghanistans. Dauerhafte Sicherheit in Afghanistans herzustellen, ist ohne die Umsetzung umfassender Programme zur humanitären, wirtschaftlichen und technischen Hilfe unmöglich. Man sollte jedoch bedenken, dass sich die Zu-weisung finanzieller Unterstützung angesichts der gegenwärtigen sozioöko-nomischen Lage in Afghanistan als wirksamer Hebel für einen positiven oder auch negativen Einfluss auf die eine oder andere innerafghanische Gruppie-rung erweisen kann. In diesem Zusammenhang ist die Bereitstellung jeglicher internationaler Hilfe im Rahmen einer einheitlichen Strategie für den Wie-deraufbau Afghanistans nach dem Konflikt für die Erlangung wirklichen Friedens und Wohlstands in diesem Land, das so lange gelitten hat, von ent-scheidender Bedeutung. Mittelfristig muss die Lösung dieser Probleme wie es scheint zu den Priori-täten der internationalen Koalition zum Kampf gegen den Terrorismus in Af-ghanistan werden. Geschieht dies nicht, kann von der Schaffung der notwen-digen Voraussetzungen für eine normale politische und wirtschaftliche Ent-wicklung Afghanistans und der Erlangung langfristiger Stabilität im Lande kaum die Rede sein; die Konsequenz wäre, dass es auch nicht möglich ist, vollständige Sicherheit für die zentralasiatische Region zu erreichen.

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Regionale Sicherheit in Zentralasien Unter diesen Rahmenbedingungen kann Usbekistan angesichts seiner geopo-litischen Lage und seines Potentials zum Hauptinitiator von Maßnahmen zum Aufbau eines regionalen Sicherheitssystems werden. Die Republik Usbekis-tan widmet der praktischen Umsetzung des Vertrags von Taschkent (21. Ap-ril 2000) zwischen Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan über gemeinsame Maßnahmen gegen Terrorismus, politischen und religiösen Extremismus und grenzüberschreitende organisierte Kriminalität besondere Aufmerksamkeit. Dieser Vertrag kann als Grundlage für die Errichtung eines regionalen Si-cherheitssystems in Zentralasien betrachtet werden, da er in einer Anfangs-phase Folgendes erreichen könnte: - Vereinheitlichung der nationalen Gesetze über Maßnahmen gegen Ter-

rorismus, jede Form von Extremismus und grenzüberschreitende orga-nisierte Kriminalität;

- Schaffung und Umsetzung praktischer Maßnahmen zum Verbot von Terroristenlagern in zentralasiatischen Ländern;

- Informationsaustausch über Kriminalität und Terrorismus (über ge-plante oder bereits ausgeführte Aktionen, verdächtige Personen oder Organisationen, Form der Tätigkeit und Vorgehensweise);

- falls notwendig, die Durchführung gemeinsamer Aktionen von Spezial-kräften der zentralasiatischen Staaten.

Angesichts der Besonderheiten der gegenwärtigen geopolitischen Situation und der Konstellation der Machtzentren in der Region, muss das regionale Sicherheitssystem auf verschiedene Ebenen aufgeteilt werden und sollte mit den bestehenden internationalen Einrichtungen zur Zusammenarbeit harmo-nieren. In diesem Zusammenhang verdient eine neue Regionalorganisation, die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Or-ganization, SCO)9, besondere Erwähnung, die von den zentralasiatischen Staaten als multilateraler Kooperationsmechanismus angesehen wird. Die Mitgliedschaft der ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrats China und Russland in dieser Organisation eröffnet den zentralasiatischen Staaten zu-sätzliche Möglichkeiten, das Potential dieser Staaten gegen Terrorismus, reli-giösen Extremismus, aggressiven Separatismus und illegalen Drogenhandel zu nutzen. Trotz aller Vorteile könnte eine Mitgliedschaft der zentralasiatischen Staaten in der SCO ihren politischen Spielraum aber auch einschränken und sie dazu zwingen, ihre Außenpolitik mit Russland und China abzustimmen, wodurch 9 Die SCO wurde am 15. Juni 2001 gegründet; Mitglieder sind: die VR China, Kasachstan,

Kirgisistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan.

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wiederum die Zusammenarbeit Zentralasiens mit westlichen Staaten, insbe-sondere den USA, zurückgehen könnte. Darüber hinaus ist die SCO keine militärpolitische Allianz, die ihren Mitgliedstaaten Sicherheitsgarantien ge-ben könnte. Eine militärische und politische Zusammenarbeit der zentralasiatischen Staaten, einschließlich Usbekistans, mit den USA und den NATO-Staaten ist daher wichtig. Die Gestaltung der militärischen und technischen Zusammen-arbeit hat in dieser Hinsicht Priorität. Das Schlüsselelement in diesem Pro-zess könnte die Zusammenarbeit bei der Verstärkung der Grenzsicherheit und Verbesserung der technischen Infrastruktur sein. Die USA arbeiten bereits mit den Staaten der Region gegen den Terrorismus zusammen. Seit der Bekanntgabe der Initiative zur zentralasiatischen Grenz-verteidigung im April 2000 hat die US-Regierung 70 Millionen US-Dollar für die Schulung von Zollbeamten und Offizieren der Grenztruppen, zur Un-terstützung der Terrorismusbekämpfung sowie für Kommunikation, Kon-trolle und nachrichtendienstliche Aufklärung zur Verfügung gestellt. Diese Programme haben eine der Grundlagen für die Durchführung der Anti-Ter-ror-Operation der USA in Afghanistan geschaffen. Gegenwärtig erkennen eigentlich alle zentralasiatischen Staaten die Notwen-digkeit einer amerikanischen Beteiligung an einem regionalen Sicherheits-system an, was durch ihr Einverständnis zur Nutzung ihres Luftraums und ihrer Flughäfen durch US-Truppen und deren Verbündete bekräftigt wird. Das wiederum ist ein Beleg für den Wandel der Beziehungen zwischen den USA und den zentralasiatischen Staaten und verdeutlichen die Hoffnung der Staaten der Region auf enge Beziehungen zum Westen und insbesondere zu Washington. Die Bereitschaft einiger zentralasiatischer Staaten, einen Teil ihrer Militär-stützpunkte NATO-Standards entsprechend zu modernisieren, bedeutet auch, dass dann westliche Experten ins Land kommen werden, die die notwendige Infrastruktur aufbauen sowie Bedienungsmannschaften und Armeeoffiziere ausbilden. Diese Form der Zusammenarbeit wird folglich zu einer langfristi-gen Partnerschaft auf verschiedenen Gebieten führen, die nahezu alle Länder der Region einbezieht. Die Entwicklung einer stabileren und effektiveren Zusammenarbeit zwischen der NATO und ihren zentralasiatischen Partnern sowie die Einführung neuer Mechanismen für politische Konsultationen werden zu einer intensiven Ko-operation im Rahmen des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates (EAPR) füh-ren. Um ihrer neuen Funktion gerecht werden zu können, muss die NATO im Rahmen des EAPR ihre Investitionen in den Sicherheitsbereich erhöhen, des-sen Probleme durch die militärischen Aufgaben des Programms „Partner-schaft für den Frieden“ (PfP) gelöst werden könnten. Insbesondere NATO-Initiativen zur Erweiterung und Vertiefung der PfP sollten sich auf alle As-pekte der Partnerschaft erstrecken und den Umfang der Zusammenarbeit zwi-schen der NATO und ihren Partnern erhöhen.

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Insgesamt gesehen müssen aber die zentralasiatischen Staaten selbst eine maßgebliche Rolle beim Aufbau eines effektiven und stabilen regionalen Si-cherheitssystems übernehmen. Vor allem ihre eigene aktive und konstruktive Haltung wird zur Bildung eines Umfelds führen, das die nachhaltige Ent-wicklung der zentralasiatischen Region gewährleistet. Deshalb darf die Zu-sammenarbeit zur Schaffung von Sicherheit und Stabilität in Zentralasien nicht auf Deklarationen und unüberlegten Beschlüssen und Maßnahmen be-ruhen, sondern muss auf bilaterale und multilaterale Abkommen aufbauen. Regionale und internationale Kooperation und wirtschaftliche Entwicklung Zusätzlich zum Aufbau eines regionalen Sicherheitssystems sollten die zent-ralasiatischen Staaten vor allem der Entwicklung der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und humanitärem Gebiet besondere Aufmerksamkeit schenken. Usbekistan fördert daher den Integrationsprozess in Zentralasien und bemüht sich um die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen zur Überwindung von Desintegrationstendenzen und zur flexiblen Beilegung zwischenstaatlicher Probleme in der Region. In diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse der beiden letzten Gipfeltref-fen der Staatsoberhäupter der zentralasiatischen Staaten, die am 27. und 28. Dezember 2001 und vom 28. Februar bis 1. März 2002 stattfanden, erwäh-nenswert. Auf diesen Gipfeltreffen wurde die Zentralasiatische Wirtschafts-gemeinschaft (Central Asian Economic Association, CAEA), die 1994 ge-gründet worden war, in die Organisation für zentralasiatische Zusammenar-beit (Central Asian Cooperation Organization, CACO) überführt.10 Dies be-legt offensichtlich das Bestreben der zentralasiatischen Staaten, die regionale Zusammenarbeit auf ein höheres Niveau zu heben. Insbesondere beim Gip-feltreffen in Taschkent im Jahre 2001 wurde deutlich gemacht, dass die Zu-sammenarbeit u.a. im politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen sowie im kulturellen Bereich ebenso wie die Mitwirkung auf in-ternationaler Ebene den Interessen aller Staaten der Region dient und Frieden und Stabilität sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene fördert.11 Die Vereinbarungen, die bei den Treffen der Staatschefs erzielt wurden, ha-ben bereits die Dynamik der zwischenstaatlichen Beziehungen in der zentral-asiatischen Region verändert. So veranstalteten z.B. die Botschaften Usbe-kistans und Kirgisistans am 23. Januar 2002 in Washington einen Runden Tisch im US-Handelsministerium, der sich mit Investitions- und Wirtschafts-fragen befasste.12 Gegen Ende des Besuchs einer tadschikischen Regierungs-delegation wurde am 12. Februar 2002 eine Reihe von Abkommen unter-zeichnet, nach denen die Staatsverschuldung Tadschikistans um zwölf Milli-

10 Vgl. Presseagentur OREANDA, 29 Dezember 2001. 11 Vgl. Pravda Vostoka vom 29. Dezember 2001. 12 Vgl. Presseagentur UzA, 25. Februar 2002.

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onen Dollar reduziert und auch die Preise für usbekische Gaslieferungen an Tadschikistan gesenkt wurden. Bemerkenswert ist auch, dass die Staatschefs der zentralasiatischen Länder auf den genannten Gipfeltreffen besonderen Wert auf die Stärkung des ge-genseitigen Vertrauens in der Region gelegt haben, ein Schlüsselelement für die Entwicklung der zwischenstaatlichen Kooperation. In diesem Zusam-menhang ist die Initiative Usbekistans zur Schaffung eines einzigen einheitli-chen Informationsraums durch die Einrichtung eines gemeinsamen Fernseh-senders der Staaten der Region ebenfalls erwähnenswert. Darüber gibt es be-reits ein Abkommen zwischen Usbekistan und Tadschikistan, das während des Besuchs des tadschikischen Präsidenten Emomali Rachmonow am 27. und 28. Dezember 2001 in Taschkent unterzeichnet wurde.13 Solche Maßnah-men tragen dazu bei, die Nationen einander näher zu bringen, indem sie über das Leben in den Nachbarstaaten informieren, und einen offeneren Dialog zwischen den Staaten herzustellen. Die weitere Förderung und Diversifizierung des politischen Dialogs, die Ver-besserung der Formen und Mechanismen der regionalen Wirtschaftsintegra-tion, die Stärkung der gegenseitigen Verständigung über die Errichtung eines gemeinsamen Sicherheitsraumes und die Erarbeitung gemeinsamer Maßnah-men zur Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität in der Region werden weitgehend von der Intensivierung der multilateralen Zusammenarbeit in den politischen, wissenschaftlichen und technischen, kulturellen und humanitären Beziehungen und der Umsetzung der CACO-Vereinbarungen abhängen. Darüber hinaus haben die zentralasiatischen Staaten ein Interesse an der Rea-lisierung wirtschaftlicher, staatlicher und politischer Programme durch die Staatengemeinschaft. Die USA haben bereits entsprechende Vorhaben ange-kündigt. Da die zentralasiatischen Staaten einen humanitären Korridor für die Nahrungsmittelhilfe für Afghanistan und den Nachschub für die Anti-Terror-Koalition zur Verfügung stellen, sollte sich die langfristige Zusammenarbeit zwischen den USA und den Staaten der Region darauf konzentrieren, die mi-litärische Kooperation mit ernst gemeinter Hilfe für die Reformen in den zentralasiatischen Staaten zu verbinden. Das Ziel Washingtons, seine Präsenz in der Region aufrechtzuerhalten, hängt mit der Komplexität und Langfristigkeit der Aufgabe zusammen, die Lage in Afghanistan zu beruhigen. Statt der Konzentration auf eine militärische Prä-senz der USA in Zentralasien werden langfristige wirtschaftliche und andere Formen der Kooperation in der Region vorgeschlagen. Fragen politischer, wirtschaftlicher, humanitärer und militärischer Art wer-den intensiv zwischen US-Vertretern und den Führern der Staaten in der Re-gion diskutiert. In diesem Zusammenhang hat die amerikanische Seite wie-derholt ein „höheres Niveau“ der Beziehungen zwischen den USA und den zentralasiatischen Staaten konstatiert. Insbesondere Usbekistan hat seine Ab-

13 Vgl. Presseagentur UzA, 27. Dezember 2001.

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sicht bekräftigt, die Umsetzung von Programmen zur wirtschaftlichen Libe-ralisierung zu beschleunigen.14 Das Streben beider Seiten nach einer Vertie-fung der Zusammenarbeit führte am 30. November 2001 zur Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding zwischen den Regierungen der Repu-blik Usbekistan und der USA über die Weiterentwicklung der bilateralen Ko-operation und die Unterstützung wirtschaftlicher Reformen in Usbekistan. Wie sich bereits jetzt abzeichnet, wird der Wiederaufbau Afghanistans die Entwicklung Zentralasiens fördern; die Lieferung zentralasiatischer Waren, Materialien und Dienstleistungen nach Afghanistan hat die Wirtschaft der Staaten in der Region bereits angekurbelt. Die Perspektiven für die wirt-schaftliche Entwicklung der zentralasiatischen Region werden jedoch in ers-ter Linie von der Ausbeutung der enormen Energievorräte in der Region und alternativen Exportrouten abhängen. Die Rolle der internationalen Organisationen Wie es scheint wird das Festhalten der US-Politik an einer vertieften und ko-ordinierten Zusammenarbeit in allen Bereichen, darunter Sicherheit, Handel, Energiewirtschaft und die Stärkung der inneren Sicherheit der Länder in der Region durch Unterstützung bei den politischen und wirtschaftlichen Refor-men, die notwendigen Voraussetzungen für langfristige Stabilität in Zentral-asien schaffen. Darüber hinaus erfordert die Bekämpfung von internationalem Terrorismus und religiösem Extremismus durch die Lösung der sozioökonomischen und politisch-sozialen Probleme der Region die Einbeziehung der Vereinten Na-tionen, der OSZE und anderer internationaler Institutionen in die regionalen Prozesse. Die Einsetzung des Anti-Terrorismus-Ausschusses (Counter-Terrorism Committee, CTC) des Sicherheitsrats der VN kann als Parallele zur Initiative Usbekistans angesehen werden, ein internationales Zentrum der Vereinten Nationen zur Terrorismusbekämpfung zu gründen. Nun da sich die militäri-scher Phase der Anti-Terror-Operation in Afghanistan dem Ende zuneigt, unterstützt Usbekistan den Gedanken, dass die Gesamtkoordination der An-titerrorismuspolitik und der Wiederaufbau Afghanistans unter der Schirm-herrschaft der Vereinten Nationen durchgeführt werden sollten. In dieser Hinsicht spielt das Protokoll zwischen der Regierung der Republik Usbekistan und den Vereinten Nationen über die Förderung der Lieferung von humanitärer Hilfe von Usbekistan nach Afghanistan, das am 14. Dezem-ber 2001 in Taschkent unterzeichnet wurde, eine wichtige Rolle.15 Während es einerseits die Lieferungen internationaler nichtstaatlicher und Regierungs-organisationen nach Afghanistan unterstützt, hat dieses Dokument anderer- 14 Vgl. Pravda Vostoka vom 6. Dezember 2001. 15 Vgl. Pravda Vostoka vom 15. Dezember 2001.

In: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2002, Baden-Baden 2002, S. 113-125.

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seits auch erheblich zur Beschleunigung der Durchführung langfristiger UNDP-Projekte in Usbekistan auf folgenden Gebieten beigetragen: Anhe-bung des Lebensstandards durch die Schaffung stabiler Einkommensquellen, Umweltschutz, berufliche Bildung, Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien in Usbekistan sowie Unterstützung der Regie-rung bei der Koordinierung ausländischer Hilfe. Auch die OSZE könnte bei der Stärkung von Sicherheit und Stabilität in Zentralasien eine Schlüsselrolle spielen, sie müsste allerdings ihre Prioritäten, einschließlich einer Erweiterung ihres Mandats zur Koordinierung einer ge-meinsamen Strategie gegen die neuen Arten der Bedrohung, neu setzen. Die Entschlossenheit der OSZE, dem Terrorismus mit gemeinsamen An-strengungen zu begegnen, findet ihren Ausdruck im Bukarester Aktionsplan gegen den Terrorismus aus dem Jahr 2001, der Vorschläge zur praktischen Unterstützung der zentralasiatischen Staaten enthält. Obwohl man die OSZE sicher nicht als führende Organisation zur Bekämpfung des Terrorismus be-zeichnen kann, könnte sie sich doch einiger dem Terrorismus zugrunde lie-gender Probleme annehmen, wie etwa politischer und sozioökonomischer Ungleichheit, die der Nährboden für extremistische Ideologien ist. Die „In-ternationale Konferenz über die Stärkung von Sicherheit und Stabilität in Zentralasien: Stärkung umfassender Bemühungen im Kampf gegen den Ter-rorismus“, die im Dezember 2001 in Bischkek unter der Schirmherrschaft der OSZE stattfand, setzte die Arbeit der Konferenz über Sicherheitsfragen, die vom UNODCCP und der OSZE gemeinsam im Oktober 2000 in Taschkent veranstaltet worden war, fort und war ein erster Schritt zur Umsetzung des Bukarester Aktionsplans zur Bekämpfung des Terrorismus.16 Die OSZE verfügt über ausreichende intellektuelle Ressourcen und politische Autorität, um multilaterale Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten zu unterhalten, die ein Recht darauf haben, von der OSZE Unterstützung nicht nur bei der Überwachung möglicher Konflikt- und Instabilitätsherde zu er-warten, sondern auch in ihren Bemühungen in allen Dimensionen nachhalti-ger Entwicklung, einschließlich der sozialen und wirtschaftlichen, kulturellen und humanitären, wissenschaftlichen und technischen Dimension sowie auf dem Bildungssektor. Hierbei sollten bei der technischen und finanziellen Hilfe für die Staaten der Region auf der Grundlage umfassender nationaler und regionaler Programme die folgenden Bereiche als vordringlich angesehen werden: - Stärkung der Fähigkeiten der zentralasiatischen Staaten, ihre Grenzen

zu schützen und Grenzübertritte von Terroristen und organisierten kri-minellen Gruppen zu verhindern. Hier sind die Lage in Afghanistan und insbesondere der illegale Drogenhandel zu berücksichtigen; andererseits

16 Vgl. www.osce.org/bishkek_conference.

In: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2002, Baden-Baden 2002, S. 113-125.

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dürfen dabei keine Hindernisse für den freien Handel und den Reisever-kehr entstehen;

- Unterstützung einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung durch vermehrte Zusammenarbeit zwischen nationalen und internationalen Banken, um die Wirtschaft zu fördern. Dies wird auch dazu beitragen, ausländische Investitionen anzuziehen und Geldwäsche sowie die Fi-nanzierung des Terrorismus zu verhindern;

- Ausbildung von Spezialisten auf verschiedenen Gebieten und Bereitstel-lung der entsprechenden Ausrüstung und Technologie;

- Stärkung des Potentials der staatlichen Organisationen für den Kampf gegen den Terrorismus, das organisierte Verbrechen und den illegalen Drogenhandel;

- Bereitstellung von finanzieller und anderer Unterstützung, um die Rati-fizierung und Implementierung der entsprechenden internationalen Ab-kommen zu fördern.

Die internationale Zusammenarbeit bei der Schaffung eines nachhaltigen re-gionalen Sicherheitssystems in Zentralasien muss also unter Beteiligung der wichtigsten Machtzentren und internationalen Organisationen stattfinden; durch sie wird die Grundlage für Kooperation und Problemlösungen in der Region geschaffen. Die internationale Unterstützung der Reformen in der Region wird Stabilität und Frieden nicht nur in Zentralasien fördern, sondern auch das Aufkommen neuer Krisenherde, die eine Bedrohung für die globale Sicherheit wären, verhindern.

In: IFSH (Hrsg.), OSZE-Jahrbuch 2002, Baden-Baden 2002, S. 113-125.