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1 Der Ursprung der Schildkröten Reinhard Junker, Rosenbergweg 29, 72270 Baiersbronn Stand: 10. 10. 2011 in ähnlicher Form als Zweiteiler veröffentlicht in: Studium Integrale Journal 17 (2010), 21-28, 59-67. I n h a l t Besonderheiten des Schildkröten-Bauplans Phylogenetische Position der Schildkröten Hypothesen zur Panzer-Entstehung Zur Ontogenese des Panzers und die Carapaxfalte Evolutionstheoretische Folgerungen Genetische Studien Folgerungen für die konkurrierenden Hypothesen der Panzer-Entstehung Fossilfunde Land oder Wasserschildkröten zuerst? Odontochelys Chinlechelys Zusammenfassende Diskussion Ontogenetische Befunde und die Bedeutung der Carapaxfalte Molekulare Daten und der Fossilbefund Einzigartige Merkmalskombinationen und Konvergenzen Probleme des Umbaus Ontogenese als Modell für Phylogenese? Nichtevolutionäre Deutung der frühen Schildkrötenfossilien Schnelle große Vielfalt Schnelle weite geographische Verbreitung, kein Ausbreitungszentrum Dank Literatur

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Der Ursprung der Schildkröten

Reinhard Junker, Rosenbergweg 29, 72270 Baiersbronn

Stand: 10. 10. 2011

in ähnlicher Form als Zweiteiler veröffentlicht in:

Studium Integrale Journal 17 (2010), 21-28, 59-67.

I n h a l t

Besonderheiten des Schildkröten-BauplansPhylogenetische Position der SchildkrötenHypothesen zur Panzer-EntstehungZur Ontogenese des Panzers und die CarapaxfalteEvolutionstheoretische FolgerungenGenetische StudienFolgerungen für die konkurrierenden Hypothesen der Panzer-Entstehung

FossilfundeLand oder Wasserschildkröten zuerst?OdontochelysChinlechelys

Zusammenfassende DiskussionOntogenetische Befunde und die Bedeutung der CarapaxfalteMolekulare Daten und der FossilbefundEinzigartige Merkmalskombinationen und KonvergenzenProbleme des UmbausOntogenese als Modell für Phylogenese?

Nichtevolutionäre Deutung der frühen SchildkrötenfossilienSchnelle große VielfaltSchnelle weite geographische Verbreitung, kein Ausbreitungszentrum

DankLiteratur

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Besonderheiten des Schild-kröten-Bauplans

Die Schildkröten besitzen den ungewöhnlichstenBauplan unter den Reptilien. Mit ihrem zweitei-ligen Panzer aus Carapax (Rückenpanzer) undPlastron (Bauchpanzer), die seitlich durch soge-nannte „Brücken“ verwachsen sind, sind sie un-verkennbar und deutlich verschieden von allenanderen Organismengruppen (Abb. 1). Aber

Über den Ursprung der Schildkröten

Schildkröten haben einen sehr charakteristischen und zugleich ungewöhnlichenBauplan. Ihre Stellung innerhalb der Wirbeltiere ist schwer bestimmbar. Die älte-sten Fossilfunde könnten Hinweise auf Vorfahren geben, aber charakteristischeSchildkröten-Merkmale finden sich auch bei den ältesten Schildkrötenfossilien.Bezüglich der Mechanismen der Entstehung des Schildkrötenbauplans bleibenviele Fragen offen.

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nicht nur der Panzer ist einzigartig; auch vieleandere Körperteile weisen Besonderheiten auf.So ist Atmung durch Bewegung des Brustkorbswegen des starren Panzers nicht möglich, wes-halb die Schildkröten ganz spezielle Atemtech-niken und dafür besondere Muskulatur benöti-gen; dabei werden auch Bewegungen der Vor-dergliedmaßen eingesetzt (beschrieben z. B.unter http://www.monta-n.net/sk/atem.html).Ungewöhnlich ist auch die Lage des Schulter-blatts; es befindet sich innerhalb des durch dieRippen gebildeten Brustkorbs – eine charakteri-stische Besonderheit des Schildkrötenskeletts(Abb. 2). Aufgrund dieser ungewöhnlichen Lagesind die Schildkröten die einzigen Wirbeltiere,bei denen die Beine unterhalb der Rippen gele-gen sind (GILBERT et al. 2008, 2). Die Verände-rungen des Skelettbaus korrelieren auch mit grö-ßeren Änderungen im Bau des Schädels, desHalses, der Muskeln der Körperachse, der Ex-tremitäten und ihrer Gürtel und des Kopulati-onsapparats (GILBERT et al. 2001, 47; NAGASHIMA

et al. 2005, 149, 150; NAGASHIMA et al. 2009).Der Rückenpanzer besteht aus Hautknochen,

die mit verbreiterten Rippen und Dornfortsät-zen der Rückenwirbel verwachsen sind. DerBauchpanzer ist vorne mit Teilen des Schulter-gürtels verschmolzen. Über der Knochenlage derHautknochen befindet sich eine dünne, aberreichlich mit Blutgefäßen und Nerven versorgteHautschicht. Darüber folgen Hornschilder, Ge-bilde der Oberhaut, die ähnlich wie die Knochen-platten angeordnet sind. Der Panzer fungiert inverschiedenen Arten als pH-Puffer, Reservoir fürWasser, Fett und Abfall sowie als Ort der Blut-bildung (GILBERT et al. 2008, 1f.). Es gibt vieleVariationen des Panzerbauplans, die hier nichtbeschrieben werden sollen (siehe dazu http://www.monta-n.net/sk/bewegung.html).

Der Schädel ist anapsid gebaut, d. h. er be-sitzt keine Schläfenfenster (s. u.). Heutige Artenbesitzen keine Zähne, ihre Kieferknochen sindmit scharfen Hornschneiden bedeckt.

Abb. 1 Oben: Typi-scher Aufbau des Rük-kenpanzers (Carapax)von Schildkröten(GNU-Lizenz für freieDokumentation).Unten: Sternschild-kröte Geochelone ele-gans, Familie Testudi-nidae. (Foto: JoachimNEUMANN, fotolia.com)

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Zusammenfassung

Schildkröten haben den ungewöhnlichsten Bauplan un-ter den Wirbeltieren. Er ist so verschieden von anderenTiergruppen, dass über die taxonomische* Zuordnungkeine eindeutige Aussage möglich ist. Nachdem mor-phologische* Merkmale eher Verwandtschaftsbeziehun-gen mit phylogenetisch* alten Gruppen unterstützten,wiesen neuere molekularbiologische Untersuchungen abEnde der 1990er Jahre in eine neue Richtung, nämlicheiner Verwandtschaft mit diapsiden Formen, die alsabgeleitet gelten. Morphologische und molekulare Ana-lysen passen nicht zusammen.

Über die Entstehung des hervorstechendsten Merk-mals, den Panzer, werden unterschiedliche Hypothesenvertreten. Nach der Transformationshypothese entstandder Panzer allmählich aus Hautknochen durch Fusionmit den Rippen und Wirbelfortsätzen unter der Wirkungder natürlichen Selektion. Nach der Emergenzhypothe-se ist der Panzer dagegen zunächst unabhängig von An-passungsprozessen durch Neuverschaltungen von Steu-ergenen und Entwicklungsmodulen, also durch Verän-derungen in der ontogenetischen Entwicklung entstan-den. Eine besondere Rolle spielt nach dieser Hypotheseeine nur in der Ontogenese* der Schildkröten vorkom-mende Aufwölbung aus Ektoderm und Mesoderm, diesich oberhalb der Extremitätenknospe in Längsrichtungauf der Körperflanke bildet, die Carapaxfalte („carapa-cial ridge, CR). Beiden Hypothesen stehen schwerwie-gende Probleme entgegen. Das Für und Wider der bei-den Hypothesen wird erläutert.

In der Fossilüberlieferung erscheint der Schildkrö-

tenbauplan ziemlich abrupt. Neuere Fossilfunde könn-ten die Lücken zu anderen Tiergruppen verringern. Diein den Jahren 2008 und 2009 neu beschriebenen Gat-tungen Odontochelys und Chinlechelys werden im Rah-men der konkurrierenden Panzer-Entstehungshypothe-sen diskutiert. Diese beiden Gattungen besaßen Merk-male, aus denen Hinweise auf ihre hypothetische Evo-lution entnommen werden können. So besaß Odonto-chelys keinen verknöcherten Rückenpanzer, und derPanzer von Chinlechelys war sehr dünn und nur teilwei-se mit den Rippen verwachsen. Es ist aber in beidenFällen nicht sicher, ob es sich dabei um phylogenetischePrimitivmerkmale handelt. Odontochelys könnte aucheine spezialisierte wasserlebende Gattung gewesen sein.Und die fossilen Reste von Chinlechelys sind möglicher-weise zu spärlich, um sichere Schlussfolgerungen zu er-lauben.

Anschließend wird eine Reihe von Fragen zur Evolu-tion der Schildkröten zusammenfassend diskutiert: On-togenetische* Befunde und die Bedeutung der Carapax-falte*, die uneinheitliche systematische Stellung derältesten Fossilfunde, molekulare Daten und der Fossil-befund, einzigartige Merkmalskombinationen und Kon-vergenzen*, Probleme des Umbaus zum Panzer und dieOntogenese als fragwürdiges Modell für die Phylogene-se*.

Abschließend werden kurz einige spekulative Ideenfür die Möglichkeit einer nicht-evolutionären Deutungder Fossilüberlieferung der ältesten Schildkröten disku-tiert.

GILBERT et al. (2001, 47) stellen zur Beson-derheit des Schildkrötenbaupans fest: „Insge-samt enthält der Panzer über 50 Hautknochen,die es in keiner anderen Wirbeltierordnung gibt,und die Ausbildung dieser Knochenumhüllungerforderte umfangreiche Veränderungen desVierfüßer-Bauplans. … Der Hals, Schädel undKopulationsapparat sind ebenfalls stark verän-dert.“

Die Einzigartigkeit des Bauplans wird auchdaran deutlich, dass die systematische Stellungder Schildkröten schwer zu bestimmen ist. DerGrund dafür ist, dass nur wenige Merkmale Ver-bindungen zu anderen Amnioten*-Gruppen er-möglichen; es gibt zahlreiche Merkmalswider-sprüche und Konvergenzen* (ZARDOYA & MEYER

2001, 193; LEE 1994, 63; LEE 2001; RIEPPEL 2000,209). „Es ist kein Zufall, dass mehr als zehn ver-schiedene Gruppen früher Tetrapoden (Vierbei-ner) als mögliche Vorfahren der Schildkrötenidentifiziert wurden“ (CHEREPANOV 1997, 155).Heutige Schildkröten sind einerseits stark abge-leitete* Reptilien, sie besitzen aber auch zahlrei-che ursprüngliche (anzestrale*) Amnioten-Merk-male (ZARDOYA & MEYER 2001, 194). Sie sind so-mit auch in taxonomischer* Hinsicht markant

als eigenständige, für sich stehende Gruppe er-kennbar.

Phylogenetische Position derSchildkröten

Da die Schildkröten keine Schläfenfenster besit-zen, lag es nahe, sie als primär anapsid einzustu-fen (vgl. Abb. 4). Daher galten die Schildkrötenals die einzigen Überlebenden unter den anapsi-den Reptilien. Da die anapside Schädelform alsursprünglich gilt, wurde die Schildkrötenlinie bisvor gut einem Jahrzehnt entsprechend als altund ursprünglich angesehen. Einige Autorenstellten die Schildkröten jedoch wegen auffälli-ger Gemeinsamkeiten im Beckengürtel und denHinterbeinen mit den Lepidosauriern trotz feh-lendem Schläfenfenster zu den Diapsiden (vgl.Abb. 5). Bis Mitte der 1990er Jahre schien sichein Konsens einzustellen, dass die Schildkrötenzu den Parareptilien zu stellen seien, als mut-maßliche Vorläufergruppe galten die Procolo-phoniden oder die Pareiasaurier (Abb. 3; LEE

1993; 1994; 1996; 1997; 2001; LAURIN & REISZ

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1995; BENTON 2007, 245; RIEPPEL 2000; 2008),jedenfalls konnte man auf einige Merkmalsüber-einstimmungen wie einen steifen Panzer undeinen kurzen Körper sowie auf einige Ähnlich-keiten im Schädel, Wirbeln, Rippen, Gürtel undder Gliedmaßen verweisen (LAURIN & REISZ 1995,168).

Neuere morphologische und vor allem mo-lekulare Studien haben jedoch zu einer radika-len Neubewertung der Verwandtschaftsverhält-

nisse geführt, wonach die Schildkröten zu denals höherentwickelt geltenden diapsiden Formen(mit zwei Schläfenfenstern) zu rechnen sind (CAO

et al. 2000; RIEPPEL & DE BRAGA 1996; ZARDOYA &MEYER 1998; 2001; WILKINSON et al. 1997; HEDGES

& POLING 1999; REST et al. 2003; IWABE et al. 2005;HILL 2005). Nach neuerer Sicht gilt das Fehlenvon Schläfenfenstern folglich als sekundär, dasheißt die Schläfenfenster sind wieder verloren-gegangen. Molekularen Studien zufolge sind dieArchosaurier (Krokodile und Vögel) die heutelebende Schwestergruppe* der Schildkröten,während morphologische Daten Lepidosaurier(Brückenechsen, Eidechsen und Schlangen) alsnächste Verwandte nahelegen (ZARDOYA & MEY-ER 2001, 193). Aber auch verschiedene moleku-lare Studien führten nicht zu einheitlichen Er-gebnissen (ZARDOYA & MEYER 2001, 194, RIEPPEL

2008, 348; vgl. Abb. 6). Neuerdings sprechenvergleichende Daten der Embryonalentwicklungwieder dafür, dass Schildkröten eine alte Linieunter den Sauria sind (WERNEBURG & SANCHEZ-VILLAGRA 2009).

Wie in vielen anderen Fällen bestehen deut-liche Merkmalswidersprüche zwischen moleku-laren Daten und morphologischen Befunden (vgl.RICHTER & SUDHAUS 2004; VALENTINE 2004, 32,148) – entgegen oftmaliger Behauptungen einerguten Passung.

Wie in vielen anderen Fällen be-stehen deutliche Merkmalswider-sprüche zwischen molekularenDaten und morphologischen Be-funden.

Die Schildkröten werden nun also als jüng-ste Gruppe unter den Reptilien angesehen. Un-tersuchungen der cDNA-Sequenzen einiger Lak-tat-Dehydrogenasen und α-Enolasen von MAN-NEN & LI (1999) lassen vermuten, dass die Schild-krötenlinie nach der Divergenz der Schuppen-kriechtiere (Squamata) und Vögel abzweigte,womit die Schildkröten die späteste Reptilienli-nie wären, die auf einen Vorfahren der Crocodi-lia innerhalb der letzten 200 Millionen Jahre zu-rückgeführt wird (MANNEN & LI 1999, 144). Ver-schiedene Untersuchungen führten zwar nichtzu einheitlichen Ergebnissen (s. o.), aber gemein-sam ist allen, dass die Schildkröten molekularenStudien zufolge eine relativ junge Linie inner-halb der Amnioten sein dürften. Das steht inSpannung zu paläontologischen Befunden, dennes wurden Fossilfunde gemacht, die bis zu 220Millionen alt sind (s. u.). Aus der Obertrias (älterals 200 Millionen Jahre) sind mehrere Gattun-gen bekannt, die verschiedenen evolutionärenLinien zugeordnet werden (vgl. z. B. GAFFNEY

1975). MANNEN & LI (1999, 147) ermittelten alsDivergenzzeit für die Trennung der Alligatoren-

Abb. 2 Bei allen Land-wirbeltieren befindetsich das Schulterblatt(Scapula) außerhalb desBrustkorbs, nur bei denSchildkröten ist es in-nerhalb der Rippen ge-legen. (Nachscienceblogs.com)

abgeleitetes Merkmal: Merkmal, dasals „höherentwickelt“ eingestuftwird.AER, Apikalfalte („apical ectoder-mal ridge“): Das körperferne Ende(Ektodermkappe) der Extremitäten-knospe. Das Ektoderm an der Spitzeder Knospe verdickt sich und bildeteine spezialisierte Struktur, die Api-kalleiste oder Apikalfalte1

Amnioten: Landwirbeltiere, derenEmbryonen sich in einer mit Frucht-wasser gefüllten Amnionhöhle ent-wickeln.anzestral: urtümlich, ursprünglich.aquatisch: im Wasser lebendbiphyletisch: auf zwei unabhängigenAbstammungslinien, zweimal unab-hängig entstandenCarapaxfalte: Aufwölbung, die sichoberhalb der Extremitätenknospe inLängsrichtung auf der Körperflankebildet (vgl. Abb. 7).Duplikation: VerdopplungEpithel: DeckgewebeExpression, exprimieren: Ablesungund Nutzung der auf einem Gen nie-dergelegten Information.juvenil: im JugendalterKonvergenz: gleichartige Entwick-lung ähnlicher Strukturen und Funk-

tionen einzelner Organe nicht ab-stammungsmäßig verwandter Or-ganismen.Mesenchym: embryonales Binde-gewebeMorphologie: Lehre vom Bau undder Gestalt der Organismen.Ontogenese: Individualentwick-lung von der befruchteten Eizellean.orthologe Gene: Gene verschiede-ner Arten, die auf ein gemeinsa-mes Vorläufergen zurückgeführtwerden können.Osteodermen: Hautverknöcherun-genPhylogenese: Stammesgeschich-te.Schwestergruppen: Zwei Taxa(Gruppen), die auf eine nur ihnengemeinsame Stammart zurückge-führt werden können.Taxonomie: biologische Arbeits-richtung, die die Mannigfaltigkeitder Organismen beschreibt, be-nennt und ordnet.terrestrisch: auf dem Land lebendWnt-Signalweg: Einer der Wege,über die Signale weitergeleitetwerden, durch die Zellen auf äu-ßere Signale reagieren können.

Glossar

Abb. 3 Anthodon gre-goryi, ein Pareiasaurieraus dem Oberperm Süd-afrikas (GNU Freie Do-kumentationslizenz)

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und Schildkrötenlinie sogar nur 151,6 ± 23,7 Mil-lionen Jahre, was einen deutlichen Widerspruchvon molekularen Abschätzungen und dem Fos-silbericht bedeutet.

Mit der Neuklassifizierung und den damit ein-hergehenden neuen Vorstellungen zur Phyloge-nese* müssen die bislang als Homologien inter-pretierten Merkmalsübereinstimmungen zwi-schen den Pareiasauriern und frühen Schildkrö-tengattungen wie Proganochelys als Konvergen-zen neu interpretiert werden (vgl. LAURIN & REISZ

1995, 205f). Hier wird beispielhaft deutlich, dassMerkmalsübereinstimmungen an sich kein si-cherer Führer für Verwandtschaftsverhältnissesein können, sondern erst im Rahmen einerphylogenetischen* Hypothese entsprechendinterpretiert werden können. Wegen der großenBauplanunterschiede sind Vergleiche zwischenden Schildkröten und anderen Tiergruppen unddaher der Nachweis von Homologien zudem oftschwierig (RIEPPEL 2008, 345).

LYSON & GILBERT (2009, 134) fassen die Be-funde zusammen: Sie halten anatomische Da-ten für möglicherweise irreführend, wenn esverbreitet Konvergenzen gibt, was bei den Schild-kröten tatsächlich auch der Fall sei. Währendeinige Merkmale des Schädels für eine basaleanapside Stellung der Schildkröten sprechen,tendieren mehrere andere Merkmale für eineNähe zu den Diapsiden (vgl. Abb. 4). Molekula-re Analysen hätten diesen Konflikt nicht gelöst.Sowohl mitochondriale Gendaten als auch Da-ten der Kern-DNA widersprächen beiden mor-pholohgischen Hypothesen und unterstützenstattdessen eine Verwandtschaft mit Archosau-riern, was aber wiederum nicht durch morpho-logische Befunde unterstützt wird (vgl. auchLYSON et al. 2010 und WERNEBURG & SÁNCHEZ-VIL-LAGRA 2009).

Es ist vor diesem Hintergrund nicht verwun-derlich, dass SCHEYER & SANDER (2007, 1885) fest-stellen, dass die phylogenetische Position derSchildkröten innerhalb der Amnioten eines derrätselhaftesten und kontroversen Probleme inder Wirbeltiersystematik sei (vgl. auch OHYA etal. 2005, 116).

Hypothesen zur Panzer-Entstehung

Bis vor kurzem konnte man bei Hypothesen zurEntstehung des Schildkrötenpanzers kaum aufFossilfunde zurückgreifen. Aber auch ohne Fos-silfunde stellte man Überlegungen an, wie derbesondere Bau der Schildkröten entstanden seinkönnte. Als ein Schlüssel zur Erklärung wurdenund werden ontogenetische* Befunde angese-hen, und neuerdings kamen auch Erkenntnissein der Genetik hinzu, die helfen sollen, die Ent-

stehung des Schildkrötenbauplans zu verstehen.Darauf soll im Folgenden eingegangen werden.

Unter den Kennzeichnungen „transformi-stisch“ und „emergentistisch“ beschreibt RIEP-PEL (2009) zwei konkurrierende Hypothesen zurEntstehung der Schildkröten wie folgt:

Nach der transformistischen Sicht entstand derPanzer aus Hautknochen unter der Wirkung dernatürlichen Selektion. Hautknochen gibt es beivielen Arten, sie entstehen in tieferen Lagen derHaut. Bei den Schildkröten kam es nach dieserHypothese zu einer Fusion von Hautknochenmit den Rippen und Wirbelfortsätzen.

Nach der emergentistischen Hypothese ist derPanzer dagegen durch Veränderungen in der on-togenetischen Entwicklung entstanden. Unab-hängig von den Anpassungsprozessen, die durchdie natürliche Selektion ausgelöst werden, bil-dete sich durch Neuverschaltungen von Steuer-genen eine bisher nicht vorhandene Struktur.Man beachte hier die Verwendung des Begriffes„Emergenz“ („Auftauchen“). Damit ist eine ausden Vorbedingungen nicht ableitbare Neuheitzu verstehen; das kann man als „Überraschungs-effekt“ bezeichnen. Dieses Verständnis ist ty-pisch für den sogenannten Evo-Devo-Ansatz,wonach ein zufällig passendes, aber andersarti-ges Verschalten vorhandener Steuergene zuneuen Strukturen führen soll (vgl. JUNKER 2009).

Zur Entstehung des Plastrons (Bauchschild)gibt es keine vergleichbar ausformulierten Hy-pothesen wie zur Entstehung des Carapax. NachKURATANI et al. (2011, 3) sind Ursprung und Ho-mologie des Plastrons nicht gut verstanden unddie Evolution des Plastrons bleibe rätselhaft (S.9).

Abb. 4 VerschiedeneTypen des Schläfenfen-sters bei Reptilien. DerTyp des Schläfenfenstersdient zur Klassifikation.(Nach ROMER & PARSONS

1991)

Abb. 5 Bis etwa Mitte der 1990er Jahre wurden die Schildkröten wegen ihresanapsiden Schädelbaus (vgl. Abb. 3) als Angehörige primitiver Reptilien be-trachtet und zu den Parareptilia gestellt (Position 1 oder 2). Nach molekularenStudien müssen die Schildkröten jedoch zu den abgeleiteten Diapsiden gestelltwerden, wobei die genaue Position unsicher ist (3 oder 4). (Nach RIEPPEL 2008,verändert)

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Im Folgenden soll im Rahmen evolutions-theoretischer Vorstellungen dargestellt werden,welche Befunde jeweils für und gegen die bei-den konkurrierenden Vorstellungen zur Entste-hung des Carapax sprechen. Inwieweit die bei-den geschilderten Szenarien zur Entstehung desCarapax realistisch sind, wird weiter unten dis-kutiert.

Zur Ontogenese des Panzersund die Carapaxfalte

Die Bildung des Schildkrötenpanzers hängt on-togenetisch eng mit der Ausbildung der „Cara-paxfalte“ („carapacial ridge“, CR) zusammen,einer Aufwölbung aus Ektoderm und Mesoderm,die sich oberhalb der Extremitätenknospe inLängsrichtung auf der Körperflanke bildet (Abb.7). Die CR ist eine einzigartige Struktur beiAmnioten (NAGASHIMA et al. 2007) und soll zueiner neuen Epithel*-Mesenchym*-Wechselwir-kung geführt haben, die das Rippenwachstumbeeinflusst (BURKE 1989, 365; BURKE 1991; GIL-BERT et al. 2001, 47; NAGASHIMA et al. 2007). Dieersten ontogenetischen Abfolgen – Bildung derKörperachse, der Somiten (Ursegmente) und der

Extremitätenknospen – sind bei den Schildkrö-ten zunächst noch identisch mit denen andererTetrapoden (Vierbeiner). Erst wenn die Körper-wand gebildet wird, weicht die Ontogenese deut-lich bei der Entwicklung der Haut, der Wirbelund der Rippen ab (BURKE 1989, 372; RIEPPEL

2001, 991; KURAKU et al. 2005). Durch die Wech-selwirkung mit der CR biegen die Rippen in eineandere Position ab, nämlich zur Seite. Dadurchpositioniert sich der Schultergürtel innerhalb desBrustkorbs (Abb. 7). Die Rolle der CR zeigt sichdarin, dass nach ihrer experimentellen Entfer-nung die Rippenbildung wie bei anderen Wir-beltieren verläuft (BURKE 1991; vgl. ROBERT 2002,602f.; CEBRA-THOMAS 2005, 559). „Der CR ist fürdie Umlenkung der Zellwanderung verantwort-lich und für die Ausrichtung der Schildkröten-Entwicklung entlang eines neuen Wegs“ (RO-BERT 2002, 603).

Experimente von NAGASHIMA et al. (2007) zeig-ten allerdings, dass die CR nicht für die beson-dere Lage der Rippen, sondern nur für deren fä-cherförmige Ausprägung verantwortlich ist. Mög-licherweise gilt dies aber nur für die von NA-GASHIMA et al. untersuchte Art; die Methode derCR-Inaktivierung verlief bei ihren Versuchenanders als bei BURKE (1989). Die Autoren haltenes auch für möglich, dass der Einfluss der CR aufdas Wachstum der Rippen in einem früherenStadium wirksam ist (NAGASHIMA et al. 2007,2225). Die Funktion der CR scheint wenigerweitreichend zu sein als früher angenommen(KURATANI et al. 2011, 6).

Die CR gilt trotz dieser Einschränkungen alseine Art Schlüssel-Organanlage, die eine not-wendige Voraussetzung für die Bildung des un-gewöhnlichen Schildkrötenbauplans darstellt.NAGASHIMA et al. (2007) bezeichnen sie als eineechte neue Struktur („genuinely novel struc-ture“), die von den Somiten abgeleitet ist. KURA-TANI et al. 2011, 6) fassen zusammen: „Our cur-rent understanding of the CR, therefore, is that itdoes not simply function as an inducer of theturtle-specific rib growth pattern (axial arrest andlateral growth), but rather as the marginal growthcenter of the carapace, assisting the fan-shapedgrowth of the ribs. Nevertheless, the appearan-ce of the CR and the axial arrest of the rib pri-mordium are coextensive and these two pheno-mena are tightly linked to each other develop-mentally. Thus, we are tempted to assume thatthe CR and the axial arrest of the ribs are indu-ced together by an as-yet unknown, identicalupstream factor, or that the axially arrested ribsinduce or maintain the CR, which further indu-ces the fan-shaped growth of the ribs.“

Trotz der experimentell erforschten Zusam-menhänge zwischen der Ausbildung der CR unddem Schildkrötenbauplan gelangen NAGASHIMA

et al. (2007, 2226) zum Schluss, dass weitge-hend Unkenntnis über die Faktoren besteht, die

Abb. 6 Überblick überdiskutierte alternativeHypothesen phylogene-tischer Positionen derSchildkröten innerhalbder Amnioten (nach HILL

et al. 2005). Taxa, dieauch heute lebende Ar-ten beinhalten, sindfett dargestellt. HILL etal. nutzten einen um-fangreichen Datensatzaus morphologischenund molekularen Merk-malen von 80 Arten (ins-gesamt 370 Merkmale),fassten die Daten frühe-rer Studien zusammenund ergänzten diese mitweiteren Daten. Dierechts angegebenenZahlen geben an, wie-viele zusätzliche evolu-tionäre Schritte gegen-über der sparsamstenHypothese erforderlichsind.

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diesen besonderen Bauplan bewirken: „Wir ver-stehen immer noch nicht die wichtigsten Fakto-ren, die dem Bauplan der Schildkröten zugrun-de liegen, nämlich die Faktoren, die zur rücken-wärtigen Verschiebung der Rippen der Schild-kröten führen.“ Dies ist zu bedenken, wenn manhypothetische Betrachtungen über die evolutio-nären Entstehungsmechanismen anstellt.

In einer neuen Studie beschäftigen sich NA-GASHIMA et al. (2009) mit der Muskulatur, die beider Bildung des Carapax beteiligt ist. Einige Bein-muskeln bilden im Zusammenhang mit der Bil-dung des Carapax spezifische Muskelansätze.NAGASHIMA et al. (2009, 193) erklären dies durcheine Heterotopie (räumliche Verschiebung),basierend auf Faltung und neuen Verknüpfun-gen. Obwohl der Panzer als evolutionäre Neu-heit betrachtet werden könne, seien die musku-lären Veränderungen nicht so radikal, dass siedie morphologischen Homologien der einzelnenStrukturen zerstören würden (NAGASHIMA et al.2009, 195). Man kann also zwar eine Homologieder Bauelemente konstatieren, aber diese gehendann im Schildkröten-Bauplan teilweise neueVerknüpfungen ein.

KURATANI et al. (2011, 6) stellen fest, dass dietieferen Muskeln, die Körperstamm und denSchultergürtel verbinden und früh Verbindun-gen eingehen, sich ontogenetisch im Laufe derEntwicklung nicht verändern, anders als die ober-flächlichen Muskeln der Extremitäten, die ihreVerbindungen erst spät knüpfen und darin flexi-bler sind. Entsprechend würden die tieferenMuskeln den topographischen Änderungen beiden Schildkröten folgen und ihre Lage sei kon-serviert, während die oberflächlichen Muskelndiesbezüglich deutliche Änderungen erfahrenhätten.

EvolutionstheoretischeFolgerungenAufgrund ihrer Schlüsselrolle in der ontogeneti-schen Bildung des Panzers wird der Entstehung

der CR auch eine Schlüsselrolle in der phyloge-netischen (stammesgeschichtlichen) Entstehungdes Panzers zugewiesen (BURKE 1989, 365). Vonbesonderer Bedeutung ist dabei, dass die CRhistologische (gewebliche) Ähnlichkeiten (Ho-mologien) mit der Extremitätenknospe („apicalectodermal ridge“, AER) aufweist (NAGASHIMA etal. 2007). Diese Ähnlichkeit motivierte die Hy-pothese, dass die CR und im Gefolge ihrer Ent-stehung der Panzer durch eine Art „Mega-Du-plikation“ der Extremitätenknospe entstandensein könnte. „Mega-Duplikation“ bedeutet, dassmehrere vernetzte Gene oder ganze Bauteileverdoppelt und neuen Aufgaben zugeführt wer-den.

Dies würde eine große Veränderung in derfrühen Embryonalentwicklung erfordern. RIEP-PEL (2001, 987) schreibt dazu: „Die Evolution derhochgradig abgeleiteten Anatomie der ausge-wachsenen Schildkröten ist ein Paradebeispieleines makroevolutiven Ereignisses, das durchVeränderungen in der frühen Embryonalent-wicklung ausgelöst wurde. Eine frühe onto-genetische Abweichung kann ein Muster mor-phologischer Veränderungen verursachen, dasnicht mit Szenarien einer gradualistischen,schrittweisen Umbildung vereinbar ist“ (RIEPPEL

2001, 987). Eine schrittweise Entstehung hältRIEPPEL in diesem Szenario aus konstruktivenGründen für ausgeschlossen, denn die Rippenkönnen nur entweder unterhalb oder oberhalbdes Schulterblatts lokalisiert sein (vgl. Abb. 2und 7), daher seien die beiden Möglichkeitenihrer Positionierung nur sprunghaft veränderbar.Die Entstehung durch eine Mega-Duplikationsoll eine schnelle Evolution plausibel machen.

Ähnlich argumentiert auch BURKE (1989, 376):„Eine Zunahme der relativen Größe und desEinflusses des induktiven Feldes unter einerdurchgängigen Hautverdickung resultierte ineiner Struktur, die der Extremitätenknospe äh-nelt. … Die mechanistischen Ähnlichkeiten die-ser Wechselwirkungen während der Entwick-lung weisen darauf hin, das neue Formen durchgeringe Änderungen eines konservierten Sets

Abb. 7 UngewöhnlicheLage des Schulterblattsund des Musculus serra-tus anterior bei Schild-kröten im Vergleich zuanderen Amnioten (vgl.auch Abb. 2). Sieherechts die Lage derCarapaxfalte (Näheresim Text). Der Musculusserrratus anterior istder vordere gezackteMuskel, er gehört zurtiefen Rückenmuskula-tur. Mit „Körperwand“ist die seitliche Körper-wand des Brustkorbesgemeint.(Nach NAGASHIMA et al.2009 undscienceblogs.com)

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von Entwicklungsregeln hervorgerufen werdenkönnen.“

Die Hypothese der Mega-Duplikation ist einetypische Konsequenz aus dem Evo-Devo-Ansatz,wonach geringfügige Änderungen in der Onto-genese sollen umfangreiche Bauplanänderungenhervorrufen können. „Die Evolution des einzig-artigen Umbaus der Achsen-Elemente derSchildkröten in einen Carapax resultierte nichteinfach aus einer Anfügung neuer Elemente inder späten Ontogenese. Vielmehr erforderte sieeine umfangreiche Neuanordnung der Grund-elemente des sich entwickelnden Wirbeltierske-letts“ (BURKE 1989, 364f.).

Die Hypothese einer Duplikation des AERwird durch die Nutzung identischer Gene in derCR und der AER unterstützt, ihr stehen aller-dings auch einige bedeutende genetische Un-terschiede zwischen der CR und der AER entge-gen. Darauf wird im Folgenden eingegangen.

Genetische Studien

Verschiedene genetische Studien wiesen nach,dass in der CR zahlreiche Gene in einem spezi-fischen Muster exprimiert (abgelesen und ge-nutzt) werden, die sonst auch anderweitig in derEntwicklung genutzt werden; eine Beobachtung,die mittlerweile oft gemacht wurde. Die Mehr-fachnutzung („Kooption“) derselben Gene in ver-schiedenen Zusammenhängen ist weit verbrei-tet. KURAKU et al. (2005) fanden als CR-spezifi-sche Gene LEF-1, APCDD1, CRABP1 und Sp5,die alle ortholog* mit anderweitig vorkommen-den Wirbeltiergenen sind, deren Regulation sichaber spezifisch in der Schildkrötenlinie geänderthat. Weiter gibt es Hinweise, dass der Wnt-Si-gnalweg* die Entwicklung des Carapax auslöstund für diesen Zweck rekrutiert wurde (KURAKU

et al. 2005). OHYA et al. (2005) entdeckten eineSchildkröten-spezifische Expression einiger Hox-Gene. Auch hier werten die Autoren die Befun-de so, dass nicht die Hox-Proteine an sich fürdie Ausbildung des spezifischen Bauplans derSchildkröten verantwortlich sind, sondern ihreRegulation (OHYA et al. 2005, 116). Zur Siche-rung dieses Ergebnisses seien aber weitere Stu-dien nötig. Das Homeobox-Gen Msx1 spielt eineRolle bei der Hautverknöcherung des Carapax;dieser Vorgang ähnelt der Verknöcherung derHautknochen des Schädels bei Maus und Hühn-chen, wo Msx1 auch beteiligt ist (KURAKU et al.2005; vgl. VINCENT et al. 2003).

LOREDO et al. (2001) und KURAKU et al. (2005)fanden allerdings heraus, dass es in der Genex-pression* der AER und CR wichtige Unterschie-de gibt. Beim Hühnchen wird Fgf10 (fibroblastgrowth factor) im frühen Mesenchym der Bein-anlage exprimiert, das resultierende Protein in-duziert seinerseits FGF8 im AER, um den Aus-

wuchs der Extremitätenknospen zu initiieren. ImCR ist FGF8 jedoch abwesend. Die Abwesen-heit von FGF8 im CR ist ein ernsthaftes Problemfür die Hypothese von der Ableitung des CRdurch Duplikation des AER, weil FGF8 zu denzentralen funktionalen Elementen der Extremi-tätenentwicklung gehört. Somit sind in der CRandere molekulare Kaskaden beteiligt, die nichtin der Ontogenese der Beine vorkommen (KURA-KU et al. 2005, 3f.).

WAGNER & LYNCH (2010, R50) stellen neuer-dings fest, dass durch detaillierte genetische Stu-dien keine „Schlüssel-Regulationsgene“ im CRnachgewiesen werden konnten, die für die Ex-tremitätenknospe charakteristisch sind, was eherfür eine de novo-Entstehung des Gen-Regulati-ons-Netzwerks der CR spreche als für eine Über-nahme eines bestehenden Netzwerks. Anderer-seits berichtet MOUSTAKAS (2008), dass ein Ver-gleich der Regulationsgene der frühen Anlagendes Carapax, der Wirbeltierextremität und derWirbelsäule zeige, dass „Schlüssel-Gen-Netz-werke“ bei der Entwicklung des Schildkröten-panzers übernommen wurden.

Insgesamt ist eine Kooption der komplettenSteuerungskaskade des AER im CR als Erklä-rung der CR-spezifischen Gene also problema-tisch, wenn nicht ausgeschlossen. Es müssendemzufolge weitere tiefgreifende ontogenetischrelevante Änderungen postuliert werden, die denschwer verständlichen Verlust von FGF8 kom-pensieren und die die weiteren Unterschiedeerklären können. (Einen Überblick über geneti-sche Studien zur Carapaxfalte geben GILBERT etal. [2008, 5].)

Folgerungen für die konkurrierendenHypothesen der Panzer-Entstehung

Die Bedeutung des CR für die Bildung des Pan-zers und die Ähnlichkeiten mit der AER könnenunter evolutionstheoretischen Voraussetzungen alsArgument für die Emergenzhypothese RIEPPELsgewertet werden. Die CR könnte als eine Mega-Duplikation der AER mit einigen anschließen-den Veränderungen interpretiert werden. Auf-grund der vorhandenen Ähnlichkeiten von CRund AER ist ein schrittweiser Aufbau des CR(bzw. ein „Nachbau“ gleichsam nach dem Vor-bild der AER) im Sinne der Transformationshy-pothese schwer verständlich. Denn wenn (nachder Transformationshypothese) Hautknochenallmählich vergrößert werden und mit den ver-kürzten und sich auffächernden Rippen undWirbeln verwachsen, ist nicht zu erwarten, dasssich dabei eine CR mit Ähnlichkeiten zur AERbildet, dafür können kaum irgendwelche Grün-de plausibel gemacht werden. Diese Ähnlich-keiten sehen schon eher nach einer „Kopie“ aus.

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RIEPPEL (2008, 347) ist der Auffassung, dass dasgradualistische Szenario des Transformismus diemorphologische Komplexität des Schildkröten-panzers nicht erkläre, aber auch durch die On-togenese der Schildkröten nicht unterstützt wer-de, die keine Anzeichen einer rückwärtigen Ver-schiebung des Schultergürtels erkennen lasse.

Vorerst fehlt noch die Basis, phy-logenetische Hypothesen zur Ent-stehung des Panzers genauer prü-fen zu können.

Andererseits ist die emergente Entstehungsehr problematisch: Wenn die CR wirklich durcheine Mega-Duplikation (mit nachfolgenden wei-teren Veränderungen) entstand, ist unklar, wes-halb mit FGF8 ein zentrales funktionales Steu-erelement ohne Konsequenzen im Verlauf derEvolution aussortiert werden konnte (s. o.). Inallen Fällen bleibt die Frage nach den Mechanis-men der Rekrutierung sowie der Einfügung der CR-spezifischen Genkaskaden in den neuen Entwick-lungszusammenhang offen, erst recht, wenn einganzer Komplex rekrutiert worden sein soll. Daswürde viele Abstimmungen in den neuen gene-tischen und ontogenetischen Kontexten erfor-dern. Mit Begriffen wie „Kooption“ und „Rekru-tierung“ wird nur ein vergleichend-biologischerBefund – nicht der evolutionäre Prozess selbst! –beschrieben, konkret die Nutzung derselbenGene in verschiedenen Zusammenhängen. Wiedie Schritte zu deren zusätzlicher Verwendungin einem neuen Kontext im Einzelnen ablaufen,bleibt unbeantwortet, also wie neue Gene inneuen Zusammenhängen detailliert eingebun-den werden, damit sie u. a. neue Regulations-funktionen übernehmen können. Die bisherigengenetischen Studien (s. o.) haben gezeigt, dassallein die ontogenetischen Verhältnisse hoch-kompliziert sind. NAGASHIMA et al. (2007, 2220)kommen zum Schluss: „Daher bleiben die Funk-tion der CR-spezifischen Gene und ihre Regula-tion, die den Mechanismus der Entwicklung desCR erklären könnten, rätselhaft.“ Damit aber fehltvorerst die Basis, phylogenetische Hypothesenzur Entstehung des Panzers genauer prüfen zukönnen. Solange die ontogenetischen Abläufenoch „rätselhaft“ sind, kann der evolutive Wer-degang erst recht nicht als geklärt betrachtet wer-den.

Fossilfunde

Bis vor wenigen Jahren gab es keine guten fos-silen Hinweise auf mögliche Schildkröten-Vor-fahren. Der Schildkröten-Bauplan erschien fos-sil ohne dokumentierte Bindeglieder; vermitteln-de Formen fehlten unabhängig von der syste-

matischen Stellung der Schildkröten. Schildkrö-ten besaßen von Beginn ihrer Fossilüberliefe-rung an ihren typischen Bauplan (GILBERT et al.2008), wenn auch die bis vor kurzem ältestenbekannten Gattungen Proganochelys und Protero-chersis eine Reihe sogenannter Primitivmerkmaleaufwiesen, so im Bau des Schädels, durch denBesitz von Gaumenzähnen oder durch den Be-sitz von Stacheln am Hals und am Schwanz (PRIT-SCHARD 2008, 47f.; BENTON 2007, 245ff.). Sieschützten ihren Kopf nicht durch Rückziehen inden Panzer (Halswender oder Halsberger), son-dern mit Nackenstacheln oder mit einem Fort-satz des Carapax. Der Carapax von Proganoche-lys war jedoch im Wesentlichen gebaut wie derheutiger Schildkröten und das Plastron nahezuidentisch mit dem vieler moderner Halswender-Schildkröten (PRITSCHARD 2008, 46f.). Progano-chelys quenstedti (2. Stubensandstein; Löwen-stein-Formation; ca. 212,5 Millionen Jahre undunterer Knollenmergel; Trossingen-Formation;ca. 206 Millionen Jahre) und Proterochersis robu-sta (1. Stubensandstein; Löwenstein-Formation;ca. 214 Millionen Jahre; FRAAS 1913) waren biszum Jahr 2008 die ältesten bekannten fossilenSchildkröten.

Land oder Wasserschildkröten zuerst?

Bis vor kurzem wurde eine Entstehung derSchildkröten im Wasser als wahrscheinlicher an-gesehen als eine Entstehung auf dem Land (z. B.LUCAS et al. 2000, MAISCH 2009). JOYCE & GAUT-HIER (2004) meldeten aufgrund der Proportionender Extremitäten von zweien der ältesten fossi-len Gattungen, Proganochelys und Palaeochersis,Bedenken gegen eine Entstehung im Wasser anund plädierten für eine Entstehung auf dem Land.Diese Sichtweise schien sich durch eine Unter-suchung der Knochenfeinstruktur ihrer Panzerim Vergleich mit heutigen Landschildkröten zubestätigen (SCHEYER & SANDER 2007). Nach denvon SCHEYER & SANDER (2007) und JOYCE & GAU-THIER (2004) vorgelegten Befunden konnten dieSchildkröten nicht semiaquatisch, sondern muss-ten als Landtiere begonnen haben. Denn ihrePanzer waren ähnlich gebaut wie die Panzerheutiger Landschildkröten, und ihre Extremitä-tenproportionen passen am ehesten zu Land-schildkröten. Auch aufgrund phylogenetischerAnalysen spricht nach JOYCE (2007) einiges füreine terrestrische* Entstehung der Schildkröten.Schon früh in ihrer Geschichte nahmen danachdie Schildkröten einen semiaquatischen undschließlich auch voll aquatischen und sogar ei-nen sekundär terrestrischen Lebensstil an (SCHEY-ER & SANDER 2007, 1892; vgl. auch die Diskussi-on bei LYSON & GILBERT [2009]).

Im Jahr 2008 wurden zwei neue bedeuten-de Fossilfunde gemacht. Sie sollen zunächst be-

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schrieben und anschließend bezüglich ihrer Be-deutung für die aufgeworfenen Fragen der Ent-stehung auf dem Land oder im Wasser und desModus der Entstehung der Schildkröten (trans-formistisch oder emergentistisch) bewertet wer-den.

Odontochelys

LI et al. (2008) berichten von Fossilfunden einerSchildkröte, die einen Zwischenschritt in derEvolution des Panzers dokumentieren soll. Dieneue Art Odontochelys semitestacea (Abb. 8) wur-de in Schichten in der südwestchinesischen Pro-vinz Guizhou in Küsten-Ablagerungen entdeckt,die mit datierten 220 Millionen Jahren noch et-was älter sind als die bislang älteste SchildkröteProterochersis (ca. 214 Millionen Jahre; s. o.). DerArtnahme bedeutet sinngemäß „Halbpanzer-schildkröte mit Zähnen“, womit zwei wesentli-che Unterschiede zu heutigen Schildkröten an-gedeutet sind.

Zum einen waren Ober- und Unterkiefer desTieres bezahnt und hatten keine schnabelarti-gen Kieferleisten wie heutige Schildkröten. Zumanderen war zwar der Bauchpanzer (Plastron)des etwa 40 cm großen Tieres voll entwickelt,der Rückenpanzer (Carapax) bestand aber nuraus Neuralplatten; die rückenseitigen Rippenwaren lediglich verbreitert. Hautknochen warennicht ausgebildet. LI et al. (2008) schließen dar-aus, dass sich der bauchseitige Panzer vor demRückenpanzer entwickelt hat und dass der ersteSchritt der Entstehung des Rückenpanzers in derVerknöcherung von Neuralplatten und Verbrei-terung der Rippen bestand. Diese Abfolge stimmtmit dem Verlauf der frühen Embryonalentwick-lung der heutigen Schildkröten überein.

Gegen die Deutung, es handle sich um einjugendliches Exemplar, spricht nach LI et al.(2008, 499) die Verschmelzung von Sprungbein(Astragalus) und Fersenbein (Calcaneum). NA-GASHIMA et al. (2009) vermuten, dass in Odonto-chelys die Carapaxfalte* („carapacial ridge“, CR)nur an der Seite des Körperstamms ausgebildetund am vorderen und hinteren Ende unvollstän-dig war. Erst deren Vervollständigung bewirktedas veränderte Rippenwachstum. LI et al. (2008)stellen demnach die Hypothese auf, dass sichder Schildkrötenpanzer in zwei Etappen gebil-det hat, zuerst das Plastron, danach der Cara-pax, während man bislang davon ausgegangenwar, dass sich beide Panzerteile zusammen ent-wickelt hätten (MAISCH 2009, 201). Entsprechendsoll sich die CR in zwei Etappen gebildet haben(NAGASHIMA et al. 2009, 196). Im Wasser wäreeine solche Abfolge insofern plausibel, als einBauchpanzer vor Feinden von unten (vor lau-ernden Räubern) schützen konnte, während einSchutz von oben weniger erforderlich gewesenwäre.

Bei Odontochelys liegt das Schulterblatt vordem ersten Rippenpaar, was einem ontogeneti-schen Stadium der heutigen Schildkröte Pelodis-cus entspricht (NAGASHIMA et al. 2009). Dies kannals Indiz dafür gewertet werden, dass Odonto-chelys als Übergangsform passen würde.

Der Interpretation von LI et al. stellen REISZ

& HEAD (2008) in einem Kommentar jedoch eineandere entgegen: Lange, verbreiterte Rippen sindBestandteile des Rückenpanzers aller Schildkrö-ten. Deren Vorkommen bei Odontochelys sei einHinweis darauf, dass das embryonale Gewebe,welches die Bildung des Carapax kontrolliere,ebenfalls vorhanden gewesen sei. Ebenso sei dieVerbindungsbrücke zwischen Carapax undPlastron ausgebildet, was ebenfalls für die An-wesenheit eines Carapax spreche. Zusammen-genommen spreche das für die alternative In-terpretation, dass ein Carapax doch ausgebildetgewesen sei, jedoch einige seiner Teile nicht ver-knöchert gewesen seien. Diese Interpretationvon Odontochelys führe zur Möglichkeit, dass

Abb. 8 Odontochelyssemitestacea, speci-men number IVPPV13240. Foto: Mr. WeiGAO, Abdruck mitfreundlicher Genehmi-gung von Chun LI.

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dessen Panzer nicht primitiv, sondern stattdes-sen eine spezialisierte Anpassung durch einensekundären Verlust gewesen sei (REISZ & HEAD

2008, 451), also keine Ausprägung, die einemfrühen Ontogenesestadium entspricht. Eine Re-duktion der Hautknochen ist bei wasserleben-den Schildkröten verbreitet; die Deutung einerSpezialisierung passt also zum vermutlichen Le-bensraum von Odontochelys im küstennahenWasser. Diese Ausprägung könne durch einStehenbleiben der Entwicklung auf einem ju-gendlichen Stadium (sog. Pädomorphose) zu-stande gekommen sein. Eine schwache Panze-rung kommt bei vielen fossilen und rezentenFormen des Meeres und des Süßwassers vor(MAISCH 2009). Wegen eindeutiger Merkmale desErwachsenenzustands, der Körpergröße undFusion von Fußwurzelelementen „ist auszu-schließen, dass die zwei Fossilien Jungtierewaren“ (MAISCH 2009, 201).

Allerdings passt die Bezahnung, die evoluti-onstheoretisch als ursprüngliches Merkmal gel-ten muss, nicht ohne weiteres zu dieser Deu-tung. Denn wenn Odontochelys als eine speziali-sierte Schildkrötenart interpretiert wird, wäreeher zu erwarten, dass sie wie die anderen Schild-kröten Hornplatten statt Zähne besitzt. Außer-dem gelten das Basipterygoidgelenk zwischenGaumen und Hirnschädelbasis, das den Gau-men wie bei Proganochelys beweglich machte,und die Flügelbeine (Pterygoide) im Gaumen-bereich mit vermutlich ausgebildeten Querfort-sätzen, die bei Proganochelys reduziert sind, alsPrimitivmerkmale.

Merkmale können jedoch auch mosaikartigkombiniert sein; eine spezialisierte wasserleben-de Art kann bezahnt gewesen sein. Einerseits istder Rückenpanzer von Odontochelys mit keinenfrühontogenetischen Stadien heutiger Schildkrö-ten vergleichbar und sein Bau weicht von demanderer aquatischer* Schildkröten ab. Anderer-seits ist das Plastron von Odontochelys gut ver-knöchert und „lässt sich nicht von dem andererSchildkröten unterscheiden“ (MAISCH 2009, 201).Die Rippen sind wie bei heutigen Schildkrötennicht ventral stark gebogen, sondern seitwärtsabstehend und verkürzt. Wird das Fehlen desCarapax bei Odontochelys als ursprünglich inter-pretiert, stellt sich die Frage nach den Selekti-onsdrücken, die die Entstehung einer Vorstufedes Carapax wie z. B. seitwärts stehender Rip-pen begünstigen konnten. Im Falle einer sekun-dären Rückbildung erübrigt sich diese Frage, dasich ein Verlust viel leichter ereignen kann alsein Neuerwerb.

Wie bei der ebenfalls obertriassischen vollgepanzerten Gattung Proganochelys ist das Schä-deldach anapsid (kein Schläfenfenster), obwohl– wie bereits ausgeführt – nach phylogenetischenStudien die Schildkröten zu den Diapsiden zustellen sind, womit das Fehlen der Schädelfen-

ster als sekundär zu deuten ist. Dass bereits dieältesten Schildkrötenfunde einen anapsidenSchädelbau haben, passt nicht zur phylogeneti-schen Stellung als späte Amnioten-Linien. „DieFossilien geben damit nach wie vor den Befür-wortern einer Abstammung der Schildkröten vonprimär anapsiden Vorfahren Schützenhilfe“(MAISCH 2009, 201). Insgesamt besitzt Odonto-chelys also ein Merkmalsmosaik, das nicht leichtin ein stammesgeschichtliches Schema einge-ordnet werden kann. Wie in vielen anderen Fäl-len auch zeigt sich, dass Mosaikformen nichtohne weiteres als evolutive Übergangsformeninterpretierbar sind.

Die alternative Interpretation der Befundedurch REISZ & HEAD würde die Frage nach demUrsprung der Schildkröten unverändert offenlassen und sogar verschärfen: Denn demnachwäre ausgerechnet eine spezialisierte Form diebislang älteste. Die Funde von Odontochelysmachen auch beispielhaft deutlich, wie schwie-rig die Interpretation fossiler Funde ist.

Zur Frage, ob Schildkröten auf dem Land oderim Wasser entstanden sind, kann Odontochelysangesichts der verschiedenen Interpretations-möglichkeiten keine sichere Auskunft geben. DieGattung war zwar mit großer Wahrscheinlich-keit wasserlebend, aber eine sekundär aquati-sche Lebensweise kann nicht ausgeschlossenwerden.

Die Merkmalskombination von Odontoche-lys passt im Rahmen des Evolutionsparadigmaseher zur Emergenzhypothese, da der Fund – evo-lutionstheoretisch interpretiert – nicht zur Vor-stellung eines allmählich rundum entstehendenPanzers passt.

LYSON & GILBERT (2009, 134) kommentieren:„Die neue Entdeckung des wunderbar erhalte-nen Fossils O. semitestacea produziert mehr Fra-gen als Antworten, eröffnet neu die Frage nachdem Ursprung der Schildkröten, der Evolutiondes Panzers und der ursprünglichen Paläoöko-logie. Eine Lösung dieser Probleme muss aufweiteres Fossilmaterial und auf eine Vereinheit-lichung der morphologischen, entwicklungsbio-logischen und molekularen Daten warten, dieeine Hypothese zuungunsten anderer unter-stützt.“

Chinlechelys

Nachdem mit der Entdeckung von Odontochelysdie Waage überraschend zugunsten einer Ent-stehung der Schildkröten im Wasser ausgeschla-gen war, scheint ein weiterer kurz darauf veröf-fentlichter ähnlich alter Fund diese Deutungwieder „massiv in Frage“ zu stellen (MAISCH 2009,201). JOYCE et al. (2009) beschreiben Bruchstük-ke einer auf 215 Millionen Jahre datierten fossi-len Schildkröte Chinlechelys tenertesta aus derObertrias von New Mexico, bei der Panzer und

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Rippen nicht miteinander verschmolzen waren.Erhalten sind allerdings nur wenige Osteoder-men (Hautverknöcherungen) des Hals- undSchwanzbereichs und Elemente des Panzers(Teile des Carapax und Hypoplastrons), wes-halb weitergehende Schlussfolgerungen nur vor-behaltlich weiterer Erkenntnisse durch vollstän-digere Funde gemacht werden können.

Chinlechelys tenertesta besitzt Nackenstachel,die aus mehreren Osteodermen aufgebaut sind.Nach Auffassung von JOYCE et al. deuten sie an,dass die ersten Schildkröten von Reihen ausschützenden Strukturen (Schilden etc.) der Hautbedeckt waren. Wesentlich bedeutender sei je-doch, dass die primitiven, vertikal orientiertendorsalen Rippen der neuen Schildkröte nur eineschwache Verbindung mit den darüber liegen-den Seitenschilden des Carapax aufweisen (Abb.9). Das weise darauf hin, dass es sich hier umzwei unabhängig voneinander verknöcherndeStrukturen handelt. Die Carapax-Knochenele-mente sind sehr dünn (bis maximal drei Milli-meter). Diese Beobachtungen an Chinlechelys un-terstützen die Hypothese, dass der ursprüngli-che Schildkrötenpanzer nur aus Schutzstruktu-ren der Haut bestand, und zwar rundum, derdann erst später mit den Rippen und Wirbelndes Innenskeletts verschmolzen ist und es sichsomit beim Schildkrötenpanzer nicht um eine„Neuerfindung“ handelt, sondern dass er sicheher aus einer Vorläuferlinie kontinuierlich ent-wickelt hat. Der Fund passt also – anders alsOdontochelys – eher zur klassischen transformi-stischen Entstehungshypothese. Die lose Ver-bindung zwischen den Rippen und den Haut-knochen, die sehr dünne Panzerung und der „be-ginnende doppelte Kontakt der dorsalen Rippenmit den Centra der Wirbel“ können gut als inter-mediäre Ausprägungen zwischen nichtgepanzer-ten Vorläufern und vollgepanzerten Schildkrö-ten interpretiert werden (JOYCE et al. 2009, 510f.).Die zahlreichen Hautknochen im Nacken- undSchwanzbereich seien ein Argument dafür, dassder Panzer ein „Komposit aus Hautknochen,Wirbeln und Rippen“ darstellt (MAISCH 2009,201).

Die für die Beurteilung wesentlichen Panzer-elemente (Seiten- und Wirbelsäulenschilde,Costalia und Neuralia) sind also keine Auswüch-se (Verbreiterungen) der Knochen des Innen-

skeletts (Rippen, Wirbel), wie einige embryolo-gische Untersuchungen nahelegen. JOYCE et al.betrachten damit die embryologischen Befun-de, wonach der Panzer direkt aus den Rippenentsteht, als nicht maßgeblich. Darauf kommenwir weiter unten zurück.

Unklar ist, welche funktionale Bedeutung dieveränderte Lage der Rippen hat, wenn diese nurlose mit den Hautknochen verbunden sind. DieMöglichkeit, dass es sich um ein frühes ontoge-netisches Stadium handelt, halten JOYCE et al.(2009, 509) für eher unwahrscheinlich. Sie mer-ken an, dass das relative ontogenetische* Alterzwar schwer zu bestimmen sei, sie sind sich aberziemlich sicher, dass die besondere Orientierungund Platzierung der Rippen und die Platzierungsowie geringe Dicke des Panzers keine juveni-len* Ausprägungen sind. Zusätzliches Fundma-terial könne einen Test auf diese Interpretationliefern.

Dieser Fund spricht nun wiederum für eineterrestrische* Entstehung der Schildkröten undfür das klassische Modell und lässt sich mitOdontochelys nicht in eine Reihe bringen, es seidenn man interpretiert das Fehlen der Rücken-panzerung bei Odontochelys doch als Rückbil-dung. Andernfalls müssten Chinlechelys undOdontochelys als Vertreter deutlich verschiede-ner evolutiver Linien interpretiert werden, wasauf eine mindestens biphyletische* Entstehungder Schildkröten hinausliefe.

Zusammenfassende Diskussion

Ontogenetische Befunde und die Bedeu-tung der Carapaxfalte

Wie entstand die Carapaxfalte („carapacialridge“, CR) und wie entstanden die Interaktio-nen mit der CR, die zur Bildung des Panzersgeführt haben sollen? Die Bedeutung der CR fürdie ontogenetische Bildung des Panzers wurdeeingangs erläutert. Die CR, eine Aufwölbung ausEktoderm und Mesoderm, die sich oberhalb derExtremitätenknospe in Längsrichtung auf derKörperflanke bildet, ist eine einzigartige Struk-tur, die unter den Amnioten* nur bei den Schild-kröten bekannt ist, und soll zu einer neuen Epi-thel*-Mesenchym*-Wechselwirkung geführt ha-ben, die das Rippenwachstum beeinflusst. Durchdie Wechselwirkung mit der CR biegen die Rip-pen zur Seite ab und der Schultergürtel positio-niert sich innerhalb des Brustkorbs (Abb. 2, 7).Die CR wird als eine Art Schlüssel-Organanlagebetrachtet, die eine notwendige Voraussetzungfür die Bildung des ungewöhnlichen Schildkrö-tenbauplans darstellt.

Im Abschnitt „Evolutionstheoretische Folge-rungen“ wurde die Hypothese der Entstehung

Abb. 9 Ventrale(bauchseitige) Ansichteines Bruchstücks desCarapax con Chinleche-lys, bestehend aus zweiSeitenschilden, zweiRippen und einigenRandschilden. Die Rip-pen haben nur eineschwache Verbindungmit den Costalia.(Nach JOYCE et al. 2009;fig. 1g, Abdruck mitfreundlicher Genehmi-gung von der Royal So-ciety London)

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des Schildkröten-Panzers als Folge einer Mega-Duplikation (Verdopplung) erläutert. Die Dupli-kation der Randleiste („apical ectodermal ridge“,AER*) der Extremitätenknospe soll zu einer Auf-wölbung aus Ektoderm und Mesoderm und da-mit zur CR geführt haben, was wiederum einverändertes Rippenwachstum zur Folge hatteund mit der Bildung des Panzers korreliert sei.Die CR wird nach dieser Hypothese als Schlüs-selneuheit interpretiert, die zur Entstehung desSchildkrötenbauplans führte.

Damit wird aber nur eine notwendige, jedochbei weitem nicht hinreichende Voraussetzungfür die Entstehung des Schildkrötenpanzers ge-liefert. Ob diese Veränderung ursächlich für denmutmaßlichen evolutionären Wandel ist, isthypothetisch. Denn der Weg zur „Installation“der CR auf dem Wege einer Duplikation ist voll-kommen unklar. Eine „Mega-Duplikation“ (mitden weiter oben diskutierten Einschränkungen)kann nur dann funktional sein, wenn viele Wech-selwirkungen zugleich aufeinander abgestimmtwerden; es sind bei einem solchen Vorgang sonstschwere Missbildungen zu erwarten. Wie einesolche vielfache Abstimmung von Einzelteilenvor sich gehen soll, also wie z. B. die Duplikationder AER das veränderte Rippenwachstum unddie anderen Veränderungen hervorgebrachthaben soll, die wiederum zur Bildung des Pan-zers geführt haben sollen, darüber wird keineRechenschaft abgegeben.

Daher steht die Idee, mit der evolutiven Neu-bildung der CR eine schnelle und sehr umfang-reiche Neubildung plausibel machen zu können,auf sehr schwachen Füßen. Die hypothetischenevolutiven Vorgänge müssten konkret beschrie-ben werden und es müsste eine Analyse erfol-gen, welche Wechselwirkungen betroffen sindund welche neuen Abstimmungen zwischen denGeweben und den ontogenetischen Entwick-lungswegen erfolgen müssten. GILBERT et al.(2001, 56) argumentieren zwar, dass die Wech-selwirkung zwischen Epithel* und Mesenchym*am Beginn der Carapax-Entwicklung die Basisfür Hypothesen einer schnellen Evolution desKörperbauplans liefere, doch diese „Basis“ lie-fert allenfalls eine notwendige Voraussetzung füreine Erklärung, der hypothetische Prozess derVeränderung wird damit nicht aufgeklärt.

Dasselbe gilt für Überlegungen von NA-GASHIMA et al. (2005, 149). Diese Autoren betrach-ten die Verschiebung des Rippenwachstums inseitliche Richtung als Basis für veränderte Wech-selwirkungen zwischen den Geweben, die zu denHautknochen und verbreiterten Platten des Ca-rapax führen. Eine kleine räumliche Verände-rung in der Entwicklung (Heterotopie) könne zueiner größeren morphologischen Änderung füh-ren. Auch hierbei handelt es nur um Begleit-erscheinungen oder notwendige Voraussetzun-gen, denn eine Heterotopie für sich alleine kann

keine Erklärung sein, da zum einen die verschie-denen Bauelemente koordiniert geändert wer-den müssen, was zahlreiche aufeinander abge-stimmte Schritte benötigen würde, und zumanderen auch neue Wechselwirkungen entste-hen mussten. Auch CEBRA-THOMAS et al. (2005)beschreiben in ihrem Modell nur notwendige Be-dingungen bzw. Begleiterscheinungen der Pan-zerbildung.

Die alternative Erklärung einer allmählichenEntstehung des Panzers durch sukzessives Grö-ßerwerden von Hautknochen und ihr Verschmel-zen mit Rippen und Wirbelteilen wirft auf deranderen Seite die Frage auf, wie es unter diesenUmständen zu den markanten Gemeinsamkei-ten zwischen der CR und der AER kommen konn-te (die im Abschnitt „Evolutionstheoretische Fol-gerungen“ dargestellt wurden). RIEPPEL (2009)nennt zwei Probleme der Transformationshy-pothese: Wie konnte es zur Fusion mit den Rip-pen kommen, da sie normalerweise in denBauchraum wachsen? Und wie gelangt dasSchulterblatt ins Innere des Brustkorbs? Nachder transformistischen Hypothese bewegte sichder Schultergürtel während der Evolution derSchildkröten nach hinten, so dass er innerhalbdes Panzers zu liegen kam, der seinerseits dieRippen einschloss. Dafür gibt es jedoch keineBefunde als Anhaltspunkte; in der Embryonal-entwicklung heutiger Schildkröten tritt eine sol-che Bewegung nicht auf (RIEPPEL 2009, 154).

Die notwendigen Umbauten erfordertennicht nur Veränderungen im Skelettbau, sondernabgestimmte Änderungen anderer Teile desBauplans. So ist die Muskulatur stark verändertund einige Muskeln haben neue Ansatzstellen(NAGASHIMA et al. 2009). Dass dafür geringe An-passungen von Entwicklungsabfolgen ausrei-chen (JOYCE 2009, 512), muss bezweifelt wer-den. So erfordert die Ausbildung neuer Muskel-ansätze innovative Änderungen, die mehr alsbloße Anpassungen beinhalten. Um die Tragfä-higkeit evolutiver Modelle beurteilen zu können,müssen die genetischen und entwicklungsbio-logischen Details bekannt sein. Wie erwähnt isthier vieles ungeklärt, weshalb darauf aufbauen-de evolutionäre Hypothesen nur vage formuliertwerden können. Dabei ist immer zu bedenken,dass einzelne Strukturen immer in der Wechsel-wirkung mit anderen gesehen werden müssen.

Die ältesten Fossilfunde unterstützenwidersprechende Hypothesen

Zweifellos unterstützen die ältesten Schildkrö-tenfunde insofern evolutionstheoretische Deu-tungen, als diese Gattungen (wie Proganochelys)mutmaßliche Primitivmerkmale besitzen, z. B.in der Kopfmorphologie, und dass unter den äl-teren fossilen Gattungen Tendenzen hin zum Bauder modernen Formen gibt (GAFFNEY et al. 1987;

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GAFFNEY & KITCHING 1994; ROUGIER et al. 1995;BENTON 2007, 245ff.; PRITCHARD 2008). Und man-che Merkmale können als intermediär zwischenSchildkröten und mutmaßlichen Vorläufern gel-ten. Es sei hier vor allem an die Gattungen Odon-tochelys und Chinlechelys erinnert. Doch dieseBefunde sind nur ein Teil einer komplexen Be-fundlage. Es sind nämlich folgende Punkte zuberücksichtigen:

• Die Bestimmung „ursprünglich“ / „abge-leitet“* ist objektiv allein anhand der jeweiligenMerkmalszustände nicht möglich. Diese Kenn-zeichnung erfolgt im Rahmen phylogenetischerHypothesen und kann je nach Datenlage wech-seln. Dies wird besonders deutlich an der Wer-tung des anapsiden Schädels der Schildkröten.Diese Schädelform gilt gewöhnlich als ursprüng-lich; bei den Schildkröten wird sie seit gut einerDekade als abgeleitet gewertet. Viele als Homo-logien betrachtete Merkmale, die früher eineVerwandtschaft der Schildkröten mit den Pareia-sauriern oder Procolophoniden begründeten,müssen nach den neueren molekularen Studienals Konvergenzen gewertet werden.

• Die ältesten Funde sind morphologisch sehrfacettenreich mit einer mosaikartigen Merkmals-verteilung und müssen deshalb – in einer evolu-tionstheoretischen Lesart – sehr verschiedenenLinien zugeordnet werden. Während Odontoche-lys als wasserlebend angesehen wird, war Chin-lechelys sehr wahrscheinlich landlebend. In eineevolutive Reihe passen die beiden Gattungenauch aufgrund ihrer Merkmalsausprägungennicht; sie müssen evolutionstheoretisch auf ver-schiedene divergente Linien gestellt werden(s. o.). Die Gattung Proterochersis (ca. 214 Millio-nen Jahre; s. o.) besitzt einige abgeleitete Merk-male, ist aber älter als die „primitivere“ GattungProganochelys (ca. 206 und ca. 212,5 MillionenJahre: s. o.). Unter den Schildkröten tauchen alsofossil zwar die insgesamt „primitiveren“ Formen

zuerst auf, aber sie sind von Beginn der Fossil-überlieferung an in deutlich verschiedene For-men aufgefächert. Die widersprüchlichen Merk-malsverteilungen unter den frühen Formen (ROU-GIER et al. 1995; vgl. RIEPPEL & DE BRAGA 1996),können evolutionstheoretisch nur als Hinweisauf eine konvergente Evolution parallel existie-render Linien gewertet werden.

• Die beiden ältesten Gattungen Chinlechelysund Odontochelys begünstigen die beiden kon-kurrierenden Panzer-Entstehungshypothesen;Chinlechelys passt eher zur Transformationshy-pothese, während die Merkmale von Odontoche-lys eher für die Emergenzhypothese sprechen.Dieser Umstand nötigt dazu, beide Gattungenevolutionstheoretisch auf verschiedene Äste zustellen oder Odontochelys als abgeleitet und dasFehlen des Carapax als sekundär zu interpretie-ren (vgl. Abschnitt „Neue Fossilfunde“).

Der erstere Fall liefe auf eine zweifach unab-hängige Entstehung der Schildkröten hinaus, wasevolutionstheoretisch sehr problematisch wäre.

Molekulare Daten und der Fossilbefund

Die zeitliche Stellung der Fossilien scheint imVergleich zur systematischen Position deutlichzu früh zu sein. Wie oben erwähnt ermitteltenMANNEN & LI (1999) aufgrund molekularer Be-funde eine Divergenzzeit für die Trennung derAlligatoren- und Schildkrötenlinie von 151,6 ±23,7 Millionen Jahren. Die ältesten Schildkrö-tenfossilien werden dagegen auf etwa 220 Mil-lionen Jahre datiert. Aus der Obertrias (um 200Millionen Jahre und älter) ist eine große Füllefossiler Formen bekannt. Wie ist diese deutlicheInkonsistenz von molekularen Daten und demFossilbericht zu deuten?

Eine Untersuchung der Vorderextremitätender nach phylogenetischen Analysen ursprüng-lichsten Schildkrötengattungen Proganochelys

Abb. 10 Paläogeogra-phische Verbreitung derProganochelyidae(blau), der Australoche-lyidae (hellblau) undursprünglicher Hals-berger-Gattungen (offe-ne Kreise) aus dem Un-terjura.(Nach KARL & TICHY 2000)

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und Palaeochersis durch JOYCE & GAUTHIER (2004)ergab, dass es sich mit hoher Wahrscheinlich-keit um landlebende Schildkröten handelt. Da-gegen weisen phylogenetische Studien wasser-lebende Formen als ursprünglich aus. Diese Dis-krepanz molekularer und paläontologischerDaten könnte durch Odontochelys (s. o.) gemil-dert werden, falls diese Gattung primär wasser-lebend war.

Einzigartige Merkmalskombinationen undKonvergenzen

Eingangs wurde bereits angesprochen, dass dieSchildkröten systematisch mit keiner anderenAmniotengruppe gut verbunden werden können.Es gibt für die diskutierten und weit divergieren-den systematischen Positionen der Schildkrö-ten jeweils Argumente; die Schildkröten sind einbesonders schwer zu klassifizierendes Taxon(WILKINSON et al. 1997; vgl. JOYCE & GAUTHIER

2004, 1). Die Schildkröten sind zu allen mögli-chen Gruppen hin im Bau deutlich abgegrenzt.Dendrogramme weisen ein hohes Maß an Kon-vergenzen auf (vgl. RIEPPEL & DE BRAGA 1996, 454;ROUGIER et al. 1995; HILL 2005). Beispielsweisemüssen die gleichen Änderungen des Schulter-gürtels und der Extremitäten in mehreren Lini-en von wasserlebenden Schildkröten angenom-men werden (DEPECKER et al. 2006); sehr ähnli-che Schädel- und Panzerformen kommen bei denEmydidae, Geoemydidae und Testudinidae vor(CLAUDE et al. 2005). Und einen keulenartigenSchwanz besitzt nicht nur eine der ältesten fos-silen Gattungen, Proganochelys, sondern 180Millionen Jahre später auch die Landschildkrö-te Meiolania platyceps; und die heute lebendeLandschildkröte Chelus fimbriatus hat einen auf-fallend ähnlichen Bau wie Proganochelys. Vielekonvergente Entwicklungen müssen auch in denbeiden Hauptgruppen der Cryptodira und Pleu-rodira angenommen werden (GAFFNEY 1975, 391,421f.).

Der Befund weitverbreiteter Konvergenzenist evolutionstheoretisch insofern problematisch,als vernetzte Merkmalsbeziehungen der ver-schiedenen Taxa aufgrund von Konvergenzenin einem evolutionstheoretischen Baumschemaauf höherem taxonomischem Niveau eher dieAusnahme und nicht die Regel sein sollten. Dennin einem evolutionären Prozess, der ohne jedeZielorientierung abläuft, ist die zwei- oder mehr-malige Entstehung derselben oder einer sehrähnlichen Struktur sehr unwahrscheinlich.

Probleme des Umbaus

Bei einer Evolution der Schildkröten ausgehendvon Amnioten-Vorfahren müssten sehr weitge-hende „Umbaumaßnahmen“ vorgenommenworden sein. Diese Problematik wurde am Bei-

spiel des Panzers angesprochen und soll hier aneinem weiteren Beispiel kurz verdeutlicht wer-den. Die Rippen erfüllen bei landlebenden Vier-beinern Funktionen in der Atmung und der Fort-bewegung: Beide Funktionen können sie bei denSchildkröten nicht (mehr) erfüllen. Durch die Ver-wachsung der Rippen mit dem Panzer fehlt dieBeweglichkeit des Brustkorbs. Die Atmung mussdaher durch Bewegung über die Extremitätenunterstützt werden und erfordert ganz neue spe-zielle Atemtechniken und dafür besondere Mus-kulatur (genauer beschrieben z. B. unter http://www.monta-n.net/sk/atem.html oder unterhttp://www.ausgabe.natur-lexikon.com/Schildkroeten.php). Der Übergang zu dieser an-dersartigen Atemtechnik wäre besondersschwierig gewesen, wenn er in landlebendenReptilien hätte vollzogen werden müssen, da dortdie Möglichkeit der Unterstützung durch denWasserdruck fehlt. In einem hypothetischenÜbergangsstadium gäbe es Konflikte in den funk-tionalen Rollen der Muskulatur der Atmung unddes Bewegungsapparats (RIEPPEL 2008, 349). Evo-lutionäre Szenarien der Schildkrötenentstehung,bei denen Details des mutmaßlichen Umbausnicht bedacht werden, könnten daher fragwür-dig sein.

Ontogenese als Modell für Phylogenese?

LI et al. (2008) begründen die Interpretation vonOdontochelys als Vorstufe zu vollgepanzertenSchildkröten unter anderem damit, dass mandiese Gattung mit einem embryonalen Stadiumheutiger Schildkröten vergleichen könne. AuchNAGASHIMA et al. (2009, 196) bemerken, dassOdontochelys embryonalen modernen Schildkrö-ten in mancher Hinsicht ähnlich sei und ein Vor-fahrenstadium repräsentieren dürfte. Dagegenpassen die Merkmale von Chinlechelys nicht zuontogenetischen Befunden. Bei Chinlechelys sindRippen und Osteodermen* nur lose verbunden,was evolutionstheoretisch als allmähliche Ent-stehung des Panzers durch Vergrößerung derHautknochen und deren spätere Verschmelzungmit Rippen und Wirbeln gedeutet wird. Ontoge-netisch entsteht der Panzer aber anders. DieSeiten- und Wirbelsäulenschilde bilden sich on-togenetisch nicht unabhängig von den Rippenund den Wirbeln (GILBERT et al. 2001; JOYCE et al.2009, 511), allerdings sprechen Analysen derGewebe wiederum für eine getrennte Entstehungder später verschmolzenen Elemente.

Die Ontogenese eignet sich angesichts die-ser divergierenden Befunde wie so oft nicht alsWegweiser für die stammesgeschichtliche Re-konstruktion. JOYCE et al. (2009, 511) drückendas so aus: „Wir argumentieren daher, dassDaten von heutigen Formen alleine den Prozess,durch den der Schildkrötenpanzer entstand, nichtschlüssig aufklären können.“ Wie im Fall der

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Dinohand (ULLRICH 2008) wirft der ontogeneti-sche Befund mehr Fragen auf als er in die Lageversetzen würde, die Phylogenese der Schild-kröten leichter zu verstehen. Denn es geht umeinen dramatischen Bauplanwechsel, der tief-greifend im Vergleich zu den nächsten Verwand-ten der Schildkröten ist. Während von Befür-wortern des Evo-Devo-Ansatzes betont wird,dass die Ontogenese an sog. „constraints“ (Ent-wicklungszwänge) gebunden sei und diese wei-tere evolutive Entwicklungsmöglichkeiten kana-lisieren, muss hier im Gegenteil angenommenwerden, dass bisherige constraints weitgehendaufgehoben werden, da ontogenetisch bereitsin einem sehr frühen Stadium die Weichen inRichtung Panzerbildung gestellt werden. Mitdem Begriff der „Emergenz“ (vgl. Emergenzhy-pothese sensu RIEPPEL) wird hier ein Ergebnisbeschrieben, jedoch keine Erklärung geboten.

Der ontogenetische Befund wirftmehr Fragen auf als er hilft, diePhylogenese der Schildkrötenleichter zu verstehen.

Es stellt sich abschließend die Frage nachder Deutung der vorgestellten und diskutiertenBefunde in einem nicht-evolutionären Szenario.Dazu sollen einige wenige Hinweise gegebenwerden, die als spekulativ gekennzeichnet wer-den müssen, aber Forschung anregen können.

Nichtevolutionäre Deutung derfrühen Schildkrötenfossilien

Schnelle große Vielfalt

In der Obertrias sind unterschiedliche Schild-krötenfossilien bekannt (Abb. 11), die verschie-denen evolutionären Linien zugeordnet werdenund sowohl land- als auch wasserlebende For-men beinhalteten. Ähnlich wie bei vielen ande-ren Tier- und Pflanzengruppen treten verschie-dene Linien nebeneinander in enger zeitlicherFolge fossil in Erscheinung, darunter wasser- undlandlebende Formen. Neben den als Übergangs-formen interpretierbaren Gattungen Odontoche-lys und Chinlechelys treten fast zeitgleich voll ent-wickelte Schildkrötengattungen auf. Eine derstratigraphisch ältesten Gattungen, Proterocher-sis aus dem Unteren Stubensandstein Württem-bergs ist nach WILD (1998) deutlich „moderner“als die jüngere Proganochelys, die neben einigenPrimitivmerkmalen bereits einen gut ausgebil-deten Panzer besitzt (FRAAS 1913). Sie gehörtwahrscheinlich zu den Halswender-Arten (Pleu-rodira) (LUCAS et al. 2000, 294). Fossilien aus derUntergruppe der Halsberger (Cryptodira) sindab dem Unterjura bekannt. Nach allen Hypo-thesen der Schildkrötenverwandtschaft sind dieCryptodira die Schwestergruppe* zu den Pleu-rodira; es sollte also eine Cryptodira-Gattung ge-ben, die so alt ist wie Proterochersis, auch wenndie älteste bisher bekannte Cryptodira-Gattung,Kayentachelys, aus dem Unterjura stammt (LU-CAS et al. 2000, 294; vgl. GAFFNEY et al. 1987),also viel jünger ist. Sowohl die Halsberger alsauch die Halswender benötigen komplexe, ko-ordinierte Änderungen der Halswirbel und derMuskeln (http://www.earthhistory.org.uk/tran-sitional-fossils/origin-of-turtles/). LUCAS et al.(2000) kommen zum Schluss, dass mindestensvier Schildkrötenlinien (Proganochelys, Austra-lochelidae, Pleurodira und Cryptodira) im Re-vueltium (Stufe der Obertrias) existiert habenmüssen (ebenso LEE 1994). GAFFNEY & KITCHING

(1994, 57) bezeichnen einige obertriassische Gat-tungen als lebende Fossilien zu ihrer Zeit.

Diese paläontologisch dokumentierte früheVielfalt kann nicht-evolutionär interpretiert wer-den, wenn eine ökologisch bedingte Fossilisati-on begründbar ist. Das heißt: Die verschiedenenSchildkrötenformen existierten bereits, tratenaber erst dann fossil in Erscheinung, als ihre Le-

Abb. 11 Auftreten frü-her Schildkrötengattun-gen in der Schichtenfol-ge und vermutete Ab-stammungszusammen-hänge.(Nach KARL & TICHY 2000)

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bensbedingungen in so großem Ausmaß verfüg-bar waren, dass sie sich in genügender Zahl ver-mehren und ausbreiten konnten. Zuvor lebtensie in geologisch nicht überlieferten Lebensräu-men. Diesen Ansatz beschreibt STEPHAN (2002).Ein solches Szenario kann das Nebeneinanderverschiedener Formen möglicherweise besserverständlich machen als ein evolutionäres, wo-nach ein allmähliches Divergieren eher zu er-warten wäre.

Schnelle weite geographische Verbrei-tung, kein Ausbreitungszentrum

Das Szenario des ökologisch bedingten Hervor-tretens aus geologisch zuvor nicht überliefertenLebensräumen wird durch die schnelle weitweiteVerbreitung der ältesten Schildkröten aus derObertrias unterstützt. Schildkrötenfossilien derObertrias wurden auf verschiedenen Kontinen-ten gefunden: in Grönland, Südamerika (Argen-tinien), Asien (Thailand, China), Europa(Deutschland) und Nordamerika (LUCAS et al.2000, KARL & TICHY 2000, 66; JOYCE et al. 2009,LI et al. 2008, PRITCHARD 2008, 46; vgl. Abb. 10).Ein paläogeographisches Ausbreitungszentrumzeichnet sich nicht ab (JOYCE et al. 2009, 510);evolutionstheoretisch wäre eher ein Ausbrei-tungszentrum zu erwarten.

Das zeitlich gestaffelte Auftretenverschiedener Gattungen bleibteine Herausforderung für nicht-evolutionäre Erklärungsansätze.

Ein ökologisch bedingtes Hervortreten könn-te besonders durch geologische Studien über-prüft werden: Weisen die Schichten, in denendie Schildkrötenfossilien entdeckt wurden, of-fenkundige Kennzeichen einer schnellen Bildungauf? Wenn die fossil überlieferten stratigraphischältesten Fossilien auf Ausbreitung aus geologischnicht überlieferten Lebensräumen zurückzufüh-ren sind, lässt sich ein solches geologisches Sze-nario am besten mit einem kurzen Zeitrahmenvon Jahren und Jahrzehnten vereinbaren. Daskönnte anhand von Indizien der betreffendengeologischen Schichten überprüft werden.

Eine Herausforderung bleibt auch im ökolo-gischen Ansatz die Erklärung des zeitlich gestaf-felten Auftretens verschiedener Gattungen.Warum sind Formen, die am ehesten als Über-gangsformen interpretierbar sind, unter den äl-testen? Zu prüfen wäre in diesem Zusammen-hang, ob die unterschiedlichen Gattungen aufeine Radiation eines oder weniger Grundtypenzurückgeführt werden könnten. Auch diese Fra-ge eröffnet ein weites Forschungsfeld.

Dank: Einige hilfreiche Hinweise verdanke ich Man-fred STEPHAN und Dr. Henrik ULLRICH.

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