Der verfluchte Zar und seine Tochter

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Der verfluchte Zar und seine Tochter Märchen aus Bulgarien Es war einmal ein Zar, der war Witwer. Von seiner Frau waren ihm drei Töchter geblieben. Unter dem Serail hatte er eine Schmiede, wo die Schmiedemeister mancherlei Dinge für sein Zarenreich schmiedeten. Da kam eine Nachricht, dass der Zar in die Schlacht ziehen müsse. Bevor er fortzog, dachte er zuerst an seine Töchter. Er ließ allen dreien je einen weißen seidenen Rock nähen, um an ihnen erkennen zu können, welche Tochter ehrlos sei, wenn sie sich von einem der Schmiedemeister mit seinen schmutzigen Händen ergreifen ließen. Bevor er fortzog, ließ er seine Töchter die weißen seidenen Röcke anziehen und trug ihnen auf, ihrer Arbeit nachzugehen und sich ihm nach seiner Rückkehr in ihnen zu zeigen. Eines Tages, nachdem der Zar ausgezogen war, nahm die älteste Tochter einen Spinnrocken und die Spindel, spann und spann, bis ihr die Spindel aus der Hand glitt und in die Schmiede fiel. Sie überlegte, wie sie die Spindel wiederbekommen könne und bat die Schmiedegesellen, sie ihr zu geben, doch die sagten, sie solle in die Schmiede kommen, dass sie sie hole. Sie ging zu ihnen und verlangte die Spindel. Doch die Schmiede griffen sie mit ihren schwarzen und schmutzigen Händen an ihren weißen seidenen Rock. Sie gaben ihr ihre Spindel und ließen sie mit ihrem beschmutzten Rock gehen. Da begann sie zu weinen und sich zu sorgen, wie sie in ihm vor ihren Vater treten könne. Bald danach nahm auch ihre zweite Schwester den Spinnrocken und die Spindel und begann zu spinnen, und während sie vom Fenster auf den Weg sah, fiel ihre Spindel in die Schmiede. Sie ging hin, um sie zu holen, doch die Meister sagten ihr dasselbe wie der ersten. Als sie in die Schmiede kam, packten sie sie mit ihren rußigen Händen beim Rock, gaben ihr die Spindel, und sie ging weinend nach oben. Zuletzt begann auch die Jüngste zu spinnen, auch sie ließ, wie ihre Schwestern, die Spindel in die Schmiede fallen. Sie ging zu den Schmiedemeistern und verlangte die Spindel. Sie sagten zu ihr: »Komm, hol sie dir, dir werden wir nichts tun. « Sie bat wenigstens ihr, der Jüngsten, nichts zu tun, was sie auch mit ihren Schwestern gemacht hatten, so sollten sie doch sie in Ruhe lassen. Dann trat sie in die Schmiede, die Spindel zu holen. Aber die Schmiedemeister stürzten sich auf sie, um sie zu ergreifen, doch sie war listig, nahm Asche und streute sie ihnen in die Augen. Da gerieten sie in Verwirrung und konnten sie nicht fassen, sie aber griff nach ihrer Spindel und lief zu ihren Schwestern im sauberen Rock. Bald darauf kehrte ihr Vater aus der Schlacht zurück und befahl, dass seine Töchter vor ihm erschienen, dass er sie der Reihe nach in ihren weißen seidenen Röcken sehe. Da wussten sie keinen Rat, wie sollten sie in ihren schmutzigen Seidenröcken vor den Vater treten? Die jüngste Schwester sagte zu ihnen: »Warum sorgt ihr euch, liebe Schwestern, ich weiß einen Ausweg, ich will euch meinen Rock geben, ihr geht dann der Reihe nach zu dem Vater, und er wird nichts erkennen.« Da gab sie der ältesten Schwester ihren Rock. Die zog ihn an und trat sauber vor ihren Vater. Nach ihr trat auch die zweite im gleichen Rock rein vor ihren Vater. Dann kam die Reihe an die Jüngste. Sie nahm einen von den schmutzigen Röcken. Als der Vater sie sah, fragte er: »Was hast du getan, dass dein Rock beschmutzt ist? « - »Nichts, Vater, er ist schmutzig, er ist weiß und verträgt kein schwarz. « Seitdem hasste der Vater sie, jagte sie aus dem Hause fort und wollte sie nicht mehr sehen. Da kam die Zeit, dass sich seine anderen beiden Töchter mit zwei großen Zarensöhnen verheirateten. Die Jüngste aber hielt der Vater für ehrlos und gab sie seinem Henker, dass er eines Tages gehe und ihr den Kopf abschlage. Der Henker führte sie ans Meer, erbarmte sich ihrer und tötete sie nicht. Er ließ sie in einem Wald zurück, ging zum Zaren und sagte ihm, dass er sie getötet habe. Sie aber lief in den Wald, versteckte sich darin, stieg auf einen Baum und verharrte dort. In ihrem Zorn verfluchte sie ihren Vater: »Gäbe Gott, dass aus meines Vaters Mund unter seiner Zunge ein großer Nussbaum bis in den Himmel wachse, dass die ganze Welt herbeikomme, ihn zu sehen und zu heilen, doch ohne ihn zu heilen, solange ich nicht komme, ihn zu erlösen und gesund zu machen, und er dann sehe, welche von seinen Töchtern ehrlos ist und welche nicht.«

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Der verfluchte Zar und seine Tochter

Märchen aus Bulgarien

Es war einmal ein Zar, der war Witwer. Von seiner Frau waren ihm drei Töchter geblieben. Unter demSerail hatte er eine Schmiede, wo die Schmiedemeister mancherlei Dinge für sein Zarenreich schmiedeten.Da kam eine Nachricht, dass der Zar in die Schlacht ziehen müsse. Bevor er fortzog, dachte er zuerst anseine Töchter. Er ließ allen dreien je einen weißen seidenen Rock nähen, um an ihnen erkennen zu können,welche Tochter ehrlos sei, wenn sie sich von einem der Schmiedemeister mit seinen schmutzigen Händenergreifen ließen. Bevor er fortzog, ließ er seine Töchter die weißen seidenen Röcke anziehen und trugihnen auf, ihrer Arbeit nachzugehen und sich ihm nach seiner Rückkehr in ihnen zu zeigen.Eines Tages, nachdem der Zar ausgezogen war, nahm die älteste Tochter einen Spinnrocken und dieSpindel, spann und spann, bis ihr die Spindel aus der Hand glitt und in die Schmiede fiel. Sie überlegte,wie sie die Spindel wiederbekommen könne und bat die Schmiedegesellen, sie ihr zu geben, doch diesagten, sie solle in die Schmiede kommen, dass sie sie hole. Sie ging zu ihnen und verlangte die Spindel.Doch die Schmiede griffen sie mit ihren schwarzen und schmutzigen Händen an ihren weißen seidenenRock. Sie gaben ihr ihre Spindel und ließen sie mit ihrem beschmutzten Rock gehen. Da begann sie zuweinen und sich zu sorgen, wie sie in ihm vor ihren Vater treten könne.Bald danach nahm auch ihre zweite Schwester den Spinnrocken und die Spindel und begann zu spinnen,und während sie vom Fenster auf den Weg sah, fiel ihre Spindel in die Schmiede. Sie ging hin, um sie zuholen, doch die Meister sagten ihr dasselbe wie der ersten. Als sie in die Schmiede kam, packten sie siemit ihren rußigen Händen beim Rock, gaben ihr die Spindel, und sie ging weinend nach oben.Zuletzt begann auch die Jüngste zu spinnen, auch sie ließ, wie ihre Schwestern, die Spindel in dieSchmiede fallen. Sie ging zu den Schmiedemeistern und verlangte die Spindel. Sie sagten zu ihr: »Komm,hol sie dir, dir werden wir nichts tun. « Sie bat wenigstens ihr, der Jüngsten, nichts zu tun, was sie auch mitihren Schwestern gemacht hatten, so sollten sie doch sie in Ruhe lassen. Dann trat sie in die Schmiede, dieSpindel zu holen. Aber die Schmiedemeister stürzten sich auf sie, um sie zu ergreifen, doch sie war listig,nahm Asche und streute sie ihnen in die Augen. Da gerieten sie in Verwirrung und konnten sie nichtfassen, sie aber griff nach ihrer Spindel und lief zu ihren Schwestern im sauberen Rock.Bald darauf kehrte ihr Vater aus der Schlacht zurück und befahl, dass seine Töchter vor ihm erschienen,dass er sie der Reihe nach in ihren weißen seidenen Röcken sehe. Da wussten sie keinen Rat, wie solltensie in ihren schmutzigen Seidenröcken vor den Vater treten? Die jüngste Schwester sagte zu ihnen:»Warum sorgt ihr euch, liebe Schwestern, ich weiß einen Ausweg, ich will euch meinen Rock geben, ihrgeht dann der Reihe nach zu dem Vater, und er wird nichts erkennen.« Da gab sie der ältesten Schwesterihren Rock. Die zog ihn an und trat sauber vor ihren Vater. Nach ihr trat auch die zweite im gleichen Rockrein vor ihren Vater. Dann kam die Reihe an die Jüngste. Sie nahm einen von den schmutzigen Röcken.Als der Vater sie sah, fragte er: »Was hast du getan, dass dein Rock beschmutzt ist? « - »Nichts, Vater, erist schmutzig, er ist weiß und verträgt kein schwarz. « Seitdem hasste der Vater sie, jagte sie aus demHause fort und wollte sie nicht mehr sehen. Da kam die Zeit, dass sich seine anderen beiden Töchter mitzwei großen Zarensöhnen verheirateten. Die Jüngste aber hielt der Vater für ehrlos und gab sie seinemHenker, dass er eines Tages gehe und ihr den Kopf abschlage. Der Henker führte sie ans Meer, erbarmtesich ihrer und tötete sie nicht. Er ließ sie in einem Wald zurück, ging zum Zaren und sagte ihm, dass er siegetötet habe. Sie aber lief in den Wald, versteckte sich darin, stieg auf einen Baum und verharrte dort. Inihrem Zorn verfluchte sie ihren Vater: »Gäbe Gott, dass aus meines Vaters Mund unter seiner Zunge eingroßer Nussbaum bis in den Himmel wachse, dass die ganze Welt herbeikomme, ihn zu sehen und zuheilen, doch ohne ihn zu heilen, solange ich nicht komme, ihn zu erlösen und gesund zu machen, und erdann sehe, welche von seinen Töchtern ehrlos ist und welche nicht.«

Als sie auf dem Baum saß, geschah es, dass ein Zarenheer mit den Paschas vorüberzog. An einer Quelleführten sie die Pferde zur Tränke, die aber scheuten zurück, sobald sie die sich im Wasser spiegelndemenschliche Gestalt auf einem Baum er-blickten. Die Leute sahen sich nach allen Seiten um, suchten undfanden die Zarentochter auf dem Baum, hießen sie herunterkommen, damit sie ihnen sage, wer sie sei,doch sie kam nicht herunter. Schließlich brachten sie sie mit Gewalt dahin, zu ihnen herunterzukommen,und nahmen sie unter ihre Schirme, um ihren Spott mit ihr zu treiben, doch sie sagte zu ihnen: »Ich bitteeuch, ihr Zarenleute, erlaubt mir, dass ich ein wenig abseits von euch spaziere und danach wieder zurück-komme. Wenn ihr aber nicht glaubt, bindet mir um den Fuß ein Seil und lasst mich gehen. «Sie banden sie an ein Seil und ließen sie gehen. Nachdem sie weit gegangen war, löste sich das Seil vonselbst, und sie bemerkten es nicht, sie aber lief und entkam ihren Händen. Als sie weit von ihnen entferntwar, stieg sie wieder auf einen Baum und blieb darauf sitzen.Zu dieser Zeit war der Zarensohn auf die Jagd gegangen, und während er so durch den Wald strich, kam erzu dem Baum, auf dem sie saß. In der Nähe gab es einen Brunnen mit Wasser, dort wollte er sein Pferdtränken. Als das Pferd den Schatten im Wasser sah, scheute es und trank nicht. Der Zarensohn wundertesich, warum das Pferd nicht trinken wollte und zurückscheute. Er schaute sich ein wenig um und sah, dasseine Zarentochter auf einem Baum saß: Sie schwieg und sprach kein Wort. Sowie er sie ansah, gefiel sieihm, und er sagte zu ihr, sie solle heruntersteigen.»Du gehörst jetzt mir«, sagte er, »ich werde dich zur Frau nehmen«, hob sie auf sein Pferd, führte sie aufsein Schloss und sagte seinem Vater, was für eine gute Beute er brächte. Sein Vater willigte ein undverheiratete sie. Sie machten eine große Hochzeit; da aßen, tranken und vergnügten sie sich alle zur Freudedes Zaren. Es war ein, zwei Jahre vergangen, da schenkte Gott ihnen zwei Knaben, einen nach demanderen, die heranwuchsen und den ganzen Palast erheiterten. In dieser Zeit sprach es sich herum, dasseinem Zaren aus dem Munde unter der Zunge ein großer Nussbaum gewachsen sei, welcher, soviel dieÄrzte auch daran heilten und schnitten, immer noch größer wurde und sie ihn zuletzt weder heilen nochdavon befreien konnten. Der Zarensohn erzählte dies seiner Frau und sie verstand, dass ihr Fluch überihren Vater gekommen war, und sagte: »Mann, wir wollen gehen und ihn sehen. « Er willigte ein. Siemachten sich auf und kamen in seine Paläste, beschauten und wunderten sich über den himmelhohenBaum. Alle Leute besahen ihn, und jeder sagte ein Heilmittel, doch der Baum wuchs und wurde nur nochhöher. Soviel sich die Ärzte auch mühten, ihn wegzuschaffen, sie konnten nicht helfen.Da sagte die Zarentochter zu ihrem größeren Knaben, er solle hingehen und mit einem Finger den Baumberühren, damit er sehe, was dann mit dem Baum geschehe. Das Kind ging hin, berührte den Baum mitdem Finger, und da wackelte und welkte er ein wenig. Dann schickte sie das andere, kleinere Kind, esberührte den Baum, und er begann zu schrumpfen. Zuletzt ging die Zarentochter selbst, stieß mit ihremFinger an ihn, und da fiel er von seiner Zunge. Der Zar war von großen und schweren Qualen befreit undfragte sie, wer sie sei. »Ich bin die Frau eines Zarensohnes«, antwortete sie, »wir hörten über deinen Baumund kamen, ihn zu sehen, aber der fiel um. « Der Zar konnte seine Tochter nicht erkennen, denn in diesenJahren hatte sie sich verändert. Daraufhin bereitete er allen ein großes Mahl. Und bei dieser Fröhlichkeitverlangte der Zar, dass ein jeder ihm eine Geschichte, die er wüsste, erzähle. Alle erzählten. Da kam dieReihe an die Zarentochter. Sie erzählte alles, was mit ihr geschehen war; da erinnerte sich ihr Vater,erkannte sie, bat sie für ihr ungerechtes Schicksal um Verzeihung und verurteilte die anderen zwei Töchterzum Tode: An je zwei Pferde gebunden ließ er sie in Stücke reißen. Dann segnete er seine jüngste Tochterund ihren Mann und ließ sie nach seinem Tode auf seinen Thron.

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