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25 DER VOLKSAUFSTAND DES 17. JUNI 1953 Lehrerhinweis 1. Der Einstieg in das Thema erfolgt über Fotos, um so die Dramatik dieser Tage anschaulich zu vermitteln ( Arbeitsblatt 1). Das Zerreißen der roten Fahne, die vom Brandenburger Tor heruntergeholt wurde, liegt zeitlich vor der Darstellung der Demonstranten im MG- Feuer auf dem Potsdamer Platz. 2. Als Text wurde die Beschreibung des 16. und nicht des 17. Juni ausgewählt, da sich daran das Besondere dieser Volkserhebung, nämlich die Entwicklung von einem Streik gegen Normenerhöhungen zu einem Aufstand gegen das politische System, darstellen lässt. Bei einem ersten Lesen des Textes ( Arbeitsblatt 2.1) notieren die Lerner zunächst nur die Eskalation, die sich im Anwachsen der Menschenmenge niederschlägt ( Arbeitsblatt 2.2) (zu den Lokalitäten gehört auch der letzte Satz: Die Arbeiter gehen nach Hause). Die inhaltliche Eskalation - ablesbar an den Parolen - wird danach bei einem nochmaligen Le- sen her ausgearbeitet. Die eigentliche Interpretation des Textes erfolgt zuerst in Partnerarbeit, dann im Plenum durch Benennung und Diskussion der passenden Adjektive. 3. Im Anschluß daran kann das Gedicht von Bertolt Brecht „Die Lösung“ behandelt werden ( Arbeitsblatt 3). Um die bittere Ironie des Gedichtes zu betonen, könnten die Lerner in einem Klassengespräch zuerst einmal mögliche Szenarien bzw. „Lösungen“ , die generell einem Volksaufstand folgen, nennen, wie: Absetzung der Regierung und Neuwahlen oder Stärkung der Regierung und Bestrafung der Aufständischen, bevor sie dann die „Lösung“ von Brecht bekommen. 4. Der Informationstext ( Arbeitsblatt 4) stellt den historischen Gesamtzusammenhang dar. Man kann ihn auseinandergeschnitten an Partner verteilen mit dem Auftrag: Bringen Sie die Textabschnitte in eine logische Reihenfolge nach Ursache Verlauf Folgen Die Lösungen werden auf der Basis von inhaltlicher und formaler Textlogik diskutiert; hilf- reich dabei sind die Elemente der Satzverknüpfungen . AB 1 Foto 1: Vor dem Brandenburger Tor , 17.6.1953, vormittags. Landesbildstelle Berlin. AB 1 Foto 2: Potsdamer Platz, 17.6.1953 , nach 13.00 Uhr (Verhängung des Ausnahmezustandes). Landesbildstelle. Der Volksaufstand des 17. Juni 1953 AB 2.1 Text: A. Bust-Bartels, in: Die Welt seit 1945. AB 3 Text : B.Brecht, aus: Bukower Elegien. Text 3: lnfo-Text, nach: Berlin im Überblick , S. 36-37.

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DER VOLKSAUFSTAND DES 17. JUNI 1953

Lehrerhinweis

1. Der Einstieg in das Thema erfolgt über Fotos, um so die Dramatik dieser Tage anschaulich zu vermitteln ( Arbeitsblatt 1). Das Zerreißen der roten Fahne, die vom Brandenburger Tor heruntergeholt wurde, liegt zeitlich vor der Darstellung der Demonstranten im MG- Feuer auf dem Potsdamer Platz.

2. Als Text wurde die Beschreibung des 16. und nicht des 17. Juni ausgewählt, da sich daran das Besondere dieser Volkserhebung, nämlich die Entwicklung von einem Streik gegen Normenerhöhungen zu einem Aufstand gegen das politische System, darstellen lässt.

Bei einem ersten Lesen des Textes ( Arbeitsblatt 2.1) notieren die Lerner zunächst nur die Eskalation, die sich im Anwachsen der Menschenmenge niederschlägt ( Arbeitsblatt 2.2) (zu den Lokalitäten gehört auch der letzte Satz: Die Arbeiter gehen nach Hause). Die inhaltliche Eskalation - ablesbar an den Parolen - wird danach bei einem nochmaligen Le- sen her ausgearbeitet. Die eigentliche Interpretation des Textes erfolgt zuerst in Partnerarbeit, dann im Plenum durch Benennung und Diskussion der passenden Adjektive.

3. Im Anschluß daran kann das Gedicht von Bertolt Brecht „Die Lösung“ behandelt werden ( Arbeitsblatt 3). Um die bittere Ironie des Gedichtes zu betonen, könnten die Lerner in einem Klassengespräch zuerst einmal mögliche Szenarien bzw. „Lösungen“ , die generell einem Volksaufstand folgen, nennen, wie: Absetzung der Regierung und Neuwahlen oder Stärkung der Regierung und Bestrafung der Aufständischen, bevor sie dann die „Lösung“ von Brecht bekommen.

4. Der Informationstext ( Arbeitsblatt 4) stellt den historischen Gesamtzusammenhang dar. Man kann ihn auseinandergeschnitten an Partner verteilen mit dem Auftrag:

Bringen Sie die Textabschnitte in eine logische Reihenfolge nach

Ursache Verlauf Folgen

Die Lösungen werden auf der Basis von inhaltlicher und formaler Textlogik diskutiert; hilf- reich dabei sind die Elemente der Satzverknüpfungen .

AB 1 Foto 1: Vor dem Brandenburger Tor , 17.6.1953,vormittags. Landesbildstelle Berlin.AB 1 Foto 2: Potsdamer Platz, 17.6.1953 , nach 13.00 Uhr(Verhängung des Ausnahmezustandes). Landesbildstelle.

Der Volksaufstand des 17. Juni 1953

AB 2.1 Text: A. Bust-Bartels, in: Die Welt seit 1945.AB 3 Text : B.Brecht, aus: Bukower Elegien.Text 3: lnfo-Text, nach: Berlin im Überblick , S. 36-37.

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Der Volksaufstand des 17. Juni 1953

Arbeitsblatt 1

Der Volksaufstanddes 17. Juni 1953

Welche Stimmung herrscht auf den Fotos?

Welcher Zusammenhang besteht zwischen ihnen?

Die Fotos wurden an einem Tag aufgenommen. Welches Foto liegt wohl zeitlich früher?

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Der Volksaufstand des 17. Juni 1953

Arbeitsblatt 2.1

Der 16. Juni 1953: Erste Demonstrationen

Den Funken in das Pulverfass wirft Otto Lehmann mit seinem Artikel in der „Tribüne“ vom 16.6.1953. In ihm verteidigt er die Beschlüsse der allgemeinen Normenerhöhung als „in vollem Umfang richtig“, aufrechtzu-erhalten und durchzuführen. Dieser Artikel bringt die Bauarbeiter von Block 40 der Stalinallee (und nicht nur sie) noch mehr auf. Sie beschließen, die beiden bereits am Vortage gewählten Delegierten nicht allein mit der Resolution loszuschicken, da sie sonst möglicherweise verhaftet würden. ... Einige Minuten später setzen sich die 300 Bauarbeiter von Block 40 in Bewegung. Sie führen ein schnell angefertigtes Transparent mit sich: „Wir fordern Herabsetzung der Normen“.

Der Demonstrationszug marschiert zunächst zu den anderen Baustellen der Stalinallee und deren Umgebung, um noch weitere Kollegen für die Demonstration zu gewinnen. Wieder am Ausgangspunkt angelangt, zählt die Demonstration etwa 2000 Teilnehmer. Es geht jetzt zum Haus des FDGB-Zentralvorstandes in der Wallstraße und – als man es verschlossen findet und niemand bereit ist, mit den Bauarbeitern zu verhandeln – zum Haus der Ministerien in der Leipziger Straße . Der Zug wächst ständig an; es sind überwiegend geschlossene Beleg-schaften, die sich an ihm beteiligen. Vor dem Haus der Ministerien sind schließlich etwa 10 000 Demonstran-ten versammelt. Sie fordern „Nieder mit den Normen“ und „Wir wollen Ulbricht und Grotewohl sehen“. Aber die beiden trauen sich nicht, mit den Bauarbeitern zu verhandeln, oder sie sind nicht anwesend. Stattdessen versucht es Minister Selbmann...

Auch Selbmann wird mit Pfiffen begrüßt. Als Ruhe einkehrt, beginnt er: ‚Kollegen.. .‘ – ‘Wir sind nicht deine Kollegen!‘ – ‘Ich bin auch Arbeiter...‘ – ‘Das hast Du aber vergessen!‘ – Lautes Gelächter. Die Versammlung nimmt den Charakter einer Volksbelustigung an. Einer ruft: ‚Du bist kein Arbeiter, du bist ein Arbeiterverrä-ter!‘ Selbmann streckt seine Arme nach beiden Seiten aus: ‚Arbeiter, schaut meine Hände an!‘ – ‘Mensch, deine Hände sind aber ganz schön fett‘, tönt es. Wieder tolles Gelächter, Johlen und Pfeifen... ‚Verschwinden! Ab-treten! Ulbricht und Grotewohl her!‘ Lange Zeit finden sich keine Redner, aber langsam, unsicher und tastend entwickeln sich politische Forderungen und Vorschläge für das weitere Vorgehen.

Eine Stunde später gibt Selbmann in einem zweiten Redeversuch bekannt, daß der Ministerrat die administra-tive Normenerhöhung zurückgenommen habe. Ein Bauarbeiter schiebt ihn beiseite mit den Worten, es ginge gar nicht mehr um die Normenerhöhung. Die Regierung müsse aus ihren Fehlern die Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Er erhielt lang anhaltenden Beifall. Und wieder einige Zeit später springt ein junger Auf-zugsmaschinist auf den Tisch. „Kollegen, wir warten jetzt noch eine halbe Stunde. Wenn dann Grotewohl oder Ulbricht nicht hier sind, um unsere Forderungen entgegenzunehmen, dann marschieren wir durch die Arbei-terviertel Berlins und rufen alle Kollegen zum Generalstreik zu morgen auf.“ Auch er erhält lang anhaltenden Beifall. Die Arbeiter warten nicht mehr, sie ziehen los. Sie singen alte sozialistische Arbeiterlieder, und sie finden und rufen immer neue Parolen: „Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille“; „Freiheit“; „Nieder mit der Regierung“; „Wir brauchen keine Volksarmee“; „HO macht uns k.o.“ ; „Wir wollen Freiheit, Recht und Brot, sonst schlagen wir die Bonzen tot“.

Die Arbeiter bemächtigen sich eines Lautsprecherwagens, der die Überprüfung der Normen bekannt gibt, und verkünden damit immer wieder den Generalstreik. Alle Arbeiter, wiederholt der Sprecher permanent, sollen sich am nächsten Tag, dem 17. Juni, auf dem Straußberger Platz versammeln. Gegen 17 Uhr kommen die Bauarbeiter wieder an der Stalinallee an. Der Lautsprecherwagen wird ordnungsgemäß zurückgegeben (I). Die Arbeiter gehen nach Hause.

aus: Axel Bust-Bartels, Der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953

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Der Volksaufstand des 17. Juni 1953

Arbeitsblatt 2.2

1. Notieren Sie beim ersten Lesen die

2. Unterstreichen Sie beim zweiten Lesen die Forderungen und Parolen der Demonstranten.

3. Besprechen Sie in der Klasse, was man aus diesen Notizen ablesen kann für die Motive und den Ablauf der Demonstration.

4. Welche der folgenden Adjektive kennzeichnen die Emotionen und Verhaltensweise der Demonstranten:

Nennen Sie die entsprechenden Textstellen.

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Der Volksaufstand des 17. Juni 1953

Arbeitsblatt 3

Die Lösung

Nach dem Aufstand des 17. Juni Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes In der Stalinallee Flugblätter verteilen Auf denen zu lesen war, daß das Volk Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe Und es nur durch verdoppelte Arbeit Zurückerobern könne. Wäre es da Nicht doch einfacher, die Regierung Löste das Volk auf und Wählte ein anderes?

Bertolt Brecht

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Der Volksaufstand des 17. Juni 1953

Arbeitsblatt 4

Der Volksaufstand des 17. Juni 1953

Mit Hilfe des amerikanischen Marshallplans ging es in der Bundesrepublik und in West-Berlin Anfang der 50er Jahre wirtschaftlich schnell bergauf. Das “Wirtschaftswunder“ bahnte sich an.

Im Gegensatz dazu blieb die Wirtschaft der DDR wegen der Planwirtschaft und der ho-hen Reparationszahlungen an die Sowjetunion stark zurück, wodurch sich der Unmut der Bevölkerung staute.

Um die Bevölkerung zu beruhigen, senkte die Regierung der DDR im Juni 1953 zwar die Preise, erhöhte aber gleichzeitig die Arbeitsnormen (10 % mehr Arbeit bei gleichem Lohn).

Daraufhin streikten am 16. Juni die Bauarbeiter an der Stalinallee in Ost-Berlin und machten einen Protestzug durch die Stadt.

Der Funke sprang auf die ganze DDR über: Einen Tag später wurde in über 270 Orten gestreikt und demonstriert. Der Protest richtete sich zuerst gegen die Normenerhöhun-gen, wurde aber schnell zum Protest gegen das Regime der DDR.

Denn die Demonstranten stürmten die Büros der kommunistischen Partei (SED), zün-deten Polizeireviere an, plünderten Lebensmittelgeschäfte und verbrannten rote Fahnen.

So wurde aus einem Streik ein Aufstand gegen das kommunistische System. Die Haupt-forderungen wurden: Nationale Einheit und freie Wahlen.

Die kommunistische Regierung der DDR war machtlos und rief die sowjetischen Pan-zer zu Hilfe. Der Aufstand brach noch am gleichen Tag zusammen, weil die streikenden Massen keine Führung und keine Organisation hatten.

Obwohl sich die sowjetischen Truppen vorsichtig verhielten und Order hatten, ein Blut-vergießen zu vermeiden, wurden nach inoffiziellen Berichten 260 Demonstranten und über 100 Volkspolizisten getötet. In den Wochen danach wurden 5000 Menschen ver-haftet.

In der Bevölkerung der DDR blieb die Angst, dass jeder Aufstand gegen das Regime durch die sowjetische Armee niedergeschlagen werden würde.