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84 Rolf Schlömer* Der Zahnarzt auf der Mllka-Kuh? Zuckerindustrie und Zahnschäden In dem folgenden Beitrag beleuchtet die Vereinigung Demokratische Zahnmedizin das Verhältnis zwischen zahnmedizinischen Institutionen und Verbänden einerseits und der Zucker- und Süßwarenindustrie ande- rerseits. Dabei wird deutlich, daß der Volksseuche Zahnkaries eine Prä- ventionsstrategie entgegengesetzt werden soll, die den Interessen der Zahnärzteschaft und der Zuckerindustrie gleichermaßen Rechnung trägt. Kernstück dieses Interessenausgleichesauf Kosten der zahnkranken Be- völkerung ist die gemeinsam betriebene Propaganda einer »Selbstver- schuldungslegende«: Die Zähne werden kariös, weil keine ausreichende Mundhygiene und Fluoridierung betrieben wird. So wird die Forderung der Zahnärzteschaft nach einer von den Krankenkassen zu finanzierenden Indvidualprophylaxe in den Praxen untermauert, während andererseits der Zucker- und Süßwarenkonsum aus der Schußlinie herausgehalten wird. Die VereinigungDemokratische Zahnmedizin kommentiert in diesem Beitrag auch einen Brief des umstrittenen damaligen Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein im Freien Verband der Deutschen Zahnärz- te, Eduard Knellecken. Die standespolitischen ThesenKnelleckens werden von der Vereinigung Demokratische Zahnmedizin abgelehnt und be- kämpft. Dennoch scheint es uns angebracht, anhand der von Knellecken veröffentlichten internen Vorgängedie Zusammenarbeit zwischen Zahn- ärzteschaft und Zuckerindustrie darzustellen. Die Kariesprophylaxe steht auf drei Säulen: Der zuckerarrnen Ernährung, der richtigen Mundhygiene und der Fluoridierung, So jedenfalls lehren es (noch) die deutschen Universitäten und verkünden es die Prophylaxe- Lehrmeister aus der Schweiz. Wer aber die Aktivitäten der zahnärztlichen Standesorganisationen in der Bundesrepublik beobachtet, muß seit länge- rem feststellen, daß eine der Säulen unter die Spitzhacke gekommen ist: Der Zahnkiller Zucker wird totgeschwiegen. Umsomehr wird die Werbe- trommel für Fluor gerührt und das Zähneputzen wird zur wichtigsten Übung der Nation erhoben. Aktuelle Hintergrundinformation zu dieser Entwicklung hat die Öf- fentlichkeit dem Grabenkrieg zwischen den Zahnarzt-Funktionären zu verdanken. Nach kurzer Kampfpause hat Eduard Knellecken seine inter- • Mitglied der Vereinigung Demokratischer Zahnmedizin. Der Aufsatz ist eine überarbeitete Fassung aus: Der Artikulator, Nr. 8, März 1982. ARGUMENT·SONDERBAND AS 86 ©

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Rolf Schlömer*

Der Zahnarzt auf der Mllka-Kuh?Zuckerindustrie und ZahnschädenIn dem folgenden Beitrag beleuchtet die Vereinigung DemokratischeZahnmedizin das Verhältnis zwischen zahnmedizinischen Institutionenund Verbänden einerseits und der Zucker- und Süßwarenindustrie ande-rerseits. Dabei wird deutlich, daß der Volksseuche Zahnkaries eine Prä-ventionsstrategie entgegengesetzt werden soll, die den Interessen derZahnärzteschaft und der Zuckerindustrie gleichermaßen Rechnung trägt.Kernstück dieses Interessenausgleichesauf Kosten der zahnkranken Be-völkerung ist die gemeinsam betriebene Propaganda einer »Selbstver-schuldungslegende«: Die Zähne werden kariös, weil keine ausreichendeMundhygiene und Fluoridierung betrieben wird. So wird die Forderungder Zahnärzteschaft nach einer von den Krankenkassen zu finanzierendenIndvidualprophylaxe in den Praxen untermauert, während andererseitsder Zucker- und Süßwarenkonsum aus der Schußlinie herausgehaltenwird.

Die VereinigungDemokratische Zahnmedizin kommentiert in diesemBeitrag auch einen Brief des umstrittenen damaligen Vorsitzenden desLandesverbandes Nordrhein im Freien Verband der Deutschen Zahnärz-te, Eduard Knellecken. Die standespolitischen ThesenKnelleckens werdenvon der Vereinigung Demokratische Zahnmedizin abgelehnt und be-kämpft. Dennoch scheint es uns angebracht, anhand der von Knelleckenveröffentlichten internen Vorgängedie Zusammenarbeit zwischen Zahn-ärzteschaft und Zuckerindustrie darzustellen.

Die Kariesprophylaxe steht auf drei Säulen: Der zuckerarrnen Ernährung,der richtigen Mundhygiene und der Fluoridierung, So jedenfalls lehren es(noch) die deutschen Universitäten und verkünden es die Prophylaxe-Lehrmeister aus der Schweiz. Wer aber die Aktivitäten der zahnärztlichenStandesorganisationen in der Bundesrepublik beobachtet, muß seit länge-rem feststellen, daß eine der Säulen unter die Spitzhacke gekommen ist:Der Zahnkiller Zucker wird totgeschwiegen. Umsomehr wird die Werbe-trommel für Fluor gerührt und das Zähneputzen wird zur wichtigstenÜbung der Nation erhoben.

Aktuelle Hintergrundinformation zu dieser Entwicklung hat die Öf-fentlichkeit dem Grabenkrieg zwischen den Zahnarzt-Funktionären zuverdanken. Nach kurzer Kampfpause hat Eduard Knellecken seine inter-

• Mitglied der Vereinigung Demokratischer Zahnmedizin. Der Aufsatz ist eineüberarbeitete Fassung aus: Der Artikulator, Nr. 8, März 1982.

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nen Widersacher erneut angegangen. Interessantes kam ans Licht, als ereinen Brief, gerichtet an Dr. O. Bruker, seinen langjährigen Gefährten imStreit gegen die Zuckerindustrie, an die nordrheinischen Zahnärzte ver-schickte. In diesem Brief ging es um einen Kooperationsvertrag der Kas-sen-Zahnärztlichen Vereinigung (KZV) Nordrhein mit der Zuckerindustrieund um die Karriere des Friedrich Römer, der vom Werbemann derZuckerindustrie zum einflußreichen Prophylaxe-Funktionär in zahnmedi-zinischen Organisationen und Gremien aufgestiegen ist.

Kooperationsvertrag zwischen Zucker und Zahn?In den Zahnärztlichen Mitteilungen (20/80) berichtete Hartlrnaier unterder Überschrift »Vor neuem Zuckerkrieg?«, daß sich Vertreter des Ver-bandes Deutscher Zahnärzte »ein Herz faßten« und mehrere Gesprächemit Repräsentanten des Zuckergewerbes führten. Hartlrnaier deutete Ver-einbarungen in Sachen beidseitiger Öffentlichkeitsarbeit an, ohne diese je-doch näher zu erläutern. Knellecken holte dies jetzt genüßlich nach, in-dem er am Beispiel der KZV Nordrhein Passagen aus dem O.g. Vertragmit der Zuckerindustrie veröffentlichte (siehe weiter unten »Dokument«).Lesenswerte Abschnitte enthielt auch der Veitragsentwurf, aus dem dieHandschrift der Zuckerleute noch deutlicher herauszulesen ist. Was imVorentwurf nicht zu halten war, wurde laut Knellecken Bestandteil münd-licher Vereinbarungen. Darin soll sich die Kassen-Zahnärztliche Vereini-gung verpflichtet haben,a) im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit alle Hinweise auf die allgemein

schädigende Wirkung des Zuckers zu unterlassen,b) ihre AufkIärungsarbeit auf Zahnhygiene zu konzentrieren undc) weder den Zahnärzten noch der Presse oder der Öffentlichkeit irgend-

weIche Mitteilungen über den mit der Wirtschaftsvereinigung Zuckerabgeschlossenen Kooperationsvertrag zu machen.

Nicht weniger interessant als die Veröffentlichung des Vertragstextes sindKnelleckens Recherchen über Friedrich Römer. Römer wird als einflußrei-cher Werbemann der Zuckerindustrie beschrieben, dessen Karriere mit de-taillierten Angaben belegt wird. Danach sei Römer jahrelang Mitarbeiterder Werbeagentur Thompson in Frankfurt gewesen, der wichtigsten Wer-beagentur der Zucker- und Süßwarenindustrie. Thompson gründete, lautKnellecken, vermutlich auch den »Verein für Zahnhygiene«, dessen Vor-sitzender Friedrich Römer wurde. Geschäftssitz und Geschäftsräume hat-te dieser Verein in den Räumen der Werbeagentur Thompson. Eine späte-re Gründung der Zuckerwerber war der» Informationskreis Mundhygieneund Ernährung« (IME), der heute bei Zahnärzte-Verbänden und Univer-sitäten bestens eingeführt ist.

Auf Römers Initiative wurde 1969 ein Ausschuß zur Koordinierung derZahngesundheitserziehung gegründet, der neben dem BDZ und dem Deut-

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sehen Ausschuß für Jugendzahnpflege auch von Römers »Verein f. Zahn-hygiene e.V.« getragen wurde. Erst unter dem Druck von Knelleckens Ak-tivitäten während dessen KZB-Amtszeit habe Römer formell bei Thomp-son gekündigt und sei mit seinem Verein aus den Räumen der Zucker-Werbeagentur nach Darmstadt umgezogen. Höhepunkt in KnelleckensRömer-Bibliographie: Auf einer Tagung des Planungsstabes für Öffent-lichkeitsarbeit des Bundesverbandes der Deutschen Zahnärzte (BDZ) wur-de ihm Römer als persönlicher Berater von Dr. Sebastian vorgestellt. Se-bastian war damals Vorsitzender des Planungsstabes und ist heute Präsi-dent des BDZ.

Nicht erwähnt hat Knellecken den weiteren Aufstieg Römers in derLandeszahnärztekarnmer Hessen. Diese kürte ihn zum Leiter der »Presse-stelle der Hessischen Zahnärzte«, die unter der gleichen Anschrift wie Rö-mers »Verein für Zahnhygiene« in Darmstadt firmiert. Neben der Aufga-be, durch Verbindungen zur Presse eine »sachlich einwandfreie und mög-lichst zahnarztfreundliche Berichterstattung zu erreichen«, sieht Römerdie Aufgaben der Pressestelle natürlich auch darin, »(die) Patienten überdie wichtigsten Verhaltensregeln zur Vorbeugung gegen Zahnerkrankun-gen aufzuklären«. Ebenfalls bleibt bei Knellecken unerwähnt, daß Römersich auch um höhere wissenschaftliche Weihen bemüht. Er ist einer derSchriftleiter der Zeitschrift »Kariesprophylaxe«, die mit ihrer Artikelaus-wahl ziemlich eindeutig auf der Propylaxe-Linie der Zucker- und Süßwa-renindustrie und deren Sprachrohr» Informationskreis Mundhygiene undErnährungsverhalten« (IME) liegt.

Kooperation oder Komplizenschaft?Kooperationsvertrag zwischen Zuckerindustrie und einer Kassen-Zahn-ärztlichen Vereinigung, ein Mann aus der Zuckerwerbung in zahnärztli-chen Gremien und zahnmedizinischen Organisationen, eine offensiveZuckerverharmlosungs-Kampagen des IME mit Unterstützung der Wis-senschaft und Verbände - worum geht es eigentlich dabei? Die Interessender Zucker- und Süßwarenindustrie sind klar: 1981 wurden an über300.000 Verkaufsstellen Süßigkeiten im Wert von über DM Il Mrd. ver-trieben. Diesen Umsatz gilt es zu steigern, obwohl die BRD in der EO be-reits die Spitzenposition im Zuckerverbrauch hält. Schon jetzt verzehrtder Durchschnittsbürger mehr als die doppelte Menge an Fabrikzuckerpro Tag und Jahr, wie sie die Ernährungswissenschaftler im ersten »Er-nährungsbericht« 1969 der Bundesregierung für gesundheitlich noch un-bedenklich bezeichnet hatten: nämlich 60g am Tag.

Es gilt aber nicht nur riesige Umsätze zu verteidigen, sondern auch satteZuwachsraten zu sichern. Dies ist Sache der Werbung, die zweigleisig vor-geht: Da gibt es einmal die in vielen Fällen nahezu kriminelle Produktwer-bung für Süßigkeiten, die unter stillschweigender Billigung des Gesund-

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Der Zahnarzt auf der Mi/ka-Kuh? 87heitsministeriums mit der Unwissenheit und Unbefangenheit vor allem derKinder manipuliert. Zum anderen sind es notwendige Public-RelationsAktionen, die auf das Lager der potentiellen Zuckergegner abgestimmtsind. Darunter sind auch Aktionen einzuordnen, wie der Vertrag mit einerKassen-Zahnärztlichen Vereinigung, Gründung von Mundhygiene-Orga-nisationen oder auch die von Knellecken aufgedeckte süßlich-klebrigeKarriere des Friedrich Römer.

Inhaltlich zielen diese Aktionen der Süßwaren-Industrie darauf ab, zuverhindern, daß Zucker und Süßigkeiten in der Öffentlichkeit als zahn-schädigend dargestellt werden. Da die zahnschädigende Wirkung jedochgründlich untersucht und unumstößlich erwiesen ist, mußte die Zuckerin-dustrie eine besondere, hauseigene Kariesätiologie entwickeln: Zahnkarieswird nicht etwa durch Zucker verusacht, sondern dadurch, daß die Leutedie Zuckerreste nach dem Verzehr nicht gleich mit der Zahnbürste beseiti-gen. Und weiter besagt die Logik der Zuckerindustrie: Zahnkaries könntedurch den Zucker erst gar nicht entstehen, wäre das Trinkwasser endlichfluoridiert und der Zahnschmelz widerstandsfähiger.

Diese Perversion des Präventions-Gedanken ist durchgängig herausles-bar aus den Informationsblättern, die vom IME den Zahnärzten zur Pa-tientenaufklärung angeboten werden. Hinweise auf Ernährung sind dortentweder auf der letzten Seite untergebracht oder es wird im Nebensatznebulös vom »Nahrungszucker« gesprochen, der am Zahn haften bleibt.Der Laie wird mit dem »wissenschaftlichen Experiment« beruhigt, daß»ein völlig belagfreier Zahn durch Zucker ... nicht geschädigt werdenkann«. Daß »völlig belagfreies Zähne nur in Reagenzgläsern existierenund nicht in Mundhöhlen, wird natürlich verschwiegen.

Was das IME in einer »Standortbestimmung auf der Basis wissen-schaftlicher Erkenntnis« über den Zucker herausgefunden hat, sollten be-sonders die Wissenschaftler aus der Schweiz und der BRD lesen, die dasZuckerinstitut »IME« durch ihre Unterstützung in zahnärztlichen Kreisenerst salonfähig gemacht haben.

Die Frage »Welche Rolle spielen Zucker und zuckerhaltige Speisen fürdie Entstehung von Karies?« wird dort abschließend folgendermaßen be-antwortet:

»Bedeutsam sind auch folgende Faktoren: Zuckerhaltige Lebensmittel,die gleichzeitig Fett enthalten (z.B. Schokolade, fetthaltige Backwaren,Milchspeiseeis, Marmelade auf Butterbrot), haben einen gewissen Schutz-effekt, da an den Zähnen und zuckerhaltigen Speisestückehen ein schüt-zender Fettfilm entsteht. - Zuckerhaltige Getränke spülen ihren Zuckerbuchstäblich 'mit sich selbst weg. '«

Es ist gewiß unverdächtig, wenn eine konservative Berufsgruppe wie dieZahnärzte wohlwollend bis ermunternd den Aktivitäten eines Industrie-zweiges gegenübersteht. Aber wenn sich angesichts einer Zucker- und

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Süßwarenwerbung, die auf verbotenen und einseitig aufgearbeiteten In-formationen basiert und mit wissenschaftlichen Erkenntnissen manipu-liert, eine »Kooperation« zwischen Zucker- und Süßwarenindustrie undgesetzlichen Instituten der Zahnärzteschaft entwickelt, ist das Betrug ander Gesundheit der Bevölkerung. Mit derartiger Komplizenschaft ist einneues Stadium im Verfall der zahnärztlichen Berufsethik erreicht.

Es ist erklärte Politik des Freien Verbandes, die Mundhygiene »abrech-nungsfähig« zu machen und damit über die Individualprophylaxe in denPraxen die Kassen kingeIn zu lassen. Dieser - vorerst allerdings geschei-terte - Zugriff auf weitere Versichertengelder erforderte eine leicht »fri-sierte« Prophylaxe-Strategie, die Mundhygiene und F1uoridierung in denVordergrund stellt und die ursachenorientierte Aufklärung der Bevölke-rung in den Hintergrund rückt. Streitereien oder gar Prozesse mit der Zuk-ker- und Süßwarenindustrie lenken da nur den Blick ab vom GoldeseiMundhygiene und stören die standespolitischen Schachzüge. - Für dieVersicherten in der BRD hat es katastrophale Folgen, wenn sich Zuckerin-dustrie und Zahnärzteschaft auf den gemeinsamen Nenner »Mundhygieneund Fluor« einigen. Regelmäßige Mundhygiene und F1uoridierung sindzwar unerläßliche Bestandteile der Kariesprophylaxe, jedoch würde sichwenig an der Kariesstatistik ändern, wenn nicht die Zahl der zuckerhalti-gen Zwischenspeisen reduziert wird. Alle seriösen Wissenschaftler sehendarin die Hauptursache für den Zahnverfall und sind sich einig in derFeststellung, daß es ohne Zucker auch keine Karies gibt. Erreicht werdensoll dies nicht durch die Einführung einer spartanischen Lebensweise, son-dern durch Aufklärung und Erziehung zum gesundheitserhaltenden Um-gang mit Süßigkeiten. Voraussetzung ist der Kampf gegen die Werbemetho-den und Infiltrationspraktiken der Zucker- und Süßwarenindustrie. Umdiese Aufklärung zu verhindern und Riesenumsätze zu sichern, hat dieZucker- und Süßwarenindustrie alle Register gezogen. Dies überraschtnicht, denkt man beispielsweise an die Werbung der Zigaretten- oder Spi-rituosenindustrie, oder an Methoden der Beruhigungstee-Hersteller. Sel-tenheitswert hat jedoch eine so offene Allianz zwischen denen, die sichdurch die Verursachung einer Krankheit bereichern und denen, die nichtnur an der Beseitigung der Zahnschäden verdienen, sondern in der Öf-fentlichkeit noch als Vorkämpfer der Kariesprophylaxe angesehen werden.

Wir wollen nicht hoffen, daß ein Mann aus der Zigarettenwerbung dieÖffentlichkeitsarbeit der hessischen Ärzte über den Lungenkrebs macht.Wir können uns auch noch schlecht vorstellen, daß den Schnapfsfabri-kanten ein Deal mit den Internisten gelingt. Stimmen aber Knelleckens Be-hauptungen über Friedrich Römer und die Absprachen zwischen Zucker-industrie und der KZV Nordrhein, dann ist die Aufsichtsbehörde gefor-dert, die Vereinbarkeit solcher Absprachen mit dem gesetzlichen Auftragder zahnärztlichen Körperschaften zu überprüfen.

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DokumentVereinbarung zwischen der Kassen-Zahnärztlichen Vereinigung Nordrhein, ver-treten durch den Vorstand, und der Wirtschaftsvereinigung ZuckerPräambel:Im Interesse einer sachlichen Aufklärung der Bevölkerung zur Verhinderung vonZahnerkrankungen sind die Parteien übereingekommen, in Zukunft soweit alsmöglich zusammenzuarbeiten. Insbesondere werden die Parteien in der Öffent-lichkeit gegenseitige Angriffe vermeiden. In diesem Sinne und zur Beendigungdes Rechtsstreites 7 K 3482178 Verwaltungsgericht Düsseldorf wird folgendesvereinbart:I. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf wird durch Vergleich

der Parteien beendet. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.2. Die KZV-Nordrhein wird ihre Aussagen in sachlicher Form und unter Berück-

sichtigung gesicherter Erkenntnisse der medizinischen Fachwelt machen. So-weit es Zahnerkrankungen betrifft, wird die KZV - sofern und soweit in die-sem Zusammenhang Zucker angesprochen' ist - ihre Öffentlichkeitsarbeit insachlicher Form und unter Berücksichtigung gesicherter Erkenntnisse der me-dizinischen Fachwelt betreiben, wobei der Aspekt unzureichender Zahnpflegeberücksichtigt wird.

3. Die Wirtschaftsvereinigung Zucker wird ihre Aussagen in sachlicher Formund unter Berücksichtigung gesicherter Erkenntnisse der medizinischen Fach-welt machen.

4. Die Parteien kommen überein, sich mindestens einmal jährlich zu treffen, umeinen Gedankenaustausch über die beidseitigen Werbe- bzw. PR-Maßnahmendurchzuführen. Bei dieser Gelegenheit werden die Parteien prüfen, ob und in-wieweit eine gemeinsame Arbeit im Interesse der Zahngesundheit durchführ-bar ist.

Vertragsentwurf der Zuckerindustrie1. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf wird durch Vergleich

der Parteien beendet: Die Frage der Kostenlast wird vorläufig offengelassen.2. Die KZV-Nordrhein unterläßt im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit Aussa-

gen, die bei dem medizinischen Laien den Eindruck erwecken könnte, daß derVerzehr des Zuckers die Entstehung von allgemeinen Körperschäden und/oder Krankheiten verursacht. Soweit es Zahnerkrankungen betrifft, wird dieKZV - sofern und soweit in diesem Zusammenhang der Zucker angespro-chen ist - ihre Öffentlichkeitsarbeit in sachlicher Form und unter Berück-sichtigung gesicherter Erkenntnisse der medizinischen Fachwelt betreiben,wobei der Aspekt der unzureichenden Zahnpflege besonders berücksichtigtwird.

3. Die Wirtschaftsvereinigung Zucker wird auch in Zukunft jegliche extrem un-sachlichen Werbeaussagen für Zucker unterlassen. Sie wird ihre Aussagen insachlicher Form und unter Berücksichtigung gesicherter Kenntnisse der medi-zinischen Fachwelt machen.

4. Die Parteien kommen überein, sich mindestens einmal jährlich zu treffen, umeinen Gedankenaustausch über die beiderseitigen Werbe- bzw. PR-Maßnah-men durchzuführen. Bei dieser Gelegenheit werden die Parteien prüfen, obund inwieweit eine gemeinsame Arbeit im Interesse der Zahngesundheitdurchführbar ist.

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