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DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago, der Vergils Helden im ersten Buch der Aeneis zu einem reich bebilderten Tem- pel führt, pflegt von der Forschung mit dem Etikett ‚Ekphrasis‘ belegt zu werden. Was einen dabei stutzig macht, ist der immer wieder abweichend veranschlagte Textumfang: Während über das Ende der ‚detaillierten Beschreibung‘ in Vers 493 Einvernehmen herrscht, läßt man sie bald früher, bald später beginnen; die Spann- weite reicht – über mehrere Zwischenstufen hinweg – von Vers 421 bis 466. 1 Ausgehend von der Uneinheitlichkeit dieses Befundes möchte ich im Folgenden den gesamten Passus einer eingehenden Analyse unterziehen, die das Verhältnis der Descriptio zur Narra- tio neu auslotet. I. Vergil, Aeneis 1,418–493 als Einheit Betrachten wir zunächst die Einfassung des von den ‚Maxi- malisten‘ vorgeschlagenen Versausschnitts 421 bis 493, so wird schnell deutlich, wie sorgfältig dieser von Vergil als Einheit profi- liert worden ist. Im Vorfeld trifft der im Sturm gestrandete Aeneas auf seine göttliche Mutter Venus, die ihn – als jungfräuliche Jägerin verkleidet – darüber aufklärt, daß er sich im Reich der flüchtigen Tyrierin Dido befinde (314–417), im Anschluß trifft er auf die dia- nagleich einherschreitende Königin selbst (494–642). Es ergibt sich *) Für die sorgfältige Lektüre des Manuskripts sowie wertvolle Hinweise danke ich Herrn Prof. Dr. Bernd Manuwald. 1) Vgl. unter anderem Heinze 1915, 398; Williams 1960, 145; Leach 1988, 313; Glei 1991, 130 (alle vier sprechen von einer ‚Ekphrasis‘ ab Vers 1,466); Simon 1982, 206–209; Wandhoff 2003, 189 (beide ab Vers 456); Lowenstam 1993/94, 37; Barchiesi 1997, 271; Putnam 1998, 243; Arnulf 2004, 55 Anm. 150 (ab Vers 453); Downey 1959, 929; Ratkowitsch 1991, 10 (ab Vers 446); Fowler 1991, 31 Anm. 40 (ab Vers 441); Ravenna 1985, 183; Reitz 1997, 946 (ab Vers 421).

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DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONISAeneas besichtigt Karthago (Vergil Aeneis 1418ndash493)

Der Erkundungsgang nach und durch Karthago der VergilsHelden im ersten Buch der Aeneis zu einem reich bebilderten Tem-pel fuumlhrt pflegt von der Forschung mit dem Etikett sbquoEkphrasislsquo belegt zu werden Was einen dabei stutzig macht ist der immerwieder abweichend veranschlagte Textumfang Waumlhrend uumlber dasEnde der sbquodetaillierten Beschreibunglsquo in Vers 493 Einvernehmenherrscht laumlszligt man sie bald fruumlher bald spaumlter beginnen die Spann-weite reicht ndash uumlber mehrere Zwischenstufen hinweg ndash von Vers 421bis 4661 Ausgehend von der Uneinheitlichkeit dieses Befundesmoumlchte ich im Folgenden den gesamten Passus einer eingehendenAnalyse unterziehen die das Verhaumlltnis der Descriptio zur Narra-tio neu auslotet

I Vergil Aeneis 1418ndash493 als Einheit

Betrachten wir zunaumlchst die Einfassung des von den sbquoMaxi-malistenlsquo vorgeschlagenen Versausschnitts 421 bis 493 so wirdschnell deutlich wie sorgfaumlltig dieser von Vergil als Einheit profi-liert worden ist Im Vorfeld trifft der im Sturm gestrandete Aeneasauf seine goumlttliche Mutter Venus die ihn ndash als jungfraumluliche Jaumlgerinverkleidet ndash daruumlber aufklaumlrt daszlig er sich im Reich der fluumlchtigenTyrierin Dido befinde (314ndash417) im Anschluszlig trifft er auf die dia-nagleich einherschreitende Koumlnigin selbst (494ndash642) Es ergibt sich

) Fuumlr die sorgfaumlltige Lektuumlre des Manuskripts sowie wertvolle Hinweisedanke ich Herrn Prof Dr Bernd Manuwald

1) Vgl unter anderem Heinze 1915 398 Williams 1960 145 Leach 1988313 Glei 1991 130 (alle vier sprechen von einer sbquoEkphrasislsquo ab Vers 1466) Simon1982 206ndash209 Wandhoff 2003 189 (beide ab Vers 456) Lowenstam 199394 37Barchiesi 1997 271 Putnam 1998 243 Arnulf 2004 55 Anm 150 (ab Vers 453) Downey 1959 929 Ratkowitsch 1991 10 (ab Vers 446) Fowler 1991 31 Anm 40(ab Vers 441) Ravenna 1985 183 Reitz 1997 946 (ab Vers 421)

ein Interludium das zwei Begegnungen mit fuumlr Aeneas zentralensich aumluszligerlich aumlhnelnden Frauengestalten voneinander trennt Des-sen Scharniere werden sprachlich durch temporale Ausdruumlcke her-vorgehoben Waumlhrend interea in Vers 418 das Voran gehende ab-schlieszligt beginnt mit dem Hauptsatz dem sich die in Vers 494 und495 gesetzte Konjunktion dum unterordnet das Nachfolgende

Das Dazwischenliegende aber untersteht dem Leitbegriffmirari der nicht bloszlig Aeneasrsquo Sehen sondern primaumlr sein stau-nendes Bewundern meint also uumlber die physische Funktion hinausden psychischen Affekt Durch die Anapher miratur [ ] mira-tur wird die Vokabel einleitend zu Anfang der Verse 421 und 422foumlrmlich eingehaumlmmert und in Vers 494 kehrt sie ausleitend alsGerundiv wieder (494ndash495)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495[ ]

Uumlberdies steht in Vers 456 und damit ziemlich genau in der Mitteder so gerahmten Passage erneut primae sedis die finite Formmiratur Diese wohlkalkulierten Plazierungen verankern das Pro-gramm des Aeneam mirari das von einer stattlichen Reihe weite-rer Verba videndi bzw stupendi zusaumltzliche Stuumltzung erfaumlhrt2 festim Gedaumlchtnis eines jeden (linearen) Lesers oder Houmlrers

II1 Urbs Carthago (Aen 1418ndash440)

Uumlber die oben erwaumlhnten sbquoMaximalistenlsquo hinaus die ab Vers421 von einer sbquoEkphrasislsquo sprechen habe ich auch die drei vorange-henden Hexameter in meine Eroumlrterung miteinbezogen (418ndash420)3

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2) Im Einzelnen sind zu verzeichnen aspectat (1420) suspicit (438 vgl un-ten Anm 20) neque cernitur ulli (440) nova res oblata (450) lustrat (453) videt(456) en (461) animum pictura pascit inani (464) videbat (466) agnoscit (470)conspexit (487) agnovit (488) videntur (494) stupet obtutuque haeret defixus in uno(495) Mit Blick auf den Verbalstamm bleibt aus Vers 439 noch das Adjektiv mira-bile das mit dem Supinum II dictu verknuumlpft ist zu ergaumlnzen wenngleich hierbeinatuumlrlich der Erzaumlhler selbst als das (implizite) grammatische Agens fungiert

3) Die Verse 418ndash440 bilden auch fuumlr die Textausgabe von Mynors 1969 (Ab-satzeinruumlckungen vor v 418 und v 441) und fuumlr Austin 1971 146 eine Einheit

corripuere viam interea qua semita monstratiamque ascendebant collem qui plurimus urbiimminet adversasque aspecat desuper arces 420

In ihnen wird erzaumlhlt wie Aeneas und sein treuer Begleiter Acha-tes eiligst den ihnen von Venus gewiesenen Pfad nach Karthagoeinschlagen und einen Huumlgel besteigen von dem aus sie die ge-genuumlberliegende Stadt samt der Akropolis uumlberblicken koumlnnenDie topographischen Voraussetzungen fuumlr die Vogelperspektiveaus der das staunende Sehen (mirari) im Anschluszlig erfolgen wirdsind damit geschaffen

In psychologisch einleuchtender Reihenfolge referieren dieVerse 421ndash422 hastig die ersten Eindruumlcke

miratur molem Aeneas magalia quondammiratur portas strepitumque et strata viarum

Der uumlberwaumlltigte Aeneas nimmt also zuerst die undifferenzierteMasse des Siedlungskonglomerats (molem) wahr dann die Stadt -tore (portas) d h pars pro toto zugleich die durch den Mauerringfestlegte urbane Ausdehnung an dritter Stelle den darin erzeugtenLaumlrm (strepitum) d h in synaumlsthetisch-metonymischer Ver-quickung zugleich dessen Quelle die geschaumlftigen Menschenmas-sen sowie schlieszliglich das gliedernde Straszligennetz (strata viarum)Narratologisch laumlszligt sich diesbezuumlglich von vier Faumlllen sbquoerzaumlhlterPerzeptionlsquo genauer einem sbquoWahrnehmungsberichtlsquo4 sprechensowie von sbquointerner Fokalisierunglsquo5 denn der Erzaumlhler sagt nichtmehr als seine Figur weiszlig oder mit ihren Sinnen registriert

Wie aber verhaumllt es sich mit der zu molem gehoumlrigen Apposi-tion magalia quondam (421) Daszlig dort wo sich jetzt ein Haumluser-

17Descriptio ancilla narrationis

4) Zur Figurenwahrnehmung als dritter Form der Figurenrede aumluszligert sichQuinkertz 2004 152 f 159 Eine uumlbersichtliche Darstellung der anderen beidenFormen der gesprochenen und der gedachten Rede bieten Martinez Scheffel2002 51ndash63 bes 62 wo sich ein uumlbersichtliches Schema findet das sich mutatis mutandis auf die Wahrnehmung uumlbertragen laumlszligt Unter sbquoerzaumlhlter Perzeptionlsquo alsOberbegriff fielen auch Saumltze wie sbquoAeneas hatte die Augen geoumlffnetlsquo oder sbquoAeneasschaute um sichlsquo die unter Aussparung des Objekts lediglich den sensualen Akt er-waumlhnen

5) Zu dem auf Geacuterard Genette zuruumlckgehenden Begriff der sbquoFokalisierunglsquovgl z B Martinez Scheffel 2002 63ndash67 oder Schmid 2005 115ndash119

meer erstreckt einst einfache Strohhuumltten standen vermag Aeneaszwar nicht zu sehen wohl aber sich zu denken6 Nach VorstellungVergils duumlrfte ein sukzessives Erlebnis von sbquoGleichzeitigkeit desUngleichzeitigenlsquo7 die Reflexion ausgeloumlst haben berichtet er dochim vierten Buch des Epos (v 259) von magalia die in den Auszligen-bezirken Karthagos noch existierten das Areal der weitlaumlufigen historischen Vorstadt durch das die beiden Kundschafter auf demWeg zu ihrem Bellevue gelangt sein muumlssen trug zudem denselbenoder wenigstens einen aumlhnlich klingenden zur Identifikation ein-ladenden Namen8 Wir haben mit magalia quondam in jedem Fallweit eher einen unvermittelt eingeschobenen Fetzen direkter Ge-dankenrede vor uns die verwundert uumlber den kulturellen Fort-schritt nachsinnt als ndash wie etwa der spaumltantike Kommentator Servius will ndash einen reinen Erzaumlhlerkommentar dessen Gelehr-samkeit hier doch allzu abgeschmackt wirken wuumlrde9 Der Er-zaumlhler ist allenfalls auf sprachlicher Ebene (nicht inhaltlich) ding-fest zu machen insofern als magalia einen Terminus technicus fuumlr

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6) Die Apposition magalia quondam ist als ein adversatives Asyndeton auf-zufassen das das sbquoeinstlsquo dem sbquojetztlsquo exklusiv gegenuumlberstellt Eine bdquofase drsquoinsedia-mento provvisorio che precede nel medesimo sito lrsquoedificazione e istituzionalizza-zione della cittagraveldquo wie sie Scagliarini Corlagraveita 1987 310 zu erkennen glaubt geht amWortlaut des Textes vorbei Steacutegen 1975 189 und Niemeyer 1993 45 Anm 3 ver-muten daszlig der beruumlhmte Ausspruch des Augustus er habe Rom aus einer Ziegel-stadt zu einer Marmorstadt gemacht ndash ut iure sit gloriatus marmoream [sc urbem]se relinquere quam latericiam accepisset (Sueton Aug 283) ndash im Hintergrund vonVergils diachronem Gegensatz der karthagischen Topographie steht doch erscheintdies angesichts der Abfassungszeit der Aeneis in den zwanziger Jahren des 1 Jhv Chr vielleicht etwas verfruumlht

7) Diese gluumlcklich formulierte zumal von der Geschichtswissenschaft ge-brauchte sbquoFigurlsquo wurde von dem Philosophen Ernst Bloch eingefuumlhrt der damit inseiner Schrift Erbschaft dieser Zeit Zuumlrich 1935 die widerspruumlchliche Genese desdeutschen Faschismus zu erlaumlutern versucht vgl dazu etwa Nolte 2002

8) Die Namensvarianten finden sich unten in Anm 27 aufgelistet Wenn es4259ndash261a heiszligt ut primum alatis tetigit [sc Mercurius] magalia plantis Aeneamfundantem arces ac tecta novantem conspicit so duumlrfte dort auf die Doppelbedeu-tung von magalia (erstens = sbquonumidische Strohuumlttenlsquo zweitens = sbquoVorstadt Kartha-goslsquo) abgehoben werden

9) MAGALIA QUONDAM hoc ad poetam [sc refertur] nec enim hoc novitAeneas (Serv Aen 1421) vgl demgegenuumlber den einfuumlhlsamen Kommentar denAustin 1971 146 f zur Stelle gibt (bdquomore probably Virgil is still representing Aeneasrsquowondering thoughtsldquo) Das Wesentliche hatte schon Ladewig 1867 erkannt bdquoDieWorte magalia (andere Form fuumlr mapalia) quondam enthalten den Grund fuumlr dieVerwunderung da wo fruumlher nur magalia gestanden haben koumlnnen (wie er aus derUmgebung siehe Aen 4259 schlieszligen muszlig) erheben sich jetzt riesige Bautenldquo

die charakteristischen Behausungen nordafrikanischer Hirten dar-stellt der von den Roumlmern stets dezidiert als Fremdwort empfun-den wurde und so in gewisser Weise uumlber die im Epos uumlblicheSprachfiktion (in concreto spricht und denkt ja ein Trojaner La-tein) hinausgeht10

Der gewonnene Eindruck wird durch die angrenzenden Ver-se 423 bis 429 bekraumlftigt

instant ardentes Tyrii pars ducere murosmolirique arcem et manibus subvolvere saxapars optare locum tecto et concludere sulco 425iura magistratusque legunt sanctumque senatumhic portus alii effodiunt hic alta theatrisfundamenta locant alii immanisque columnasrupibus excidunt scaenis decora apta11 futuris

Sie koumlnnen als ein distanzierter sbquoinnerer Monologlsquo gedeutet wer-den der ndash ohne Selbstansprachen aufzuweisen ndash in regelkonformeSyntax gegossen ist12 Daszlig keine auktoriale Erzaumlhlung von Ereig-nissen vorliegt vermag das in Vers 427 doppelt gesetzte hic zu unterstreichen dessen bdquoHier-Deixisldquo13 typisch fuumlr direkte Redenist14 Uumlberwiegend zitiert Vergil allerdings keine Gedankenasso-

19Descriptio ancilla narrationis

10) Zur Negation linguistischer Barrieren im antiken Epos (und anderenpoetischen Gattungen) vgl Suerbaum 1999 194 und Barchiesi 1992 202 f Das nieversiegte roumlmische Bewuszligtsein dafuumlr daszlig es sich bei magalia (magaria) bzw ma-palia um ein afrikanisches Fremdwort handelt belegt das etymologische Materialdas Maltby 1991 358 und 367 s v zusammengestellt hat vgl auch Scagliarini Cor-lagraveita 1987 309

11) Diese von Mynors 1969 in seine Ausgabe gesetzte von anderen aber ver-worfene Konjektur Bentleys verdient meines Ermessens den Vorzug vor dem hand-schriftlich uumlberlieferten alta (genetisch leicht erklaumlrbar als eine beim sbquomechanischenlsquoAbschreiben erfolgte Angleichung an das zwei Verse zuvor ebenfalls den Schluszlig -adonius einleitende alta) vgl auch Austin 1971 148 f

12) Zu Formen des Selbstgespraumlchs in der Antike vgl aus juumlngerer Zeit Auhagen 1999 passim und Asmuth 2001 1458ndash1464 In der modernen Literatur-wissenschaft wird der sbquoBewuszligtseinsstromlsquo vom sbquoinneren Monologlsquo haumlufig dadurchabgegrenzt daszlig er sich kaum mehr einer regelkonformen Syntax oder sprachlichenLogik bediene sondern ndash unter einem (scheinbar) voumllligen Verschwinden des Er-zaumlhlers ndash die Illusion erzeuge bdquoBewuszligtseinsinhalte wuumlrden als ungeordnete BilderAssoziationen Einfaumllle und Gedankenfetzen wiedergegebenldquo (Stocker 2000 148)

13) Quinkertz 2004 15514) Natuumlrlich kann sich grundsaumltzlich auch ein einfuumlhlsamer Erzaumlhler des

lokalen Demonstrativpronomens der ersten Person hic bedienen doch erscheint

ziationen des Aeneas die durch einen Sinneseindruck ausgeloumlstwerden sondern versprachlicht die Sinneseindruumlcke selbst15 Da-bei tritt im Vergleich zu den beiden vorangehenden Versen 421ndash422 die groszligraumlumige Perzeption zugunsten von Details zuruumlckDie Tyrier die zu Anfang von Vers 423 noch in diffuser Gesamt-heit erscheinen spalten sich umgehend ndash unter Verwendung dereinschlaumlgigen Partitivkorresponsionen pars pars (423b 425) undalii alii (427 428) ndash in einzelne Gruppen und Untergruppen auf

Aeneas sieht in einem ersten Schritt wie ein Teil der Einwoh-ner die Burgmauern hochzieht sich an dem darin befindlichen Pa-last zu schaffen macht oder Felsbrocken zur Akropolis heraufwaumllzt(423bndash424) Gemaumlszlig der eingeschlagenen Richtung schweift seinBlick weiter abwaumlrts zur urbs wo er wieder andere beobachtet dieGrundstuumlcke fuumlr ihre Privathaumluser auswaumlhlen und markieren (425)Die erstere Taumltigkeit (optare locum tecto) ist nur mit viel Phantasievisuell anschaulich zu machen16 In umgekehrter Reihenfolge(στερον πρτερον) duumlrfen wir sie daher als mentale Reaktion aufdas Erblicken der zweiten Taumltigkeit (concludere sulco) deutenAnschlieszligend sind es dann nurmehr oumlffentliche Bauprojekte dieden Trojaner gefangennehmen Wenn oberflaumlchlich der Eindruckentsteht die Karthager seien gerade damit beschaumlftigt sich Geset-ze Beamte und den Senat zu sbquoerwaumlhlenlsquo (426) so verbirgt sich auchdahinter eine Gedankenassoziation des Aeneas Sie verweist weni-ger allgemein auf den aufstrebenden Stadtstaat zu seinen Fuumlszligen alsvielmehr konkret auf von ihm erblickte Gebaumludekomplexe in de-nen er sich den Vollzug von Gerichtsbarkeit Verwaltung und poli-tischer Beratung beheimatet denkt17 Unmittelbar danach (427ndash429) erkennt er wie man das Hafenbecken aushebt tiefe (durch ihre

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dies ndash nicht minder natuumlrlich ndash als die kompliziertere Erklaumlrung die nur dann denVorzug verdient wenn die naheliegendere unwahrscheinlich ist

15) Es duumlrfte ndash auch ohne die Erkenntnisse von sbquoSprachphilosophielsquo sbquoKog -nitionsforschunglsquo oder sbquoWahrnehmungspsychologielsquo ndash der allgemein menschlichenErfahrung entsprechen daszlig dann wenn der sinnlich Wahrnehmende uumlber dasWahrgenommene reflektiert und sich Rechenschaft daruumlber ablegt quasi automa-tisch eine Versprachlichung erfolgt

16) Dies hat schon Heinze 1915 402 festgestellt17) Der Vers ist von fruumlheren Editoren wie Heyne und Ribbeck zu Unrecht

athetiert worden vgl die Diskussion bei Steacutegen 1975 194 f und Paratore 1978189 f Auch muszlig meiner Ansicht nach Glei 1991 127 widersprochen werden dem-zufolge er bdquoals rein auktorialer Zusatz verstanden werden muszlig da Aeneas davonnichts sehen kannldquo

charakteristische Form in der Tat wohl leicht zu identifizierende)Fundamente fuumlr ein Theater legt und gewal tige Bloumlcke aus einemSteinbruch haut wie Aeneas eigenstaumlndig mutmaszligt wuumlrden letzte-re kuumlnftig als Saumlulen (columnas in Vers 428 ist eine Metonymie diedas Endprodukt anstelle des Rohstoffs nennt) zur angemessenenVerschoumlnerung der Buumlhne dienen (429b)18

Weitere Details daruumlber was der Trojaner von oben herabsieht erfahren wir nicht Durch den Vergleich mit einem rastlos aneinem Fruumlhsommertag taumltigen Bienenvolk ndash dem gaumlngigen Abbildeines reibungslos funktionierenden Gemeinwesens19 ndash reflektierenstattdessen die Verse 430 bis 436 die globale Wirkung die das Be-trachtete auf den Betrachter ausuumlbt

qualis apes aestate nova per florea rura 430exercet sub sole labor cum gentis adultoseducunt fetus aut cum liquentia mellastipant et dulci distendunt nectare cellasaut onera accipiunt venientum aut agmine factoignavum fucos pecus a praesepibus arcent 435fervet opus redolentque thymo fraglantia mella

Der Leser steht vor der Wahl diesen Vergleich entweder als einenErzaumlhlerkommentar aufzufassen oder aber wie das Vorherige inAeneasrsquo Kopf zu versetzen Der Kontext sowie der Gewinn anGeist und Praumlgnanz sprechen nach meinem Dafuumlrhalten eindeutigeher fuumlr die letztere Loumlsung mag dadurch auch der Held gewis-sermaszligen in einem epischen Gleichnis denken In diesem Zusam-menhang ist es aufschluszligreich die akustische Dimension der Analogie miteinzubeziehen Der inbruumlnstig summende Insekten-schwarm korrespondiert mit dem hohen staumldtischen Geraumlusch -

21Descriptio ancilla narrationis

18) Antike Steinbruumlche pflegten oft in der Naumlhe groszliger Bauprojekte zu lie-gen bzw groszlige Bauprojekte moumlglichst in die Naumlhe von Steinbruumlchen verlegt zuwerden vgl Houmlcker 2001 941 Ob Vergil an regelrechte Monolithen denkt die al-lein eine Saumlule abgeben mag dahingestellt bleiben denn die Schaumlfte antiker Saumlulenwaren nur in kostbaren Ausnahmefaumlllen monolithischer Natur In aller Regel be-standen sie aus mehreren untereinander befestigten Trommeln

19) Bei diesem Vergleich greift Vergil auf einen eigenen Passus aus seinerDarstellung der Bienenzucht zuruumlck die er im vierten Buch der Georgica gibt(4162ndash169) zur metaphorischen Bedeutung der Biene vgl Della Corte 1984 pas-sim Huumlnemoumlrder 1997 649 Erren 2003 840ndash846 Holzberg 2006 115ndash120

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

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20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

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25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 2: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

ein Interludium das zwei Begegnungen mit fuumlr Aeneas zentralensich aumluszligerlich aumlhnelnden Frauengestalten voneinander trennt Des-sen Scharniere werden sprachlich durch temporale Ausdruumlcke her-vorgehoben Waumlhrend interea in Vers 418 das Voran gehende ab-schlieszligt beginnt mit dem Hauptsatz dem sich die in Vers 494 und495 gesetzte Konjunktion dum unterordnet das Nachfolgende

Das Dazwischenliegende aber untersteht dem Leitbegriffmirari der nicht bloszlig Aeneasrsquo Sehen sondern primaumlr sein stau-nendes Bewundern meint also uumlber die physische Funktion hinausden psychischen Affekt Durch die Anapher miratur [ ] mira-tur wird die Vokabel einleitend zu Anfang der Verse 421 und 422foumlrmlich eingehaumlmmert und in Vers 494 kehrt sie ausleitend alsGerundiv wieder (494ndash495)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495[ ]

Uumlberdies steht in Vers 456 und damit ziemlich genau in der Mitteder so gerahmten Passage erneut primae sedis die finite Formmiratur Diese wohlkalkulierten Plazierungen verankern das Pro-gramm des Aeneam mirari das von einer stattlichen Reihe weite-rer Verba videndi bzw stupendi zusaumltzliche Stuumltzung erfaumlhrt2 festim Gedaumlchtnis eines jeden (linearen) Lesers oder Houmlrers

II1 Urbs Carthago (Aen 1418ndash440)

Uumlber die oben erwaumlhnten sbquoMaximalistenlsquo hinaus die ab Vers421 von einer sbquoEkphrasislsquo sprechen habe ich auch die drei vorange-henden Hexameter in meine Eroumlrterung miteinbezogen (418ndash420)3

16 Har tmut Wul f ram

2) Im Einzelnen sind zu verzeichnen aspectat (1420) suspicit (438 vgl un-ten Anm 20) neque cernitur ulli (440) nova res oblata (450) lustrat (453) videt(456) en (461) animum pictura pascit inani (464) videbat (466) agnoscit (470)conspexit (487) agnovit (488) videntur (494) stupet obtutuque haeret defixus in uno(495) Mit Blick auf den Verbalstamm bleibt aus Vers 439 noch das Adjektiv mira-bile das mit dem Supinum II dictu verknuumlpft ist zu ergaumlnzen wenngleich hierbeinatuumlrlich der Erzaumlhler selbst als das (implizite) grammatische Agens fungiert

3) Die Verse 418ndash440 bilden auch fuumlr die Textausgabe von Mynors 1969 (Ab-satzeinruumlckungen vor v 418 und v 441) und fuumlr Austin 1971 146 eine Einheit

corripuere viam interea qua semita monstratiamque ascendebant collem qui plurimus urbiimminet adversasque aspecat desuper arces 420

In ihnen wird erzaumlhlt wie Aeneas und sein treuer Begleiter Acha-tes eiligst den ihnen von Venus gewiesenen Pfad nach Karthagoeinschlagen und einen Huumlgel besteigen von dem aus sie die ge-genuumlberliegende Stadt samt der Akropolis uumlberblicken koumlnnenDie topographischen Voraussetzungen fuumlr die Vogelperspektiveaus der das staunende Sehen (mirari) im Anschluszlig erfolgen wirdsind damit geschaffen

In psychologisch einleuchtender Reihenfolge referieren dieVerse 421ndash422 hastig die ersten Eindruumlcke

miratur molem Aeneas magalia quondammiratur portas strepitumque et strata viarum

Der uumlberwaumlltigte Aeneas nimmt also zuerst die undifferenzierteMasse des Siedlungskonglomerats (molem) wahr dann die Stadt -tore (portas) d h pars pro toto zugleich die durch den Mauerringfestlegte urbane Ausdehnung an dritter Stelle den darin erzeugtenLaumlrm (strepitum) d h in synaumlsthetisch-metonymischer Ver-quickung zugleich dessen Quelle die geschaumlftigen Menschenmas-sen sowie schlieszliglich das gliedernde Straszligennetz (strata viarum)Narratologisch laumlszligt sich diesbezuumlglich von vier Faumlllen sbquoerzaumlhlterPerzeptionlsquo genauer einem sbquoWahrnehmungsberichtlsquo4 sprechensowie von sbquointerner Fokalisierunglsquo5 denn der Erzaumlhler sagt nichtmehr als seine Figur weiszlig oder mit ihren Sinnen registriert

Wie aber verhaumllt es sich mit der zu molem gehoumlrigen Apposi-tion magalia quondam (421) Daszlig dort wo sich jetzt ein Haumluser-

17Descriptio ancilla narrationis

4) Zur Figurenwahrnehmung als dritter Form der Figurenrede aumluszligert sichQuinkertz 2004 152 f 159 Eine uumlbersichtliche Darstellung der anderen beidenFormen der gesprochenen und der gedachten Rede bieten Martinez Scheffel2002 51ndash63 bes 62 wo sich ein uumlbersichtliches Schema findet das sich mutatis mutandis auf die Wahrnehmung uumlbertragen laumlszligt Unter sbquoerzaumlhlter Perzeptionlsquo alsOberbegriff fielen auch Saumltze wie sbquoAeneas hatte die Augen geoumlffnetlsquo oder sbquoAeneasschaute um sichlsquo die unter Aussparung des Objekts lediglich den sensualen Akt er-waumlhnen

5) Zu dem auf Geacuterard Genette zuruumlckgehenden Begriff der sbquoFokalisierunglsquovgl z B Martinez Scheffel 2002 63ndash67 oder Schmid 2005 115ndash119

meer erstreckt einst einfache Strohhuumltten standen vermag Aeneaszwar nicht zu sehen wohl aber sich zu denken6 Nach VorstellungVergils duumlrfte ein sukzessives Erlebnis von sbquoGleichzeitigkeit desUngleichzeitigenlsquo7 die Reflexion ausgeloumlst haben berichtet er dochim vierten Buch des Epos (v 259) von magalia die in den Auszligen-bezirken Karthagos noch existierten das Areal der weitlaumlufigen historischen Vorstadt durch das die beiden Kundschafter auf demWeg zu ihrem Bellevue gelangt sein muumlssen trug zudem denselbenoder wenigstens einen aumlhnlich klingenden zur Identifikation ein-ladenden Namen8 Wir haben mit magalia quondam in jedem Fallweit eher einen unvermittelt eingeschobenen Fetzen direkter Ge-dankenrede vor uns die verwundert uumlber den kulturellen Fort-schritt nachsinnt als ndash wie etwa der spaumltantike Kommentator Servius will ndash einen reinen Erzaumlhlerkommentar dessen Gelehr-samkeit hier doch allzu abgeschmackt wirken wuumlrde9 Der Er-zaumlhler ist allenfalls auf sprachlicher Ebene (nicht inhaltlich) ding-fest zu machen insofern als magalia einen Terminus technicus fuumlr

18 Har tmut Wul f ram

6) Die Apposition magalia quondam ist als ein adversatives Asyndeton auf-zufassen das das sbquoeinstlsquo dem sbquojetztlsquo exklusiv gegenuumlberstellt Eine bdquofase drsquoinsedia-mento provvisorio che precede nel medesimo sito lrsquoedificazione e istituzionalizza-zione della cittagraveldquo wie sie Scagliarini Corlagraveita 1987 310 zu erkennen glaubt geht amWortlaut des Textes vorbei Steacutegen 1975 189 und Niemeyer 1993 45 Anm 3 ver-muten daszlig der beruumlhmte Ausspruch des Augustus er habe Rom aus einer Ziegel-stadt zu einer Marmorstadt gemacht ndash ut iure sit gloriatus marmoream [sc urbem]se relinquere quam latericiam accepisset (Sueton Aug 283) ndash im Hintergrund vonVergils diachronem Gegensatz der karthagischen Topographie steht doch erscheintdies angesichts der Abfassungszeit der Aeneis in den zwanziger Jahren des 1 Jhv Chr vielleicht etwas verfruumlht

7) Diese gluumlcklich formulierte zumal von der Geschichtswissenschaft ge-brauchte sbquoFigurlsquo wurde von dem Philosophen Ernst Bloch eingefuumlhrt der damit inseiner Schrift Erbschaft dieser Zeit Zuumlrich 1935 die widerspruumlchliche Genese desdeutschen Faschismus zu erlaumlutern versucht vgl dazu etwa Nolte 2002

8) Die Namensvarianten finden sich unten in Anm 27 aufgelistet Wenn es4259ndash261a heiszligt ut primum alatis tetigit [sc Mercurius] magalia plantis Aeneamfundantem arces ac tecta novantem conspicit so duumlrfte dort auf die Doppelbedeu-tung von magalia (erstens = sbquonumidische Strohuumlttenlsquo zweitens = sbquoVorstadt Kartha-goslsquo) abgehoben werden

9) MAGALIA QUONDAM hoc ad poetam [sc refertur] nec enim hoc novitAeneas (Serv Aen 1421) vgl demgegenuumlber den einfuumlhlsamen Kommentar denAustin 1971 146 f zur Stelle gibt (bdquomore probably Virgil is still representing Aeneasrsquowondering thoughtsldquo) Das Wesentliche hatte schon Ladewig 1867 erkannt bdquoDieWorte magalia (andere Form fuumlr mapalia) quondam enthalten den Grund fuumlr dieVerwunderung da wo fruumlher nur magalia gestanden haben koumlnnen (wie er aus derUmgebung siehe Aen 4259 schlieszligen muszlig) erheben sich jetzt riesige Bautenldquo

die charakteristischen Behausungen nordafrikanischer Hirten dar-stellt der von den Roumlmern stets dezidiert als Fremdwort empfun-den wurde und so in gewisser Weise uumlber die im Epos uumlblicheSprachfiktion (in concreto spricht und denkt ja ein Trojaner La-tein) hinausgeht10

Der gewonnene Eindruck wird durch die angrenzenden Ver-se 423 bis 429 bekraumlftigt

instant ardentes Tyrii pars ducere murosmolirique arcem et manibus subvolvere saxapars optare locum tecto et concludere sulco 425iura magistratusque legunt sanctumque senatumhic portus alii effodiunt hic alta theatrisfundamenta locant alii immanisque columnasrupibus excidunt scaenis decora apta11 futuris

Sie koumlnnen als ein distanzierter sbquoinnerer Monologlsquo gedeutet wer-den der ndash ohne Selbstansprachen aufzuweisen ndash in regelkonformeSyntax gegossen ist12 Daszlig keine auktoriale Erzaumlhlung von Ereig-nissen vorliegt vermag das in Vers 427 doppelt gesetzte hic zu unterstreichen dessen bdquoHier-Deixisldquo13 typisch fuumlr direkte Redenist14 Uumlberwiegend zitiert Vergil allerdings keine Gedankenasso-

19Descriptio ancilla narrationis

10) Zur Negation linguistischer Barrieren im antiken Epos (und anderenpoetischen Gattungen) vgl Suerbaum 1999 194 und Barchiesi 1992 202 f Das nieversiegte roumlmische Bewuszligtsein dafuumlr daszlig es sich bei magalia (magaria) bzw ma-palia um ein afrikanisches Fremdwort handelt belegt das etymologische Materialdas Maltby 1991 358 und 367 s v zusammengestellt hat vgl auch Scagliarini Cor-lagraveita 1987 309

11) Diese von Mynors 1969 in seine Ausgabe gesetzte von anderen aber ver-worfene Konjektur Bentleys verdient meines Ermessens den Vorzug vor dem hand-schriftlich uumlberlieferten alta (genetisch leicht erklaumlrbar als eine beim sbquomechanischenlsquoAbschreiben erfolgte Angleichung an das zwei Verse zuvor ebenfalls den Schluszlig -adonius einleitende alta) vgl auch Austin 1971 148 f

12) Zu Formen des Selbstgespraumlchs in der Antike vgl aus juumlngerer Zeit Auhagen 1999 passim und Asmuth 2001 1458ndash1464 In der modernen Literatur-wissenschaft wird der sbquoBewuszligtseinsstromlsquo vom sbquoinneren Monologlsquo haumlufig dadurchabgegrenzt daszlig er sich kaum mehr einer regelkonformen Syntax oder sprachlichenLogik bediene sondern ndash unter einem (scheinbar) voumllligen Verschwinden des Er-zaumlhlers ndash die Illusion erzeuge bdquoBewuszligtseinsinhalte wuumlrden als ungeordnete BilderAssoziationen Einfaumllle und Gedankenfetzen wiedergegebenldquo (Stocker 2000 148)

13) Quinkertz 2004 15514) Natuumlrlich kann sich grundsaumltzlich auch ein einfuumlhlsamer Erzaumlhler des

lokalen Demonstrativpronomens der ersten Person hic bedienen doch erscheint

ziationen des Aeneas die durch einen Sinneseindruck ausgeloumlstwerden sondern versprachlicht die Sinneseindruumlcke selbst15 Da-bei tritt im Vergleich zu den beiden vorangehenden Versen 421ndash422 die groszligraumlumige Perzeption zugunsten von Details zuruumlckDie Tyrier die zu Anfang von Vers 423 noch in diffuser Gesamt-heit erscheinen spalten sich umgehend ndash unter Verwendung dereinschlaumlgigen Partitivkorresponsionen pars pars (423b 425) undalii alii (427 428) ndash in einzelne Gruppen und Untergruppen auf

Aeneas sieht in einem ersten Schritt wie ein Teil der Einwoh-ner die Burgmauern hochzieht sich an dem darin befindlichen Pa-last zu schaffen macht oder Felsbrocken zur Akropolis heraufwaumllzt(423bndash424) Gemaumlszlig der eingeschlagenen Richtung schweift seinBlick weiter abwaumlrts zur urbs wo er wieder andere beobachtet dieGrundstuumlcke fuumlr ihre Privathaumluser auswaumlhlen und markieren (425)Die erstere Taumltigkeit (optare locum tecto) ist nur mit viel Phantasievisuell anschaulich zu machen16 In umgekehrter Reihenfolge(στερον πρτερον) duumlrfen wir sie daher als mentale Reaktion aufdas Erblicken der zweiten Taumltigkeit (concludere sulco) deutenAnschlieszligend sind es dann nurmehr oumlffentliche Bauprojekte dieden Trojaner gefangennehmen Wenn oberflaumlchlich der Eindruckentsteht die Karthager seien gerade damit beschaumlftigt sich Geset-ze Beamte und den Senat zu sbquoerwaumlhlenlsquo (426) so verbirgt sich auchdahinter eine Gedankenassoziation des Aeneas Sie verweist weni-ger allgemein auf den aufstrebenden Stadtstaat zu seinen Fuumlszligen alsvielmehr konkret auf von ihm erblickte Gebaumludekomplexe in de-nen er sich den Vollzug von Gerichtsbarkeit Verwaltung und poli-tischer Beratung beheimatet denkt17 Unmittelbar danach (427ndash429) erkennt er wie man das Hafenbecken aushebt tiefe (durch ihre

20 Har tmut Wul f ram

dies ndash nicht minder natuumlrlich ndash als die kompliziertere Erklaumlrung die nur dann denVorzug verdient wenn die naheliegendere unwahrscheinlich ist

15) Es duumlrfte ndash auch ohne die Erkenntnisse von sbquoSprachphilosophielsquo sbquoKog -nitionsforschunglsquo oder sbquoWahrnehmungspsychologielsquo ndash der allgemein menschlichenErfahrung entsprechen daszlig dann wenn der sinnlich Wahrnehmende uumlber dasWahrgenommene reflektiert und sich Rechenschaft daruumlber ablegt quasi automa-tisch eine Versprachlichung erfolgt

16) Dies hat schon Heinze 1915 402 festgestellt17) Der Vers ist von fruumlheren Editoren wie Heyne und Ribbeck zu Unrecht

athetiert worden vgl die Diskussion bei Steacutegen 1975 194 f und Paratore 1978189 f Auch muszlig meiner Ansicht nach Glei 1991 127 widersprochen werden dem-zufolge er bdquoals rein auktorialer Zusatz verstanden werden muszlig da Aeneas davonnichts sehen kannldquo

charakteristische Form in der Tat wohl leicht zu identifizierende)Fundamente fuumlr ein Theater legt und gewal tige Bloumlcke aus einemSteinbruch haut wie Aeneas eigenstaumlndig mutmaszligt wuumlrden letzte-re kuumlnftig als Saumlulen (columnas in Vers 428 ist eine Metonymie diedas Endprodukt anstelle des Rohstoffs nennt) zur angemessenenVerschoumlnerung der Buumlhne dienen (429b)18

Weitere Details daruumlber was der Trojaner von oben herabsieht erfahren wir nicht Durch den Vergleich mit einem rastlos aneinem Fruumlhsommertag taumltigen Bienenvolk ndash dem gaumlngigen Abbildeines reibungslos funktionierenden Gemeinwesens19 ndash reflektierenstattdessen die Verse 430 bis 436 die globale Wirkung die das Be-trachtete auf den Betrachter ausuumlbt

qualis apes aestate nova per florea rura 430exercet sub sole labor cum gentis adultoseducunt fetus aut cum liquentia mellastipant et dulci distendunt nectare cellasaut onera accipiunt venientum aut agmine factoignavum fucos pecus a praesepibus arcent 435fervet opus redolentque thymo fraglantia mella

Der Leser steht vor der Wahl diesen Vergleich entweder als einenErzaumlhlerkommentar aufzufassen oder aber wie das Vorherige inAeneasrsquo Kopf zu versetzen Der Kontext sowie der Gewinn anGeist und Praumlgnanz sprechen nach meinem Dafuumlrhalten eindeutigeher fuumlr die letztere Loumlsung mag dadurch auch der Held gewis-sermaszligen in einem epischen Gleichnis denken In diesem Zusam-menhang ist es aufschluszligreich die akustische Dimension der Analogie miteinzubeziehen Der inbruumlnstig summende Insekten-schwarm korrespondiert mit dem hohen staumldtischen Geraumlusch -

21Descriptio ancilla narrationis

18) Antike Steinbruumlche pflegten oft in der Naumlhe groszliger Bauprojekte zu lie-gen bzw groszlige Bauprojekte moumlglichst in die Naumlhe von Steinbruumlchen verlegt zuwerden vgl Houmlcker 2001 941 Ob Vergil an regelrechte Monolithen denkt die al-lein eine Saumlule abgeben mag dahingestellt bleiben denn die Schaumlfte antiker Saumlulenwaren nur in kostbaren Ausnahmefaumlllen monolithischer Natur In aller Regel be-standen sie aus mehreren untereinander befestigten Trommeln

19) Bei diesem Vergleich greift Vergil auf einen eigenen Passus aus seinerDarstellung der Bienenzucht zuruumlck die er im vierten Buch der Georgica gibt(4162ndash169) zur metaphorischen Bedeutung der Biene vgl Della Corte 1984 pas-sim Huumlnemoumlrder 1997 649 Erren 2003 840ndash846 Holzberg 2006 115ndash120

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

22 Har tmut Wul f ram

20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 3: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

corripuere viam interea qua semita monstratiamque ascendebant collem qui plurimus urbiimminet adversasque aspecat desuper arces 420

In ihnen wird erzaumlhlt wie Aeneas und sein treuer Begleiter Acha-tes eiligst den ihnen von Venus gewiesenen Pfad nach Karthagoeinschlagen und einen Huumlgel besteigen von dem aus sie die ge-genuumlberliegende Stadt samt der Akropolis uumlberblicken koumlnnenDie topographischen Voraussetzungen fuumlr die Vogelperspektiveaus der das staunende Sehen (mirari) im Anschluszlig erfolgen wirdsind damit geschaffen

In psychologisch einleuchtender Reihenfolge referieren dieVerse 421ndash422 hastig die ersten Eindruumlcke

miratur molem Aeneas magalia quondammiratur portas strepitumque et strata viarum

Der uumlberwaumlltigte Aeneas nimmt also zuerst die undifferenzierteMasse des Siedlungskonglomerats (molem) wahr dann die Stadt -tore (portas) d h pars pro toto zugleich die durch den Mauerringfestlegte urbane Ausdehnung an dritter Stelle den darin erzeugtenLaumlrm (strepitum) d h in synaumlsthetisch-metonymischer Ver-quickung zugleich dessen Quelle die geschaumlftigen Menschenmas-sen sowie schlieszliglich das gliedernde Straszligennetz (strata viarum)Narratologisch laumlszligt sich diesbezuumlglich von vier Faumlllen sbquoerzaumlhlterPerzeptionlsquo genauer einem sbquoWahrnehmungsberichtlsquo4 sprechensowie von sbquointerner Fokalisierunglsquo5 denn der Erzaumlhler sagt nichtmehr als seine Figur weiszlig oder mit ihren Sinnen registriert

Wie aber verhaumllt es sich mit der zu molem gehoumlrigen Apposi-tion magalia quondam (421) Daszlig dort wo sich jetzt ein Haumluser-

17Descriptio ancilla narrationis

4) Zur Figurenwahrnehmung als dritter Form der Figurenrede aumluszligert sichQuinkertz 2004 152 f 159 Eine uumlbersichtliche Darstellung der anderen beidenFormen der gesprochenen und der gedachten Rede bieten Martinez Scheffel2002 51ndash63 bes 62 wo sich ein uumlbersichtliches Schema findet das sich mutatis mutandis auf die Wahrnehmung uumlbertragen laumlszligt Unter sbquoerzaumlhlter Perzeptionlsquo alsOberbegriff fielen auch Saumltze wie sbquoAeneas hatte die Augen geoumlffnetlsquo oder sbquoAeneasschaute um sichlsquo die unter Aussparung des Objekts lediglich den sensualen Akt er-waumlhnen

5) Zu dem auf Geacuterard Genette zuruumlckgehenden Begriff der sbquoFokalisierunglsquovgl z B Martinez Scheffel 2002 63ndash67 oder Schmid 2005 115ndash119

meer erstreckt einst einfache Strohhuumltten standen vermag Aeneaszwar nicht zu sehen wohl aber sich zu denken6 Nach VorstellungVergils duumlrfte ein sukzessives Erlebnis von sbquoGleichzeitigkeit desUngleichzeitigenlsquo7 die Reflexion ausgeloumlst haben berichtet er dochim vierten Buch des Epos (v 259) von magalia die in den Auszligen-bezirken Karthagos noch existierten das Areal der weitlaumlufigen historischen Vorstadt durch das die beiden Kundschafter auf demWeg zu ihrem Bellevue gelangt sein muumlssen trug zudem denselbenoder wenigstens einen aumlhnlich klingenden zur Identifikation ein-ladenden Namen8 Wir haben mit magalia quondam in jedem Fallweit eher einen unvermittelt eingeschobenen Fetzen direkter Ge-dankenrede vor uns die verwundert uumlber den kulturellen Fort-schritt nachsinnt als ndash wie etwa der spaumltantike Kommentator Servius will ndash einen reinen Erzaumlhlerkommentar dessen Gelehr-samkeit hier doch allzu abgeschmackt wirken wuumlrde9 Der Er-zaumlhler ist allenfalls auf sprachlicher Ebene (nicht inhaltlich) ding-fest zu machen insofern als magalia einen Terminus technicus fuumlr

18 Har tmut Wul f ram

6) Die Apposition magalia quondam ist als ein adversatives Asyndeton auf-zufassen das das sbquoeinstlsquo dem sbquojetztlsquo exklusiv gegenuumlberstellt Eine bdquofase drsquoinsedia-mento provvisorio che precede nel medesimo sito lrsquoedificazione e istituzionalizza-zione della cittagraveldquo wie sie Scagliarini Corlagraveita 1987 310 zu erkennen glaubt geht amWortlaut des Textes vorbei Steacutegen 1975 189 und Niemeyer 1993 45 Anm 3 ver-muten daszlig der beruumlhmte Ausspruch des Augustus er habe Rom aus einer Ziegel-stadt zu einer Marmorstadt gemacht ndash ut iure sit gloriatus marmoream [sc urbem]se relinquere quam latericiam accepisset (Sueton Aug 283) ndash im Hintergrund vonVergils diachronem Gegensatz der karthagischen Topographie steht doch erscheintdies angesichts der Abfassungszeit der Aeneis in den zwanziger Jahren des 1 Jhv Chr vielleicht etwas verfruumlht

7) Diese gluumlcklich formulierte zumal von der Geschichtswissenschaft ge-brauchte sbquoFigurlsquo wurde von dem Philosophen Ernst Bloch eingefuumlhrt der damit inseiner Schrift Erbschaft dieser Zeit Zuumlrich 1935 die widerspruumlchliche Genese desdeutschen Faschismus zu erlaumlutern versucht vgl dazu etwa Nolte 2002

8) Die Namensvarianten finden sich unten in Anm 27 aufgelistet Wenn es4259ndash261a heiszligt ut primum alatis tetigit [sc Mercurius] magalia plantis Aeneamfundantem arces ac tecta novantem conspicit so duumlrfte dort auf die Doppelbedeu-tung von magalia (erstens = sbquonumidische Strohuumlttenlsquo zweitens = sbquoVorstadt Kartha-goslsquo) abgehoben werden

9) MAGALIA QUONDAM hoc ad poetam [sc refertur] nec enim hoc novitAeneas (Serv Aen 1421) vgl demgegenuumlber den einfuumlhlsamen Kommentar denAustin 1971 146 f zur Stelle gibt (bdquomore probably Virgil is still representing Aeneasrsquowondering thoughtsldquo) Das Wesentliche hatte schon Ladewig 1867 erkannt bdquoDieWorte magalia (andere Form fuumlr mapalia) quondam enthalten den Grund fuumlr dieVerwunderung da wo fruumlher nur magalia gestanden haben koumlnnen (wie er aus derUmgebung siehe Aen 4259 schlieszligen muszlig) erheben sich jetzt riesige Bautenldquo

die charakteristischen Behausungen nordafrikanischer Hirten dar-stellt der von den Roumlmern stets dezidiert als Fremdwort empfun-den wurde und so in gewisser Weise uumlber die im Epos uumlblicheSprachfiktion (in concreto spricht und denkt ja ein Trojaner La-tein) hinausgeht10

Der gewonnene Eindruck wird durch die angrenzenden Ver-se 423 bis 429 bekraumlftigt

instant ardentes Tyrii pars ducere murosmolirique arcem et manibus subvolvere saxapars optare locum tecto et concludere sulco 425iura magistratusque legunt sanctumque senatumhic portus alii effodiunt hic alta theatrisfundamenta locant alii immanisque columnasrupibus excidunt scaenis decora apta11 futuris

Sie koumlnnen als ein distanzierter sbquoinnerer Monologlsquo gedeutet wer-den der ndash ohne Selbstansprachen aufzuweisen ndash in regelkonformeSyntax gegossen ist12 Daszlig keine auktoriale Erzaumlhlung von Ereig-nissen vorliegt vermag das in Vers 427 doppelt gesetzte hic zu unterstreichen dessen bdquoHier-Deixisldquo13 typisch fuumlr direkte Redenist14 Uumlberwiegend zitiert Vergil allerdings keine Gedankenasso-

19Descriptio ancilla narrationis

10) Zur Negation linguistischer Barrieren im antiken Epos (und anderenpoetischen Gattungen) vgl Suerbaum 1999 194 und Barchiesi 1992 202 f Das nieversiegte roumlmische Bewuszligtsein dafuumlr daszlig es sich bei magalia (magaria) bzw ma-palia um ein afrikanisches Fremdwort handelt belegt das etymologische Materialdas Maltby 1991 358 und 367 s v zusammengestellt hat vgl auch Scagliarini Cor-lagraveita 1987 309

11) Diese von Mynors 1969 in seine Ausgabe gesetzte von anderen aber ver-worfene Konjektur Bentleys verdient meines Ermessens den Vorzug vor dem hand-schriftlich uumlberlieferten alta (genetisch leicht erklaumlrbar als eine beim sbquomechanischenlsquoAbschreiben erfolgte Angleichung an das zwei Verse zuvor ebenfalls den Schluszlig -adonius einleitende alta) vgl auch Austin 1971 148 f

12) Zu Formen des Selbstgespraumlchs in der Antike vgl aus juumlngerer Zeit Auhagen 1999 passim und Asmuth 2001 1458ndash1464 In der modernen Literatur-wissenschaft wird der sbquoBewuszligtseinsstromlsquo vom sbquoinneren Monologlsquo haumlufig dadurchabgegrenzt daszlig er sich kaum mehr einer regelkonformen Syntax oder sprachlichenLogik bediene sondern ndash unter einem (scheinbar) voumllligen Verschwinden des Er-zaumlhlers ndash die Illusion erzeuge bdquoBewuszligtseinsinhalte wuumlrden als ungeordnete BilderAssoziationen Einfaumllle und Gedankenfetzen wiedergegebenldquo (Stocker 2000 148)

13) Quinkertz 2004 15514) Natuumlrlich kann sich grundsaumltzlich auch ein einfuumlhlsamer Erzaumlhler des

lokalen Demonstrativpronomens der ersten Person hic bedienen doch erscheint

ziationen des Aeneas die durch einen Sinneseindruck ausgeloumlstwerden sondern versprachlicht die Sinneseindruumlcke selbst15 Da-bei tritt im Vergleich zu den beiden vorangehenden Versen 421ndash422 die groszligraumlumige Perzeption zugunsten von Details zuruumlckDie Tyrier die zu Anfang von Vers 423 noch in diffuser Gesamt-heit erscheinen spalten sich umgehend ndash unter Verwendung dereinschlaumlgigen Partitivkorresponsionen pars pars (423b 425) undalii alii (427 428) ndash in einzelne Gruppen und Untergruppen auf

Aeneas sieht in einem ersten Schritt wie ein Teil der Einwoh-ner die Burgmauern hochzieht sich an dem darin befindlichen Pa-last zu schaffen macht oder Felsbrocken zur Akropolis heraufwaumllzt(423bndash424) Gemaumlszlig der eingeschlagenen Richtung schweift seinBlick weiter abwaumlrts zur urbs wo er wieder andere beobachtet dieGrundstuumlcke fuumlr ihre Privathaumluser auswaumlhlen und markieren (425)Die erstere Taumltigkeit (optare locum tecto) ist nur mit viel Phantasievisuell anschaulich zu machen16 In umgekehrter Reihenfolge(στερον πρτερον) duumlrfen wir sie daher als mentale Reaktion aufdas Erblicken der zweiten Taumltigkeit (concludere sulco) deutenAnschlieszligend sind es dann nurmehr oumlffentliche Bauprojekte dieden Trojaner gefangennehmen Wenn oberflaumlchlich der Eindruckentsteht die Karthager seien gerade damit beschaumlftigt sich Geset-ze Beamte und den Senat zu sbquoerwaumlhlenlsquo (426) so verbirgt sich auchdahinter eine Gedankenassoziation des Aeneas Sie verweist weni-ger allgemein auf den aufstrebenden Stadtstaat zu seinen Fuumlszligen alsvielmehr konkret auf von ihm erblickte Gebaumludekomplexe in de-nen er sich den Vollzug von Gerichtsbarkeit Verwaltung und poli-tischer Beratung beheimatet denkt17 Unmittelbar danach (427ndash429) erkennt er wie man das Hafenbecken aushebt tiefe (durch ihre

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dies ndash nicht minder natuumlrlich ndash als die kompliziertere Erklaumlrung die nur dann denVorzug verdient wenn die naheliegendere unwahrscheinlich ist

15) Es duumlrfte ndash auch ohne die Erkenntnisse von sbquoSprachphilosophielsquo sbquoKog -nitionsforschunglsquo oder sbquoWahrnehmungspsychologielsquo ndash der allgemein menschlichenErfahrung entsprechen daszlig dann wenn der sinnlich Wahrnehmende uumlber dasWahrgenommene reflektiert und sich Rechenschaft daruumlber ablegt quasi automa-tisch eine Versprachlichung erfolgt

16) Dies hat schon Heinze 1915 402 festgestellt17) Der Vers ist von fruumlheren Editoren wie Heyne und Ribbeck zu Unrecht

athetiert worden vgl die Diskussion bei Steacutegen 1975 194 f und Paratore 1978189 f Auch muszlig meiner Ansicht nach Glei 1991 127 widersprochen werden dem-zufolge er bdquoals rein auktorialer Zusatz verstanden werden muszlig da Aeneas davonnichts sehen kannldquo

charakteristische Form in der Tat wohl leicht zu identifizierende)Fundamente fuumlr ein Theater legt und gewal tige Bloumlcke aus einemSteinbruch haut wie Aeneas eigenstaumlndig mutmaszligt wuumlrden letzte-re kuumlnftig als Saumlulen (columnas in Vers 428 ist eine Metonymie diedas Endprodukt anstelle des Rohstoffs nennt) zur angemessenenVerschoumlnerung der Buumlhne dienen (429b)18

Weitere Details daruumlber was der Trojaner von oben herabsieht erfahren wir nicht Durch den Vergleich mit einem rastlos aneinem Fruumlhsommertag taumltigen Bienenvolk ndash dem gaumlngigen Abbildeines reibungslos funktionierenden Gemeinwesens19 ndash reflektierenstattdessen die Verse 430 bis 436 die globale Wirkung die das Be-trachtete auf den Betrachter ausuumlbt

qualis apes aestate nova per florea rura 430exercet sub sole labor cum gentis adultoseducunt fetus aut cum liquentia mellastipant et dulci distendunt nectare cellasaut onera accipiunt venientum aut agmine factoignavum fucos pecus a praesepibus arcent 435fervet opus redolentque thymo fraglantia mella

Der Leser steht vor der Wahl diesen Vergleich entweder als einenErzaumlhlerkommentar aufzufassen oder aber wie das Vorherige inAeneasrsquo Kopf zu versetzen Der Kontext sowie der Gewinn anGeist und Praumlgnanz sprechen nach meinem Dafuumlrhalten eindeutigeher fuumlr die letztere Loumlsung mag dadurch auch der Held gewis-sermaszligen in einem epischen Gleichnis denken In diesem Zusam-menhang ist es aufschluszligreich die akustische Dimension der Analogie miteinzubeziehen Der inbruumlnstig summende Insekten-schwarm korrespondiert mit dem hohen staumldtischen Geraumlusch -

21Descriptio ancilla narrationis

18) Antike Steinbruumlche pflegten oft in der Naumlhe groszliger Bauprojekte zu lie-gen bzw groszlige Bauprojekte moumlglichst in die Naumlhe von Steinbruumlchen verlegt zuwerden vgl Houmlcker 2001 941 Ob Vergil an regelrechte Monolithen denkt die al-lein eine Saumlule abgeben mag dahingestellt bleiben denn die Schaumlfte antiker Saumlulenwaren nur in kostbaren Ausnahmefaumlllen monolithischer Natur In aller Regel be-standen sie aus mehreren untereinander befestigten Trommeln

19) Bei diesem Vergleich greift Vergil auf einen eigenen Passus aus seinerDarstellung der Bienenzucht zuruumlck die er im vierten Buch der Georgica gibt(4162ndash169) zur metaphorischen Bedeutung der Biene vgl Della Corte 1984 pas-sim Huumlnemoumlrder 1997 649 Erren 2003 840ndash846 Holzberg 2006 115ndash120

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

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20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

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67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

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84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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47Descriptio ancilla narrationis

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48 Har tmut Wul f ram

Page 4: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

meer erstreckt einst einfache Strohhuumltten standen vermag Aeneaszwar nicht zu sehen wohl aber sich zu denken6 Nach VorstellungVergils duumlrfte ein sukzessives Erlebnis von sbquoGleichzeitigkeit desUngleichzeitigenlsquo7 die Reflexion ausgeloumlst haben berichtet er dochim vierten Buch des Epos (v 259) von magalia die in den Auszligen-bezirken Karthagos noch existierten das Areal der weitlaumlufigen historischen Vorstadt durch das die beiden Kundschafter auf demWeg zu ihrem Bellevue gelangt sein muumlssen trug zudem denselbenoder wenigstens einen aumlhnlich klingenden zur Identifikation ein-ladenden Namen8 Wir haben mit magalia quondam in jedem Fallweit eher einen unvermittelt eingeschobenen Fetzen direkter Ge-dankenrede vor uns die verwundert uumlber den kulturellen Fort-schritt nachsinnt als ndash wie etwa der spaumltantike Kommentator Servius will ndash einen reinen Erzaumlhlerkommentar dessen Gelehr-samkeit hier doch allzu abgeschmackt wirken wuumlrde9 Der Er-zaumlhler ist allenfalls auf sprachlicher Ebene (nicht inhaltlich) ding-fest zu machen insofern als magalia einen Terminus technicus fuumlr

18 Har tmut Wul f ram

6) Die Apposition magalia quondam ist als ein adversatives Asyndeton auf-zufassen das das sbquoeinstlsquo dem sbquojetztlsquo exklusiv gegenuumlberstellt Eine bdquofase drsquoinsedia-mento provvisorio che precede nel medesimo sito lrsquoedificazione e istituzionalizza-zione della cittagraveldquo wie sie Scagliarini Corlagraveita 1987 310 zu erkennen glaubt geht amWortlaut des Textes vorbei Steacutegen 1975 189 und Niemeyer 1993 45 Anm 3 ver-muten daszlig der beruumlhmte Ausspruch des Augustus er habe Rom aus einer Ziegel-stadt zu einer Marmorstadt gemacht ndash ut iure sit gloriatus marmoream [sc urbem]se relinquere quam latericiam accepisset (Sueton Aug 283) ndash im Hintergrund vonVergils diachronem Gegensatz der karthagischen Topographie steht doch erscheintdies angesichts der Abfassungszeit der Aeneis in den zwanziger Jahren des 1 Jhv Chr vielleicht etwas verfruumlht

7) Diese gluumlcklich formulierte zumal von der Geschichtswissenschaft ge-brauchte sbquoFigurlsquo wurde von dem Philosophen Ernst Bloch eingefuumlhrt der damit inseiner Schrift Erbschaft dieser Zeit Zuumlrich 1935 die widerspruumlchliche Genese desdeutschen Faschismus zu erlaumlutern versucht vgl dazu etwa Nolte 2002

8) Die Namensvarianten finden sich unten in Anm 27 aufgelistet Wenn es4259ndash261a heiszligt ut primum alatis tetigit [sc Mercurius] magalia plantis Aeneamfundantem arces ac tecta novantem conspicit so duumlrfte dort auf die Doppelbedeu-tung von magalia (erstens = sbquonumidische Strohuumlttenlsquo zweitens = sbquoVorstadt Kartha-goslsquo) abgehoben werden

9) MAGALIA QUONDAM hoc ad poetam [sc refertur] nec enim hoc novitAeneas (Serv Aen 1421) vgl demgegenuumlber den einfuumlhlsamen Kommentar denAustin 1971 146 f zur Stelle gibt (bdquomore probably Virgil is still representing Aeneasrsquowondering thoughtsldquo) Das Wesentliche hatte schon Ladewig 1867 erkannt bdquoDieWorte magalia (andere Form fuumlr mapalia) quondam enthalten den Grund fuumlr dieVerwunderung da wo fruumlher nur magalia gestanden haben koumlnnen (wie er aus derUmgebung siehe Aen 4259 schlieszligen muszlig) erheben sich jetzt riesige Bautenldquo

die charakteristischen Behausungen nordafrikanischer Hirten dar-stellt der von den Roumlmern stets dezidiert als Fremdwort empfun-den wurde und so in gewisser Weise uumlber die im Epos uumlblicheSprachfiktion (in concreto spricht und denkt ja ein Trojaner La-tein) hinausgeht10

Der gewonnene Eindruck wird durch die angrenzenden Ver-se 423 bis 429 bekraumlftigt

instant ardentes Tyrii pars ducere murosmolirique arcem et manibus subvolvere saxapars optare locum tecto et concludere sulco 425iura magistratusque legunt sanctumque senatumhic portus alii effodiunt hic alta theatrisfundamenta locant alii immanisque columnasrupibus excidunt scaenis decora apta11 futuris

Sie koumlnnen als ein distanzierter sbquoinnerer Monologlsquo gedeutet wer-den der ndash ohne Selbstansprachen aufzuweisen ndash in regelkonformeSyntax gegossen ist12 Daszlig keine auktoriale Erzaumlhlung von Ereig-nissen vorliegt vermag das in Vers 427 doppelt gesetzte hic zu unterstreichen dessen bdquoHier-Deixisldquo13 typisch fuumlr direkte Redenist14 Uumlberwiegend zitiert Vergil allerdings keine Gedankenasso-

19Descriptio ancilla narrationis

10) Zur Negation linguistischer Barrieren im antiken Epos (und anderenpoetischen Gattungen) vgl Suerbaum 1999 194 und Barchiesi 1992 202 f Das nieversiegte roumlmische Bewuszligtsein dafuumlr daszlig es sich bei magalia (magaria) bzw ma-palia um ein afrikanisches Fremdwort handelt belegt das etymologische Materialdas Maltby 1991 358 und 367 s v zusammengestellt hat vgl auch Scagliarini Cor-lagraveita 1987 309

11) Diese von Mynors 1969 in seine Ausgabe gesetzte von anderen aber ver-worfene Konjektur Bentleys verdient meines Ermessens den Vorzug vor dem hand-schriftlich uumlberlieferten alta (genetisch leicht erklaumlrbar als eine beim sbquomechanischenlsquoAbschreiben erfolgte Angleichung an das zwei Verse zuvor ebenfalls den Schluszlig -adonius einleitende alta) vgl auch Austin 1971 148 f

12) Zu Formen des Selbstgespraumlchs in der Antike vgl aus juumlngerer Zeit Auhagen 1999 passim und Asmuth 2001 1458ndash1464 In der modernen Literatur-wissenschaft wird der sbquoBewuszligtseinsstromlsquo vom sbquoinneren Monologlsquo haumlufig dadurchabgegrenzt daszlig er sich kaum mehr einer regelkonformen Syntax oder sprachlichenLogik bediene sondern ndash unter einem (scheinbar) voumllligen Verschwinden des Er-zaumlhlers ndash die Illusion erzeuge bdquoBewuszligtseinsinhalte wuumlrden als ungeordnete BilderAssoziationen Einfaumllle und Gedankenfetzen wiedergegebenldquo (Stocker 2000 148)

13) Quinkertz 2004 15514) Natuumlrlich kann sich grundsaumltzlich auch ein einfuumlhlsamer Erzaumlhler des

lokalen Demonstrativpronomens der ersten Person hic bedienen doch erscheint

ziationen des Aeneas die durch einen Sinneseindruck ausgeloumlstwerden sondern versprachlicht die Sinneseindruumlcke selbst15 Da-bei tritt im Vergleich zu den beiden vorangehenden Versen 421ndash422 die groszligraumlumige Perzeption zugunsten von Details zuruumlckDie Tyrier die zu Anfang von Vers 423 noch in diffuser Gesamt-heit erscheinen spalten sich umgehend ndash unter Verwendung dereinschlaumlgigen Partitivkorresponsionen pars pars (423b 425) undalii alii (427 428) ndash in einzelne Gruppen und Untergruppen auf

Aeneas sieht in einem ersten Schritt wie ein Teil der Einwoh-ner die Burgmauern hochzieht sich an dem darin befindlichen Pa-last zu schaffen macht oder Felsbrocken zur Akropolis heraufwaumllzt(423bndash424) Gemaumlszlig der eingeschlagenen Richtung schweift seinBlick weiter abwaumlrts zur urbs wo er wieder andere beobachtet dieGrundstuumlcke fuumlr ihre Privathaumluser auswaumlhlen und markieren (425)Die erstere Taumltigkeit (optare locum tecto) ist nur mit viel Phantasievisuell anschaulich zu machen16 In umgekehrter Reihenfolge(στερον πρτερον) duumlrfen wir sie daher als mentale Reaktion aufdas Erblicken der zweiten Taumltigkeit (concludere sulco) deutenAnschlieszligend sind es dann nurmehr oumlffentliche Bauprojekte dieden Trojaner gefangennehmen Wenn oberflaumlchlich der Eindruckentsteht die Karthager seien gerade damit beschaumlftigt sich Geset-ze Beamte und den Senat zu sbquoerwaumlhlenlsquo (426) so verbirgt sich auchdahinter eine Gedankenassoziation des Aeneas Sie verweist weni-ger allgemein auf den aufstrebenden Stadtstaat zu seinen Fuumlszligen alsvielmehr konkret auf von ihm erblickte Gebaumludekomplexe in de-nen er sich den Vollzug von Gerichtsbarkeit Verwaltung und poli-tischer Beratung beheimatet denkt17 Unmittelbar danach (427ndash429) erkennt er wie man das Hafenbecken aushebt tiefe (durch ihre

20 Har tmut Wul f ram

dies ndash nicht minder natuumlrlich ndash als die kompliziertere Erklaumlrung die nur dann denVorzug verdient wenn die naheliegendere unwahrscheinlich ist

15) Es duumlrfte ndash auch ohne die Erkenntnisse von sbquoSprachphilosophielsquo sbquoKog -nitionsforschunglsquo oder sbquoWahrnehmungspsychologielsquo ndash der allgemein menschlichenErfahrung entsprechen daszlig dann wenn der sinnlich Wahrnehmende uumlber dasWahrgenommene reflektiert und sich Rechenschaft daruumlber ablegt quasi automa-tisch eine Versprachlichung erfolgt

16) Dies hat schon Heinze 1915 402 festgestellt17) Der Vers ist von fruumlheren Editoren wie Heyne und Ribbeck zu Unrecht

athetiert worden vgl die Diskussion bei Steacutegen 1975 194 f und Paratore 1978189 f Auch muszlig meiner Ansicht nach Glei 1991 127 widersprochen werden dem-zufolge er bdquoals rein auktorialer Zusatz verstanden werden muszlig da Aeneas davonnichts sehen kannldquo

charakteristische Form in der Tat wohl leicht zu identifizierende)Fundamente fuumlr ein Theater legt und gewal tige Bloumlcke aus einemSteinbruch haut wie Aeneas eigenstaumlndig mutmaszligt wuumlrden letzte-re kuumlnftig als Saumlulen (columnas in Vers 428 ist eine Metonymie diedas Endprodukt anstelle des Rohstoffs nennt) zur angemessenenVerschoumlnerung der Buumlhne dienen (429b)18

Weitere Details daruumlber was der Trojaner von oben herabsieht erfahren wir nicht Durch den Vergleich mit einem rastlos aneinem Fruumlhsommertag taumltigen Bienenvolk ndash dem gaumlngigen Abbildeines reibungslos funktionierenden Gemeinwesens19 ndash reflektierenstattdessen die Verse 430 bis 436 die globale Wirkung die das Be-trachtete auf den Betrachter ausuumlbt

qualis apes aestate nova per florea rura 430exercet sub sole labor cum gentis adultoseducunt fetus aut cum liquentia mellastipant et dulci distendunt nectare cellasaut onera accipiunt venientum aut agmine factoignavum fucos pecus a praesepibus arcent 435fervet opus redolentque thymo fraglantia mella

Der Leser steht vor der Wahl diesen Vergleich entweder als einenErzaumlhlerkommentar aufzufassen oder aber wie das Vorherige inAeneasrsquo Kopf zu versetzen Der Kontext sowie der Gewinn anGeist und Praumlgnanz sprechen nach meinem Dafuumlrhalten eindeutigeher fuumlr die letztere Loumlsung mag dadurch auch der Held gewis-sermaszligen in einem epischen Gleichnis denken In diesem Zusam-menhang ist es aufschluszligreich die akustische Dimension der Analogie miteinzubeziehen Der inbruumlnstig summende Insekten-schwarm korrespondiert mit dem hohen staumldtischen Geraumlusch -

21Descriptio ancilla narrationis

18) Antike Steinbruumlche pflegten oft in der Naumlhe groszliger Bauprojekte zu lie-gen bzw groszlige Bauprojekte moumlglichst in die Naumlhe von Steinbruumlchen verlegt zuwerden vgl Houmlcker 2001 941 Ob Vergil an regelrechte Monolithen denkt die al-lein eine Saumlule abgeben mag dahingestellt bleiben denn die Schaumlfte antiker Saumlulenwaren nur in kostbaren Ausnahmefaumlllen monolithischer Natur In aller Regel be-standen sie aus mehreren untereinander befestigten Trommeln

19) Bei diesem Vergleich greift Vergil auf einen eigenen Passus aus seinerDarstellung der Bienenzucht zuruumlck die er im vierten Buch der Georgica gibt(4162ndash169) zur metaphorischen Bedeutung der Biene vgl Della Corte 1984 pas-sim Huumlnemoumlrder 1997 649 Erren 2003 840ndash846 Holzberg 2006 115ndash120

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

22 Har tmut Wul f ram

20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 5: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

die charakteristischen Behausungen nordafrikanischer Hirten dar-stellt der von den Roumlmern stets dezidiert als Fremdwort empfun-den wurde und so in gewisser Weise uumlber die im Epos uumlblicheSprachfiktion (in concreto spricht und denkt ja ein Trojaner La-tein) hinausgeht10

Der gewonnene Eindruck wird durch die angrenzenden Ver-se 423 bis 429 bekraumlftigt

instant ardentes Tyrii pars ducere murosmolirique arcem et manibus subvolvere saxapars optare locum tecto et concludere sulco 425iura magistratusque legunt sanctumque senatumhic portus alii effodiunt hic alta theatrisfundamenta locant alii immanisque columnasrupibus excidunt scaenis decora apta11 futuris

Sie koumlnnen als ein distanzierter sbquoinnerer Monologlsquo gedeutet wer-den der ndash ohne Selbstansprachen aufzuweisen ndash in regelkonformeSyntax gegossen ist12 Daszlig keine auktoriale Erzaumlhlung von Ereig-nissen vorliegt vermag das in Vers 427 doppelt gesetzte hic zu unterstreichen dessen bdquoHier-Deixisldquo13 typisch fuumlr direkte Redenist14 Uumlberwiegend zitiert Vergil allerdings keine Gedankenasso-

19Descriptio ancilla narrationis

10) Zur Negation linguistischer Barrieren im antiken Epos (und anderenpoetischen Gattungen) vgl Suerbaum 1999 194 und Barchiesi 1992 202 f Das nieversiegte roumlmische Bewuszligtsein dafuumlr daszlig es sich bei magalia (magaria) bzw ma-palia um ein afrikanisches Fremdwort handelt belegt das etymologische Materialdas Maltby 1991 358 und 367 s v zusammengestellt hat vgl auch Scagliarini Cor-lagraveita 1987 309

11) Diese von Mynors 1969 in seine Ausgabe gesetzte von anderen aber ver-worfene Konjektur Bentleys verdient meines Ermessens den Vorzug vor dem hand-schriftlich uumlberlieferten alta (genetisch leicht erklaumlrbar als eine beim sbquomechanischenlsquoAbschreiben erfolgte Angleichung an das zwei Verse zuvor ebenfalls den Schluszlig -adonius einleitende alta) vgl auch Austin 1971 148 f

12) Zu Formen des Selbstgespraumlchs in der Antike vgl aus juumlngerer Zeit Auhagen 1999 passim und Asmuth 2001 1458ndash1464 In der modernen Literatur-wissenschaft wird der sbquoBewuszligtseinsstromlsquo vom sbquoinneren Monologlsquo haumlufig dadurchabgegrenzt daszlig er sich kaum mehr einer regelkonformen Syntax oder sprachlichenLogik bediene sondern ndash unter einem (scheinbar) voumllligen Verschwinden des Er-zaumlhlers ndash die Illusion erzeuge bdquoBewuszligtseinsinhalte wuumlrden als ungeordnete BilderAssoziationen Einfaumllle und Gedankenfetzen wiedergegebenldquo (Stocker 2000 148)

13) Quinkertz 2004 15514) Natuumlrlich kann sich grundsaumltzlich auch ein einfuumlhlsamer Erzaumlhler des

lokalen Demonstrativpronomens der ersten Person hic bedienen doch erscheint

ziationen des Aeneas die durch einen Sinneseindruck ausgeloumlstwerden sondern versprachlicht die Sinneseindruumlcke selbst15 Da-bei tritt im Vergleich zu den beiden vorangehenden Versen 421ndash422 die groszligraumlumige Perzeption zugunsten von Details zuruumlckDie Tyrier die zu Anfang von Vers 423 noch in diffuser Gesamt-heit erscheinen spalten sich umgehend ndash unter Verwendung dereinschlaumlgigen Partitivkorresponsionen pars pars (423b 425) undalii alii (427 428) ndash in einzelne Gruppen und Untergruppen auf

Aeneas sieht in einem ersten Schritt wie ein Teil der Einwoh-ner die Burgmauern hochzieht sich an dem darin befindlichen Pa-last zu schaffen macht oder Felsbrocken zur Akropolis heraufwaumllzt(423bndash424) Gemaumlszlig der eingeschlagenen Richtung schweift seinBlick weiter abwaumlrts zur urbs wo er wieder andere beobachtet dieGrundstuumlcke fuumlr ihre Privathaumluser auswaumlhlen und markieren (425)Die erstere Taumltigkeit (optare locum tecto) ist nur mit viel Phantasievisuell anschaulich zu machen16 In umgekehrter Reihenfolge(στερον πρτερον) duumlrfen wir sie daher als mentale Reaktion aufdas Erblicken der zweiten Taumltigkeit (concludere sulco) deutenAnschlieszligend sind es dann nurmehr oumlffentliche Bauprojekte dieden Trojaner gefangennehmen Wenn oberflaumlchlich der Eindruckentsteht die Karthager seien gerade damit beschaumlftigt sich Geset-ze Beamte und den Senat zu sbquoerwaumlhlenlsquo (426) so verbirgt sich auchdahinter eine Gedankenassoziation des Aeneas Sie verweist weni-ger allgemein auf den aufstrebenden Stadtstaat zu seinen Fuumlszligen alsvielmehr konkret auf von ihm erblickte Gebaumludekomplexe in de-nen er sich den Vollzug von Gerichtsbarkeit Verwaltung und poli-tischer Beratung beheimatet denkt17 Unmittelbar danach (427ndash429) erkennt er wie man das Hafenbecken aushebt tiefe (durch ihre

20 Har tmut Wul f ram

dies ndash nicht minder natuumlrlich ndash als die kompliziertere Erklaumlrung die nur dann denVorzug verdient wenn die naheliegendere unwahrscheinlich ist

15) Es duumlrfte ndash auch ohne die Erkenntnisse von sbquoSprachphilosophielsquo sbquoKog -nitionsforschunglsquo oder sbquoWahrnehmungspsychologielsquo ndash der allgemein menschlichenErfahrung entsprechen daszlig dann wenn der sinnlich Wahrnehmende uumlber dasWahrgenommene reflektiert und sich Rechenschaft daruumlber ablegt quasi automa-tisch eine Versprachlichung erfolgt

16) Dies hat schon Heinze 1915 402 festgestellt17) Der Vers ist von fruumlheren Editoren wie Heyne und Ribbeck zu Unrecht

athetiert worden vgl die Diskussion bei Steacutegen 1975 194 f und Paratore 1978189 f Auch muszlig meiner Ansicht nach Glei 1991 127 widersprochen werden dem-zufolge er bdquoals rein auktorialer Zusatz verstanden werden muszlig da Aeneas davonnichts sehen kannldquo

charakteristische Form in der Tat wohl leicht zu identifizierende)Fundamente fuumlr ein Theater legt und gewal tige Bloumlcke aus einemSteinbruch haut wie Aeneas eigenstaumlndig mutmaszligt wuumlrden letzte-re kuumlnftig als Saumlulen (columnas in Vers 428 ist eine Metonymie diedas Endprodukt anstelle des Rohstoffs nennt) zur angemessenenVerschoumlnerung der Buumlhne dienen (429b)18

Weitere Details daruumlber was der Trojaner von oben herabsieht erfahren wir nicht Durch den Vergleich mit einem rastlos aneinem Fruumlhsommertag taumltigen Bienenvolk ndash dem gaumlngigen Abbildeines reibungslos funktionierenden Gemeinwesens19 ndash reflektierenstattdessen die Verse 430 bis 436 die globale Wirkung die das Be-trachtete auf den Betrachter ausuumlbt

qualis apes aestate nova per florea rura 430exercet sub sole labor cum gentis adultoseducunt fetus aut cum liquentia mellastipant et dulci distendunt nectare cellasaut onera accipiunt venientum aut agmine factoignavum fucos pecus a praesepibus arcent 435fervet opus redolentque thymo fraglantia mella

Der Leser steht vor der Wahl diesen Vergleich entweder als einenErzaumlhlerkommentar aufzufassen oder aber wie das Vorherige inAeneasrsquo Kopf zu versetzen Der Kontext sowie der Gewinn anGeist und Praumlgnanz sprechen nach meinem Dafuumlrhalten eindeutigeher fuumlr die letztere Loumlsung mag dadurch auch der Held gewis-sermaszligen in einem epischen Gleichnis denken In diesem Zusam-menhang ist es aufschluszligreich die akustische Dimension der Analogie miteinzubeziehen Der inbruumlnstig summende Insekten-schwarm korrespondiert mit dem hohen staumldtischen Geraumlusch -

21Descriptio ancilla narrationis

18) Antike Steinbruumlche pflegten oft in der Naumlhe groszliger Bauprojekte zu lie-gen bzw groszlige Bauprojekte moumlglichst in die Naumlhe von Steinbruumlchen verlegt zuwerden vgl Houmlcker 2001 941 Ob Vergil an regelrechte Monolithen denkt die al-lein eine Saumlule abgeben mag dahingestellt bleiben denn die Schaumlfte antiker Saumlulenwaren nur in kostbaren Ausnahmefaumlllen monolithischer Natur In aller Regel be-standen sie aus mehreren untereinander befestigten Trommeln

19) Bei diesem Vergleich greift Vergil auf einen eigenen Passus aus seinerDarstellung der Bienenzucht zuruumlck die er im vierten Buch der Georgica gibt(4162ndash169) zur metaphorischen Bedeutung der Biene vgl Della Corte 1984 pas-sim Huumlnemoumlrder 1997 649 Erren 2003 840ndash846 Holzberg 2006 115ndash120

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

22 Har tmut Wul f ram

20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

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81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 6: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

ziationen des Aeneas die durch einen Sinneseindruck ausgeloumlstwerden sondern versprachlicht die Sinneseindruumlcke selbst15 Da-bei tritt im Vergleich zu den beiden vorangehenden Versen 421ndash422 die groszligraumlumige Perzeption zugunsten von Details zuruumlckDie Tyrier die zu Anfang von Vers 423 noch in diffuser Gesamt-heit erscheinen spalten sich umgehend ndash unter Verwendung dereinschlaumlgigen Partitivkorresponsionen pars pars (423b 425) undalii alii (427 428) ndash in einzelne Gruppen und Untergruppen auf

Aeneas sieht in einem ersten Schritt wie ein Teil der Einwoh-ner die Burgmauern hochzieht sich an dem darin befindlichen Pa-last zu schaffen macht oder Felsbrocken zur Akropolis heraufwaumllzt(423bndash424) Gemaumlszlig der eingeschlagenen Richtung schweift seinBlick weiter abwaumlrts zur urbs wo er wieder andere beobachtet dieGrundstuumlcke fuumlr ihre Privathaumluser auswaumlhlen und markieren (425)Die erstere Taumltigkeit (optare locum tecto) ist nur mit viel Phantasievisuell anschaulich zu machen16 In umgekehrter Reihenfolge(στερον πρτερον) duumlrfen wir sie daher als mentale Reaktion aufdas Erblicken der zweiten Taumltigkeit (concludere sulco) deutenAnschlieszligend sind es dann nurmehr oumlffentliche Bauprojekte dieden Trojaner gefangennehmen Wenn oberflaumlchlich der Eindruckentsteht die Karthager seien gerade damit beschaumlftigt sich Geset-ze Beamte und den Senat zu sbquoerwaumlhlenlsquo (426) so verbirgt sich auchdahinter eine Gedankenassoziation des Aeneas Sie verweist weni-ger allgemein auf den aufstrebenden Stadtstaat zu seinen Fuumlszligen alsvielmehr konkret auf von ihm erblickte Gebaumludekomplexe in de-nen er sich den Vollzug von Gerichtsbarkeit Verwaltung und poli-tischer Beratung beheimatet denkt17 Unmittelbar danach (427ndash429) erkennt er wie man das Hafenbecken aushebt tiefe (durch ihre

20 Har tmut Wul f ram

dies ndash nicht minder natuumlrlich ndash als die kompliziertere Erklaumlrung die nur dann denVorzug verdient wenn die naheliegendere unwahrscheinlich ist

15) Es duumlrfte ndash auch ohne die Erkenntnisse von sbquoSprachphilosophielsquo sbquoKog -nitionsforschunglsquo oder sbquoWahrnehmungspsychologielsquo ndash der allgemein menschlichenErfahrung entsprechen daszlig dann wenn der sinnlich Wahrnehmende uumlber dasWahrgenommene reflektiert und sich Rechenschaft daruumlber ablegt quasi automa-tisch eine Versprachlichung erfolgt

16) Dies hat schon Heinze 1915 402 festgestellt17) Der Vers ist von fruumlheren Editoren wie Heyne und Ribbeck zu Unrecht

athetiert worden vgl die Diskussion bei Steacutegen 1975 194 f und Paratore 1978189 f Auch muszlig meiner Ansicht nach Glei 1991 127 widersprochen werden dem-zufolge er bdquoals rein auktorialer Zusatz verstanden werden muszlig da Aeneas davonnichts sehen kannldquo

charakteristische Form in der Tat wohl leicht zu identifizierende)Fundamente fuumlr ein Theater legt und gewal tige Bloumlcke aus einemSteinbruch haut wie Aeneas eigenstaumlndig mutmaszligt wuumlrden letzte-re kuumlnftig als Saumlulen (columnas in Vers 428 ist eine Metonymie diedas Endprodukt anstelle des Rohstoffs nennt) zur angemessenenVerschoumlnerung der Buumlhne dienen (429b)18

Weitere Details daruumlber was der Trojaner von oben herabsieht erfahren wir nicht Durch den Vergleich mit einem rastlos aneinem Fruumlhsommertag taumltigen Bienenvolk ndash dem gaumlngigen Abbildeines reibungslos funktionierenden Gemeinwesens19 ndash reflektierenstattdessen die Verse 430 bis 436 die globale Wirkung die das Be-trachtete auf den Betrachter ausuumlbt

qualis apes aestate nova per florea rura 430exercet sub sole labor cum gentis adultoseducunt fetus aut cum liquentia mellastipant et dulci distendunt nectare cellasaut onera accipiunt venientum aut agmine factoignavum fucos pecus a praesepibus arcent 435fervet opus redolentque thymo fraglantia mella

Der Leser steht vor der Wahl diesen Vergleich entweder als einenErzaumlhlerkommentar aufzufassen oder aber wie das Vorherige inAeneasrsquo Kopf zu versetzen Der Kontext sowie der Gewinn anGeist und Praumlgnanz sprechen nach meinem Dafuumlrhalten eindeutigeher fuumlr die letztere Loumlsung mag dadurch auch der Held gewis-sermaszligen in einem epischen Gleichnis denken In diesem Zusam-menhang ist es aufschluszligreich die akustische Dimension der Analogie miteinzubeziehen Der inbruumlnstig summende Insekten-schwarm korrespondiert mit dem hohen staumldtischen Geraumlusch -

21Descriptio ancilla narrationis

18) Antike Steinbruumlche pflegten oft in der Naumlhe groszliger Bauprojekte zu lie-gen bzw groszlige Bauprojekte moumlglichst in die Naumlhe von Steinbruumlchen verlegt zuwerden vgl Houmlcker 2001 941 Ob Vergil an regelrechte Monolithen denkt die al-lein eine Saumlule abgeben mag dahingestellt bleiben denn die Schaumlfte antiker Saumlulenwaren nur in kostbaren Ausnahmefaumlllen monolithischer Natur In aller Regel be-standen sie aus mehreren untereinander befestigten Trommeln

19) Bei diesem Vergleich greift Vergil auf einen eigenen Passus aus seinerDarstellung der Bienenzucht zuruumlck die er im vierten Buch der Georgica gibt(4162ndash169) zur metaphorischen Bedeutung der Biene vgl Della Corte 1984 pas-sim Huumlnemoumlrder 1997 649 Erren 2003 840ndash846 Holzberg 2006 115ndash120

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

22 Har tmut Wul f ram

20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

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67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

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73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

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81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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47Descriptio ancilla narrationis

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48 Har tmut Wul f ram

Page 7: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

charakteristische Form in der Tat wohl leicht zu identifizierende)Fundamente fuumlr ein Theater legt und gewal tige Bloumlcke aus einemSteinbruch haut wie Aeneas eigenstaumlndig mutmaszligt wuumlrden letzte-re kuumlnftig als Saumlulen (columnas in Vers 428 ist eine Metonymie diedas Endprodukt anstelle des Rohstoffs nennt) zur angemessenenVerschoumlnerung der Buumlhne dienen (429b)18

Weitere Details daruumlber was der Trojaner von oben herabsieht erfahren wir nicht Durch den Vergleich mit einem rastlos aneinem Fruumlhsommertag taumltigen Bienenvolk ndash dem gaumlngigen Abbildeines reibungslos funktionierenden Gemeinwesens19 ndash reflektierenstattdessen die Verse 430 bis 436 die globale Wirkung die das Be-trachtete auf den Betrachter ausuumlbt

qualis apes aestate nova per florea rura 430exercet sub sole labor cum gentis adultoseducunt fetus aut cum liquentia mellastipant et dulci distendunt nectare cellasaut onera accipiunt venientum aut agmine factoignavum fucos pecus a praesepibus arcent 435fervet opus redolentque thymo fraglantia mella

Der Leser steht vor der Wahl diesen Vergleich entweder als einenErzaumlhlerkommentar aufzufassen oder aber wie das Vorherige inAeneasrsquo Kopf zu versetzen Der Kontext sowie der Gewinn anGeist und Praumlgnanz sprechen nach meinem Dafuumlrhalten eindeutigeher fuumlr die letztere Loumlsung mag dadurch auch der Held gewis-sermaszligen in einem epischen Gleichnis denken In diesem Zusam-menhang ist es aufschluszligreich die akustische Dimension der Analogie miteinzubeziehen Der inbruumlnstig summende Insekten-schwarm korrespondiert mit dem hohen staumldtischen Geraumlusch -

21Descriptio ancilla narrationis

18) Antike Steinbruumlche pflegten oft in der Naumlhe groszliger Bauprojekte zu lie-gen bzw groszlige Bauprojekte moumlglichst in die Naumlhe von Steinbruumlchen verlegt zuwerden vgl Houmlcker 2001 941 Ob Vergil an regelrechte Monolithen denkt die al-lein eine Saumlule abgeben mag dahingestellt bleiben denn die Schaumlfte antiker Saumlulenwaren nur in kostbaren Ausnahmefaumlllen monolithischer Natur In aller Regel be-standen sie aus mehreren untereinander befestigten Trommeln

19) Bei diesem Vergleich greift Vergil auf einen eigenen Passus aus seinerDarstellung der Bienenzucht zuruumlck die er im vierten Buch der Georgica gibt(4162ndash169) zur metaphorischen Bedeutung der Biene vgl Della Corte 1984 pas-sim Huumlnemoumlrder 1997 649 Erren 2003 840ndash846 Holzberg 2006 115ndash120

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

22 Har tmut Wul f ram

20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

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39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

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46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

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51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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47Descriptio ancilla narrationis

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48 Har tmut Wul f ram

Page 8: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

pegel der Aeneas in Vers 422 entgegengeschlagen war (miratur[ ] strepitum)

Erst im Anschluszlig an den naumlchsten Hexameter meldet sich ex-plizit der Erzaumlhler wieder zu Wort (437ndash438)

lsquoo fortunati quorum iam moenia surguntrsquoAeneas ait et fastigia suspicit urbis

Auch Vers 437 der die Karthager gluumlcklich preist weil sich ihreStadtmauern schon erhoumlben gibt sich zunaumlchst als autonomes Ge-dankenzitat Vers 438 schiebt jedoch ein Verbum dicendi nach ndashAeneas ait ndash das den Satz als laut zu Achates gesprochen markiertWenn derselbe Vers hinzufuumlgt daszlig Aeneas bewundernd zu denGiebeln Karthagos aufblickte20 so laumlszligt sich dies ndash entsprechendden Versen 421ndash422 ndash als sbquoWahrnehmungsberichtlsquo klassifizierenDie Froschperspektive impliziert dabei eine fuumlr Vergils Publikumleicht zu ergaumlnzende sbquoLeerstellelsquo Die beiden Wanderer sind unter-dessen von ihrer Plattform herabgestiegen und befinden sich direktvor den Mauern der Stadt21

Das Verspaar 439ndash440 das im Anschluszlig davon erzaumlhlt wieAeneas ndash dank des von Venus geschickten Nebels (411ndash414) ndash un-erkannt mitten durch das urbane Gewuumlhl spaziert schlaumlgt dannden Bogen noch weiter zuruumlck

infert se saeptus nebula (mirabile dictu)per medios miscetque viris neque cernitur ulli

Wie in den Versen 418 bis 420 steht hier obgleich die optischenEindruumlcke der Figur(-en) miteingeschrieben sind ein raumlumlicherUumlberbruumlckungsvorgang im Vordergrund22

22 Har tmut Wul f ram

20) bdquoSuspicit suggests admiration as well as the act of looking upwardldquo (Aus-tin 1971 151)

21) bdquoAeneas has now come down from the hill and is standing beneath thecity walls with their towersldquo (Austin 1971 151)

22) Es handelt sich also mit anderen Worten um eine bdquoErzaumlhlung von Ereig-nissenldquo (Martinez Scheffel 2002 49ndash51) Achates ist eine von Vergil wohl frei er-fundene d h nicht vor ihm im Mythos eindeutig belegte Gestalt die im Laufe desEpos wo er siebenmal mit dem bezeichnenden Epitheton fidus versehen wird nurwenig Eigenprofil entwickelt und gewissermaszligen als alter ego des Aeneas geltendarf vgl Speranza 1984 Suerbaum 1999 344

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

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46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

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49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

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51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

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55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 9: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig die bisher untersuchteTexteinheit (418ndash440) nicht als selbstaumlndige sbquoEkphrasislsquo geltenkann Ihr Gegenstand die urbs Carthago von deren imposantemAnblick und trickreicher Gruumlndung Aeneas bereits durch Venuserfahren hatte (365ndash368) wird nicht systematisch nach eigenemRecht beschrieben Vielmehr erfaumlhrt die fortschreitende Rahmen-handlung (418ndash420 439ndash440) eine interne Komplementierung in-dem der Dichter chronologisch aneinanderreiht was die Haupt -figur in der Zwischenzeit mit ihren Augen wahrnimmt bzw wel-che Assoziationen dies bei ihr ausloumlst

Doch welches Karthago will Vergils einfuumlhlsame Dramatisie-rung eigentlich in den Koumlpfen seiner Leserschaft evozieren EinTheater wie es in den Versen 427 bis 429 Didos Untergebene er-richten ist der mythisch-heroischen Welt die gebildeten Roumlmerndurch die griechischen Epen- und Tragoumldienstoffe bestens vertrautwar vollkommen wesensfremd Ein solches Gebaumlude paszligt hin -gegen in Pflanzstaumldte wie sie zu Vergils Zeit an vielen Stellen desReiches foumlrmlich aus dem Boden schossen Derselben zeitgenoumls -sischen Sphaumlre gehoumlren in Vers 426 iura magistratus und senatusan denn die roumlmischen Neugruumlndungen pflegten sich ndash oft bis indie Nomenklatur hinein ndash an den Institutionen der Mutterstadt zuorientieren23 Obwohl sich uns Aeneasrsquo Inneres scheinbar ungefil-tert offenbart bleibt der Erzaumlhler dank dieser handfesten Ana-chronismen praumlsent Vergil konstruiert einen Schauplatz demon-strativer Inkonsistenz weil Karthago ndash im dritten punischen Kriegdem Erdboden gleichgemacht ndash nach gluumlcklosen Vorlaumlufen just unter Oktavian Augustus als Kolonie wiederauferstehen sollte24

23Descriptio ancilla narrationis

23) Einen Uumlberblick uumlber roumlmische coloniae verschaffen etwa Galsterer 1997und Jacques Scheid 1998 238ndash293 passim

24) bdquoAllrsquoimmagine della cittagrave fenicia mortale nemica di Roma si affiancanellrsquoEneide quella di Cartagine colonia romana [ ] Descrivendo Cartagine nel mo-mento in cui i Feneci da poco approdati la stanno edificando (Aen 1365ndash68 421ndash438 446ndash449) Virgilio ricorda ai suoi lettori la cittagrave che risorgeva negli anni in cuisi componeva lrsquoEneide [ ] il suo scopo era quello di identificare la cittagrave da lui de-scritta con la colonia cesariana e augustealdquo (Cagravessola 1984 680 682) vgl Leach 1988311 f Schon C Sempronius Gracchus und spaumlter Caesar verfolgten den Plan Kar -thago an alter Staumltte neu zu gruumlnden doch kam das Projekt erst unter Augustusrichtig in Fahrt Den neueren archaumlologischen Forschungsstand uumlber bdquodas Kar-thago des Augustusldquo resuumlmiert Niemeyer 1993 46ndash49 Mit Glei 1991 127 f unteranderem darf man vermuten daszlig sich auch die staumldtebauliche Dynamik des zeit-genoumlssischen Roms in Vergils Karthago spiegelt

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

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55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 10: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Daneben findet sich dezidiert Vorroumlmisches wie Burg (arx) undStadtmauer (moenia) zwei sowohl mythisch-heroische als auch his-torische d h 146 v Chr ein fuumlr allemal zerstoumlrte Architekturele-mente25 Aus Quellen die uns nicht naumlher bekannt sind (nicht zu-letzt hat man hier wohl an Polybios zu denken)26 muszlig sich Vergileinige topographische Detailkenntnisse angeeignet haben Er re-flektiert die drei wichtigsten Stadtteile des punischen Karthagonaumlmlich die circa 57 Meter uumlber NN hohe Byrsa auf der die Akro-polis thronte die sich daran anschmiegende zum Meer hin abfal-lende Unterstadt sowie mit magalia das groszlige Gebiet der noumlrdlichund westlich gelegenen landwirtschaftlich gepraumlgten Vorstadt27 erweiszlig zudem daszlig ein nordoumlstlich vor der Altstadt gelegener Huumlgelder heute den arabischen Namen Sidi Bou Saiumld traumlgt mit seinen 130Metern uumlber NN die Sicht auf die Akropolis und Teile der Polisfreigibt28 und er ist auch uumlber die kuumlnstliche Hafenanlage (v 427)29

im Bilde Insgesamt haben wir einen weiteren Baustein jener dop-pelten Mythos (bzw Geschichte) und augusteische Gegenwart

24 Har tmut Wul f ram

25) Wie Niemeyer 1993 49 nachdruumlcklich hervorhebt besaszlig das augustei-sche Karthago ndash bdquoebenso wenig wie andere Stadtgruumlndungen im nun befriedetenReichldquo ndash weder arx noch moenia

26) Vgl Della Corte 1972 87 f Cagravessola 1984 682 Niemeyer 1993 4427) bdquoSeit der klassischen Zeit bestand Karthago aus mindestens drei Stadttei-

len aus der Byrsa der Unterstadt (lsquomq qrt) und der Vorstadt (Mlsquort = Megara bzwMagara bzw Magaria bzw Megalia bzw Magalia)rdquo (Huszlig 1985 48 f vgl ebd dieweiteren Ausfuumlhrungen sowie die Einzelnachweise in den Fuszlignoten) Eine karto-graphische Darstellung des punischen Karthago bietet neben Huszlig 1985 45 auchNiemeyer 1999 300 Besonders anschaulich sind die dreidimensionalen Stadtan-sichten im Ausstellungskatalog Hannibal ad portas 2004 39 89 (Aquarelle vonJean-Claude Golvin)

28) Daszlig der Sidi Bou Saiumld innerhalb der groszligzuumlgig gezogenen sogenanntenIsthmos-Mauer (3 Jh) lag vermag die oben vorgetragene Deutung nach der Aeneas in Verg Aen 1437 f noch vor den moenia steht nicht anzufechten DemDichter ging es ja schlieszliglich (sofern er uumlberhaupt vom exakten Verlauf der Mauerwuszligte) keinesfalls darum in allen Einzelaspekten eine topographische Paszligge -nauigkeit zu erzielen wie unter anderem auch die anachronistischen roumlmischenGe baumlude zeigen die sich zur Abfassungszeit erst in der Planungs- oder allenfallsAufbauphase befunden haben koumlnnen Das von Vergil in vv 427bndash429 themati-sierte Theater Karthagos wurde nachweislich sogar erst um die Wende vom 1 zum2 Jh n Chr errichtet (zu diesem sbquoProblemlsquo vgl Cagravessola 1984 682 Niemeyer1999 48 f) Im uumlbrigen scheint bis zur roumlmischen Zerstoumlrung 146 n Chr ein aumllte-rer Mauerring stehengeblieben zu sein der den Huumlgel nicht miteinschloszlig vglHuszlig 1985 49

29) Vgl Huszlig 1985 47 f Houmlckmann 2004 96 104

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 11: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

miteinander verzahnenden Strategie vor uns die der Aeneis ihrcharakteristisches Gepraumlge verleiht30

II2 Der Hain der Juno (Aen 1441ndash452)

Im Folgenden setzt Vers 441a eine kraumlftige Zaumlsur indem eruumlbergangslos mit Praumldikatsnomen praumlpositionaler Ortsbestim-mung und Kopula anhebt lucus in urbe fuit media Schon Homerunterbrach auf solch formelhafte Weise das epische Geschehen umeinen Szeneriewechsel zu veranschaulichen31 Der von Vergil hierwie stets vorausgesetzte lector doctus darf daher jetzt die einlaumlszlig -liche auktoriale Beschreibung eines mit Baumlumen bepflanzten Kult-bezirks erwarten der mitten in der Stadt liegt

Nachdem noch am Ende derselben Zeile die Apposition lae-tissimus umbrae den Hain als uumlberaus schattenreich charakterisierthat (441b) ndash womit nebenbei die gelehrte antiphrastische Pseu-doetymologie lucus a non lucendo gezielt Beruumlcksichtigung zu finden scheint ndash32 wechselt der Fokus in den Versen 442 bis 445uumlberraschend von der Gegenwart zur Vergangenheit hinuumlber DiePunier kaum dem stuumlrmischen Meer entstiegen haumltten auf dem be-treffenden Areal den Kopf eines rassigen Pferdes ausgegraben dieGoumltterkoumlnigin Juno persoumlnlich habe ihnen die Stelle gezeigt undmit dem Fund eine Prophezeiung verknuumlpft derzufolge dem kar -thagischen Volk uumlber Jahrhunderte hinweg eine groszlige militaumlrischeund oumlkonomische Zukunft bevorstehe

quo primum iactati undis et turbine Poenieffodere loco signum quod regia Iuno

25Descriptio ancilla narrationis

30) bdquoImmer wieder findet sich in der Aeneis diese doppelte Zeitdimensiondieser Ausblick aus der erzaumlhlten Zeit in die Zeit des Erzaumlhlens in die historischeGegenwart des Dichters zur Zeit des Augustusldquo (Suerbaum 1999 327) vgl ebd 22152ndash156 255 299ndash327 335 f sowie z B Glei 1991 116 147 f und Holzberg 200656ndash61

31) Vgl Barchiesi 1967 120ndash125 167ndash175 Williams 1968 640 644 651 f(bdquoest locus [ ] formulaldquo) Austin 1971 34 f zu v 12 De Jong 2001 83 (bdquothere is aplace X motif (στι δ τις)ldquo) von Albrecht 1964 182ndash184 (bdquoekphrastische Topo-thesienldquo)

32) Zu dieser sicher schon zu Vergils Zeit weit verbreiteten etymologia excontrario vgl uumlber Serviusrsquo Stellenkommentar hinaus (Serv Aen 1441) das reich-haltige Material bei Maltby 1991 349 f s v

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 12: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

monstrarat caput acris equi sic nam fore belloegregiam et facilem victu per saecula gentem33 445

Demgegenuumlber engt sich von Zeile 446 bis 449 der Blickwinkelzoomartig auf das Herzstuumlck des Temenos ein einen ebensogroszligen wie praumlchtigen Tempel Obgleich wesentliche Elementedieses Sakralbaus als bereits vorhanden gedacht sind lieszlig ihn Didoder Juno wie schon das durative Imperfekt condebat suggeriertnoch zur Zeit der primaumlren Erzaumlhlung errichten34 ndash eine Ehre dieder Goumlttin offenkundig zum Dank fuumlr das verheiszligungsvolle prodi-gium zuteil wurde

hic templum Iunoni ingens Sidonia Didocondebat donis opulentem et numine divaeaerea cui gradibus surgebant limina nexaeque35 448aere trabes foribus cardo stridebat aeumlnis

Die nachfolgenden drei Verse integrieren dann den beschriebenenOrt explizit in die Aeneashandlung (450ndash452)

hoc primum in luco nova res oblata timorem 450leniit hic primum Aeneas sperare salutemausus et adflictis melius confidere rebus

Zu diesem Zweck klingt in Vers 450 ndash dem homerischen Schemagehorchend ndash36 der Praumlpositionalausdruck hoc in luco unuumlberhoumlr-bar an die einleitende Formel lucus in urbe fuit aus Vers 441 an Der

26 Har tmut Wul f ram

33) Nach Servius (Aen 1443) erhielten Dido und ihre Gefolgsleute als sieaus Tyrus flohen von Juno ein Orakel und nahmen ihren Priester mit

34) Dafuumlr daszlig der Juno-Tempel als Aeneas ihn besucht kaum gaumlnzlich fer-tiggestellt sein kann spricht (neben der allgemeinen Bauaktivitaumlt ringsum) auch diefiktionsimmanente Chronologie ist doch der Fall Trojas dem zudem Didos Fluchtaus Tyrus einige Monate vorausgegangen sein muszlig ndash in der Zwischenzeit kommt jader redselige Trojakaumlmpfer Teucer nach Karthago stirbt offenbar Didos Vater Be-lus und wird ihr Gatte Sychaeus von dem neuen Herrscher ihrem Bruder Pygma-lion ermordet (1615ndash626 und 340ndash368) ndash gerade einmal sieben Jahre her

35) In diesem Hypermeter ziehe ich zusammen mit Mynorsrsquo Edition undAustin 1971 154 die Lesart nexaeque dem ersatzweise uumlberlieferten und sprachlichgenauso gut moumlglichen nixaeque vor vgl dazu auch unten Anm 38

36) bdquoThe narrative is usually resumed with anaphorical νθα lsquotherersquoldquo (DeJong 2001 83)

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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CQ 54 1960 145ndash151Williams 1968 G Williams Tradition and Originality in Roman Poetry Oxford 1968

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Page 13: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Dichter thematisiert nunmehr eine sbquounerwartete Begegnunglsquo novares oblata (450) die sich dort ereignet habe Dabei wird die Reak-tion des fremden Besuchers zunaumlchst negativ gefaszligt der gebeutel-te Aeneas legt erstmals seine Angst ab (450ndash451a) und dann posi-tiv er wagt es erstmals trotz widriger Umstaumlnde auf Rettung zuhoffen (451bndash452) Das Komplementaumlre dieser Gefuumlhlsregungenspiegelt sich darin daszlig sie sprachlich nahezu identisch mit hoc pri-mum (450) und hic primum (451) einsetzen37

Unsere programmatisch dem lucus gewidmete Topothesie be-steht folglich aus vier Bausteinen dem Erscheinungsbild des Hains(441) seinem Ursprung (442ndash445) dem herausragenden Schmuck-stuumlck (446ndash449) und zuletzt der innerfiktionalen Wirkung (450ndash452) Schon formal ist der viergliedrige Aufbau daran zu erkennendaszlig die Bestandteile 2 bis 4 jeweils durch ein lokales Pronomen amVersanfang ndash quo (442) hic (446) und hoc (450) ndash eingeleitet werden

Hatte Vergil bereits zuvor ein zum Teil anachronistischesKarthago beschrieben (426ndash429) so imaginiert er jetzt mit groszligerFreiheit das Hauptheiligtum der Stadt38 Dabei greift er auf Bild-motive zuruumlck die sich in das kollektive visuelle Gedaumlchtnis einge-praumlgt haben muumlssen uumlber das seinerzeit die Roumlmer bezuumlglich derehemaligen Konkurrenzmetropole verfuumlgten Die meisten kartha-gischen Muumlnzen die einst Sizilien und Suumlditalien geradezu uumlber-schwemmten zeigen naumlmlich auf ihrem Avers ein Profil der Tinnitund auf ihrem Revers einen Pferdekopf der durch eine Dattelpal-

27Descriptio ancilla narrationis

37) Uumlberdies ist der Anklang an quo primum aus dem Vers 1442 (das wie hocprimum in Vers 450 primae sedis rangiert vgl das Zitat oben im Haupttext) kaumzu uumlberhoumlren Vergil lenkt dadurch das Augenmerk der Leser auf eine sbquobiographi-schelsquo Gemeinsamkeit Die Fluumlchtlinge Dido und Aeneas gelangen unabhaumlngig von-einander kaum daszlig sie am libyschen Strand angelandet sind just an denselben Ort

38) Wenn der Text der Verse 1448ndash449 mit nexaeque aere trabes = sbquo[houmll-zerne] Tuumlrpfosten mit Erz[klammern] verbundenlsquo richtig wiederhergestellt ist soenthaumllt er ebenfalls einen Anachronismus denn heroische Tempel waren wie Para-tore 1978 193 ausfuumlhrt aus Bronze gefertigt (womit die alternative Lesart nixae-que aere trabes = sbquoder Architrav stuumltzte sich auf eherne Kapitellelsquo korrelieren wuumlrde) Allerdings bleibt fraglich ob sich Vergil hier uumlberhaupt fuumlr solche archi-tekturgeschichtlichen Unterschiede interessierte Der Anachronismus waumlre dannalso ndash im Gegensatz zu denen die sich bei der vogelperspektivischen BetrachtungKarthagos ergeben ndash nicht bewuszligt vom Dichter intendiert Selbiges duumlrfte spaumlterauch gelten fuumlr das Giebeldach ndash media testudine templi (1505) ndash und den (obennoch ausfuumlhrlicher zu behandelnden) Bilderzyklus des Tempels (453ndash493) die beide zu einem klassischen griechisch-roumlmischen Baustil gehoumlren wie ScagliariniCorlagraveita 1990 83 und Niemeyer 1993 46 bzw Simon 1982 206 f betonen

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

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39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

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46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

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49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

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51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

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55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

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67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

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73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

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81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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47Descriptio ancilla narrationis

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48 Har tmut Wul f ram

Page 14: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

me flankiert wird39 Der Dichter setzt wie in Rom damals gang undgaumlbe die punische Hauptgoumlttin mit der sbquoheimischenlsquo Juno gleichverknuumlpft die bis heute in ihrer Semantik unklare Tierabbildung mit der karthagischen Gruumlndungslegende und interpretiert denPalmenbaum ndash in Wirklichkeit vermutlich ein Symbol der Frucht-barkeit ndash pars pro toto als Hain40 Die drei Muumlnzmotive werdendaruumlber hinaus miteinander verschraumlnkt und zu einem konkretenSchauplatz verdichtet Aeneas befindet sich demnach in einem Hainder Juno der exakt dort angelegt wurde wo die ersten Karthagerden von dieser Gottheit prophezeiten Pferdekopf gefunden hatten

Die aitiologisch unterfuumltterte Information uumlber die Herrinvon lucus und templum traumlgt freilich ndash ungeachtet der formalenEinbindung in eine epische Descriptio loci ndash nichts zur aumluszligerenCharakterisierung des Ortes bei Eine um so groumlszligere Bedeutungkommt ihr fuumlr die Narratio zu Waumlhrend zuvor d h ab Vers 418der figuumlrliche Wahrnehmungshorizont vom Sonderfall der Ana-chronismen einmal abgesehen nirgendwo uumlberschritten wurdesetzt der Erzaumlhler jetzt sein Publikum von etwas in Kenntnis vondem der Protagonist der alsbald im locus descriptus auftretenwird nicht das Geringste weiszlig Es gilt narratologisch ausgedruumlckteinen eklatanten die Wirkung bzw Rezeption des Textes gezieltsteuernden Fall von sbquoNullfokalisierunglsquo zu konstatieren41 Dieploumltzlichen Hoffnungen des Aeneas von denen erstmals die Verse450 bis 452 andeutungsweise berichten muumlssen ndash trotz Venusrsquo er-mutigender Worte im Vorfeld (387ndash401) ndash den uumlber ihren sbquoEntste-hungsraumlsquo besser unterrichteten Leser zwangslaumlufig verbluumlffenSie stehen von Anfang an im Zwielicht keimen sie doch ausge-rechnet im Hause jener Goumlttin auf die den Trojanern selbst nochnach ihrer Niederlage gnadenlos zusetzt und zu Beginn der Aeneisauch den schweren Seesturm verursacht hat der die Fluumlchtigenuumlberhaupt erst an die libysche Kuumlste verschlug42

28 Har tmut Wul f ram

39) Auf dem Revers wird daneben auch nur der Pferdekopf abgebildet (1)bzw ein vollstaumlndigeres Pferd (2) oder aber ausschlieszliglich eine Palme (3) Zur ste-reotypen Ikonographie sikulo-punischer Muumlnzen vgl Guumlnther 2001 51 f und Bal-dus 2004 294ndash313 passim (jeweils mit Abbildungen)

40) Zu Tanit = Juno vgl Cagravessola 1984 680 (bdquoVirgilio dunque poteva ben dareper scontato il concetto che la divintagrave tutelare di Cartagine fosse Giunoneldquo) zu Ver-gils Umdeutung von Pferdekopf und Palme Steacutegen 1975 199 s v caput acris equi

41) Vgl oben Anm 542) Bekanntlich streicht bereits das Prooumlmium der Aeneis die fundamentale

Bedeutung gebuumlhrend heraus die dem Zorn der Juno fuumlr den Fortgang der epischen

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 15: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Die Descriptio loci birgt indes noch in zweiter Hinsicht einerzaumlhlerisches Element Sie zeichnet implizit Aeneasrsquo Bewegungs-richtung und Wahrnehmungsprozeszlig weiter nach die bisher diedrei Etappen der Vogelperspektive ex colle (418ndash436) Froschper-spektive extra moenia (437ndash438) und Normalperspektive intramoenia (439ndash440) aufwiesen Wenn anschlieszligend mit Vers 441 un-vermutet ein innerstaumldtischer lucus in den Mittelpunkt ruumlckt soliegt sogleich der Schluszlig nahe daszlig der Held nun dort angelangt ist obwohl dies erst zehn Verse spaumlter ausdruumlcklich zur Sprachekommt Obendrein wurde die Anlage augenscheinlich gezielt auf-gesucht Erregten gerade eher sbquoperipherelsquo Details wie der Hafenoder das zukuumlnftige Theater die Neugierde des die Stadt Uumlber -blickenden43 wie haumltte da seiner Aufmerksamkeit der zentrale undvon hohen Baumlumen umstandene Groszligtempel entgehen koumlnnen InAnbetracht der topographischen Grundkenntnisse uumlber die Ver-gil ndash wie weiter oben bereits vermerkt ndash offenkundig verfuumlgte sollsich seine Leserschaft diesen Tempel womoumlglich auf der Byrsa-An-houmlhe vorstellen wo neben der Akropolis das historische dem phouml-nizischen Gott Esmun geweihte Hauptheiligtum Karthagos lag44

Unabhaumlngig davon ergeben die narrativen sbquoLeerstellenlsquo der Orts-beschreibung die folgende von sbquowegestrukturellerlsquo Dynamik45 ge-praumlgte Sequenz mit Vers 441 betritt Aeneas den schattigen Hainmit Vers 446 steht er am Fuszlige des darin errichteten Sakralbaus mitden Versen 448ndash449 gelangt er uumlber Stufen (gradibus) zu dessen

29Descriptio ancilla narrationis

Handlung zufaumlllt saevae memorem Iunonis ob iram (14b) vgl etwa Suerbaum1999 27ndash33 37ndash39 242ndash244

43) Daszlig Aeneas der Fiktion nach das gesamte Stadtareal uumlberblicken konn-te legt bereits der Hinweis auf die von ihm erblickten Stadttore (1422) nahe

44) bdquoAuf der Byrsa befand sich (wohl seit Gruumlndung der Stadt) die Akro-polis und auch das Hauptheiligtum des Esmun von einem weiteren bedeutendenTempel wurden hangabwaumlrts Reste gefundenldquo (Niemeyer 1999 298) Wie man-che Archaumlologen vermuten beherbergte der Byrsa-Huumlgel neben dem zentralenHeiligtum des Esmun (der von den Griechen mit Asklepios oder Apollon iden-tifiziert wurde) auch einen kleineren Tinnit-Tempel vgl Muumlller 2002 605 BeiVergil deutet textimmanent der schnelle Wechsel von templum zu regia in 1631auf eine unmittelbare Nachbarschaft der beiden das religioumlse und politische Herzder Stadt mar kierenden Gebaumlude Unter dieser raumlumlichen Voraussetzung ge-winnt auch der Ausdruck reginam opperiens (454) an Verstaumlndlichkeit vgl un-ten Anm 48

45) Allgemein zu narrativen bdquoWegestrukturen im Raumldquo vgl Haupt 200480ndash82

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 16: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Portal (limina trabes)46 wo er geraumluschvoll die Tuumlr bewegt (cardostridebat) um anschlieszligend ndash ob er sich dabei in der Tempelcellaaufhaumllt oder nicht bleibe dahingestellt ndash47 ab Vers 450 endlich jene Entdeckung zu machen die seine duumlstere Laune aufhellensollte

II3 Der trojanische Bilderzyklus 1 (Aen 1453ndash465)

Erst der dritte Abschnitt innerhalb der Erzaumlhlung von Aeneasrsquokarthagischer sbquoSight-seeing-tourlsquo der dazu programmatisch mit einem begruumlndenden namque anhebt verraumlt dem Leser was denemotionalen Umschwung konkret verursacht hat Bemerkenswer-terweise geht Vergil also zunaumlchst auf die Reaktion ein bevor er irgendetwas uumlber ihren Ausloumlser mitteilt In Vers 453 bis 458 ver-nehmen wir daszlig der Held als er ndash in Erwartung der Koumlnigin ndash48

die Blicke hierhin und dorthin schweifen lieszlig unvermutet auf Ilia-cas [ ] pugnas (456) sbquoAbbildungen des trojanischen Kriegeslsquostieszlig die besagten Tempel verzierten

namque sub ingenti lustrat dum singula temploreginam opperiens dum quae fortuna sit urbiartificumque manus inter se operumque laborem 455miratur videt Iliacas ex ordine pugnasbellaque iam fama totum vulgata per orbemAtridas Priamumque et saevum ambobus Achillem

30 Har tmut Wul f ram

46) Die reichen Weihgeschenke hingegen von denen Vers 1447 berichtetvermag Aeneas bei seiner sbquoeingeschriebenenlsquo Bewegung durch den Raum (noch)nicht zu sehen Sie stellen ein Element dar das ndash jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ndashausschlieszliglich dem Erzaumlhler und seinem Publikum gehoumlrt

47) Die Beantwortung dieser Frage haumlngt entscheidend von der Deutung abdie man in Vers 1453 dem Ausdruck sub ingenti [ ] templo angedeihen laumlszligt vglunten Anm 49

48) Natuumlrlich ergibt sich hier das Problem bdquocomment Eacuteneacutee peut-il savoirque la reine viendra dans le templeldquo (Steacutegen 1975 205) Angemerkt werden darfdaszlig das transitive Verb in der Verbindung reginam opperiens (1454) zwar eigentlichsbquowarten auflsquo sbquoerwartenlsquo bedeutet vielleicht aber auch objektiv vom distanziertenStandpunkt des Erzaumlhlers aus gesprochen ist im Sinne von sbquoder die Koumlnigin tref-fen solltelsquo Auf die sbquoeingeschriebenelsquo Nachbarschaft von templum und regia habeich bereits in Anm 44 hingewiesen

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 17: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Wo genau sbquounter dem riesigen Tempeldachlsquo sub ingenti [ ] tem-plo (453) die Abbildungen angebracht waren in welcher Flieszligrich-tung ob gemalt oder gemeiszligelt auf all diese Fragen bleibt der Texthier wie spaumlter eindeutige Antworten schuldig49 Dafuumlr erfaumlhrt derfuumlr den externen Rezipienten mythologische fuumlr den internen Re-zipienten aber schicksalhaft-autobiographische Stoff andere ndash undfuumlr unseren Zusammenhang erheblich wichtigere ndash Spezifizierun-gen Zum einen soll er wie Vers 456 ausfuumlhrt ex ordine sbquogemaumlszligchronologischer Reihenfolgelsquo angeordnet sein zum anderen wiedie beiden anschlieszligenden Verse 457 und 458 signalisieren quasiauf zwei literarischen Quellen fuszligen die innerfiktional natuumlrlichnoch gar nicht existieren konnten auf dem sogenannten epischenKyklos sowie auf der Ilias Homers Es erscheint opportun die ver-tretene Deutung der drei Verse etwas eingehender zu erlaumlutern

Der Satz videt Iliacas ex ordine pugnas (456) laumlszligt sich imDeutschen etwa auf folgende Weise praumlgnant wiedergeben sbquo[ ]treten ihm [sc Aeneas] der Reihe nach angeordnet die Kaumlmpfeum I l ium vor Augenlsquo Das lateinische Verb videre kann an die-ser Stelle noch nicht das Dechiffrieren von Einzelheiten meinendenn dieser Taumltigkeit geht Aeneas wie unten noch naumlher dargelegtwerden soll erst im Anschluszlig nach Stattdessen wird jetzt das fi-guumlrliche Sehen zunaumlchst von der objektiv-distanzierten Warte desErzaumlhlers aus sbquobewertetlsquo Der praumlpositionale Ausdruck ex ordinesteht ja bezeichnenderweise in attributiver Klammerstellung unddarf nicht adverbial verstanden werden50 Daruumlber hinaus stellt dieklammernde Junktur Iliacas [ ] pugnas fuumlr das roumlmische Publi-kum eine Art Themenbezeichnung ja einen ihm vertrauten sbquoGen-retitellsquo dar wie ein aumllterer Zeitgenosse Vergils der Architekt

31Descriptio ancilla narrationis

49) Uumlber die kontroversen Ansichten die in der Forschung uumlber Sitz undAusfuumlhrung der Abbildungen vorherrschen geben zusammengenommen Simon1982 206 f Leach 1988 312 und Scagliarini Corlagraveita 1990 83 einen guten Uumlber -blick Hinsichtlich der Lokalisierung erscheinen mir grundsaumltzlich drei Arten desVerstaumlndnisses moumlglich 1 Aeneas steht in der (ebenfalls uumlberdachten) Vorhalle desTempels und bewundert von dort aus sbquoden Reichtum der Stadt und die aufeinanderabgestimmte muumlhevolle Arbeit der Handwerkerlsquo (Verg Aen 1454bndash456a) bevorer sozusagen die Klinke in der Hand den trojanischen Bilderzyklus auf der Tem-peltuumlr erblickt 2 Aeneas erblickt stattdessen den Zyklus an einer Wand der Vor-halle 3 er oumlffnet ndash anders als im ersten und zweiten Fall ndash eigenmaumlchtig die unverschlossene Tuumlr und erblickt den Zyklus erst innerhalb der Cella

50) Zu dieser Art der Attributbildung vgl allgemein Kuumlhner Stegmann1914 Bd 1 213ndash218 besonders 217

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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47Descriptio ancilla narrationis

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48 Har tmut Wul f ram

Page 18: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Vitruv unterstreicht wenn er troianas pugnas als herkoumlmmlichenGegenstand spaumltrepublikanischer Wandmalereien ausweist (Vitr752)51 Ganz auf dieser Linie wird auch Dido in Aen 478 das -jenige was sie von Aeneas wieder und wieder houmlren moumlchte alsIliacos [ ] labores benennen

Doch bleiben wir bei unserer Verstrias Wie offenbar erstmalsAlessandro Barchiesi erkannt hat birgt deren zweiter Hexameterbellaque iam fama totum vulgata per orbem (457) der zunaumlchst aufden Ruhm des trojanischen Krieges abhebt der sich bereits uumlberden ganzen Erdkreis verbreitet habe hintergruumlndig zugleich eineganz spezielle sbquopoetologischelsquo Dimension bdquoThe line could be ten-dentiously paraphrased lsquowars made known through the whole EpicCyclersquo orbis being the Roman equivalent of the Greek lsquokyklosrsquoand vulgata meaning lsquotritersquo lsquocommonplacersquo a frequent judgementin ancient criticism on the quality of the Epic Cyclersquos predictablerehearsal of its subject-matterrdquo52 Die nachfolgende Formulierungsaevum ambobus [sc Atridis Priamoque] Achillem (458) belegthingegen eindrucksvoll Vergils groszlige Sensibilitaumlt als Leser Ho-mers ruft sie doch mit erstaunlicher Praumlzision die beiden sbquoSpann-boumlgenlsquo ab die in der Ilias ndash gemaumlszlig der feinsinnigen Analyse von Joachim Latacz ndash die Struktur der Vordergrunderzaumlhlung bestim-men Der erste sbquoSpannbogenlsquo verlaumluft demnach von der Anbah-nung und dem Einsatz der μνις Αχιλος bis zu ihrer Beilegung ( Il 1ndash18) der zweite vom Tod des Patroklos bis zu Hektors Be-stattung ( Il 17ndash24) bdquoBeide Boumlgen zusammen stellen einanderuumlberkreuzend die Einheit des Gesamtwerks herldquo53

Waumlhrend dergestalt in Aen 1456ndash458 der poeta doctus anseinen lector doctus gewandt uumlber die Bildererzaumlhlung als Ganzesspricht stehen danach wieder die Hauptfigur und ihr Horizont imZentrum (459ndash465)

32 Har tmut Wul f ram

51) Vgl ad locum die beiden neueren Vitruvkommentare von Cam 1995137 f und Romano 1997 1088 Anm 147

52) Barchiesi 1997 273 Auch in Hor ars 132 bezieht sich der Ausdruck orbispolysemantisch zugleich auf den epischen Kyklos vgl Brink 1971 210 und Fedeli1997 1516 f Die Horazscholien stellen das Mitschwingen dieses poetologischenSachverhalts deutlich heraus SI NON CIRCA VILEM PATULUMQUE MO -RABERIS ORBEM In eos qui a fine Iliados Homeri scripserunt ⟨et κυκλικο⟩appellantur Et lsquopatulum orbemrsquo dixit (Porph Hor ars 131ndash132) lsquoorbemrsquo κκλονdicit namque κυκλικο dicunt Graeci (Ps Acro Hor ars 132)

53) Latacz 2000 153

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

33Descriptio ancilla narrationis

54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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CQ 54 1960 145ndash151Williams 1968 G Williams Tradition and Originality in Roman Poetry Oxford 1968

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Page 19: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

constitit et lacrimans lsquoquis iam locusrsquo inquit lsquoAchatequae regio in terris nostri non plena laboris 460en Priamus sunt hic etiam sua praemia laudisunt lacrimae rerum et mentem mortalia tanguntsolve metus feret haec aliquam tibi fama salutemrsquosic ait atque animum pictura pascit inanimulta gemens largoque umectat flumine vultum 465

Einfuumlhlsam werden die Momente des ersten Gewahrwerdens ge -schildert Aeneas bleibt verdutzt stehen (constitit 459) um Achatesmit Traumlnen in den Augen Beobachtungen und Gefuumlhle mitzuteilen(459ndash463) Seine Worte werden in direkter Rede wiedergegebenund durch die Formeln inquit (459) und sic ait (464) einleitend wieausleitend als Zitat gekennzeichnet Weil sogar dieser so entlegeneOrt ihre Leiden kenne sieht Aeneas vertrauensvoll einer gast-freundlichen Aufnahme entgegen Zwar wird der Begleiter vonihm nur auf die Gestalt des Koumlnigs namentlich hingewiesen (enPriamus 461) dieser symbolisiert jedoch ndash wie spaumlter bei der Dar-stellung seines Todes in Aen 2554ndash558 ndash stellvertretend den un-tergegangenen Staat und verbuumlrgt das identifizierte Sujet54 Wie derErzaumlhler im Verspaar 464ndash465 praumlzisiert studiert Aeneas die Ab-bildungen ausgiebig und im Detail erst im Anschluszlig an seine Rede(animum pictura pascit inani) wobei er Seufzern und Traumlnen gaumlnz-lich freien Lauf laumlszligt

Allenfalls mit dieser Schluszligwendung schreitet der gesamtedritte Abschnitt chronologisch voran Ansonsten erzaumlhlt er ndash aus-fuumlhrlicher und explizierend ndash was bereits zuvor die Descriptio luciangedeutet hatte Markante sprachliche Wiederholungen unter-streichen diesen Befund Die Junktur ingenti templo in Vers 453greift templum ingens aus Vers 446 auf und bestaumltigt sogleich daszligsich Aeneas tatsaumlchlich im Tempel des Hains aufhaumllt in den Versen451 und 463 steht das Schluumlsselwort salutem prononciert am Endeund bezeichnet jeweils das worauf der Fluumlchtling dank des Ge-schauten wieder zu hoffen wagt Die doppelte Frequenz bedeutetinsofern einen Bruch als ndash bei aller Heterogenitaumlt in der Darbie-

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54) Auf fuumlr uns befremdliche Weise versteht Servius Aeneasrsquo Ausruf als sei-ne Art von (typisch antiker) Kunstkritik die den Naturalismus der Darstellunglobt EN PRIAMUS laus picturae est per quem non imago sed prope ipse ostendi-tur Priamus (Serv Aen 1461) vgl Leach 1988 313

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

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55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

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58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

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61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

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67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

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73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 20: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

tung ndash die Zeit seit der Besteigung des Huumlgels oberhalb Karthagos(418) grundsaumltzlich linear fortgeschritten war Der auf Seiten desProtoroumlmers Aeneas stehende Leser der sich schon durch sein(ihm gegenuumlber) privilegiertes Wissen um die Herrin des Heilig-tums unwohl fuumlhlen muszligte hat jetzt da er auszligerdem erfaumlhrt wases in ihm zu bewundern gibt erst recht allen Grund dazu Der fuumlrden ahnungslosen Aeneas so traumatische Untergang der Heimat-stadt dessen kuumlnstlerische Darstellung er als Sympathiebekun-dung deutet kann seine nachtragende goumlttliche Erzfeindin nur mitgroumlszligter Genugtuung erfuumlllen ndash ein Umstand der dem Leser kei -nerlei Anlaszlig dazu gibt an ein guumlnstiges Omen zu glauben oder er-mutigende Schluszligfolgerungen zu ziehen uumlber die Intentionen derKuumlnstler und ihrer Auftraggeberin55 Daszlig die der Juno so ergebe-ne Dido56 die Trojaner dann doch gastfreundlich empfangen wirdsteht auf einem anderen Blatt und braucht hier nicht weiter thema-tisiert zu werden57

II4 Der trojanische Bilderzyklus 2 (Aen 1466ndash493)

Der vierte Abschnitt unserer Karthago-Sequenz der in Vers466 ndash wie der dritte Abschnitt ndash mit einem namque im Eingangs-daktylus beginnt bietet ungeachtet seiner relativ groszligen Laumlnge

34 Har tmut Wul f ram

55) Auf Dido bdquoas guiding spiritldquo (Putnam 1998 243 Anm 2) hinter demKunstwerk verweist schon die Formalie daszlig in den Versen 1454 und 496 die des-sen sbquoBeschreibunglsquo rahmen jeweils primae sedis das Wort regina(m) steht Auch Aeneasrsquo spaumlterer Ausruf o sola infandos Troiae miserata labores (597) bezieht sichauf den Inhalt des Bilderzyklus und spricht ihr automatisch die Verantwortungdafuumlr zu Ihre Informationsquelle macht Dido selber gegenuumlber dem Gast geltendSie verdankt ihr Wissen dem Griechen Teucer einem nach Sidon verschlagenen Tro-javeteranen (619ndash626)

56) Uumlber den Tempelbau hinaus kommt die besondere Verbundenheit Didosmit Juno auch an spaumlterer Stelle wiederholt zum Ausdruck etwa wenn die Koumlniginin 1734 an festlicher Tafel und vor den Trojanern (die diesbezuumlglich ziemlich zwie-spaumlltige Gefuumlhle hegen muumlssen) die bona [] Iuno anruft vgl auszligerdem im viertenBuch des Epos die Verse 45 59 371 425 608 und 693

57) Es sei immerhin soviel gesagt Bevor sie Aeneas persoumlnlich kennenlerntzeigt Dido groszlige staatsmaumlnnische Klugheit und verhaumllt sich den Trojanern gegen -uumlber neutral Die Abwehrmaszlignahmen der karthagischen sbquoKuumlstenwachelsquo einerseits(1525ndash529 539ndash543 563ndash564) Didos sbquoIntegrationsangebotlsquo an den WortfuumlhrerIlioneus andererseits (572ndash574) sind primaumlr ihrer prekaumlren machtpolitischen Lageinmitten feindseliger Staumlmme geschuldet

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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Page 21: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

erneut eine sbquorepetitive Erzaumlhlunglsquo58 Ging es dem Dichter zuvordarum Aeneasrsquo ploumltzlichen Optimismus zu erklaumlren von dem inden Versen 450 bis 452 die Rede gewesen war so erklaumlrt er jetzt dasdamit einhergehende Seufzen und Weinen aus Vers 465 (multa ge-mens largoque umectat flumine vultum)59 Von Vers 466 bis 493werden neun konkrete Bildeinheiten evoziert die der Sohn der Venus in dem von ihm aufgesuchten Tempel entschluumlsselt (der Textist im folgenden mit Sperrungen versehen die sbquouumlberschuumlssigelsquo Ele-mente markieren auf die ich weiter unten noch naumlher eingehenwerde)60

1 Die Trojaner bedraumlngen die Griechen in der Schlacht (466ndash467)

2 Der helmbuschtragende Achill wendet vom Kriegswagenaus kaumlmpfend das Blatt (468)

namque videbat uti bellantes Pergama circumhac fugerent Grai premeret Troiana iuventushac Phryges instaret curru cristatus Achilles 468

3 Diomedes (der Sohn des Tydeus) macht unter groszligemBlutvergieszligen das Zeltlager des Rhesus dem Erdboden gleich undtreibt dessen Pferde ins griechische Lager (469ndash473)

nec procul hinc Rhesi niveis tentoria velisagnoscit lacrimans p r imo quae prod i ta somno 470Tydides multa vastabat caede cruentusardentisque avertit equos in castra pr iu s quampabu la gu s ta s s en t Tro iae Xanthumque b i -b i s s en t

35Descriptio ancilla narrationis

58) Zu dem Begriff der sbquorepetitivenlsquo Erzaumlhlung vgl Martiacutenez Scheffel2002 46

59) Es sei im Voraus bemerkt daszlig das Moment des Weinens durch das Par-tizip lacrimans (1470) aufgegriffen wird waumlhrend die Formulierung ingentem ge-mitum dat pectore ab imo (485) das Moment des Seufzens sprachlich reflektiert

60) Aufschluszligreiche Analysen des Abschnitts aus neuerer Zeit bieten Clay1988 200ndash203 Leach 1988 311ndash318 Fowler 1991 31ndash33 Glei 1991 130ndash132 Lowenstam 199394 38ndash44 (Anm 4 dokumentiert speziell den Forschungsdissenzuumlber die genaue Anzahl der Bilder) sowie Putnam 1998 243ndash257

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

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Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 22: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

4 Der jugendliche Troilos wird von den eigenen Rossen zuTode geschleift (474ndash478)

parte alia fug i en s ami s s i s Tro i lu s a rmi s in f e l i x puer a tque impar congre s su s

Ach i l l i 475fertur equis curruque haeret resupinus inanilora tenens tamen huic cervixque comaeque trahunturper terram et versa pulvis inscribitur hasta

5 Die Trojanerinnen bringen demuumltig ein kostbares Gewandzum Tempel der Pallas Athena die sich jedoch abwendet und ihrenBlick auf den Boden heftet (479ndash482)

interea ad templum non aequae Palladis ibantcrinibus Iliades passis peplumque ferebant 480suppliciter tristes et tunsae pectora palmisdiva solo fixos oculos aversa tenebat

6 Priamos sucht Achill den Moumlrder seines Sohnes Hektorauf um bittflehend die Leiche von ihm auszuloumlsen (483ndash487)

t e r c i r cum I l i a co s rap tavera t Hec tora muro sexanimumque auro corpus vendebat Achillestum vero ingentem gemitum dat pectore ab imo 485ut spolia ut currus utque ipsum corpus amicitendentemque manus Priamum conspexit inermis

7 Aeneas kaumlmpft inmitten der griechischen Anfuumlhrer (488)8 Der Aumlthiopierkoumlnig Memnon greift mit seinem Heer ein

(489) und9 Penthesilea fuumlhrt unerschrocken ihre Amazonen in die

Schlacht (490ndash493)

se quoque principibus permixtum agnovit AchivisEoasque acies et nigri Memnonis armaducit Amazonidum lunatis agmina peltis 490Penthesilea furens mediisque in milibus ardetaurea subnectens exsertae cingula mammaebellatrix audetque viris concurrere virgo

36 Har tmut Wul f ram

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

38 Har tmut Wul f ram

64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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47Descriptio ancilla narrationis

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48 Har tmut Wul f ram

Page 23: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Die genannten Mythologeme die der sbquointendierte Leserlsquo natuumlrlichaus dem Effeff kennt61 werden auf dreifache Weise praumlsentiert Mitabnehmender Mittelbarkeit handelt es sich um einen Erzaumlhlerbe-richt uumlber die Wahrnehmung und Reaktion des Aeneas (469ndash470a485ndash489) um die Wiedergabe des Betrachteten in indirekter Rede(466ndash468) und insbesondere um eine Art von unvermittelt einset-zendem sbquoinneren Monologlsquo der ndash unter voller Kontrolle uumlber dieSyntax ndash verbalisierte Sinneseindruumlcke mit Gedankenassoziationenverschraumlnkt (470bndash484 490ndash493)

Der letztere Kunstgriff dem wir ndash mit Bezug auf sich gleich-zeitig Ereignendes ndash schon bei Vergils Schilderung des im Aufbaubefindlichen Karthago begegnet waren verdient unsere bevorzug-te Aufmerksamkeit In seinem Rahmen steht in drei Faumlllen ndash undzwar unter signifikanten Tempuswechseln62 ndash die Vorgeschichteder von Aeneas erblickten Episode bruchstuumlckhaft voran (manvergleiche meine Hervorhebungen in den obigen Zitaten) Hek-tors Leiche war demnach von Achill dreimal um die Mauern Tro-jas geschleift worden (483) Troilos hatte vor seinem grausamenTod die Waffen (wohl Schild und Schwert nicht aber seine Lanze)verloren (oder weggeworfen) und war vergebens vor dem uumlber-maumlchtigen Peliden geflohen (474ndash475)63 die Zelte des Rhesusschlieszliglich waren zur Zeit des ersten Schlafes verraten worden(470b) Wie wir obendrein im Anschluszlig an das Referat des Bildin-halts (471ndash472a) erfahren hatte Diomedes dessen Pferde geraubtbevor sie das Gras Trojas und das Wasser des Xanthus genieszligenkonnten (472bndash473) ndash womit unausgesprochen eine Bedingungvereitelt wurde die einem Orakel zufolge den Fortbestand Trojas

37Descriptio ancilla narrationis

61) Neben Homer und dem sbquoepischen Kykloslsquo kann Vergils lector doctussein Wissen aus der umfangreichen Homerkommentierung (die ihrerseits nicht zu-letzt den Kyklos verwertet) sowie aus sonstiger dichterischer ikonographischeroder allgemein mythologischer (also auch oraler oder reoralisierter) Tradition be-zogen haben Zum Einfluszlig der antiken Homerexegese auf die Aeneis vgl die Dis-sertation von Schmit-Neuerburg 1999

62) Im Einzelnen sind folgende Gegensaumltze zu verzeichnen 1 prodita (1470)vs vastabat (471 durativ) und avertit (472 punktuell) 2 amissis armis (474) vs fer-tur (476) 3 raptaverat (483) vs vendebat (484) vgl die Beobachtungen von Wil-liams 1960 151 und Leach 1988 314ndash317

63) Entgegen der vergilischen Darstellung berichtet die bei Sophokles beleg-te Tradition nicht von einem Wagenkampf sondern davon daszlig Achill heimtuumlckischdem unbewaffneten Troilos aufgelauert habe vgl Austin 1971 159 f

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 24: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

gewaumlhrleistet haumltte64 Auszliger durch den sentimentalen Ton der die-se die Optik uumlberschreitenden Elemente durchzieht verraumlt sichder parteiische Standpunkt durch einseitig wertende VokabelnWaumlhrend Troilos der juumlngste der Priamossoumlhne als sbquoungluumlcklicherJungelsquo infelix puer (475) bezeichnet wird und die Goumlttin Athenaweil sie der trojanischen Bittgesandtschaft abweisend begegneteals sbquoungerechtlsquo non aequa (479) tragen die griechischen KriegerDiomedes und Achill die verkuumlrzenden Etiketten sbquoblutruumlnstiglsquocruentus (471) und sbquohabgieriglsquo auro [ ] vendebat (484)65

Was uns aber vor allem demonstriert daszlig sich Vergil nicht fuumlrdas Objekt um seiner selbst willen interessiert sondern dafuumlr wiees Aeneas sukzessiv verinnerlicht ist die Reihung der neun Ein-zelszenen die entgegen der Topographie nicht konsequent chro-nologisch ausfaumlllt

Hatte Aeneas schon im Vorfeld Koumlnig Priamos identifiziert ndashin welchem Bildkontext lieszlig damals Vers 461 offen ndash66 so ordneter nun zunaumlchst zwei Massenschlachten einander zu fuumlr deren ge-genlaumlufige Dynamik Achill durch den Ruumlckzug vom Kampfge-schehen sowie seinen Wiedereintritt verantwortlich zeichnet Daszligsie raumlumlich getrennt voneinander zu denken sind macht die drit-te Episode klar Sie gehoumlrt zu der im zehnten Gesang der Ilias er-zaumlhlten sbquoDolonielsquo die in der Nacht nach Odysseusrsquo Phoinixrsquo undAiasrsquo erfolgloser Bittgesandtschaft zu Achill (sbquoLitailsquo Hom Il 9)

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64) bdquoGustassent and bibissent are acts that did not happen they come fromAeneasrsquo own recollection of the prophecy that the horses might have ensured aneventual victory for Troyldquo (Leach 1988 314)

65) Achills Annahme des ihm von Priamos dargebotenen Loumlsegeldes wirdvon Homer als ein gaumlngiges Verfahren praumlsentiert das keineswegs unehrenhaft istsondern im positiven Sinne die Uumlberwindung seiner μνις markiert vgl Glei 1991132 Lowenstam 199394 41 Anm 10 und Simon 1982 208 bdquoVergil stellt also nichtden sich erbarmenden Achilles aus dem 24 Gesang der Ilias dar sondern den gold-gierigen aus der Achilleis des Aischylosldquo Wenn der vergilische Achill Hektors Leiche gleich dreimal um das gesamte Mauerrund Trojas schleift so stellt dies eben-falls eine tendenzioumlse Steigerung seiner Grausamkeit dar vgl wieder Lowenstam199394 41 Anm 10

66) Aufgrund seiner fruumlhen Identifizierung durch Aeneas darf man sich dengreisen Herrscher wohl in herausgehobener Weise portraumltiert vorstellen (etwadurch Groumlszlige Farbe oder Ornat) Da Priamos im Rahmen der sechsten Episode er-neut genannt wird (1487) koumlnnte ihn sein Landsmann ebendort erblickt habendoch ist ndash angesichts des Umstandes daszlig Vergil den Bilderbogen nicht vollstaumlndigbeschreibt (naumlhere Ausfuumlhrungen dazu weiter unten im Haupttext) ndash genauso gutauch manch andere Szene denkbar

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

40 Har tmut Wul f ram

ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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48 Har tmut Wul f ram

Page 25: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

spielt also noch vor der durch Patroklosrsquo Tod verursachten Wen-de67 Die Rhesus-Geschichte waumlchst sich zusammen mit den dreianschlieszligend evozierten ndash Troilosrsquo vorzeitigem Ende dem vonAthena abgelehnten Staatsopfer der trojanischen Frauen sowiedem Sterben des sbquoStadtbeschuumltzerslsquo und sbquodesignierten Thronfol-gerslsquo Hektor ndash zu einem Quartett vorzeichenhafter Ungluumlcksfaumllleaus die den Untergang Trojas besiegelten Diese motivisch-teleo-logische Zuordnung leistet erst der Betrachter Aeneas Fuumlr sie ist ndashabgesehen davon daszlig das juumlngste die Ilias beschlieszligende Ereigniszuletzt figuriert ndash68 die Chronologie und damit die Abfolge aufdem Kunstwerk sekundaumlr Mit Troilosrsquo fruumlhem Ausscheiden geraumltsogar ein Vorkommnis aus dem ersten Kriegsjahr mitten unter sol-che aus dem zehnten69 Die verbleibenden drei sbquopostiliadischenlsquoSchlachtepisoden Nr 7 bis 9 vollziehen dann zeitlich einen regel-rechten Krebsgang Als habe er danach Ausschau gehalten erkenntAeneas zuerst sich selbst wie er ndash nach Achills Ableben ndash wiederan vorderster Front kaumlmpft70 dann Memnon dessen Tod dem

39Descriptio ancilla narrationis

67) In der Ilias bekommen die Trojaner grob gesagt von Gesang 8 bis 18 militaumlrisch die Oberhand Die Kraumlfteverhaumlltnisse aumlndern sich dann entscheidendmit dem 19 Gesang dem die alexandrinischen Philologen den praumlgnanten TitelbdquoBei legung des Streitsldquo Μνιδος πρρησις) verliehen haben

68) Das 24 und letzte Buch der Ilias heiszligt in der antiken Uumlberlieferung be-zeichnenderweise κτορος λσις vgl Anm 67

69) Nach Homer liegt auch die Episode Nr 5 sbquoBittgang der Trojanerinnenzum Athenatempellsquo (Il 6) zeitlich vor der Episode Nr 3 sbquoTod des Rhesuslsquo (Il 10)Da konkret das Palladion angesprochen ist (Verg Aen 1482) klingt zugleich des-sen Raub mit an der dem epischen Kyklos zufolge eine weitere unabdingbare Vor-aussetzung fuumlr den Untergang Trojas schafft vgl Williams 1960 149 Anm 2 Tro-ilos der Benjamin des Priamos der nach einem Orakel mindestens zwanzig Jahrealt haumltte werden muumlssen um die Stadt zu retten taucht bei Homer zwar nur einmalkurz in Il 24257 auf sein Kriegswagen aus Verg Aen 1476 findet dabei jedoch Erwaumlhnung (ansonsten sprudelt wieder ndash direkt oder indirekt ndash die Quelle des Kyklos) vgl Fo 1990 Hektor schlieszliglich traumlgt einen sprechenden (von χειν abge-leiteten) Namen ndash bdquoHector the prop or stay of Troyldquo (LSJ s v) ndash und wird ganz amEnde der Ilias (Hom Il 24725ndash732a ) von seiner Witwe Andromache noch einmalprononciert zum (einstmaligen) Garanten fuumlr das Uumlberleben Trojas stilisiert vgldiesbezuumlglich noch die Stellen Il 5472ndash474 6403 und 22379ndash384 sowie Knauer1964 349 der ebenfalls Vergils Hektor-Szene (Aen 1483ndash487) mit den vorange-gangenen drei (1469ndash482) zu einem Quartett vereint

70) Uumlberzeugend hat Clay 1988 204 darauf verwiesen daszlig bdquoAeneas can beseen engaged in battle with the mightiest of the Achaeans only because Achilles isdeadldquo denn Poseidon der im 20 Gesang der Ilias Aeneas entruumlckt damit er nichtvon Achill getoumltet wird sondern kuumlnftig uumlber die Trojaner herrschen kann macht

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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Page 26: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Achills unmittelbar vorausgeht und schlieszliglich Penthesileia dieebenso wie Memnon dem Peliden zum Opfer fiel71 Insgesamtzeichnen sich drei sbquowahrnehmungspsychologischelsquo Etappen ab diesich zu einem Duo (Einzelsujets Nr 1ndash2) einem Quartett (3ndash6)und einem Trio (7ndash9) formieren

Einer besonderen Erlaumluterung bedarf die Introduktion derfuumlnften Szene interea ad templum non aequae Palladis ibant [scIliades] (479) Die Referenz des temporalen Adverbs interea (sbquoin-dessenlsquo) erschlieszligt sich nicht auf Anhieb Gemaumlszlig der Ilias stehtfest daszlig die erwaumlhnte Prozession unmoumlglich gleichzeitig mit derTroilos-Tragoumldie stattfinden kann Roland Gregory Austin ver-weist daher auf die unverbindlich abgeschwaumlchte adversativ- anknuumlpfende Bedeutung die interea auch sonst in der Aeneis bis-weilen habe72 Der springende Punkt ist jedoch noch praumlziser zufassen interea steht semantisch letztlich auf einer Stufe mit dem lokalen Ausdruck parte alia der die vorangehende Bildeinheit ein-leitet (474) Vergil agiert ja auf der Ebene des Betrachters nicht aufderjenigen des Betrachteten Faktisch steht Aeneas das was sichnacheinander ereignet hat gleichzeitig ndash in mehr oder wenigergroszliger Entfernung voneinander ndash vor Augen So spricht er ndash mandarf sich vorstellen von einer deiktischen Geste begleitet ndash dasWort interea zu sich selbst und sbquosimultanisiertlsquo damit historisch-mythologisch Diachrones

Gehen wir nach diesem Exkurs noch einmal kurz ein paarSchritte zuruumlck Aus der Totale des Erzaumlhlers hatte Vers 456 sbquoproduktionsaumlsthetischelsquo Informationen uumlber das Thema und dienatuumlrliche Anordnung der Tempelabbildungen vorausgeschickt(Iliacas ex ordine pugnas) Wie wir sahen fuumlgte das nachfolgendeVerspaar 457ndash458 solche uumlber ihren zeitlichen Umfang gemessenan literarischen Quellen hinzu Die dargestellten Kriegsereignisseschoumlpften demnach neben der Ilias auch aus dem epischen Kyklosder bekanntlich alle zusammenhaumlngenden Geschehnisse vor waumlh -rend und nach dem zehnjaumlhrigen Waffengang thesaurierte Einer

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ihm ausdruumlcklich die folgende Versprechung ατ$ρ πεamp κ χιλε(ς θ)νατον καampπτμον πσπ θαρσσας δ+ πειτα μετ$ πρτοισι μ)χεσθαι ο μν γ)ρ τς σ1λλος χαι2ν ξεναρζει (Hom Il 20337ndash339)

71) Zu der dem kyklischen Epos Aithiopis zugehoumlrigen Erzaumlhlsequenz sbquoPen-thesileia Memnonlsquo vgl z B Kullmann 1992 114ndash119

72) Austin 1971 162 vgl ebd 78 (zu Verg Aen 1180) und Steacutegen 1975 218

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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Page 27: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

solchen Spannweite koumlnnen jedoch die neun Episoden die in denVersen 466 bis 493 enthalten sind nicht gerecht werden mag manauch konzedieren daszlig das letzte Kriegsjahr mit Abstand das er-eignisreichste war73 Sogar innerhalb des durch die Ilias-Handlungabgesteckten Rahmens hat der textinterne Rezipient Aeneas kei-neswegs notwendigerweise schon alles dechiffriert denn die bei-den Atriden deren Namen Vergil in Vers 458 ndash neben denjenigendes Achill und Priamos ndash zur Anspielung auf das homerische Eposdienten finden spaumlter keine gesonderte Erwaumlhnung mehr74 Fuumlrunentschluumlsselte Bildeinheiten spricht noch ein weiteres ndash undwohl noch schlagkraumlftigeres ndash Argument Unter dieser Vorausset-zung eruumlbrigt sich naumlmlich die laumlstige Frage warum eine Troja sagedie an einem Tempel der Juno prangte ausgerechnet deren suumlszlige-sten Triumph die Eroberung der ihr verhaszligten Stadt ausgesparthaben sollte Viel einleuchtender wirkt ein Kontinuum das denweiteren Handlungsverlauf miteinbezieht Aeneas kam folglichganz einfach nicht mehr dazu den finalen Todeskampf Trojas zubetrachten weil ihn Dido samt ihrem laumlrmenden Gefolge ndash kaumzufaumlllig unmittelbar nachdem er die ihr in gewisser Hinsicht aumlhn-liche Amazonenkoumlnigin Penthesileia identifiziert hatte75 ndash abruptaus seiner Versunkenheit riszlig (494ndash519)

haec dum Dardanio Aeneae miranda videnturdum stupet obtutuque haeret defixus in uno 495regina ad templum forma pulcherrima Didoincessit magna iuvenum stipante caterva

Die stoffliche Luumlcke die sich durch das sbquoHineinplatzenlsquo Didos vordem inneren Auge des durch Vergil zielgerichtet vorbereiteten

41Descriptio ancilla narrationis

73) Vgl das uumlbersichtliche Schema bdquoMakrostrukturelle Einbettung von Iliasund Odyssee in die Troia-Gesamtgeschichteldquo bei Latacz 2000 156

74) Man kann sich immerhin vorstellen daszlig Agamemnon und Menelaos alsStaffage der Bildeinheiten Nr 1 und 2 sowie Nr 7 bis 9 die allesamt Schlachtszenenenthalten (Verg Aen 1466ndash468 bzw 488ndash493) fungiert haben Zu Priamos vgloben Anm 66

75) Wie etwa schon Poumlschl 1977 179 grundsaumltzlich erkannte und Lowen-stam 199394 43 f und Putnam 1998 256 detaillierter herausarbeiten nutzt Vergildurch sprachliche und motivische Verknuumlpfungen die Schluszligstellung der Penthesi-leia-Episode dazu um Dido auf uumlbergeordneter Erzaumlhlebene mit der Amazonen -koumlnigin zu parallelisieren

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

42 Har tmut Wul f ram

76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

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Page 28: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

dann aber sbquoenttaumluschtenlsquo Lesers auftut wird Aeneas spaumlter selberschlieszligen wenn er im zweiten Buch des Epos als sbquosekundaumlrer Er-zaumlhlerlsquo einer Iliupersis brilliert76

Wir koumlnnen somit festhalten daszlig in den zuletzt untersuchtenVersen 466ndash493 die fiktionale Betrachtung hinsichtlich Abfolgeund Zahl der Szenen von ihrem fiktionalen Gegenstand abweichtIm Vergleich zu Achills Kampfschild aus dem 18 Gesang der Iliasdem Archetypen einer epischen Bildbeschreibung welche ndash demSchmied Hephaistos sozusagen uumlber die Schultern schauend ndash demHerstellungsprozeszlig folgt sowie im Vergleich zu Kunstwerken dievon der nachhomerischen Hexameterdichtung direkt beschriebenwerden bleibt der Gesamtaufbau vage Vergils Trojazyklus laumlszligtsich nicht quasi archaumlologisch rekonstruieren77

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76) Aeneas ergreift auf die nachdruumlckliche Bitte seiner Gastgeberin hin dasWort die neben einer Iliupersis (= Verg Aen 2) auch einen Nostos (= Aen 3) vonihm houmlren moumlchte vgl 1753ndash756 und ndash daran uumlber die Buchrollengrenze hinwegdirekt anschlieszligend ndash 21ndash13a Vom Standpunkt der sbquoErotogeneselsquo aus laumlszligt sich ver-einfacht sagen Der Zyklus der Tempelbilder nimmt Aeneas fuumlr Dido ein die sbquoApo-logoilsquo (= Aen 2ndash3) umgekehrt Dido fuumlr Aeneas Zu diesen beiden Trojaerzaumlhlun-gen die sich ndash einen textinternen Medienwechsel vom Bild zum gesprochenen Wortvollziehend ndash zu einem chronologisch aufeinander aufbauenden Paar formierenvgl Putnam 1998 258ndash263 Interessanterweise ist fuumlr den Leser in Buch 6 ein ver-gleichbarer Zweischritt aus sbquoenttaumluschter Erwartunglsquo und sbquonachtraumlglicher Erfuumll-lunglsquo angelegt Wie Holzberg 2006 177 ausfuumlhrt duumlrfte Aeneas durch die AnkunftAchatesrsquo und der Sibylle daran gehindert werden auf den von Daedalus bebilder-ten Tuumlrfluumlgeln des Apollotempels in Cumae (Aen 6 14ndash41) eine Szene zu dechiff -rieren bdquoin der Ariadne sich auf Naxos von Theseus verlassen sieht [ ] wahr-scheinlich haumltte sich der Held wenn ihm Gelegenheit zur Betrachtung einer Darstellung von Ariadne auf Naxos gegeben worden waumlre schmerzlich an die vonihm verlassene Dido erinnert Doch der Kummer der ihm jetzt noch erspart bleibtwird ihm dann bei seinem Gang durch die Unterwelt bereitet Dort begegnet ihmdie Koumlnigin sogar in eigener Gestalt und das ist fuumlr Aeneas noch leidvoller als wennnur ein Bild seine Gedanken auf sie gelenkt haumltte [ ]ldquo

77) Grundsaumltzliche Einwaumlnde gegen derartige Rekonstruktionsversuche er-heben etwa schon Szantyr 1970 28 und Leach 1988 312 Dadurch wird natuumlrlichnicht bestritten daszlig Vergils Phantasie unter dem Einfluszlig zeitgenoumlssischer Bilder-zyklen stand vgl dazu oben S 31 f Anders verhaumllt es sich mit dem Schild Achills(Hom Il 18478ndash608) Wieviele Probleme die Waffe auch der archaumlologischen For-schung aufgeben mag (vgl Simon 1995 123ndash133 Arnulf 2004 24ndash28) ihr Bildpro-gramm kann visualisiert werden wie die anschauliche Zeichnung von Willcock1984 270 (vgl ebd den Kommentar 269ndash272) belegt Dem liegt gewissermaszligen dieRelation sbquoHerstellung = hergestellter Gegenstandlsquo zugrunde (man vergleiche etwadie Doppelvalenz uumlber die im Deutschen das Wort sbquoSchoumlpfunglsquo als ein nomen ac-tionis und nomen rei actae verfuumlgt) waumlhrend fuumlr Vergils Trojazyklus sbquoBetrachtung

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

Zitierte oder angefuumlhrte Literatur

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46 Har tmut Wul f ram

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47Descriptio ancilla narrationis

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48 Har tmut Wul f ram

Page 29: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

III Resuumlmee und Ausblick

Meine Textanalyse ist damit an ihr Ende gelangt Sie sollte ver-deutlichen daszlig im ersten Buch der Aeneis die Karthago-Sequenzder Verse 418 bis 493 eine nicht zu trennende narrative Einheit bil-det die sich ndash in einer bis dahin in der antiken Dichtung einzig -artigen Weise ndash um die visuellen Impressionen des Helden und ihreVerarbeitung dreht78 Sie erweist sich weder in einem ihrer vierdeutlich markierten Unterabschnitte die zoomartig immer kleine-re Raumlume fokussieren (418ndash440 441ndash452 453ndash465 466ndash493)noch insgesamt als ein bloszlig deskriptiver Exkurs an dessen Endedie Narratio lediglich wieder einsetzt wo sie zuvor unterbrochenworden war79 Fuumlr die Zwischenzeit gilt es vielmehr die folgendeEntwicklungslinie zu konstatieren Aeneas kommt mit Dido nichtnur raumlumlich zusammen er wird dadurch daszlig er einschlaumlgige Gemeinsamkeiten zu sehen glaubt auch emotional fuumlr die Liebes-beziehung praumldisponiert die er spaumlter im vierten Buch der Aeneismit der Stadtgruumlnderin eingehen wird Das aufbluumlhende Karthagospiegelt ihm eine beneidenswerte Zukunft vor wie er sie fuumlr das eigene unbehaust gewordene Volk erstrebt80 die Tempelbilder

43Descriptio ancilla narrationis

betrachteter Gegenstandlsquo gilt Die poetischen Beschreibungen von Kunstwerkenzwischen Homer und Vergil auf die oben angespielt wurde (Hesiod ApolloniosRhodios Theokrit Moschos Catull) hat in immer noch grundlegender WeiseFriedlaumlnder 1912 8ndash18 (erweiterter Neudruck 1969) analysiert vgl auch Fantuzzi1997 943 f

78) Wenn Putnam 1998 243 mit Blick auf den letzten Teilabschnitt (1466ndash493) Vergils innovative Leistung kurz gebuumlhrend herausstellt ndash bdquothis is the first in-stance in ancient letters where the narrator has us lsquoseersquo an artifact through the eyesof his protagonistldquo ndash so kann dies mutatis mutandis auf den gesamten Passus bzwweitere Teile davon ausgedehnt werden

79) Theoretiker aus verschiedenen Epochen haben das Verhaumlltnis von Narra-tio und Descriptio auf solch allzu schematische Weise bestimmt und dabei gleichsamdie sbquowegestrukturellelsquo Grundbedeutung des Wortes excursus zugrundegelegt vglGraf 1995 151 und Reitz 1997 945 f (jeweils mit Bezug auf Quint inst 4312ndash13)sowie weiter ausgreifend Fowler 1991 25ndash27 bdquoSet-piece description is regularlyseen by narratologists as the paradigm example of narrative pause in the semi-tech-nical sense of a passage at the level of narration to which nothing corresponds at thelevel of story The plot does not advance but something is described [ ] Clearlynarration often continues through a description (there is rarely a complete pause)and the description may occasion reactions in participants important for the plotldquo

80) Ungeachtet ihrer sonstigen Ignoranz gegenuumlber der punischen Sprachewaren die Roumlmer daruumlber orientiert daszlig Carthago etymologisch so viel wie sbquoNeu-stadtlsquo bedeutet vgl Cagravessola 1984 681 Maltby 1991 111 s v

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

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81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

Zitierte oder angefuumlhrte Literatur

Arnulf 2004 A Arnulf Architektur- und Kunstbeschreibungen von der Antike biszum 16 Jahrhundert Berlin 2004

Asmuth 2001 B Asmuth Monolog monologisch in G Ueding (Hrsg) Histo -risches Woumlrterbuch der Rhetorik 5 Tuumlbingen 2001 1458ndash1476

Auhagen 1999 U Auhagen Der Monolog bei Ovid Tuumlbingen 1999Austin 1971 P Vergili Maronis Aeneidos liber primus with a Commentary by

R G Austin Oxford 1971Baldus 2004 H R Baldus Karthagische Muumlnzen in Hannibal ad portas 294ndash313Barchiesi 1967 M Barchiesi Arte del prologo e arte della transizione Studi Dante-

schi 44 1967 115ndash207Barchiesi 1992 P Ovidii Nasonis epistulae Heroidum 1ndash3 a cura di A Barchiesi

Firenze 1992Barchiesi 1997 A Barchiesi Virgilian narrative ecphrasis in C Martindale (Hrsg)

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eacutetabli traduit par B Liou et M Zuinghedau commenteacute par M-T Cam Paris1995 47ndash182

Cagravessola 1984 F Cagravessola Cartagine (Carthago) Enciclopedia Virgiliana I (1984)680ndash682

Clay 1988 D Clay The Archaeology of the Temple to June in Carthage(Aen 1466ndash93) CPh 83 1988 195ndash205

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Della Corte 1972 F Della Corte La mappa dellrsquoEneide Firenze 1972Della Corte 1984 F Della Corte Ape (apis) Enciclopedia Virgiliana I (1984) 211ndash

214DrsquoIppolito 1987 G DrsquoIppolito Odissea Enciclopedia Virgiliana III (1987) 821ndash

826Downey 1959 G Downey Ekphrasis RAC IV (1959) 921ndash944Eigler 1998 U Eigler Augusteische Repraumlsentationskunst als Text Zum Problem

der Erzaumlhlbarkeit von bildender Kunst in augusteischer Dichtung am Beispieldes Schildes des Aeneas Gymnasium 105 1998 289ndash305

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(1997) 942ndash945Fedeli 1997 P Fedeli Q Orazio Flacco le opere II tomo quarto le epistole lrsquoarte

poetica commento Roma 1997Fo 1990 A Fo Troilo Enciclopedia Virgiliana V (1990) 294ndash295Fowler 1991 D P Fowler Narrate and Describe The Problem of Ekphrasis JRS

81 1991 25ndash35Friedlaumlnder 1912 P Friedlaumlnder Johannes von Gaza Paulus Silentiarius und Pro-

kopios von Gaza Kunstbeschreibungen justinianischer Zeit Mit Berichti-gungen und Zusaumltzen zum Nachdruck (1912 1939) Hildesheim New York1969

Fuhrmann 1992 M Fuhrmann Die Dichtungstheorie der Antike Aristoteles Horaz Longin Darmstadt 21992

46 Har tmut Wul f ram

Galsterer 1997 H Galsterer Coloniae DNP III (1997) 76ndash85Genette 197677 G Genette Boundaries of Narrative New Literary History 8

197677 1ndash13 (zuerst frz Frontiegraveres du reacutecit in Figures II Paris 1969)Glei 1991 R Glei Der Vater der Dinge Interpretationen zur politischen litera -

rischen und kulturellen Dimension des Krieges bei Vergil Trier 1991Graf 1995 F Graf Ekphrasis Die Entstehung der Gattung in der Antike in

G Boehm H Pfotenhauer (Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschrei-bung Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 143ndash155

Guumlnther 2001 L M Guumlnther Muumlnzen machen Geschichte Rubin 2001 1 48ndash52Hannibal ad portas 2004 Hannibal ad portas Macht und Reichtum Karthagos

hrsg vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe Stuttgart 2004Haupt 2004 B Haupt Zur Analyse des Raums in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung

in die Erzaumlhltextanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 69ndash87Heinze 1915 R Heinze Vergils epische Technik Leipzig Berlin 31915Houmlcker 2001 C Houmlcker Steinbruch DNP XI (2001) 941ndash943Houmlckmann 2004 O Houmlckmann Zum Seewesen der Karthager in Hannibal ad

portas 96ndash105Holzberg 2006 N Holzberg Vergil Der Dichter und sein Werk Muumlnchen 2006Huumlnemoumlrder 1997 C Huumlnemoumlrder Biene DNP II (1997) 648ndash650Huszlig 1985 W Huszlig Geschichte der Karthager (HdAW III 8) Muumlnchen 1985Jacques Scheid 1998 F Jacques J Scheid Rom und das Reich in der Hohen

Kai serzeit (44 v Chr ndash 260 n Chr) 1 Die Struktur des Reiches Stuttgart Leipzig 1998

Knauer 1964 G N Knauer Die Aeneis und Homer Studien zur poetischen Tech-nik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis Goumlttingen 1964

Kuumlhner Stegmann 1914 R Kuumlhner C Stegmann Ausfuumlhrliche Grammatik der lateinischen Sprache Satzlehre 2 Bde Hannover 21914

Kullmann 1992 W Kullmann Ergebnisse der motivgeschichtlichen Forschung zuHomer (Neoanalyse) in W Kullmann Homerische Motive Beitraumlge zurEntstehung Eigenart und Wirkung von Ilias und Odyssee hrsg vonR J Muumlller Stuttgart 1992 100ndash134

Ladewig 1867 Vergilrsquos Gedichte Aeneide Buch IndashVI erklaumlrt von T Ladewig Ber-lin 51867

Latacz 2000 J Latacz Zur Struktur der Ilias in J Latacz (Hrsg) Homers IliasGesamtkommentar Prolegomena Muumlnchen Leipzig 2000 145ndash157

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Maltby 1991 R Maltby A Lexicon of Ancient Etymologies Leeds 1991Martinez Scheffel 2002 Matias Martinez Michael Scheffel Einfuumlhrung in die Er-

zaumlhltheorie Muumlnchen 32002Muumlller 2002 H-P Muumlller Tinnit DNP XII 1 (2002) 605ndash606Mynors 1969 P Vergili Maronis opera recognovit brevique adnotatione critica in-

struxit R A B Mynors Oxford 1969Niemeyer 1993 H G Niemeyer Die Stadt Karthago in Vergils Aeneis AU 36 2

1993 41ndash50Niemeyer 1999 H G Niemeyer Karthago DNP VI (1999) 295ndash301

47Descriptio ancilla narrationis

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Paratore 1978 Virgilio Eneide 1 (libri IndashII) a cura di E Paratore traduzione diL Canali Milano 1978

Poumlschl 1977 V Poumlschl Die Dichtkunst Virgils Bild und Symbol in der Aumlneis Ber-lin New York 31977

Putnam 1998 M C J Putnam Didorsquos Murals and Virgilian Ekphrasis HSPh 981998 243ndash275

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Ravenna 1985 G Ravenna Ekphrasis Enciclopedia Virgiliana II (1985) 183ndash185Reitz 1997 C Reitz Ekphrasis I Literatur B Lateinisch DNP III (1997) 945ndash947Romano 1997 E Romano Libro settimo in Vitruvio De architectura a cura di

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Scagliarini Corlagraveita 1987 D Scagliarini Corlagraveita magalia mapalia EnciclopediaVirgiliana III (1987) 309ndash311

Scagliarini Corlagraveita 1990 D Scagliarini Corlagraveita Tempio Enciclopedia Virgiliana V(1990) 80ndash86

Schmid 2005 W Schmid Elemente der Narratologie Berlin New York 2005Schmit-Neuerburg 1999 T Schmit-Neuerburg Vergils Aeneis und die Homerex -

egese Untersuchungen zum Einfluszlig ethischer und kritischer Homerrezep -tion auf imitatio und aemulatio Vergils Berlin New York 1999

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Speranza 1984 F Speranza Acate Enciclopedia Virgiliana I (1984) 8ndash9Steacutegen 1975 G Steacutegen Virgile le livre I de lrsquoEacuteneacuteide texte latin avec un plan deacutetailleacute

et un commentaire critique et explicatif Namur 1975Stocker 2000 P Stocker Innerer Monolog in H Fricke (Hrsg) Reallexikon der

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48 Har tmut Wul f ram

Page 30: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

eine verklaumlrende Sicht auf die Vergangenheit die mit trojanischerGeschichtsdeutung uumlbereinstimmt Danach freilich daszlig Aeneasspaumltestens bei dem erneuten Stadtrundgang den er dann unter derFuumlhrung der Koumlnigin unternimmt (474ndash75)81 erfahren habenmuszlig wer die Herrin des Heiligtums ist darf man angesichts der logischen Freiheiten eines mythologischen Epos ebensowenig fra-gen wie danach daszlig er sich im Gespraumlch mit Ascanius alsbald daruumlber gewundert haben muszlig wer da eigentlich an des SohnesStelle bei Didos Festmahl zugegen gewesen war (1657ndash722)

Nur wenige Jahre nach der Veroumlffentlichung der Aeneis wirdHoraz in seiner Epistula ad Pisones die unter zeitgenoumlssischen Epi-kern weit verbreitete Sitte thematisieren ihren Werken die sichprogrammatisch mit erhabenen Stoffen befaszligten durch Descrip-tiones zusaumltzliche Glanzlichter aufsetzen zu wollen (ars 14ndash19a)

inceptis gravibus plerumque et magna professispurpureus late qui splendeat unus et alter 15adsuitur pannus cum lucus et ara Dianaeet properantis aquae per amoenos ambitus agrosaut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcussed nunc non erat his locus82

Hain und Altar der Diana ein Bach der sich durch liebliche Auenschlaumlngelt der Rheinstrom oder ein Regenbogen erfuumlhren so ein-laumlszligliche Schilderungen (16bndash18) Horaz geiszligelt sie als angeflicktePurpurlappen (15ndash16a) die voumlllig deplaziert seien (19a) Er wendetsich also nicht grundsaumltzlich gegen epische Descriptiones sondernnur gegen solche die als Fremdkoumlrper der sbquoOrganizitaumltlsquo desGanzen schadeten83 Von den vier anonymen Negativbeispielendie Horaz anfuumlhrt stammt bezeichnenderweise keines von seinem

44 Har tmut Wul f ram

81) Wenn Karthago 475 als urbs parata bezeichnet wird so zielt dies nichtetwa wie Niemeyer 1993 45 meint auf den fertiggestellten Zustand der Stadt ab(wie wir gesehen haben befindet sie sich ja erst noch im Aufbau) sondern auf dasverfuumlhrerische Potential das sie fuumlr den zermuumlrbten sbquoNeue-Heimat-Sucherlsquo Aeneashaben muszlig Wie eine verbotene Frucht erscheint sie ihm zum Greifen nahe liegtgleichsam fuumlr ihn bereit

82) Zu Einzelheiten der Passage vgl die ausfuumlhrlichen Kommentare vonBrink 1971 93ndash99 und Fedeli 1997 1470ndash1472

83) Das horazische Gebot der bdquoEinheit und Ganzheit des poetischen Wer-kesldquo wird etwa von Fuhrmann 1992 129 f naumlher beleuchtet

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

Zitierte oder angefuumlhrte Literatur

Arnulf 2004 A Arnulf Architektur- und Kunstbeschreibungen von der Antike biszum 16 Jahrhundert Berlin 2004

Asmuth 2001 B Asmuth Monolog monologisch in G Ueding (Hrsg) Histo -risches Woumlrterbuch der Rhetorik 5 Tuumlbingen 2001 1458ndash1476

Auhagen 1999 U Auhagen Der Monolog bei Ovid Tuumlbingen 1999Austin 1971 P Vergili Maronis Aeneidos liber primus with a Commentary by

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schi 44 1967 115ndash207Barchiesi 1992 P Ovidii Nasonis epistulae Heroidum 1ndash3 a cura di A Barchiesi

Firenze 1992Barchiesi 1997 A Barchiesi Virgilian narrative ecphrasis in C Martindale (Hrsg)

The Cambridge Companion to Virgil Cambridge 1997 271ndash281Brink 1971 C O Brink Horace on Poetry The Ars Poetica Cambridge 1971Cam 1995 M-T Cam Commentaire in Vitruve de lrsquoarchitecture livre VII Texte

eacutetabli traduit par B Liou et M Zuinghedau commenteacute par M-T Cam Paris1995 47ndash182

Cagravessola 1984 F Cagravessola Cartagine (Carthago) Enciclopedia Virgiliana I (1984)680ndash682

Clay 1988 D Clay The Archaeology of the Temple to June in Carthage(Aen 1466ndash93) CPh 83 1988 195ndash205

De Jong 2001 I De Jong A Narratological Commentary on the Odyssey Cam-bridge 2001

Della Corte 1972 F Della Corte La mappa dellrsquoEneide Firenze 1972Della Corte 1984 F Della Corte Ape (apis) Enciclopedia Virgiliana I (1984) 211ndash

214DrsquoIppolito 1987 G DrsquoIppolito Odissea Enciclopedia Virgiliana III (1987) 821ndash

826Downey 1959 G Downey Ekphrasis RAC IV (1959) 921ndash944Eigler 1998 U Eigler Augusteische Repraumlsentationskunst als Text Zum Problem

der Erzaumlhlbarkeit von bildender Kunst in augusteischer Dichtung am Beispieldes Schildes des Aeneas Gymnasium 105 1998 289ndash305

Erren 2003 M Erren P Vergilius Maro Georgica 2 Kommentar Heidelberg 2003Fantuzzi 1997 M Fantuzzi Ekphrasis I Literatur A Griechisch NPauly III

(1997) 942ndash945Fedeli 1997 P Fedeli Q Orazio Flacco le opere II tomo quarto le epistole lrsquoarte

poetica commento Roma 1997Fo 1990 A Fo Troilo Enciclopedia Virgiliana V (1990) 294ndash295Fowler 1991 D P Fowler Narrate and Describe The Problem of Ekphrasis JRS

81 1991 25ndash35Friedlaumlnder 1912 P Friedlaumlnder Johannes von Gaza Paulus Silentiarius und Pro-

kopios von Gaza Kunstbeschreibungen justinianischer Zeit Mit Berichti-gungen und Zusaumltzen zum Nachdruck (1912 1939) Hildesheim New York1969

Fuhrmann 1992 M Fuhrmann Die Dichtungstheorie der Antike Aristoteles Horaz Longin Darmstadt 21992

46 Har tmut Wul f ram

Galsterer 1997 H Galsterer Coloniae DNP III (1997) 76ndash85Genette 197677 G Genette Boundaries of Narrative New Literary History 8

197677 1ndash13 (zuerst frz Frontiegraveres du reacutecit in Figures II Paris 1969)Glei 1991 R Glei Der Vater der Dinge Interpretationen zur politischen litera -

rischen und kulturellen Dimension des Krieges bei Vergil Trier 1991Graf 1995 F Graf Ekphrasis Die Entstehung der Gattung in der Antike in

G Boehm H Pfotenhauer (Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschrei-bung Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 143ndash155

Guumlnther 2001 L M Guumlnther Muumlnzen machen Geschichte Rubin 2001 1 48ndash52Hannibal ad portas 2004 Hannibal ad portas Macht und Reichtum Karthagos

hrsg vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe Stuttgart 2004Haupt 2004 B Haupt Zur Analyse des Raums in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung

in die Erzaumlhltextanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 69ndash87Heinze 1915 R Heinze Vergils epische Technik Leipzig Berlin 31915Houmlcker 2001 C Houmlcker Steinbruch DNP XI (2001) 941ndash943Houmlckmann 2004 O Houmlckmann Zum Seewesen der Karthager in Hannibal ad

portas 96ndash105Holzberg 2006 N Holzberg Vergil Der Dichter und sein Werk Muumlnchen 2006Huumlnemoumlrder 1997 C Huumlnemoumlrder Biene DNP II (1997) 648ndash650Huszlig 1985 W Huszlig Geschichte der Karthager (HdAW III 8) Muumlnchen 1985Jacques Scheid 1998 F Jacques J Scheid Rom und das Reich in der Hohen

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struxit R A B Mynors Oxford 1969Niemeyer 1993 H G Niemeyer Die Stadt Karthago in Vergils Aeneis AU 36 2

1993 41ndash50Niemeyer 1999 H G Niemeyer Karthago DNP VI (1999) 295ndash301

47Descriptio ancilla narrationis

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Poumlschl 1977 V Poumlschl Die Dichtkunst Virgils Bild und Symbol in der Aumlneis Ber-lin New York 31977

Putnam 1998 M C J Putnam Didorsquos Murals and Virgilian Ekphrasis HSPh 981998 243ndash275

Quinkertz 2004 U Quinkertz Zur Analyse des Erzaumlhlmodus und verschiedenerFormen der Figurenrede in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung in die Erzaumlhl-textanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 141ndash161

Ratkowitsch 1991 C Ratkowitsch Descriptio picturae Die literarische Funktionder Beschreibung von Kunstwerken in der lateinischen Groszligdichtung des 12 Jahrhunderts Wien 1991

Ravenna 1985 G Ravenna Ekphrasis Enciclopedia Virgiliana II (1985) 183ndash185Reitz 1997 C Reitz Ekphrasis I Literatur B Lateinisch DNP III (1997) 945ndash947Romano 1997 E Romano Libro settimo in Vitruvio De architectura a cura di

P Gros traduzione e commento di A Corso e E Romano 2 Bde Torino1997 1009ndash1097

Scagliarini Corlagraveita 1987 D Scagliarini Corlagraveita magalia mapalia EnciclopediaVirgiliana III (1987) 309ndash311

Scagliarini Corlagraveita 1990 D Scagliarini Corlagraveita Tempio Enciclopedia Virgiliana V(1990) 80ndash86

Schmid 2005 W Schmid Elemente der Narratologie Berlin New York 2005Schmit-Neuerburg 1999 T Schmit-Neuerburg Vergils Aeneis und die Homerex -

egese Untersuchungen zum Einfluszlig ethischer und kritischer Homerrezep -tion auf imitatio und aemulatio Vergils Berlin New York 1999

Simon 1982 E Simon Vergil und die Bildkunst Maia 34 1982 203ndash217Simon 1995 E Simon Der Schild des Achilleus in G Boehm H Pfotenhauer

(Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschreibung Ekphrasis von der Anti-ke bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 123ndash141

Speranza 1984 F Speranza Acate Enciclopedia Virgiliana I (1984) 8ndash9Steacutegen 1975 G Steacutegen Virgile le livre I de lrsquoEacuteneacuteide texte latin avec un plan deacutetailleacute

et un commentaire critique et explicatif Namur 1975Stocker 2000 P Stocker Innerer Monolog in H Fricke (Hrsg) Reallexikon der

deutschen Literaturwissenschaft 2 Berlin New York 2000 148ndash149Suerbaum 1999 W Suerbaum Vergils Aeneis Epos zwischen Geschichte und Ge-

genwart Stuttgart 1999Szantyr 1970 A Szantyr Bemerkungen zum Aufbau der Vergilischen Ekphrasis

MH 27 1970 28ndash40von Albrecht 1964 M von Albrecht Die Parenthese in Ovids Metamorphosen und

ihre dichterische Funktion Hildesheim 1964Wandhoff 2003 H Wandhoff Ekphrasis Kunstbeschreibungen und virtuelle

Raumlume in der Literatur des Mittelalters Berlin New York 2003Willcock 1984 The Iliad of Homer books XIIIndashXXIV Edited with Introduction

and Commentary by M M Willcock Basingstoke u a 1984Williams 1960 R D Williams The Pictures on Didorsquos Temple (Aeneid 1 450ndash93)

CQ 54 1960 145ndash151Williams 1968 G Williams Tradition and Originality in Roman Poetry Oxford 1968

48 Har tmut Wul f ram

Page 31: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Freund Vergil Stadt und Tempel der Dido durch die ich den ge-neigten Leser oben gefuumlhrt habe vermoumlgen in der Tat exemplarischzu zeigen daszlig fuumlr Roms groumlszligten Epiker auch ausgedehnte Be-schreibungen nicht zum Selbstzweck geraten Uumlber das von mirweitgehend sbquoimmanentlsquo Dargelegte hinaus lieszligen sich sogar nochweitere narrative Dimensionen aufzeigen Zuvorderst waumlren hierintratextuelle Fernbezuumlge zu den latinischen Kaumlmpfen der zweitenEposhaumllfte zu nennen84 sowie intertextuelle zu Odysseusrsquo Aufent-halt bei den Phaumlaken85 Da in dem untersuchten Passus sbquoEkphrasislsquonicht als autonome Kategorie in Erscheinung tritt86 erweist sichdie eingangs erwaumlhnte Forschungskontroverse um ihren exaktenUmfang als zweitrangig87 In Vergils Aeneis geht wohl jede Be-schreibung in einer uumlbergeordneten Erzaumlhlstrategie auf88 sie wirktnicht von auszligen appliziert sondern wie ein integraler Teil des Gesamtgewebes sie dient ndash um mit einem Bonmot des Erzaumlhl-theoretikers Geacuterard Genette zu schlieszligen ndash als Magd einer houmlhe-ren Instanz Descriptio ancilla narrationis89

Bielefeld Har tmut Wul f ram

45Descriptio ancilla narrationis

84) Vgl Knauer 1964 305ndash309 328ndash329 349ndash350 Clay 1988 203ndash205 Glei1991 131 und Lowenstam 199394 passim

85) Vgl Knauer 1964 148ndash173 DrsquoIppolito 1987 822ndash823 Clay 1988 197 fPutnam 1998 268ndash275

86) Als eigenstaumlndige griechische Literaturgattung entsteht die sbquoEkphrasislsquo ndashauf einschlaumlgigen rhetorischen Progymnasmata fuszligend ndash erst waumlhrend der soge-nannten sbquoZweiten Sophistiklsquo und bluumlht dann insbesondere in justinianischer Zeitvgl Friedlaumlnder 1912 passim Graf 1995 bes 153 f und kurz Fantuzzi 1997 943945

87) Es sei nebenbei bemerkt daszlig die Anfaumlnge der vier Unterabschnitte nachdenen die obige Textanalyse gegliedert ist ndash1418ndash440 (= II1) 441ndash452 (II2) 453ndash465 (II3) 466ndash493 (II4) ndash in etwa mit den vier Hauptstellen uumlbereinstimmen andenen die verschiedenen Forscher die sbquoEkphrasislsquo einsetzen lassen vgl Anm 1

88) Erstmals eingehender dargelegt hat dies vor nunmehr schon rund hun-dert Jahren Heinze 1915 396ndash403 vgl Ravenna 1985 dessen Artikel einen in-struktiven Kurzuumlberblick uumlber die verschiedenen sbquoEkphrasenlsquo Vergils gibt sowiedie exemplarischen Einzelinterpretationen von Eigler 1998 (Schild des Aeneas) undSuerbaum 1999 349ndash352 (Schwertgurt des Pallas)

89) Genette 197677 6 dem es ebenso wie Fowler 1991 26 f und Schmid2005 17 f unter anderem darum geht zu unterstreichen daszlig eine Narration nurtheoretisch nicht aber praktisch ohne deskriptive Elemente auskommen kann

Zitierte oder angefuumlhrte Literatur

Arnulf 2004 A Arnulf Architektur- und Kunstbeschreibungen von der Antike biszum 16 Jahrhundert Berlin 2004

Asmuth 2001 B Asmuth Monolog monologisch in G Ueding (Hrsg) Histo -risches Woumlrterbuch der Rhetorik 5 Tuumlbingen 2001 1458ndash1476

Auhagen 1999 U Auhagen Der Monolog bei Ovid Tuumlbingen 1999Austin 1971 P Vergili Maronis Aeneidos liber primus with a Commentary by

R G Austin Oxford 1971Baldus 2004 H R Baldus Karthagische Muumlnzen in Hannibal ad portas 294ndash313Barchiesi 1967 M Barchiesi Arte del prologo e arte della transizione Studi Dante-

schi 44 1967 115ndash207Barchiesi 1992 P Ovidii Nasonis epistulae Heroidum 1ndash3 a cura di A Barchiesi

Firenze 1992Barchiesi 1997 A Barchiesi Virgilian narrative ecphrasis in C Martindale (Hrsg)

The Cambridge Companion to Virgil Cambridge 1997 271ndash281Brink 1971 C O Brink Horace on Poetry The Ars Poetica Cambridge 1971Cam 1995 M-T Cam Commentaire in Vitruve de lrsquoarchitecture livre VII Texte

eacutetabli traduit par B Liou et M Zuinghedau commenteacute par M-T Cam Paris1995 47ndash182

Cagravessola 1984 F Cagravessola Cartagine (Carthago) Enciclopedia Virgiliana I (1984)680ndash682

Clay 1988 D Clay The Archaeology of the Temple to June in Carthage(Aen 1466ndash93) CPh 83 1988 195ndash205

De Jong 2001 I De Jong A Narratological Commentary on the Odyssey Cam-bridge 2001

Della Corte 1972 F Della Corte La mappa dellrsquoEneide Firenze 1972Della Corte 1984 F Della Corte Ape (apis) Enciclopedia Virgiliana I (1984) 211ndash

214DrsquoIppolito 1987 G DrsquoIppolito Odissea Enciclopedia Virgiliana III (1987) 821ndash

826Downey 1959 G Downey Ekphrasis RAC IV (1959) 921ndash944Eigler 1998 U Eigler Augusteische Repraumlsentationskunst als Text Zum Problem

der Erzaumlhlbarkeit von bildender Kunst in augusteischer Dichtung am Beispieldes Schildes des Aeneas Gymnasium 105 1998 289ndash305

Erren 2003 M Erren P Vergilius Maro Georgica 2 Kommentar Heidelberg 2003Fantuzzi 1997 M Fantuzzi Ekphrasis I Literatur A Griechisch NPauly III

(1997) 942ndash945Fedeli 1997 P Fedeli Q Orazio Flacco le opere II tomo quarto le epistole lrsquoarte

poetica commento Roma 1997Fo 1990 A Fo Troilo Enciclopedia Virgiliana V (1990) 294ndash295Fowler 1991 D P Fowler Narrate and Describe The Problem of Ekphrasis JRS

81 1991 25ndash35Friedlaumlnder 1912 P Friedlaumlnder Johannes von Gaza Paulus Silentiarius und Pro-

kopios von Gaza Kunstbeschreibungen justinianischer Zeit Mit Berichti-gungen und Zusaumltzen zum Nachdruck (1912 1939) Hildesheim New York1969

Fuhrmann 1992 M Fuhrmann Die Dichtungstheorie der Antike Aristoteles Horaz Longin Darmstadt 21992

46 Har tmut Wul f ram

Galsterer 1997 H Galsterer Coloniae DNP III (1997) 76ndash85Genette 197677 G Genette Boundaries of Narrative New Literary History 8

197677 1ndash13 (zuerst frz Frontiegraveres du reacutecit in Figures II Paris 1969)Glei 1991 R Glei Der Vater der Dinge Interpretationen zur politischen litera -

rischen und kulturellen Dimension des Krieges bei Vergil Trier 1991Graf 1995 F Graf Ekphrasis Die Entstehung der Gattung in der Antike in

G Boehm H Pfotenhauer (Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschrei-bung Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 143ndash155

Guumlnther 2001 L M Guumlnther Muumlnzen machen Geschichte Rubin 2001 1 48ndash52Hannibal ad portas 2004 Hannibal ad portas Macht und Reichtum Karthagos

hrsg vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe Stuttgart 2004Haupt 2004 B Haupt Zur Analyse des Raums in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung

in die Erzaumlhltextanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 69ndash87Heinze 1915 R Heinze Vergils epische Technik Leipzig Berlin 31915Houmlcker 2001 C Houmlcker Steinbruch DNP XI (2001) 941ndash943Houmlckmann 2004 O Houmlckmann Zum Seewesen der Karthager in Hannibal ad

portas 96ndash105Holzberg 2006 N Holzberg Vergil Der Dichter und sein Werk Muumlnchen 2006Huumlnemoumlrder 1997 C Huumlnemoumlrder Biene DNP II (1997) 648ndash650Huszlig 1985 W Huszlig Geschichte der Karthager (HdAW III 8) Muumlnchen 1985Jacques Scheid 1998 F Jacques J Scheid Rom und das Reich in der Hohen

Kai serzeit (44 v Chr ndash 260 n Chr) 1 Die Struktur des Reiches Stuttgart Leipzig 1998

Knauer 1964 G N Knauer Die Aeneis und Homer Studien zur poetischen Tech-nik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis Goumlttingen 1964

Kuumlhner Stegmann 1914 R Kuumlhner C Stegmann Ausfuumlhrliche Grammatik der lateinischen Sprache Satzlehre 2 Bde Hannover 21914

Kullmann 1992 W Kullmann Ergebnisse der motivgeschichtlichen Forschung zuHomer (Neoanalyse) in W Kullmann Homerische Motive Beitraumlge zurEntstehung Eigenart und Wirkung von Ilias und Odyssee hrsg vonR J Muumlller Stuttgart 1992 100ndash134

Ladewig 1867 Vergilrsquos Gedichte Aeneide Buch IndashVI erklaumlrt von T Ladewig Ber-lin 51867

Latacz 2000 J Latacz Zur Struktur der Ilias in J Latacz (Hrsg) Homers IliasGesamtkommentar Prolegomena Muumlnchen Leipzig 2000 145ndash157

Leach 1988 E W Leach The Rhetoric of Space Literary and Artistic Representa-tions of Landscape in Republican and Augustan Rome Princeton New Jer-sey 1988

Lowenstam 199394 S Lowenstam The Pictures on Junorsquos Temple in the AeneidCW 87 199394 37ndash49

Maltby 1991 R Maltby A Lexicon of Ancient Etymologies Leeds 1991Martinez Scheffel 2002 Matias Martinez Michael Scheffel Einfuumlhrung in die Er-

zaumlhltheorie Muumlnchen 32002Muumlller 2002 H-P Muumlller Tinnit DNP XII 1 (2002) 605ndash606Mynors 1969 P Vergili Maronis opera recognovit brevique adnotatione critica in-

struxit R A B Mynors Oxford 1969Niemeyer 1993 H G Niemeyer Die Stadt Karthago in Vergils Aeneis AU 36 2

1993 41ndash50Niemeyer 1999 H G Niemeyer Karthago DNP VI (1999) 295ndash301

47Descriptio ancilla narrationis

Nolte 2002 P Nolte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in S Jordan (Hrsg)Lexikon Geschichtswissenschaft Hundert Grundbegriffe Stuttgart 2002134ndash137

Paratore 1978 Virgilio Eneide 1 (libri IndashII) a cura di E Paratore traduzione diL Canali Milano 1978

Poumlschl 1977 V Poumlschl Die Dichtkunst Virgils Bild und Symbol in der Aumlneis Ber-lin New York 31977

Putnam 1998 M C J Putnam Didorsquos Murals and Virgilian Ekphrasis HSPh 981998 243ndash275

Quinkertz 2004 U Quinkertz Zur Analyse des Erzaumlhlmodus und verschiedenerFormen der Figurenrede in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung in die Erzaumlhl-textanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 141ndash161

Ratkowitsch 1991 C Ratkowitsch Descriptio picturae Die literarische Funktionder Beschreibung von Kunstwerken in der lateinischen Groszligdichtung des 12 Jahrhunderts Wien 1991

Ravenna 1985 G Ravenna Ekphrasis Enciclopedia Virgiliana II (1985) 183ndash185Reitz 1997 C Reitz Ekphrasis I Literatur B Lateinisch DNP III (1997) 945ndash947Romano 1997 E Romano Libro settimo in Vitruvio De architectura a cura di

P Gros traduzione e commento di A Corso e E Romano 2 Bde Torino1997 1009ndash1097

Scagliarini Corlagraveita 1987 D Scagliarini Corlagraveita magalia mapalia EnciclopediaVirgiliana III (1987) 309ndash311

Scagliarini Corlagraveita 1990 D Scagliarini Corlagraveita Tempio Enciclopedia Virgiliana V(1990) 80ndash86

Schmid 2005 W Schmid Elemente der Narratologie Berlin New York 2005Schmit-Neuerburg 1999 T Schmit-Neuerburg Vergils Aeneis und die Homerex -

egese Untersuchungen zum Einfluszlig ethischer und kritischer Homerrezep -tion auf imitatio und aemulatio Vergils Berlin New York 1999

Simon 1982 E Simon Vergil und die Bildkunst Maia 34 1982 203ndash217Simon 1995 E Simon Der Schild des Achilleus in G Boehm H Pfotenhauer

(Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschreibung Ekphrasis von der Anti-ke bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 123ndash141

Speranza 1984 F Speranza Acate Enciclopedia Virgiliana I (1984) 8ndash9Steacutegen 1975 G Steacutegen Virgile le livre I de lrsquoEacuteneacuteide texte latin avec un plan deacutetailleacute

et un commentaire critique et explicatif Namur 1975Stocker 2000 P Stocker Innerer Monolog in H Fricke (Hrsg) Reallexikon der

deutschen Literaturwissenschaft 2 Berlin New York 2000 148ndash149Suerbaum 1999 W Suerbaum Vergils Aeneis Epos zwischen Geschichte und Ge-

genwart Stuttgart 1999Szantyr 1970 A Szantyr Bemerkungen zum Aufbau der Vergilischen Ekphrasis

MH 27 1970 28ndash40von Albrecht 1964 M von Albrecht Die Parenthese in Ovids Metamorphosen und

ihre dichterische Funktion Hildesheim 1964Wandhoff 2003 H Wandhoff Ekphrasis Kunstbeschreibungen und virtuelle

Raumlume in der Literatur des Mittelalters Berlin New York 2003Willcock 1984 The Iliad of Homer books XIIIndashXXIV Edited with Introduction

and Commentary by M M Willcock Basingstoke u a 1984Williams 1960 R D Williams The Pictures on Didorsquos Temple (Aeneid 1 450ndash93)

CQ 54 1960 145ndash151Williams 1968 G Williams Tradition and Originality in Roman Poetry Oxford 1968

48 Har tmut Wul f ram

Page 32: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Zitierte oder angefuumlhrte Literatur

Arnulf 2004 A Arnulf Architektur- und Kunstbeschreibungen von der Antike biszum 16 Jahrhundert Berlin 2004

Asmuth 2001 B Asmuth Monolog monologisch in G Ueding (Hrsg) Histo -risches Woumlrterbuch der Rhetorik 5 Tuumlbingen 2001 1458ndash1476

Auhagen 1999 U Auhagen Der Monolog bei Ovid Tuumlbingen 1999Austin 1971 P Vergili Maronis Aeneidos liber primus with a Commentary by

R G Austin Oxford 1971Baldus 2004 H R Baldus Karthagische Muumlnzen in Hannibal ad portas 294ndash313Barchiesi 1967 M Barchiesi Arte del prologo e arte della transizione Studi Dante-

schi 44 1967 115ndash207Barchiesi 1992 P Ovidii Nasonis epistulae Heroidum 1ndash3 a cura di A Barchiesi

Firenze 1992Barchiesi 1997 A Barchiesi Virgilian narrative ecphrasis in C Martindale (Hrsg)

The Cambridge Companion to Virgil Cambridge 1997 271ndash281Brink 1971 C O Brink Horace on Poetry The Ars Poetica Cambridge 1971Cam 1995 M-T Cam Commentaire in Vitruve de lrsquoarchitecture livre VII Texte

eacutetabli traduit par B Liou et M Zuinghedau commenteacute par M-T Cam Paris1995 47ndash182

Cagravessola 1984 F Cagravessola Cartagine (Carthago) Enciclopedia Virgiliana I (1984)680ndash682

Clay 1988 D Clay The Archaeology of the Temple to June in Carthage(Aen 1466ndash93) CPh 83 1988 195ndash205

De Jong 2001 I De Jong A Narratological Commentary on the Odyssey Cam-bridge 2001

Della Corte 1972 F Della Corte La mappa dellrsquoEneide Firenze 1972Della Corte 1984 F Della Corte Ape (apis) Enciclopedia Virgiliana I (1984) 211ndash

214DrsquoIppolito 1987 G DrsquoIppolito Odissea Enciclopedia Virgiliana III (1987) 821ndash

826Downey 1959 G Downey Ekphrasis RAC IV (1959) 921ndash944Eigler 1998 U Eigler Augusteische Repraumlsentationskunst als Text Zum Problem

der Erzaumlhlbarkeit von bildender Kunst in augusteischer Dichtung am Beispieldes Schildes des Aeneas Gymnasium 105 1998 289ndash305

Erren 2003 M Erren P Vergilius Maro Georgica 2 Kommentar Heidelberg 2003Fantuzzi 1997 M Fantuzzi Ekphrasis I Literatur A Griechisch NPauly III

(1997) 942ndash945Fedeli 1997 P Fedeli Q Orazio Flacco le opere II tomo quarto le epistole lrsquoarte

poetica commento Roma 1997Fo 1990 A Fo Troilo Enciclopedia Virgiliana V (1990) 294ndash295Fowler 1991 D P Fowler Narrate and Describe The Problem of Ekphrasis JRS

81 1991 25ndash35Friedlaumlnder 1912 P Friedlaumlnder Johannes von Gaza Paulus Silentiarius und Pro-

kopios von Gaza Kunstbeschreibungen justinianischer Zeit Mit Berichti-gungen und Zusaumltzen zum Nachdruck (1912 1939) Hildesheim New York1969

Fuhrmann 1992 M Fuhrmann Die Dichtungstheorie der Antike Aristoteles Horaz Longin Darmstadt 21992

46 Har tmut Wul f ram

Galsterer 1997 H Galsterer Coloniae DNP III (1997) 76ndash85Genette 197677 G Genette Boundaries of Narrative New Literary History 8

197677 1ndash13 (zuerst frz Frontiegraveres du reacutecit in Figures II Paris 1969)Glei 1991 R Glei Der Vater der Dinge Interpretationen zur politischen litera -

rischen und kulturellen Dimension des Krieges bei Vergil Trier 1991Graf 1995 F Graf Ekphrasis Die Entstehung der Gattung in der Antike in

G Boehm H Pfotenhauer (Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschrei-bung Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 143ndash155

Guumlnther 2001 L M Guumlnther Muumlnzen machen Geschichte Rubin 2001 1 48ndash52Hannibal ad portas 2004 Hannibal ad portas Macht und Reichtum Karthagos

hrsg vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe Stuttgart 2004Haupt 2004 B Haupt Zur Analyse des Raums in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung

in die Erzaumlhltextanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 69ndash87Heinze 1915 R Heinze Vergils epische Technik Leipzig Berlin 31915Houmlcker 2001 C Houmlcker Steinbruch DNP XI (2001) 941ndash943Houmlckmann 2004 O Houmlckmann Zum Seewesen der Karthager in Hannibal ad

portas 96ndash105Holzberg 2006 N Holzberg Vergil Der Dichter und sein Werk Muumlnchen 2006Huumlnemoumlrder 1997 C Huumlnemoumlrder Biene DNP II (1997) 648ndash650Huszlig 1985 W Huszlig Geschichte der Karthager (HdAW III 8) Muumlnchen 1985Jacques Scheid 1998 F Jacques J Scheid Rom und das Reich in der Hohen

Kai serzeit (44 v Chr ndash 260 n Chr) 1 Die Struktur des Reiches Stuttgart Leipzig 1998

Knauer 1964 G N Knauer Die Aeneis und Homer Studien zur poetischen Tech-nik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis Goumlttingen 1964

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Kullmann 1992 W Kullmann Ergebnisse der motivgeschichtlichen Forschung zuHomer (Neoanalyse) in W Kullmann Homerische Motive Beitraumlge zurEntstehung Eigenart und Wirkung von Ilias und Odyssee hrsg vonR J Muumlller Stuttgart 1992 100ndash134

Ladewig 1867 Vergilrsquos Gedichte Aeneide Buch IndashVI erklaumlrt von T Ladewig Ber-lin 51867

Latacz 2000 J Latacz Zur Struktur der Ilias in J Latacz (Hrsg) Homers IliasGesamtkommentar Prolegomena Muumlnchen Leipzig 2000 145ndash157

Leach 1988 E W Leach The Rhetoric of Space Literary and Artistic Representa-tions of Landscape in Republican and Augustan Rome Princeton New Jer-sey 1988

Lowenstam 199394 S Lowenstam The Pictures on Junorsquos Temple in the AeneidCW 87 199394 37ndash49

Maltby 1991 R Maltby A Lexicon of Ancient Etymologies Leeds 1991Martinez Scheffel 2002 Matias Martinez Michael Scheffel Einfuumlhrung in die Er-

zaumlhltheorie Muumlnchen 32002Muumlller 2002 H-P Muumlller Tinnit DNP XII 1 (2002) 605ndash606Mynors 1969 P Vergili Maronis opera recognovit brevique adnotatione critica in-

struxit R A B Mynors Oxford 1969Niemeyer 1993 H G Niemeyer Die Stadt Karthago in Vergils Aeneis AU 36 2

1993 41ndash50Niemeyer 1999 H G Niemeyer Karthago DNP VI (1999) 295ndash301

47Descriptio ancilla narrationis

Nolte 2002 P Nolte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in S Jordan (Hrsg)Lexikon Geschichtswissenschaft Hundert Grundbegriffe Stuttgart 2002134ndash137

Paratore 1978 Virgilio Eneide 1 (libri IndashII) a cura di E Paratore traduzione diL Canali Milano 1978

Poumlschl 1977 V Poumlschl Die Dichtkunst Virgils Bild und Symbol in der Aumlneis Ber-lin New York 31977

Putnam 1998 M C J Putnam Didorsquos Murals and Virgilian Ekphrasis HSPh 981998 243ndash275

Quinkertz 2004 U Quinkertz Zur Analyse des Erzaumlhlmodus und verschiedenerFormen der Figurenrede in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung in die Erzaumlhl-textanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 141ndash161

Ratkowitsch 1991 C Ratkowitsch Descriptio picturae Die literarische Funktionder Beschreibung von Kunstwerken in der lateinischen Groszligdichtung des 12 Jahrhunderts Wien 1991

Ravenna 1985 G Ravenna Ekphrasis Enciclopedia Virgiliana II (1985) 183ndash185Reitz 1997 C Reitz Ekphrasis I Literatur B Lateinisch DNP III (1997) 945ndash947Romano 1997 E Romano Libro settimo in Vitruvio De architectura a cura di

P Gros traduzione e commento di A Corso e E Romano 2 Bde Torino1997 1009ndash1097

Scagliarini Corlagraveita 1987 D Scagliarini Corlagraveita magalia mapalia EnciclopediaVirgiliana III (1987) 309ndash311

Scagliarini Corlagraveita 1990 D Scagliarini Corlagraveita Tempio Enciclopedia Virgiliana V(1990) 80ndash86

Schmid 2005 W Schmid Elemente der Narratologie Berlin New York 2005Schmit-Neuerburg 1999 T Schmit-Neuerburg Vergils Aeneis und die Homerex -

egese Untersuchungen zum Einfluszlig ethischer und kritischer Homerrezep -tion auf imitatio und aemulatio Vergils Berlin New York 1999

Simon 1982 E Simon Vergil und die Bildkunst Maia 34 1982 203ndash217Simon 1995 E Simon Der Schild des Achilleus in G Boehm H Pfotenhauer

(Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschreibung Ekphrasis von der Anti-ke bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 123ndash141

Speranza 1984 F Speranza Acate Enciclopedia Virgiliana I (1984) 8ndash9Steacutegen 1975 G Steacutegen Virgile le livre I de lrsquoEacuteneacuteide texte latin avec un plan deacutetailleacute

et un commentaire critique et explicatif Namur 1975Stocker 2000 P Stocker Innerer Monolog in H Fricke (Hrsg) Reallexikon der

deutschen Literaturwissenschaft 2 Berlin New York 2000 148ndash149Suerbaum 1999 W Suerbaum Vergils Aeneis Epos zwischen Geschichte und Ge-

genwart Stuttgart 1999Szantyr 1970 A Szantyr Bemerkungen zum Aufbau der Vergilischen Ekphrasis

MH 27 1970 28ndash40von Albrecht 1964 M von Albrecht Die Parenthese in Ovids Metamorphosen und

ihre dichterische Funktion Hildesheim 1964Wandhoff 2003 H Wandhoff Ekphrasis Kunstbeschreibungen und virtuelle

Raumlume in der Literatur des Mittelalters Berlin New York 2003Willcock 1984 The Iliad of Homer books XIIIndashXXIV Edited with Introduction

and Commentary by M M Willcock Basingstoke u a 1984Williams 1960 R D Williams The Pictures on Didorsquos Temple (Aeneid 1 450ndash93)

CQ 54 1960 145ndash151Williams 1968 G Williams Tradition and Originality in Roman Poetry Oxford 1968

48 Har tmut Wul f ram

Page 33: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Galsterer 1997 H Galsterer Coloniae DNP III (1997) 76ndash85Genette 197677 G Genette Boundaries of Narrative New Literary History 8

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G Boehm H Pfotenhauer (Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschrei-bung Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 143ndash155

Guumlnther 2001 L M Guumlnther Muumlnzen machen Geschichte Rubin 2001 1 48ndash52Hannibal ad portas 2004 Hannibal ad portas Macht und Reichtum Karthagos

hrsg vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe Stuttgart 2004Haupt 2004 B Haupt Zur Analyse des Raums in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung

in die Erzaumlhltextanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 69ndash87Heinze 1915 R Heinze Vergils epische Technik Leipzig Berlin 31915Houmlcker 2001 C Houmlcker Steinbruch DNP XI (2001) 941ndash943Houmlckmann 2004 O Houmlckmann Zum Seewesen der Karthager in Hannibal ad

portas 96ndash105Holzberg 2006 N Holzberg Vergil Der Dichter und sein Werk Muumlnchen 2006Huumlnemoumlrder 1997 C Huumlnemoumlrder Biene DNP II (1997) 648ndash650Huszlig 1985 W Huszlig Geschichte der Karthager (HdAW III 8) Muumlnchen 1985Jacques Scheid 1998 F Jacques J Scheid Rom und das Reich in der Hohen

Kai serzeit (44 v Chr ndash 260 n Chr) 1 Die Struktur des Reiches Stuttgart Leipzig 1998

Knauer 1964 G N Knauer Die Aeneis und Homer Studien zur poetischen Tech-nik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis Goumlttingen 1964

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Leach 1988 E W Leach The Rhetoric of Space Literary and Artistic Representa-tions of Landscape in Republican and Augustan Rome Princeton New Jer-sey 1988

Lowenstam 199394 S Lowenstam The Pictures on Junorsquos Temple in the AeneidCW 87 199394 37ndash49

Maltby 1991 R Maltby A Lexicon of Ancient Etymologies Leeds 1991Martinez Scheffel 2002 Matias Martinez Michael Scheffel Einfuumlhrung in die Er-

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1993 41ndash50Niemeyer 1999 H G Niemeyer Karthago DNP VI (1999) 295ndash301

47Descriptio ancilla narrationis

Nolte 2002 P Nolte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in S Jordan (Hrsg)Lexikon Geschichtswissenschaft Hundert Grundbegriffe Stuttgart 2002134ndash137

Paratore 1978 Virgilio Eneide 1 (libri IndashII) a cura di E Paratore traduzione diL Canali Milano 1978

Poumlschl 1977 V Poumlschl Die Dichtkunst Virgils Bild und Symbol in der Aumlneis Ber-lin New York 31977

Putnam 1998 M C J Putnam Didorsquos Murals and Virgilian Ekphrasis HSPh 981998 243ndash275

Quinkertz 2004 U Quinkertz Zur Analyse des Erzaumlhlmodus und verschiedenerFormen der Figurenrede in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung in die Erzaumlhl-textanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 141ndash161

Ratkowitsch 1991 C Ratkowitsch Descriptio picturae Die literarische Funktionder Beschreibung von Kunstwerken in der lateinischen Groszligdichtung des 12 Jahrhunderts Wien 1991

Ravenna 1985 G Ravenna Ekphrasis Enciclopedia Virgiliana II (1985) 183ndash185Reitz 1997 C Reitz Ekphrasis I Literatur B Lateinisch DNP III (1997) 945ndash947Romano 1997 E Romano Libro settimo in Vitruvio De architectura a cura di

P Gros traduzione e commento di A Corso e E Romano 2 Bde Torino1997 1009ndash1097

Scagliarini Corlagraveita 1987 D Scagliarini Corlagraveita magalia mapalia EnciclopediaVirgiliana III (1987) 309ndash311

Scagliarini Corlagraveita 1990 D Scagliarini Corlagraveita Tempio Enciclopedia Virgiliana V(1990) 80ndash86

Schmid 2005 W Schmid Elemente der Narratologie Berlin New York 2005Schmit-Neuerburg 1999 T Schmit-Neuerburg Vergils Aeneis und die Homerex -

egese Untersuchungen zum Einfluszlig ethischer und kritischer Homerrezep -tion auf imitatio und aemulatio Vergils Berlin New York 1999

Simon 1982 E Simon Vergil und die Bildkunst Maia 34 1982 203ndash217Simon 1995 E Simon Der Schild des Achilleus in G Boehm H Pfotenhauer

(Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschreibung Ekphrasis von der Anti-ke bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 123ndash141

Speranza 1984 F Speranza Acate Enciclopedia Virgiliana I (1984) 8ndash9Steacutegen 1975 G Steacutegen Virgile le livre I de lrsquoEacuteneacuteide texte latin avec un plan deacutetailleacute

et un commentaire critique et explicatif Namur 1975Stocker 2000 P Stocker Innerer Monolog in H Fricke (Hrsg) Reallexikon der

deutschen Literaturwissenschaft 2 Berlin New York 2000 148ndash149Suerbaum 1999 W Suerbaum Vergils Aeneis Epos zwischen Geschichte und Ge-

genwart Stuttgart 1999Szantyr 1970 A Szantyr Bemerkungen zum Aufbau der Vergilischen Ekphrasis

MH 27 1970 28ndash40von Albrecht 1964 M von Albrecht Die Parenthese in Ovids Metamorphosen und

ihre dichterische Funktion Hildesheim 1964Wandhoff 2003 H Wandhoff Ekphrasis Kunstbeschreibungen und virtuelle

Raumlume in der Literatur des Mittelalters Berlin New York 2003Willcock 1984 The Iliad of Homer books XIIIndashXXIV Edited with Introduction

and Commentary by M M Willcock Basingstoke u a 1984Williams 1960 R D Williams The Pictures on Didorsquos Temple (Aeneid 1 450ndash93)

CQ 54 1960 145ndash151Williams 1968 G Williams Tradition and Originality in Roman Poetry Oxford 1968

48 Har tmut Wul f ram

Page 34: DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt ...DESCRIPTIO ANCILLA NARRATIONIS Aeneas besichtigt Karthago (Vergil, Aeneis 1,418–493)* Der Erkundungsgang nach und durch Karthago,

Nolte 2002 P Nolte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in S Jordan (Hrsg)Lexikon Geschichtswissenschaft Hundert Grundbegriffe Stuttgart 2002134ndash137

Paratore 1978 Virgilio Eneide 1 (libri IndashII) a cura di E Paratore traduzione diL Canali Milano 1978

Poumlschl 1977 V Poumlschl Die Dichtkunst Virgils Bild und Symbol in der Aumlneis Ber-lin New York 31977

Putnam 1998 M C J Putnam Didorsquos Murals and Virgilian Ekphrasis HSPh 981998 243ndash275

Quinkertz 2004 U Quinkertz Zur Analyse des Erzaumlhlmodus und verschiedenerFormen der Figurenrede in P Wenzel (Hrsg) Einfuumlhrung in die Erzaumlhl-textanalyse Kategorien Modelle Probleme Trier 2004 141ndash161

Ratkowitsch 1991 C Ratkowitsch Descriptio picturae Die literarische Funktionder Beschreibung von Kunstwerken in der lateinischen Groszligdichtung des 12 Jahrhunderts Wien 1991

Ravenna 1985 G Ravenna Ekphrasis Enciclopedia Virgiliana II (1985) 183ndash185Reitz 1997 C Reitz Ekphrasis I Literatur B Lateinisch DNP III (1997) 945ndash947Romano 1997 E Romano Libro settimo in Vitruvio De architectura a cura di

P Gros traduzione e commento di A Corso e E Romano 2 Bde Torino1997 1009ndash1097

Scagliarini Corlagraveita 1987 D Scagliarini Corlagraveita magalia mapalia EnciclopediaVirgiliana III (1987) 309ndash311

Scagliarini Corlagraveita 1990 D Scagliarini Corlagraveita Tempio Enciclopedia Virgiliana V(1990) 80ndash86

Schmid 2005 W Schmid Elemente der Narratologie Berlin New York 2005Schmit-Neuerburg 1999 T Schmit-Neuerburg Vergils Aeneis und die Homerex -

egese Untersuchungen zum Einfluszlig ethischer und kritischer Homerrezep -tion auf imitatio und aemulatio Vergils Berlin New York 1999

Simon 1982 E Simon Vergil und die Bildkunst Maia 34 1982 203ndash217Simon 1995 E Simon Der Schild des Achilleus in G Boehm H Pfotenhauer

(Hrsg) Beschreibungskunst ndash Kunstbeschreibung Ekphrasis von der Anti-ke bis zur Gegenwart Muumlnchen 1995 123ndash141

Speranza 1984 F Speranza Acate Enciclopedia Virgiliana I (1984) 8ndash9Steacutegen 1975 G Steacutegen Virgile le livre I de lrsquoEacuteneacuteide texte latin avec un plan deacutetailleacute

et un commentaire critique et explicatif Namur 1975Stocker 2000 P Stocker Innerer Monolog in H Fricke (Hrsg) Reallexikon der

deutschen Literaturwissenschaft 2 Berlin New York 2000 148ndash149Suerbaum 1999 W Suerbaum Vergils Aeneis Epos zwischen Geschichte und Ge-

genwart Stuttgart 1999Szantyr 1970 A Szantyr Bemerkungen zum Aufbau der Vergilischen Ekphrasis

MH 27 1970 28ndash40von Albrecht 1964 M von Albrecht Die Parenthese in Ovids Metamorphosen und

ihre dichterische Funktion Hildesheim 1964Wandhoff 2003 H Wandhoff Ekphrasis Kunstbeschreibungen und virtuelle

Raumlume in der Literatur des Mittelalters Berlin New York 2003Willcock 1984 The Iliad of Homer books XIIIndashXXIV Edited with Introduction

and Commentary by M M Willcock Basingstoke u a 1984Williams 1960 R D Williams The Pictures on Didorsquos Temple (Aeneid 1 450ndash93)

CQ 54 1960 145ndash151Williams 1968 G Williams Tradition and Originality in Roman Poetry Oxford 1968

48 Har tmut Wul f ram