Deutsch-französisches Hintergrundgespräch

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DEuFamR (2000) 2: 263–265 c Springer-Verlag 2000 Deutsch-franz¨ osisches Hintergrundgespr¨ ach Am 31. Mai 2000 fand auf Initiative von Brigitte Sauzay, Berate- rin des Bundeskanzlers f ¨ ur deutsch-franz ¨ osische Beziehungen, ein vom Bundeskanzleramt veranstaltetes deutsch-franz¨ osi- sches Hintergrundgespr¨ ach mit der parlamentarischen Media- torengruppe zum Thema Familienrecht in Deutschland und in Frankreich im Schloss Genshagen statt. Als Beraterin des Bundeskanzlers f ¨ ur deutsch-franz ¨ osische Beziehungen hat Brigitte Sauzay u.a. den Auftrag, zur Vernet- zung der Zivilgesellschaften beizutragen und einen deutsch- franz¨ osischen Austausch ¨ uber gesellschaftlich relevante The- men zu organisieren. In diesem Kontext fand am 31. Mai 2000 ein Meinungsaus- tausch der deutsch-franz¨ osischen parlamentarischen Mediato- rengruppe mit Anw¨ alten, Richtern, Experten der Familienme- diation, Wissenschaftlern und Vertretern der Justizministerien aus beiden L¨ andern statt. In den letzten Jahren haben die F¨ alle geschiedener deutsch- franz¨ osischer Ehen immer wieder ¨ offentliches Aufsehen erregt, weil Rechtsstreitigkeiten ¨ uber das Sorge- und Umgangsrecht und mehrfache Kindesentf¨ uhrungen vorkamen. Dar¨ uber hin- aus wird das von Deutschland wie Frankreich unterschriebene Haager Kindesentf¨ uhrungs¨ ubereinkommen (HK ¨ U) 1 nicht ein- heitlich interpretiert. Nach dem entsprechenden Medienecho ist aus diesem The- ma nicht nur eine gesellschaftliche Debatte zwischen beiden andern entstanden. Auch auf politischer Ebene wurde die Pro- blematik aufgegriffen. Auf dem deutsch-franz¨ osischen Gipfel in Avignon 1998 wurden erstmals konkrete Massnahmen, u.a. der Austausch von Verbindungsbeamten, beschlossen. Im M¨ arz 1999 vereinbarten die Justizministerien Deutschlands und Frankreichs, Abgeordnete aus den Parlamenten beider L¨ ander und aus dem europ¨ aischen Parlament mit der Mediation in bi- nationalen Sorgerechtskonflikten zu beauftragen 2 . Die Abgeordneten sind aber immer wieder mit unterschied- lichen Verst¨ andnissen des Mediationskonzeptes und den inter- kulturellen Unterschieden im Familien- und Rechtsbereich zwi- schen Deutschland und Frankreich konfrontiert. Ziel des Treffens am 31. Mai 2000 war die Zusammen- stellung eines aus deutschen und franz¨ osischen Fachleuten be- stehenden Kreises zur Unterst¨ utzung der Arbeit der deutsch- franz¨ osischen Mediatorengruppe. Zum ersten Mal haben deut- sche und franz ¨ osische Abgeordnete mit 40 Fachleuten aus bei- den L¨ andern ¨ uber die Anwendung des HK ¨ U in Deutschland und Frankreich diskutiert. Die Diskussion hat sich einerseits auf die Analyse der praktischen wie inhaltlichen Hindernisse bei ei- ner reibungslosen Anwendung des HK ¨ U im nationalen Recht konzentriert. Anderseits wurde gemeinsam ¨ uberlegt, welche Zu- kunft eine binationale Mediation als gerichtliche und ausserge- richtliche Konfliktl¨ osung im internationalem Rahmen hat. Das HK ¨ U: Ein unerl ¨ assliches Eilverfahren zur Konfliktl¨ osung im internationalen Rahmen Von den deutschen und den franz¨ osischen Teilnehmern und Teil- nehmerinnen wurde w¨ ahrend des Gespr¨ achs mehrfach auf die Bedeutung des HK ¨ U hingewiesen, nicht nur weil dank dieses in- ternationalen Eilverfahrens viele Kindesentf¨ uhrungsf¨ alle durch einen Elternteil gut gel ¨ ost werden k ¨ onnen, sondern auch wegen seiner generalpr¨ aventiven Bedeutung. Das HK ¨ U geht von dem Postulat aus, dass jegliche Orts- ver¨ anderung eines Minderj¨ ahrigen ausserhalb seines Aufent- haltsortes, die ohne Einverst¨ andnis des Sorgeberechtigten statt- findet, eine schwerwiegende Gef¨ ahrdung der Interessen des Kin- des und einen Verstoss gegen geltendes Recht darstellt, der schnellstm¨ oglich beendet werden muss, ohne weitergehende Untersuchung des impliziten Streitfalls zwischen den Protago- nisten. In diesem Zusammenhang muss laut HK ¨ U, sobald eine Kindesentf¨ uhrung festgestellt wird, die sofortige R ¨ uckgabe des Kindes an seinen gew¨ ohnlichen Wohnsitz angeordnet werden. 1 Deutschland ist seit dem 27. September 1990 und Frankreich seit dem 16. September 1982 Vertragsstaat des HK ¨ U (25. Oktober 1980). 2 Die deutsch-franz ¨ osische Mediatorengruppe setzt sich heute aus den nach- stehend aufgef¨ uhrten Parlamentariern zusammen: MdEP Evelyne Geb- hardt, MdB Dr. Angelica Schwall-D¨ uren, MdB Rolf St¨ ockel, MdEP Per- venche B´ er` es, Pierre Cardo, Abgeordneter, Dinah Derycke, Senatorin. Die Mediatorengruppe wird unterst¨ utzt durch Matthias Weckerling, Referats- leiter Internationales Zivilrecht/Schiedsgerichtbarkeit“ im Bundesmini- sterium der Justiz und Alain Mancini, Secr´ etaire g´ en´ eral de Ia Commis- sion de m´ ediation parlementaire im franz ¨ osischen Justizministerium. Au- ßerdem wird ab 1. Oktober 2000 ein Arbeitsstab zur Beilegung interna- tionaler Konflikte in Kindschaftssachen“ im Bundesministerium der Justiz eingerichtet, an den Betroffene sich wenden k¨ onnen.

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DEuFamR (2000) 2: 263–265

c© Springer-Verlag 2000

Deutsch-franzosisches Hintergrundgesprach

Am 31. Mai 2000 fand auf Initiative von Brigitte Sauzay, Berate-rin des Bundeskanzlers fur deutsch-franzosische Beziehungen,ein vom Bundeskanzleramt veranstaltetes deutsch-franzosi-sches Hintergrundgesprach mit der parlamentarischen Media-torengruppe zum Thema Familienrecht in Deutschland und inFrankreich im Schloss Genshagen statt.

Als Beraterin des Bundeskanzlers fur deutsch-franzosischeBeziehungen hat Brigitte Sauzay u.a. den Auftrag, zur Vernet-zung der Zivilgesellschaften beizutragen und einen deutsch-franzosischen Austauschuber gesellschaftlich relevante The-men zu organisieren.

In diesem Kontext fand am 31. Mai 2000 ein Meinungsaus-tausch der deutsch-franzosischen parlamentarischen Mediato-rengruppe mit Anwalten, Richtern, Experten der Familienme-diation, Wissenschaftlern und Vertretern der Justizministerienaus beiden Landern statt.

In den letzten Jahren haben die Falle geschiedener deutsch-franzosischer Ehen immer wiederoffentliches Aufsehen erregt,weil Rechtsstreitigkeitenuber das Sorge- und Umgangsrechtund mehrfache Kindesentfuhrungen vorkamen. Daruber hin-aus wird das von Deutschland wie Frankreich unterschriebeneHaager Kindesentfuhrungsubereinkommen (HKU)1 nicht ein-heitlich interpretiert.

Nach dem entsprechenden Medienecho ist aus diesem The-ma nicht nur eine gesellschaftliche Debatte zwischen beidenLandern entstanden. Auch auf politischer Ebene wurde die Pro-blematik aufgegriffen. Auf dem deutsch-franzosischen Gipfelin Avignon 1998 wurden erstmals konkrete Massnahmen, u.a.der Austausch von Verbindungsbeamten, beschlossen. Im Marz1999 vereinbarten die Justizministerien Deutschlands undFrankreichs, Abgeordnete aus den Parlamenten beider Landerund aus dem europaischen Parlament mit der Mediation in bi-nationalen Sorgerechtskonflikten zu beauftragen2.

Die Abgeordneten sind aber immer wieder mit unterschied-lichen Verstandnissen des Mediationskonzeptes und den inter-kulturellen Unterschieden im Familien- und Rechtsbereich zwi-schen Deutschland und Frankreich konfrontiert.

Ziel des Treffens am 31. Mai 2000 war die Zusammen-stellung eines aus deutschen und franzosischen Fachleuten be-stehenden Kreises zur Unterstutzung der Arbeit der deutsch-franzosischen Mediatorengruppe. Zum ersten Mal haben deut-

sche und franzosische Abgeordnete mit 40 Fachleuten aus bei-den Landernuber die Anwendung des HKU in Deutschland undFrankreich diskutiert. Die Diskussion hat sich einerseits auf dieAnalyse der praktischen wie inhaltlichen Hindernisse bei ei-ner reibungslosen Anwendung des HKU im nationalen Rechtkonzentriert. Anderseits wurde gemeinsamuberlegt, welche Zu-kunft eine binationale Mediation als gerichtliche und ausserge-richtliche Konfliktlosung im internationalem Rahmen hat.

Das HKU: Ein unerl assliches Eilverfahrenzur Konfliktl osung im internationalen Rahmen

Von den deutschen und den franzosischen Teilnehmern und Teil-nehmerinnen wurde wahrend des Gesprachs mehrfach auf dieBedeutung des HKU hingewiesen, nicht nur weil dank dieses in-ternationalen Eilverfahrens viele Kindesentfuhrungsfalle durcheinen Elternteil gut gelost werden konnen, sondern auch wegenseiner generalpraventiven Bedeutung.

Das HKU geht von dem Postulat aus, dass jegliche Orts-veranderung eines Minderjahrigen ausserhalb seines Aufent-haltsortes, die ohne Einverstandnis des Sorgeberechtigten statt-findet, eineschwerwiegendeGefahrdungder InteressendesKin-des und einen Verstoss gegen geltendes Recht darstellt, derschnellstmoglich beendet werden muss, ohne weitergehendeUntersuchung des impliziten Streitfalls zwischen den Protago-nisten. In diesem Zusammenhang muss laut HKU, sobald eineKindesentfuhrung festgestellt wird, die sofortige Ruckgabe desKindes an seinen gewohnlichen Wohnsitz angeordnet werden.

1 Deutschland ist seit dem 27. September 1990 und Frankreich seit dem 16.September 1982 Vertragsstaat des HKU (25. Oktober 1980).

2 Die deutsch-franzosische Mediatorengruppe setzt sich heute aus den nach-stehend aufgefuhrten Parlamentariern zusammen: MdEP Evelyne Geb-hardt, MdB Dr. Angelica Schwall-Duren, MdB Rolf Stockel, MdEP Per-venche Beres, Pierre Cardo, Abgeordneter, Dinah Derycke, Senatorin. DieMediatorengruppe wird unterstutzt durch Matthias Weckerling, Referats-leiter

”Internationales Zivilrecht/Schiedsgerichtbarkeit“ im Bundesmini-

sterium der Justiz und Alain Mancini, Secretaire general de Ia Commis-sion de mediation parlementaire im franzosischen Justizministerium. Au-ßerdem wird ab 1. Oktober 2000 ein

”Arbeitsstab zur Beilegung interna-

tionaler Konflikte in Kindschaftssachen“ im Bundesministerium der Justizeingerichtet, an den Betroffene sich wenden konnen.

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Die Entscheidunguber die Ruckgabe wird also abgekoppelt vonder Zuweisung des Sorgerechts3, die nur der am Aufenthaltsortzustandige Richter beurteilen kann4.

Deutschland und Frankreich haben sich durch die Ratifi-kation des HKU verpflichtet, gegenseitig eine justizielle Zu-sammenarbeit in Sache Kindesruckfuhrung zu leisten und diewiderrechtlich verbrachten Kinder ruckzufuhren. Dies soll sichdahingehend auswirken, dass die Eltern davon ausgehen, dasseine Kindesentfuhrung in einem anderen Land nicht im Nach-hinein legalisiert wird.

Kindeswohlprufung nach Artikel 13 HK U:Risiko einer Renationalisierung des HKU?

Wie in der Debatte mehrfach betont wurde, steht also die Le-gitimitat des HKU weder in Deutschland noch in Frankreich inFrage. Was die justizielle Zusammenarbeit in dem Bereich er-schwert, ist die Interpretation einer Ausnahmeklausel des HKU,der Kindeswohlprufung nach Artikel 13 HKU: Ruckfuhrungs-entscheidungen konnen im konkreten Einzelfall unterbleiben,sofern sie dem Kindeswohl abtraglich sind. Konkret heisst das,dass der Elternteil, der das Kind in dem anderen Land entfuhrthat, vor Gericht die Anwendung der Ausnahmeklausel (Artikel13 HKU) fordern kann.

Die Kindeswohlprufung bei der Anwendung des HKU stelltDeutschland wie Frankreich vor zwei Probleme: Einerseits ver-schiebt sich unausweichlich das HKU von einem internationa-len Eilverfahren in Sachen Kindesentfuhrung zu einem Sorge-rechtsverfahren nach nationalem Recht, und andererseits spieltder Zeitfaktor bei der Dauer der Verfahren im Zusammenhangmit dem von der Rechtsprechung definierten Kontinuitatsprin-zip eine immer grossere Rolle.

In Deutschland wie in Frankreich spielt die Kindeswohl-prufung eine Rolle bei der Sorgerechtsentscheidung. Mehrfachwurde aber betont, dass es keine klare und unbestrittene juristi-sche Definition des Kindeswohls gibt und geben kann, da nichtnur juristische Kategorien, sondern auch soziologische wie psy-chologische Dimensionen einzubeziehen sind.

Nach der franzosischen Rechtsprechung wird das Kindes-wohl als die Aufrechterhaltung der Beziehung des Kindes mitbeidenElternteilenverstanden.Damit beruht sieaufdemfranzo-sischen gesetzlichen Prinzip der gemeinsamen Ausubung derelterlichen Autoritat uber das Kind (

”coparentalite“). Dieses

Prinzip wird ausserdem immer haufiger durch die Anhorungdes Kindes durch den Richter oder mittels von einem Sozialar-beiter geleiteten Ermittlungen (

”enquete sociale“) erganzt, um

den Willen des Kindes einzubeziehen.Eine Definition des Kindeswohls ist im deutschen Gesetz-

buch nicht zu finden. Nur der Artikel 1697a sieht vor, dass beiSorgerechtsentscheidungen das Kindeswohl zu beachten ist. Esist ausschliesslich ein Begriff der deutschen Rechtsprechung.Das BVG hat immer wieder betont, dass das Kindeswohl vordas Elternrecht gestellt wird und damit bewirkt, dass das Kin-deswohl bei Sorgerechtsentscheidungen ein vorrangiger Ent-scheidungspunkt wird. Die deutsche Rechtsprechung hat fol-gende Kriterien fur den Massstab des Kindeswohles entwickelt,die die subjektive Forderkompetenz des Elternteils messen sol-len: Aussere Lebensbedingungen, Aufenthaltsort der Geschwi-ster, erzieherische Begabung, personliche Betreuungskapazitat,

”Bindungstoleranz“ zu dem anderen Elternteil, damit das Kind

nicht in einen Loyalitatskonflikt gerat. Wie in Frankreich wirddas Kind angehort. Aber im Unterschied zu Frankreich findetdiese Anhorung systematisch durch den Richter oder das Ju-gendamt statt und spielt besonders ab der Altersgrenze von 10Jahren eine sehr starke Rolle.

Ausserdem orientiert sich die deutsche Rechtsprechung andem Kontinuitatsprinzip, von dem abgeleitet wird, dass eineVeranderung des Aufenthaltsortes des Kindes durch eine Sor-gerechtsentscheidung zugunsten des anderen Elternteils einezusatzliche Belastung des Kindes darstellen kann.

Dieses letzte Kriterium des Kindeswohls nach der deutschenRechtsprechung durfte im Normalfall bei der Anwendung desHKU kein Problem sein. Aber da die Ruckfuhrungsverfahrenlange (oft mehr als ein Jahr) dauern, gelangen die deutschenRichter in die Situation, dass die Ruckgabe des Kindes an denfranzosischen Elternteil nach mehr als einem Jahr Verfahrens-dauer in Widerspruch zu dem Kontinuitatsprinzip steht.

Reformvorschlage zum HKU

Einige deutsche wie franzosische Teilnehmer und Teilnehme-rinnen formuliertenReformvorschlagezumHKU.EinVorschlagbestand darin, zu einem gemeinsamen Vorverstandnis des Kin-deswohles zu gelangen, damit die Anwendung der Ausnahme-klausel des HKU (Artikel 13) nicht als Vorwand fur nationaleWertungen des HKU benutzt wird.

Vor diesem Hintergrund wurde bestatigt, dass der Begriff

”Kindeswohl“ missverstandlich ist. Ein Vorschlag wurde for-

muliert, ihn durch juristisch anerkannte, objektive”Rechte des

Kindes“ zu ersetzen. Nach diesem Vorschlag konnten sich dieRechte des Kindes auf zwei Grundprinzipien konzentrieren:Recht des Kindes, den Kontakt zu den beiden Elternteilen auf-rechtzuerhalten, und Recht des Kindes, angehort zu werden. Da-mit diese Prinzipien von allen Vertragsstaaten des HKU akzep-tiert und umgesetzt werden, ware es sinnvoll, eine internationalegerichtliche Instanz ins Leben zu rufen, um zu vermeiden, dassder Begriff des Kindeswohles nach Artikel 13 HKU

”durch die

Brille“ der nationalen Rechtsordnung ausgelegt wird. Es wurdevon den Parlamentariern hinzugefugt, dass ein solches Vorgehender Dynamik des internationalen Abkommens fur Kinderrechteund der entstehenden Grundrechtscharta in Europa entspricht.

Zweitens wurde einstimmig anerkannt, dass ein Problem inder langen Dauer der Verfahren liegt. Deshalb wurde fur ei-ne Vereinfachung und Konzentrierung des Verfahrens pladiert.Diese Feststellung wird von den zentralen Behorden geteilt. DasBundesministerium fur Justizhat indiesemSinnedieZustandig-keitskonzentration eingefuhrt, damit nur noch wenige Gerichtemit dem Ziel der Spezialisierung mit der Materie betraut wer-den.

Zuletzt wurde betont, dass eine Regeluber parallele Ver-fahren gefunden werden muss, wobei diesbezuglich die am29. Mai 2000 von den Justizministern der Europaischen Unionneu beschlossene Verordnung zur gegenseitigen Anerkennungvon Scheidungs- und Sorgerechtsurteilen in gemischtnationa-len Ehen einen grossen Fortschritt darstellt. Mit dieser Ver-ordnung (sogenannte

”Brussel II Verordnung“) wird zukunftig

3 Siehe Artikel 19 HKU.4 Siehe Artikel 16 HKU.

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auch die Vollstreckung von Sorgerechtsurteilen aus einem EU-Mitgliedstaat erleichtert.

Nun bleibt noch die Frage des Umgangsrechtes im Zusam-menhang mit der Kindesentfuhrung offen, auch wenn bereitsvom Europarat eine Initiative zur Ausgestaltung des Umgangs-rechtes und zur Schaffung von Garantien ergriffen wurde.

Zukunft der binationalen Mediation

Vor diesem juristischen Hintergrund ist die 1999 ins Leben geru-fene deutsch-franzosische parlamentarische Mediatorengruppemit der Aufgabe betraut, durch Vermittlung zwischen den be-troffenen Eltern dazu beizutragen, die haufig sehr emotionalund vorurteilsbeladen gefuhrte Debatte in Deutschland und inFrankreich zu entspannen.

Die Arbeit der parlamentarischen Mediatorengruppe beruhtdabei auf der guten Zusammenarbeit zwischen den deutschenund franzosischen Zentralen Behorden: In beiden Landern wen-den sich die parlamentarischen Mediatoren mit Hilfe der Zentra-len Behorden oder der Justizministerien an die von Sorgerechts-konflikten betroffenen Eltern, um deren Bereitschaft zu einerMediation zu erkunden. Alternativ konnen sich beide Elterntei-le an die parlamentarische Mediationsgruppe wenden. Wichtigist, dass die parlamentarische Mediationsgruppe nicht entschei-dungsbefugt ist, sondern nur Losungsvorschlage auf einer Kon-sensgrundlage formulieren kann.

Auf dieser Basis haben die Parlamentarier eine sechsmo-natige, sehr intensive Arbeit in Sache Mediation bei deutsch-franzosischen Sorgerechts- und Kindesentfuhrungsfallen gelei-stet. Bei dem Treffen haben sie eine gemischte Bilanz gezogen:

Erstens gab es Einigkeit bei den Parlamentariern daruber,dass die Arbeit der Mediatorengruppe dazu gedient hat, das Syn-drom des

”Opfers einer fremden Justiz“ zu bekampfen, in dem

sie dazu beigetragen haben, eine gewisse Akzeptanz auslandi-scher Gerichtsentscheidungen nicht nur fur die betroffenen El-tern, sondern auch fur die breiteOffentlichkeit zu schaffen.

Ebenso gab es Einigkeit bei den Parlamentariern daruber,dass die binationale Mediation neben den bereits existierendenInitiativen – wie z.B. dem Erfahrungsaustausch zwischen deut-schen und franzosischen Richtern in Trier im Dezember 1999– zu einem besseren Verstandnis der jeweiligen Rechtssystemebeitragen kann. Besonders relevant ist dies bei Themen wie demBegriff des Kindeswohls im deutschen und franzosischen Recht,dem Konzept der

”geteilten elterlichen Autoritat“, der Organi-

sation des Kindesanhorungsverfahrens und dem Umgangsrecht.Langfristig wird dadurch eine Annaherung in den Sorgerechts-verfahren in Deutschland und in Frankreich stattfinden konnen.

Zuletzt haben die gesammelten Erfahrungen bewiesen, dassdie Mediation ein klarendes Instrument der Konfliktlosung istund hilft, die Eltern fur die Kinder zuruckzugewinnen, indemihre Losungskompetenz und nicht mehr ihr Konfliktpotentialwieder im Mittelpunkt steht.

Die auf unterschiedlichen Ebenen (Offentlichkeit, Juristen,Eltern) festgestellten positiven Ergebnisse durfen laut den Par-lamentariern aber nicht die Grundprobleme der parlamentari-schen deutsch- franzosischen Mediatorengruppe verbergen: Dieparlamentarische binationale Mediation kann in ihrer aktuellenForm nur eine vorubergehende Sondermaßnahme sein.

Eine wesentliche Schwierigkeit bestande in dem grossenFinanz- und Zeitaufwand fur die Parlamentarier und die Zen-tralbehorden. Betont wurde von den Parlamentariern mehrfach,dass langfristig die Mediationsarbeit bei deutsch-franzosischenSorgerechts- und Kindesentfuhrungsfallen von Experten der Fa-milienmediationubernommen werden muss. Anwesende Ver-treter von deutschen und franzosischen Familienmediationsin-stitutionen haben ihre Bereitschaft angekundigt, langfristig beieinem solchen Verfahren mitzuwirken.

Auch wenn langfristig professionelle Experten die Mediati-onsarbeitubernehmen wurden, sollte ausserdemuber die recht-liche Grundlage eines solchen Verfahrens im Zusammenhangmit der Anwendung des HKU nachgedacht werden. In der Tatdarf nicht eine binationale Mediation dazu fuhren, dass das Be-schleunigungsgebot des HKU verletzt wird, indem die Ruckfuh-rung des Kindes verzogert wird. Eine Moglichkeit wurde darinbestehen, dass die Mediation in dem HKU als Schnellverfahrenintegriert wird und dass im Artikel 11.2 HKU eine Hochstfristvon sechs Wochen eingefuhrt wird. Unter dieser Voraussetzungkonnte die binationale Mediation eine Vorreiterrolle im Bereichder aussergerichtlichen Konfliktlosung im internationalen Rah-men spielen.

Brigitte Sauzay, Beraterin des Bundeskanzlers fur deutsch-franzosische Beziehungen, unterstrich ihre Hoffnung, dass derAustausch zwischen Parlamentariern und Fachexperten aus bei-den Landern zur Bereinigung der behandelten Problemlage undzur Versachlichung der damit verbundenen deutsch-franzosi-schen Debatte beitragen kann.

Julie Astarg, Bundeskanzleramt, D-11012 Berlin, Deutschland