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Plenarprotokoll 15/169 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 169. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 Inhalt: Nachruf auf Papst Johannes Paul II. . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Marga Elser , Dr. Sigrid Skarpelis- Sperk, Joachim Hörster und Erwin Marschewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Drucksache 15/5207) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP: Wahl des Wehrbeauftragten des Deut- schen Bundestages (Drucksache 15/5228) . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Drucksachen 15/5207, 15/5228) . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aufbruch und Perspektiven –Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken (Drucksache 15/5255) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Die Chancen der jungen Generation in Deutschland durch Bildung und Ausbil- dung verbessern (Drucksache 15/5259) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Katherina Reiche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen verbessern – Wachs- tumspotenzial der Weiterbildung nutzen (Drucksache 15/5024) . . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU: Konsequenzen aus dem Studien- gebührenurteil für die Bildungs- und Hochschulfinanzierung des Bundes (Drucksache 15/4931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15763 A 15763 C 15764 C 15764 C 15764 D 15764 D 15765 A 15766 A 15766 A 15766 A 15766 B 15766 C 15769 B

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Plenarprotokoll 15/169

Deutscher BundestagStenografischer Bericht

169. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

I n h a l t :

Nachruf auf Papst Johannes Paul II. . . . . . . . .

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord-nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . .

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord-neten Marga Elser, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Joachim Hörster und ErwinMarschewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 3:

a) Wahlvorschlag der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN: Wahl des Wehrbeauftragten desDeutschen Bundestages(Drucksache 15/5207) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP:Wahl des Wehrbeauftragten des Deut-schen Bundestages(Drucksache 15/5228) . . . . . . . . . . . . . . . .

Wahl des Wehrbeauftragten des DeutschenBundestages (Drucksachen 15/5207, 15/5228) . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 2:

Antrag der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Aufbruchund Perspektiven – Zukunftschancen fürJugendliche in Deutschland stärken(Drucksache 15/5255) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusatztagesordnungspunkt 3:

Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach,Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:Die Chancen der jungen Generation inDeutschland durch Bildung und Ausbil-dung verbessern(Drucksache 15/5259) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 13:

Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer,Gerald Weiß (Groß-Gerau), Katherina Reiche,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU: Rahmenbedingungen fürlebenslanges Lernen verbessern – Wachs-tumspotenzial der Weiterbildung nutzen(Drucksache 15/5024) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 24:

Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche,Dr. Maria Böhmer, Thomas Rachel, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Konsequenzen aus dem Studien-gebührenurteil für die Bildungs- undHochschulfinanzierung des Bundes(Drucksache 15/4931) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) . . . . . . . . .

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II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . .

Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . .

Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) . . . . . . . . .

Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 7:Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und derFDP: Keine Aufhebung des EU-Waffen-embargos gegenüber China(Drucksache 15/5103) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . . .

Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . .

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . . .

Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . .

Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . .

Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . .

Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . .

Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . .

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . .

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . .

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . .

Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 27:a) Erste Beratung des von der Bundesregie-

rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Stärkung der gesundheitlichenPrävention(Drucksache 15/5214) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Erste Beratung des von den Fraktionen derSPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Abfallver-

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bringungsgesetzes sowie zur Auflösungund Abwicklung der Anstalt Solidar-fonds Abfallrückführung(Drucksache 15/5243) . . . . . . . . . . . . . . .

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Sieb-ten Gesetzes zur Änderung des Versi-cherungsaufsichtsgesetzes(Drucksache 15/5221) . . . . . . . . . . . . . . .

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Änderung des Finanz- undPersonalstatistikgesetzes sowie desHochschulstatistikgesetzes(Drucksache 15/5215) . . . . . . . . . . . . . . .

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Novellierung des Verwaltungs-zustellungsrechts(Drucksache 15/5216) . . . . . . . . . . . . . . .

f) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Umbenennung des Bundes-grenzschutzes in Bundespolizei(Drucksache 15/5217) . . . . . . . . . . . . . . .

g) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Durchführung der Verordnung(EG) 805/2004 über einen EuropäischenVollstreckungstitel für unbestritteneForderungen (EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz)(Drucksache 15/5222) . . . . . . . . . . . . . . .

h) Erste Beratung des von der Bundesregie-rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zu dem Übereinkommen der Verein-ten Nationen vom 15. November 2000gegen die grenzüberschreitende organi-sierte Kriminalität sowie zu den Zusatz-protokollen gegen den Menschenhan-del und gegen die Schleusung vonMigranten(Drucksache 15/5150) . . . . . . . . . . . . . . .

i) Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP: Belastun-gen für Nordhorn und Siegenburgdurch neue Nutzungsanordnung für diedortigen Luft-Boden-Schießplätze redu-zieren(Drucksache 15/5047) . . . . . . . . . . . . . . .

j) Antrag des Präsidenten des Bundesrech-nungshofes: Rechnung des Bundesrech-nungshofes für das Haushaltsjahr 2004– Einzelplan 20 –(Drucksache 15/5005) . . . . . . . . . . . . . . .

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 III

Zusatztagesordnungspunkt 4:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen derSPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Strafrecht-lichen Rehabilitierungsgesetzes(Drucksache 15/5244) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Erste Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Umsetzung der Richt-linie 2003/105/EG des EuropäischenParlaments und des Rates vom 16. De-zember 2003 zur Änderung der Richt-linie 96/82/EG des Rates zur Beherr-schung der Gefahren bei schwerenUnfällen mit gefährlichen Stoffen(Drucksache 15/5220) . . . . . . . . . . . . . . . .

c) Antrag der Bundesregierung: Beteiligungdeutscher Streitkräfte an der Friedens-mission der Vereinten Nationen inSudan UNMIS (United Nations Missionin Sudan) auf Grundlage der Resolution1590 (2005) des Sicherheitsrates derVereinten Nationen vom 24. März 2005(Drucksache 15/5265) . . . . . . . . . . . . . . . .

Zusatztagesordnungspunkt 5:

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionder SPD: Unterschiedliche Forderungenaus der CDU zur Zukunft des BAföG . . . .

Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Katherina Reiche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Marion Seib (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Thomas Rachel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . .

Heinz Schmitt (Landau) (SPD) . . . . . . . . . . .

Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tagesordnungspunkt 4:Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Familie, Senioren, Frauen undJugend zu dem Antrag der AbgeordnetenAnton Schaaf, Sabine Bätzing, Ute Berg, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Jutta Dümpe-Krüger,Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck(Köln), weiterer Abgeordneter und der Frak-tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Zukunft der Freiwilligendienste – Ausbauder Jugendfreiwilligendienste und dergenerationsübergreifenden Freiwilligen-dienste als zivilgesellschaftlicher Genera-tionenvertrag für Deutschland(Drucksachen 15/4395, 15/5175) . . . . . . . . . .Christel Riemann-Hanewinckel,

Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . .Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . .Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Andreas Weigel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . .Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 9:a) Erste Beratung des von den Abgeordneten

Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald,Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weite-ren Abgeordneten und der Fraktion derCDU/CSU eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Verkehrs-wegeplanungsbeschleunigungsgesetzes(Drucksache 15/5102) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnderung des Verkehrswegeplanungs-beschleunigungsgesetzes(Drucksache 15/4536) . . . . . . . . . . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 6:Erste Beratung des von den AbgeordnetenHorst Friedrich (Bayreuth), Daniel Bahr(Münster), Rainer Brüderle, weiteren Abgeord-neten und der Fraktion der FDP eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsge-setzes(Drucksache 15/5258) . . . . . . . . . . . . . . . . . .Renate Blank (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .Achim Großmann, Parl. Staatssekretär

BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) . . . . . . . . .

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 6:

a) Antrag der Abgeordneten Dr. RolfMützenich, Uta Zapf, Gernot Erler, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion derSPD sowie der Abgeordneten WinfriedNachtwei, Alexander Bonde, MarianneTritz, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN: Verbreitung der Kernwaffen ver-hindern und die nukleare Abrüstungstärken – Die Überprüfungskonferenz2005 des Atomwaffensperrvertrags(NVV) zum Erfolg führen(Drucksache 15/5254) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAuswärtigen Ausschusses zu der Unter-richtung durch die Bundesregierung:Bericht der Bundesregierung zumStand der Bemühungen um Rüstungs-kontrolle, Abrüstung und Nichtverbrei-tung sowie über die Entwicklung derStreitkräftepotenziale (Jahresabrüs-tungsbericht 2003)(Drucksachen 15/3167, 15/5143) . . . . . . .

in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 7:

Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer,Harald Leibrecht, Rainer Brüderle, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP:Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtver-breitungsregimes stärken – US-Nuklear-waffen aus Deutschland abziehen(Drucksache 15/5257) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Andreas Weigel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans Raidel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tagesordnungspunkt 15:

Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Em-mendingen), Dr. Christian Ruck, ArnoldVaatz, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU: Entschuldung voran-bringen – Gute Regierungsführung undArmutsbekämpfung unterstützen(Drucksache 15/4659) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . .

Detlef Dzembritzki (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Ulrich Heinrich (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 8:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verbraucherschutz, Ernährungund Landwirtschaft

– zu dem Antrag der AbgeordnetenReinhold Hemker, Dr. Sascha Raabe,Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Ulrike Höfken, ThiloHoppe, Volker Beck (Köln), weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN: Ernährungals Menschenrecht

– zu dem Antrag der AbgeordnetenBernhard Schulte-Drüggelte, Peter H.Carstensen (Nordstrand), Dr. ChristianRuck, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU: Welternährungsichern – eine globale Verantwortungfür die nationale und europäischeAgrarpolitik

(Drucksachen 15/3956, 15/3940, 15/4408) . .

Reinhold Hemker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .

Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . .

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . .

Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD) . . . . .

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 V

Tagesordnungspunkt 11:Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle,Gudrun Kopp, Rainer Funke, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDP: Gegendie Zerfaserung wettbewerbsrechtlicherKompetenzen(Drucksache 15/4561) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Gudrun Kopp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hubertus Heil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hartmut Schauerte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 10:a) Antrag der Abgeordneten Engelbert

Wistuba, Horst Kubatschka, Annette Faße,weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten UndineKurth (Quedlinburg), Ursula Sowa, VolkerBeck (Köln), weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Die vielfältigen Potenzialedes Wirtschaftsfaktors Kulturtouris-mus weiter erschließen(Drucksache 15/5120) . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Beschlussempfehlung und Bericht desAusschusses für Tourismus – zu dem Entschließungsantrag der Ab-

geordneten Ernst Burgbacher, MaritaSehn, Helga Daub, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der FDP zu derUnterrichtung durch die Bundesregie-rung: Tourismuspolitischer Berichtder Bundesregierung – 14./15. Legis-laturperiode

– zu der Unterrichtung durch dieBundesregierung: Tourismuspoliti-scher Bericht der Bundesregie-rung – 14./15. Legislaturperiode

(Drucksachen 15/1799, 15/1303, 15/4623) Engelbert Wistuba (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Ernst Burgbacher (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .Annette Faße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 17:Antrag der Abgeordneten Dr. MichaelMeister, Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU: Bürokratieabbau bei der Kre-ditvergabe voranbringen(Drucksache 15/4842) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tagesordnungspunkt 12:

a) Antrag der Abgeordneten AndreaWicklein, Jörg Tauss, Dr. Hans-PeterBartels, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der AbgeordnetenHans-Josef Fell, Dr. Antje Vogel-Sperl,Dr. Reinhard Loske, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN: Rahmenbedin-gungen für die industrielle stofflicheNutzung von nachwachsenden Rohstof-fen in Deutschland schaffen(Drucksache 15/4943) . . . . . . . . . . . . . . .

b) Antrag der Abgeordneten Dr. ChristelHappach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,Michael Kauch, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP: Die vielfälti-gen Potenziale nachwachsender Roh-stoffe für die nachhaltige Entwicklungausschöpfen(Drucksache 15/3358) . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 14:

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung

– zu dem Antrag der Abgeordneten KarinKortmann, Detlef Dzembritzki, SiegmundEhrmann, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der AbgeordnetenThilo Hoppe, Volker Beck (Köln), AntjeHermenau, weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Die Entwicklungszusam-menarbeit der EU konstruktiv weiter-entwickeln – Effizienz und Nachhaltig-keit verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. RalfBrauksiepe, Dr. Christian Ruck, PeterHintze, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU: Mehr Mut zurReform der EU-Entwicklungszusam-menarbeit

(Drucksachen 15/2338, 15/1215, 15/4972) . .

Tagesordnungspunkt 16:

Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-zes zur Änderung des Energieeinsparungs-gesetzes(Drucksache 15/5226) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

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VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . .

Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . .

Tagesordnungspunkt 18:

Antrag der Abgeordneten Silvia Schmidt(Eisleben), Angelika Krüger-Leißner, GudrunSchaich-Walch, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der AbgeordnetenUrsula Sowa, Volker Beck (Köln), BirgittBender, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Stärkung der Künstlersozialversicherung(Drucksache 15/5119) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .

Anlage 2

Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut-schen Bundestages, die an der Wahl desWehrbeauftragten des Deutschen Bundestagesteilgenommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 3

Mündliche Fragen 23 und 24 Dirk Niebel (FDP)

Kosten für den virtuellen Arbeitsmarkt derBundesagentur für Arbeit sowie Kosten fürdie Ablösung der Fachverfahren coArbund COMPAS (168. Sitzung, Drucksache 15/5229)

Antwort Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA

Anlage 4

Mündliche Fragen 25 und 26 Dagmar Wöhrl (CDU/CSU)

Ergebnisse der bisherigen Umsetzung desvirtuellen Arbeitsmarktes der Bundesagen-tur für Arbeit hinsichtlich des erforderli-chen Finanzvolumens und einer Verbesse-rung der Stellenvermittlung; zuständigesVorstandsmitglied der Bundesagentur fürArbeit(168. Sitzung, Drucksache 15/5229)

Antwort Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA

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Anlage 5

Mündliche Fragen 29 und 30 Ernst Hinsken (CDU/CSU)

Höhe der Zahlungsrückstände bezüglichdes in Moskau 1998 vereinbarten Barterge-schäftes, Ergebnis der Rekonstruierungder vereinbarten Finanzkredite und Höheder zurückfließenden Beträge (168. Sitzung, Drucksache 15/5229)

Antwort Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär BMWA

Anlage 6

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung:

– Antrag: Verbreitung der Kernwaffen ver-hindern und die nukleare Abrüstung stär-ken – Die Überprüfungskonferenz 2005des Atomwaffensperrvertrags (NVV) zumErfolg führen

– Beschlussempfehlung und Bericht: Be-richt der Bundesregierung zum Stand derBemühungen um Rüstungskontrolle, Ab-rüstung und Nichtverbreitung sowie überdie Entwicklung der Streitkräftepotenziale(Jahresabrüstungsbericht 2003)

– Antrag: Glaubwürdigkeit des nuklearenNichtverbreitungsregimes stärken – US-Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen

(Tagesordnungspunkt 6 a und b, Zusatztages-ordnungspunkt 7)

Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 7

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Antrags: Bürokratieabbau bei der Kre-ditvergabe voranbringen (Tagesordnungs-punkt 17)

Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . .

Otto Bernhardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . .

Jutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 8

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungder Anträge:

– Rahmenbedingungen für die industriellestoffliche Nutzung von nachwachsendenRohstoffen in Deutschland schaffen

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 VII

– Die vielfältigen Potenziale nachwachsen-der Rohstoffe für die nachhaltige Entwick-lung ausschöpfen

(Tagesordnungspunkt 12 a und b)

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . .

Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Helmut Lamp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . .

Anlage 9

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungder Anträge:

– Die Entwicklungszusammenarbeit der EUkonstruktiv weiterentwickeln – Effizienzund Nachhaltigkeit verbessern

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– Mehr Mut zur Reform der EU-Entwick-lungszusammenarbeit

(Tagesordnungspunkt 14)

Karin Kortmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU) . . . . . . . . . .

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anlage 10

Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratungdes Antrags: Stärkung der Künstlersozialver-sicherung (Tagesordnungspunkt 18)

Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . .

Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . .

Matthias Sehling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .

Vera Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) . . . . .

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15763

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169. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Ich bitte Sie, sich zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am späten Abend des 2. April verstarb nach langemLeiden das Oberhaupt der katholischen Kirche, PapstJohannes Paul II. Sein Tod ist in Deutschland und inder ganzen Welt mit großer Trauer aufgenommen wor-den. Ich habe gegenüber dem Dekan des Kollegiums derKardinäle, Joseph Kardinal Ratzinger, im Namen desDeutschen Bundestages unser tief empfundenes Beileidausgesprochen und das Wirken von Papst JohannesPaul II. gewürdigt.

Die millionenfache Anteilnahme in der vergangenenWoche hat einmal mehr die große Anerkennung undZuneigung in der ganzen Welt für einen der wahrhaftgroßen Päpste der Kirchengeschichte deutlich werdenlassen. Der bewegende Abschied im Rahmen der Trauer-feierlichkeiten in Rom und in vielen Städten und Län-dern, vor allem auch in unserem Nachbarland, dem Hei-matland des Papstes, in Polen, wird uns noch lange inErinnerung bleiben.

Papst Johannes Paul II. hat in den fast 27 Jahren sei-nes Pontifikats nicht nur den Christen katholischenGlaubens in aller Welt Beispiel und Orientierung gege-ben, sondern viele, gerade auch junge Menschen, die sei-nen Glauben und seine Überzeugungen nicht teilten, mitseiner Kraft und Ausstrahlung, seiner Authentizität undmenschlichen Zugewandtheit tief beeindruckt.

Im Dialog mit den anderen Weltreligionen galt derVersöhnung von Christen und Juden sein besonderes Au-genmerk. Dank seiner hohen moralischen Autoritätkonnte er den Einsatz der Christen für eine friedlicheund gerechte Weltordnung glaubhaft vermitteln. Geradedeshalb wurde ihm bei seinem entschiedenen Einsatz füreine friedliche Konfliktlösung und gegen den Krieg imIrak weltweite Anerkennung zuteil.

In besonderer Weise hat der verstorbene Papst sichum die Überwindung des kommunistischen Regimes

verdient gemacht: in seiner polnischen Heimat – vor al-lem durch seine Ermutigung der Solidarnosc-Bewegung –und insgesamt in ganz Mittel- und Osteuropa. Das hatdie Wiedervereinigung Deutschlands erst ermöglichtund dafür sind wir Johannes Paul II. zu großer Dankbar-keit verpflichtet.

Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Papstes er-hoben; ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, interfraktionell istvereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu er-weitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zu-satzpunktliste aufgeführt:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:Religionspolitik des Berliner Senats und Grundgesetz(siehe 168. Sitzung)

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aufbruch und Perspekti-ven – Zukunftschancen für Jugendliche in Deutschlandstärken– Drucksache 15/5255 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach,Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP: Die Chancen der jungen Genera-tion in Deutschland durch Bildung und Ausbildung ver-bessern– Drucksache 15/5259 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren(Ergänzung zu TOP 27)a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des

BÜNDNISESS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Reha-bilitierungsgesetzes

Redetext

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15764 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

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Präsident Wolfgang Thierse

– Drucksache 15/5244 – Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-tes vom 16. Dezember 2003 zur Änderung der Richtli-nie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung der Gefahrenbei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen– Drucksache 15/5220 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)InnenausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Beratung des Antrags der Bundesregierung: Beteiligungdeutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Ver-einten Nationen in Sudan UNMIS (United Nations Mis-sion in Sudan) auf Grundlage der Resolution 1590(2005) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom24. März 2005– Drucksache 15/5265 – Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Rechtsausschuss VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Unter-schiedliche Forderungen aus der CDU zur Zukunft desBAföG

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Friedrich(Bayreuth), Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, weiterenAbgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegepla-nungsbeschleunigungsgesetzes– Drucksache 15/5258 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer,Harald Leibrecht, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDP: Glaubwürdigkeit des nuklearenNichtverbreitungsregimes stärken – US-Nuklearwaffenaus Deutschland abziehen– Drucksache 15/5257 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Verteidigungsausschuss

ZP 8 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Dieaktuelle Werbekampagne der Ruhrkohle AG vor demHintergrund der von der Bundesregierung aus dem Bun-deshaushalt in Milliardenhöhe gewährten Steinkohlensub-ventionen

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweiterforderlich, abgewichen werden.

Ferner wurde vereinbart, nach der Wahl des Wehrbe-auftragten und der Debatte über die geänderten Kernzeit-themen „Zukunftschancen für Jugendliche“ und „Waffen-embargo gegen China“ die Tagesordnung nunmehr wiefolgt umzustellen: Punkt 4: Zukunft der Freiwilligen-dienste, Punkt 9: Verkehrswegeplanungsbeschleunigungs-

gesetz, Punkt 6: Rüstungskontrolle, Punkt 15: Armutsbe-kämpfung, Punkt 8: Welternährung, Punkt 11: Wett-bewerbsschutz, Punkt 10: Tourismuspolitik, Punkt 17:Bürokratieabbau bei Kreditvergabe, Punkt 12: nach-wachsende Rohstoffe, Punkt 14: Entwicklungszusam-menarbeit der EU, Punkt 16: Energieeinsparungsgesetz,Punkt 18: Künstlersozialversicherung. Die Punkte 5,22 c und 23 werden abgesetzt.

Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überwei-sung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:

Der in der 167. Sitzung des Deutschen Bundestagesüberwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlichdem Ausschuss für Tourismus zur Mitberatung über-wiesen werden.

Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderungdes Personenbeförderungsgesetzes

– Drucksache 15/3424 – überwiesen:Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Tourismus

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Sodann möchte ich den Kolleginnen Marga Elserund Sigrid Skarpelis-Sperk sowie dem KollegenJoachim Hörster nachträglich zum 60. Geburtstag gra-tulieren.

(Beifall)

Ebenso möchte ich dem Kollegen Erwin Marschewskinachträglich zu seinem 65. Geburtstag die Glückwün-sche des Hauses aussprechen.

(Beifall)

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 3 a und3 b auf:

a) Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Wahl des Wehrbeauftragten des DeutschenBundestages

– Drucksache 15/5207 –

b) Wahlvorschlag der Fraktion der FDP

Wahl des Wehrbeauftragten des DeutschenBundestages

– Drucksache 15/5228 –

Sehr geehrter Herr Dr. Penner, anlässlich der heuti-gen Wahl eines neuen Wehrbeauftragten möchte ich Ih-nen im Namen des Deutschen Bundestages für Ihre Ar-beit danken.

(Beifall)

Ihr Amt ist vom Grundgesetz als Hilfsorgan des Bundes-tages bei der parlamentarischen Kontrolle der Streit-kräfte geschaffen. In dieser Funktion haben Sie Miss-stände, soweit vorhanden, und Fehlentwicklungen in derBundeswehr klar und deutlich beim Namen genannt undKorrekturen eingefordert. So konnten sich die Soldaten

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15765

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Präsident Wolfgang Thierse

auch in den vergangenen fünf Jahren auf den Wehrbe-auftragten verlassen, der ihre Sorgen und Nöte ernstnahm und sich nicht scheute, berechtigte Anliegen derSoldaten vorzubringen und auf Besserung zu drängen.Wir möchten Ihnen deshalb auch im Namen der Solda-ten für Ihre Arbeit als Wehrbeauftragter danken undwünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg allesGute.

(Beifall)

Wir kommen jetzt zur Wahl. Die Fraktionen der SPDund des Bündnisses 90/Die Grünen haben den Abgeord-neten Reinhold Robbe, die Fraktion der FDP hat den Ab-geordneten Günther Friedrich Nolting vorgeschlagen.

Ich bitte zunächst um Aufmerksamkeit für einigeHinweise zum Wahlverfahren:

Zur Wahl sind nach § 13 des Gesetzes über den Wehr-beauftragten des Deutschen Bundestages die Stimmender Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt:mindestens 301 Stimmen, erforderlich. Der Wehrbeauf-tragte wird mit verdeckten Stimmzetteln, also geheim,gewählt. Sie benötigen eine Stimmkarte mit Wahlum-schlag sowie Ihren Wahlausweis. Die Stimmkarten mitUmschlag erhalten Sie links und rechts neben den Wahl-kabinen. Den Wahlausweis entnehmen Sie bitte, soweitSie das noch nicht getan haben, Ihrem Stimmkartenfach.

Da die Wahl geheim ist, dürfen Sie die Stimmkartenur in einer der Wahlkabinen ankreuzen und dort in denWahlumschlag legen. Die Schriftführer sind verpflichtet,jeden zurückzuweisen, der seine Stimmkarte außerhalbder Wahlkabine angekreuzt oder in den Umschlag gelegthat. Die Wahl kann in diesem Falle jedoch vorschrifts-mäßig wiederholt werden.

Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz. Un-gültig sind Stimmen auf nicht amtlichen Stimmkartensowie Stimmkarten, die kein Kreuz, mehr als ein Kreuz,andere Namen oder Zusätze enthalten. Bevor Sie dieStimmkarte in eine der neben dem Stenografentisch auf-gestellten Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte IhrenWahlausweis einem der Schriftführer an der Wahlurne.Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nurdurch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden.

Noch ein praktischer Hinweis: Um einen reibungslo-sen Ablauf der Wahl zu gewährleisten, bitte ich Sie, sichauf folgenden Wegen zu den Wahlkabinen und von dortspäter zu den Wahlurnen zu begeben: Zu den Wahlkabi-nen nehmen Sie den Weg von der Seite her, das heißtüber die Gänge zwischen Ihren Sitzreihen.

(Heiterkeit)

Von den Wahlkabinen können Sie direkt zu den Wahlur-nen neben dem Stenografentisch herunterkommen.

So weit das, was Sie hoffentlich alle gut verstandenhaben.

(Heiterkeit)

Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,die vorgesehenen Plätze einzunehmen.

Haben die Schriftführerinnen und Schriftführer ihrePlätze eingenommen? – Das ist offenbar der Fall. Ich er-öffne die Wahl und bitte, zum Empfang der Stimmkartezu den Ausgabetischen zu gehen.

Ich stelle die obligate Frage: Haben alle Mitgliederdes Hauses ihre Stimmkarte abgegeben?

(Zurufe: Nein!)

Ich frage noch einmal: Haben alle Mitglieder desHauses gewählt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dannschließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnenund Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Zur Auszählung unterbreche ich die Sitzung für circazehn Minuten.

(Unterbrechung von 9.30 bis 9.50 Uhr)

Präsident Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die un-

terbrochene Sitzung wieder und bitte Sie, Platz zu neh-men.

Ich gebe das Ergebnis der Wahl des Wehrbeauftragtenbekannt. Abgegebene Stimmen 599, gültige Stimmen598, ungültige Stimmen eine, Enthaltungen 15. Der Ab-geordnete Günther Friedrich Nolting hat 276 Stimmenerhalten.1)

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Abgeordnete Reinhold Robbe hat 307 Stimmen er-halten.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gemäß § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragtendes Deutschen Bundestages ist gewählt, wer die Stim-men der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages – dassind 301 Stimmen – auf sich vereinigt. Ich stelle fest,dass der Abgeordnete Reinhold Robbe mit der erforder-lichen Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deut-schen Bundestages zum Wehrbeauftragten gewählt wor-den ist.

Ich frage Sie, Herr Abgeordneter Robbe: Nehmen Siedie Wahl an?

Reinhold Robbe (SPD): Herr Präsident, ich nehme die Wahl an und bedanke

mich für das ausgesprochene Vertrauen. HerzlichenDank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Abgeordneter Robbe, ich gratuliere Ihnen per-

sönlich und im Namen des Hauses und wünsche IhnenKraft und eine gute Hand bei der Führung Ihres Amtes.

1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2.

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15766 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

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Präsident Wolfgang Thierse

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Zu-satzpunkte 2 und 3 sowie die Tagesordnungspunkte 13und 24 auf:

ZP 2 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Aufbruch und Perspektiven – Zukunftschan-cen für Jugendliche in Deutschland stärken

– Drucksache 15/5255 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten UlrikeFlach, Cornelia Pieper, Hellmut Königshaus, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Die Chancen der jungen Generation inDeutschland durch Bildung und Ausbildungverbessern

– Drucksache 15/5259 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

13 Beratung des Antrags der Abgeordneten UweSchummer, Gerald Weiß (Groß-Gerau),Katherina Reiche, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU

Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernenverbessern – Wachstumspotenzial der Weiter-bildung nutzen

– Drucksache 15/5024 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHaushaltsausschuss

24 Beratung des Antrags der AbgeordnetenKatherina Reiche, Dr. Maria Böhmer, ThomasRachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSU

Konsequenzen aus dem Studiengebührenurteilfür die Bildungs- und Hochschulfinanzierungdes Bundes

– Drucksache 15/4931 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungHaushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache Eineinviertelstunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Herr Kollege Robbe, darf ich Sie bitten, sich ein we-nig nach hinten „zu verziehen“?

(Heiterkeit)

Dort können Sie die Gratulationen entgegennehmen. Wirwollen jetzt die Debatte fortsetzen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derBundesministerin Edelgard Bulmahn.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenHerren und Damen! So viel Zeit muss sein: LieberReinhold, auch von mir noch einmal einen ganz herzli-chen Glückwunsch zu diesem guten Ergebnis.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Herren und Damen, Zukunfts-chancen für Jugendliche – das ist ein Thema, das uns alleangeht. Wie sonst nur beim Wetter, können dabei auchalle mitreden und sollen es auch: Eltern, Lehrer, Schüler,Auszubildende und Studierende, die Wirtschaft, gesell-schaftliche Gruppen aller Art sowie die Politik auf allenEbenen. Eines geht allerdings nicht, nämlich die, die esbetrifft, einfach zu ignorieren. Wer über Jugend undZukunft spricht, muss vor allem auch zuhören können.Dabei werden Sie dann zwei Dinge immer wieder erfah-ren: Erstens haben die meisten Jugendlichen eine ganzklare Vorstellung von dem, was auf sie zukommt. Eskommt auf eine gute Ausbildung und auf gute Ausbil-dungschancen an. Das wissen die Jugendlichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen, was sie wollen. Sie wollen die Chance ha-ben, sich selbst zu beweisen, und sie wollen die Chancehaben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zweitenswill die Mehrheit der jungen Menschen keine pessimisti-sche Grundstimmung in unserem Land. Sie wollen ihreZukunft; sie wollen sie aufbauen und erhalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wissen und Bildung verschaffen Möglichkeiten. Nurwer Bescheid weiß, kommt voran. Nur wer die Möglich-keit hat, sich Bildung und Qualifizierung anzueignen,kann seine Anstrengungen zu vollem Erfolg führen. Dasist zugleich eine der wichtigsten Leitlinien sozialdemo-kratischer Politik. Der Bundeskanzler hat es in seinerRegierungserklärung vom 17. März deutlich gemacht:Jeder und jede muss die Chance für einen Einsteig indas Arbeitsleben erhalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das, wofür wir alle gemeinsam arbeiten.

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Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Wir müssen Menschen dort, wo Bildungsbarrierensind, und dort, wo sie abgedrängt und vergessen werden,eine zweite Chance bieten. Mit den Reformen derAgenda 2010 haben wir genau das getan. Die Agenda2010 ist deshalb vor allem eine Agenda der neuen Mög-lichkeiten. Dazu gehört, dass wir jetzt durch die Zusam-menlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe biszu 400 000 Menschen aus der Sackgasse der Sozialhilfegeholt haben. Es geht dabei um viel mehr als um eineehrliche Statistik. Um die Statistik geht es auch, aber esgeht wirklich um viel mehr, und dabei geht es zuallererstum die Menschen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Menschen aus der Unsichtbarkeit der So-zialstatistik herausgeholt. Wir holen sie weg von denFluren des Sozialamtes, auf denen es allenfalls noch umdie Frage ging, ob der Wintermantel noch in diesem Jahrbewilligt wird oder ob es der alte auch noch tut. Daskann aber nun wahrlich nicht die lebensentscheidendeFrage für junge Menschen sein.

Wir wollen einen Perspektivwechsel: weg vom So-zialamt, hin zur Agentur für Arbeit. Auch wenn es dortzunächst wieder einen Flur gibt, stehen am Ende diesesFlures ein Angebot

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und eine klare Vereinbarung für die jungen Menschen:Seit dem 1. Januar dieses Jahres haben Jugendliche unter25 Jahren, die das neue Arbeitslosengeld II beantragen,einen Rechtsanspruch auf Vermittlung in einen Ausbil-dungsplatz oder einen Arbeitsplatz. Damit haben sieendlich wieder Aussicht auf ein selbstbestimmtes Lebenohne staatliche Unterstützung. Das, meine sehr geehrtenHerren und Damen, ist verantwortliche Politik des Han-delns.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder von Ihnen kann sich vor Augen führen, wie mansich fühlt, wenn man über 100 Bewerbungen geschrie-ben und nur Absagen erhalten hat.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)

Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Op-position, scheinen sich aber diesem Blick zu verschlie-ßen.

(Lachen des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU])

Denn sonst würden Sie Wege für die jungen Menschenaufzeigen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

statt durch ständige Miesmacherei

(Nicolette Kressl [SPD]: Und durch Studien-gebühren!)

nur Pessimismus und Perspektivlosigkeit zu vermitteln.

Versuchen Sie doch wenigstens, mehr Ehrlichkeit anden Tag zu legen! Schauen Sie sich die Zahlen einmalgenau an: Im Jahre 1998, als die SPD in Hessen regierte,lag die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze deutlichüber der Zahl der nachgefragten Ausbildungsplätze.Kurz gesagt: Die Jugendlichen hatten deutlich mehrChancen. Heute hat sich das umgekehrt; heute hat sichdas verändert: Es gibt weniger Ausbildungsplätze unddie Jugendlichen haben deutlich mehr Schwierigkeiten.

Schauen Sie nach Nordrhein-Westfalen: Dort lagdas Verhältnis von Ausbildungsplätzen und Nachfragernseit 1998 zugunsten der Jugendlichen deutlich über demBundesdurchschnitt. Dass der Strukturwandel in Nord-rhein-Westfalen gelingt, zeigt sich im Übrigen auch ander Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge inden neuen Berufen, die für die Zukunft unseres Landesvon ganz entscheidender Bedeutung sind. Seit der Ein-führung dieser neuen Berufe ist die Zahl der Auszubil-denden in diesen Berufen in Nordrhein-Westfalen Jahrfür Jahr höher als im Bundesdurchschnitt und höher alsim Durchschnitt der alten Länder. Anders als das man-che verzerrende Darstellung versucht nahe zu legen, istdiese Zahl im Übrigen auch höher als die in Bayern oderin Baden-Württemberg. Das sind die Fakten, mit denenman sich auseinander setzen muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie sollten diese Fakten zur Kenntnis nehmen, anstattimmer nur zu polemisieren.

Wenn Sie nur Pessimismus an den Tag legen, nehmenSie den jungen Menschen die Hoffnung und die Zuver-sicht. Wir kämpfen für Zugänge zu Bildung und Qualifi-kationen, für Chancen auf Ausbildung und Arbeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Unterschied zwischen der Opposition und der Re-gierungspartei ist: Wir kämpfen dafür, dass die Jugend-lichen Chancen erhalten.

Das lässt sich an ganz konkreten Reformprojektendieser Bundesregierung festmachen:

Beispiel eins: der Pakt für Ausbildung. Erstmals seit1999 haben wir eine ganz klare Trendwende geschafft.Durch diesen Pakt ist es uns gelungen, im Ausbildungs-jahr 2004/2005 59 000 neue Ausbildungsplätze undmehr als 30 000 Einstiegsqualifikationen zu schaffen.Das ist also weit mehr, als wir in diesem Pakt vereinbarthatten. Es sind Ausbildungsplätze zusätzlich geschaffenworden. 22 500 Ausbildungsplätze sind hinzugekommen.

Beispiel zwei: Berufsbildungsgesetz. Vor wenigen Ta-gen ist die größte Reform seit Bestehen dieses Gesetzes inKraft getreten. Mit dem neuen Gesetz werden die Qualitätund die Attraktivität der beruflichen Bildung verbessert.Die Flexibilität der dualen Ausbildung wird gestärkt unddie internationale Wettbewerbsfähigkeit gesichert. Soverhindert die Reform die zeitraubenden und teuren War-teschleifen, die für alle Beteiligten deprimierend sind.Durch diese Reform gelingt es uns, Jugendliche schnelleran eine qualifizierte Ausbildung heranzuführen.

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Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Beispiel drei: Mit modernen Berufen werden neueAusbildungsplätze geschaffen. Das ist im Übrigen diebeste Prävention gegen Jugendarbeitslosigkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben seit 1998 insgesamt mehr als180 Ausbildungsberufe modernisiert bzw. neu geschaf-fen. In diesem Jahr kommen 19 hinzu. Auch das ist einePolitik des Handelns.

(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Ach! –Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Den Elanspürt man bei Ihrer Rede!)

Beispiel vier: Unsere Gesellschaft braucht gut ausge-bildete junge Menschen. Wir müssen schon aufgrund derdemographischen Kerndaten davon ausgehen, dass unssonst in zehn Jahren zig Millionen gut ausgebildeteFachkräfte fehlen. Das heißt, dass wir auch den Jugend-lichen, die in der Schule schlecht waren, weil sie dieSprache nicht konnten, eine zweite Chance geben müs-sen. Das tun wir mit den neuen Einstiegsqualifikationen,mit den Qualifikationsbausteinen, die wir diesen Jugend-lichen jetzt anbieten. Das ist im Übrigen nicht nur einGebot der Ökonomie, sondern auch eine Voraussetzungfür den sozialen und solidarischen Zusammenhalt in un-serer Gesellschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Beschäftigungs- und Lebenschancen werden früh er-öffnet, leider aber auch oft früh verbaut. Damit könnenund damit wollen wir uns nicht abfinden. Deshalb habenwir gehandelt. Wir sind nämlich nicht dafür, dass es fürwenige aus den wohlhabenden Familien den Königswegund für alle anderen den Trampelpfad gibt. Das werdenwir nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

„Frühe Förderung“ und „individuelle Förderung“ sinddaher die beiden entscheidenden Stichworte. Das fängtmit Angeboten für die Kleinsten an. Mit dem Tagesbe-treuungsausbaugesetz, das am 1. Januar dieses Jahres inKraft getreten ist, verbessern wir das Betreuungs- undErziehungsangebot für Kinder unter drei Jahren erheb-lich und wir rücken damit endlich auch die frühkind-liche Bildung und Erziehung in das Zentrum. Das istwirklich dringend notwendig; das war überfällig. Wirsetzen dabei auf ein bedarfsgerechtes Angebot für alleAltersgruppen, zeitlich flexibel, bezahlbar und vielfältig.

Ich halte es im Übrigen auch für ein gutes Signal, dasssich inzwischen alle Länder auf vorschulische Bildungs-ziele verständigt haben und dass unsere nationale Quali-tätsinitiative

(Jörg Tauss [SPD]: Auf Initiative des Bundes!)

mit der Mehrzahl der Länder durchgeführt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, was wir gemeinsam mit den Kindern im Vor-schulalter beginnen, müssen wir in der Schule konse-quent fortsetzen. Kindern möglichst früh eine gute indi-viduelle Förderung zu geben, ihnen damit bessereBildungschancen zu eröffnen und dann in der Schule da-mit weiterzumachen und ihnen auch dort eine sehr guteAusbildung zu geben und neue Chancen zu eröffnen –das ist die Zielsetzung, die wir mit unserem Ganztags-schulprogramm im Investitionsprogramm „Zukunft,Bildung und Betreuung“ verfolgen. Mit diesem größtenSchulentwicklungsprogramm, das es in Deutschlandbundesweit je gab, unterstützt der Bund die Länder,Städte und Kommunen mit 4 Milliarden Euro beim Auf-und Ausbau von Ganztagsschulen.

(Ulrike Flach [FDP]: Das sehen die aber an-ders!)

Ich freue mich sehr, dass zumindest die SPD-geführtenLänder – das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen,aber auch für andere – die Chancen dieses Programmeswirklich nutzen

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und nicht wie einige andere, CDU-regierte Länder gegenden erklärten Willen der Eltern, die nämlich die Ganz-tagsschulen wollen, und der Lehrerinnen und Lehrerdiese Chancen einfach verspielen.

(Franz Müntefering [SPD]: Beispiel Hessen!)

– Beispiel Hessen; völlig richtig.

(Beifall bei der SPD)

Leider muss ich sagen, dass das auch in Baden-Württemberg so ist. Es gibt auch noch viele andere.

Insgesamt 7 Milliarden Euro investiert der Bund da-mit allein in dieser Legislaturperiode in Ganztagsschulenund frühkindliche Betreuung. Ich sage ganz offen: Wirhätten uns viel Ärger ersparen können, wenn wir diese7 Milliarden Euro in die Rente gesteckt hätten. Dafürgäbe es ja auch gute Gründe, aber wir haben das trotz-dem nicht getan und stattdessen in die Zukunft unsererKinder investiert. Ich bin davon überzeugt, dass das dierichtige Entscheidung ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viele Großeltern teilen im Übrigen diese Auffassung.Wir haben genau die richtige Entscheidung getroffen.

Ich frage mich allerdings, meine sehr geehrten Herrenund Damen von der Opposition: Was ist eigentlich IhrWeg? Welches Bild haben Sie eigentlich von der Zu-kunft unserer Gesellschaft und von der Zukunft der Kin-der und Jugendlichen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen das BAföG abschaffen.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wer sagt das denn?)

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Sie wollen Studiengebühren einführen.

(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Infame Unterstellungen!)

Sie wollen, dass junge Menschen mit einem riesengro-ßen Schuldenberg ins Berufsleben starten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei würde es sich um 50 000, 60 000 oder sogar90 000 Euro handeln, wenn Sie das BAföG abschaffen.Das sind die realen Zahlen.

Sie wollen keinen Ausbau der frühkindlichen Betreu-ung; Sie wollen keine Ganztagsschulen.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Dasstimmt doch nicht! Das ist doch völligerQuatsch!)

Sie torpedieren das Programm mit allen Mitteln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen nichts zu der Frage, wie Jugendliche mitschlechten schulischen Voraussetzungen neue Chancenerhalten sollen. Sie sagen nichts dazu, wie junge qualifi-zierte Frauen Berufstätigkeit und Kindererziehung ver-einbaren sollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposi-tion, lassen Sie mich ganz klar sagen: Was Sie betreiben,ist das Gegenteil von Perspektive und Aufbruch.

(Zurufe von der CDU/CSU: So billig! – Sie waren mal besser!)

Denken Sie um! Zeigen Sie Verantwortung und eröff-nen Sie jungen Menschen die Möglichkeiten, die siebrauchen! Geben Sie ihnen Motivation und Selbstver-trauen und stimmen Sie unserem Antrag zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das war ein Schuss in den Ofen gewe-sen!)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Karl-Josef Laumann,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin, wennman Ihrer Rede zugehört hat,

(Jörg Tauss [SPD]: Die war sehr gut!)

dann hat man das Gefühl: Alles ist gut; wir sind inDeutschland auf einem guten Weg; Probleme sindeigentlich nicht vorhanden. Aber die Zahlen sind nun

einmal so, wie sie sind, und auch die Stimmung im Landist so, wie sie ist, weil sie den Realitäten entspricht.

Zurzeit befinden sich 665 000 Jugendliche unter25 Jahren in der Arbeitslosigkeit.

(Nicolette Kressl [SPD]: Und wo hatten Sie sie vorher?)

Weitere Hunderttausende Abgänger von Haupt- undRealschulen – diese Zahl gibt es auf Bundesebene garnicht – befinden sich in so genannten Warteschleifen un-serer Berufsschulen. Schauen Sie sich nur einmal an, wiestark die Anzahl der Absolventen eines Berufsgrund-schuljahres, die in keiner Statistik steht, zugenommenhat.

Viele Schüler, die in den Schulen gut vorbereitet sind,machen die Erfahrung, dass sie, wenn sie im zehntenSchuljahr sind, Hunderte von Bewerbungen für eineLehrstelle schreiben müssen. Nehmen Sie einmal zurKenntnis, dass ein Mittelständler, der Pleite gegangenist, nicht mehr ausbildet. Das ist die Wahrheit. DieseSituation wird immer schwieriger, weil die Anzahl derBetriebe, die ausbilden, immer geringer wird. Deswegenhat die Jugendarbeitslosigkeit im letzten Jahr sogar ummehr als 145 000 junge Leute zugenommen. Wenn Sieeine Bilanz vorlegen, die ausweist, dass die Jugend-arbeitslosigkeit in Deutschland in den Jahren Ihrer Re-gierungszeit um 200 000 junge Leute zugenommen hat,dann sind Sie in diesem Bereich die Bundesregierungder Perspektivlosigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ach! Bleiben Sie mal ehrlich!)

Ich gebe zu: Für diejenigen, die keine Lehrstelle fin-den, wird eine Menge getan. Heute befinden sich rund383 000 junge Leute in Maßnahmen der Bundesagenturfür Arbeit. Wir sind schon fast so weit, dass ähnlich vielejunge Leute in Maßnahmen der Bundesagentur für Ar-beit sind, wie das duale Ausbildungssystem noch regu-läre Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt.

(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Ja, erschre-ckend! – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]:Schockierend!)

Allein 116 000 junge Leute nehmen an Maßnahmen zurBerufsvorbereitung, 215 000 an Maßnahmen für Be-nachteiligte teil.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: In Warte-schleifen!)

Ich will Ihnen einmal sagen, wie es dazu kam, dassdieses Problem zugenommen hat: Im Jahr 1998 befan-den sich 33 000 junge Leute in berufsvorbereitendenMaßnahmen, jetzt sind es 116 000. Das zeigt, wie sichdie Situation in den letzten Jahren entwickelt hat. Der-jenige, der dies zahlt, ist der Beitragszahler der Bundes-agentur für Arbeit. Dafür werden mittlerweile Mittel vonmehr als 1 Milliarde Euro ausgegeben.

Jetzt bin ich bei meinem ersten Punkt. Es kann dochnicht richtig sein, dass die berufliche Ausbildung in die-sem Umfang von den Beitragszahlern – den

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Karl-Josef Laumann

26,2 Millionen Arbeitsplätzen, die in diesem Land nochsozialversicherungspflichtig sind – bezahlt wird.

(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wird es spannend!)

Das ist nicht in Ordnung

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und was ist in Ordnung?)

und unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten derwohl größte Fehler, den ich in den letzten Jahrenbeobachtet habe: Die Probleme des Schulwesens, dasszum Beispiel viele Kinder Abschlüsse machen, mit de-nen sie nicht berufsfähig sind, werden durch Beitrags-mittel behoben; das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ist das einUmlageplädoyer?)

Ich hoffe, dass Sie irgendwann einmal die Kraft-anstrengung unternehmen werden, hier zu einer Steuer-finanzierung überzugehen. Ich kann mir überhauptnicht erklären, warum man mit der Finanzierung diesesBereichs nur einen Teil der Arbeitsplätze in Deutschlandbelastet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wer so weit ist, einen großen Teil der Berufsausbil-dung junger Leute durch Beiträge zu finanzieren, dersollte sich beim Thema Einführung von Studiengebüh-ren an Universitäten ein bisschen zurückhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Lachen bei Abgeordneten der SPD – WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja einziemliches Durcheinander!)

Denn wenn Studiengebühren nachgelagert finanziertwerden, können sie für die Universitäten Steuerungswir-kungen haben, die man, wenn man an den Unterschiedzwischen akademischer Ausbildung und Ausbildung imdualen System denkt, mehr als begrüßen müsste. DieseDiskussion können wir gerne jeden Tag führen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Nicolette Kressl [SPD]: Nein, also wirklich!Das sollten Sie in Nordrhein-Westfalen öfterwiederholen!)

– Das tun wir und das steht auch in unserem Wahlpro-gramm.

(Jörg Tauss [SPD]: Ach!)

Aber auch das wird Sie in Nordrhein-Westfalen nichtmehr retten; denn die Leute wissen, wie Hochschulenunter Ihrer Führung aussehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Jörg Tauss [SPD]: Wir haben sie gebaut, meinLieber!)

– Aber danach haben Sie sie nicht mehr unterhalten.

Ich kann Ihnen nur sagen: Wir alle wissen, dass dereinzige Schlüssel, um durch Arbeit ein Einkommen zuerzielen, von dem man leben kann, in der arbeitsteiligenGesellschaft, in der wir in Europa und insbesondere in

Deutschland mittlerweile leben, die qualifizierte Schul-und Berufsausbildung ist.

(Jörg Tauss [SPD]: Da hat er mal Recht!)

Wir Politiker machen uns viele Gedanken über dieDemographie und fragen uns zu Recht: Warum gibt esbei uns so wenige Kinder? Warum haben ganze Schich-ten der Bevölkerung sehr wenige – auf jeden Fall: zu we-nige – Kinder? Ich teile diese Analyse. Aber ich glaube,dass wie ich ganz viele Eltern, die Kinder haben, diekeine Lehrstelle finden, meinen: Kümmern wir uns docherst einmal um die Kinder, die wir in diesem Land ha-ben, und bauen wir deren Entwicklungschancen ver-nünftig aus!

Einige Dinge fallen doch auf. Nehmen wir zum Bei-spiel Nordrhein-Westfalen: Dort haben wir ohne Frageseit 25 Jahren eine Bildungspolitik, die mehr von derGEW bestimmt wird wie von allen anderen.

(Bernhard Brinkmann [Hildesheim] [SPD]: „Als“! Nicht „wie“!)

Dort ist die Chance der Kinder, deren Elternhäuser als„bildungsfern“ gelten, der Kinder, die einen Immigra-tionshintergrund haben, schlecht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Am schlech-testen von allen Bundesländern!)

Wir sind mittlerweile so weit, dass in Nordrhein-Westfa-len von den ausländischen Kindern 21,8 Prozent aufSonderschulen, auf Schulen für Lernbehinderte, gehen.

(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Stellen Sie sich das nur einmal vor! Das liegt doch anden Defiziten in unseren Grundschulen! Das liegt dochdaran, dass Sie sich immer verweigert haben, die Kindermit vier Jahren auf ihre Sprachkenntnisse zu prüfen, wo-raufhin man gezielt hätte fördern können. Das ist dochIhr Versagen in der Ausländerpolitik, in der Zuwande-rungspolitik, in der Immigrationspolitik!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Tauss?

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Nein.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Er kann das ja durch Zwischenrufe erledigen!)

Der nächste Punkt: Dadurch dass man teilweise denLeuten einen deutschen Pass gibt, wodurch sie statistischnatürlich keine ausländischen Schüler mehr sind, ist dasProblem in den Schulen weder was die Integration nochwas die Sprachfähigkeit angeht gelöst. Aber genau daranorientieren Sie Ihre Möglichkeiten, in den Klassen zudifferenzieren. Aber in einem Schulsystem, in dem es soist, dass fünf Millionen Unterrichtsstunden ausfallen,sind die Voraussetzungen für differenzierten Unterrichteinfach nicht gegeben.

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(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ute Berg [SPD]: 5 Prozent!)

Deswegen haben Sie in dem größten Bundesland in die-ser Frage kläglich versagt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe mir nie vorstellen können, dass wir einmaleine Zeit erleben, wo nach fast 40 Jahren sozialdemokra-tischer Verantwortung für Bildungspolitik die Chancender Bevölkerungsgruppen, die aus benachteiligten so-zialen Verhältnissen kommen, so schlecht sind, wie sieheute sind.

(Franz Müntefering [SPD]: Herr Laumann!)

Wissen Sie, die Generation unserer Großeltern hat es,aus der christlich-sozialen Bewegung oder aus der so-zialdemokratischen Bewegung kommend, richtigerweisedurchgesetzt, dass Kinder aus Elternhäusern, wo dasPortemonnaie klein ist, studieren können.

(Franz Müntefering [SPD]: Da kann ich IhnenGeschichten aus Nordrhein-Westfalen erzäh-len! – Gegenruf des Abg. Dr. Andreas Scheuer[CDU/CSU]: Münte der Märchenonkel!)

Das haben wir hingekriegt. Aber Sie haben versagt beider Bildungspolitik und bei der Integration von Kindern,die aus schwierigen sozialen Umfeldern kommen. Dassind in Wahrheit die Gründe, warum das Finden vonLehrstellen und die Lage der beruflichen Bildung soschwierig sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –René Röspel [SPD]: Quatsch! – Jörg Tauss[SPD]: Sie trauen sich ja nicht einmal, eineZwischenfrage zuzulassen!)

Sie besuchen wie ich die Einrichtungen der Bildungs-träger, in denen benachteiligte Jugendliche geschult wer-den. Wir wissen doch alle aus den Gesprächen, die wirdort geführt haben – man spürt es nahezu –, aus welchenStrukturen der größte Teil derjenigen kommt, die dieserMaßnahmen bedürfen.

(Nicolette Kressl [SPD]: Gehen Sie einmal nach Baden-Württemberg!)

Deswegen muss das Schulsystem so geändert werden,dass in einigen Jahren die Ausbildungsfähigkeit nachzehn Jahren Schule besser ist wie heute.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Waskümmern Sie sich eigentlich als Bundespoli-tiker darum? Sie haben doch gerade verhin-dert, dass Sie zuständig sind!)

Der nächste Punkt – hören Sie sich das doch einfacheinmal an! –:

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, ma-che ich doch! Aber das ist so viel Unsinn, dassman da wirklich nicht ruhig bleiben kann! –Jörg Tauss [SPD]: Mit Lügen kann man nichtgewinnen! – Gegenruf des Abg. Dr. AndreasScheuer [CDU/CSU]: Das müssen Sie geradesagen, Herr Tauss!)

Es gibt eine Gesamtverantwortung für Politik. Deshalbwill ich Ihnen diesen weiteren Punkt ins Stammbuchschreiben: Bei den Maßnahmen, die die Bundesagenturfür Arbeit zurzeit für Benachteiligte ausschreibt, läuft esdoch so ab, dass immer der Preis der Träger mehr zähltwie die Qualifikation. Jetzt stellen Sie sich einmal vor,wir würden in einem Landkreis ausschreiben: „Wermacht in diesem Jahr die billigste Handelsschule?“ undegal wer es ist, der Billigste bekommt den Zuschlag. Soläuft es zurzeit unter Ihnen in Deutschland bei den Pro-grammen für Benachteiligte: Vernünftige und erfahreneTräger mit einer regionalen Verantwortung scheiden ausdem Markt aus und Billiganbieter bekommen den Zu-schlag. Dafür tragen Sie Verantwortung: für das, was Siein den letzten Jahren bei der beruflichen Qualifikationangerichtet haben!

(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl[SPD]: Das ist doch nicht wahr! – WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch! – Weite-rer Zuruf von der SPD: Das ist unwahr!)

Das haben Sozialdemokraten geschafft: Auf der einenSeite haben wir in Deutschland auf die Unterrichtsstundebemessen die bestbezahlten Lehrer der Erde, auf der an-deren Seite bekommen diejenigen, die in den Program-men für beruflich Benachteiligte als Dozenten arbeiten,Löhne von teilweise nicht einmal mehr 1 500 Euro. Dasist unter Ihnen die Realität in der Bildungslandschaft inDeutschland geworden!

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

Das können Sie doch nicht leugnen!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ha-ben gar nichts gemacht!)

Das hat es unter uns nicht gegeben, weil wir eine regio-nale Struktur in diesen Bereichen wollen.

Hätten Sie bei Hartz auf uns gehört und die Integra-tionsprogramme kommunal angesiedelt, dann hätten wirjetzt kommunale Strukturen. Sie haben über die Bun-desagentur für Arbeit aber Bundesstrukturen geschaf-fen. Die Landesarbeitsämter haben nun nicht einmalmehr Einfluss darauf, wer es in der Region machenkann. Dafür tragen Sie die politische Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das werden wir in den entsprechenden Kreisen auch sa-gen. Wir sind in dieser Frage für eine kommunale Be-treuung.

(Zuruf von der SPD: Beim Zuverdienst habenwir auf Sie gehört! Der Schuss ging nach hin-ten los!)

– Wissen Sie, zum Zuverdienst werden Sie ab Freitag-mittag neue Nachrichten erhalten. Das Problem kriegenwir schnell geregelt.

(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Wieder mal ein gutes Beispiel für dieRedlichkeit des Herrn Laumann!)

Wenn wir etwas machen wollen, dann sollten wir ersteinmal dafür sorgen, dass es, solange es im dualen

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System nicht geht, bei den Bildungsträgern eine überSteuern finanzierte qualifizierte Berufsausbildung fürdie Benachteiligten gibt. Das duale System und langePraktika im dualen System müssen dabei absolute Vor-fahrt erhalten.

Ich nenne Ihnen jetzt einen weiteren Punkt, der Siezur Weißglut bringen wird; ich weiß es. Meinetwegenkönnen Sie daraus auch eine Kampagne in Nordrhein-Westfalen machen. Viele von meiner Fraktion, die hiersind – ich gehöre dazu –, und viele von Ihnen haben inihrem Leben nach der Schule ganz natürlich zunächsteinmal eine ganz normale Lehre gemacht.

(Ute Berg [SPD]: Das ist schon mal ein richti-ger Satz!)

Ich gehöre einer Generation an, die sich wenigstens inder Region, in der ich groß geworden bin, zumindest dieAusbildungsplätze im Handwerk – Mitte der 70er-Jahre –nahezu aussuchen konnte. Warum war das damals so?Damals galt folgende Faustregel: Im ersten Lehrjahrsetzt der Meister beim Lehrling ein wenig zu, im zweitenist es gleich und im dritten verdient er an dem Lehrjun-gen so viel, wie er im ersten gekostet hat. Als diese Pro-portion noch stimmte, gab es genug Ausbildungsplätze.Da es heute einige Branchen gibt, in denen die tarif-lichen Ausbildungslöhne so hoch sind, dass ein Hilfsar-beiter manchmal preiswerter ist, darf man sich nichtwundern, dass auch in diesem Bereich geschaut wird,wie viele Lehrstellen es eigentlich noch gibt und ob sichdas eigene Unternehmen dies überhaupt noch erlaubenkann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier stellt sich auch die Frage, ob noch über Bedarfausgebildet wird. Man denkt: Soll ich noch jemandenhinzunehmen, weil ich meine, dass wir eine Verpflich-tung dazu haben, obwohl die Zeugnisse eigentlich nichtentsprechend sind? Na ja, wir probieren es noch mal. –Für die ganz Qualifizierten passt all das, was bei Ihnengeschieht, vielleicht noch; die Schwächeren, die keine soguten Zeugnisse vorzuweisen haben, trifft es zuerst.Denken Sie einfach einmal darüber nach, ob nicht auchwir eine Entwicklung mit einleiten müssen, dass wiederder Grundsatz gilt: Eine Berufsausbildung muss so orga-nisiert werden, dass die Kostenverteilung am Ende sowie früher aussieht.

(Jörg Tauss [SPD]: Besser als früher!)

Die goldene Regel, die jeder Handwerker kannte, habeich Ihnen genannt.

Sie mögen sagen: Die Berufsausbildung ist besser alsfrüher. Ich kann Ihnen nur sagen: Die handwerkliche Be-rufsausbildung in Deutschland war auch vor Jahren undauch in der Generation vor uns schon von einer hohenQualität. Wenn wir diese in die Zukunft retten würden,dann wäre mir zumindest vor der Zukunft des Teils derjungen Leute, der dort ausgebildet wird, nicht mehrbange.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Thea Dückert, Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Herr Kollege und WahlkämpferLaumann – das muss man heute hier wohl sagen –:

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Allerdings!)

Vieles habe ich nicht verstanden, weshalb ich zurückfra-gen möchte.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja Ihr grundsätzliches Problem!)

– Ja, ja.

Sie haben hier die sehr richtige und nicht zu be-zweifelnde Feststellung an den Anfang gestellt, dass665 000 arbeitslose Jugendliche existieren und dass daszuviel ist. Ich möchte hinzufügen: In einer so kurzen Re-dezeit, wie ich sie habe, ist gar nicht zu beschreiben,welche Schicksale von jungen Menschen, die in Ausbil-dung kommen wollen, und ihren Eltern sich dahinterverbergen. Herr Laumann, gerade vor diesem Hinter-grund verstehe ich eines nicht: Sie haben beispielsweisebeklagt, dass die Bundesagentur für Arbeit über360 000 Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche anbie-tet.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Das habeich nicht beklagt! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war eine Feststellung, keineKlage!)

Herr Laumann, was war die Botschaft dieser Aussage?

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Steuerfi-nanziert!)

Wollen Sie uns in einer Zeit, in der es zu viele jugendli-che Arbeitslose gibt, nahe legen, dass die Bundesagenturfür Arbeit diese Maßnahmen nicht durchführen soll?Herr Laumann, wollen Sie also über 360 000 jungeLeute in die Wüste schicken?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So was Dum-mes können Sie doch selbst nicht glauben! Soein Schwachsinn!)

Wie können Sie in dieser Situation, in der in den Län-dern junge Menschen von den Schulen und Ausbil-dungssystemen zum Teil ohne Schulabschlüsse ins Be-rufsleben geschickt werden, beklagen, dass dieBundesagentur für Arbeit mit Beitragsmitteln versucht,den jungen Menschen eine Hilfestellung zu geben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde das unsäglich. Genauso unsäglich finde ichVorschläge – das ist Ihr Konzept beim Pakt für Deutsch-land –, die über Beitragssatzsenkungen bei der Arbeits-losenversicherung gegenfinanziert werden sollen unddarauf hinauslaufen, Maßnahmen für Langzeitarbeits-

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Dr. Thea Dückert

lose, für Menschen in einer Umschulung, für junge undalte Menschen zu streichen. Nein, so geht das nicht. Da-her ist Ihre Politik nicht durchdacht und unglaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen allen den Zugang zu Bildung und Arbeitermöglichen, und zwar völlig unterschiedslos von Ge-schlecht, sozialer Herkunft und übrigens auch von derentsprechenden Landesregierung, egal ob man aus Bay-ern oder aus einem anderen Bundesland stammt. Es istheute in Deutschland leider Realität, dass der Zugang zuAusbildung ein Nadelöhr ist, statt ein Scheunentor zusein.

Sie haben auf die Schulausbildung in Nordrhein-Westfalen angespielt. Ich will Ihnen etwa sagen, HerrLaumann: Das faktische Schlusslicht in Deutschland beiJugendlichen ohne Schulabschluss – das eigentlicheSchlusslicht ist Sachsen-Anhalt – ist Bayern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nur so viel dazu, wie Sie es mit der Ehrlichkeit in dieserDebatte halten. Wir alle zusammen haben es damit zutun, dass unsere Schulsysteme – die PISA-Studie hat unsdas bewiesen – die Jugendlichen nicht hinreichend aufAusbildung und Beschäftigung vorbereiten.

Ich sage Ihnen noch etwas: Die Hartz-Gesetze sindder richtige Ansatz. Aber sie können nicht das, was inunserem Bildungssystem verändert werden muss, waszum Beispiel durch eine neue Art von Schule angegan-gen werden muss, ausgleichen; das ist völlig klar.

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine anderewahlkampfbedingte Unehrlichkeit ansprechen, HerrLaumann. Sie haben gesagt, dass die Zahl der arbeitslo-sen Jugendlichen in diesem Jahr um 145 000 gestiegenist. Sie haben aber verschwiegen, Herr Laumann, dasswir in diesem Jahr 120 000 arbeitslose Jugendliche überdie Hartz-Reformen aus der Grauzone herausgeholtund in die Statistik aufgenommen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese 120 000 Jugendlichen haben erst dadurch dieMöglichkeit bekommen, durch Instrumente zur Wieder-eingliederung, die ihnen individuell helfen, zum Beispieldurch Beratung mit Eingliederungsvereinbarungen undAngebote für jeden – das streben wir an –, eine Beschäf-tigung zu finden. Diese 120 000 Jugendlichen, die vor-her in keiner Statistik aufgetaucht sind und auch nichtGegenstand der Politik waren, haben jetzt eine Chanceerhalten. Ich finde, Herr Laumann, es gehört zu der vonIhnen geforderten Ehrlichkeit dazu, auch das zu benen-nen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber auch Folgendes ist wichtig: Die Hartz-Gesetzehaben viele neue Instrumente geschaffen, doch vielewerden noch nicht so eingesetzt, wie es geplant war; das

ist wahr. Die notwendige Relation von 1 : 75 bei denFallmanagern ist an vielen Orten noch nicht erreicht,aber an vielen anderen konnte sie umgesetzt werden. Ichmuss Ihnen sagen: Wenn ich durch das Land reise, stelleich fest – das ärgert mich sehr –, dass fest verankerteStrukturen und Netzwerke für Jugendliche, die in dieBetriebe vermittelt werden sollen, in einem bürokrati-schen Clinch und Wirrwarr zwischen Behörden undKommunen zum Teil auf der Strecke bleiben. Das darfnicht sein. Wir müssen erreichen, dass die Jugendhilfevor Ort, die Arbeitsvermittlung und die Jobcenter an ei-nem Strang ziehen.

Die erste Priorität bei der Bewältigung der Schwierig-keiten – diese sehe ich durchaus –, eine so große Be-hörde umzustrukturieren, muss sein, die Vermittlungder Jugendlichen zu organisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Laumannhätte sie lieber vor Ort!)

Das geht. Wir haben heute schon Kommunen, die dasmachen. Schauen Sie sich Köln an. Dort wird vorge-führt, dass wir mit den Instrumenten und Mitteln vonHartz und der Dezentralität jedem Jugendlichen ein An-gebot machen können. Deswegen ist es richtig, dass wirdas in unseren Antrag hineingeschrieben haben. Es istauch richtig, dass wir die Schwierigkeiten für die Ju-gendlichen in einem Zeitraum, der kleiner als drei Mo-nate ist, ausräumen wollen.

Ich muss zum Schluss kommen. Ich möchte aber ei-nes noch einmal in Richtung Union sagen. Sie sprechenvon lebenslangem Lernen. Sie haben einen Antrag ein-gebracht, in dem man wieder eine Wende feststellenkann, die wahlkampfbedingt ist. Wenn Sie lebenslangesLernen und Bildung ernst nehmen, dann lassen Sie unsmehr in Bildung investieren. Geben Sie Ihre Blockadebei der Abschaffung der Eigenheimzulage auf!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn Sie lebenslanges Lernen in den Betrieben ernstnehmen, dann hören Sie auf, den Kündigungsschutzschleifen zu wollen und das Prinzip des „hire and fire“einführen zu wollen!

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)

Wir brauchen Weiterbildung in den Betrieben. Das heißt,wir brauchen auch Kontinuität in der Beschäftigung. DieWirtschaft und die Politik haben eine Verantwortung ge-genüber den Jugendlichen und nicht umgekehrt.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Ulrike Flach, FDP-Frak-

tion.

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Ulrike Flach (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koali-

tionsfraktionen haben uns heute einen Antrag vorgelegt,der wieder einmal die schöne heile Welt darstellen soll:

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Traum-welt!)

auf der linken Seite die Tollen und die Sozialen, die indie Zukunft schauen, und auf der rechten Seite diejeni-gen, die nur die Reichen erfreuen wollen und den ande-ren in diesem Land die Chancen verbauen wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nicolette Kressl [SPD]: Gutbeschrieben! – Jörg Tauss [SPD]: Sie könnensich ändern!)

Mit dieser Legendenbildung werden wir heute aufräu-men.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Chancen und Perspektiven für eine Bildungskarriere– Frau Bulmahn, das haben Sie eben sehr richtig ge-sagt – werden in der Schule und auch schon vor derSchule aufgebaut. Da stimme ich Ihnen zu. Wir habenaber alle in dieser Woche den „Spiegel“ gelesen, in demaufbereitet wird, wie viel Deutschland für den Elemen-tarbereich ausgibt. Wir geben gerade einmal 3 448 Europro Kind aus. Selbst in Italien, in einem Land, von demder Durchschnittsdeutsche meint, dort laufe es nicht sorichtig, werden 6 468 Euro pro Kind ausgegeben. Das istdas Doppelte. In Großbritannien sind es sogar8 000 Euro pro Kind. Deutschland knausert bei denKleinen und das gerade in den SPD-regierten Ländern.

(Beifall bei der FDP)

Sie, Frau Bulmahn, haben eben wieder versucht, dieseEntwicklung zumindest rein theoretisch ein bisschen zubanalisieren, und Sie haben davon gesprochen, dass Sieden Kommunen durch das Gesetz mit dem „wunder-schönen“ Namen Tagesbetreuungsausbaugesetz 1,5 Mil-liarden Euro zukommen lassen wollen. Aber es ist völligunklar, wie viel von diesem Geld ankommt, wie es ver-teilt wird und wer überhaupt jemals davon profitierenwird.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenden Sie sich an die Länder!)

In Nordrhein-Westfalen kann Ihnen kein Mensch sagen,wie sich das überhaupt auf die Kommunen auswirkenwird. Das ist doch die Realität. Das geschieht in einemBundesland, in dem trotz des Rechtsanspruchs geradeeinmal 84 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder ei-nen Kindergartenplatz bekommen. Im vorschulischenBereich, in dem das Fundament für Bildung gelegt wird,haben wir eine Abdeckung von 2,3 Prozent. Das erinnertan ein Entwicklungsland, liebe Frau Bulmahn, und dasist ein SPD-geführtes Land.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Schulbereich haben Sie versucht, mit dem 4-Mil-liarden-Euro-Ganztagsschulprogramm gegenzusteuern.Das haben Sie eben erwähnt. Damals haben Sie „Zeit fürmehr“ plakatiert. Fakt aber ist – auch das können Sie im„Spiegel“ dieser Woche nachlesen –, dass die Länderdiese Mittel nicht abrufen. Da ist Nordrhein-Westfalennicht vorneweg, wie Sie eben behauptet haben. Nur23 Prozent der Mittel werden in NRW abgerufen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schauen Sie einmal nach Hessen!)

An der Spitze steht Bremen. Mecklenburg-Vorpommernhat nur 20 Prozent der Mittel abgerufen. Berlin ist mit46 Prozent toll; es ist ja auch toll verschuldet. Schles-wig-Holstein hat 27 Prozent der Mittel abgerufen. Dasalles sind SPD-regierte Länder, Frau Bulmahn. Siestehen damit einer weitgehend geschlossenen Front vonVerschleppern der Ganztagsschulbetreuung gegen-über – und das als SPD-Ministerin. Das sind alles IhreLänder.

(Jörg Tauss [SPD]: Aber Sie sollten nicht je-den unseriösen Artikel aus dem „Spiegel“ zi-tieren!)

– Lieber Herr Tauss, jedes Jahr verlassen immer nochrund 80 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss.Fast jeder zweite arbeitslose Jugendliche hat keine abge-schlossene Ausbildung. Nur knapp über 50 Prozent der-jenigen, die keinen Sek-II-Abschluss haben, finden eineBeschäftigung. Damit erreichen wir den magerenPlatz 20 unter 28 untersuchten Ländern, Frau Bulmahn.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Das können Sie doch nicht allen Ernstes als soziale Teil-habe in diesem Lande bezeichnen!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt[FDP]: Sie versuchen es immer wieder!)

Sie haben eben die Bundesregierung gelobt – dassteht Ihnen frei und das wird Ihnen wahrscheinlich auchniemand übel nehmen – und dabei die Hartz-Reformenhervorgehoben. Das mag zwar damals für Sie ein Kraft-akt für die sozialdemokratische Seele gewesen sein – wiralle waren Zeuge –, aber bisher ist von gezielter Förde-rung und besserer Vermittlung nichts zu merken. Im Ge-genteil: Neben den Zahlen, die Herr Laumann eben er-wähnt hat, leben wir doch inzwischen mit der Tatsache,dass nach der Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeitdie Berufsberatung der Arbeitsämter faktisch aufge-geben wurde.

(Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Was?)

Nun will ich nicht behaupten, Frau Bulmahn, dass wirLiberalen meinten, die Arbeitsämter müssten das allestun. Aber Sie haben keinen neuen Weg aufgezeigt. DieJugendlichen – gerade diejenigen, die besonders gestütztund gefördert werden müssen – erhalten durch die Ar-beitsämter keine Beratung mehr. Ist das die soziale Teil-habe?

Sie tragen weiterhin die Ausbildungsplatzabgabewie eine Monstranz vor sich her, Frau Bulmahn – in die-

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Ulrike Flach

sen Tagen geht aus der Presse hervor, dass Sie sie offen-sichtlich wieder für den Herbst androhen wollen –,

(Nicolette Kressl [SPD]: Wo haben Sie das denn her?)

obwohl die Unternehmen Ihnen gezeigt haben, dass manin diesem Land gemeinsam in der Lage ist, gerade etwasfür Jugendliche in diesem Alter zu tun.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt inzwischen 15 400 Ausbildungsplätze mehr– das sind 2,8 Prozent –, und zwar ohne eine Abgabe.Was haben Sie damals für diese Abgabe gekämpft, FrauBulmahn. Wie viele Anhörungen in unserem Ausschusshaben wir durchführen müssen, bis Ihnen klar wurde,dass es so nicht geht.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dass was nicht geht?)

Die Ausbildungsplatzabgabe und der dann erfolgte Paktfür mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Jugendli-che

(Nicolette Kressl [SPD]: Wer hat denn denAusbildungspakt erreicht? Sie haben dochnichts getan!)

haben gezeigt, dass in diesem Lande nicht mit Druckoder einer Abgabe vorzugehen ist; vielmehr wird in die-sem Fall im Einvernehmen mit den Unternehmen gehan-delt. Denn sie – nicht der Staat – sind diejenigen, die dieArbeitsplätze schaffen.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung hat ein Berufsbildungsgesetzbeschlossen – wir haben uns seinerzeit der Stimme ent-halten –, das zumindest in die richtige Richtung ging.Sie haben aber dabei keine Verbesserung in den ent-scheidenden Punkten vorgenommen. Sie wollen nachwie vor die Ausbildungszeiten nicht in ausreichendemMaße verkürzen. Sie wollen nach wie vor nicht in dernotwendigen Weise mit Modulen für benachteiligte Ju-gendliche arbeiten und Sie haben in dem einen Jahr nachder Verabschiedung des Gesetzes gerade zwei neue Be-rufe mit einer zweijährigen Ausbildung geschaffen.

Das kann ich nicht als Schritt in die Zukunft bezeich-nen. Das ist wirklich nicht der Fall, Frau Bulmahn.

Wir als FDP wollen mehr Spielräume für die betrieb-liche Gestaltung in den Ausbildungsverordnungen schaf-fen. Sie hingegen setzen auf die weitere Verschulung.Wir wollen die Verkleinerung der Berufsbildungsaus-schüsse. Sie wollen das nicht. Wir wollen eine Erleichte-rung bei den Vorschriften über Sozialräume und eine fle-xiblere Handhabungsmöglichkeit für Unternehmen beider Höhe der Ausbildungsvergütung.

(Nicolette Kressl [SPD]: Ganz schön rückwärtsge-wandt! Aber Sie können sich nicht durchsetzen!)

All dies haben Sie auf Druck Ihres linken Flügelsnicht machen können, Frau Bulmahn. Daraus ergebensich die Probleme in diesem Bereich. In diesem Fall sindSie nicht in der Lage, den Jugendlichen schnell und un-

bürokratisch das zu bieten, was sie brauchen, nämlich ei-nen Arbeitsplatz und damit einen Platz in der Gesell-schaft, damit sie mitmachen können.

(Beifall bei der FDP)

Ich würde gerne noch etwas zu den Hochschulenausführen, aber wir führen heute noch eine wunder-schöne Debatte über das BAföG, in der wir uns gegen-seitig etwas erklären können. Deshalb will ich nur Fol-gendes anmerken: Wir haben seit 1998 mit Ihnen vielerlebt. Wir haben von Ihnen viele tolle Reden

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So toll wa-ren sie nicht!)

und Versprechungen gehört, Frau Bulmahn. Aber wiesieht die Realität aus? Realität ist, dass wir nach wie vorin einem Land leben, in dem die Leute, die mit einemgoldenen Löffel geboren werden, bessere Chancen ha-ben, während die Armen sehen müssen, wie sie sich ein-gliedern können.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist die Bilanz der rot-grünen Regierung seit 1998.Die Armen sind nach wie vor so weit von der Bildungentfernt, wie sie es 1998 waren. Deswegen ist es Zeit,dass sich die Situation am 22. Mai dieses Jahres – darinstimme ich Herrn Laumann zu – verändert. Nordrhein-Westfalen wird vorangehen und Berlin wird folgen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Brandner, SPD-

Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Klaus Brandner (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! „Aufbruch und Perspektiven – Zu-kunftschancen für Jugendliche in Deutschland stärken“,das ist der Titel unseres Antrags, der deutlich macht, wo-für Rot-Grün steht, kämpft und eintritt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Heute Morgen durften wir gleich beim ersten Tagesord-nungspunkt den Aufbruch miterleben. Bei der Wahl desneuen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe ist deutlich ge-worden, dass Sie selbst in den Kreisen der Oppositionnicht geschlossen auftreten. Schließlich waren auch Sievon diesem qualifizierten Kandidaten überzeugt, sodassgroße Zustimmung aus Ihren Reihen kam. Das ist einStück Aufbruch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben des Weiteren miterleben dürfen, dass wir inNordrhein-Westfalen einen guten Wirtschafts- und Ar-beitsminister haben. Er heißt Harald Schartau. HeuteMorgen ist deutlich geworden: Zu ihm hat die Opposi-tion keine Alternative zu bieten. Auch das muss festge-stellt werden.

(Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Mäßiger Applaus!)

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Klaus Brandner

Wir müssen die Reformen, die wir mit der Agenda2010 begonnen haben, engagiert fortsetzen. Das ist unserAuftrag. Mit „wir“ meine ich nicht nur die Regierung,sondern auch all diejenigen, die mit ihrer Arbeit in denSchulen, in den Kindergärten, bei den Bildungsträgernund in den Arbeitsgemeinschaften mithelfen, damit dieArbeitslosigkeit in diesem Land gesenkt wird. JungeMenschen in unserem Land brauchen eine Perspektive.Sie dürfen nicht ängstlich, sondern sie sollen mit Zuver-sicht der Zukunft entgegensehen, und zwar nach unsererÜberzeugung ganz unabhängig davon, in welcher Le-benssituation sie sich befinden. Junge Menschen müsseneine Chance bekommen. Dafür steht Rot-Grün. Das wol-len wir mit unserem Antrag noch einmal deutlich ma-chen. Wir haben letztlich mit der Agenda 2010 die Zu-kunftsfähigkeit dieses Landes organisiert. Wir sind aufeinem Weg, der letztlich die Chancen für junge Men-schen deutlich verbessern wird.

Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutsch-land hängt nach unserer Überzeugung nicht davon ab,wie lange und für wie viel – noch weniger – Geld in die-sem Land gearbeitet werden muss. Denn eines will ichklar sagen: Wir können und wollen uns nicht mit Billig-lohnländern messen lassen. Mit ihnen wollen wir nichtkonkurrieren. Unser Grundsatz lautet: Wir wollen nichtbilliger sein, sondern wir müssen besser sein. Das ist dieLosung, mit der wir in die Auseinandersetzung gehen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich klar sagen: Im Zuge der Dienstleis-tungsfreiheit ist es deshalb wichtig, dass wir nicht an derSpirale nach unten drehen. Vielmehr müssen wir auch ineiner erweiterten EU Mindeststandards sichern. DieOpposition macht zwar interessante Aussagen. Aberwährend die einen wie Herr Laumann und Herr StoiberMindestlohn und Mindestbedingungen bejahen, sagenandere wie Frau Merkel und Herr Pofalla: unter keinenUmständen. Dieses Hott-und-Hü macht dieses Landnoch nervöser und bietet keine Zukunftsperspektive. Ichwill hier klar sagen: Wir stehen dafür, dass in diesemLand die sozialen Standards nicht der Globalisierungzum Opfer fallen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bedeutetfür uns keine Spirale nach unten. Es geht nicht um weni-ger Lohn und längere Arbeitszeiten. Die Wettbewerbs-fähigkeit hängt vielmehr von der Sicherung der Stand-ortfaktoren ab. Dabei sind das Bildungsniveau, dieRechtssicherheit und die Zuverlässigkeit in dieser Ge-sellschaft ganz wesentliche Faktoren. Im Übrigen sehendas ausländische Investoren genauso. Diese beurteilendie Situation in Deutschland mehr und mehr positiv undloben sie. Das, was in Nordrhein-Westfalen geschieht,was Herr Rüttgers und Frau Merkel fordern, nämlichohne Lohnausgleich länger zu arbeiten, ist nichts ande-res als eine Aufforderung zum kollektiven Tarifbruch.Das muss deutlich gesagt werden. Das bringt diesesLand nicht nach vorne. Das machen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir treten dafür ein, dass die Teilhabe am sozialen,wirtschaftlichen und kulturellen Leben gewährleistetist. Das ist für Sozialdemokraten oberstes Ziel.

Arbeit ist insbesondere für Jugendliche ein zentralerTeilhabefaktor; wie wir wissen, lösen sich nämlich an-dere Bindungen – Bindungen in Vereinen und Organisa-tionen – immer stärker auf. Gerade deshalb ist die Mög-lichkeit, in Arbeit oder in einer Bildungsmaßnahme zusein, für uns ein Faktor von grundlegender Bedeutung.

Herr Laumann, es ist nicht redlich, hier zu erklären– das will ich ganz deutlich sagen –: Ja, auch wir wollen,dass es berufsvorbereitende Maßnahmen gibt; auch wirwollen Angebote für die Jugendlichen schaffen; aber dasalles muss steuerfinanziert werden. Erst sagen Sie, dieseMaßnahmen seien nicht bei der Bundesagentur für Ar-beit anzusiedeln, vielmehr sei dafür die gesamte Gesell-schaft zuständig.

(Jörg Tauss [SPD]: Durch Steuersenkungen!)

Dann sagen Sie: Lassen Sie uns das steuerfinanzieren.Gleichzeitig ziehen Sie tagaus, tagein in diesem Landeumher und sagen: Wir müssen Steuern senken; im Kernmuss dieser Staat bei seinen überbordenden Ansprüchenzurückstecken. Auf der einen Seite fordern Sie, dass Bei-träge nicht genutzt werden und dass diese Maßnahmensteuerfinanziert werden, und auf der anderen Seite sindSie gegen irgendwelche sicheren Finanzierungsgrundla-gen. Das ist ein Widerspruch. Hier muss ganz deutlichgesagt werden: Das ist nicht redlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Arbeitslosigkeit sichtbar gemacht. Wirsagen nicht: Es ist alles gut. Wir haben die Jugendlichenaus dem statistischen Dunkel herausgeholt. Es gibt rund660 000 arbeitslose Jugendliche unter 25 Jahre.16 Prozent von ihnen haben keinen Schulabschluss. ImSGB-II-Bereich, also bei den Beziehern von steuerfinan-zierten Grundsicherungsleistungen, ist sogar ein Drittelder Personen ohne Schulabschluss. 68 Prozent von ihnenhaben keine Ausbildung. Viele von ihnen haben einenMigrationshintergrund. Die Versäumnisse der Bildungs-und Zuwanderungspolitik der 80er- und 90er-Jahre las-sen hier ganz deutlich grüßen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie so oft ist dabei wieder einer durchgebrannt, HerrLaumann. Er sagt: 21 Prozent der Jugendlichen in NRW

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Der aus-ländischen Kinder!)

gehören zu den Lernbehinderten und sind in Sonder-schulen untergebracht. Richtig ist, dass 4,9 Prozent derSchüler Lernbehindertenschulen, also Sonderschulen,besuchen. Richtig ist aber auch, dass es auf diesem Ge-biet im letzten Jahr eine Steigerungsrate von 21 Prozentgab. Das hat etwas damit zu tun, dass man diesen Perso-nenkreis ganz besonders fördert. Auch deshalb wird die-

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Klaus Brandner

ses statistische Dunkel gelichtet. Wir widmen uns die-sem Problem ganz konkret. Wir widmen uns denMenschen und wir banalisieren nicht und pauschalisie-ren nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Ihr macht schon Fehler beim Zuhören!)

Wir sind dabei, die Umsetzung der Reformen zu op-timieren. Die Einführung von Hartz IV hat trotz einerknappen Vorlaufzeit gut geklappt. Die CDU hat diesesGesetz zwar mitbeschlossen, aber wenig mitgeholfen, esin die Praxis umzusetzen. Sie mäkelt: Eigentlich solltedie BA nicht zuständig sein; sie ist überfordert; dieKommunen sollten es machen. Ob das richtig ist, wirdsich zeigen.

Aber es wird sich auch zeigen, ob es redlich ist, dassSie in Bezug auf Ausschreibungsmaßnahmen sagen:Preis und Qualität müssen in den Vordergrund gerücktwerden. Genau das hat Rot-Grün organisiert. Die BA hatam Anfang falsch gesteuert. Wir, nicht Sie, haben dafürgesorgt, dass Preis und Qualität im Vordergrund stehen.Es wird darum gehen, in die Vergabeordnung zum Bei-spiel die Tariftreue aufzunehmen. Ich bin gespannt, in-wieweit Sie diesen Ansatz für einen fairen Wettbewerbmittragen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

An genau dieser Stelle kneifen Sie nämlich. In derVergangenheit haben Sie all das verhindert, was dazu ge-führt hat, dass gerade ein geordneter Wettbewerb über-haupt stattfinden konnte. Hier stellen Sie sich hin undbehaupten großspurig: Die Qualität gehört in den Vor-dergrund; nicht der Preis, sondern der Mensch mussPriorität haben. Hier muss deutlich gesagt werden: Dasist heuchlerisch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind für eine intensive Betreuung. Wir wollen,dass auf 75 längere Zeit arbeitslose Jugendliche ein An-sprechpartner kommt. In Nordrhein-Westfalen beträgtdieses Verhältnis schon eins zu 78. Dort ist eine tolleLeistung erbracht worden. Ich will nicht sagen, dass daalles schon gut ist; schließlich müssen diese Jugendli-chen noch weiter ausgebildet werden.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Vor allem müssen sie in Arbeit gebracht werden!)

Wir stellen 6,55 Milliarden Euro zur Verfügung, damitdiese Menschen eine Chance bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Beispiel sucht auf der ganzen Welt seinesglei-chen. Unterstützen Sie diesen Prozess und mäkeln Sienicht dauernd an ihm herum!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Arbeitslosig-keit ist kein Problem Einzelner, sondern der gesamtenGesellschaft. Darum müssen wir alle mithelfen. Wir dür-fen nicht immer nur auf den anderen zeigen, sondern wiralle, das heißt auch die Unternehmen, die Tarifpartner,die Menschen in den Jobcentern, in den Arbeitsagentu-ren, die Beschäftigungs- und Bildungsträger, müssenmithelfen, damit wir die Jugendarbeitslosigkeit zurück-drängen. Wenn ich von „wir“ spreche, dann meine ich,dass jeder Einzelne das zu seinem ganz privaten Anlie-gen machen muss, sei es bei der Mithilfe bei der Organi-sation von Arbeitsgelegenheiten oder Weiterbildungs-maßnahmen oder der Organisierung eines neuenAusbildungsplatzes.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Brandner, Sie müssen zum Schluss kommen.

Klaus Brandner (SPD): Das ist eine Gemeinschaftsaktivität, zu der wir ge-

meinsam stehen sollten. Dazu rufe ich Sie alle auf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile Kollegin Maria Böhmer, CDU/CSU-Frak-

tion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die SPD zeichnet in ihrem Antrag das Bild ei-ner schönen neuen Welt. Nur: Die Realität sieht leideranders aus.

(Klaus Brandner [SPD]: Schon wieder Schwarzmalerei!)

– Nein, das ist keine Schwarzmalerei. – Mehr als660 000 Jugendliche sind arbeitslos.

(Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie Ihr Kind heute schon gelobt?)

Es gibt 5,2 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Dassind Fakten, an denen wir nicht vorbei können.

Die Jugendlichen, die uns heute auf der Tribüne imDeutschen Bundestag zuhören, wollen wissen, wie esweitergeht.

(Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut! Sagen Sie was!)

Sie wollen keine Warteschleifen, sondern ganz konkretdie Chance auf einen Arbeits- oder Ausbildungsplatzhaben. Da ist ihnen mit Schönfärberei nicht gedient.

(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl[SPD]: Sagen Sie doch mal was! – KlausBrandner [SPD]: Wo haben wir Schönfärbereibetrieben? Haben Sie nicht zugehört?)

Ich will aus Ihrem Antrag zitieren. Sie schreiben:

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Dr. Maria Böhmer

Hartz IV sieht vor, hilfebedürftigen Jugendlichenunter 25 Jahren unverzüglich eine Ausbildung, Ar-beit oder eine Arbeitsgelegenheit anzubieten.

Ich war wie viele von Ihnen in einer Arbeitsgemein-schaft, die vor Ort Hartz IV umsetzt. Ich habe mir dieStatistik angesehen. Ich habe gefragt: Wie sehen dieEinzelschicksale aus, die sich hinter diesen Zahlen ver-bergen? Die Mitarbeiter haben mir gesagt: Wir könnenes Ihnen nicht sagen. Uns fehlen die Daten. Wir sindnoch nicht so weit. – Das bedeutet: Es ist gegenwärtigschier unmöglich, diesen Jugendlichen gegenüber dasVersprechen einzulösen, mit ihnen eine individuelle Ein-gliederungsvereinbarung zu treffen.

(Klaus Brandner [SPD]: Wir sind auf dem richtigen Weg!)

Das Schicksal der vielen allein erziehenden Mütterund Väter ist besonders dramatisch.

(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie den An-trag einmal gelesen?)

Es gibt eine Riesenzahl von Alleinerziehenden, dienach Hartz IV besonderen Anspruch auf Kinderbetreu-ung haben.

(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie den An-trag einmal gelesen?)

Fragen Sie einmal in der Arbeitsagentur oder in derKommune, ob man dort weiß, wie die reale Situation ist,und ob man Ihnen die Zahlen aufschlüsseln kann!

(Klaus Brandner [SPD]: Ein Trauerspiel, was Sie zum Besten geben!)

Fehlanzeige! Die Hilfe fehlt. Deshalb entspricht das, wasSie hier sagen, nicht den Tatsachen;

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo bleibt Ihre Wahrhaftigkeit?)

es entspricht nicht der Wirklichkeit in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie nicht zugehört?)

1,1 Milliarden Euro werden von der Bundesagenturallein nur für die Förderung benachteiligter Jugendli-cher in unserem Land ausgegeben. Der KollegeLaumann hat völlig Recht, wenn er den Blick auf diesenPunkt richtet. Das ist eine enorme Summe. Sie zeigtauch, dass vorher etwas schief gelaufen ist – in derSchule und im Elternhaus. Es kann nicht sein, dass wirimmer nur reparieren. Wir müssen an den Wurzeln an-setzen. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kindereine bessere Bildung bekommen und dass die Erziehungim Elternhaus besser klappt. Das Ziel muss heißen: Ur-sachen der Bildungsmängel beseitigen, um nicht reparie-ren zu müssen.

Laut PISA haben 200 000 Schüler jedes Jahrgangsschwere Lese- und Schreibprobleme. 100 000 Schülerverlassen die Schule ohne Abschluss. 85 000 von ihnenkommen aus der Hauptschule. Die BDA stellt fest: Män-gel im Lesen, Rechnen und Schreiben sind genau so ver-

breitet wie fehlende Verantwortungsbereitschaft oderfehlendes Durchhaltevermögen.

Wenn Sie sich noch einmal mit der Nachvermitt-lungsaktion der Industrie- und Handelskammern desletzten Jahres befassen, dann werden Sie feststellen, dassein Drittel der Kandidaten gar nicht erst erschienen warund dass nur 42 Prozent der Jugendlichen für eine beruf-liche Ausbildung geeignet waren. Das ist ein dramatischschlechtes Zeugnis für das, was vorher in der Schule ge-schehen ist.

Wer genau darauf schaut, wie es um Bildungs- undSchulpolitik bestellt ist, erkennt: Die schlechtesten Er-gebnisse – das zeigt PISA, das zeigt IGLU und das zeigtTIMSS – sind in den sozialdemokratisch regierten Län-dern.

(Ute Berg [SPD]: Das ist doch gelogen! – Wei-terer Zuruf von der SPD: Wie man so lügenkann! – Gegenruf des Abg. Dr. AndreasScheuer [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh!)

Sie sind mit dem Ziel angetreten, Chancengleichheitherzustellen. Das ist Ihnen nicht gelungen. Sie haben inNordrhein-Westfalen das große Experiment Gesamt-schule durchgeführt. Sie sind mit dieser Schule kläglichgescheitert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

PISA zeigt uns: Nirgendwo sind die Bildungschancen sostark vom sozialen Hintergrund abhängig wie in Nord-rhein-Westfalen

(Zurufe von der SPD)

und in keinem Bundesland sind die Leistungsunter-schiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshin-tergrund so groß wie in Nordrhein-Westfalen.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So ist es!)

Ein Viertel der 15-jährigen Schülerinnen und Schülerdort kann nicht ordentlich lesen, schreiben und rechnenund mehr als jeder zehnte Hauptschüler in Nordrhein-Westfalen verlässt die Schule ohne Abschluss.

(Ute Berg [SPD]: Und in Bayern?)

Das entspricht 244 kompletten Hauptschulklassen, dieohne Abschluss ins Leben gehen.

Angesichts dieser Situation und des Ausfalls von5 Millionen Unterrichtsstunden streicht Nordrhein-West-falen jetzt Lehrerstellen an Gymnasien, Hauptschulen,Realschulen, Gesamtschulen und Sonderschulen.

(Klaus Brandner [SPD]: Die Erde ist eine Scheibe!)

Das ist die Realität und nicht die schöne neue Welt, dieSie hier zeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ute Berg [SPD]: Die verzerrte Realität der Frau Böhmer!)

Und wie wollen Sie diese Probleme lösen? Ich habees hier von Frau Bulmahn gehört, als es um PISA ging.Wir haben die Auseinandersetzungen in Schleswig-Hol-stein und auf dem Berliner SPD-Parteitag vor wenigen

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Dr. Maria Böhmer

Tagen erlebt und wir erleben es in Nordrhein-Westfalen.Gegen den Rat aller Experten wollen Sie die Einheits-schule durchsetzen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen:Lassen Sie ab von diesem Irrweg. Er führt Schüler in diedenkbar schwierigste und schlechteste Ausgangssitua-tion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl[SPD]: Sie sind die pure Ideologin, FrauBöhmer! Eine echte Ideologin!)

– Ich freue mich über Ihren Zuruf und möchte mit einerAussage von Professor Baumert, Chef des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und einer der großen Bil-dungsexperten in unserem Land, darauf eingehen. Erbringt es auf den Punkt, indem er ganz deutlich sagt: Esgeht nicht darum, die Schulstruktur umzustülpen, son-dern vorhandene Schulsysteme intelligent zu nutzen.

(Nicolette Kressl [SPD]: So wie in Bayern!)

An dieser Stelle scheitern Sie. Wir müssen die Haupt-schule stärken.

(Jörg Tauss [SPD]: Im Saarland haben Sie sie gerade abgeschafft!)

Wir müssen Praxis in die Schule bringen. Wir brauchendie Verknüpfung von betrieblicher und schulischerWirklichkeit. Wir können nicht schulmüde Schüler im-mer länger auf der Schulbank halten, sondern wir müs-sen ihnen die Chance geben, sich in der betrieblichenPraxis zu bewähren. Hierfür gibt es Beispiele: in Hessendie SchuB-Klasse, in Bayern und Baden-Württembergdie Praxisklassen. Diesen Beispielen muss man folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch ein Wort zu Ganztagsschulenund zu frühkindlicher Bildung und Erziehung sagen. Wirunterstützen die Einführung von Ganztagsschulen in un-serem Land. Diese Entwicklung muss gestärkt werden.Aber es darf kein Milliardenbluff sein, wie wir es im„Spiegel“ nachlesen können. Die Anwürfe gegenüberden CDU-regierten Ländern sind völlig falsch, wenn inNordrhein-Westfalen von den bereitgestellten 297 Mil-lionen Euro gerade einmal 23 Prozent abgerufen werden.Die Fehler sind in Ihrem eigenen Bundesland zu suchen,Herr Müntefering, und nicht bei der Union.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Sie sind auch dort zu suchen, wo es um die Qualität vonGanztagsschulen geht. Es ist nicht allein mit der Bereit-stellung von Mittagessen, mit Hausaufgabenbetreuungund mit Betreuungsangeboten am Nachmittag wie Sportoder Theaterspiel getan.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Wer Ganztagsschulen in unserem Land will, der mussdafür sorgen, dass dort, wo Schule drauf steht, auchSchule drin ist. Das heißt: Wir brauchen Bildung in denGanztagsschulen. Dafür werden sich die CDU- undCSU-regierten Länder einsetzen. Dafür ist es an der Zeit.

(Zurufe von der SPD)

Dasselbe gilt im Bereich der frühkindlichen Bildungund Erziehung. Wir haben das Tagesbetreuungsausbau-gesetz mitgetragen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ausge-rechnet die Bildungsblockierer!)

Wir haben an dieser Stelle aber auch deutlich gemacht:Der Ausbau der Kinderbetreuung in unserem Land darffinanziell nicht auf tönernen Füßen stehen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Kressl?

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Ich gestatte natürlich gern der Frau Kollegin Kressl

eine Zwischenfrage, weil es immer spannend ist, mit ihrzu diskutieren.

Nicolette Kressl (SPD): Sehr geehrte Frau Kollegin Böhmer, das nette Kom-

pliment wird mich nicht daran hindern, Sie zu fragen,nachdem Sie gerade behauptet haben, CDU-regierteLänder würden ihre Ganztagsschulen mit pädagogi-schem Personal ausstatten, warum beispielsweise dieKultusministerien weder in Niedersachsen noch in Ba-den-Württemberg

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

bereit sind, die von uns geförderten Ganztagsschulenauch nur mit etwas mehr pädagogischem Personal aus-zustatten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In Baden-Württemberg wird sogar argumentiert, eine zu-sätzliche pädagogische Ausstattung sei nur für Schulenin sozialen Brennpunkten nötig. Das bedeutet eine Stig-matisierung von Ganztagsschulen. Ich finde, Sie solltenwirklich aufpassen, wie Sie argumentieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Frau Kollegin Kressl, wir streiten hier nicht um die

Tatsache, dass man pädagogische Konzepte braucht, dassman qualifizierte und motivierte Lehrkräfte im Ganztags-schulbereich braucht, dass es eine Umstellung hin zuwirklichen Ganztagsschulkonzepten geben muss, son-dern wir streiten darüber, was in den Ländern passiert.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, genau!)

Dazu sage ich Ihnen als jemand, der aus dem LandRheinland-Pfalz kommt, das ja sozusagen für die SPDdie Vorreiterfunktion im Bereich der Ganztagsschulenübernommen hat, ganz deutlich:

(Nicolette Kressl [SPD]: Sagen Sie einmal et-was zu Baden-Württemberg und Niedersach-sen!)

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Dort werden Vereine gebeten, die Nachmittagsbetreuungzu übernehmen. Dabei handelt es sich nicht um pädago-gisch qualifizierte Kräfte.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist falsch!)

Es handelt sich um Landfrauen – die ich sehr schätze –,die Kochkurse machen,

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist gelogen!)

und Übungsleiter von Sportvereinen, die normalerweiseKurse für Erwachsene geben.

(Jörg Tauss [SPD]: Falsch!)

Nach den Besuchen, die ich in jüngster Zeit in Schulengemacht habe, muss ich Ihnen sagen: Mittlerweile erklä-ren mir die Schulleiterinnen und Schulleiter, dass sieendlich auf pädagogische Kräfte zurückgreifen wollen.Deshalb ist es notwendig, dass Sie vor Ihrer eigenenHaustür kehren und dort für Ordnung sorgen. Wir sorgenin den CDU-regierten Ländern dafür. Die von uns dortbetriebene Schulpolitik ist ja auch von PISA, IGLU undTIMSS mit den besten Noten bewertet worden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Jörg Tauss [SPD]: Wieder falsch! – NicoletteKressl [SPD]: Damit ist meine Frage nicht be-antwortet!)

Ich möchte noch ein Wort zum Ausbau der frühkind-lichen Bildung und Erziehung sagen. Wir brauchenBildung von Anfang an. Da die Finanzen nicht stimmen– die versprochenen 1,5 Milliarden Euro sind bei denKommunen nicht angekommen –, stehen die Kommu-nen mit dem Rücken zur Wand. Wir halten es aber fürrichtig, dass alle Anstrengungen unternommen werden,um Kinder früh, das heißt von Anfang an zu fördern.Was tut sich an dieser Stelle? Das Saarland ist beispiel-haft vorangegangen, indem das dritte Kindergartenjahrbeitragsfrei gestellt worden ist. Im Unterschied dazumüssen die Eltern im SPD-geführten Berlin bis zu500 Euro für einen Ganztagsplatz zur Kinderbetreuungzahlen. Das führt zu Abmeldungen; das ist kontrapro-duktiv. Folgen Sie unserem Weg! Setzen Sie sich dafürein, den Bereich des Kindergartens beitragsfrei zu stel-len. Das gibt bessere Chancen im Bildungsbereich. Dasschafft Möglichkeiten für Integration. Das führt dazu,dass Kinder von Anfang an eine gute Förderung erfahrenkönnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Abschluss möchte ich an dieser Stelle noch einWort zu dem sagen, was Sie uns in den letzten Tagenböswilligerweise immer wieder unterstellt haben, näm-lich dass wir das BAföG abschaffen wollten.

(Zurufe von der SPD: Ja! – Krista Sager[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus den Län-dern hört sich das so an!)

Ich sage Ihnen an dieser Stelle noch einmal in aller Deut-lichkeit:

(Franz Müntefering [SPD]: „Niemand hat die Absicht!“)

Wir wollen BAföG nicht abschaffen. Sie nehmen hiereine böswillige Unterstellung vor, um von Ihren eigenenFehlern im Bildungsbereich und beim BAföG abzulen-ken.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: „Niemand hat die Ab-sicht, eine Mauer zu bauen!“)

Die Wahrheit ist: Seit 2001 sind die Bedarfssätze und dieFreibeträge nicht mehr angehoben worden. Das ist dieWahrheit in Bezug auf die Förderung von Studierendenin unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb sage ich: Es muss Schluss sein mit Schönfär-berei. Es muss Schluss sein mit dem Verweigern vonAnalysen. Wir müssen uns die Fakten vor Augen führenund eindeutig handeln, damit Jugendliche in unseremLand eine Perspektive erhalten. Dafür brauchen wir ei-nen Perspektivwechsel in der Politik. Der Anfang wirdin Nordrhein-Westfalen gemacht. Dort werden die Bür-gerinnen und Bürger die Weichen neu stellen. Wir wer-den für die Jugendlichen kämpfen. Uns wird das gelin-gen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Klaus Brandner [SPD]: Die-ses Land hat eine bessere Opposition ver-dient!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Grietje Bettin.

Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Die Schwarz-Weiß-Bilder, die Sie, liebe Opposi-tion,

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wenigs-tens sind wir schon mal „lieb“! Das ist schonwas!)

heute hier in der Debatte aufzeigen wollen, sind zwareinfach, aber sie helfen uns, gerade den Jugendlichen inunserem Land, in dieser Situation absolut nicht weiter.Konstruktive Lösungsansätze habe ich von Ihnen heutein der Debatte nicht gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Anton Schaaf [SPD]: Ha-ben wir auch nicht erwartet!)

Aber es ist doch klar: Viele Rädchen, große undkleine, müssen in Deutschland, im Bund, in den Ländernund Kommunen, gedreht werden, damit wir unser Bil-dungs- und Ausbildungssystem an die Herausforderun-gen anpassen können. Wir sind uns hier hoffentlich alledarin einig, dass Bildungschancen Lebenschancen sind.Wir alle sind aufgefordert, gerade den Jugendlichen indiesem Land diese so notwendigen Lebenschancen mitauf den Weg zu geben. Jeder Mensch braucht, gerade inder Wissensgesellschaft, eine gute Erstausbildung undmuss sein ganzes Leben lang ständig weiterlernen, umam gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

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Grietje Bettin

Die vier Anträge, die wir heute hier gleichzeitig bera-ten, befassen sich mit den Rahmenbedingungen für einLernen in allen Lebensphasen. Ich will mich auf ein paarKernpunkte beschränken. In dem Antrag der Koalitionwird sehr deutlich, dass wir erhebliche Ressourcen fürJugendliche bereitstellen und die Rahmenbedingungenstark zugunsten der Wirtschaft verändert haben, um dasAusbilden attraktiver zu machen. Trotzdem haben wir indiesem Jahr wieder weniger Ausbildungsplätze als Aus-bildungswillige. Wenn hier immer wieder mit mangeln-der Ausbildungsreife argumentiert wird, ist das meinerMeinung nach sehr fadenscheinig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

In Sachsen zum Beispiel sind letztes Jahr 2 600 Jugend-liche ohne Ausbildungsplatz geblieben. Für ganze85 Lehrstellen konnte kein geeigneter Bewerber gefun-den werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein riesigesProblem, dass die Jugendlichen trotz des Ausbildungs-paktes und trotz des absehbaren Fachkräftemangels soim Stich gelassen werden. Natürlich ist es verheerend,wenn fast ein Viertel aller Schulabsolventen das Lesen,Schreiben und Rechnen nicht beherrscht. Hier sind ne-ben weiteren Reformvorhaben der Länder in Sachen Bil-dungspolitik auch Initiativen der Wirtschaft gefragt, diesich damit befassen, wie die Jugendlichen zu Fachkräf-ten ausgebildet werden können. In fünf bis sechs Jahrenwerden wir diese Fachkräfte dringend benötigen.

Darüber hinaus ist es auch aus Sicht der Wirtschaftwichtig, dass alle Menschen Impulse und Möglichkeitenbekommen, ständig weiterzulernen. Der Weiterbil-dungsantrag der Union liest sich da gar nicht soschlecht; dort ist die Rede von Bildungssparen und Wei-terbildungs-BAföG. Wenn Sie das ernst meinen würden,könnten wir in diesen Punkten sehr schnell einig werden.Aber Sie verweigern sich gleichzeitig total, wenn es umeine vernünftige Bildungsfinanzierung geht. Ich nennenur das Stichwort Eigenheimzulage. Außerdem wollenSie das BAföG eigentlich abschaffen. Glauben Sie imErnst, Sie könnten dann ein Erwachsenen-BAföG ein-führen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Thema Hoch-schulfinanzierung wird heute Nachmittag in derBAföG-Debatte noch einiges gesagt werden; deshalbwerde ich auf diesen Punkt jetzt nicht weiter eingehen.Aber wenn, wie der Bundespräsident sagt, „Vorfahrt fürArbeit“ gilt, dann müssen wir in diesem Sinne die ent-sprechenden Grundlagen schaffen. Die Grundlage fürdie Teilhabe am Arbeitsmarkt sind gerechte Bil-dungschancen. Es ist aber – das möchte ich abschließendnoch einmal betonen – nicht allein die Politik, die fürdiese Chancen verantwortlich ist. Verantwortlich sindauch die Unternehmen, die sich mehr für die Zukunft derJugendlichen einsetzen sollten,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

statt immer nur das finanzielle Wohl ihrer Aktionäre imAuge zu haben.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da hat sie Recht!)

Das ist meiner Ansicht nach verdammt kurzsichtig unddas sollten wir ihnen nicht durchgehen lassen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Der GenosseMüntefering geißelte gestern in einer Rede die „Machtdes Kapitals“ und die „totale Ökonomisierung“. Das wareine wahrhaft revolutionäre Rede. Ich selbst fühlte michvon ihm dreimal links überholt.

(Lachen des Abg. Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU] – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wo sieRecht hat, hat sie Recht!)

Die Rede, Kollege Müntefering, klang radikal und klangvor allem nach Wahlkampf.

Nun ist die Bundesregierung zwar nicht allmächtig,aber es liegt doch in ihrer Macht, etwas gegen die Machtdes Kapitals und gegen die totale Ökonomisierung zutun.

Ich kann mich noch gut an den Wahlkampf in Nieder-sachsen erinnern. Der Spitzenkandidat der SPD fordertedamals die Wiedereinführung der Vermögensteuer zurFinanzierung der Bildung. Der Kanzler lehnte ab. Seit-dem habe ich aus SPD-Kreisen nichts mehr von der Ver-mögensteuer gehört und auch von den Grünen ist – trotzParteitagsbeschluss zur Wiedereinführung der Vermö-gensteuer – gar nichts mehr zu hören.

Wir als PDS fordern die Wiedereinführung der Ver-mögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuer zurFinanzierung der Bildung. Ein Zehntel der Haushalte inunserem Land besitzt fast die Hälfte des gesamten Ver-mögens. Ich bin mir sicher, dass diese Haushalteschmerzfrei einen Beitrag für die Zukunft der Jugendleisten können und vielleicht sogar wollen.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Doch sie werden von der Bundesregierung nicht behel-ligt.

Wir als PDS wollen den breiten Zugang zur Bildungfür alle Jugendlichen herstellen und sichern. Leider lie-gen die Studienchancen der Kinder aus Facharbeiter-familien um das Vierzehnfache niedriger als die der Kin-der von Selbstständigen. Wir als PDS wollen diesemassive Ausgrenzung beenden.

Im Übrigen, meine Damen und Herren von der CSU,ist die Selektion nach Einkommensschichten laut einerOECD-Studie am stärksten in Bayern. Da Sie es sich so-zusagen zum Hobby gemacht haben, landespolitischeThemen im Bundestag zu behandeln, wäre es vielleicht

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Dr. Gesine Lötzsch

auch einmal ein Thema für eine Aktuelle Stunde, warumdenn in Bayern so früh aussortiert wird.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Die Kollegin Böhmer hat die SPD-Parteitagsbe-schlüsse zur Einheitsschule angesprochen. Da sich dieSPD gestern weggeduckt hat und sich nicht zu den Be-schlüssen der Berliner SPD verhalten hat, darf ich Ihnenvielleicht einmal ganz kurz erklären, warum in der Berli-ner Landespolitik der rot-rote Senat sich für ein längeresgemeinsames Lernen ausgesprochen hat. Wissenschaftli-che Untersuchungen, die es in vielen Ländern gibt, ha-ben bewiesen, dass die Chancen in Bezug auf die spätereAusbildung erhöht werden, wenn Kinder lange gemein-sam lernen. Viele Bildungspolitiker pilgern jetzt nachFinnland und schauen sich die Situation vor Ort an. Esgibt auch noch andere Möglichkeiten. Ich denke, derPraxistest ist überzeugend ausgefallen und zeigt, dasseine frühe Selektion nicht sinnvoll ist. In Bayern ist, wiegesagt, diese Selektion besonders stark ausgeprägt.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Die Einführung von Studiengebühren und die Ab-schaffung des BAföG, wie von CDU und CSU gefordert,sind ein Irrweg. Sie führen zu einer weiteren Ausgren-zung der Jugendlichen. CDU und CSU schreiben in ih-rem Antrag, Drucksache 15/4931, dass „Selbstverständ-lich … Studienbeiträge sozial verträglich ausgestaltetsein müssen“.

Studiengebühren sind aber nicht sozial verträglich. Esgibt keine sozial verträglichen Studiengebühren. Werselber davon nicht überzeugt ist, kann sich beispiels-weise eine wissenschaftliche Ausarbeitung aus diesemHause anschauen. Der Wissenschaftliche Parlaments-dienst hat in einer vergleichenden Studie festgestellt:

In keinem der untersuchten Staaten konnte schlüs-sig die Sozialverträglichkeit von Studiengebührendargelegt werden. … Auch das immer wieder vor-gebrachte Argument, wonach Studiengebühren zueinem zügigeren Studienverlauf führen, konntenicht belegt werden.

In den USA – sie werden von CDU und CSU gerneals Beispiel herangezogen – sind in den letzten zehn Jah-ren die Kosten staatlicher Colleges um fast 80 Prozent,die Einkommen aber nur um 38 Prozent gestiegen. Dasmotiviert nicht gerade zur Übernahme des amerikani-schen Modells.

Wir als PDS beklagen nicht wie der GenosseMüntefering die Macht des Kapitals, sondern wir habenkonkrete Finanzierungsvorschläge, die nur mutig umge-setzt werden müssen. Diesen Mut, Kollege Müntefering,muss die von Ihnen unterstützte Regierung aufbringen,wenn sie der Jugend eine Zukunft geben will.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Roth.

Karin Roth (Esslingen) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit unserem heutigen Antrag zeigen wir die Zu-kunftsperspektiven der Jugend auf. Es geht in der Tat umdie Frage: Wie schaffen wir es gemeinsam, jungen Men-schen genügend Ausbildungs- und Arbeitsplätze zurVerfügung zu stellen? Ich möchte ergänzen, dass es beidieser Debatte auch darum geht, die Zukunftschancender Unternehmen im Blick zu haben. Denn nicht ausge-bildete Menschen bedeuten gleichzeitig Facharbeiter-mangel in der Zukunft.

Die negative demographische Entwicklung wird oftbeschworen, aber ihre beschäftigungspolitischen Konse-quenzen werden unterschätzt. Es droht ein Fachkräfte-mangel in der Industrie, im Handwerk und im Dienstleis-tungsbereich, wenn es nicht gelingt, allen Jugendlicheneine Ausbildung zukommen zu lassen. Das ist eine dergrößten Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutsch-land. Der gemeinsame Ausbildungspakt der Bundesre-gierung und der Wirtschaft, die sich verpflichtet hat, al-len Ausbildungswilligen und Ausbildungsfähigen einenAusbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, ist dabei einrichtiger und wichtiger Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die positive Bilanz, die wir bisher zu verzeichnen ha-ben, müssen wir auch in diesem Jahr erreichen, damit dieJugendlichen eine Ausbildungsperspektive haben. Nurso kann die Wirtschaft ihren Kräftenachwuchs sichernund nur so ist gewährleistet, dass eine Produktion mit ei-ner hohen Produktivität und Qualität ermöglicht wird.Deshalb appelliere ich an die Wirtschaft, alles zu tun, da-mit die ausbildungsbereiten Jugendlichen auch in diesemJahr nicht in unnötige Warteschleifen geschickt werden,sondern die Ausbildung erhalten, die sie auch brauchen.Wir erwarten, dass die Arbeitgeber ihre Verpflichtungaus dem Ausbildungspakt ohne Wenn und Aber erfüllen,und gleichzeitig setzen wir darauf, dass vermehrt Tarif-verträge zur Schaffung von Ausbildungsplätzen abge-schlossen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das ist ein Hebel, um mehr Ausbildung zu errei-chen.

Wer heute die Bildungspotenziale der Jugend ver-spielt, versündigt sich nicht nur an dieser Generation,sondern gleichzeitig auch am gesamten Wirtschafts-standort. Es geht also um die Wahrnehmung von Verant-wortung und dabei vor allem um Verantwortung im Be-reich der Wirtschaft. Wir haben die Rahmenbedingungendafür gesetzt. Das Berufsbildungsgesetz wurde moderni-siert und zum ersten Mal sind die Berufsausbildungs-gänge auch international anerkannt. Das ist ein wichtigerSchritt in Richtung Europa.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit unserem Gesetz zur Förderung der Ausbildungund Beschäftigung schwerbehinderter Menschen – man

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Karin Roth (Esslingen)

muss betonen: es geht um behinderte Jugendliche – ha-ben wir es geschafft, betriebliche und überbetrieblicheAusbildung besser zu verzahnen. Jetzt sind die Unter-nehmen an der Reihe, diese Jugendlichen auch einzustel-len, damit diesen benachteiligten Jugendlichen eine Zu-kunftschance gewährt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum ersten Mal haben wir als Regierung dieVerpflichtung übernommen, in einem Gesetz einenRechtsanspruch für Jugendliche unter 25 Jahren aufVermittlung in Ausbildung, Arbeit und Beschäftigungfestzuschreiben. Vorher hat das noch keine Bundesregie-rung getan. Wir haben das wohl wissend, dass das einewichtige Zukunftsaufgabe ist, getan.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei den arbeitslosen Jugendlichen setzen wir ganz be-sonders auf die Förderung von benachteiligten Jugend-lichen. Deshalb, Herr Laumann, verstehe ich geradenicht, dass Sie die benachteiligten Jugendlichen nichtfördern wollen, sondern die Finanzierungsfrage in denMittelpunkt stellen. Sie wissen ganz genau: Im Rahmenvon SGB II werden die Jugendlichen aus Steuermittelnund nicht aus Beitragsmitteln finanziert. So viel Ehrlich-keit muss sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 1,2 Milliarden Euro! Die Agentur!)

Es ist auch richtig, dass die Berufsvorbereitungsmaßnah-men zum Teil aus dem SGB III finanziert werden.

(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 1,2 Milliarden Euro!)

Aber die jugendlichen Empfänger von Arbeitslosen-geld II erhalten Eingliederungsmaßnahmen aus Steuer-mitteln. Dafür haben wir gesorgt und nicht Sie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: 1,2 Milliardenbei der Bundesagentur!)

In diesem Zusammenhang geht es auch um die Ver-mittlung von Sprachkompetenz. Auch das haben wir ge-macht: In unseren Maßnahmen ist die Vermittlung vondeutscher Sprachkompetenz vorgesehen. Natürlich ha-ben Sie Recht, dass es besser wäre, wenn die Länder indiesem Bereich ihre schul- und bildungspolitischen Auf-gaben wahrnehmen würden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Na also!)

Aber genauso richtig ist, dass wir, wenn es den Ländernnicht gelungen ist, das zu machen, diese Aufgaben über-nehmen. Wir können doch nicht die Jugendlichen imStich lassen, nur weil die Bildungspolitik versagt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – JörgTauss [SPD]: Die Bildungspolitik der Länder!)

– Natürlich die Länder. Ich denke hier beispielsweise anBaden-Württemberg, das Land, aus dem ich komme.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nichts ge-gen Baden-Württemberg!)

Es geht darum, Eingliederungsmaßnahmen für Ju-gendliche zu organisieren, und darum, dass die Trägerder Jugendhilfe und der Wirtschaft jetzt gemeinsam vorOrt regionale Ausbildungs- und Beschäftigungsinitia-tiven starten. Sie sollten uns dabei vor allen Dingen inden Regionen unterstützen. Sie sollten nicht blockierenund mäkeln, sondern die Unternehmen gemeinsam mituns auffordern, die Jugendlichen zu integrieren.

Ein letzter Punkt, der wichtig ist.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit leider

schon überschritten. Bitte nur noch einen Schlusssatz!

Karin Roth (Esslingen) (SPD): Schade, ich hätte so gerne noch gesagt,

(Heiterkeit bei der SPD)

dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einwichtiger Punkt ist und dass deshalb Jugendliche, insbe-sondere junge Frauen, vorrangig –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin!

Karin Roth (Esslingen) (SPD): – Tagesplätze zur Betreuung ihrer Kinder erhalten

sollten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Scheuer.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Wich-tigkeit dieser Jugenddebatte sieht man an der Präsenz derRegierungsmitglieder: Nicht einmal die zuständige Mi-nisterin, die Jugendministerin, ist anwesend; sie hat sichwährend dieser Debatte fortgeschleppt. Das ist wirklichtraurig, traurig, traurig.

(Ute Berg [SPD]: Bescheuert, bescheuert, bescheuert!)

Man kann nur drei Vermutungsvarianten anstellen,weshalb die Koalition ihren Antrag in dieser Form inden Deutschen Bundestag eingebracht hat. Entweder ha-ben erstens die Fachpolitiker von Rot-Grün über Osternihr Büro entrümpelt und noch schnell einen Antrag ge-schrieben. Oder die Jugenddebatte, angestoßen durch dieCDU/CSU-Fraktion am 11. März 2005, hat Rot-Grünzweitens so wachgerüttelt, dass man sagte: Mein Gott,

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wir müssen vor der Landtagswahl in NRW auf diesemGebiet noch etwas machen. Oder die Panik vor derLandtagswahl in NRW ist bei Ihnen drittens so groß,dass Sie sich an jeden Strohhalm klammern. Aber die Ju-gend in Deutschland bzw. in NRW wird die Zukunftwählen und Sie damit abwählen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie belügen sich doch selbst mit Ihren vielen Allge-meinplätzen und Ihrem Schönreden in Ihrem Antrag.Betrachtet man die Ausführungen, so stellt man fest,dass alles schön ist und in perfekten Bahnen läuft. Tenordieses Antrages ist: Es sind im Bildungsbereich umfas-sende und weit reichende Reformen erfolgt. Vorausset-zungen für mehr Wachstum sind geschaffen worden. DerAusbildungs- und Arbeitsmarkt für junge Menschen un-ter 25 Jahren floriert. Die Ganztagsschulen werden bis2007 in neuem Glanz erstrahlen.

(Jörg Tauss [SPD]: Sind Sie dagegen?)

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, von welchemLand reden Sie eigentlich in Ihrem Antrag?

(Jörg Tauss [SPD]: Von unserem!)

Das ist wirklich peinlich.

Wenn man dann noch auf der Homepage der SPD dieProgrammdebatte verfolgt,

(Nicolette Kressl [SPD]: Daraus können Sie etwas lernen!)

dann stellt man fest: Sie haben sich ein stolzes Pro-gramm vorgenommen. Es ist nur bitter, dass in all denSitzungen, die in diesem Zusammenhang durchgeführtwurden – es sind insgesamt sechs, wenn ich es richtigsehe –, kein einziges Mal der Punkt „Jugend“ vorkam.Das spricht Bände.

(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! – Hört! Hört!)

Ein aufmerksamer Leser wird den Text weiter analy-sieren. Ich nehme gerne einen Zuruf meiner grünen Kol-legin Dümpe-Krüger aus der letzten Debatte zu diesemThema auf, die gesagt hat: Lesen bildet! Auf Ihren An-trag trifft das leider nicht zu. Dort wird ausgeführt, „dassdie Bundesregierung … mit der Agenda 2010 einenSchwerpunkt auf Bildung und Innovation gelegt und seit1998 die Bildungspolitik im Rahmen ihrer Zuständigkeitals eine zentrale Aufgabe wahrgenommen … hat …“

Meine Damen und Herren, damit rechnet eigentlichjeder Bürger und jede Bürgerin. Das ist Regierungsver-antwortung. Das muss eine Selbstverständlichkeit seinund sollte kein Allgemeinplatz sein, wie es in Ihrem An-trag der Fall ist.

Entscheidend ist, dass wir gemeinsam um die besse-ren Konzepte streiten. Aber wo sind die umfassendenReformen? Wo ist die Diskussion zur Ausbildungsfähig-keit von Jugendlichen durch strukturelle Ansätze? Sielassen wegen der Bildung sogar die Föderalismuskom-mission scheitern.

(Zurufe von der SPD: Wir?)

Dieses maßgebliche staatspolitische Reformprojekt istdoch an der Bundesbildungsministerin, SPD, und demNoch-Ministerpräsidenten in NRW, Peer Steinbrück,auch SPD, gescheitert,

(Ute Berg [SPD]: Blöder geht es nicht!)

weil Sie das Bildungsthema für 2006 brauchen, umWahlkampf zu machen. Damit missbrauchen Sie die An-liegen der jungen Generation.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die bahnbrechenden Errungenschaften der Agenda 2010verkommen zunehmend zu einer Werbekampagne. Ichhabe hier eine Anzeige aus einer deutschen Tageszeitungin einer Kopie. Im Original ist die Anzeige vierfarbig.Diese Anzeige zur Agenda 2010 kostet montags bis frei-tags ganzseitig und farbig jeweils 60 610 Euro. In derSamstagsausgabe kostet sie 8 000 Euro mehr. Die Bür-gerinnen und Bürger, die diese Debatte verfolgen, kön-nen sich vorstellen, was Sie mit den Steuergeldernmachen. Mit 60 000 Euro, multipliziert auf viele Tages-zeitungen, könnte man zahlreiche Ausbildungsmaßnah-men durchführen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der „Spiegel“ ist in dieser Debatte schon des Öfterenmit dem Milliardenbluff angeführt worden. Der Frak-tionsvorsitzende der SPD, Müntefering, wird mit denWorten zitiert, dass die Ganztagsschulen eine wirklicheGroßtat sind. Aber, meine Damen und Herren, Sie gebensich schon mit kleinen Dingen zufrieden. Wenn man dieTrauermiene des zuständigen WirtschaftsministersClement bei der Bekanntgabe der Arbeitslosenstatistikenrichtig deutet, dann hat er das berauschende Tremolo,das sich auch in Ihrem Antrag findet und in dem das invielen Punkten ausgemalt wird, anscheinend noch nichtso richtig mitbekommen. Vielleicht müsste man ihmAufklärung geben.

Der Fraktionsvorsitzende Müntefering hat ja den Saalleider schon verlassen.

(Ute Berg [SPD]: Er konnte es nicht mehr ertragen!)

Er wirbt ja immer mit dem Satz: Wir machen Tempo. –Aber bei Ihnen ist die Frage: Wohin? Auf der einen Seitesprechen Sie von Entbürokratisierung; auf der anderenSeite macht man ein Antilehrstellen-, ein Antiausbil-dungsplatz-, ein Antijugendgesetz. Denn nichts anderesist doch das Antidiskriminierungsgesetz. Es ist ebenscheinheilig, wenn Sie dann von Entbürokratisierung re-den.

(Nicolette Kressl [SPD]: Ihre Rede ist wirklich peinlich!)

Deutschland muss sich bewegen, damit die Jugendli-chen in unserem Land wieder eine gute Zukunft haben.Bewegen muss sich Deutschland auf einem klaren Kurs;den haben Sie nicht, den haben wir. Das spüren die Bür-gerinnen und Bürger in unserem Land und sie werdenSie abwählen.

Herzlichen Dank.

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Dr. Andreas Scheuer

(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Helau, helau, helau!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ute Berg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ute Berg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich verkneife es mir jetzt, auf die Polemik-pur-Redemeines Vorredners einzugehen. Das lohnt sich einfachnicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich konzentriere mich bei der heutigen Debatte überdie Zukunftschancen für Jugendliche abschließend be-sonders auf die Gruppe der jungen Menschen, die einStudium aufnehmen wollen. Da muss ich schon sagen:Bei Ihren Anträgen zur Hochschulpolitik, meine sehrverehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, be-schleicht mich manchmal das Gefühl, in einer Zeit-schleife gefangen zu sein. Ich dachte eigentlich immer,das gibt es nur beim Raumschiff „Enterprise“, aber Siehaben mich eines Besseren belehrt. Sie spulen hier mitgroßer Verlässlichkeit immer wieder dasselbe Programmab: Erst klopfen Sie dem Bund auf die Finger, wenn erdie Hochschulen unterstützen will, und dann fordern Sievom Bund ebendiese Unterstützung ein.

Auch Ihrem heutigen Antrag zur Studienfinanzie-rung liegt diese Logik wieder zugrunde: Sie schreibenrichtig, dass laut Bundesverfassungsgericht die Länderfür Studiengebühren zuständig sind. Im nächsten Absatzlegen Sie der Bundesregierung eine „to do“-Liste zurUmsetzung von Studiengebühren vor. Dabei behauptenSie: Wenn es Studiengebühren gäbe, bekämen die Hoch-schulen mehr Geld. Genau das ist aber äußerst fraglich.Wer garantiert denn, dass das Geld aus Studiengebührenwirklich bei den Hochschulen ankommt?

Einnahmen aus Studiengebühren dürfen nicht an ei-nen bestimmten Zweck gebunden werden; das ist juris-tisch nicht möglich, wie der Tübinger RechtsprofessorKirchhof gerade letzte Woche noch einmal betont hat,derselbe Herr Kirchhof im Übrigen, der den Vorsitzen-den Ihres Fanclubs für Studiengebühren, den MinisterFrankenberg aus Baden-Württemberg, berät. Wer garan-tiert denn, dass die Finanzminister der CDU/CSU-re-gierten Länder die Millionen, die sie den Studierendenaus der Tasche ziehen, nicht peu à peu bei ihren Hoch-schulausgaben kürzen? Die Erfahrungen in Österreich,Australien oder Großbritannien haben gezeigt, dass das,was durch Studiengebühren hineinkommt, mittelfristigbei den staatlichen Ausgaben zurückgefahren wird. Da-mit kommen die Unis dann letztlich auf plus/minus nullund die Studierenden müssen das teuer bezahlen.

Das scheint Sie aber nicht abzuschrecken, meine Da-men und Herren von der Opposition. Sie wollen trotz-dem Studiengebühren einführen, und das auch noch so-zialverträglich, wie Sie sagen. Bis heute hat aber keinervon Ihnen ein durchdachtes Konzept vorgelegt, wie daswirklich sozialverträglich funktionieren kann.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Einzige, was Ihnen mal wieder einfällt, ist, amRockzipfel des Bundes zu zupfen. Der Bund soll für Siedas Konzept eines Kreditsystems entwerfen und dieAusfallbürgschaften für das Geld, das nicht zurückge-zahlt wird, übernehmen. Aber damit beißen Sie bei unsauf Granit. Denn auf diesem Wege würde viel Geld dafürausgegeben, Studierwillige aus finanzschwachen Eltern-häusern mehr und mehr vom Studium abzuhalten.

Aber was kümmert das die Union? Wie wir letzteWoche gehört haben, will Frau Schavan auch noch dasBAföG abschaffen.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

Unter Sozialverträglichkeit verstehe ich etwas anderes.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Schaaf?

Ute Berg (SPD): Gern.

Anton Schaaf (SPD): Sehr geehrte Frau Kollegin Berg, ich unterbreche Ihre

gute Rede ausdrücklich ungern. Da Sie aber aus Nord-rhein-Westfalen kommen, möchte ich Ihnen gern zweiFragen stellen. Erstens. Kollege Laumann hat wortge-waltig, pathetisch und mit einer Miene, die einen zumWeinen bringt, verkündet, dass in Nordrhein-Westfalenpro Jahr 5 Millionen Unterrichtsstunden ausfallen. Wür-den Sie dem Kollegen Laumann, der das offensichtlichnicht weiß, bitte erklären, wie viel Prozent des insgesamterteilten Unterrichtes das entspricht, und das mit anderenBundesländern vergleichen?

Zweitens. Kollegin Flach hat gesagt, dass die für dasGanztagsschulprogramm in Nordrhein-Westfalen bereit-gestellten Gelder nur in geringem Umfang abgerufenwerden. Könnten Sie mir vielleicht bestätigen, dass ins-besondere sozialdemokratisch geführte Kommunendiese Gelder sehr wohl in großem Umfang abrufen, dassaber CDU-geführte Kommunen dies – offensichtlich ausideologischen Gründen – nicht tun?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – JörgTauss [SPD]: Das ist ja interessant!)

Ute Berg (SPD): Wie Sie sich denken können, freue ich mich über

diese Zwischenfragen des Kollegen Schaaf,

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Man sieht Ihre Freude!)

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Ute Berg

weil er mir damit die Möglichkeit gibt, auf die von HerrnLaumann genannten Wahrheiten, Halbwahrheiten undUnwahrheiten einzugehen und das, was Frau KolleginFlach gesagt hat, geradezurücken.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Was tut der Schaaf der Rednerin nur an?)

Sie von der CDU plakatieren in Nordrhein-Westfalenganz groß, dass pro Jahr 5 Millionen Unterrichtsstun-den ausfallen. Was Sie aber nicht sagen – das ist wirk-lich verdammt unredlich –, ist, dass diese Zahl 5 Prozentder Stunden, die insgesamt erteilt werden, entspricht.Damit liegt Nordrhein-Westfalen genau im Schnitt allerBundesländer. Insofern wird hier wieder einmal einPopanz aufgebaut, der wunderbar in das Konzept derCDU passt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nun zu dem, was Frau Flach erzählt hat. Frau Flach,es tut mir Leid, dass auch Sie zu einer Verzerrung beige-tragen haben; denn das Ganztagsschulprogramm wirdin Nordrhein-Westfalen besonders gut angenommen.Das haben Sie nicht gesagt. In den Jahren 2003 und 2004beteiligten sich bereits 785 Schulen an diesem Pro-gramm. Damit liegt das Bundesland Nordrhein-West-falen an der Spitze. Das ist doch schon einmal etwas.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Ulrike Flach [FDP]: Nein!)

– Doch.

Jetzt möchte ich meine Rede fortsetzen. Ich kommenoch einmal auf das Problem der Sozialverträglichkeitzu sprechen und möchte untermalen, was wir damit ver-binden. Wir müssen Bildungshunger fördern und denjungen Menschen Zukunftsperspektiven eröffnen. Aberwir dürfen nicht, wie ich bereits ausgeführt habe, durchStudiengebühren neue Hindernisse aufbauen.

Das BAföG gehört zu einer Reihe von Instrumentenund Maßnahmen, die eingeführt wurden, um die Beteili-gung an Bildung für alle zu erhöhen. Dazu gehören eineintensivere Betreuung und Förderung von Kindern be-reits im Vorschulbereich, eine stärkere individuelleFörderung von Schülerinnen und Schülern in Ganztags-schulen – das hatte ich bereits ausgeführt –, eine Moder-nisierung der Berufsausbildung, eine Erweiterung desAusbildungsplatzangebotes durch den Pakt für Ausbil-dung und eine intensivere Unterstützung benachteiligterund arbeitsloser Jugendlicher.

Frau Böhmer, da Sie Herrn Professor Baumert zitierthaben, möchte auch ich eine Aussage von ihm anführen.Er sagt, dass Arbeiterkinder in keinem anderen Bundes-land so schlechte Bildungschancen wie in Bayern haben;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

auch das müssten Sie einmal sagen. Dort haben siesechsmal schlechtere Chancen, das Abitur zu schaffen,als Kinder aus Akademikerfamilien.

(Ulrike Flach [FDP]: Aber dann haben sie ein gutes!)

Wie ich gerade sehe, blinkt die Leuchte am Redner-pult, sodass ich zum Schluss kommen muss.

Abschließend appelliere ich an Sie, meine Damen undHerren von der Opposition: Unterstützen Sie uns dabei,allen jungen Menschen in diesem Land unabhängig vonihrer sozialen Herkunft eine realistische Chance auf einequalifizierte Ausbildung und Arbeit und damit auf eineselbstbestimmte Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ge-ben!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das Blin-ken hat nicht zu einer Erleuchtung geführt!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kolle-

gen Laumann das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Kol-

legin Berg, zunächst einmal bin ich Ihnen dankbar, dassSie als Lehrerin und als Sozialdemokratin aus Nord-rhein-Westfalen bestätigt haben, dass dort 5 MillionenUnterrichtsstunden im Jahr ausfallen.

(Anton Schaaf [SPD]: Das ist so!)

Gerade als Lehrerin wissen Sie ja, was der Ausfall vonUnterrichtsstunden für die Vereinbarkeit von Familieund Beruf, für die Planbarkeit eines Familienlebens be-deutet. Auch meine drei Kinder gehen zurzeit in Nord-rhein-Westfalen zur Schule, noch dazu auf unterschiedli-che Schulen. Man kann sich auf eins verlassen: dass mannie genau weiß, wann sie mittags wiederkommen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Krista Sager[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahrschein-lich kennen Sie nicht einmal den Stunden-plan!)

Wenn Sie sagen, diese 5 Millionen Unterrichtsstun-den sind nur 4 Prozent, und das als eine Petitesse darstel-len, dann zeigt das, dass Sie die Probleme in Nordrhein-Westfalen nicht erkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen geht es in Nordrhein-Westfalen am 22. Maiauch um eine Mehrheit für eine Politik, die 4 000 zusätz-liche Lehrer einstellt, um überhaupt die Voraussetzungendafür zu schaffen, dass der Unterricht in diesem Land inaller Differenziertheit und in ausreichender Menge er-teilt werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Das wiederum ist die ganz entscheidende Voraussetzungdafür, dass möglichst viele Kinder am Ende ihrer Schul-

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Karl-Josef Laumann

zeit lesen, rechnen und schreiben können, was wiederumdie Voraussetzung für eine Berufsausbildung ist.

Schönen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Berg, bitte.

Ute Berg (SPD): Sehr verehrter, lieber Herr Laumann, ich bin froh,

dass Sie durch Ihren letzten Beitrag noch einmal unter-strichen haben, dass es Ihnen hier gar nicht um Ihre Poli-tik als Bundestagsabgeordneter geht, sondern einfachdarum, eine flammende Wahlkampfrede, gespickt mitganz vielen Unwahrheiten, an den Mann zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt zu Ihrer Intervention: Sie haben praktisch dasausgeführt, was ich Ihnen eben schon erläutert habe. Siehaben wieder von 5 Millionen Unterrichtsstunden, dieausfallen, gesprochen. Das bestreitet keiner. Aber ichhabe es in Relation zum Unterrichtsausfall in anderenBundesländern gesetzt; ich habe Ihnen aufgezeigt, wel-chem Prozentsatz das letztlich entspricht. Ich sage Ihnenjetzt noch einmal, damit Sie es verstehen:

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)Nordrhein-Westfalen liegt damit absolut im Schnitt allerBundesländer. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis undunterlassen Sie an dem Punkt Ihre Polemik und IhreHetze gegen die NRW-Landesregierung!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Genau so, wie Sie Partei für Ihre Union ergreifen, unter-stütze ich meine Landesregierung,

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Auf Gedeih und Verderb!)

die eine sehr gute Politik macht.

(Beifall bei der SPD)Zum Zweiten, das Sie vorgebracht haben: Ihre armen

Kinder kommen immer zu völlig unabsehbaren Zeitennach Hause. Ich weiß nicht, wie alt Ihre Kinder sind– ich will es im Moment auch gar nicht wissen –, abergenerell ist es so, dass wir in Nordrhein-Westfalen dieVerlässliche Grundschule haben. Wenn Eltern also aufverlässliche Zeiten angewiesen sind, können sie ihreKinder in die Verlässliche Grundschule schicken.

Im Übrigen, mein lieber Herr Laumann,(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

haben wir das Ganztagsschulprogramm angestoßen, da-mit genau das, was Sie gerade moniert haben, in Zukunftimmer weniger passiert. Wir wollen, dass die Kinder zu-verlässig den Tag in der Schule sind, betreut und geför-dert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich nehme an, dass Sie nach der Erkenntnis, die Sie ge-rade geäußert haben, jetzt mit fliegenden Fahnen auf un-seren Zug aufspringen und uns unterstützen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 15/5255, 15/5259, 15/5024 und 15/4931an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüssevorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das istder Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP

Keine Aufhebung des EU-Waffenembargos ge-genüber China

– Drucksache 15/5103 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Auswärtiger AusschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Wi-derspruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Wolfgang Schäuble.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! China

ist ein wichtiges Land mit wachsender Bedeutung. DieGestaltung der Zusammenarbeit, die Entwicklung derBeziehungen mit China und die Einbeziehung von Chinain die internationale, globale Zusammenarbeit und Ver-antwortung sind in unser aller Interesse. Das gilt sowohlwirtschaftlich als auch politisch.

China ist auch ein wichtiger und notwendiger Partnerim Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegendie Proliferation von Nuklearwaffen und gegen all dievielen globalen Risiken, Spannungen und Spaltungen,die im Bericht von Kofi Annan so eindrucksvoll be-schrieben sind. Das sehen die Europäer und die Ameri-kaner, die Vereinigten Staaten von Amerika, in der glei-chen Weise.

Das Eintreten für Zusammenarbeit und die Entwick-lung der Beziehungen dürfen aber nicht in einen Gegen-satz zum Eintreten für Menschenrechte und Demokrati-sierung gebracht werden. Es ist immer falsch, wenn mandas eine gegen das andere ausspielt.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

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Das ist kein Widerspruch, sondern das eine bedingt dasandere. In den Jahren vor dem Fall des Eisernen Vor-hangs und vor dem Ende des Ost-West-Konflikts habenwir in Europa übrigens gute Erfahrungen damit gemacht.Immer dann, wenn wir die Bereitschaft zur Zusammen-arbeit mit dem Eintreten für unsere grundsätzlichenÜberzeugungen richtig verbunden haben, waren wir er-folgreich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist übrigens im Interesse der Länder selbst. Wirtreten gegenüber Russland und China ja nicht nur des-halb für die Menschenrechte und für die Demokratisie-rung ein, weil wir davon überzeugt sind und weil esunserem Interesse entspricht, sondern weil das nach un-serer festen Überzeugung auch dem langfristigen Inte-resse Russlands so sehr wie dem der VolksrepublikChina entspricht.

Herr Bundeskanzler, deswegen ist es falsch, dass Sieden Eindruck einer nicht ausbalancierten Politik gegen-über China und Russland erwecken. Im Zeichen derHannover-Messe haben wir in diesen Tagen die großenMeldungen und schönen Bilder über große Verträge ge-sehen, zum Beispiel auch die von Siemens. Heute lesenwir in den Zeitungen vom großen Rückschlag von Sie-mens in Bezug auf Russland. Das zeigt: Eine Politik, dienicht beide Seiten langfristig in der Balance und im Mit-einander hält, wird den wirtschaftlichen Interessen unse-res Landes nicht dienen, sondern das Gegenteil bewir-ken. Eine situative, opportunistische Politik dient denlangfristigen Interessen unseres Landes politisch undwirtschaftlich nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

In diesem Grundraster muss sich unsere Politik in Be-zug auf Waffenlieferungen und das Waffenembargo,das die Europäische Union 1987 als Reaktion auf dieVorgänge auf dem Platz des Himmlischen Friedens ver-hängt hat, bewegen.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: 1989! –Michael Glos [CDU/CSU]: Ja, 1989 war es! Erhat sich versprochen!)

– Richtig, 1989.

Wenn ich nun lese, was in der Sitzung der SPD-Frak-tion am heutigen Vormittag gesagt wurde – –

(Zuruf von der SPD: Waren Sie dabei?)

– Nein, aber mir liegt eine dpa-Meldung vor. Es gibt jaglücklicherweise Medien, die bestimmte Dinge veröf-fentlichen.

(Unruhe bei der SPD)

– Ich bitte Sie, bleiben Sie doch völlig entspannt. – DieMeldung der Deutschen Presse-Agentur von 9.03 Uhrlautet:

Kanzler: Fühle mich an EU-Beschluss gebunden

Bundeskanzler Gerhard Schröder fühlt sich imStreit um die Aufhebung des EU-Waffenembargos

gegenüber China an den entsprechenden Beschlussder EU-Regierungschefs gebunden.

Wie Teilnehmer einer SPD-Fraktionssondersitzungam Donnerstag berichteten, habe der Kanzler deut-lich gemacht, dass er als deutscher Regierungschefdiesen Beschluss mitvertreten müsse. Die Staats-und Regierungschefs der EU hatten im Dezemberbeschlossen, auf eine Aufhebung des Embargoshinzuarbeiten. Auf die Menschenrechtsfrage undauch Chinas jüngste Drohungen gegenüber Taiwansei der Kanzler nicht eingegangen, hieß es.

Genau das ist der Ausdruck dieser nicht ausbalanciertenPolitik, die der Zusammenarbeit mit China und unserenInteressen schadet. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Rudolf Bindig [SPD]: Sie hätten nach demKanzler reden sollen!)

– Ich rede nach der SPD-Fraktionssitzung. Im Übrigenspreche ich als Erster in dieser Debatte, weil ich unserenAntrag begründe, dem Sie gerne zustimmen würden, daSie, wie wir aus vielen Quellen wissen, sagen, dass mandas EU-Embargo gegenüber China bis auf weiteres nichteinseitig aufheben sollte, sondern auf eine Politik hin-wirken sollte, die beides in der richtigen Weise miteinan-der verbindet.

Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass sichseit den Vorgängen auf dem Platz des Himmlischen Frie-dens vieles in China weiterentwickelt und verändert hat.Natürlich ist aber auf der anderen Seite auch wahr, dassinsbesondere Amnesty International, aber auch viele an-dere sagen: In der Menschenrechtsfrage sind die Dingein China nicht so, wie wir es China im eigenen Interessewünschen und wie wir dafür eintreten müssen. Ich zi-tiere aus dem letzten Länderbericht von Amnesty Inter-national, der mir vorliegt:

… in vielen Bereichen hat sich die Menschen-rechtssituation in der Volksrepublik China nichtgrundlegend gebessert, in manchen ist sogar einedeutliche Verschlechterung zu verzeichnen. Weiter-hin wird jede Form von Opposition unterdrückt undgehören schwere Menschenrechtsverletzungen zumAlltag. … Zwar hat sich die chinesische Führung inder Frage der Menschenrechte offener gezeigt, je-doch hat sie kaum Maßnahmen getroffen, die geeig-net wären, den anhaltenden Menschenrechtsverlet-zungen ein Ende zu bereiten und Menschenwirksam vor Übergriffen zu schützen.

All das wissen wir und auch Sie wissen das. Wir soll-ten darüber nicht hinwegtäuschen und hinwegsehen. Dashat der Deutscher Bundestag Ende vergangenen Jahresgemeinsam zum Ausdruck gebracht. Das hat das Euro-päische Parlament zum Ausdruck gebracht. Das habenvor kurzem deutsche Abgeordnete aller Fraktionen desEuropäischen Parlaments dem Bundeskanzler noch ein-mal geschrieben. Darüber sollten wir uns nicht hinweg-setzen.

Herr Bundeskanzler, die Darstellung, Sie fühlten sichnur an einen Beschluss des Europäischen Rats vom De-

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Dr. Wolfgang Schäuble

zember letzten Jahres gebunden, ist eine gewisse Ver-schiebung der Tatsachen. Es ist doch so gewesen, dassSie bei Ihrer Reise nach China vor dem Beschluss desEuropäischen Rats einseitig verkündet haben, dass Siefür eine Aufhebung des Beschlusses der EuropäischenUnion sind. Auf die Frage, ob das in der EuropäischenUnion abgestimmt sei, haben Sie geantwortet, Sie hättendas mit Herrn Chirac besprochen. Das ist eine Art, dieanderen Länder in Europa gegen die deutsch-französi-sche Zusammenarbeit aufzubringen. Das ist die falscheEuropapolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch diesen Beschluss muss man hier einmal zitie-ren. Der Europäische Rat hat am 16./17. Dezember desletzten Jahres beschlossen:

In diesem Zusammenhang bekräftigt der Europäi-sche Rat erneut den politischen Willen, weiter aufeine Aufhebung des Waffenembargos hinzuarbei-ten. Er fordert den künftigen Vorsitz auf, die schonweit fortgeschrittenen Arbeiten abzuschließen, da-mit ein Beschluss gefasst werden kann. Er betont,das jeglicher Beschluss weder in quantitativer nochin qualitativer Hinsicht eine Steigerung der Waffen-ausfuhren aus EU-Mitgliedstaaten nach China be-wirken sollte.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ein richtiges Zitat!)

– Natürlich, ich lese aus der Originalquelle vor.

Nun lese ich aber in der „Frankfurter Rundschau“,dass der Bundeskanzler nach einer Sitzung des SPD-Prä-sidiums von vor ein paar Tagen

(Zuruf von der SPD: Da waren Sie auch da-bei?)

seine Position damit begründet habe, Deutschland habezwar kein Interesse an einer Steigerung der Waffenliefe-rung nach China, aber Frankreich habe im Sinne seinerRüstungsindustrie ein massives Interesse daran; insbe-sondere mit Blick auf das französische Referendum zumEU-Verfassungsvertrag müsse man diese Position vertre-ten. Das ist wieder die falsche Politik und das sind wie-der die falschen Motive. Genau so wird es keine verläss-liche, überzeugende und berechenbare Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – GertWeisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das war einjournalistischer Kommentar! Wenn Sie fairwären, hätten Sie das hinzugefügt!)

– Ich habe eine dunkle Erinnerung daran, dass sich eineder Fraktionen, die in diesem Haus vertreten ist, in einergewissen Eigentümerposition in Bezug auf die „Frank-furter Rundschau“ befindet.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Deswegen ist die Vermutung, dass die Berichterstattungvon SPD-Präsidiumssitzungen seriös ist, sicherlich zu-treffend.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Haben Sie etwas gegen journalistische Freiheit?)

– Überhaupt nicht. Aber bis auf den heutigen Tag hatniemand von Ihnen diese Berichterstattung in der„Frankfurter Rundschau“ dementiert.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sie können es ja dementieren! Weisskirchen widerspricht!)

Ich kann Ihnen die Originalmeldung vortragen.

Im Übrigen ist dies nicht richtig. Die Darstellung desBundeskanzlers, er sei durch den Beschluss des Europäi-schen Rats quasi zu dieser Position gezwungen, ist dasgenaue Gegenteil von dem, was stattgefunden hat. Daswollte ich bei dieser Gelegenheit nur klarstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man muss in diesem Zusammenhang darauf hinwei-sen, dass der Eindruck, der erweckt wird – für die Ent-wicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Chinainsgesamt müssten wir diese Position einnehmen –,falsch ist und mit der Wirklichkeit der Entwicklung derwirtschaftlichen Beziehungen zu China in den letztenJahren überhaupt nichts zu tun hat. Man muss auch hin-zufügen, dass sich innerhalb von zwei Jahren – von 2001bis 2003 – die Rüstungslieferungen der EuropäischenUnion nach China verachtfacht haben. Das heißt, es fin-det ziemlich viel statt. Deswegen ist die Darstellung IhrerMotive, Herr Bundeskanzler, für diesen völlig einseiti-gen und schädlichen Vorstoß, der in den Koalitionsfrak-tionen auf massiven Widerstand stößt, das Gegenteil vondem, was unserem wirtschaftlichen wie politischen Inte-resse entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nun kommt seit dem Europäischen Rat im Dezemberdes vergangenen Jahres erschwerend hinzu, dass sich diestrategische Lage in Ostasien erheblich verschlechterthat – um auch dieses zurückhaltend zu formulieren. DieAuseinandersetzungen zwischen der Volksrepublik Chinaund Taiwan, das Antisezessionsgesetz, das von derVolksrepublik China erlassen worden ist, die Auseinan-dersetzungen mit Japan und die Zunahme von Spannun-gen in der Region insgesamt legen es nun wirklich drin-gend nahe, dass es bei der Frage über Waffenlieferungenan China keine einseitige Entscheidung der Europäi-schen Union ohne eine vorherige enge Abstimmung mitdem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staatenvon Amerika, gibt. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Vereinigten Staaten von Amerika – die Außenmi-nisterin hat das vor kurzem während ihrer Reise nachOstasien ganz klar gesagt – haben ein Interesse an einerengen Zusammenarbeit mit China. Die Vereinigten Staa-ten von Amerika bemühen sich gemeinsam mit China,Russland, Japan und Südkorea, das Problem des nordko-reanischen Strebens nach Nuklearwaffen so zu lösen,dass keine Gefahr für Frieden und Stabilität in Ostasienund damit für den Frieden in der Welt entsteht. Europaist an diesen Gesprächen nicht einmal beteiligt. Wir kön-nen zur Stabilität in Ostasien ziemlich wenig beitragen.

Deswegen wäre es verheerend, wenn die EuropäischeUnion in einer solchen Situation keine Abstimmung mit

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Dr. Wolfgang Schäuble

denjenigen, die nicht nur im amerikanischen, sondern imWeltinteresse und damit auch im deutschen und europäi-schen Interesse für die Stabilität in Ostasien die Verant-wortung tragen und alleine tragen können – ich meinedie Amerikaner –, suchen und den Amerikanern in denRücken fallen würde. Genau dies darf nicht geschehen.Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Deswegen lautet unser beschwörender Appell, alleszu unterlassen, was zu einer neuen dramatischen Zuspit-zung im transatlantischen Verhältnis führt. Wir wer-den übrigens nicht nur das transatlantische Verhältnisenorm beschädigen – wir werden die wirtschaftlichen In-teressen Europas und Deutschlands durch eine Zuspit-zung des transatlantischen Konflikts noch mehr beschä-digen –, sondern wir werden insbesondere auch an Chinavöllig falsche Signale aussenden.

Wenn Europäer und Amerikaner in den zentralen Fra-gen und bei den großen Krisen dieser Zeit am selbenStrang ziehen, dann haben sie ziemlich viele Möglich-keiten, für Frieden und Stabilität zu wirken.

Ich finde, die Bemühungen, den Iran von seinem Stre-ben nach Atomwaffen abzubringen, sind ein gutes Bei-spiel. Jetzt ist es gelungen – auch im Zusammenhang mitder Reise des amerikanischen Präsidenten nach Europa –,die europäische und die amerikanische Position besserzusammenzubringen. Die Europäer haben endlich klar-gestellt, dass sie für den Fall des Scheiterns des Verhand-lungsansatzes, den wir unterstützen, Herr Außenminis-ter, bereit sind, den Fall vor den Weltsicherheitsrat zubringen. Das war der entscheidende Punkt. Die Ameri-kaner ihrerseits haben klar gemacht, dass sie jetzt schonbereit sind, dem Iran Schritte der Kooperation anzubie-ten, um den europäischen Verhandlungsansatz gegen-über dem Iran voranzubringen. Das ist die richtige Politik.Genau diese Politik muss auch gegenüber China, gegen-über Nordkorea und gegenüber ganz Ostasien betriebenwerden. Deswegen darf es keinen Alleingang der Euro-päischen Union in dieser Frage geben. Das ist der Sinnunseres Antrags.

Wenn dieser Antrag dazu führt, dass der Bundeskanz-ler heute seine Position ein bisschen besser darstellt undgegenüber dem, was er bisher völlig falsch gemacht hat,etwas modifiziert, dann liegt das nicht zuletzt im Inte-resse der Koalition. Sie sehen, Herr Kollege Müntefering,wir helfen Ihnen so gut wir können, weil wir ein Inte-resse daran haben, dass dieses Land nicht noch schlech-ter regiert wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster [SPD]: So wie heute früh!)

Es sind – das ist der entscheidende Punkt; es ist keineKleinigkeit – in den zurückliegenden Jahren sehr vieleFehler gemacht worden. Angesichts der Vielzahl vonGefahren und krisenhaften Zuspitzungen müssen wir al-les daransetzen, die gemeinsame Verantwortung der Eu-ropäer und Amerikaner für eine Welt, in der die Gefahrgewalttätiger Eskalation nicht größer, sondern kleiner

wird, richtig wahrzunehmen. Deshalb darf es keine Al-leingänge geben.

Wir brauchen eine abgestimmte Politik. Das ist derSinn unseres Antrags. Wir hoffen, dass wir ihn nachsorgfältigen Beratungen in diesem Parlament gemein-sam verabschieden können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt Herr Bundeskanzler Gerhard

Schröder.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Schäuble, ich könnte es mir leicht machenund in dieser Debatte darauf hinweisen, wie Sie sich zuAnträgen verhalten haben, die die damalige Opposition1992 zu exakt diesem Thema vorgelegt hat. Ich könntees mir noch leichter machen und Ihnen vorlesen, wasmein Vorgänger in einer Debatte gesagt hat, die anläss-lich seines Besuches bei der chinesischen Volksbefrei-ungsarmee sechs Jahre – nicht 15 Jahre – nach dem Mas-saker auf dem Platz des Himmlischen Friedensstattgefunden hat. Ich will mir das aber schenken. Es warübrigens eine Rede, der ich in weiten Teilen durchauszustimmen kann.

Ich will nur ein Zitat anführen, damit Sie erkennen,dass es insbesondere bei Ihnen eine Menge Heucheleigibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kohl hat in der erwähnten Rede am 23. No-vember 1995

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Was hat denn Rudolf Scharping damals gesagt?)

auf die Bedeutung Chinas hingewiesen und darauf, wiewichtig es sei, dieses Land zu integrieren. Er hat weitergesagt:

Dies ist eine Schicksalsfrage, nicht nur für dieNachbarländer in Asien, sondern letztlich für dieganze Welt.

Dann folgt die entscheidende Stelle:

Wir

– damit ist wohl die Bundesrepublik gemeint –

verfolgen mit unserer Chinapolitik eine langfristigangelegte Partnerschaft in allen Bereichen, in derPolitik – einschließlich der Sicherheitspolitik –ebenso wie in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

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Bundeskanzler Gerhard Schröder

Genau das tun wir und werden es auch weiterhin tun.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage es noch einmal: Die Reise zur Volksbefrei-ungsarmee in China fand sechs Jahre nach der Verhän-gung des Embargos statt und ist ganz bewusst erfolgt.Ich habe das damals übrigens nicht kritisiert.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist auch nicht zu kritisieren!)

Im Bundestag ist es kritisiert worden. Sie haben damals– zu Beginn der 90er-Jahre – Anträgen zugestimmt,

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Es wäre bes-ser, wenn Sie mal zur Sache redeten!)

mit denen Sie die Anträge der Opposition auf Beachtungdessen, was Sie jetzt hier fordern, überstimmt haben.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wir reden doch über das Waffenembargo!)

Das ist die Politik, die Sie vertreten, und es zeigt die Wi-dersprüchlichkeit und Heuchelei in Ihren eigenen Aussa-gen, Herr Schäuble.

(Beifall bei der SPD)

Das tut mir Leid. Es passt nicht zusammen.

Jetzt zur Sache. Wir reden über einen Beschluss derStaats- und Regierungschefs vom Juni 1989, und zwarals Reaktion auf den blutigen Militäreinsatz gegen de-monstrierende Studenten auf dem Platz des Himmli-schen Friedens. Alle anderen Sanktionen, die seinerzeitverhängt worden sind, wurden bereits nach wenigen Mo-naten aufgehoben. Nur das politisch-symbolische Instru-ment des Embargos ist in Kraft geblieben.

Seit der Niederschlagung der Studentenproteste sindmehr als 15 Jahre vergangen, Jahre, in denen sich Chinawirtschaftlich und gesellschaftlich gewandelt und sicheine neue Führung gegeben hat. Die Rede von HerrnKohl und Ihr Abstimmungsverhalten zu Beginn der90er-Jahre fanden statt – daran will ich Sie noch einmalerinnern –, als es diese neue Führung in China nochnicht gegeben hat. Auch das gehört zur historischenWahrheit.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Klar ist: Das China von heute ist nicht mehr dasChina von 1989. Das wird im Übrigen von kaum jeman-dem auf der Welt bestritten. Das ist der Grund, warumdie Europäische Union im Herbst 2003 eine neueChinastrategie verabschiedet hat. Deswegen hat dieEuropäische Union beschlossen, auf eine Aufhebung desWaffenembargos hinzuarbeiten. Das ist auf dem EU-China-Gipfel am 8. Dezember 2004 von der damaligenniederländischen Präsidentschaft ausdrücklich erklärtworden. Die Staats- und Regierungschefs haben das– Sie haben es zitiert – ausdrücklich bestätigt.

Nun glauben Sie doch nicht alles, was aus internenSitzungen von wem auch immer berichtet wird. Ich habeauch in der Fraktionssitzung das gesagt, was ich Ihnen

hier sage. Es ist richtig: Ich war und bin der Überzeu-gung, dass das Embargo entbehrlich ist. Deswegen habeich natürlich an den Beschlüssen, die Sie zitiert haben,aktiv mitgearbeitet. Ich habe davon überhaupt nichts ab-zustreiten und abzustreichen. Keineswegs ist es so, dassich nur einen Beschluss verteidige, den andere getroffenhaben. Ich verteidige vielmehr einen Beschluss, den ichmitinitiiert habe und der von allen europäischen Staats-und Regierungschefs einstimmig gefasst worden ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Auch das gehört zur historischen Wahrheit.

Sie haben völlig zu Recht zitiert, dass es der Europäi-schen Union ausdrücklich nicht darum gegangen ist, inquantitativer oder qualitativer Hinsicht Waffenlieferun-gen nach China zu verstärken. Deutschland liegt – dashabe ich wiederholt öffentlich erklärt – keine Anfragevor. Gäbe es eine, dann könnte Deutschland sie nicht er-füllen und wir würden sie auch nicht erfüllen. Es gehtnicht um Waffenlieferungen nach China. Das muss mansehr deutlich machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund gibt es in der Tat eine vonuns mit herbeigeführte europäische Beschlusslage, dieich für richtig halte und die ich deshalb nicht verändertsehen will. Die europäischen Außenminister sind damitbeauftragt, konkret festzustellen, ob die Bedingungen füreinen endgültigen Beschluss erfüllt sind oder nicht. Ge-nau um diese Diskussion geht es. Ich sage noch einmal:Die Aufhebung des Embargos hat nicht das Ziel, Waf-fenlieferungen nach China zu verstärken. Das ist Teil desBeschlusses. Das ist klare deutsche Position. Das wirdauch so bleiben.

(Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Aber was ist mit den Franzosen?)

– Was Frankreich tun will, kann ich Ihnen nicht sagen.Das sollten Sie vielleicht Frankreich überlassen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will Ihnen dazu nur eines sagen: Sie haben eine Zei-tung zitiert, die über Präsidiumssitzungen der SPD be-richtet hat, in denen ich irgendetwas zu Frankreichs Mo-tiven gesagt haben soll. An den letzten drei Sitzungendes Präsidiums der SPD konnte ich – ich musste michbei meinem Parteivorsitzenden entschuldigen – leidernicht teilnehmen,

(Heiterkeit bei der SPD)

sodass Ihr Versuch, Herr Schäuble, hier auf infameWeise etwas unterzujubeln, wirklich schrecklich fehl-geht.

(Beifall bei der SPD)

Beim nächsten Mal sollten Sie sich vergewissern, bevorSie solche Unterstellungen machen. Das wäre sehr vielbesser. Aber wir kennen ja die Art und Weise, wie hiergearbeitet wird.

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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Schäuble?

Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Nein. Ich will das im Zusammenhang darstellen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich will zu den Waffenlieferungen und zur regionalenStabilität in der Region noch etwas sagen. Es wird stän-dig die Diskussion im amerikanischen Kongress zitiert.Viele haben sich aufgemacht, dorthin zu fahren, undhaben bei ihrer Rückkehr darauf hingewiesen, wasDeutschland im Unterschied zu den Vereinigten Staatenvon Amerika so alles tue. Ich möchte Ihnen deswegensagen: Erstens. Deutschland liefert keine Kriegswaffen,kann keine Kriegswaffen liefern und wird keine Kriegs-waffen liefern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Wa-rum wollen Sie das Embargo aufheben, wennSie nichts liefern?)

Zweitens. Es gibt einen Bericht – er war auch Gegen-stand einer Diskussion im amerikanischen Kongress –,nach dem sich Deutschland bei der Lieferung sonstigerRüstungsgüter angeblich auf Platz fünf in Europa be-findet. Nach diesem Bericht sieht es so aus: An ersterStelle liegt Frankreich mit Lieferungen im Wert von171,5 Millionen Euro, an zweiter Italien, ein sehr engerVerbündeter, mit 127,1 Millionen Euro, an dritter Groß-britannien mit 112,3 Millionen Euro, an vierter Tsche-chien mit 3,6 Millionen Euro und an fünfter Deutschlandmit Lieferungen sonstiger Rüstungsgüter im Wert von1,1 Millionen Euro. Wofür haben wir diese 1,1 Millio-nen Euro bekommen? Wir haben Teile von Human-zentrifugensystemen für die Astronautenausbildung undSeegravimeter als ozeanographische Messinstrumentegeliefert. Das waren die Lieferungen Deutschlands nachChina!

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: „Waffen-embargo“ ist das Thema!)

Jetzt möchte ich Ihnen etwas zur regionalen Stabili-tät sagen. Die vereinbarten Waffenlieferungen Amerikasnach Taiwan belaufen sich im Jahr 2003 auf mehr als360 Millionen Dollar.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt kommt’saber auf eine Schiene, Herr Bundeskanzler!Haben Sie das nötig?)

Auch das gehört zu einer Diskussion über regionale Sta-bilität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deutschland hat im Jahre 2002 nach China sonstige Rüs-tungsgüter in einer Größenordnung von 10 – ich wieder-hole: 10 – Euro geliefert. Was das war, kann ich Ihnennicht sagen. Jedenfalls kann es nicht sehr viel gewesensein.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das ist ja eine sehr interessante Argumentation!)

Ich erwähne das, um deutlich zu machen, dass alleVorwürfe, die in der Öffentlichkeit erhoben worden sind,wir hätten ein Interesse an der Ausweitung von Waffen-lieferungen, schlicht aus der Luft gegriffen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch das muss man in der Diskussion einmal sagen.

Ich glaube, dass diese vordergründige Debatte nichtweitergeführt werden sollte; denn sie verdeckt, worumes uns wirklich gehen muss: Im Kern geht es um dieFrage, wie die Europäische Union und Deutschland ihreInteressen, ihre Anliegen gegenüber China mittel- undlangfristig zur Geltung bringen wollen. Es geht also umdie Frage, wie wir unsere Beziehungen zu diesem in derTat großen und wichtigen Land mittel- und langfristiggestalten wollen, wie wir im Übrigen mithelfen wollen,in diesem großen Land ein Umfeld zur Förderung einerfriedlichen und demokratischen Entwicklung zuschaffen, und es geht um die Frage, wie das sich dyna-misch entwickelnde China regional und global zu einemtragenden Pfeiler einer kooperativen und multilatera-len Ordnung werden kann.

Wenn man die Frage des EU-Waffenembargos gegen-über China vor diesem Hintergrund sieht, bleibe ich beimeiner Position, dass dieses Embargo aufgehoben wer-den sollte. Die Europäische Union strebt wie wir einestrategische Partnerschaft mit China an. Auch wir ha-ben das bilateral im Mai letzten Jahres beim Besuch vonMinisterpräsident Wen in Berlin so vereinbart. Strategi-sche Partnerschaft bedeutet, dass wir die Beziehungenauf allen Feldern – in Politik, Wirtschaft, Wissenschaftund Kultur – konsequent ausbauen wollen. Das kannaber nur gelingen, wenn sich die beteiligten Partner imgegenseitigen Respekt vor ganz unterschiedlich gewach-senen Kulturen begegnen und ein Vertrauensverhältnisentwickeln. Nur so werden wir wirklich Einfluss auf dieEntwicklung auch in diesem Land nehmen können.

China ist in den letzten Jahren – das lässt sich nichternsthaft bestreiten – enormes politisches und wirt-schaftliches Gewicht zugewachsen. China ist der bevöl-kerungsreichste Staat und inzwischen die sechstgrößteVolkswirtschaft der Erde, und das mit eindrucksvollenWachstumsraten. Ich stehe ausdrücklich dazu, dass iches auch als meine Aufgabe ansehe, ein außenwirtschaft-lich so abhängiges Land wie Deutschland in eine engePartnerschaft mit diesem Land zu bringen und Verbesse-rungsmöglichkeiten, wo immer es sie gibt, zu nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Die Integration Chinas in die Weltwirtschaft voll-zieht sich mit beispielhaftem Tempo. Es gibt Probleme,über die wir mit China werden reden müssen, zum Bei-spiel die Frage: Wie entwickelt sich die Währung in Re-lation zu anderen Währungen?

(Michael Glos [CDU/CSU]: Was hat denn das mit dem Waffenembargo zu tun?)

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Das ist ein ganz wichtiges Thema, über das wir viel zuwenig diskutieren. Zum Beispiel ist die Frage „Was istmit dem Schutz des geistigen Eigentums?“ formal ak-zeptiert, aber in der politischen Praxis längst nicht so ge-staltet, wie wir uns das wünschen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir diskutieren die Frage: Kann man, darf man bei staat-lichen Aufträgen ein Maß an Technologietransfer verlan-gen, das unsere Unternehmen ökonomisch in Schwierig-keiten bringt?

(Zuruf von der CDU/CSU: Thema verfehlt!)

Diese Fragen diskutieren wir mit der chinesischen Re-gierung bei jedem Besuch. Das sind zentrale Fragen derökonomischen und der politischen Entwicklung im Ver-hältnis Deutschlands zu China.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Unddie löst man am besten durch die Aufhebungdes Waffenembargos! Schlüssig! Überzeu-gend!)

Das Land ist der zweitgrößte Handelspartner derEuropäischen Union. Umgekehrt ist die EuropäischeUnion zum größten Handelspartner Chinas geworden.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Also?)

Entscheidender Katalysator für den ökonomischen Sys-temwandel war dabei Chinas Beitritt zur WTO. Ich erin-nere in diesem Zusammenhang auch an die konstruktiveRolle Chinas bei der Bewältigung der ökonomischenAsienkrise 1997/98. In diesem Jahr führt China den Vor-sitz im Kreis der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen derWelt. Mit diesem gewachsenen Gewicht geht das Landnach meiner Bewertung durchaus verantwortungsvollum – im Wirtschaftlichen ebenso wie im Politischen.Nach dem 11. September hat sich China mit großemNachdruck an der Seite der USA im Kampf gegen deninternationalen Terrorismus engagiert.

Ohne die Mitwirkung dieses Landes ist heute keineder großen globalen Herausforderungen mehr zu bewäl-tigen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist ja alles richtig!)

Ich sage das auch und gerade im Hinblick auf dieKlimaschutzpolitik. Die chinesische Regierung hat an-gekündigt, bis zum Jahr 2010 10 Prozent der Energie ausregenerativen Quellen zu erzeugen – ein Beispiel für ak-tiven Umweltschutz, den viele von diesem Land so nichterwartet hätten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Das möchte ich erst sehen!)

Ich erinnere in diesem Zusammenhang weiter an dieaktive Vermittlungsrolle Chinas im Nordkoreakonflikt.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: „Waffen-embargo“ ist das Thema!)

Wir wissen China beim Kampf gegen die Weiterverbrei-tung nuklearer Waffen an unserer Seite.

Auch die chinesische Unterstützung für die regionaleIntegration in Asien weist in dieselbe Richtung. 2002 ha-ben China und die ASEAN-Staaten die Errichtung einerFreihandelszone bis zum Jahr 2010 vereinbart. Das istein wichtiger Beitrag zur regionalen Sicherheit und zurregionalen Stabilität.

Ich stimme dem früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher wirklich zu, der vor kurzem sagte,China habe sich zu einem wirklichen Faktor der globa-len Stabilität entwickelt. Diese Rolle – Sie haben esselbst gesagt – wird zunehmend auch von den USA aner-kannt; sonst hätte man dort, auch vor dem Hintergrunddes Kongressbeschlusses, wohl kaum die Einsetzung ei-ner hochrangig besetzten Arbeitsgruppe mit China be-schlossen.

Wer Frieden, Stabilität und Wohlstand in Asien unddarüber hinaus fördern will, dem muss daran gelegensein, dass China diese verantwortungsvolle Politik mul-tilateral weiterführt. Gerade darauf ist die strategischePartnerschaft der Europäischen Union und Deutschlandsmit China ausgerichtet: auf konstruktive Zusammen-arbeit und Einbindung. Mit diesem Ansatz vertragensich Sanktionen gleich welcher Art eben nicht. Sanktio-nen zielen auf Isolierung und Diskriminierung. Die Bun-desregierung setzt dagegen auf Kooperation, auf Integra-tion und damit verbundenen Wandel.

Ich will abschließend einige Bemerkungen zur inne-ren Situation Chinas machen. Die chinesische Gesell-schaft wird offener und pluraler, wenn auch nicht mit derGeschwindigkeit und in dem Ausmaß, die auch ich mirgern wünschen würde. Der Schutz der Menschenrechteund des Privateigentums wurde im Frühjahr 2004 in dieVerfassung aufgenommen. Natürlich kritisieren wir dieTatsache, dass es die Todesstrafe gibt, und das Ausmaß,in dem sie verhängt wird. Wir sollten aber nicht verges-sen, dass es gegen unseren Willen die Todesstrafe auch inanderen Gesellschaften gibt. Die Bundesregierung ist fürdie Abschaffung der Todesstrafe überall, in China wie inallen Ländern der Welt, wo sie noch angewendet wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Es ist nicht ausreichend, aber ein Fortschritt, dass Todes-urteile jetzt der Überprüfung durch das oberste Gerichtunterliegen.

Das alles mag nicht weit genug gehen – das ist auchnach meiner Auffassung so –, zeigt aber: Es gibt unver-kennbar Fortschritte bei der Stärkung der Rechtsstaat-lichkeit und der Achtung der Menschenrechte. Chinamodernisiert sich – politisch und wirtschaftlich. Dasstreiten im Übrigen auch die Vereinigten Staaten vonAmerika nicht ab. Sie haben erst vor drei Wochen inGenf bei der Menschenrechtskommission – ich zitiere –„bedeutsame Schritte bei der Verbesserung der Men-schenrechtslage in China“ festgestellt. Das war die Posi-tion der Vereinigten Staaten von Amerika in Genf.

Die Europäische Union und Deutschland sind willens,China auf dem Weg der Modernisierung seiner Gesell-schaft konstruktiv zu unterstützen. Gerade darauf ist der

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Bundeskanzler Gerhard Schröder

von mir – nicht von früheren Regierungen – 1999 ver-einbarte Rechtsstaatsdialog ausgerichtet. Er ist einwichtiger, weil kontinuierlicher Beitrag zur strukturellenVerankerung rechtsstaatlicher Prinzipien in allen Le-bensbereichen Chinas, zu etwas also, das wir wollen undfür das wir uns mit allen Möglichkeiten, die wir haben,einsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs führen wir sowohlbilateral als auch auf europäischer Ebene einen offenenund ehrlichen Menschenrechtsdialog.

Meine Damen und Herren, die Kritiker einer Aufhe-bung des Waffenembargos verweisen auf das vomVolkskongress verabschiedete Antisezessionsgesetz. Ichglaube, es gibt außer den außenpolitischen Experten, de-nen ich das unterstelle, nur wenige, die das Gesetz wirk-lich in vollem Umfang kennen. Es ist deswegen zu emp-fehlen, das ganze Gesetz zu lesen. Darin wird auf derGrundlage des Ein-China-Prinzips, das seit Jahrzehntender deutschen Chinapolitik zugrunde liegt, zuallerersteine friedliche Wiedervereinigung postuliert.

Dass China daran gelegen ist, die Beziehungen zuTaiwan in allen Bereichen zu intensiveren, und zwarzum Wohle beider Seiten, ist aus meiner Sicht nur zu be-grüßen. Klar ist allerdings auch, dass sowohl die Euro-päische Union als auch die Bundesregierung niemals ei-nen Zweifel daran gelassen haben, dass die Taiwanfrageausschließlich mit friedlichen Mitteln gelöst werdenkann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und desAbg. Volker Rühe [CDU/CSU])

Meine Damen und Herren, eine auf breit angelegteZusammenarbeit und gemeinsame Bewältigung globalerHerausforderungen ausgerichtete Politik mit China liegtsowohl im europäischen als auch im deutschen Interesse.Wir wollen konstruktive Beziehungen zu China zum ge-genseitigen Nutzen unserer Völker und zur Stärkung vonFrieden und Stabilität; denn ein im Innern stabiles, mo-dernes und rechtsstaatliches China wird auch in regiona-len und internationalen Fragen ein berechenbarer, ver-lässlicher und verantwortungsvoller Partner sein.

Ich weiß, dass die Entwicklung in China Zeit ge-braucht hat und weiter Zeit brauchen wird. Aber die Öff-nung des Landes und die Integration in die Weltwirt-schaft und in die internationalen politischen Strukturenwerden – dessen bin ich sicher – den Wandel weiter vo-rantreiben. Jeder Versuch der Isolierung kann nur in dieIrre führen. Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt,dieses Embargo aufzuheben, und deswegen habe ich kei-nen Anlass, die Position, die alle Staats- und Regierungs-chefs der Europäischen Union eingenommen haben, inZweifel zu ziehen.

Das wollte ich Ihnen vermitteln. Vielen Dank für dieAufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege

Schäuble das Wort.

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Bundeskanzler hat mit dem Hinweis, er habe an derSPD-Vorstandssitzung

(Zurufe von der SPD: Präsidiumssitzung!)

– oder an der Präsidiumssitzung – nicht teilgenommen,den Eindruck erweckt, das, was ich gesagt habe, seinicht richtig. Deswegen bin ich dankbar, dass ich dasOriginalzitat aus der „Frankfurter Rundschau“ vom5. April 2005 hier noch einmal vortragen kann:

(Widerspruch bei der SPD)

SPD und Grüne suchen hinter den Kulissen weiternach Wegen, den Koalitionsstreit um das EU-Waf-fenembargo gegen China nicht eskalieren zu lassen.Während die Grünen am Montag erneut an denKanzler appellierten, keinesfalls gegen den Willendes Bundestags für die Aufhebung des Embargoszu stimmen, gab es auch im SPD-Vorstand nachTeilnehmerangaben „keine mehrheitliche Unter-stützung“ für die Linie des Kanzlers.

Parteichef Franz Müntefering machte in der SPD-Vorstandssitzung deutlich, dass Schröder vor allemaus Rücksicht auf Frankreichs Präsident JaquesChirac gegen das Waffenembargo sei. SPD-Außen-politiker verweisen auf massive Interessen der fran-zösischen Rüstungsindustrie in China – und auf dieZusage des Kanzlers an Chirac, zum Thema Waffen-embargo mindestens bis zum heiklen französischenEU-Verfassungsreferendum Ende Mai die PariserLinie zu unterstützen.

Meine Damen und Herren, der Hinweis, ob der Kanz-ler an der Sitzung teilgenommen hat oder nicht,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist völlig unerheblich!)

ist deswegen überhaupt kein Dementi in der Sache.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Herr Schäuble, es handelt sich doch wieder einmal

um den für Sie so typischen Versuch, aus einer Meldungüber eine Sitzung, an der derjenige, der sie geschriebenhat, nun wirklich nicht teilgenommen hat, eine Tatsachezu konstruieren.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ist sie nunfalsch oder richtig? – Dr. Angela Merkel[CDU/CSU]: Dementiert Herr Müntefering?Das kann er dann ja tun!)

Genau mit dieser Art und Weise haben Sie schon beimehr als einer Gelegenheit versucht, Tatsachen zu ver-drehen und sich dann auf diese verdrehten Tatsachen zuberufen.

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(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Sie warendoch auch nicht da! Woher wissen Sie dann,wie es war?)

Sie kommen mit dieser Art und Weise nicht durch. Dasist nämlich, Herr Schäuble, kein redlicher Umgang mitder Wahrheit. Aber dieser unredliche Umgang mit derWahrheit ist Ihnen ja durchaus zu Eigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wi-derspruch bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt für die FDP der Abgeordnete

Guido Westerwelle.

(Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Ein De-menti haben wir jedenfalls nicht gehört

Dr. Guido Westerwelle (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Redeversucht, den Eindruck zu erwecken, als handele es sichbei diesem Konflikt um einen Konflikt zwischen der Re-gierung und der Opposition. Wir wollen vorab eines fest-halten: Wenn der Deutsche Bundestag seine bisherigeBeschlussfassung ernst nimmt, dann handelt es sich umeinen Konflikt zwischen der überparteilichen Mehr-heit des Deutschen Bundestages und der Haltung derBundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zweite Vorbemerkung: Herr Bundeskanzler, Sie ha-ben am Anfang Ihrer Rede Zitate eingeführt – ichmöchte mich jetzt nicht mit Ihnen weiter darüber ausei-nander setzen, ob die „Frankfurter Rundschau“ richtigliegt oder nicht; Sie können sich ja beim Eigentümer be-schweren –

(Heiterkeit bei der FDP)

und auf die historische Wahrheit Wert gelegt. Wir erin-nern uns noch an die damalige Auseinandersetzung undvor allen Dingen an das, was derjenige, der heute Vize-kanzler, also Ihr Stellvertreter, und Außenminister derBundesrepublik Deutschland ist, damals an die Adressevon Herrn Kohl und Herrn Kinkel gesagt und in diesemZusammenhang kritisch angemerkt hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Heute sagt er nichts mehr!)

Er sagte damals:

Wir werden eine friedliche Entwicklung Chinasnicht bekommen, wenn wir vor allen Dingen aufdas Geschäft setzen. … Deswegen müssen wir mitden Chinesen unnachgiebig über Menschenrechte,über tibetische Kultur und über den Schutz vonMinderheiten in China sprechen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da hat er doch Recht!)

Herr Bundesaußenminister, Sie sagten damals: Manmuss sich klar und deutlich ausdrücken, „auch wenn das

Peking nicht passt“. Sie haben dem Bundesaußenminis-ter Kinkel damals „windelweiche Servilität“ vorgewor-fen und höhnten: Herr Kinkel „kriecht vor den Chinesenauf dem Bauch“. – Wie einen doch die Bilder eines Ta-ges wieder einholen, Herr Außenminister.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Eine dritte Vorbemerkung halte ich an der Stelle fürnotwendig: Es ist fast schon eine zynische Haltung,wenn Sie, Herr Bundeskanzler, sich hier hinstellen undsagen, Sie wollten das Waffenembargo aufheben undkeine Waffen exportieren, aber uns auf die Frage, wasSie davon halten, dass Frankreich dann Waffen expor-tieren wird, sagen: Wendet euch an die Franzosen. Dasist, offen gestanden, zynisch. Wenn Sie das Waffen-embargo aufheben, sind Sie für jeden Waffenexporthöchstpersönlich mitverantwortlich, komme er auch ausFrankreich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es war ja auch eine bittere Stunde für die Grünen. Dashat man ja an der Reglosigkeit bemerkt, mit der sie dieRede des Bundeskanzlers aufgenommen haben. Es hatsich ja keine Hand zum Beifall gerührt.

Etwas Viertes finde ich besonders bemerkenswert: Sohaben wir vor etwas mehr als einem Jahr im DeutschenBundestag eine ausführliche Debatte über die Frage ge-führt, ob die zur friedlichen Nutzung der Kernenergiebestimmte zivile Nuklearanlage von Siemens ausHanau mit einer deutschen Wertschöpfung von 1 Mil-liarde Euro nach China exportiert werden darf. Die Chi-nesen wollten diese Hanauer Nuklearanlage kaufen undsie wollen es noch immer. Siemens will diese Anlageverkaufen und will es noch immer. 1 Milliarde Euro istkein Pappenstiel. Wenn eine Bundesregierung den Ex-port einer zivilen Nuklearanlage verhindern will, gleich-zeitig aber ein Waffenembargo aufhebt, dann ist dasmehr als widersprüchlich; dann ist das die Scheinheilig-keit, vor der wir warnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Schließlich finde ich es erschreckend, wenn Sie, HerrBundeskanzler, in Bezug auf das Waffenembargo nichtnur in früheren Interviews, sondern auch in Ihrer heuti-gen Rede wörtlich sagen, dass es sich nur noch um ein„politisch-symbolisches Instrument“ handele – alswürde es sich bei einem Waffenembargo um Symbolikhandeln! Was ist das denn für eine symbolische Geste,wenn Sie dieses Waffenembargo aufheben? Wofür?

3 700 vollstreckte Todesurteile gab es im vergange-nen Jahr weltweit. Sie haben Recht, wenn Sie das kriti-sieren. Aber Sie haben Unrecht, wenn Sie dabei ver-schweigen, dass 3 400 davon in China vollstrecktworden sind. Die Autonomiebestrebungen der Tibeterwerden weiter unterdrückt. Zahlreiche Menschen sitzenin willkürlicher Administrativhaft, unzählige stecken inArbeitslagern. Pressefreiheit, wie wir sie kennen, gibt esdort überhaupt nicht. Da wäre eine Diskussion wie dieüber die „Frankfurter Rundschau“, wie wir sie gerade er-lebt haben, gar nicht denkbar. Wir nehmen zur Kenntnis,dass religiöse Gruppen verfolgt werden, dass nicht nur

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Dr. Guido Westerwelle

die Pressefreiheit, sondern auch die Meinungsfreiheitunterdrückt wird. Nach dem Bericht der Generalsekretä-rin von Amnesty International von Anfang dieses Jahressteht fest, dass heute, 15 Jahre nach dem schrecklichenVorfall auf dem Platz des Himmlischen Friedens, nochimmer Menschen, die damals beteiligt gewesen sind, imGefängnis sitzen.

Sie fordern die Aufhebung des Waffenembargos ausGründen der Symbolik. Wir sagen: Es geht um mehr alsSymbolik. Menschenrechte sind nicht Symbolik. DieUnterdrückung der Menschenrechte ist für diese Men-schen bittere, grausame Realität. Davor warnen wir,meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Niemand bestreitet, dass eine gute zivile, wirtschaftli-che Zusammenarbeit mit China richtig und sinnvollist. Niemand in diesem Hause – egal ob in den Reihender Opposition oder der Regierungsfraktionen – erkenntdoch nicht an, welche Entwicklungen es gegeben hat.Wir alle sind der Auffassung, dass jeder Fortschritt, ins-besondere was die Justiz angeht, sinnvoll ist. Wir habendie Bedingungen damals selber mit auf den Weg ge-bracht. Sie, insbesondere die Justizministerin, führen dasdankenswerterweise fort. Das soll ausdrücklich aner-kannt werden.

Aber es steckt etwas anderes dahinter. Sie sehen inder Aufhebung des Waffenembargos offensichtlich einInstrument zur Beschleunigung einer positiven Entwick-lung der Menschenrechte und der Demokratie, währendwir sagen: Waffenexporte können nicht ein Mittel zurDemokratisierung sein, sondern sie können bestenfallsals Ergebnis am Ende eines Demokratisierungsprozessesstehen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Wir sagen: Wandel durch Handel ja, aber Waffenhandelnein; denn er verändert nicht die politischen Zustände,sondern zementiert Unterdrückung und die Verletzungvon Rechtsstaatlichkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Deswegen appellieren wir an Sie, die zivile Zusam-menarbeit mit China fortzuentwickeln. Wir sind dankbarfür die guten geschäftlichen Beziehungen. Die Vorstel-lung, wir müssten das Waffenembargo aufheben, um mitChina auch zivil besser ins Geschäft zu kommen,schwingt in dieser Debatte zwar oft genug mit, ist abertrotzdem falsch. Andere Länder wie beispielsweise dieVereinigten Staaten von Amerika haben weit mehr wirt-schaftliche Beziehungen und Geschäfte mit China undbleiben in der Chinapolitik trotzdem dem Prinzip derMenschenrechte verpflichtet. Wir sagen: Ziviler Handelund wirtschaftliche Zusammenarbeit ja, ein Waffenhan-del jetzt, in dieser Lage, nein.

Wenn der Bundestag seine Aufgaben und auch das,was er beschlossen hat, ernst nimmt, wenn er sich selbsternst nimmt, dann müssten eigentliche alle Fraktionendem Bundeskanzler hier die Stirn bieten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Herr Bundesaußenminister

Joschka Fischer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da kommt der Skeptiker!)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Eu-

ropäische Rat hat einstimmig den Beschluss gefasst, zuüberprüfen, ob das 1989 nach den furchtbaren Ereignis-sen auf dem Tiananmenplatz in China, der blutigen Un-terdrückung der Freiheitsbewegung, verhängte Embargoangesichts der zweifellos festzustellenden Veränderun-gen in China in der bestehenden Form noch angemessenist und aufrechterhalten werden soll. Der EuropäischeRat hat den Außenministern den Auftrag erteilt – es warallerdings kein unkonditionierter Auftrag –, sich in Rich-tung einer Aufhebung zu bewegen.

Bevor ich auf diesen Punkt näher eingehe, möchte ichunterstreichen, was der Bundeskanzler über die Bedeu-tung des Landes gesagt hat. Anders als 1989 hängt dieWeltwirtschaft heute ganz entscheidend von der Frageab – das wissen Sie alle –, ob die chinesische Währungauf- oder abgewertet wird. Heute gibt es eine Abhängig-keit zwischen der amerikanischen und der chinesischenVolkswirtschaft, die in dieser Form damals noch nichtexistierte.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Was ist das fürein Einstieg? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)

– Lassen Sie mich diese Fakten herausstellen. Ichkomme noch zu den Argumenten.

(Zuruf von der FDP: Sagen Sie es doch jetzt!)

Die Frage der Integration dieser aufstrebenden Welt-macht – das ist der entscheidende Punkt; da kann ichKollegen Schäuble nur nachdrücklich unterstützen – istfür die Stabilität des internationalen Systems im21. Jahrhundert eine der zentralen Fragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir uns darauf verständigen, dann werden wir sehrschnell feststellen, dass es keine einfache Lösung gibt.

Die Überprüfung wurde von vielen Staaten unter-stützt. Sie können der Bundesregierung durchaus vor-werfen, dass sie aus Ihrer Sicht an der einen oder ande-ren Stelle falsch gehandelt hat. Aber Sie werden dasbeispielsweise Großbritannien nicht vorhalten können.Ich möchte unterstreichen, dass es eine gemeinsamePosition gibt. Diese wird manchmal so dargestellt, alsgäbe es in der Europäischen Union schon einen Kon-sens.

Ich möchte betonen, dass wir Prüfkriterien haben,die sich auf die aktuelle Menschenrechtslage in China,auf die Stabilität in der Region – vor allen Dingen in derStraße von Taiwan – und darüber hinaus beziehen. Herr

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Bundesminister Joseph Fischer

Westerwelle, es macht sich zwar gut, wenn Sie jetzt da-von sprechen, Fischer habe das damals gesagt. Auf mei-ner letzten Reise nach China, an der Sie nicht teilgenom-men haben – ich glaube, Herr Uhl war aber dabei –, gabes eine Pressekonferenz mit dem chinesischen Kollegen,auf der ganz offen gesprochen wurden: über Tibet, überdie Menschenrechte, über die Administrativhaft undüber die Unterdrückung der Christen. Ich weiß übrigens,dass auch der Bundeskanzler diese Punkte in Chinaebenso offen angesprochen hat.

Wir haben mit niemandem darüber diskutiert, wo derDalai Lama in Deutschland empfangen wird. Er wirdselbstverständlich im Auswärtigen Amt empfangen. Esgibt heute nicht mehr Bilder wie die, die es damals gege-ben hat – Sie als junger Mann können sich daran viel-leicht nicht mehr erinnern – und an die ich mich sehr guterinnern kann. Der Bundeskanzler hat keinen Diener vorder Volksarmee gemacht, wie es der damalige Bundes-kanzler wenige Jahre nach dem Massaker auf demTiananmenplatz getan hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

An diesem Punkt brauchen wir uns Ihre Kritik nicht ge-fallen zu lassen.

Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir sehr optimistischwaren, was die Perspektive hinsichtlich der Entwicklungzwischen der Volksrepublik China und Taiwan angeht.Wir waren sehr froh, als wir festgestellt haben, dass mitden Wahlen in Taiwan ein Signal in die richtige Rich-tung ausgesandt wurde. Die Eröffnung einer direktenFlugverbindung war ebenfalls ein positives Signal. Aberselbstverständlich gilt auch, dass das Taiwan-Gesetz al-les andere als ein Schritt in die richtige Richtung ist,auch wenn der Bundeskanzler völlig zu Recht unter-streicht, man solle das ganze Gesetz lesen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, ja!)

– Kollege Gerhardt, das eigentliche Problem ist – völligunabhängig davon, wie die EU entscheiden wird; das sa-gen Ihnen alle Experten in Australien, Neuseeland, Ja-pan und Ostasien –, dass China alles tun wird, um eineSezession Taiwans zu verhindern. Auf der anderen Seitewill Taiwan eine Demokratie bleiben. Den drohendenZusammenprall dieser Grundsätze müssen wir verhin-dern; denn die Eskalationsgefahr, die sich daraus ergibt,ist nicht unerheblich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das wiederum hängt aber mit der Integration Chinas zu-sammen. Wir werden – das kann ich Ihnen an dieserStelle sagen – die Prüfung in diesem Punkt sehr sorgfäl-tig vornehmen.

Wir brauchen einen Konsens in der EuropäischenUnion. Dieser Konsens ist heute noch nicht vorhanden.Da wir diesen Konsens erreichen wollen, appelliere ichan die chinesische Regierung: Sie muss begreifen, dasssie sehr viel dazu beitragen kann, dass ein solcher Kon-sens möglich wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Das war auch immer die Haltung von Bundesregierungund Europäischer Union.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da sollten Sie sich aber nicht übernehmen!)

Es war ein Schritt in die richtige Richtung, als sich diechinesische Regierung direkt mit einem Vertreter desDalai Lama zusammengesetzt hat. Bedauerlicherweisesind die Ergebnisse noch nicht so, dass ich sagen könnte,dass ein wirklich großer Schritt nach vorn getan wurde.Wir wollen, dass wenigstens jetzt die Menschenrechts-pakte, die ja bereits unterschrieben sind und die seit lan-gem in der Volksvertretung liegen – –

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Implementiert werden!)

– Ja, China kann sofort ein richtiges und wichtiges Si-gnal setzen. Ich appelliere deshalb an die chinesischeRegierung und an den Volkskongress, die Menschen-rechtspakte jetzt zu ratifizieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das würde meines Erachtens ein Signal setzen, bei demman wirklich sagen könnte, dass wir vorankommen.

Nun zur Frage der exzessiven Anwendung der Todes-strafe. Ich unterstreiche, was der Bundeskanzler gesagthat: Es ist richtig und wichtig, dass die Todesstrafe jetztnicht mehr allein von den Gerichten in den Regionenverhängt, sondern von dem obersten Gericht der Volks-republik China überprüft werden soll. Aber wir müssennach wie vor darauf drängen, dass die Todesstrafe alseine inhumane Strafe eingeschränkt und in der Perspek-tive auch abgeschafft wird. Das gilt übrigens nicht nurfür China; ich könnte auch noch einige andere Fälle nen-nen. Gerade in der Menschenrechtskonferenz erlebenwir an diesem Punkt recht merkwürdige Koalitionen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Europa ist in dieser Frage ein Leuchtturm und wird vonseiner Haltung auch nicht ablassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Selbstverständlich – lassen Sie mich auch das unter-streichen – spielt auch der Einsatz für religiöse Toleranzeine entscheidende Rolle.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Es geht um das Waffenembargo!)

– Ich erläutere gerade, was wir meiner Meinung nachbrauchen, wenn wir einen Konsens erreichen wollen,und was die Punkte sind, an denen China konstruktivmitarbeiten kann. Das hat viel mit dem Erreichen einesKonsenses zu tun und es ist meine Aufgabe als Außen-minister – wir Außenminister sind von den Regierungs-chefs entsprechend beauftragt worden –, zu versuchen,diesen Konsens herzustellen. Ich erläutere Ihnen gerade,

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Bundesminister Joseph Fischer

was aus meiner Sicht die konstruktiven Beiträge der an-deren Seite sein können und sein sollten. Es geht alsosehr wohl um die Sache.

Meine Damen und Herren, vorhin wurde ja zu Rechtauf die Frage der Toleranz für die christliche Religionhingewiesen. Auch das ist immer wieder ein zentralesThema in den Gesprächen mit der anderen Seite. ImRechtsstaatsdialog geht es um die Fortentwicklung derHerrschaft des Rechts, der Unabhängigkeit der Justizund der Humanisierung der Gesetze. All diese Fragensind von entscheidender Bedeutung.

Herr Kollege Schäuble – aber ich sage das auch inRichtung des Kollegen Westerwelle –, Sie sprachen dieBeziehungen zu den USA an. Die Europäische Unionhat eine Delegation entsandt. Wir sind gerade bei derAuswertung dieser Gespräche und untersuchen, welchezusätzlichen Anstrengungen zur Herstellung einer ge-meinsamen Position unternommen werden sollten. Dennin der Tat will niemand eine erneute Eintrübung dertransatlantischen Beziehungen. Meines Erachtens ist aufallen Seiten eine gewisse Ehrlichkeit in der Argumenta-tion dringend notwendig.

Herr Kollege Westerwelle, Sie sind mir also nunwirklich einer!

(Heiterkeit bei der SPD)

Sie wollen, dass ich die Hanauer Anlage liefere, abergleichzeitig soll ich keinen Krach mit den Amerikanernanfangen. Sie müssen mir einmal zeigen, wie das gehensoll.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die westerwellsche „friedliche Anlage“ zur Plutonium-verarbeitung wird in Washington im Kongress und in derAdministration auf donnernden Beifall stoßen! An die-sem Punkt müssen Sie noch ein bisschen arbeiten. Ichkann Ihnen nur sagen: Entweder wollen Sie keinenKrach; dann rate ich Ihnen, die Sache mit Hanau weiterzu prüfen, jedenfalls aber nicht einer Lieferung zuzu-stimmen. Oder Sie wollen Krach; in diesem Fall ver-stünde ich dann aber die ganze Debatte hier nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Kommen wir zur Haltung der Europäischen Unionund der Bundesregierung, die der Kanzler gerade darge-stellt hat. Unser Ziel ist es – –

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist der Kanzler?)

– Der Kanzler ist bei den Kirchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)

– Er hat sich entschuldigt.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das wissen die Fraktionen!)

Der Kanzler hat einen nicht verlegbaren Termin gehabt.Das wissen auch die Fraktionen. Er musste um

12.30 Uhr weg. Das hat überhaupt nichts mit dieser De-batte zu tun.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Der kann nur noch beten!)

Das zeigt doch offensichtlich, dass Sie selbst die kleinsteMünze nutzen, um dem Kanzler am Zeug zu flicken. Dasist doch albern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das war doch immer so. Er hat sich entschuldigt.

(Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Für uns ist ganz entscheidend: Wir wollen einen Kon-sens erreichen. Dieser Konsens setzt voraus, dass alle inder Europäischen Union zustimmen. Um diese Zustim-mung zu bekommen, wird es notwendig sein, dass sichauch die chinesische Seite bewegt. Ich habe gesagt: DieMenschenrechtspakte zu ratifizieren wäre für China rela-tiv schnell machbar und könnte jederzeit umgesetzt wer-den. Gleichzeitig sollte man im Rechtsstaatsdialog vo-rankommen, bei der Administrativhaft Erleichterungenschaffen und vor allen Dingen eine friedliche Streitbeile-gung in der Straße von Taiwan anstreben. In all diesenDingen ist die chinesische Seite gefordert.

Die Europäische Union ist bereit, all das zu tun, wasin ihrer Macht steht, um sich in die richtige Richtung zubewegen. Aber wir erwarten auch von der anderen Seite,dass sie dies tut. Die Bedingungen sind bekannt und klar.Wenn wir eines Tages auf dieser Grundlage einen Kon-sens erreichen können, dann – so bin ich mir sicher –wird auch die Opposition nicht widersprechen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich habe eineKurzintervention erbeten! Ich wollte auch eineZwischenfrage stellen!)

– Sie haben sich zu einem Zeitpunkt zu einer Zwischen-frage gemeldet, zu dem die Redezeit schon überschrittenwar.

Petra Pau (fraktionslos): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die CDU/CSU hat beantragt, das EU-Waffenembargogegen China nicht aufzuheben. Ich nehme vorweg: DiePDS im Bundestag stimmt diesem Antrag zu. Sie kön-nen das für eine parlamentarische Stern- oder für einepolitische Geisterstunde halten. Denn dass die PDS unddie Opposition zur Rechten gleicher Meinung sind, istselten, sogar sehr selten.

Ich bin ziemlich sicher, dass wir nicht einmal dersel-ben Meinung sind. Das wird spätestens bei den Gründendeutlich, warum die PDS und weshalb die CDU/CSU

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Petra Pau

gegen Rüstungsexporte nach China ist. Unsere Positionist übersichtlich: Jeder Rüstungsexport ist unter demStrich ein Geschäft mit dem Tod

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

und somit das Gegenteil einer auf Frieden gerichtetenWeltwirtschaft. Das meinen wir ganz grundsätzlich.

CDU und CSU agieren eher taktisch, übrigens auchTeile der Grünen: Deutsche Waffenexporte nach Chinakönnten die USA verstimmen. – Das hörte ich von derCDU/CSU ebenso wie aus der Fraktion der Grünen. Dasheißt ja wohl: Rüstungsexporte sind okay; es müssen nurdie richtigen Käufer gefunden werden. Genau da setztübrigens der Konflikt mit dem Bundeskanzler an. DennChina ist ein großer, profitabler Markt. Deshalb ist derKanzler für die Beseitigung aller Exportschranken.

Ich erinnere hier an eine Forderung, die ich schon inder vorletzten Sitzungswoche zitiert habe:

Die Regierung muss im Blick behalten, dass Unter-nehmen Rendite erzielen müssen, und dies geht beiRüstungsgütern nur selten, wenn man sich alleinauf die Belieferung der nationalen Streitkräfte be-schränkt.

Dieses Zitat stammt von Dr. Diehl, dem Vorsitzendender gleichnamigen Stiftung, eines Konzerngeflechts imweltweiten Rüstungsgeschäft, aus dem Jahre 2000 undwurde damals der rot-grünen Bundesregierung insStammbuch geschrieben.

Seitdem hat – darüber haben wir erst jüngst disku-tiert – die Zahl deutscher Waffenlieferungen und Rüs-tungsexporte massiv zugenommen. Die Beschränkun-gen, die sich Rot-Grün selbst auferlegt hatte, sind längstMakulatur. Denn deutsche Waffen- und Rüstungssys-teme werden selbst in Krisengebiete exportiert. DieseFehlentwicklung ist, wie man weiß, nicht das Gegen-argument der CDU/CSU. Sie ist insgesamt nicht gegendeutsche Rüstungsprofite. Sie ist allerdings gegen neueReibereien mit den USA. Dies unterscheidet die Unionund die PDS im Deutschen Bundestag.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Der Bundeskanzler hat andere Optionen. Dass erdiese durchsetzen will, ließ er vor dieser Parlaments-debatte durchblicken. Er meinte, er und nicht das Parla-ment habe die Richtlinienkompetenz. Ich finde, das warein kalkulierter Affront gegen die Demokratie. Dass erdazu heute kein Wort gesagt hat, spricht übrigens Bände.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Zurück zur Volksrepublik China. China ist gut fürVW-Geschäfte, sagen die einen. China ist schlecht imHinblick auf Menschenrechte, sagen die anderen. Wäreich unpolitisch neutral, würde ich sagen: Beides stimmt.

Ich bin aber nicht unpolitisch neutral. In China wer-den Menschenrechte verletzt, und das massiv. So werden

zum Beispiel in China noch mehr Todesurteile voll-streckt als im Mutterland der Todesstrafe, den USA.

In China wird ein Autogeschäft forciert, im Vergleichzu dem die aktuelle Feinstaubdebatte in Deutschland einlaues Lüftchen ist.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Dieses Autogeschäft vollzieht sich übrigens auch mitdeutscher Duldung, mit deutscher Beteiligung und mitrot-grünem Eifer.

Jeder fünfte Mensch unserer Erde lebt in der Volksre-publik China. Das spricht unbedingt für Dialog und fürZusammenarbeit mit China. Die PDS ist dafür; siewirbt dafür und sie pflegt auch den Dialog. Nur eineshilft niemandem, nämlich der Versuch, China als ge-winnträchtigen Markt für deutsche und europäischeWaffenexporte zu erobern. Dazu sagt die PDS im Bun-destag Nein.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Zum Schluss. Ich bekam vor der heutigen DebattePost von einem Journalisten einer linken, einer sehr lin-ken Zeitung. Er mahnte meine Kollegin und mich: Ihrwerdet doch nicht etwa dem CDU/CSU-Antrag zustim-men, noch dazu in einer Zeit, in der die USA ihren Mili-tärring um China zusammenziehen und aufrüsten. Ichsage sehr deutlich: Wir, die PDS im Bundestag, sinddennoch dagegen, dass China mit deutscher odereuropäischer Hilfe hochrüstet. Wir wollen generell, dassweltweit abgerüstet wird, dass Krieg kein Mittel der Po-litik ist und dass das Geschäft mit dem Tod endlich welt-weit geächtet wird.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Das unterscheidet uns von CDU und CSU. Deshalb wer-den wir ihrem Antrag dann auch zustimmen.

(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-tionslos])

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurzintervention erhält der Herr Kollege

Westerwelle das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (FDP): Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Minister, ich

wollte meine Worte in Form einer Frage an Sie richten.Vorab eine kleine Bemerkung: Ich bedanke mich zu-nächst einmal ausdrücklich dafür, dass Sie der Meinungsind, dass ich zu jung sei, um mich an die Debatten der90er-Jahre zu erinnern. Das ist zu viel des Charmes unddas bin ich von Ihnen, Herr Minister, an dieser Stelle garnicht gewöhnt. Es ist wirklich enorm, was Druck allesbewegen kann.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und derCDU/CSU – Joseph Fischer, Bundesminister:Merken Sie sich das gut!)

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Dr. Guido Westerwelle

Jetzt komme ich zu der Frage, die ich angemeldethatte. Sie konnten es nicht sehen, weil Sie in diesem Mo-ment in die andere Richtung geguckt haben. Herr Minis-ter, Sie haben eine Rede gehalten, in der vieles enthaltenist, dem man zustimmen kann, in der aber auch vielesenthalten ist, dem man überhaupt nicht zustimmen kann.Hier meine ich vor allem die Lagebeurteilung und diepolitischen Konsequenzen. Wozu Sie in der gesamtenRede nichts gesagt haben, ist: Sind Sie jetzt für die Auf-hebung des Waffenembargos oder sind Sie dagegen?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich möchte diese Klarstellung einfach nur aus demGrunde haben, damit ich denen, die in zehn Jahren in derOpposition sind,

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Westerwelle, Sie!)

sagen kann: Ihr seid zu jung, um euch daran erinnern zukönnen.

„Der Kanzler weiß, dass ich hier eine skeptischereHaltung habe …“ Das haben Sie in der letzten Woche ineinem bemerkenswerten Interview in der „Zeit“ gesagt.Was meinen Sie damit, wenn Sie davon sprechen, dassSie beim Thema Waffenembargo eine skeptischere Hal-tung haben als der Bundeskanzler? Können Sie uns daseinmal sagen, damit wir wissen, dass diese Regierunggeschlossen ist – auch wenn das nicht immer eine Beru-higung ist?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Erstens. Jede Antwort, die ich Ihnen jetzt gebe, wird

selbstverständlich für Sie nicht zureichend sein. Daswollte ich als Vorbemerkung sagen.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja oder nein? –Weitere Zurufe von der CDU/CSU und derFDP)

– Sehen Sie: Der Satz ist noch nicht zu Ende und schonzeigt die Reaktion, wie Recht ich habe.

Zweitens. Das mit dem Druck sollten Sie sich mer-ken. Diese Erfahrung kann ich als Älterer weitergebenund Sie haben ja im Moment auch einiges um die Ohren –weniger als ich, aber doch einiges.

(Heiterkeit – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich danke!)

– Bitte.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Keine Verbrü-derung! – Heiterkeit)

– Sie sehen: Schon wieder Gefahr im Verzug, KollegeGerhardt. Fürchten Sie für sich?

(Michael Glos [CDU/CSU]: Sie trainieren fürden Untersuchungsausschuss, Herr Bundes-minister! Machen Sie Ihr Medientraining wo-anders!)

Ich komme zu meiner dritten Bemerkung und jetztbin ich ernsthaft. Ich will Ihre Frage so gut beantworten,wie ich das kann.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Gret-chenfrage!)

– Das ist keine Gretchenfrage. Ich habe als Außenminis-ter den Auftrag, daran zu arbeiten, dass es einen Konsenszur Aufhebung des Waffenembargos gibt. Das ist derAuftrag, den wir haben.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aber was wol-len Sie?)

Das will ich realisieren. Aber ich weiß, dass wir diesenKonsens nicht schaffen können, wenn wir in den Berei-chen, die ich genannt habe, keine Fortschritte erzielen. In-sofern kommt das meiner eigenen Position sehr entgegen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Michael Glos[CDU/CSU]: Nehmen Sie mal die Hand aus derTasche! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Tja, wie soll sich die grüne Fraktion jetztentscheiden? Was will uns der Außenministerdamit sagen?)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Fraktionsvorsitzende der CDU/

CSU, Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Angela Merkel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst ein-

mal zur Aufklärung, wo der Bundeskanzler ist: Er istnicht „bei den Kirchen“, sondern beim argentinischenStaatspräsidenten Kirchner.

(Anhaltende Heiterkeit und Beifall bei derCDU/CSU und der FDP – Christian Schmidt[Fürth] [CDU/CSU]: Das scheint auf der Re-gierungsbank nicht immer ganz klar zu sein!)

Das ist ein kleiner Unterschied. So ist es jedenfalls unsübermittelt worden. Von unserer Seite gilt er als ent-schuldigt.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wenn es der Aufklärung dient!)

Meine Damen und Herren, nun zum Debattengegen-stand. Wir diskutieren heute über eine Frage, mit der wiruns in den nächsten Jahren sicherlich noch häufiger be-schäftigen werden: ob das Waffenembargo gegen Chinaaufgehoben werden sollte oder nicht. Dabei geht es umaußenpolitische Fragen insgesamt.

Ich muss sagen: Wir debattieren dieses Thema erstensund vor allem vor dem Hintergrund, dass die Sicherungvon Stabilität, Freiheit und Menschenrechten auch ingeographisch weit entfernten Regionen heute essenziellfür unser eigenes Wohlergehen geworden ist.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: So ist es!)

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Dr. Angela Merkel

Die eine Welt, die lange Zeit nur in sehr theoretischenDiskussionen ein Thema war, ist heute Wirklichkeit ge-worden. Durch die Globalisierung müssen wir uns mitden damit zusammenhängenden Fragen sehr intensiv be-schäftigen.

Zweitens diskutieren wir darüber auch deshalb, weilsich die Welt und die wirtschaftlichen Gewichte verän-dern. Der asiatische Raum, insbesondere China, ist einBereich großer Dynamik. Zudem verändern sich auchdie politischen Situationen; das ist überhaupt keineFrage.

Drittens sind wir zu einer solchen Debatte genötigt,weil wir feststellen müssen, dass die Bundesregierungzunehmend weniger in der Lage ist, eine konsistente undauf nachvollziehbaren Werten begründete Außenpolitikdurchzusetzen. Das sind die Gegenstände der heutigenDebatte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich glaube, wir sind uns einig, dass eine konsistenteAußenpolitik immer mit einer ganz nüchternen Be-standsaufnahme beginnen sollte. Heute ist bereits oft ge-sagt worden – ich will das wiederholen –, dass sich seit1989 einiges getan hat. Neben den wirtschaftlichen Ent-wicklungen gibt es Ansätze politischer Reformen auchin China. China ist ein wichtiger Sicherheitspartner inder Welt. Peking ist zum Beispiel bei der Lösung derNordkoreafrage unverzichtbar.

(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

China spielt als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrateine entscheidende Rolle, auch im Blick auf die Refor-mierung der UNO. Hinzu kommt, dass die ökonomischeEntwicklung Chinas außerordentlich dynamisch ist, dassChina ein wichtiger Handelspartner ist und dass darausgroße Chancen erwachsen. In diesen Punkten gibt es indiesem Hause keine Unterschiede.

Diese Entwicklungen erkenne ich an. Wir alle habenInteresse daran – das will ich ausdrücklich sagen –,China immer stärker in die internationalen Institutionenund ihre Regelwerke einzubinden. Deshalb teile ich dieMeinung der Bundesregierung, die – übrigens in großerpolitischer Kontinuität zu früheren Bundesregierungen –sagt: Wir brauchen eine strategische Partnerschaft mitChina. Bundeskanzler Schröder hat uns den Gefallen ge-tan, ein Zitat von Bundeskanzler Kohl anzuführen. Aller-dings hat er das Zitat an genau der Stelle abgebrochen, ander es etwas unsicher wurde. Denn Bundeskanzler Kohlhat, nachdem er die Bedeutung dieser strategischen Part-nerschaft in der entsprechenden Debatte des Jahres 1995angesprochen hat, hinzugefügt:

Es geht überhaupt nicht um eine Militarisierung un-serer Beziehungen. Es geht in keiner Weise umRüstungs- oder Waffenhilfe.

Ich finde, es gehört zur Vollständigkeit des Zitats, auchdas zu erwähnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt[FDP]: Texte immer ganz lesen! – Christian

Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Und dannspricht der von Verlogenheit!)

Der Europäische Rat hat dann – das hat die Bundesregie-rung richtig dargestellt – in Aussicht gestellt, das 1989ausgesprochene Embargo kontinuierlich im Lichte ent-sprechender Fortschritte zu überprüfen. Genau in dieserKontinuität verstehen sich auch die letzten Beschlüssedes Europäischen Rates. Deshalb, glaube ich, müssteman doch Folgendes erwarten können – das hat aberheute weder der Bundesaußenminister noch der Bundes-kanzler gemacht –: dass man einfach einmal überprüft,ob die Bedingungen für die Aufhebung des Waffenem-bargos gegeben sind oder nicht.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Genau rich-tig!)

Dazu gibt es doch Beschlüsse, einen aus dem Dezem-ber 2003 und einen vom letzten Herbst zu einem Antragder Koalitionsfraktionen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

Wir möchten einfach wissen: Stehen Sie zu diesen Be-schlüssen oder nicht?

Sie haben die Aufhebung immer an sehr klare, nach-vollziehbare Bedingungen geknüpft: erstens an kon-krete Schritte Chinas in den Menschenrechts- und Min-derheitsfragen. So haben Sie die Aufhebung immer auchdaran geknüpft – Herr Bundesaußenminister Fischer hatdas heute andeutungsweise gesagt –, dass der Internatio-nale Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifi-ziert wird; unter anderem, nicht ausschließlich. Sie ha-ben von China zweitens einen substanziellen Beitrag zurEntschärfung des Taiwankonflikts erwartet und Sie ha-ben drittens die Einigung auf einen rechtlich verbindli-chen EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren gewollt.Das waren die Bedingungen. Nun sind Sie bei allen dreiPunkten „dran“, wie Sie gerade gesagt haben. Offen-sichtlich kann dieses „Dransein“ aber lange dauern.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!)

Die Frage, die wir heute gerne von Ihnen beantwortethaben wollten, war ja nicht, ob man das Waffenembargogegen China vielleicht irgendwann aufheben kann – dasagen wir in diesem Hause wohl alle: das könnte sein,das schließt niemand aus –; die Frage ist, ob Sie die Po-sition vertreten, dass es jetzt aufgehoben werden kann.Oder vertreten Sie die Position, dass es jetzt noch nichtaufgehoben werden kann?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Diese Frage muss sich doch daran ausrichten, ob das,was Sie sich selbst als Bedingungen gestellt haben, nunals erfüllt gilt. Da muss ich ganz einfach sagen: Ich kanndas nicht erkennen. Ich kann vielleicht erkennen, dassSchritte in die richtige Richtung da sind, aber ich kannüberhaupt nicht erkennen, dass diese Bedingungen er-füllt sind.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So ist das!)

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Oder aber Sie müssen uns mitteilen: Es gibt neue Einsich-ten, aus denen heraus Sie von den bisher gestellten Bedin-gungen abweichen. Dann müssen wir uns fragen – daswill ich hier gerne tun, weil es von der Koalitionsseitenicht gemacht wurde –: Gibt es im deutschen Interessevielleicht Gründe, einen ganz anderen Weg einzuschla-gen? Ich persönlich bin der Überzeugung – ich hoffe, Siesind es auch –, dass sich die Leitlinien der deutschenChinapolitik nicht über Nacht verändert haben. Deshalbmuss man noch einmal an vier Punkten festmachen, wasdiese Leitlinien sind:

Erstens. Wir haben ein vitales Interesse an der Sicher-heit und Stabilität in Ostasien. China hat einen großenRüstungshaushalt; keine Frage. Es ist nicht klar, obChina auf Dauer eine rein defensive Militärstrategie ver-folgen oder ob es offensiver vorgehen wird. Der Bundes-kanzler hat im Dezember 2003 bei seinem Staatsbesuchin China vom Waffenembargo als einem Relikt des Kal-ten Krieges gesprochen. Meine Damen und Herren, ichrate uns allen trotz der ganz offensichtlich verändertenSituation in Asien: Wir sollten die Situation, die wir dortheute vorfinden, nun wirklich nicht mit der Europasnach dem Kalten Krieg vergleichen.

(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

In Europa ist der Siegeszug der Freiheit – und damitauch die deutsche Einheit – in einer Art und Weise mög-lich geworden, die man nun wirklich nicht eins zu einsauf die Region in Asien übertragen sollte; ich zumindestkann davor nur warnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP – Gert Weisskirchen [Wiesloch][SPD]: Wer tut denn das?)

– Wer mit Blick auf das Waffenembargo von einem „Re-likt des Kalten Krieges“ spricht, überträgt die Denkmo-delle, die wir in Europa angewandt haben, auf die Re-gion, zu der auch China gehört. Das lehne ich ab.

Der japanische Ministerpräsident Koizumi hat sichanlässlich des Besuchs von Präsident Chirac sehr besorgtüber die Pläne der Europäischen Union geäußert. Wirmüssen uns an dieser Stelle fragen: Nehmen wir dieseSorgen ernst – das gebietet der Respekt – oder nehmenwir sie nicht ernst? Früher, als Sie in der Opposition wa-ren, hat Herr Erler Bundeskanzler Kohl zum Beispiel zu-gerufen, dass er mit der Sensibilität eines hospitalisiertenNilpferds mit den Sorgen der Region umgeht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD –Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wer ist hier dasNilpferd? – Zuruf von der CDU/CSU: UnserNilpferd heißt Gerd!)

Meine Damen und Herren, ich würde mich zu solchenVergleichen gar nicht in der Lage sehen. Aber ich rateuns, Japans Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen, wennwir zu einer friedlichen Entwicklung, zu einer guten Ent-wicklung kommen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Wir brauchen einen glaubwürdigen Einsatzfür Freiheit und Menschenrechte. Es wird häufig argu-

mentiert, Moral und Interesse stünden in der Außenpoli-tik in einem Gegensatz.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Ich glaube, wir selbst haben in Deutschland die we-sentliche Erfahrung gemacht, dass es immer auch einfundamentaler Sicherheitsfaktor ist, Menschen- undBürgerrechte zu gewähren. Wenn man das nicht tut,kann man jederzeit in eine mögliche explosive Entwick-lung geraten. Das müssen wir verhindern. Deshalb müs-sen wir uns aus Sicherheitsinteressen für die Durchset-zung von Menschenrechten einsetzen. Das ist derZusammenhang, den wir nie aufgeben dürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In dem von uns geführten Dialog über Sicherheits-und Menschenrechtsfragen, den ich ausdrücklich unter-stütze, müssen wir die Betroffenen ernst nehmen. EinStudentenführer bei den damaligen Vorgängen auf demPlatz des Himmlischen Friedens hat ganz klar gesagt:Ich kann nicht erkennen, wie der Verkauf von modernenWaffen aus Europa dazu beitragen kann, den Menschenin China mehr Freiheit zu bringen. Genau über diesenPunkt müssen wir uns hier auseinander setzen. Der Bun-deskanzler hat in seinem Interview in der „Zeit“, in demer auch die große Rolle des Parlaments gewürdigt bzw.nicht gewürdigt hat, die Aufhebung des Waffenembar-gos damit begründet, dass man so Einfluss auf die De-mokratisierung der Gesellschaft in China nehmenkönnte. Genau das bezweifeln wir; genau das halten wirfür falsch. Das muss hier festgestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Herr Bundesaußenminister, auch wenn Sie sich gernedrücken wollen,

(Joseph Fischer, Bundesminister: Nein!)

müssen Sie schon sagen, ob Sie die Aufhebung des Waf-fenembargos für ein geeignetes Mittel halten, Einflussauf die Demokratisierung in China zu nehmen. Was bis-her im Menschenrechtsdialog erreicht wurde, wurdeohne diesen Schritt erreicht. Im Übrigen glaube ich, dasseine gefestigte, klare und wertebegründete Position vielmehr Eindruck auf die chinesische Gesellschaft und diechinesische Regierung macht

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

als das Prinzip Hoffnung nach dem Motto: Wenn wireuch etwas zugestehen, könnte es ja vielleicht sein, dassihr euch in bestimmten Fragen bewegt. Das halte ich fürfalsch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Drittens. Daneben stellt sich natürlich die Frage, wieEuropa Achtung und Anerkennung gewinnt. GewinntEuropa Achtung und Anerkennung, wenn es diesen Wegzerstritten geht und wenn jede Regierung in Europa et-was anderes sagt, oder gewinnt Europa Achtung und An-erkennung, wenn es die gemeinsam gefassten Ratsbe-

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Dr. Angela Merkel

schlüsse irgendwann auch gemeinsam beurteilt? Dannsollte es eines Tages auch möglich sein, sie gemeinsamzu verändern. Aber all das geschieht nicht.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Doch!)

– Sie sind skeptischer, der Bundeskanzler ist dafür. Dereine glaubt, die Gesellschaft in China verändern zu kön-nen, der andere glaubt, es sei besser, Waffen zu liefern.

Im Übrigen: Der Bundeskanzler hat uns heute gesagt,er wisse nicht, was die französische Regierung will. Le-sen Sie die Worte der französischen Verteidigungsminis-terin nach!

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, hoch-interessant!)

Die französische Verteidigungsministerin sagt: Wir wol-len Waffen nach China liefern, weil wir glauben, dassdie Chinesen die Technologie nicht erlernen, wenn wirsie liefern, was immer noch besser ist, als wenn sie dieTechnologie selbst entwickeln.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das muss man sich mal überlegen!)

Das muss man sich bei allem Respekt vor der französi-schen Regierung einmal überlegen, einerseits im Hin-blick auf das Selbstverständnis der Rolle, die man denChinesen zutraut, und andererseits im Hinblick auf dieFrage, was mit diesen Waffen passieren kann.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage: Wir brauchen einen kraftvollen europäi-schen Dialog. Damit kommen wir wieder zu einer inte-ressanten Frage. Nach meiner festen Auffassung kanndieser kraftvolle europäische Dialog nur stattfinden,wenn sich die westliche Welt an dieser Stelle einig istund wenn Japan und vor allen Dingen die VereinigtenStaaten von Amerika eingebunden sind.

Herr Bundesaußenminister – oder besser: HerrBundesverteidigungsminister, falls er noch da ist –, nunerinnere ich mich daran, dass auf der MünchenerSicherheitskonferenz eine bedeutende Rede des Bun-deskanzlers verlesen wurde.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war was, ja!)

Es wurde darüber gesprochen, dass man möchte, dassdie NATO ihre neue Rolle im 21. Jahrhundert findet. Ichstimme hier mit dem Bundesverteidigungsminister undGeneral Kujat überein: Es wäre doch am besten, wennman der NATO eine neue politische Rolle geben möchte,Fragen dieser Art nicht bei Staatsbesuchen in China oderin der „Zeit“ anzusprechen,

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

sondern in der NATO selbst, in dem politischen Bündnis,in dem solche Fragen auch zuerst diskutiert werden müs-sen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb glaube ich, dass der Menschenrechtsdialog undunser westliches Auftreten in der Frage, wie wir unsere

Werte auch in China plausibel machen können, nicht da-für sprechen, jetzt voreilig und zerstritten aufzutretenund zu sagen, was man in Bezug auf das Waffenembargogerade denkt.

Viertens zu den wirtschaftlichen Interessen unseresLandes. Auch da kann ich nur sagen: Aufgrund der Ge-schichte der deutsch-chinesischen Beziehungen sprichtnichts, aber auch gar nichts dafür, dass ein vorschnellesFestlegen auf die Aufhebung des Waffenembargos mitunserem wirtschaftlichen Interesse in irgendeiner Weisepositiv in Zusammenhang steht. Die Wirtschaftsbezie-hungen sind gut und entwickeln sich prächtig. Die ein-zige Gefahr, die Sie eingehen, wenn Sie immer wiederbetonen, dass Deutschland sowieso keine Waffen nachChina liefern will, sehe ich in der transatlantischen Rüs-tungskooperation. Die Amerikaner werden sich nämlichsehr wohl überlegen, wie viele gemeinsame strategischeProjekte sie mit Europa angehen, wenn Europa nichtwillens ist, eine abgestimmte Haltung zum Waffenem-bargo gegenüber China zu finden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Wir wollen, dass sich China vernünftig entwickelt.Wir wollen herausragende deutsch-chinesische Bezie-hungen. Aber wir wollen eine Außenpolitik, die sich aufWerte gründet und die diese Wertediskussion in der ak-tuellen Umsetzung jedes Schrittes für die Menschenauch wirklich nachvollziehbar einbezieht.

(Jörg Tauss [SPD]: Mir kommen gleich die Tränen!)

Angesichts dessen, was wir heute von der Bundesregie-rung gehört haben, besteht völlige Unklarheit darüber,was der Bundeskanzler und der Bundesaußenministermit dem Spagat erreichen wollen, einerseits die beste-henden Beschlüsse zu akzeptieren und für sie zu werben,aber andererseits schon jetzt von der Aufhebung desWaffenembargos zu sprechen. Sie haben sich nicht dazudurchringen können – und das ist das eigentlich Bedau-erliche –, den heutigen Zustand in der VolksrepublikChina zu benennen und zu sagen, ob das reicht, um dasWaffenembargo aufzuheben, oder nicht. Wir sagen: Da-für reicht die jetzige Situation nicht. Damit bekommendie Bürgerinnen und Bürger wenigstens von der Unions-fraktion eine klare Antwort.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der

SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Frau Kollegin Merkel, was wäre gewesen, wenn Sie

1995 eine vergleichbar werteorientierte Rede in IhrerFraktion oder im Kabinett gehalten hätten, als der dama-lige Bundeskanzler zu denen gereist ist, deren Hände

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Gert Weisskirchen (Wiesloch)

noch von Blut trieften, das vom Massaker auf demTiananmen herrührte?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich wäre im Kabinett gerne Mäuschen gewesen.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das sind Sie doch!)

Ich kann mich aber kaum daran erinnern, dass Sie sichdazu in irgendeiner Weise kritisch geäußert hätten.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Und wie hilft Ihnen das jetzt weiter?)

– Herr Gerhardt, Sie waren damals Vorsitzender derFDP. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie auch nureine einzige kritische Bemerkung gemacht haben. Statt-dessen hat Herr Haussmann eine Rede ausschließlichzum Thema der ökonomischen Kooperation gehalten.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Und jetzt?)

Lieber Kollege Dr. Schäuble, Sie waren damals Frak-tionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.Ich finde es wunderbar – das ist auch berechtigt –, dassSie Werteorientierung einfordern. Aber ich bitte Sie:Bleiben Sie redlich!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zu-rufe von der SPD: Werden!)

Ich fände es ganz gut, sich, wenn man über Werte redet,einmal selbstkritisch Gedanken darüber zu machen, wasWerteorientierung bedeutet, etwa in der Frage des Irak-krieges.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Auch Redlichkeit ist ein Wert!)

Wie verhalten wir uns in der Frage der Werteorientie-rung gegenüber unserem interessantesten und wichtigs-ten Bündnispartner, den USA? Die USA haben Mitte der90er-Jahre Waffen im Wert von 32 Millionen Dollarnach China geliefert. Für mehr als 360 Millionen Dollarwurden im Jahr 2003 Waffen an Taiwan verkauft.

Liebe Frau Kollegin Fraktions- und Parteivorsitzende,vielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken,wenn Sie sich in Bezug auf den Begriff „Relikt des Kal-ten Krieges“, wie es der Bundeskanzler in China genannthat, kritisch äußern. Schauen Sie sich doch die Spannun-gen in dieser Region an.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Eben!)

Schauen Sie sich an, wie sich Japan und China gegensei-tig in nationalistischer Weise anfeinden, Stichwort:Schulbücher. Schauen Sie sich den fast autonomen Rüs-tungswettlauf in dieser Region an. Erinnert das nicht anunsere Erfahrungen im Kalten Krieg?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sollten wir deshalb nicht alles dafür tun, dass sich Ab-rüstungsprozesse in jener Region durchsetzen? Das isteiner der zentralen Punkte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Weisskirchen, erlauben Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Röttgen?

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Herr Präsident, gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Röttgen.

Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Herr Kollege Weisskirchen, ich möchte Ihnen eine

Zwischenfrage zu einem Redeauszug aus der Debattevom 23. November 1995 stellen. Ich zitiere den Redner:

Denken Sie vielleicht auch einmal darüber nach,welche Ängste vor China im südostasiatischenRaum vorhanden sind. Haben Sie nicht zur Kennt-nis genommen, welche Sorgen in Japan, welcheSorgen überall in der Region gegenüber China be-stehen? Es kommt darauf an, in der westlichenStaatengemeinschaft eine abgestimmte Strategie zuentwickeln, wie China in eine Allianz der Sicher-heitspartnerschaften in Asien eingebunden werdenkann. Das wäre der entscheidende Punkt. Aber wobleibt Ihre Rückkoppelung mit den USA? Wo bleibtIhre Rückkoppelung mit der Europäischen Union?Was Sie gemacht haben, war Politik auf eigeneFaust. Alleingänge und Sonderwege, Herr Bundes-kanzler, sind für Deutschland allemal schlecht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Meine Frage, Herr Kollege: Können Sie bestätigen,dass der Redner Gert Weisskirchen war?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Das Argument bleibt aber, wie Sie sehen, immer noch

richtig.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Setzen Sie sich doch einmal durch!)

Das, Herr Kollege Röttgen, ist der zentrale Punkt. DieEuropäische Union hat – das hat Frau Kollegin Merkelbestätigt – seit 1993, also während Ihrer Regierungszeit,überlegt, wie sie aus dem Dilemma, das sie selbst ge-schaffen hat, wieder herauskommt.

(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Nein!)

– Selbstverständlich. Da haben Sie aber ein kurzes Ge-dächtnis. Darüber hat es innerhalb der EuropäischenUnion schon eine lange Debatte gegeben. Ich nenneIhnen den Schlüssel, mit dem wir aus dem Dilemmaherauskommen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Zurücktreten! –Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Stimmt dasdenn noch?)

– Ja, in der Tendenz stimmt das leider immer noch.

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Gert Weisskirchen (Wiesloch)

Hören Sie einmal, was der Europäische Rat am 16./17. Dezember beschlossen hat:

In dieser Hinsicht erinnert der Europäische Rat andie Bedeutung der Kriterien des Verhaltenskodexfür Waffenausfuhren, insbesondere der Kriterien inBezug auf Menschenrechte, Stabilität und Sicher-heit in der Region sowie die nationale Sicherheitvon befreundeten Ländern und Bündnispartnern.

Das ist der zentrale Schlüssel.

(Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])

Wenn es uns auf der europäischen Ebene gelingt, denVerhaltenskodex durchzusetzen – das war übrigens auchder gemeinsame Beschluss des Deutschen Bundesta-ges –, dann kann es gelingen, das Waffenembargo aufzu-heben; denn dann haben wir einen verrechtlichten Pro-zess und dann ist es nicht mehr nötig, überhaupt Waffenin der Form, in der es bislang geschieht, nach China zuexportieren. Das ist der Schlüssel. Diesen Schlüssel indie Hand zu nehmen, hat die Bundesregierung auf demGipfel versprochen. Ich hoffe und wünsche, dass Chinabereit ist, all die Bedingungen, die am 16. und17. Dezember formuliert worden sind, so zu erfüllen,dass das Waffenembargo aufgehoben werden kann.Heute können wir diese Antwort noch nicht geben. Ichhoffe, wir können im Juni erkennen, ob das möglich ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich das Wort dem Kollegen Fritz Kuhn vomBündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Ich möchte für die Fraktion des Bündnisses 90/DieGrünen klar zum Ausdruck bringen, dass wir zum jetzi-gen Zeitpunkt nicht für eine Aufhebung des Waffen-embargos gegenüber China sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Gründe dafür sind einfach; wir haben sie in demParlamentsbeschluss des Bundestages vom Oktober ver-gangenen Jahres dargelegt: Um das Waffenembargoaufheben zu können, muss es erstens ein klares euro-päisches Reglement geben, dass aus Europa keine Rüs-tungsgüter und Waffen nach China oder sonst wohin ex-portiert werden dürfen, wenn die betreffenden Staatennicht bestimmte Bedingungen erfüllen. Ein solches Re-gelwerk auf europäischer Ebene in einer verbindlichenund nachprüfbaren Form existiert gegenwärtig nochnicht. Es wird zwar darüber verhandelt, aber es hat nochnicht in dem Maße verbindlichen Charakter, wie es sichder Deutsche Bundestag gewünscht hat.

Zweitens ist es noch nicht zu einer Entspannung desKonfliktherdes zwischen China und Taiwan gekom-men. Das chinesische Gesetz hat in Bezug auf Taiwaneher zu einer Verschärfung geführt.

Drittens sind keine substanziellen Verbesserungenhinsichtlich der Menschenrechte erfolgt. Die Nichtrati-fizierung des Pakts über die politischen und bürgerlichenRechte, die Frage der Todesstrafe und der Umgang mitMinderheiten zeigen, dass in den letzten Monaten bzw.im letzten Jahr eher eine Verschärfung der Menschen-rechtssituation in China stattgefunden hat als eine Ent-spannung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kuhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Westerwelle?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (FDP): Herr Kollege Kuhn, Sie haben Ihre Rede in einer be-

merkenswerten Klarheit eröffnet. Sie haben eine Be-gründung gegeben, die in weiten Teilen mit unsererübereinstimmt bzw. ihr ähnlich ist. Deswegen frage ichSie: Wird die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünendem Antrag der FDP und der CDU/CSU im DeutschenBundestag zustimmen?

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will gleich auf Ihre Frage antworten, Herr

Westerwelle, aber vorher noch ein Argument anführen.

Wir haben im Oktober deutlich gemacht, dass wir nurunter den von mir wiederholten Bedingungen für eineAufhebung des Waffenembargos sind. Ihr Antrag enthältgegenüber der Situation im Oktober nichts Neues. Neuist die Verschärfung der Situation im Zusammenhangmit Taiwan; ansonsten ist die Situation unverändert. In-sofern haben wir eine klare Position. Wir hoffen und set-zen darauf, dass die europäische Diskussion über dieAufhebung des Waffenembargos dazu führen wird, dassdie Aufhebung mit Konditionen verbunden ist und erstdann erfolgt, wenn bestimmte Fortschritte hinsichtlichder Menschenrechtslage und gegenüber Taiwan undauch auf EU-Ebene in der Frage der Rüstungsexporte er-reicht werden. Wir werden diese Position im Ausschussbekräftigen.

Unsere Fraktion rückt nicht von dem ab, was wir imOktober beschlossen haben. Ihr Antrag stellt keine Ver-stärkung des im Oktober gefassten Beschlusses dar, son-dern lediglich eine terminliche Verkürzung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt komme ich zu dem springenden Punkt. Der Bun-deskanzler ist zwar leider nicht mehr anwesend – erkonnte nicht länger bleiben –, aber ich will es trotzdemklar sagen: Wir wollen, dass das Waffenembargo nur

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Fritz Kuhn

dann aufgehoben wird, wenn es wirklich substanzielleVerbesserungen gibt.

Wir verstehen den europäischen Diskussionsprozessso – Sie wissen, Herr Westerwelle, dass die Debatte ingewisser Weise virtuell ist, weil das Embargo nur dannaufgehoben werden kann, wenn in Europa Einstimmig-keit darüber besteht –, dass es dabei um die Frage geht,welche Signale von der chinesischen Regierung kom-men werden und müssen.

(Beifall der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen sollte der Bundestag, wenn es nicht um eineVorführung einzelner Fraktionen geht, in klarer Ent-schlossenheit darauf drängen, dass aus China Signalekommen dahin gehend, dass es zu substanziellen Verän-derungen in der Menschenrechtsfrage kommt. In diesemFall kann das Waffenembargo aufgehoben werden, abernur dann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kuhn!

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte jetzt meine Argumentation zu Ende füh-

ren.

Damit kommen wir zu der substanziellen Streitfrage– auch mit dem Bundeskanzler –, um die es bei diesemThema geht; ich will nicht verhehlen, dass es unter-schiedliche Auffassungen gibt.

Die Frage ist, was der Menschenrechtssituation inChina mehr nützt. Führt das Vorantreiben des wirt-schaftlichen Prozesses zu einem Automatismus bei derVerbesserung der Menschenrechtssituation?

Herr Schäuble und Frau Merkel, ich finde es interes-sant, dass Sie diese Position von BundeskanzlerSchröder einst selbst vertreten haben. Als der DeutscheBundestag im Dezember 1992 die Sanktionen, die 1989gemeinsam hier beschlossen worden waren, mit denStimmen der Regierungsfraktionen – damals CDU/CSUund FDP – gegen die Stimmen der aus den Grünen undder SPD bestehenden Opposition aufgehoben hat, habenSie diesen Beschluss folgendermaßen begründet:

Trotz aller Bemühungen der Führung der Kommu-nistischen Partei Chinas, die Reformen auf dasWirtschaftssystem zu begrenzen, wird nach Auffas-sung des Deutschen Bundestags eine konsequenteLiberalisierung der Wirtschaft Chinas und eine stär-kere Integration Chinas in die internationale Ge-meinschaft innerchinesische Bestrebungen nachmehr Rechtssicherheit und politischer Öffnung ver-stärken und auf Dauer zu politischen und gesell-schaftlichen Reformen führen.

Sie haben damals also die Position eingenommen, dieSie heute dem Kanzler vorwerfen. Diese bedeutet ein-fach formuliert: Eine wirtschaftliche Öffnung wird auto-matisch zu Verbesserungen auf politischer, rechtsstaatli-cher und menschenrechtlicher Ebene führen. Deswegen

ist Ihr heutiger Vorwurf an den Bundeskanzler an dieserStelle nicht richtig.

Ich glaube aber, dass die These, die Kanzler Schrödervorgetragen hat, falsch ist. China ist eine der letzten we-nigen Einparteiendiktaturen auf der Welt. China hat zwarseit 20 Jahren eine wirtschaftliche Öffnung vollzogen,die zum Teil auch eine gesellschaftliche Öffnung war.Aber China hat in dieser Zeit niemals wirklich einepolitische Öffnung vollzogen, die allein zu Demokrati-sierung und Rechtsstaatlichkeit sowie zu einer Verbesse-rung der Menschenrechtssituation führt. Das ist derKernpunkt, über den wir uns streiten. Aber Sie nehmeneine falsche Position ein, weil Sie damals das Gleiche er-zählt haben, wie wir heute gehört haben.

Ich sage Ihnen klar: Nur ein Signal für politische Re-formen, Demokratie und Menschenrechtsreformenkann das Problem lösen. Ich sehe das so: Der EU-Pro-zess muss zu einer Ratifizierung des InternationalenPaktes über bürgerliche und politische Rechte und damitzu Verbesserungen führen. Dann könnte man eine posi-tive Diskussion führen, die etwas Konstruktives für dieMenschen in China bringt. Dafür werden die Grüneneintreten. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregie-rung diesen Prozess in der europäischen Diskussion ver-stärken und vertiefen wird.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/5103 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh-rung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit liegensoll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowiedie Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:

27 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-kung der gesundheitlichen Prävention

– Drucksache 15/5214 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Sportausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Tourismus

b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Abfallverbringungsgesetzes sowie zur Auf-lösung und Abwicklung der Anstalt Solidar-fonds Abfallrückführung

– Drucksache 15/5243 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zurÄnderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes

– Drucksache 15/5221 – Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Finanz- und Personalstatistikgesetzessowie des Hochschulstatistikgesetzes

– Drucksache 15/5215 – Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)InnenausschussAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novel-lierung des Verwaltungszustellungsrechts

– Drucksache 15/5216 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-benennung des Bundesgrenzschutzes in Bun-despolizei

– Drucksache 15/5217 – Überweisungsvorschlag:Innenausschuss (f)Haushaltsausschuss

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch-führung der Verordnung (EG) 805/2004 übereinen Europäischen Vollstreckungstitel für un-bestrittene Forderungen (EG-Vollstreckungs-titel-Durchführungsgesetz)

– Drucksache 15/5222 – Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen der Vereinten Nationen vom15. November 2000 gegen die grenzüberschrei-tende organisierte Kriminalität sowie zu denZusatzprotokollen gegen den Menschenhandelund gegen die Schleusung von Migranten

– Drucksache 15/5150 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)Auswärtiger Ausschuss InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten HorstFriedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,

Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDP

Belastungen für Nordhorn und Siegenburgdurch neue Nutzungsanordnung für die dorti-gen Luft-Boden-Schießplätze reduzieren– Drucksache 15/5047 – Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss (f)Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus

j) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofes

Rechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2004– Einzelplan 20 –– Drucksache 15/5005 – Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss

ZP 4 a)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungdes Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes– Drucksache 15/5244 – Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss (f)InnenausschussFinanzausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-setzung der Richtlinie 2003/105/EG des Euro-päischen Parlaments und des Rates vom16. Dezember 2003 zur Änderung der Richt-linie 96/82/EG des Rates zur Beherrschung derGefahren bei schweren Unfällen mit gefährli-chen Stoffen– Drucksache 15/5220 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)InnenausschussAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

c) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Frie-densmission der Vereinten Nationen in SudanUNMIS (United Nations Mission in Sudan) aufGrundlage der Resolution 1590 (2005) des Si-cherheitsrates der Vereinten Nationen vom24. März 2005– Drucksache 15/5265 – Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Rechtsausschuss VerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/5214 zu Ta-gesordnungspunkt 27 a soll zusätzlich an den Innenaus-schuss, den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirt-schaft und Arbeit, den Ausschuss für Familie, Senioren,Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschuss ge-mäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. DieVorlage auf Drucksache 15/5005 zu Tagesordnungs-punkt 27 j soll nicht an den Ausschuss für Wirtschaftund Arbeit überwiesen werden. Sind Sie damit einver-standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-gen so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion der SPD

Unterschiedliche Forderungen aus der CDUzur Zukunft des BAföG

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion dasWort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jörg Tauss (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die große BAföG-Expertin Merkel hat sich – auch FrauBöhmer sehe ich im Moment nicht mehr – nach ihremChinavortrag verabschiedet. Das ist eigentlich schade;denn sie hat kürzlich eine bemerkenswerte Äußerung ge-tan. Sie wurde in der Presse mit dem legendären Satz zi-tiert: „Niemand hat die Absicht, das BAföG abzuschaf-fen.“

(René Röspel [SPD]: Und dann kam die Mauer!)

– Das kam mir ebenfalls sehr bekannt vor, lieber KollegeRöspel. – 1961 hat Ulbricht mit hoher Stimme gesagt:„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Ichwill zwar Frau Merkel nicht mit Herrn Ulbricht verglei-chen; um keine Missverständnisse aufkommen zu las-sen. Aber die Halbwertszeit der Ankündigung von HerrnUlbricht, keine Mauer zu errichten, bis zum Mauerbaubetrug zwei Monate. Ich fürchte, die Halbwertszeit derAnkündigung von Frau Merkel wird nicht ganz so langsein.

(Marion Seib [CDU/CSU]: Das ist ja direkt unanständig!)

Frau Schavan ist in der Union offensichtlich nichtganz so allein wie Frau Merkel. Der niedersächsischeWissenschaftsminister hat gesagt: Frau Schavan hatRecht. In Baden-Württemberg hat Frau SchavanRückendeckung von dem dortigen Wissenschaftsminis-ter Frankenberg bekommen. Frau Wanka, Vorsitzendeder Kultusministerkonferenz und Mitglied der CDU-Fraktion in Brandenburg, hat Frau Schavan Recht gege-ben. Die Einzige, die Frau Schavan eigentlich nicht sorichtig Recht gegeben hat, ist Frau Merkel.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das reicht aber!)

Nun kommen wir zu dem, was Frau Schavan – im-merhin Stellvertreterin von Frau Merkel – gesagt hat. Siehat gesagt: Die Union wird im Jahre 2006 das BAföGabschaffen; das ist ganz sicher.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat sie nicht gesagt!)

Genau das ist das Thema der heutigen Aktuellen Stunde.

(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Was Sie sagen, ist verlogen!)

Die Konzepte der CDU liegen nun auf dem Tisch. Ichbin eigentlich dankbar dafür, dass hier durch FrauSchavan für Klarheit gesorgt worden ist.

(Nicolette Kressl [SPD]: „Konzept“ ist ein bisschen übertrieben!)

– Na ja, ein paar Konzepte sind uns schon bekannt. Bei-spielsweise wurde heute von Herrn Laumann angekün-digt, man solle den jungen Menschen die Ausbildungs-vergütung wegnehmen.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist dochQuatsch, Herr Tauss! Hören Sie doch zu, be-vor Sie wiedergeben, was Herr Laumann ge-sagt hat! Sie verbreiten hier die Unwahrheit!)

Das war heute Morgen eine zentrale Aussage Ihres desi-gnierten Arbeitsministers. Wir alle, die wir hier saßen,haben das gehört. Im Protokoll können Sie es nachlesen.

Sie haben aber nicht nur für die Auszubildenden eineÜberraschung parat, sondern auch für die Studierenden:Sie wollen Studiengebühren einführen. Diese sollendurch Bildungsdarlehen – möglicherweise in sechsstelli-ger Höhe – finanziert werden, das heißt durch Schulden,die die jungen Menschen machen müssen. In Ihre Regie-rungszeit fiel die Entscheidung, das BAföG dahin ge-hend umzustellen, dass es als Darlehen gewährt wird.Ein Rückgang der Zahl der Studierenden, insbesonderein den Naturwissenschaften, war die Folge, lieber Kol-lege Bergner.

Sie haben angekündigt, für 2005 in Bezug auf BAföGund Studiengebühren ein Gesamtkonzept vorzulegen.Auch Sie haben nämlich erkannt, dass es relativ wenigSinn macht, Studiengebühren zu erheben und BAföGüber die Einnahmen aus den Studiengebühren zu finan-zieren. Das ist in der Tat richtig. Herr Dräger hatte schonfür 2004 angekündigt, dass zu diesen Widersprüchlich-keiten Ihrerseits eine modellhafte Aufarbeitung erfolgt.Das heißt: Sie sagen uns, wie Sie diesen Widerspruch lö-sen wollen. Mittlerweile ist dies für 2005 angekündigtworden.

Ich bin mir fast sicher, dass auch das nicht der Fallsein wird; denn mittlerweile haben Sie verkündet, dassSie sich zuvor mit den Arbeitgebern beraten wollen. Dasist hochinteressant. Die Arbeitgeber haben nämlich nichtgesagt: Niemand hat die Absicht, das BAföG abzuschaf-fen. Die Arbeitgeber, mit denen Sie jetzt in dieser Frage

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Jörg Tauss

verhandeln wollen, haben vielmehr gesagt: Wir wollennicht nur das BAföG abschaffen,

(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])

sondern auch das Kindergeld. Das eingesparte Kinder-geld und das eingesparte BAföG sollen zusammengelegtund den Studierenden gegeben werden, damit sie mitdiesem Geld künftig ihre Studiengebühren bezahlenkönnen. – Einen solchen Unfug können Sie mit den Ar-beitgebern gern beraten. Ich sage Ihnen allerdings: Wirwerden dies mit den Arbeitgebern in dieser Form nichtberaten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Union will das BAföG im Jahr 2006 abschaffen.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt!)

Dazu sage ich in aller Klarheit: Mit unserer Mehrheitwerden wir dafür sorgen, dass das BAföG 2006 erhaltenbleibt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit unserer Mehrheit werden wir dafür sorgen, dass IhreAngriffe auf die Ausbildungsvergütungen wirkungslosbleiben. Mit unserer Mehrheit werden wir dafür sorgen,dass es Ihnen nicht gelingen wird, jungen MenschenSchulden in Höhe eines bis zu sechsstelligen Betragesaufzubürden, damit sie ihre Bildung finanzieren können.Das ist Ihr Weg. Dieser Weg ist unanständig. Es ist gut,dass er klar aufgezeigt worden ist.

Wir haben eine eindeutige Alternative. Ihr Weg ist mituns nicht machbar. Ihr Weg wäre ein Verhängnis. Erwürde zu weniger Studierenden in unserem Land und zueinem billigen Abkassieren bei den Studierenden und ih-ren Eltern führen. Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Diese Rede war so etwasvon verlogen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Katherina Reiche von der

CDU/CSU-Fraktion.

Katherina Reiche (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das

künstliche Aufblasen und die gespielte Erregung, HerrTauss, sind wirklich unerträglich.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Noch etwas war unerträglich. Sie haben gestern eine De-batte, die viele Tausend Menschen in Berlin und darüberhinaus bewegt hat, schlichtweg boykottiert. Sie habendamit das Parlament missachtet.

(Jörg Tauss [SPD]: Nicht zuständig, Frau Kol-legin!)

Dass viele Menschen das, was Sie in Berlin vorhaben,ablehnen, nämlich einen staatlichen Werteunterricht ein-zuführen, haben Sie ignoriert. Deshalb jetzt Ihre künstli-che Aufregung über eine angeblich geplante Abschaf-fung des BAföG!

(Jörg Tauss [SPD]: Sie missachten die Länder-rechte! – Gegenruf des Abg. Thomas Rachel[CDU/CSU]: Das ist lächerlich aus IhremMund, Herr Tauss!)

Das ist geheuchelt. Was Sie hier tun, ist reine Show. Somuss man die heutige Aktuelle Stunde bewerten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Gestern warweniger Show? Das war wirklich peinlichesKabarett!)

Sie können sich rasch Klarheit über das verschaffen,was die CDU will. Sie können es nachlesen in unseremParteitagsbeschluss. Die CDU befürwortet eine Kombi-nation aus BAföG, Bildungssparen, Bildungsdarlehenund Entgelten bei einkommensabhängiger Darlehens-rückzahlung.

Anstatt sich mit der Situation der Studierenden in die-sem Land auseinander zu setzen,

(Willi Brase [SPD]: Das machen wir doch! Mehr BAföG!)

anstatt das zu tun, wofür Sie gewählt sind, nämlich Lö-sungen für die Studierenden anzubieten, flüchten Siesich in Scheindebatten. Die Hochschulen sind unterfi-nanziert. Ihnen fehlen 3 bis 4 Milliarden Euro jährlich,davon 1 Milliarde Euro für die Lehre. Aber Sie tun dasGegenteil von dem, was Sie tun müssten. Sie sparennämlich beim Hochschulbau massiv ein. Sie haben dieHochschulbaumittel in den vergangenen Jahren von1,1 Milliarden Euro auf 860 Millionen Euro gesenkt.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!)

Wenn der Putz abbröckelt, wenn die Tutoren fehlen unddas Labormaterial dazu, dann brauchen wir keine Exzel-lenzinitiative. Die Betreuungsrelation ist dramatisch.Auf einen Professor kommen circa 60 Studenten.

(Nicolette Kressl [SPD]: Haben Sie auch was zum Thema?)

Jeder Vierte bricht sein Studium ab. Bis zum Abschlussdauert es zwölf Semester.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Jörg Tauss [SPD]: Was sagt denn die Schavanwirklich?)

Das BAföG ist momentan das einzige Angebot, dasdie Studierenden nutzen können, um ihr Studium zu fi-nanzieren.

(Jörg Tauss [SPD]: Das haben wir geschaffen!)

Der Rückstand bei den Bedarfssätzen ist erheblich. Siehaben schon 2003 versäumt, die erforderliche Anhebungum 3 Prozent tatsächlich vorzunehmen, und tun das jetztwieder. Der Beirat für Ausbildungsförderung hat Ihnen

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15810 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

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Katherina Reiche

attestiert, dass Sie mit Ihrer BAföG-Politik das Systemlangsam aushöhlen. Da können Sie noch so viele Jubel-meldungen verkünden: Das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Trotz oder gerade wegen BAföG ist es nicht gelun-gen, bildungsferne Schichten in die Hochschulen zubringen. Nach wie vor kommen 61 Prozent der Studen-ten aus gehobenen oder höheren sozialen Schichten. Ausdem mittleren und einfachen Milieu sind 27 Prozentbzw. 12 Prozent an den Hochschulen. Unter Ihrer Regie-rung sind die Anteile der Studierenden aus bildungsfer-nen Schichten gesunken. Auch das gehört zu einer Wahr-heit, die Sie nicht hören wollen!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Jörg Tauss [SPD]: Falsch! – René Röspel[SPD]: Das ist gelogen! Belegen Sie bitte ein-mal die Zahlen! Woher haben Sie die?)

Neun von zehn Studenten arbeiten während des Stu-diums, 42 Prozent davon permanent. Die langen Stu-dienzeiten und die hohen Abbrecherquoten bei uns habensicherlich auch etwas damit zu tun, dass die Studentenneben ihrem Studium zu viel jobben müssen. Das derzei-tige BAföG-System gibt darauf und auch auf das großeMittelstandsproblem, das wir in diesem Land haben,keine umfassende Antwort.

(Jörg Tauss [SPD]: Die vergraulen Sie endgül-tig!)

Wir stehen in Deutschland vor der Aufgabe, die Stu-dienfinanzierung auf ein neues, solides Fundament zustellen. Es geht nicht allein darum, die Studierenden andie Hochschulen zu bringen, sondern vielmehr darum,ihnen in angemessener Zeit einen erfolgreichen Ab-schluss zu ermöglichen. Für die Rendite eines Studiumssind die Studienbeiträge als solche gar nicht entschei-dend, sondern die hohen Lebenshaltungskosten und dieVerdienstausfälle während eines langen Studiums. Des-halb muss das BAföG weiterentwickelt und in ein Mo-dell eingebaut werden, das die genannten Bestandteile,nämlich Darlehen, Bildungskredite, Bildungssparen,umfasst. Dazu habe ich von Ihnen noch keinen Vor-schlag gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Willi Brase [SPD]: Wollen wir auch nicht! Wirwollen BAföG!)

Annette Schavan hat zu Recht darauf hingewiesen,dass Studienbeiträge und Studienfinanzierung zusam-men gesehen werden müssen. Sie hat sogar betont, dassdas BAföG noch erhalten bleiben muss.

(Jörg Tauss [SPD]: Na, na! – Nicolette Kressl [SPD]: Nein! Das ist nicht wahr!)

Was Sie, Herr Tauss, gesagt haben, ist schlichtweg nichtwahr. Wie man behaupten kann, dass die Union nach ei-nem Wahlsieg 2006 das BAföG abschaffen will, ist wohlnur noch mit der letzten Verzweiflung zu erklären. Ihnen

fehlt in Nordrhein-Westfalen ein Thema, um den ange-kündigten Wahlsieg der Union noch abwenden zu kön-nen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wohl wahr! –Willi Brase [SPD]: Erstens kommt der Wahl-sieg nicht und zweitens wird das BAföG blei-ben!)

Sie klammern sich an einen Strohhalm.

Die Ankündigung der Erhebung von Studienbeiträgen

(René Röspel [SPD]: Die Ankündigungen von Rüttgers sind immer gut!)

durch die unionsgeführten Länder hat nicht die Massen,sondern nur ein Häuflein von linken Berufsprotestierernauf die Straße getrieben.

Sie haben nach wie vor kein Konzept dafür, wie dieStudierenden ihr Studium finanzieren sollen. Sie verwei-gern sich jedem Gespräch mit der KfW.

(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist nicht wahr! –Jörg Tauss [SPD]: Mit denen war ich Abendessen! Frau Merkel war nicht da und Sie auchnicht!)

Sie verweigern sich Gesprächen über die Zukunft desBAföG.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Auch die Wahrhaftig-keit ist eine Tugend, der man sich tatsächlichstellen sollte!)

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirdes in Deutschland in absehbarer Zeit wie fast überall inder Welt Studienbeiträge geben. Die SPD-geführtenLänder werden trotz des Geschreis der Bundesbildungs-ministerin Bulmahn und der traurigen Tauss-Truppe, diehier links von mir sitzt, mit von der Partie sein.

(Heiterkeit bei der SPD)

Das ist richtig; denn es geht nicht nur um die Finanzen,es geht auch um die Qualität des Studiums in Deutsch-land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Nicolette Kressl [SPD]: Frau Reiche machtheute Kabarett!)

Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel und Rot-Grün taucht ab. Sie hoffen, dass die Welt sich nicht wei-ter dreht. Sie hoffen, dass die derzeitige schlechte Stim-mung, die in diesem Land herrscht, sich irgendwie ver-flüchtigen wird. Ich kann Ihnen aber sagen: IhreWeigerung, den Bund an Bildungskrediten zu beteiligen,über Stipendien zu diskutieren, das Bildungssparen zufördern, ist unverantwortlich. Jeder Tag, den Sie abwar-ten und nichts tun, ist ein verlorener Tag für die jungenMenschen in Deutschland. Das haben sie nicht verdientund diese Regierung haben sie schon gar nicht verdient.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: Das war Kabarett!)

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15811

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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar von

Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! In der CDU/CSU wird seit einigen Wochen darübergestritten, wie Studierende in Zukunft beim Bestreitenihres Lebensunterhalts staatlich unterstützt werden sol-len. Die Bildungsministerinnen Schavan und Wankawollen das BAföG durch Kredite am freien Markt ablö-sen. Die Bundesvorsitzende Merkel hat versucht, die De-batte mit einem Satz von einmaliger Glaubhaftigkeit zubeenden:

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

„Niemand hat die Absicht, das BAföG abzuschaffen.“Da klingelt es doch in den Ohren und man kann es nichtoft genug betonen.

(Dr. Uwe Küster [SPD], zu Abg. KatherinaReiche [CDU/CSU] gewandt: Klingelinge-ling! Frau Reiche, klingelt es?)

Dass es zu Unionszeiten viel weniger Studierendenmöglich war, BAföG zu erhalten, zeigen die Zahlen.Fakt ist, dass wir im Jahr 1998 von Schwarz-Gelb einheruntergewirtschaftetes BAföG übernommen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]:Ausgeplündert!)

1998 wurden nur noch 225 000 Studierende an Universi-täten und Fachhochschulen gefördert.

(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Da gab es noch Wohlstand in Deutsch-land!)

Im Jahr 2003 dagegen erhielten bereits 326 000 Studie-rende BAföG; Tendenz steigend.

(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Die Armut nimmt zu!)

Diese erfreuliche Entwicklung ist zum einen eine Folgeder Leistungserweiterungen durch unsere Gesetze undliegt zum anderen daran, dass durch die verbesserten Be-dingungen mehr junge Leute ermutigt werden, ein Stu-dium aufzunehmen. Das ist uns wichtig. Wir wissen,dass die Haushaltslage schwierig ist, aber wir dürfennicht an Bildung sparen, weil sie der Schlüssel für eineerfolgreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Ent-wicklung unseres Landes ist.

Wir machen keine leeren Versprechen wie die Union.

(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Nein!)

Durch uns ist auch die Zahl der Vollförderungen erheb-lich gestiegen. 1998 erhielten nur 65 250 BAföG-Emp-fängerinnen und -Empfänger Vollförderung, während es2003 bereits fast doppelt so viele, nämlich 121 598, wa-ren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/

CSU]: Die Einkommenssituation der Studie-renden hat sich auch wesentlich verschlech-tert! – Marion Seib [CDU/CSU]: Das zeigt dieVerarmung der Bevölkerung!)

Das ist ein Anstieg des Anteils der Vollförderung fürStudierende von 29 auf mehr als 37 Prozent. Diese Tat-sache trägt ganz entscheidend zur Chancengleichheitvon jungen Leuten aus finanziell schwächeren Familienbei.

Zu den politischen Schwerpunkten der Union hat dasBAföG leider nie gehört. Fachfrauen wie Schavan undWanka ist immerhin zuzugestehen, dass sie ehrlich sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das un-terscheidet sie von Frau Merkel!)

Die CDU und die CSU zeigen sich seit dem Verfas-sungsgerichtsurteil Ende Januar seltsam handlungsunfä-hig. Sie weisen mit dem andauernden Reden über denMarkt als Allheilmittel, durch den sich auch der Lebens-unterhalt der Studierenden bald von allein attraktiv fi-nanzieren lasse, in die Richtung weg von der solidari-schen Unterstützung schlauer Köpfe hin zur Förderungderjenigen, die für den Finanzmarkt als gutes Risiko gel-ten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die Union will die Studienfinanzierung offenbar ihrersozialen Komponente berauben. Studierende, die von ih-ren Eltern nicht unterstützt werden, mögen künftig dochbitte ihr Auskommen während des Studiums über Kre-dite finanzieren. Das dann durch die Nichtanwendungdes BAföG gesparte Geld brauche man nämlich, um diesoziale Abfederung der Studiengebühren zu bezahlen.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts habendie unionsgeführten Länder massive Probleme, ihrePläne für Studiengebühren in die politische Praxis umzu-setzen.

(Jörg Tauss [SPD]: Die haben keine Pläne! Keine Konzepte! Nix!)

Die soziale Abfederung wird einfach zu teuer. Wenn dasdurch Gebühren eingenommene Geld an den Hochschu-len verbleiben soll, müssen Stipendien und andere Bei-hilfen eben aus den Landeskassen berappt werden, diebekanntermaßen leer sind.

Einige unionsgeführte Länder denken jetzt an500 Euro Studiengebühren pro Semester und meinen,dieser Betrag sei doch leicht aufzubringen. Aber Fach-leute aus dem In- und Ausland warnen, weil sie aus Er-fahrung wissen, dass es dabei nicht bleiben wird, son-dern eine Steigerung auf jeden Fall kommt. Auch deraktuelle Vorschlag zeigt, dass die Gebührenfantasien derUnion an harten Realitäten scheitern oder nur auf Kostenderjenigen zu verwirklichen sind, die ohnehin im deut-schen Bildungssystem benachteiligt werden:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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15812 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

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Monika Lazar

Kinder aus großen und/oder einkommensschwachen Fa-milien.

Mit uns – dabei bleibt es – wird es keine Refinanzie-rung von Studiengebühren in den Ländern über dasBAföG geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der

FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die

heutige Debatte einen Sinn haben soll, dann kann esdoch nur der sein, die Verunsicherung bei den Studieren-den in diesem Lande zu beenden.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen gleich am Anfang eine sehr klare liberaleAntwort: Die Grundsicherung des Lebensunterhalts derStudierenden wird von uns nicht infrage gestellt.

(Beifall bei der FDP)

Sie ist lebensnotwendig. Wer wie wir Studienentgelte fürdas Hochschulstudium will, darf den Lebensunterhaltder Studierenden nicht gefährden. Also: Das BAföGbleibt.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Willi Brase [SPD])

Damit ist die Haltung unserer Seite klar. Wir können unsalso in Ruhe mit dem BAföG und mit dem, was Sie wäh-rend Ihrer Regierungszeit gemacht haben, befassen.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist gut!)

Wir sehen mit Freude, dass das Volumen der BAföG-Ausgaben – wohlgemerkt von Bund und Ländern – zwi-schen 1998 und 2003 auf über 2 Milliarden Euro verdop-pelt wurde.

(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

Auch die Zahl der Geförderten und insbesondere derje-nigen mit Vollförderung ist erheblich angestiegen.Manchmal ist es ja hilfreich, wenn man sich noch einmalansieht, was man selbst beschlossen hat:

Mit einer grundlegenden Reform der Ausbildungs-förderung werden wir 1999 beginnen … Dazu wer-den wir unter anderem alle ausbildungsbezogenenstaatlichen Leistungen zusammenfassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, das warein Zitat aus Ihrer Koalitionsvereinbarung aus dem Jahre1998.

(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht zur Finanzie-rung von Studiengebühren! – Carl-LudwigThiele [FDP]: Davon ist ja nichts geblieben!)

Das war eigentlich eine sehr gute Idee, denn natürlichist es gut, alle staatlichen Leistungen in diesem Bereichzusammenzulegen. Es ist gut, das Kindergeld, das Schü-

ler-BaföG, Ausbildungszuschüsse, allgemeines BAföGund weitere Sozialleistungen zusammenzufassen.

(Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht zur Finanzie-rung von Studiengebühren!)

Wir verringern damit Bürokratie und sparen sehr vieleTransferverluste zwischen den verschiedenen Behörden.Das war übrigens unsere Idee.

(Beifall bei der FDP)

Das war der Vorschlag der FDP. Wir wollen das BAföGim Bürgergeldmodell so erhalten, dass es den Leuten op-timal zur Verfügung gestellt werden kann.

Im Koalitionsvertrag von 2002 haben Sie sich weiterzum BAföG geäußert, allerdings schon wesentlich knap-per:

(Zuruf von der SPD: Bis 2002 hatten wir schon viel gemacht!)

Die Reform der Ausbildungsfinanzierung (BAföG)und die Einführung von Bildungskrediten haben zueiner Verbesserung der studentischen Lebenssitua-tion geführt. Wir wollen diese Instrumente weiter-entwickeln.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wo denn?)

Ich frage mich nur: Wo ist das denn passiert?

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)

Sie haben die Bedarfssätze einmal um 2 Prozent und ein-mal um 10 Prozent erhöht. Sie haben ein bisschen beimAuslands-BAföG verändert.

(Jörg Tauss [SPD]: Ein bisschen?)

Sie haben das Kindergeld von der Anrechnung freige-stellt und das mögliche Gesamtdarlehen auf 10 000 Eurobeschränkt.

(Zuruf von der SPD: Ist das nichts?)

Das war’s, liebe Kolleginnen und Kollegen, und daswird mit Sicherheit bis zum Jahre 2006 alles gewesensein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ausbildungsförderung durch staatliche Transferleis-tungen muss aber kontinuierlich weiterentwickelt wer-den. Selbstverständlich ist das so. Schüler-BAföG,Meister-BAföG, Auslands-BaföG – all dies kam imLaufe der Jahre dazu. Es wäre doch völlig abwegig,jetzt, während die Kollegen von der CDU/CSU darübernachdenken, welche Reformen man am BAföG-Systemvornehmen könnte,

(Jörg Tauss [SPD]: Abschaffen wollen sie es!)

so zu tun, als wenn beim BAföG keine Reform nötigwäre. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des-sen, dass wir uns im Augenblick über Weiterbildung Ge-danken machen, lieber Herr Tauss. Selbstverständlichmüssen wir alle hier in diesem Raum uns darüber Ge-danken machen, wie es sich mit dem BAföG in diesemBereich verhalten soll. Hierzu gibt es keine Antworten

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15813

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Ulrike Flach

von Ihnen, sondern reine Demagogie und Attacken ge-gen angebliche Aussagen der Schwarzen.

(Jörg Tauss [SPD]: Angebliche?)

Ich glaube nicht, dass das für die Gesamtdiskussion indiesem Lande hilfreich ist.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal sagen,dass Sie sich nicht so künstlich darüber aufregen sollten,wenn wir über Studienentgelte reden. Das, was Sie unterder Ägide von Frau Kraft in Nordrhein-Westfalen ge-macht haben, war doch nichts anderes als Abzockerei.

(Zurufe von der SPD: Was? Wie bitte?)

Sie haben Studiengebühren von Langzeitstudenten erho-ben.

(Willi Brase [SPD]: Die gehen doch Zug umZug zurück! Bleiben Sie mal auf dem Tep-pich!)

– Sie haben erst einmal zwei Jahre kassiert. Jetzt gebenSie die Hälfte zurück, aber Sie behalten dennoch einigesein und machen die Auszahlung an die Hochschulen vonder Erfüllung bestimmter Anforderungen abhängig. Sosieht die Situation doch aus. Das heißt, Sie haben abkas-siert und das Geld kommt den Hochschulen nicht zu-gute.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]:Jetzt reden wir gleich über Baden-Württem-berg!)

Liebe Kollegen und Kolleginnen, wenn wir heuteüber das BAföG reden, wissen wir, dass die Studienfi-nanzierung insgesamt von uns allen angegangen werdenmuss. Wir haben in Deutschland nach wie vor kein zu-frieden stellendes System. Diesen Vorwurf muss manauch den unionsgeführten Ländern machen.

(Jörg Tauss [SPD]: Daran seid ihr zum Teil be-teiligt!)

Wenn über Studienentgelte nachgedacht wird, müssenSysteme auf den Weg gebracht werden, die sicherstellen,dass die Studenten nicht abgeschreckt werden.

(Willi Brase [SPD]: Denken Sie mal an die 90er-Jahre, Frau Flach!)

Das heißt – so viel zum Schluss –, für die FDP istsonnenklar, dass vor der Einführung von Studienentgel-ten zunächst für Stipendien und ein funktionierendesDarlehensystem gesorgt werden muss. Die Finanzminis-ter müssen ihre Finger herauslassen. Die Studenten müs-sen merken, was sie für ihr Geld bekommen. Wenn zumBeispiel 500 Euro angesetzt würden, würde das für dieUni Köln 50 Millionen Euro bedeuten. Ich wüsste schon,was dort damit geschehen könnte. Sie, liebe Kollegen,müssen es verantworten, wenn dieses Geld den Leutennicht unter sozial gerechten Umständen zur Verfügunggestellt wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl von der

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Nicolette Kressl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Was wir in der letzten Woche vonseiten derCDU/CSU zum Thema BAföG erlebt haben, war zumeinen peinlich und chaotisch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber zum anderen war es, wie ich finde, sehr entlarvend.Es lohnt sich, da einmal ein bisschen genauer hinzu-schauen.

Schauen wir uns einmal an, was der Reihe nach pas-siert ist. Zuerst sagt die Frau Schavan: Das BAföG bleibtso lange erhalten, bis eine attraktive Bildungsfinanzie-rung gefunden worden ist. – Wie kann ich das interpre-tieren?

(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Im Interpre-tieren sind Sie ja gut!)

– Frau Reiche, vorhin habe ich gesagt, die CDU/CSUhabe sich in der letzten Woche peinlich und chaotischverhalten. Eigentlich wollte ich mir ersparen, zu sagen:nur noch übertroffen durch Ihre Rede vorhin. Jetzt mussich das leider doch sagen.

(Beifall bei der SPD)

Zwei Schlussfolgerungen, die nicht zu interpretierensind: Erstens. Wenn es heißt: „Das BAföG bleibt solange erhalten, bis …“, dann kann ich nur eine Schluss-folgerung ziehen, nämlich dass das BAföG zum Schlussabgeschafft werden soll.

(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])

Ich weiß nicht, wie Frau Merkel da zu einer anderen In-terpretation kommen kann.

Zweiter Punkt. Wenn Frau Schavan sagt, das BAföGsolle nur so lange erhalten bleiben, bis ein attraktiverMarkt der Bildungsfinanzierung gefunden worden sei,was bedeutet das dann? Es bedeutet, dass sie auf jedenFall von einer Struktur der Bildungsfinanzierung weg-will, die auch Zuschüsse beinhaltet, die nicht nur aufKrediten basiert.

(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das hat sie doch gar nicht gesagt!)

– Doch, natürlich! – Wenn man mit Worten und Inhalteneinigermaßen vernünftig umgeht, muss man feststellen,dass ein Markt der Bildungsfinanzierung keine sozialenTransfers beinhaltet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind zwei Schlussfolgerungen, die Sie nicht leug-nen können. Ich sage Ihnen: Eine Struktur der Bildungs-finanzierung, die ausschließlich auf Krediten basiert, istmit uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten

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Nicolette Kressl

nicht zu machen, weil das unserer Meinung nach der so-zialen Gerechtigkeit zutiefst widerspricht.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Daraufhin ist in der CDU/CSU ein Stimmengewirrentstanden. Bayern unterstützt Frau Schavan. Nieder-sachsen unterstützt sie zuerst auch, zieht sich aber dannzurück. Der krönende Höhepunkt ist Frau Merkel. FrauMerkel sagt: Niemand hat die Absicht, das BAföG abzu-schaffen.

Zurück zu dem, was ich gerade zur Struktur der Bil-dungsfinanzierung gesagt habe. Wir akzeptieren eben-falls nicht, dass gesagt wird, niemand wolle das BAföGabschaffen, wenn es in der Struktur so verändert werdensoll, wie Sie das 1982 schon einmal gemacht haben, in-dem Sie keine Zuschüsse vorsehen, keine sozialenTransfers, die für soziale Gerechtigkeit unerlässlich sind.Sie sehen ausschließlich eine Kreditfinanzierung vor. Indiesem Fall kann ich auf die Worthülse BAföG ernsthaftverzichten, um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb war das, was letzte Woche passiert ist, so entlar-vend. Auf diese Worthülse allein können wir verzichten.

Ich kann hier nur alle Rednerinnen und Redner derCDU/CSU, die nach mir reden, auffordern, uns nicht zusagen, sie wollten das BAföG nicht abschaffen. Stattdes-sen sollten sie hier Stellung dazu nehmen, welche Struk-tur der Bildungsfinanzierung sie vorsehen wollen. Andieser Stelle wollen wir eine klare Kante. Ich bitte Sieernsthaft, nicht so feige zu sein, wie es in der letzten Wo-che der Fall war. Sagen Sie doch offen, dass es Ihr Kon-zept ist, ausschließlich mit Krediten zu arbeiten. Wirhingegen wollen soziale Transfers und Unterstützung.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie träumen ja am helllichten Tage!)

Das wäre eine klare Kante. Dann würde es sich lohnen,mit Ihnen in eine Auseinandersetzung zu treten. Ihre fei-gen Pirouetten der letzten Woche waren wirklich uner-träglich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage ausdrücklich: Wenn Sie wollen – das zeich-net sich in Ihren Strukturdebatten zur Bildungsfinanzie-rung ab; diese Entwicklung erkennt man auch an denSchulabschlüssen an den weiterführenden Schulen inBayern und Baden-Württemberg –, dass nur eine be-stimmte Elite in diesem Bereich zugelassen werden soll,dann reden Sie offen darüber.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie erzählen ei-nen totalen Quatsch!)

Wir sagen Ihnen: Das ist keine vernünftige Lösung inBezug auf soziale Gerechtigkeit. Es ist auch ökonomischwidersinnig. Denn jeder technologische Bericht derBundesregierung zeigt deutlich, dass wir auf mehr Men-schen mit hohen Qualifikationen angewiesen sind, um

unsere Unternehmen in Zukunft wettbewerbsfähig zumachen.

(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere an Sie: Hören Sie auf mit Ihrer Eierei!Lassen Sie uns in eine ehrliche Auseinandersetzung tre-ten!

(Marion Seib [CDU/CSU]: Ja! Ehrlich!)

Wir sind der Überzeugung, dass wir die besseren Kon-zepte haben. Wenn Sie nicht sagen, wofür Sie stehen,können wir uns mit Ihnen noch nicht einmal über dieverschiedenen Konzepten auseinander setzen.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: So viel Un-wahrheit in fünf Minuten ist mir unbegreif-lich!)

Eigentlich hat das Land eine bessere Opposition ver-dient.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Marion Seib von der CDU/

CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Marion Seib (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Mit der Beantragung dieser Aktuel-len Stunde haben Sie sich, sehr geehrte Damen und Her-ren der rot-grünen Koalition, ein beeindruckend schlech-tes Zeugnis ausgestellt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Warum das denn?)

Sie haben sich selbst ein schlechtes Zeugnis darüber aus-gestellt, wie stümperhaft Sie die Politik Ihrer Mitbewer-ber beobachten. Ihnen ist komplett entgangen, dass wirdie Diskussion über das BAföG längst hinter uns haben.Nicht die Abschaffung, sondern die Reform und die Er-gänzung des BAföGs sind die Aufgaben der Zukunft.

(Nicolette Kressl [SPD]: Beantworten Sie meine Fragen!)

Sie haben auch noch nicht gemerkt, dass der Erfolgder BAföG-Förderung nicht in der Höhe der Fallzahlenbesteht. Diese hohen Zahlen weisen nur aus, dass immerweniger Eltern in der Lage sind, aus eigener Kraft einStudium ihrer Kinder zu finanzieren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Wegen der Studiengebühren!)

Wenn der Verdienst der Eltern zu hoch für das BAföG,aber zu niedrig für die Finanzierung eines Studiums ist,dann zeigt das, dass Sie von Rot-Grün bis heute keineAntwort auf die Probleme geben können.

(Jörg Tauss [SPD]: Wo ist denn Ihr Konzept?)

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Marion Seib

Sie haben noch nicht gemerkt, dass es gerade die Kinderaus Familien des Mittelstandes sind, die einer Förderungbedürfen. Auch das ist eine Frage der Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Die stoßen Sie mit Studiengebühren ab!)

Leider sorgen Sie mit Ihrer rot-grünen verkorkstenWirtschafts- und Steuerpolitik dafür, dass der Anteil ge-nau dieser Familien immer größer wird. Mit Ihrer Politikverderben Sie den nachfolgenden Generationen aus leis-tungsbereiten Familien die Möglichkeit, durch eine aka-demische Bildung ihre Chancen auf dem Arbeitsmarktzu verbessern. Sie muten uns und den Bürgern zu, überSelbstverständlichkeiten wie die Sicherung des Grund-bedarfs der Studierenden zu debattieren, und dies unterfalschen Voraussetzungen.

Viel dringender sollten wir darüber reden, wie wir esschaffen, möglichst noch mehr jungen Menschen ausbürgerlichen Familien ein Studium finanziell zu ermög-lichen.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Mit Gebüh-ren!)

Ihre Antwort ist, Angst zu verbreiten – Angst vor einerAbschaffung der BAföG-Förderung. Was Sie mit IhrerAngstkampagne aber nicht können, ist, von Ihrem eige-nen Versagen abzulenken.

(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: So ist es!)

Die Bürger – auch und gerade in Nordrhein-Westfalen –durchschauen, wie platt Ihre Wahlkampfmanöver sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Sie wollen sich als Fördersaubermänner hinstellen;aber Sie bleiben in wesentlichen Fragen moderner Stu-dienfinanzierung die Antworten schuldig.

(Jörg Tauss [SPD]: Wir haben die Bildungs-darlehen eingeführt!)

Sie haben noch nicht gemerkt, dass ihr antiquiertes Den-ken nicht tauglich ist für die Studienfinanzierung derZukunft. Ihr Denken führt zu nichts anderem als zumStudienplatzabbau und zur Verdrängung von leistungs-bereiten jungen Leuten aus den Hochschulen. Sie führenhier eine Debatte über die Abfahrt eines Zuges und ha-ben noch nicht gemerkt, dass der Zug längst angefahrenist. Springen Sie auf!

(Willi Brase [SPD]: Die armen Menschen, Frau Seib!)

Werden Sie ein bisschen schneller! Sie verpassen sonstdie Debatte um innovative Studienförderung. Die FrauKollegin Reiche hat Ihnen in ihrer Rede aufgezeigt, umwas es an dieser Stelle geht. Schade, dass Sie nicht zuhö-ren.

(Jörg Tauss [SPD]: Sie haben ja auch nichts gesagt!)

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske von

Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsind uns alle einig, dass wir mehr Studierende wollen,dass wir mehr Chancengleichheit wollen und dass wirmehr Qualität in der Bildung wollen. Das sind dieGrundvoraussetzungen und deswegen müssen wir jedesInstrument vor dem Hintergrund dieser Ziele betrachten.Das will ich in meinem Beitrag tun.

Erstens will ich mich der Frage widmen, ob wir die-sem Ziel in den letzten Jahren näher gekommen sind.Wohl wissend, dass Zahlen allein natürlich noch keineAuskunft geben, habe ich mir im Vorfeld dieser Debatteeinmal die für das BAföG relevanten Zahlen angeschaut.Zunächst zur Gesamtzahl der Geförderten. Zwischen1994 und 1998, als der Bildungs- und Forschungsminis-ter – der Zukunftsminister – Rüttgers hieß, ist die Ge-samtzahl der Geförderten um 27 Prozent zurückgegan-gen, nämlich von 467 000 auf 341 000. Wenn sich dieserTrend fortgesetzt hätte, würden wir im Jahre 2005 bei130 000 liegen. Stattdessen ist es aber so, dass unter Rot-Grün seit dem Regierungswechsel 1998 die Zahl der Ge-förderten um 48 Prozent gestiegen ist. Ich denke, das istein relevanter Unterschied.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Das ist kein Qualitäts-merkmal!)

Die Zahl der voll Geförderten sank zwischen 1994und 1998 um 20 Prozent, nämlich von 143 000 auf114 000. Wenn sich dieser Trend fortgesetzt hätte, wür-den wir heute bei nur noch 60 000 voll Geförderten lie-gen. Tatsächlich liegen wir aber bei 235 000, weil dieZahl zwischen 1998 und 2004 um 122 Prozent zuge-nommen hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)

Auch diesen Unterschied kann man, denke ich, klar he-rausarbeiten.

Kommen wir zur Finanzierung durch den Bund. ImZeitraum von 1994 bis 1998, als Rüttgers Bildungsmi-nister war, sank der Beitrag des Bundes zur Finanzierungder Ausbildungsförderung um 22 Prozent, nämlich von1 Milliarde Euro auf 780 Millionen Euro. Wenn sich die-ser Trend fortgesetzt hätte, wären wir heute im Jahre2005 bei knapp 400 Millionen Euro. In dem Jahr also, indem sich Rüttgers anschickt, in Nordrhein-WestfalenMinisterpräsident zu werden, wäre die Finanzierungdurch den Bund auf einem lächerlich niedrigen Niveaugewesen. Tatsächlich aber haben wir diesen Betrag seit1998 um 67 Prozent gesteigert, nämlich von780 Millionen Euro auf 1,3 Milliarden Euro. Ich denke,auch diese Zahlen sprechen für sich.

(Beifall bei der SPD)

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Dr. Reinhard Loske

Zwischen 1994 und 1998 ist die Zahl der Studienan-fänger in etwa konstant geblieben. Von 1998 bis heute istdie Zahl von 260 000 auf knapp 350 000 gestiegen.

Das sind die Zahlen, mit denen wir uns dieser Debattestellen. Wir sehen das immer vor dem Hintergrund derForderung nach mehr Chancengleichheit, nach mehrStudienanfängern und nach mehr Qualität. Ich denke,dass die Antwort ganz eindeutig ist: Unter der Regierungvon SPD und Grünen wurden die Mittel für BAföG vomBund deutlich aufgestockt, die BAföG-Sätze wurden an-gehoben, es wurde eine höhere Inanspruchnahme durchdie Studierenden ermöglicht, es wurde – dadurch, dasswir das Auslands-BAföG eingeführt haben – eine ver-stärkte Internationalität gefördert und insgesamt hat Rot-Grün das BAföG transparenter und einfacher gemacht.Die Zahlen sprechen in der Tat eindeutig für sich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)

Zweitens müssen wir, denke ich, aufpassen, dass derSchuldenberg am Ende des Studiums für die Studieren-den nicht zu erdrückend wird. Das würde nämlich fak-tisch bedeuten, dass wir diesen Leuten die Türen derHochschulen zuschlagen. Das wollen wir nicht; alle Sei-ten müssen bedenken, dass das nicht sein kann. Wennaber demnächst die Lebenshaltungskosten voll abge-deckt werden müssen und die Finanzierung des Stu-diums hinzukommt, dann würde der Schuldenberg sostark ansteigen, dass er beängstigende Ausmaße anneh-men würde. Das würde viele abschrecken und damitganz klar mit dem Ziel kollidieren, mehr Studierende anunsere Universitäten zu bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der SPD)

Das wollen wir nicht. Wir wollen die Tür weiter aufrei-ßen und sie nicht zustoßen. Das muss man ganz klar sa-gen.

Drittens dazu, wie sich die Förderung in Zukunft zu-sammensetzen muss. Richtig ist – das war immer unserePosition; da hatten wir eine gewisse Übereinstimmungmit der FDP –: Wir wollen, dass es eine einkommensun-abhängige Grundfinanzierung gibt, weil wir die Studie-renden als mündige junge Erwachsene und nicht als Ab-hängige behandeln wollen. Deswegen sind wir immerder Meinung gewesen – wir sind dies nach wie vor –,dass wir alle Transferleistungen zusammenfassen unddiesen Sockel als einkommensunabhängige Komponentean die Studierenden weitergeben sollten.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Warum habt ihrdas dann nicht gemacht? – Jörg Tauss [SPD]:Aber nicht zur Finanzierung von Studienge-bühren!)

Das ist der erste Teil des Konzeptes.

Der zweite Teil ist eine einkommensabhängige Förde-rung. Die ist ganz wichtig. Es ist eine Aufgabe des Staa-tes, Chancengleichheit sicherzustellen. Wenn er dasnicht tut, wird er seiner Aufgabe nicht gerecht. Wir brau-chen das BAföG weiterhin, um die Universitäten attrak-tiv zu gestalten. Wir werden darüber hinaus ein Element

der Eigenverantwortung einführen, zum Beispiel dasBildungssparen und anderes, was ich hier nicht vertiefenkann.

Wir sollten diese Debatte ruhig führen. Eines aber istklar: Es geht nicht, dass sich Herr Rüttgers, der die Bil-dungspolitik zwischen 1994 und 1998 – damals noch inBonn – heruntergewirtschaftet hat, jetzt anschickt, mitParolen pro Bildung die Wahlen zu gewinnen. Das wirdihm nicht gelingen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dieses Thema werden wir immer wieder auf die Tages-ordnung setzen. Er hat bildungspolitisch versagt. Deswe-gen darf er in Nordrhein-Westfalen kein Ministerpräsi-dent werden. Er wird es auch nicht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Thomas Rachel von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Thomas Rachel (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lei-

der hat der Schluss des letzten Beitrags gezeigt, worumes Ihnen eigentlich in dieser Aktuellen Stunde geht,

(Ute Berg [SPD]: „Herr Laumann“ kann ich da nur sagen!)

nämlich ausschließlich darum, einen Beitrag für den nord-rhein-westfälischen Landtagswahlkampf zu leisten. Ih-nen geht es in Wirklichkeit nicht um die Anliegen derStudierenden. Ich muss sagen: Es ist schade, dass Sieeine solche Aktuelle Stunde in dieser Form missbrau-chen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um eines ganz klar vorauszuschicken:

(Jörg Tauss [SPD]: Niemand will das BAföG abschaffen!)

Das BAföG hat sich als ein wichtiges Instrument be-währt, das den geeigneten Personen ein Studium ermög-licht. Dies hat auch die Bundesvorsitzende der CDUDeutschlands, Frau Merkel, klar bekräftigt. Das ist diePosition der CDU/CSU.

Wir können feststellen – ich finde, man sollte die po-sitiven Elemente betonen –, dass von den 2 MilliardenEuro, die zurzeit für das BAföG ausgegeben werden,65 Prozent vom Bund und 35 Prozent von allen Bundes-ländern getragen werden. Rund 300 000 Studierende be-kommen zurzeit BAföG, davon ein Drittel eine Vollför-derung.

Kommen wir zu den Problemen. In wenigen anderenLändern ist der Anteil der Studierenden aus sozialschwachen Familien so gering wie in der Bundesrepu-

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Thomas Rachel

blik Deutschland. Nach einer Auswertung des Studen-tenwerks ist der Anteil der Studierenden aus Familienmit sozial hohem Niveau zwischen 1997 bis 2003 von31 auf 37 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteilder Studenten aus sozial schwachen Familien von 14 auf12 Prozent gesunken.

(Ulrike Flach [FDP]: Hört! Hört!)

Dafür trägt allein die rot-grüne Bundesregierung die Ver-antwortung. Denn sie regiert seit mehreren Jahren undhat nichts dafür getan, Frau Bulmahn, um diesen Trendernsthaft umzukehren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bereits im Jahr 2003 hat diese Bundesregierung in ih-rem vorletzten BAföG-Bericht angekündigt – das warIhre Ankündigung, Frau Ministerin –, die Einkommens-freibeträge und die Bedarfssätze zu erhöhen. Passiert istnichts.

(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Im aktuellen BAföG-Bericht, den die Regierung im Fe-bruar 2005 vorgelegt hat, wird erneut festgestellt, dass eserforderlich sei, die BAföG-Freibeträge um 4,5 und dieBAföG-Bedarfssätze um 3,5 Prozent zu erhöhen. Wirstellen fest: Es passiert wieder nichts.

(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Der Hintergrund für die Notwendigkeit der Bedarfser-höhungen besteht darin, dass sich die durchschnittlichenLebenshaltungskosten mittlerweile in der Größenord-nung von 750 Euro befinden und insofern weit über demderzeitigen BAföG-Höchstsatz liegen. Eine Anpassungder Fördersätze, die Sie als Ministerin in Ihren BAföG-Berichten 2003 und 2005 selber gefordert haben, hat dierot-grüne Bundesregierung bis heute nicht umgesetzt.Das ist die nüchterne Realität der rot-grünen BAföG-Po-litik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – JörgTauss [SPD]: Wie war es bei euch? Warumwollt ihr es abschaffen?)

Notwendig wäre auch eine Erhöhung der BAföG-Ver-mögensfreibeträge. Das BAföG ist eine Sozialleistung,bei deren Gewährung nur ein Vermögen von 5 200 Euroerlaubt ist. Als das BAföG 1971 eingeführt wurde, durf-ten die Auszubildenden noch einen Vermögensfreibetragvon 20 000 DM, also von heute 10 000 Euro, haben. Da-bei ist noch nicht einmal der Kaufkraftausgleich mitbe-rücksichtigt. Hier ist dringend eine Anpassung erforder-lich. Was tut die Regierung? Wieder nichts.

(Willi Brase [SPD]: Ich denke, Sie wollen es abschaffen!)

Frau Ministerin, statt zu handeln, schlagen Sie undIhre Helfershelfer in der Fraktion der SPD in unqualifi-zierter Weise auf die Opposition ein, die sich bemüht,

(Lachen des Abg. Jörg Tauss [SPD])

neue und zukunftsweisende Konzepte einer Studienfi-nanzierung aus einem Guss zu erarbeiten.

(Jörg Tauss [SPD]: „Hat sich bemüht“ ist ein schlechtes Zeugnis!)

Dazu können selbstverständlich auch zusätzliche Ange-bote gehören wie zum Beispiel der Ausbau von staatli-chen Stipendien, die abhängig von der Studienleistungvergeben werden sollen. Auch Bildungskredite sowieprivate Stiftungs- und Stipendieninitiativen gehörendazu. Perspektivisch sind in meinen Augen auch eltern-unabhängige Konzepte diskussionswürdig.

Zu begrüßen ist an dieser Stelle der Vorschlag derKfW, ein eigenes Kreditmodell als Ergänzung zum be-stehenden BAföG anzubieten. Die KfW schlägt vor, dassStudierende elternunabhängige Kredite bis zu 650 Euromonatlich aufnehmen können, die marktüblich verzinstwerden. Die Rückzahlung soll nach dem Studium erfol-gen, sofern ein entsprechendes berufliches Einkommenvorhanden ist. Ich finde, es ist gut, dass die KfW eigeneKonzepte in diese Diskussion einbringt und der Banken-sektor in dieser Frage endlich in Bewegung kommt.

Wir fordern die Bundesregierung auf, den Verpflich-tungen aus ihrem eigenen BAföG-Bericht endlich nach-zukommen und sich außerdem zusätzlichen Wegen derBildungsfinanzierung zu öffnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Bundesministerin Edelgard

Bulmahn.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Mach malein bisschen Nachhilfe für die da drüben!)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:

Es ist so viel, wo das nötig wäre. – Sehr geehrter HerrPräsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Dasunsägliche Hin und Her der CDU/CSU in den vergange-nen Tagen und Wochen zur Studienfinanzierung undauch zum BAföG wäre eigentlich ein köstliches Kaba-rettprogramm,

(Beifall bei der SPD)

wenn es nicht so unverantwortlich gegenüber den jungenMenschen wäre,

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

deren bestmögliche Qualifizierung wir alle und sie selbstso dringend benötigen. Nach den sehr großspurigen An-kündigungen der CDU-Landesregierungen, sofort nachdem Bundesverfassungsgerichtsurteil Studiengebührenzu erheben – das haben ja die CDU-Landesregierungengesagt –, folgte die Einsicht, doch lieber sorgfältig zuschauen, mit welchen Implikationen das verbunden seinkönnte.

(Ulrike Flach [FDP]: Wir sind eben doch lern-fähig!)

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Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Ein Dauerbrenner blieb dabei die unzählig oft wieder-holte lautstarke Beteuerung, dass selbstverständlich Stu-dienbeiträge, also Studiengebühren, sozialverträglichausgestaltet sein müssen. Das begann zunächst nebulösals Leerformel und mauserte sich dann zu einem Wider-spruch in sich, indem nämlich die soziale Abfederungbei den Gebühren im Gewand erheblicher Darlehensbe-lastungen für die sozial Schwachen, die Studierendenselbst und die einkommensschwachen Familien, daher-kam.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Dieses mit der Studiengebührenfrage begonneneTrauerspiel steigerte sich dann aufseiten der CDU/CSUzu einem wirklich schrillen Konzert über die Frage einerkompletten Abschaffung des BAföG,

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt!)

nämlich des Zuschusses zum Lebensunterhalt der Stu-dierenden. Hier taten sich besonders die CDU-Kollegin-nen und -Kollegen aus Baden-Württemberg hervor. Ichwürde sagen: Frau Schavan ist ein Mensch, Herr Rachel.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Was?)

– Wenn Sie sagen: „Kein Mensch“, stellen Sie das ja in-frage. Frau Schavan ist ein Mensch.

(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Darum geht es doch gar nicht!)

Frau Wanka aus Brandenburg ist ein Mensch; HerrStratmann aus Niedersachsen ist ein Mensch.

(Jörg Tauss [SPD]: Und alle sind in der CDU!)

Herr Dräger aus Hamburg ist ein Mensch.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ihre Rede ist unter Niveau, Frau Bulmahn!)

Alle haben sie gefordert, dass das BAföG abgeschafftund die Studienfinanzierung voll auf Kredite umgestelltwird.

(Beifall bei der SPD)

Das würde dazu führen, dass die Jugendlichen das Stu-dium mit einem Schuldenberg von 60 000 bis90 000 Euro – je nachdem, wie viel sie in Zukunft ab-zahlen müssten, 500 Euro oder 200 Euro pro Monat –beenden würden. Dann kommen noch die Studiengebüh-ren hinzu.

(Ulrike Flach [FDP]: Was sagt denn Herr Glotz dazu?)

– Ich sage Ihnen ganz klar, Frau Flach: Auch wenn HerrGlotz das für richtig halten würde, halten ich, meineFraktion, die SPD, und das Bündnis 90/Die Grünen die-ses nicht für richtig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir halten es für falsch, die junge Generation mit einemderart riesigen Schuldenberg in das Berufsleben zu ent-lassen.

(Jörg Tauss [SPD]: So ist es!)

Das ist eine riesige Belastung, die ich als Bundesminis-terin nicht verantworten will und die weder die SPDnoch das Bündnis 90/Die Grünen mitmachen würden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Ulrike Flach [FDP]: Das dürfen Sie ja auchnicht!)

– Das ist keine Frage des Dürfens. Ich will es nicht, liebeFrau Flach, und zwar aus voller Überzeugung.

Den vorläufigen Schlussakkord hat jüngst Frau Kolle-gin Merkel mit bangem Blick auf die bevorstehendeLandtagswahl in Nordrhein-Westfalen gesetzt; das waroffenkundig. Offensichtlich hat die größte Landtagsfrak-tion Feuer gemacht, sodass sie sich genötigt sah, etwaszu diesem Thema zu sagen. Jetzt erfährt die staunendeÖffentlichkeit, dass sie alles missverstanden hat

(Jörg Tauss [SPD]: Ja, wie immer bei denen!)

– Herr Rachel hat das eben noch einmal gesagt –,

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Unsere Positionist klar! – Heiterkeit bei Abgeordneten derSPD)

dass das BAföG zwar bestehen bleibt, dass es irgendwieaber doch durch Bankdarlehen ersetzt werden soll. Dasgeht deutlich aus Ihren Anträgen hervor, Herr Rachel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Thomas Rachel [CDU/CSU]: Nein!)

– Ja, wollen Sie uns denn wirklich für dumm verkaufen?

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Gucken Siesich doch die Anträge der Bundestagsfraktionan und behaupten Sie nicht solche Unwahrhei-ten!)

Vier Landesminister der CDU vertreten in diesem Punkteine ganz klare Position, die auch in Ihren Anträgen zulesen ist. Das ist noch gar nicht lange her, Herr Rachel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – ThomasRachel [CDU/CSU]: Das ist doch gar nichtwahr!)

Sie müssen gelegentlich auch einmal Ihre eigenen An-träge lesen.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Gucken Siesich die Anträge unserer Bundestagsfraktionan! Lesen bildet!)

– Eben, das gilt für Sie. Darauf komme ich gleich nochzu sprechen.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Gucken Siesich die Anträge an! Dann wissen Sie Be-scheid!)

Was geradezu lächerlich ist, ist, dass sich dazu ausge-rechnet der ungeduldig mit den Hufen scharrende Oppo-sitionsführer in Nordrhein-Westfalen äußert. Er mag javielleicht in der Hoffnung leben, dass sich niemand

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Bundesministerin Edelgard Bulmahn

mehr daran erinnert, was er als Bundesminister für Bil-dung und Forschung von 1994 bis1998 getan hat– Kollege Loske hat darauf hingewiesen –: Damals hater das BAföG, für das er die Verantwortung trug, wirk-lich in Grund und Boden gewirtschaftet.

(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ja, und darauf war er stolz!)

Das hatte dramatische Folgen für die Jugendlichen undwar mit einem sehr starken Rückgang der Anzahl derStudienanfänger verknüpft, besonders in den Fachberei-chen, die wir dringend brauchen

(Jörg Tauss [SPD]: Im Ingenieurwesen!)

und für die wir noch immer alles tun müssen, um dieseFolgen zu kompensieren. Er trug damals die Verantwor-tung für den Niedergang des BAföG.

Was viele anscheinend auch vergessen haben, ist, dasser damals den ersten Entwurf eines 17. BAföG-Ände-rungsgesetzes in den Bundesrat eingebracht hat, mit demer zu einer vollständigen Kreditfinanzierung des BAföGübergehen wollte.

(Nicolette Kressl [SPD]: Genau so ist es!)

Herr Rüttgers, der jetzt sagt, er wolle das gegenwärtigeSystem erhalten, hat als Bundesbildungsminister in derLegislaturperiode von 1994 bis 1998 einen Gesetzent-wurf in den Bundesrat eingebracht, in dem er die voll-ständige Kreditfinanzierung des BAföG gefordert hat –so viel zur Glaubwürdigkeit der Position, die Sie in derheutigen Debatte geäußert haben.

(Ulrike Flach [FDP]: Wir nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, machen Sie sichnichts vor: Wer ein solch falsches Spiel betreibt, wirdder verdienten Quittung nicht entgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD –Katherina Reiche [CDU/CSU]: Warten wirerst einmal ab!)

Daher will ich sowohl für die Bundesregierung als auchfür die Koalitionsfraktionen ganz deutlich sagen: Dieje-nigen, die die Studierenden durch Studiengebühren be-lasten – die Länder –, müssen auch dafür Sorge tragen,dass es Stipendien gibt. Diejenigen, die die Studierendenbelasten, müssen sie auch entlasten. Das ist der erstePunkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der zweite Punkt: Ich sage hier im Bundestag nocheinmal ganz klar, wofür ich stehe und wofür wir stehen:Das BAföG bleibt, und zwar in Form einer Zuschussfi-nanzierung, bestehen,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

als eine bewährte Sozialleistung zur Sicherung derChancengleichheit für Einkommensschwache, als genaudies und nichts anderes. Basta.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – NicoletteKressl [SPD]: Haben wir heute schon von derOpposition etwas dazu gehört?)

Die große BAföG-Reform, die die Bundesregierungdurchgeführt hat, hat im Übrigen dazu geführt – HerrRachel, deshalb sage ich: Lesen bildet –, dass, wie in derStudie des Studentenwerkes, die Sie zitiert haben, aus-drücklich gesagt wird, die Zahl der Kinder aus so ge-nannten bildungsfernen Schichten, die ins Studium ge-langen, zum ersten Mal seit den 80er- und 90er-Jahrenum 5 Prozentpunkte gestiegen ist. Das ist das genaueGegenteil dessen, was Sie hier erzählt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ach was!)

– Ich kann den Auszug aus dem Bericht des Studenten-werkes gerne dem Protokoll beifügen, damit Sie das imZusammenhang mit dem Protokoll nachlesen können.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Der Anteil dersozial Schwachen ist in den letzten fünf Jahrenvon 14 Prozent auf 12 Prozent gesunken! Gu-cken Sie sich das doch an!)

– Nein, Herr Rachel, Sie haben Unrecht.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Nein, Sie habenUnrecht! Gucken Sie sich die Papiere dochan!)

Sie behaupten etwas Falsches. Deshalb sage ich Ihnen:Ich werde den Bericht dem Protokoll des DeutschenBundestages beifügen. Dann kann sich jeder selber in-formieren, dann kann jeder selber lesen und sehen, dassSie hier etwas Falsches behauptet haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr!)

Der zweite Punkt: Mein Kollege Loske hat daraufhingewiesen, dass es die Bundesregierung von Sozial-demokraten und Bündnis 90/Die Grünen war, die esdurch ihre große BAföG-Reform erreicht hat,

(Ulrike Flach [FDP]: Das war aber eine kleine! Eine große sieht doch ganz anders aus!)

eine deutlich größere Zahl junger Menschen zum Stu-dium zu motivieren. Ich will noch einmal die Zahleninsgesamt nennen: 1998 begannen 257 601 junge Men-schen ein Studium. 2004, im letzten Jahr, waren es366 000. Ich betrachte das als einen Erfolg.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte die Äußerungen, die ich gelegentlich immerwieder von einigen aus der CDU/CSU höre, dass einStudierendenanteil von 20 Prozent oder 25 Prozent einesJahrgangs für eine moderne, leistungsfähige Volkswirt-schaft ausreichte, für naiv und auch für falsch.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das hat dochkein Mensch behauptet! Da werden wiederUnwahrheiten verbreitet!)

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Bundesministerin Edelgard Bulmahn

Wir brauchen viel mehr gut ausgebildete Menschen. Dasist unsere Politik; darauf setzen wir und das unterschei-det uns von Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu Ihnen, Frau Flach, nur einen ganz kurzen Hinweis:Ich stimme Ihnen völlig zu, dass man Kindergeld undBAföG auch als Gesamtheit betrachten muss. Deshalbhaben wir ja mit der großen BAföG-Reform erreicht undsichergestellt, dass das Kindergeld jetzt voll zusätzlichzum BAföG gezahlt wird.

(Jörg Tauss [SPD]: Und nicht mehr angerech-net wird!)

Bei Ihnen, unter der CDU/CSU/FDP-Regierung, wurdees quasi abgezogen.

(Ulrike Flach [FDP]: Das ist doch aber nur ein Stückchen!)

Das heißt, es wurde nicht voll zusätzlich gezahlt. Bei unswird es voll zusätzlich gezahlt, mit dem Ergebnis, dasswir jetzt einen BAföG-Höchstbetrag von 586 Euro zu-züglich Kindergeld haben. Indem damals unter derCDU-Regierung das Kindergeld angerechnet wurde,

(Ulrike Flach [FDP]: Das ist ein anderes Sys-tem, Frau Bulmahn!)

haben gerade die einkommensschwächsten Familienwieder gelitten und hatten nichts davon.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Bulmahn, ich weise Sie darauf hin,

dass Ihre ordentliche Redezeit abgelaufen ist. Sie dürfenals Ministerin natürlich weiterreden. Dann laufen Sieaber Gefahr, dass aus dieser Aktuellen Stunde eine or-dentliche Debatte wird, die dann neu eröffnet wird.

(Ulrike Flach [FDP]: Oh ja! – Katherina Reiche [CDU/CSU]: Das wurde aber Zeit!)

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:

Ich schließe meine Rede. – Uns geht es um die jungenMenschen, uns geht es um die Hochschulen. Deshalblassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Über die dpa-Nachrichten läuft zurzeit, dass die Ministerpräsidentendie Exzellenzinitiative, die Förderung von Spitzenfor-schung in Deutschland, wieder auf Eis legen wollen.

(Jörg Tauss [SPD]: Pfui! Unglaublich!)

Ich sage hier ausdrücklich an die Adresse von FrauMerkel – auch wenn sie nicht da ist –: Ich fordere Sieauf, endlich ein Machtwort zu sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derFDP)

Die Union lässt sich von dem hessischen Ministerpräsi-denten am Nasenring durch die Arena ziehen. Wenn dieCDU/CSU-Ministerpräsidenten heute so entschieden ha-ben, dann ist das eine schallende Ohrfeige für die

15 Wissenschaftsminister, die in der letzten Woche ge-sagt haben: Wir wollen die Exzellenzinitiative. Es ist vorallen Dingen aber eine schallende Ohrfeige für dieHochschulen, die auf diesen Wettbewerb drängen.

(Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie haben die Hochschulmittel docherst einmal gekürzt! Sie sollten nicht so großherumtönen!)

Sie nehmen den Studierenden damit wichtige Zukunfts-chancen. Und es ist eine schallende Ohrfeige für dieWissenschaft in unserem Land insgesamt. Die Hoch-schulen wissen spätestens seit heute,

(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Könnten Sieirgendwann auf Ihre Redezeit achten! MeinGott, das nimmt ja überhaupt kein Ende! –Willi Brase [SPD]: Ist Ihnen das unange-nehm?)

dass der CDU die Hochschulen und die Wissenschaftnichts wert sind, wenn sich diese Nachricht bewahrhei-tet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Axel Fischer von der CDU/

CSU-Fraktion.

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich frage mich:Wie tief müssen Sie gesunken sein, Frau Ministerin, hiereine solche Debatte zu führen und sich an dem Wort„BAföG“ so festzuklammern?

(Nicolette Kressl [SPD]: Am Inhalt, nicht am Wort!)

– Am Wort halten Sie sich fest!

(Nicolette Kressl [SPD]: Sie haben nichts zum Inhalt gesagt!)

Ich will Ihnen sagen, was ein chinesischer Philosoph ge-sagt hat:

Willst du für ein Jahr vorausplanen, so baue Reisan. Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, sopflanze Bäume. Willst du für ein Jahrhundert pla-nen, so bilde Menschen.

Genau das ist die Grundposition der Union: Wir möch-ten Menschen bilden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb, Frau Ministerin, ist für uns der Grundsatz: Objemand studiert oder nicht, darf nicht vom Geldbeutelder Eltern oder vom eigenen Geldbeutel abhängen,

(Zurufe von der SPD: Oh!)

es darf auch nicht vom Geschlecht abhängen, es musseinfach davon abhängen, ob er in der Lage ist, ein Stu-dium zu absolvieren – das müssen die Kriterien sein.

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Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –Nicolette Kressl [SPD]: Können Sie das be-weisen?)

Frau Ministerin, ich gebe Ihnen vollkommen Recht:Wir brauchen mehr gut ausgebildete Menschen. Bildungwird aber nicht nur in der Hochschule vermittelt. Wir ha-ben auch gut ausgebildete Menschen im Bereich derLehrlinge und Meister. Sie werden oft genug vergessen.Auch das sind gut ausgebildete Menschen, die wir för-dern müssen.

(Nicolette Kressl [SPD]: Da bleibt das Wort „Meister-BaföG“ zu sagen!)

Wenn man Sie so reden hört, dann fragt man sich, obSie die Historie des BAföG überhaupt kennen. „BAföG“heißt „Berufsausbildungsförderungsgesetz“. In den letz-ten Jahrzehnten – 1971 wurde es eingeführt – wurde esimmer wieder mal geändert. Das BAföG gab es mal alsTeildarlehen und mal als Volldarlehen, weil die Finan-zierung eben nicht gesichert war. Erinnern Sie sich anBundeskanzler Helmut Schmidt, unter dem es reduziertwerden musste.

(Zuruf von der SPD: Unter Kohl!)

Zurzeit ist es ein Teildarlehen. Sie standen eben hier undhaben so getan, als müsse das BAföG nicht zurückbe-zahlt werden. Selbstverständlich muss das BAföG zu-rückbezahlt werden. Wir als Union sagen, dass das auchrichtig ist; denn wer hinterher mehr verdient, der darf ru-hig einen Teil der Förderung, die ihm zuteil wurde, zu-rückbezahlen. Das muss eine Grundposition bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)

Frau Ministerin, Sie haben sich hier hingestellt undverkündet, dass es der Erfolg Ihrer BAföG-Politik ist,dass zukünftig mehr Studierende BAföG empfangen.

(Willi Brase [SPD]: Das ist richtig!)

Ich muss Ihnen sagen: Das ist mit Sicherheit kein Er-folgskriterium. Das zeigt lediglich, dass ein größerer An-teil der Studierenden BAföG braucht, um studieren zukönnen.

(Lachen bei der SPD)

Das heißt, dass der Wohlstand in unserem Land gesun-ken ist.

(Ute Berg [SPD]: Die Bemessungsgrundlage ist erweitert worden!)

Schauen Sie sich doch den Armutsbericht, den wir vorkurzem hier im Plenum debattiert haben, an. SteigendeBAföG-Empfängerzahlen sprechen auch dafür, dass dieArmut in Deutschland zunimmt. Im Armutsbericht stehtdas klipp und klar drin. Wir folgern daraus: Rot-Grünmacht arm.

(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Und danach dumm!)

Wir legen Wert darauf, dass jemand, der BAföG emp-fängt, einen Teil davon zurückbezahlen muss. Vorausset-zung dafür ist aber, dass er hinterher auch einen entspre-

chenden Arbeitsplatz findet. Auch das ist ein wichtigerAspekt. Ich muss Ihnen sagen: Hier muss eine entspre-chende Wirtschaftspolitik gemacht werden. Das habenwir hier in den letzten Wochen schon zur Genüge behan-delt. Die steigende Arbeitslosigkeit zeigt uns, dass Sieauch in diesem Bereich große Lücken haben. Ich kannSie nur auffordern: Machen Sie Druck auf Ihre Bundes-regierung, dass endlich eine vernünftige Wirtschaftspoli-tik gemacht wird und dass wir auch hier vorankommen,sodass die, die vom Studium ins Berufsleben gehen wol-len, die Möglichkeit haben, Arbeitsplätze zu finden. Daswäre dringend notwendig.

Frau Ministerin, weil Sie davon gesprochen haben,möchte ich Ihnen Zahlen vom Deutschen Studentenwerkvorlesen. Ich habe die Statistik in meinen Händen. 1997hatten14 Prozent der Studierenden eine niedrige sozialeHerkunft. 2003 waren es gemäß der Statistik noch12 Prozent. Das ist eine klare Abnahme.

(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Aha!)

Auch hieran sehen Sie deutlich, dass Sie das, was Sieuns hier erzählen, nicht erreicht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb kann ich abschließend nur sagen, dass dieDebatte, die Sie hier angezettelt haben, nur einer Sachedient: Sie wollen von Ihren Misserfolgen ablenken undim Wahlkampf Stimmung für Nordrhein-Westfalen ma-chen.

(Ulrike Flach [FDP]: So ist es! – Zurufe von der SPD: Oh!)

Lesen Sie sich die Aussage von Frau Schavan einmaldurch. Sie hat nie gesagt, sie wolle das BAföG abschaf-fen.

(Nicolette Kressl [SPD]: Ich habe es Ihnen vorhin vorgelesen!)

Die Frage an Frau Schavan lautete – ich zitiere –:

Der Bund weigert sich, das Bafög in neue Studien-finanzierungsmodelle mit einzubeziehen. Wäre dasein anzustrebendes Reformprojekt im Falle einesWahlsieges der Union im Bund 2006?

Antwort von Frau Schavan – ich zitiere –:

Ganz sicher, denn Studiengebühren und Studien-finanzierung müssen zusammen gesehen werden.

(Zurufe von der SPD: Aha!)

– Studienfinanzierung heißt nicht, dass es keine Zu-schüsse gibt, liebe Frau Kressl. – Weiter sagt sie:

Allerdings muß das Bafög noch so lange erhaltenbleiben, bis es einen tatsächlich attraktiven Marktder Bildungsfinanzierung gibt.

(Willi Brase [SPD]: Ja!)

Wenn Sie daraus lesen, dass Bildungsfinanzierung be-deutet, dass alles zurückgezahlt werden muss, dann sindSie auf dem falschen Dampfer. Wir sind durchaus derMeinung, dass das nicht unbedingt sein muss und dass

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Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

für besonders gute Studenten oder für die, die es nötighaben,

(Nicolette Kressl [SPD]: Oh, oh!)

die Möglichkeit bestehen muss, Geld vom Staat hinzu-zubekommen. Das muss möglich sein; denn die Rück-zahlung muss wirklich davon abhängen, ob man hinter-her einen entsprechenden Beruf findet oder nicht. Aberum diesen Punkt müssen Sie sich dringend kümmern.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl [SPD]: Peinlich!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-

Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

René Röspel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, wir müssen in dieser Debatte wiederetwas redlich werden. Die CDU/CSU hat schon zweimalZahlen angeführt, aber nicht ein einziges Mal die Quelledazu genannt.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: 17. Sozial-erhebung!)

Ich empfehle Ihnen, sich den Bericht der17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes an-zuschauen. Dort steht, dass die Zahl derer, die aus einerArbeitnehmerfamilie kommen und BAföG erhalten, von15 auf 21 Prozent gestiegen ist. Das liegt schlicht undeinfach daran, dass wir die Grenze für die Freibeträge er-höht haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diejenigen, deren Einkommen knapp über dieser Grenzelagen und kein BAföG bekamen, erhalten es jetzt. Da-rauf ist die Erhöhung dieser Zahl zurückzuführen.

Wir haben hier schon eine ganze Reihe von Faktengenannt. Es bleibt dabei: Der letzte Bildungsminister derRegierung Kohl, Jürgen Rüttgers, hat das BAföG herun-tergewirtschaftet. Bis 1998 ist die Zahl der BAföG-Emp-fänger auf ein Rekordminimum zurückgegangen. Erstseitdem Rot-Grün die Regierung übernommen und dasBAföG reformiert hat, indem zum Beispiel die Sätze undFreibeträge erhöht wurden, steigt die Zahl der BAföG-Empfänger wieder. Wir investieren in die Köpfe derMenschen; dazu ist genug gesagt worden. Wir förderndie Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht muss man die Diskussion ohne die Zahlenführen und überlegen, was es für die betroffenen jungenMenschen bedeutet. Ich wohne nach wie vor in demStadtteil meiner Heimatstadt Hagen, in dem ich groß ge-worden bin. Das ist ein Stadtteil mit vielen Arbeiternund einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Sozial-

hilfeempfängern, Arbeitslosen, normalen Arbeitnehmer-familien und Alleinerziehenden. Die Tatsache, dass ichin meinem Wahlkreis relativ viel zu Fuß und mit Bussenunterwegs bin, zeigt mir die Situation der Menschen inmeiner Umgebung. Ich sehe, wie die Kinder aufwach-sen. Ich weiß, dass viele ihre Kinder, obwohl sie ein hö-heres Bildungsniveau verdient hätten, traditionell aufeine Realschule schicken, auch wenn sie sehr gut sind.Alles andere ist eher selten.

Was bedeutet es für eine normale Arbeitnehmer-familie aus einer solchen Gegend, wenn Jürgen RüttgersMinisterpräsident in NRW wird und sich die Politik derCDU durchsetzt? Dadurch wird diese Arbeitnehmerfa-milie mehr denn je vor die Frage gestellt werden: Kön-nen wir uns ein Studium unseres Kindes überhaupt leis-ten?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Thomas Rachel [CDU/CSU]: Reine Polemik!)

– Nein, das ist keine Polemik. Das, was Frau Schavangesagt hat, ist oft genug zitiert worden, nämlich die For-derung nach der kurzfristigen Abschaffung des BAföG,die von den Bildungsministern aus Niedersachsen undBrandenburg unterstützt wird. Zwei Tage später hat derSprecher von Frau Schavan, Schanz, in der „Tages-zeitung“ vom 8. April gesagt:

Wir stellen das Bafög in den nächsten zwei, dreiJahren nicht in Frage.

(Beifall bei der SPD)

Was heißt das? Sie können es gar nicht, weil wir nochmindestens zwei Jahre regieren werden. Ich glaube, FrauSchavan hat die Wahrheit gesagt.

(Nicolette Kressl [SPD]: So ist es! Es ist ihr rausgerutscht!)

Viele aus der CDU haben sich hinter sie gescharrt. Ihnenist es schlicht und einfach peinlich, dass diese Wahrheitschon jetzt ans Licht gekommen ist. Es wird noch peinli-cher, wenn Sie in der Debatte eine Erhöhung des BAföGfordern, eine Einrichtung, die Sie eigentlich ablehnen.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch Unsinn!)

Gleichzeitig will Jürgen Rüttgers Studiengebührenvon bis zu 1 000 Euro im Jahr zulassen. Ich kann mir dasals Abgeordneter für meine ersten beiden Kinder viel-leicht noch leisten, aber beim dritten Kind wird esschwierig, Studiengebühren zu zahlen. Aber wie wirdeine Arbeitnehmerfamilie entscheiden müssen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für sie wird es unmöglich werden, ein Studium zu finan-zieren, wenn sie kein BAföG mehr erhalten und dannauch noch Studiengebühren zahlen müssen. Das ist dieRealität. Sie müssen einfach einmal auf die Straße gehenund sich die Leute anschauen, die zumindest uns amHerzen liegen.

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René Röspel

Wir wollen keine Studiengebühren. Wir wollen eineumfassende Bildungspolitik machen. Wir wollen bessereBetreuungsmöglichkeiten für die unter Dreijährigen. Wirinvestieren 4 Milliarden Euro in ein Ganztagsschulpro-gramm, damit Frauen, die berufstätig sein wollen, dieSicherheit haben, dass ihre Kinder vernünftig betreutwerden – das ist eine freiwillige Institution –, und damitdie Kinder den Tag über beaufsichtigt und gefördert wer-den und nicht auf der Straße herumhängen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Eltern merken, wie gut dieses Angebot ist. Ich er-lebe mittlerweile auch in den CDU-regierten Kommunenin Nordrhein-Westfalen – diese gibt es leider – und inden CSU-regierten Kommunen in Bayern, dass dieCDU/CSU gar nicht umhinkommt, dem Willen und demDruck der Eltern nachzugeben und Angebote für Ganz-tagsschulen zu machen. Das ist schlicht und einfach so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie leben in ei-ner anderen Welt!)

Wir wollen, dass auch Menschen aus Arbeitnehmerfa-milien studieren können. Sie wollen oder nehmen zu-mindest in Kauf – das ist der Unterschied –, dass künftigwieder die soziale Herkunft stärker als jetzt – das ist unsdurch die PISA-Studie bescheinigt worden – darüberentscheidet,

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist doch dieUnwahrheit! Das ist eine bösartige Unterstel-lung!)

wer ein Studium aufnehmen kann. Es werden wiederweniger Arbeitnehmerkinder studieren können. Die so-ziale Herkunft wird über die Bildungschancen entschei-den. Es werden nicht mehr die klugen Köpfe darüberentscheiden, ob sie studieren oder nicht. Ich werde esnicht hinnehmen, dass ein junger Mensch nur deshalbnicht studieren kann, weil sein Vater Stahlarbeiter istoder seine Mutter Verkäuferin. Wir werden uns für diejungen Menschen einsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Dr. Christoph Bergner von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt in

der Freiheit jeder Fraktion, die Aktuelle Stunde zu bean-tragen, die ihrem politischen Aktionshorizont entspricht.Ich muss für mich gestehen, dass ich das, was Sie hierbeantragt und thematisiert haben, gemessen an den ei-gentlichen bildungspolitischen Problemen, die wir imLande haben, nicht für ausgesprochen weiterführendhalte.

(Beifall bei der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Vorsichtig!)

Ich bringe es nicht fertig, Ihnen ein intellektuelles Ni-veau zu unterstellen, wonach Sie nicht in der Lage gewe-sen wären, das, was Frau Schavan gesagt hat, wirklichzu verstehen. Wenn Sie das auf den simplen Satz „DieCDU will das BAföG abschaffen“ reduzieren

(Jörg Tauss [SPD]: Nach 2006!)

und dies mit der diffamierenden Behauptung verbinden,es wäre der CDU egal, welche soziale Flankierung fürStudierende angeboten wird, dann haben Sie nicht dieAbsicht, sich über die Zukunft einer Ausbildungsförde-rung zu unterhalten, sondern dann haben Sie die Absicht,Ihren politischen Wettbewerber zu verleumden.

(Widerspruch bei der SPD)

Denn etwas zu sagen, von dem Sie wissen, dass es nichtder Wahrheit entspricht, ist zumindest nach der Defini-tion unseres Strafgesetzbuches Verleumdung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie brauchen bloß einmal den Versuch zu unterneh-men, bei einer Suchmaschine die Worte „AbschaffungBAföG“ einzugeben.

(Nicolette Kressl [SPD]: Dann kommt „Frau Schavan“!)

– Es kommt ein anderes Zitat. Ich darf es mit Genehmi-gung des Präsidenten vorlesen:

An die Stelle des heutigen BAföG möchten wirnach wie vor ein mit mehr Eigenverantwortung undElternunabhängigkeit verbundenes Modell der Fi-nanzierung des studentischen Lebensunterhalts set-zen.

Das steht unter der Überschrift „BAFF statt BAföG“ imPositionspapier des Bündnisses 90/Die Grünen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun will ich nicht so argumentieren, dass die Grünendas BAföG abschaffen wollen. Ich will Ihnen nur sagen,wie unsinnig es ist, die Diskussion auf eine solche Thesezu reduzieren. Herr Tauss, wenn Sie den Versuch unsererBundesvorsitzenden, wenigstens öffentlich Klarheit her-zustellen, hier im Parlament mit einem Ulbrichtzitat ver-binden – ich habe es auf der Webseite der Jusos gefun-den; da gehört es wohl hin –, dann bewegen Sie sich ander Grenze zur Geschmacklosigkeit. Das muss ich Ihnenin aller Deutlichkeit sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Was ich für sehr viel schwieriger bei dieser Art derDebatte halte, ist, dass Sie damit, dass Sie gewisserma-ßen eine künstliche Ewigkeitsgarantie für das BAföGeinfordern, eine Diskussion ideologisieren, die unbe-dingt geführt werden muss. Es hat Gott sei Dank in derDebatte genug Beiträge gegeben, die auf die eigentli-chen Entscheidungsprobleme, vor denen wir stehen, hin-gewiesen haben. Wenn Studiengebühren eingeführt wer-den, dann kann sich die soziale Flankierung doch nicht

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Dr. Christoph Bergner

allein auf die Grundsicherung des Lebensunterhaltes be-schränken, sondern dann muss sie sich auch auf die Ab-sicherung der Studienkosten erstrecken.

(Jörg Tauss [SPD]: Studiengebühren!)

Wenn wir den Weiterbildungsgedanken – KolleginFlach hat das angesprochen – so ernst nehmen, wie wires alle in unseren Sonntagsreden immer wieder verkün-den, dann muss doch auch einmal die Frage erlaubt sein,ob denn das System, das wir jetzt haben, hierauf eineAntwort gibt. In diesem Zusammenhang wird es nochinteressant: Es geht auch darum, die Überlegungen, diemit der Quotierung konsekutiver Studiengänge gerade inNordrhein-Westfalen transportiert werden, mit der Fragezu verbinden, wie sie in ein solches System einzuordnenist.

Wir müssen auch darüber diskutieren, wie wir in ge-eigneter Weise eine abschreckende Signalwirkung ver-hindern.

(Jörg Tauss [SPD]: Ja, wie?)

Denn niemand in der Union, der zugunsten einer intelli-genten Kostenbeteiligung der Studierenden argumentiert,möchte diese Abschreckungswirkung; es geht vielmehrum die hohe begabungsgerechte Bildungsbeteiligung allerBevölkerungsschichten.

Wir müssen letztlich – ich glaube, dass wir uns andieser Stelle alle etwas vormachen – auch die Frage derSicherung nachhaltiger Finanzierungsvoraussetzungenstellen.

(Jörg Tauss [SPD]: Eigenheimzulage! – Ge-genruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]:Jäger 90!)

– Nicht schon wieder die Eigenheimzulage! Wir könnenüber alles Mögliche diskutieren. Ich kann aber nur davorwarnen, uns im Wahlkampf mit Versprechen auf Ausga-ben der öffentlichen Hand allzu hemmungslos zu profi-lieren.

(Willi Brase [SPD]: Was Sie den Menschennehmen wollen: 1 000 Euro Studiengebühren!Es ist nicht zu fassen!)

Die finanzpolitische Wirklichkeit unseres Landes – derLänder wie des Bundes – sieht ganz anders aus. Geradedeshalb ist eine verantwortungsbewusste Diskussionüber die geeigneten Instrumente notwendig. Die heutigeAktuelle Stunde, die von Ihnen beantragt wurde, war ausmeiner Sicht kein Beitrag zum verantwortungsbewuss-ten Umgang mit dem Thema.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Heinz Schmitt von der

SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Heinz Schmitt (Landau) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasSchauspiel, das die verantwortlichen Politiker Ihrer Par-tei in den letzten Tagen geboten haben,

(Nicolette Kressl [SPD]: Und heute!)

wird heute fortgesetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe einige Zitate herausgegriffen. Herr Rachelzum Beispiel fordert die Erhöhung des BAföGs, wäh-rend die Bildungssprecherin seiner Partei die Abschaf-fung des BAföGs und einen Markt der Bildungsfinanzie-rungen fordert. Herr Fischer hat gesagt: Rot-Grün machtarm, weil die Zahl der BAföG-Empfänger steigt. Dazustelle ich fest: Schwarz macht dumm. Denn die Zahl derBAföG-Empfänger ist deshalb gestiegen, weil wir ent-sprechende Gesetze geschaffen und die Freibeträge er-höht haben. Vor allen Dingen sind wieder mehr Kindervon Eltern mit Hauptschulabschluss an die Universitätengekommen als zuvor. Wir haben insofern die sozialeSchieflage klar verbessert.

Herr Bergner, bei Ihnen war eher ein Hü und Hott he-rauszuhören; eine klare Bildungspolitik beim BAföGwie auch bei den anderen Bildungsthemen ist schwer zuerkennen. Dazu passt auch, dass der „Spitzen-Koch“ ausHessen uns bei der Förderung von Spitzenforschung anUniversitäten wieder einmal die Suppe versalzen hat.Aus derselben Ecke wird auch das Ganztagsschulpro-gramm der Bundesregierung verneint.

(Beifall der Abg. Nicolette Kressl [SPD])

Alles zusammengenommen wird klar: Es fehlt Ihnenan schlüssigen Konzepten in der Bildungspolitik. Siemissbrauchen Bildungs- und Forschungspolitik fürMachtspiele. Ihre Vorstellungen von Bildungspolitik ha-ben eine soziale Schieflage.

In Ihren Sonntagsreden stellen Sie immer wieder fest,wie wichtig Bildung und Forschung für unser Land sind.Gleichzeitig sorgen Sie aber dafür, dass die Mittel, diedie Bundesregierung bereitstellt, nicht dort ankommen,wo sie dringend benötigt werden, nämlich in den Schu-len und Universitäten, wo man händeringend auf diesesGeld wartet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das sind Machtspielchen, die verwerflich sind, weil sieauf dem Rücken der Jugend und zulasten der Zukunftunseres Landes ausgetragen werden.

Ich komme noch einmal auf die soziale Schieflage zusprechen. Wir alle wissen doch spätestens seit der PISA-Studie, dass besonders in Deutschland die soziale Her-kunft stark über den späteren Bildungserfolg entschei-det. Das ist zwar auch Ihnen bekannt, aber ich muss esan dieser Stelle wiederholen.

Gerade Ganztagsschulen bieten die Möglichkeit, sozia-le Benachteiligungen auszugleichen und ein besseresSchulangebot zu unterbreiten. Die großen unionsgeführ-

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Heinz Schmitt (Landau)

ten Länder aber schlagen die diesbezüglichen Angeboteder Bundesregierung weitgehend aus.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Union,alles so lassen, wie es ist, dann schreiben Sie letztlich dieUngerechtigkeiten fort, die durch die PISA-Studie deut-lich beschrieben wurden. Hinzu kommt, dass die Einfüh-rung von Studiengebühren bereits jetzt hohe Hürden fürSchulabgänger aus einkommensschwachen Familienschafft. Ich kann hier aus eigener Erfahrung mitreden.Studiengebühren wirken abschreckend. Auch dies ist Ih-nen bekannt. Wenn Sie jetzt noch einen draufpacken unddas BAföG abschaffen, dann schließen Sie in letzterKonsequenz junge Menschen aus einkommensschwa-chen Familien von höheren Bildungsabschlüssen aus.

(Beifall bei der SPD)

Denn dann würde ein Studium automatisch einen großenSchuldenberg nach sich ziehen.

Ich finde es ebenfalls bemerkenswert, dass FrauSchavan bei ihren BAföG-Äußerungen davon gespro-chen hat, man müsse einen „attraktiven Markt der Bil-dungsfinanzierung“ schaffen. Ich nehme an, dass die bil-dungspolitische Sprecherin der Union weiß, was „Markt“bedeutet.

(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist das Gegenteil von Sozialleistungen!)

– Richtig. – Klarer kann man das Leitbild der Union imAugenblick nicht fassen. Markt, Konkurrenz, Wettbe-werb, damit rechtfertigen Sie alles, sei es die Abschaf-fung von Arbeitnehmerrechten oder sei es, wie Sie nunfordern, die wenig christliche Abschaffung des BAföG.Ich sage Ihnen: Sie sollten auch einmal wieder über Be-griffe wie „Solidarität“ und „Chancengleichheit“ nach-denken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gehört zu den Binsenweisheiten, dass der Marktauf dem sozialen Auge blind ist. Dies gilt gerade in derBildungsförderung. Das sollten Sie bedenken, wenn Sienicht riskieren wollen, dass in Zukunft wieder der Geld-beutel über die Ausbildung junger Menschen entschei-det. Was wir in Zukunft brauchen, sind möglichst vielejunge Menschen mit einem akademischen Abschlussund keine neuen Geschäftsfelder, damit die Banken auchdort Geld verdienen können.

Abschließend: Werte Kolleginnen und Kollegen vonder Union, sagen Sie uns, wofür Sie stehen, damit dieMenschen in diesem Land entscheiden können, ob sieIhren Vorschlägen folgen wollen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile

ich das Wort dem Kollegen Willi Brase von der SPD-Fraktion.

Willi Brase (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass dieCDU/CSU ein Problem mit der Glaubwürdigkeit ihrerAussagen hat. Wenn ich mir anschaue, welche Hoch-schulpolitik Sie in den letzten Jahrzehnten gemacht ha-ben, dann kann ich Ihnen nicht ersparen, darauf hinzu-weisen, dass es Herr Rüttgers war, der das BAföG mitder Strukturreform 1996 radikal verändern und den Stu-denten bankübliche Zinsen für den Darlehensanteil ab-nehmen wollte. Nur weil SPD-geführte, aber auch uni-onsgeführte Länder Druck gemacht haben, hat er sichnicht durchsetzen können.

(Beifall bei der SPD)

Er wollte mit dieser Politik

(Jörg Tauss [SPD]: Damals schon!)

in vier Jahren 1,6 Milliarden DM einsparen. Wenn wirheute über das BAföG reden und darüber, ob die Uniondas BAföG irgendwann einmal abschaffen will, dann er-innern wir uns sehr genau daran, dass Sie das BAföG be-nutzt haben, um an anderer Stelle Löcher zu stopfen. Daslehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD)

Als Helmut Kohl 1982 die Regierungsgeschäfte über-nahm, war eine der ersten Amtshandlungen – deshalbhaben Sie ein Glaubwürdigkeitsproblem –, das BAföGauf reine Darlehensförderung umzustellen und den Zu-schussanteil abzuschaffen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie heute sagen, das BAföG solle erhalten bleiben,dann kann ich nur darauf verweisen, dass ich bislang vonIhnen keine einzige Aussage darüber vernommen habe,ob auch der Zuschuss erhalten bleiben soll. Tatsächlichwollen Sie das BAföG wieder völlig auf Darlehensförde-rung umstellen. Zahlen müssen dafür die Betroffenen.Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund ist klar, warum Frau Merkelsozusagen die wahltaktische Notbremse gezogen hat undmöchte, dass darüber nicht weiter diskutiert wird. AberIhr Glaubwürdigkeitsproblem bleibt bestehen. Wir wer-den in der Auseinandersetzung deutlich machen, dassSie das BAföG abschaffen wollen, wenn Sie die Chancedazu haben. Die Beispiele aus der Vergangenheit bele-gen das.

Was steckt nun hinter dem Vorhaben der Union? DieWende der Union in der Hochschulpolitik bedeutet nachunserer Auffassung die Aufkündigung des Generatio-nenvertrages.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)

Die ältere Generation erklärt also der jüngeren, dass sienicht länger gewillt sei, durch Steuern die Kosten derAusbildung zu tragen. Die Studierenden sollen ihr Stu-dium selbst bezahlen, und zwar entweder durch Studien-gebühren in Höhe von 500, 1 000 Euro und mehr pro

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Willi Brase

Semester oder unmittelbar durch Darlehen wie in derVergangenheit. Sie sollen kräftig in ihre Zukunft inves-tieren, damit sie das Geld verdienen, das die Älteren alsRente oder Pension von ihnen erwarten. Eine solche Ein-bahnstraßensolidarität wird die jüngere Generation nichthinnehmen.

(Beifall bei der SPD)

Soll doch die ältere Generation selbst für ihre Alterssi-cherung sorgen, wird sie sagen und die Abkehr vom So-zialstaat beschleunigen. Dieser Weg soll zumindest einStück weit beschritten werden. Ich glaube, es ist wichtig,das im Hinterkopf zu behalten.

Ich will durchaus anerkennen, dass es Frau Schavanund anderen auch um die Sozialverträglichkeit von Stu-diengebühren ging. In diesem Zusammenhang fällt dochauf: Der Bund soll seinen BAföG-Haushalt um den Be-trag erhöhen, den die Länder dann in Form von Studien-gebühren von den BAföG-Studenten verlangen. Erstwird der Bund in dieser Frage herausgekegelt und an-schließend zur Kasse gebeten. Ich finde, das ist ein biss-chen dreist. Das sollten wir nicht mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

Die Union hat hochschulpolitische Vorschläge ge-macht: Einführung von Studiengebühren, Streichung desBAföG, Umstieg auf Volldarlehen und damit Abschaf-fung des Zuschusses, Vergabe von Studienkrediten. Ichbin der Auffassung: Dies sind Ausleseinstrumente, da-mit vor allen Dingen Kinder aus Arbeitnehmerhaushal-ten, aus sozial- und einkommensschwachen Verhältnis-sen den Weg zur Hochschule nicht mehr gehen können.

(Ulrike Flach [FDP]: Das tun sie doch jetzt schon nicht mehr!)

Ich sage Ihnen: Als Sie 1982 an die Macht gekommensind und sofort auf Volldarlehen umgestellt haben, woll-ten Sie, dass nicht zu viele Kinder aus Arbeitnehmer-haushalten den Weg zur Hochschule finden. Das wollenund werden wir ablehnen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Ulrike Flach [FDP])

Ich kann diese Behauptung begründen, Frau Flach.Nach der 14. DSW-Sozialerhebung stieg seit 1982 dieZahl der Studentinnen und Studenten aus der oberstensozialen Schicht von 18 Prozent auf 27 Prozent, wäh-rend der Anteil Studierender aus einkommensschwächs-ten familiären Verhältnissen von 25 Prozent auf 14 Pro-zent absackte. Das haben Sie zu verantworten. Wirwerden das nicht mitmachen. Wir wollen, dass alle Kin-der in unserem Land eine vernünftige Chance erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich einen letzten Aspekt ansprechen. Ichglaube, Ihre Absicht ist die Privatisierung eines öffent-lichen Gutes.

(Ulrike Flach [FDP]: Nein!)

Damit Banken mehr Geld erwirtschaften können, wirdaus dem Sozialgesetz BAföG ein Bankenförderungsge-setz. Die alte Abkürzung „BAföG“ kann so zwar auf-rechterhalten werden; dennoch ist dieser Weg falsch,

weil durch ihn zu viele junge Leute in diesem Land aus-gegrenzt werden.

Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (12. Ausschuss) zu dem An-trag der Abgeordneten Anton Schaaf, SabineBätzing, Ute Berg, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der AbgeordnetenJutta Dümpe-Krüger, Irmingard Schewe-Gerigk,Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN

Zukunft der Freiwilligendienste – Ausbau derJugendfreiwilligendienste und der genera-tionsübergreifenden Freiwilligendienste als zi-vilgesellschaftlicher Generationenvertrag fürDeutschland

– Drucksachen 15/4395, 15/5175 –

Berichterstattung:Abgeordnete Anton Schaaf Thomas DörflingerJutta Dümpe-Krüger Ina Lenke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er-teile ich der Kollegin Christel Riemann-Hanewinckel fürdie Bundesregierung das Wort.

Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staats-sekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Gesellschaft, dieder Leitidee des Engagements, der Beteiligung und derMitgestaltung durch die Bürgerinnen und Bürger ver-pflichtet ist, baut auf Freiwilligkeit und Initiative der Eh-renamtlichen. Außerdem hat sie die Verpflichtung, Mög-lichkeiten der Eigeninitiative, der Mitgestaltung, derVerantwortungsübernahme und der Beteiligung zu eröff-nen.

Unsere Gesellschaft ist – das wissen und erfahren wiralle immer wieder – auf die demokratische Kompetenzund das soziale Kapital derer angewiesen, die sich frei-willig und ehrenamtlich engagieren. Ich möchte an die-ser Stelle auch einmal jenseits des Tages des Ehren-amtes all denen, die ehrenamtlich arbeiten, herzlichdanken.

(Beifall im ganzen Hause)

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Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel

Kinder und Jugendliche erfahren und lernen durchdas gemeinwohlorientierte Arbeiten der älteren Genera-tion geradezu spielend die Wichtigkeit und die Notwen-digkeit des freiwilligen Füreinandersorgens ebenso wiedas Einander-Spaß-und-Freude-Bereiten.

In Deutschland gibt es die unterschiedlichsten Mög-lichkeiten und Formen zivilgesellschaftlichen Engage-ments. Eine besondere Form stellen die gesetzlich gere-gelten Freiwilligendienste dar. Deutschland ist daseinzige Land Europas, das bereits seit 40 Jahren Erfah-rungen damit machen konnte. 2004 – Sie erinnern sich –haben wir 40 Jahre freiwilliges soziales Jahr und10 Jahre freiwilliges ökologisches Jahr richtiggehendfeiern können.

Zum Feiern bestand wirklich Anlass; denn das Inte-resse an diesen Diensten ist in der jungen Generation un-gebrochen. Deshalb ist es gut, dass die Einsatzbereicheum die Bereiche Sport und Kultur erweitert werdenkonnten; das Gleiche gilt für das tatsächliche Platzange-bot. Die Weiterentwicklung ist gewünscht, sinnvoll undnotwendig.

Zurzeit werden die Gesetze zur Förderung eines frei-willigen sozialen und eines freiwilligen ökologischenJahres evaluiert. Voraussichtlich in der zweiten Hälftedieses Jahres werden wir eine breite Datenbasis haben,die es uns ermöglicht, die weiteren Schritte zielgenau zuplanen und zu gehen.

Die von der Bundesministerin Renate Schmidt einge-setzte Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“hat in ihren Strukturempfehlungen die Sinnhaftigkeitund auch die Notwendigkeit von generationenüber-greifenden Freiwilligendiensten deutlich gemacht. Derdemographische Wandel ermöglicht unserer Gesell-schaft, die Potenziale der älteren Generation verstärkt zunutzen. Neue Formen und Möglichkeiten dafür, das Wis-sen, die Kompetenzen und die Fähigkeiten der Älterenfür die Allgemeinheit einzubringen, sind wichtig. EineKultur selbstverständlicher Freiwilligkeit für alle Alters-gruppen soll sich in unserem Land weiterentwickelnkönnen. „Alt und Jung gemeinsam“ in der Freiwilligen-arbeit soll und kann in bestimmten Formen vor Ort ge-lebt werden.

Deshalb haben wir das Bundesmodellprogramm „Ge-nerationenübergreifende Freiwilligendienste“ auf denWeg gebracht. Über 50 Einzelprojekte und Projektver-bünde sind aufgenommen worden. Das Haushaltsvolu-men im Jahr 2005 beträgt 10 Millionen Euro. Die erstenProjekte sind Ostern 2005 gestartet.

Bürgerinnen und Bürger jeden Alters, Männer undFrauen übernehmen nach ihren Fähigkeiten und Mög-lichkeiten Verantwortung nicht nur für sich, sondernauch für andere, für Junge, für Alte, für Behinderte, fürMigrantinnen und Migranten, für Schülerinnen undSchüler oder auch für besonders belastete Familien.Durch diese neue Form von Freiwilligendiensten wollenwir auch neue fachpolitische, das heißt familien-, senio-ren-, gleichstellungs- und jugendpolitische, Akzente set-zen.

Der Aufbau generationenübergreifender Freiwilligen-dienste wird weitere Initiativen, besonders auf örtlicherEbene, anstoßen. Wir erwarten auch eine Verknüpfungmit den inzwischen über 135 lokalen Bündnissen für dieFamilie.

Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation desModellprogramms wird ein fortlaufendes Programm-Monitoring betreiben, die Ergebnisse sichern und unsihre Empfehlungen zum weiteren Handlungsbedarf aufBundes-, Landes- und lokaler Ebene geben.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend hat den Aufbau generationenüber-greifender Freiwilligendienste gestartet. Diese Freiwilli-gendienste werden in der Regel durch hauptamtlicheMitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Projekt bei den ein-zelnen Trägern aufgebaut.

Ein anderer Weg – das als Beispiel – wird durch dieWeiterentwicklung des Modellprogramms „Erfahrungs-wissen für Initiativen“, EFI, beschritten. In einem erstenSchritt werden im Programm EFI Berufsexperten und er-fahrene Ehrenamtliche im Übergang zur nachberuflichenPhase, also im zeitlichen Übergang von der Arbeit zurRente, zu Seniortrainern und Seniortrainerinnen ausge-bildet. Sie haben in Workshops trainiert, ihr Wissen undihre Fähigkeiten einzusetzen und vor allem eigene Pro-jekte zu managen. Seniortrainer und Seniortrainerinneneiner Kommune bilden nun zur Zusammenarbeit Teams,so genannte Seniorkompetenzteams.

In einem zweiten Schritt ist jetzt geplant, die Ent-wicklung lokaler Freiwilligendienste durch Seniorkom-petenzteams zu erproben. Hierzu soll in den beteiligtenKommunen von den örtlichen Seniorenbüros, Freiwilli-genagenturen und Selbsthilfekontaktstellen ein runderTisch für freiwilliges Engagement im Alter aufgebautwerden. An diesen runden Tischen sollen und könnendann die so genannten kommunalen Bedarfslagen er-forscht werden. Durch die Projekte und durch die Arbeitder Seniorenkompetenzteams mit den Trägern könnendann auch Programme für die entsprechenden Bedarfeentwickelt werden. Träger artikulieren ihren Bedarf anProjekten und entwickeln gemeinsam mit den Senior-kompetenzteams entsprechende Umsetzungsmöglichkei-ten. Dies führt zu einer Stärkung der Bürgerverant-wortung für das Gemeinwesen und bietet vor allemauch kleineren Trägern die Möglichkeit, Freiwilligen-dienstler für ihr Projekt einzusetzen.

Ziel ist es, das Interesse älterer Menschen an einemfreiwilligen Engagement und an der Übernahme einerVerantwortungsrolle für die Gesellschaft mit den aktuel-len Bedarfen in der Kommune zu verknüpfen. Voraus-setzung für die Aufnahme dieser Art der freiwilligenTätigkeit ist die Bereitschaft, sich zu einem kontinuierli-chen, aber zeitlich begrenzten Engagement zu verpflich-ten. Der Einsatz ist arbeitsmarktneutral.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, ehrenamtliches Engagement undFreiwilligendienste in den unterschiedlichen Formen ha-ben in Deutschland Zukunft. Die Bundesregierung wirdin den kommenden Monaten zu prüfen haben, was sich

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Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel

bewährt hat und welche Weiterentwicklungen nötig sind.Im Antrag der SPD-Bundestagsfraktion und der Bundes-tagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünen sind deut-liche Aufgaben für die Bundesregierung formuliert wor-den, die wir entsprechend erfüllen werden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Thomas Dörflinger von der

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß garnicht, wie viele Male ich mich sowohl im Plenum desDeutschen Bundestages als auch in unserem Ausschusszu Recht über die Tatsache beschwert habe, dass das Be-ratungsverfahren aus meiner Sicht ungenügend war. Nungehört es nicht nur zur Vollständigkeit, sondern auch zurEhrlichkeit, besonders zu erwähnen, wenn es einmal an-ders gelaufen ist. Ich will ausdrücklich anerkennen undlobend herausheben, Herr Kollege Schaaf, Frau Dümpe-Krüger, Frau Lenke, dass wir uns im Vorfeld dieser Be-ratungen mehrmals getroffen haben, dass wir ausrei-chend Zeit hatten, das Thema sowohl unter den Bericht-erstatterinnen und Berichterstattern als auch in unserenArbeitsgruppen sowie mit den Kollegen mitberatenderArbeitsgruppen in unseren Fraktionen zu diskutieren.Die Koalitionsfraktionen haben sich ausdrücklich flexi-bel gezeigt, um insbesondere auch der Bundestagsfrak-tion der CDU/CSU letztlich eine Zustimmung zu diesemAntrag zu ermöglichen. Ich will das anerkennen. An dieBürgerinnen und Bürger gewandt möchte ich sagen:Merken Sie sich den heutigen Tag, den 14. April, gut.Streichen Sie ihn rot im Kalender an. Heute kann ichfeststellen: Wenigstens in der kurzen Zeit, in der wirüber dieses Thema debattieren, hat Rot-Grün einmal et-was richtig gemacht.

Gleichwohl haben wir einen Dissens in Abschnitt IIdes Antrages, meine Damen und Herren, in dem auf dieBestimmungen des Zweiten Zivildienständerungsgeset-zes rekurriert wird. Wir als Union bleiben dabei: Wir ha-ben seinerzeit in der Beratung dieses Gesetzes unsereZustimmung verweigert, weil wir erstens grundsätzlicheBedenken bei dem Zusammenwirken von Zivildienst,also einem Pflichtdienst, und Freiwilligendiensten habenund zweitens nach wie vor der Meinung sind, dass eseine Ungleichbehandlung von männlichen Freiwilligennach § 14 c und weiblichen Freiwilligen nach § 14 b Zi-vildienstgesetz gibt. Dieser Dissens bleibt, aber für unswiegt der grundsätzliche Ansatz dieses Antrages, näm-lich Freiwilligendienste auszubauen und einen genera-tionsübergreifenden Aspekt bei Freiwilligendiensten miteinzubeziehen, schwerer als der Dissens in diesemPunkt. Deswegen haben wir im Ausschuss für Familie,Senioren, Frauen und Jugend zu Abschnitt II unsere Zu-

stimmung verweigert, werden aber heute im Plenum desDeutschen Bundestages dem Antrag insgesamt zustim-men.

Meine Damen und Herren, wenn Sie die Berichte derTeilnehmerinnen und Teilnehmer an dem Parlamentari-schen Patenschaftsprogramm zwischen dem US-Kon-gress und dem Deutschen Bundestag nachlesen – ichhabe in diesen Tagen wieder einen Bericht bekommen –,werden Sie feststellen, dass die deutschen Teilnehmerin-nen und Teilnehmer an diesem Programm teilweisedurchaus erstaunt von einer Freiwilligenkultur in denUSA berichten, die wir so in Deutschland nicht haben. Inden USA gehört es nicht nur zum guten Ton, sondern esspielt beispielsweise auch bei Bewerbungsgesprächendurchaus eine Rolle, ob sich jemand vor dem Eintritt insBerufsleben, zwischen Schule und Beruf oder auch be-gleitend während der Ausbildung, als Volunteer verdingthat und welche Erfahrungen er oder sie damit gemachthat.

Der Arbeitgeber erkennt also durchaus an, dass das,was an sozialer Kompetenz in solcher Tätigkeit erwor-ben wird, für den eigenen Betrieb bzw. das eigene Unter-nehmen von Nutzen sein kann. Das ist etwas, was wir inDeutschland in dem Maße nicht kennen. Insofern kön-nen wir in diesem Punkt von der Ehrenamtskultur bzw.der Freiwilligenkultur in den USA durchaus noch etwaslernen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)

Ich bin der festen Überzeugung, dass für eine solidari-sche Gesellschaft, die wir letztlich alle wollen, genaudiese Elemente – ehrenamtliches Engagement und Frei-willigenkultur – konstitutiv sind. Ohne diese werden wirdas Ziel einer solidarischen Gesellschaft entweder nichtoder nicht in dem Maße erreichen, wie wir das alle wün-schen. Deswegen ist es richtig und positiv, dass das, wasan sozialer Kompetenz in diesen Diensten erworbenwird, für das Arbeitsleben von Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern auch nutzbar gemacht wird.

Dabei ist es mir wichtig, meine Damen und Herren,dass der Ausbau von Freiwilligendiensten nicht nur ei-nen wirtschaftlichen Ansatz verfolgt. Vor dem Hinter-grund zurückgehender Möglichkeiten des Staates, nichtnur in finanzieller Hinsicht, sondern generell, spielt die-ser Punkt mit in eine Diskussion hinein, die in die Rich-tung geht, mehr Eigenverantwortung an die Bürgerin-nen und Bürger zurückzugeben, und zwar nicht nurdeswegen, weil der Staat gewisse Dinge nicht mehr leis-ten kann, sondern weil wir der Überzeugung sind, dassBürgerinnen und Bürger in vielen Bereichen vieles letzt-lich besser können, weil sie näher dran sind und durch-aus auch die notwendigen Kenntnisse haben, um be-stimmte Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es soll also das Bewusstsein gestärkt werden, dass derStaat letztlich nur die Summe Einzelner ist und je größerdie Sozialkompetenz der Einzelnen, desto größer letzt-lich auch die Sozialkompetenz einer Gesellschaft odereines Staates ist.

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Thomas Dörflinger

Nun wissen wir alle, sei es aus den Vereinen, in denenwir Mitglied sind, sei es aus den Verbänden, in denenwir als Ehrenamtliche selbst Verantwortung tragen, dassinsbesondere unter jüngeren Leuten die Bereitschaftzum Ehrenamt nicht mehr ganz so ausgeprägt ist wiefrüher. Ich will nicht sagen, dass die Motivierung hierzuschwierig geworden ist, aber sie ist in Teilen vielleichtetwas schwieriger geworden als früher.

(Ute Kumpf [SPD]: Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache, Herr Dörflinger!)

Gleichzeitig erleben wir aber, dass die Bereitschaft zuzeitlich begrenztem ehrenamtlichem Engagement nichtnur gleich bleibt, sondern wächst. Das unterstreicht, dasswir uns mit dem Ansatz, der diesem Antrag zugrundeliegt, nämlich diese Bereitschaft, sich zeitlich befristetehrenamtlich und freiwillig zu engagieren, zu fördern,auf dem richtigen Weg befinden. Hier geht es, wie ge-sagt, nicht um eine Alternative zum klassischen Ehren-amt, sondern um eine Heranführung an das klassischeEhrenamt. Das eine soll also das andere nicht ersetzen,sondern ergänzen.

Nun haben wir gestern gelesen, dass der Sprecher desBundesarbeitskreises Freiwillige Soziales Jahr noch ein-mal unterstrichen hat, dass die freien Träger bereit sind,die Zahl der angebotenen Plätze zu erhöhen. Wir greifendiese Bereitschaft mit dem vorliegenden Antrag auf. Ichwill aber gleichfalls dazu sagen – auch das gehört zurVollständigkeit –, dass wir mit der Schlussfolgerung, dieaus dem weiteren Abbau der Zivildienstplätze freiwerdenden Mittel – eine Forderung, die die ZentralstelleKDV heute auch noch einmal erhoben hat – hin zur Fi-nanzierung von Freiwilligendiensten umzuswitchen, sonicht einverstanden sind,

(Ute Kumpf [SPD]: Es passiert praktisch schon!)

und zwar aus dem Grund, weil der Abbau von Zivil-dienstplätzen kein Vorgang ist, der gottgewollt vomHimmel gefallen ist, sondern dahinter eine politischeStrategie steckt, die wir so nicht teilen.

(Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einberufungsgerechtigkeit!)

Deswegen lautet unsere Position, dass wir bei der Um-schichtung von Mitteln zum Ausbau von Freiwilligen-diensten innerhalb des Bundeshaushaltes mitmachen, al-lerdings nicht zulasten des Zivildienstes.

(Ina Lenke [FDP]: Aber da wird doch im Haushalt schon gespart, Herr Dörflinger!)

Wir wollen nicht das eine als Ersatz für das andere, son-dern das eine als Ergänzung des anderen.

Noch ein anderer Punkt ist mir an dieser Stelle wich-tig, weil der in der Diskussion um Freiwilligendienstewenigstens in der Vergangenheit nicht so zum Tragenkam. Es geht um den generationsübergreifenden An-satz. Die Frau Staatssekretärin hat zu Recht auf den de-mographischen Wandel in der Bundesrepublik Deutsch-land hingewiesen, über den wir in der Vergangenheithauptsächlich unter Arbeitsmarktgesichtspunkten disku-

tiert haben. Festgemacht werden kann diese Diskussionbeispielsweise an der Frage, ob wir das Renteneintritts-alter, insbesondere im Hinblick auf die Finanzierung dersozialen Sicherungssysteme, erhöhen sollen. Diese De-batte müssen wir heute nicht führen. Aber etwas andereshängt damit ganz sicherlich auch zusammen: Wenn dieLeute dankenswerterweise alle älter werden und wäh-rend dieses Prozesses des Älterwerdens auch länger fitbleiben, dann müssen wir uns als Gesellschaft fragen, obwir die sozialen Kompetenzen oder beispielsweise dieim Arbeitsleben erworbenen Kompetenzen, die bei ei-nem Rentner oder einer Rentnerin bzw. einer Pensionä-rin oder einem Pensionär immer noch vorhanden sind,nicht durch verstärkten Einsatz von Seniorinnen und Se-nioren in Freiwilligendiensten für die Gesellschaft nutz-bar machen. Insofern ist das ein wichtiger Ansatz, derausdrücklich unsere Unterstützung findet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gleiches gilt für den internationalen Aspekt. Wir ha-ben als CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dieser Wocheeine Kleine Anfrage nachgeschoben, die sich speziellmit diesem Thema, nämlich den Konditionen für frei-willige internationale Dienste, befasst und den Versuchunternimmt, an einigen spezifizierten Punkten Datenaufzuarbeiten, die anschließend Grundlage für die ge-meinsame Diskussion über die folgenden Fragen seinkönnen – selbstverständlich im Benehmen mit internatio-nalen Partnern, nicht nur den Trägern, sondern beispiels-weise auch unseren Nachbarländern in der EuropäischenUnion –: Erstens. Was machen wir zum Beispiel beimAufenthaltsrecht? Zweitens. Wie gestalten wir die Dingeso, dass es keine Probleme beim Sozialversicherungs-recht gibt? Beispielsweise könnten andere europäischeLänder aufgrund ihrer nationalen gesetzgeberischen Vor-gaben zu der Einschätzung kommen, dass ein Freiwilli-ger, der sich eine gewisse Anzahl von Monaten odermöglicherweise länger als ein Jahr im europäischen Aus-land befindet, dort als Arbeitnehmer zu klassifizieren ist.Das könnte in der Sozialversicherung sowohl dort alsauch bei uns zu gewissen Problemen führen, was dem ei-gentlichen Ansatz dieser Geschichte nicht dienlich wäre.

Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass die Erfahrungenaus diesen Gesprächen einfließen können in die Diskus-sion bzw. in die Untersuchung der Bundesregierung, dieuns bis zum Beginn der Haushaltsberatungen für denEtat 2006, mindestens aber bis zum Ende der Legislatur-periode vorgelegt werden soll.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Schöner Abschluss der Regierungszeit!)

– Das wäre mindestens ein schöner Abschluss dieser Re-gierungszeit. Auf diese Weise könnte aber auch einStrich unter die Diskussionen gezogen werden. Dannkönnte gemeinsam die Frage erörtert werden, ob die vor-handenen Erfahrungen und die unterschiedlichen gesetz-lichen Regelungen, die wir jetzt noch haben, beispiels-weise in einem Bundesfreiwilligendienstgesetz odereinem Bundesfreiwilligendienstplan zusammengefasstwerden können, um sowohl für die Teilnehmerinnen undTeilnehmer als auch für die freien Träger ein bisschenmehr Transparenz zu schaffen.

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Thomas Dörflinger

Fazit, meine Damen und Herren: Die Arbeit, die wiruns in der einen oder anderen Berichterstatterrunde ge-macht haben, hat sich durchaus gelohnt. Ich erkenne an,dass die Bereitschaft vorhanden war, auf unsere Vorstel-lungen einzugehen und uns die Zustimmung zu diesemAntrag zu ermöglichen.

Wir waren gestern Abend – ich weiß nicht, wer vonIhnen Gelegenheit hatte, dabei zu sein – auf Einladungder Kirchenbeauftragten der Fraktion im Otto-Wels-Saal, wo wir Gäste der evangelischen und der katholi-schen Kirche waren. In diesem Rahmen wurden wir überden Fortgang der Vorbereitungen des EvangelischenKirchentages in Hannover und des Weltjugendtagesder katholischen Kirche in Köln informiert. Ein ermuti-gendes Zeichen neben vielen anderen, die aus diesen Be-richten hervorgingen, war, dass sich bei beiden Veran-staltungen sehr viele junge Leute als Freiwillige für dieVorbereitung und Durchführung verdingt haben. Das be-weist, dass wir mit dem hier gewählten Ansatz der Frei-willigendienste – nicht nur für junge Leute, sondern ge-nerationsübergreifend und mit einer internationalenDimension – auf dem richtigen Weg sind.

Ich freue mich in diesem Sinne auf eine gute weitereBeratung und danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerk-samkeit.

(Beifall im ganzen Hause)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Jutta Dümpe-

Krüger, Bündnis 90/Die Grünen.

Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ju-gendliche sind engagiert, motiviert und packen vor allenDingen da mit an, wo es ihnen selbst sinnvoll erscheint.Für uns Erwachsene bedeutet das, dass wir sie da abho-len müssen, wo sie stehen. Das machen wir mit unseremAntrag zur Zukunft der Freiwilligendienste. Denn diewichtigste Forderung in diesem Antrag ist: Wir wollenverbesserte Rahmenbedingungen für die klassischen, ge-setzlich geregelten Freiwilligendienste und die Aus-landsdienste schaffen, um sie nachhaltig weiterzuentwi-ckeln.

Wir wollen vor allen Dingen die Jugendfreiwilligen-dienste ausbauen, und zwar auf die 30 000 Plätze, dieuns die Träger angeboten haben. Wir wissen, dass derBedarf noch weitaus größer ist. Im freiwilligen sozialenJahr und im freiwilligen ökologischen Jahr ist die Nach-frage momentan drei- bis viermal so hoch, wie über-haupt freie Plätze zur Verfügung stehen.

Ich meine, es ist ein schöner und großer Erfolg, dassdie vier Fraktionen dieses Hauses hier und heute – biswei-len mit Abstrichen – letztendlich hinter dem Beschlussstehen, die Freiwilligendienste für junge Menschen aus-zubauen. Ich möchte unmissverständlich deutlich ma-chen: Nicht nur wir, sondern auch die jungen Leute, dieTräger und die Einsatzstellen erwarten von der Bundesre-

gierung einen großen und forschen Schritt, um jugendli-ches Engagement weiter voranzubringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie des Abg. Dr. AndreasScheuer [CDU/CSU] und der Abg. Ina Lenke[FDP])

Auch die Länder sind hier in der Pflicht. Denn einesist doch klar bewiesen: Wer früh lernt, sich bürgerschaft-lich zu engagieren, der bleibt in der Regel, wenn er älterwird, in diesem Bereich aktiv. Diesen Grundstein für un-sere Gesellschaft können wir gar nicht früh genug legen.

Das freiwillige soziale Jahr gibt es seit 1964 und dasfreiwillige ökologische Jahr seit 1993. Seitdem habensich für diese ganz besondere Form des bürgerschaftli-chen Engagements mehr als 300 000 Jugendliche ent-schieden.

Im freiwilligen sozialen Jahr waren zunächst vor allenDingen Krankenhäuser, Altenheime, Einrichtungen fürKinder und Jugendliche und Einrichtungen für Men-schen mit Behinderungen die klassischen Einsatzfelder,in denen sich junge Menschen engagiert haben. Durchdie rot-grüne Bundesregierung sind die Einsatzfelder er-heblich erweitert worden. Seit 2002 können junge Frei-willige auch ein FSJ in den Bereichen Kultur, Sport, Me-dien oder beim Denkmalschutz leisten. Das hat nocheinmal einen Attraktivitätsschub gegeben, vor allen Din-gen für junge Männer.

Das freiwillige ökologische Jahr ist ein attraktiverFreiwilligendienst für all diejenigen, die sich bewusstdazu entschlossen haben, sich für eine lebenswerte Um-welt zu engagieren. Gleichzeitig lernen sie dabei, ökolo-gische und umweltpolitische Zusammenhänge besser zuverstehen. FÖJler engagieren sich rund um den grünenBereich, das heißt vom Einsatz im Nationalpark bis hinzur Untersuchung von Schadstoffen im Labor.

Auch die Auslandsdienste im FSJ und FÖJ boomen.In diesem Bereich können und wollen wir ebenfallsmehr tun. Auch das bringen wir in unserem gemeinsa-men Antrag zum Ausdruck. Wir fordern nämlich, dassauch die Auslandsdienste nachhaltig weiterentwickeltund ausgebaut werden. Wir fordern außerdem die Har-monisierung sozialrechtlicher und aufenthaltsrechtlicherBestimmungen für Freiwilligendienste im außereuropäi-schen Ausland und in Europa.

Was macht die Jugendfreiwilligendienste so attraktiv?Ich meine: Es ist die spannende Mischung aus neuen undwichtigen Lernerfahrungen, durch die sich Jugendlicheweiterentwickeln und an Selbstständigkeit gewinnen. Esist auch das Gefühl, etwas bewirken zu können und Ver-antwortung zu übernehmen. Wichtig ist auch der Kon-takt zu anderen, gleich gesinnten Jugendlichen aus demIn- und Ausland, die man kennen lernt und mit denenman Freundschaften schließen kann. Es kommt dahernicht von ungefähr, dass 91 Prozent der jungen Men-schen ihr FSJ oder FÖJ mit der Note sehr gut oder gutbeurteilen. Das hat auch mit guten Rahmenbedingun-gen wie einem ordentlichen Vertragsverhältnis, pädago-gischer Begleitung und Versicherungsschutz zu tun.

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Jutta Dümpe-Krüger

Ich finde es super, dass sich auch vor dem Hintergrundunseres gemeinsamen Antrages die Bundesarbeitskreisedes freiwilligen sozialen Jahres und des freiwilligen öko-logischen Jahres erstmals zu einer gemeinsamen Aktionzusammengetan haben, die viele Kolleginnen und Kolle-gen aus allen Fraktionen unterstützen. Unter dem Motto„Sympathiekampagne 2005 – Freiwilligendienste haut-nah“ haben sie die Öffentlichkeit und auch alle Abgeord-neten des Deutschen Bundestages eingeladen, sich direktvor Ort über den gesellschaftlichen Wert von Freiwilli-gendiensten zu informieren oder – besser noch – sich ak-tiv zu beteiligen und die Begeisterung junger Menschenin ihren Freiwilligendiensten sozusagen hautnah mitzu-erleben.

Ich kann nur sagen: Raus in die Einsatzstellen! Es istunglaublich spannend. Bisweilen ist es ratsam, man hatGummistiefel oder Turnschuhe dabei. Die Einsatzmög-lichkeiten sind vielfältig; da kann man echt ins Staunenkommen. Ich glaube, wir alle können vor Ort noch eineMenge lernen.

(Anton Schaaf [SPD]: Das ist immer so!)

Woher soll das Geld für den Ausbau der klassischenJugendfreiwilligendienste kommen? Wir Grünen ma-chen dazu eine ganz klare Ansage – sie unterscheidetsich von dem, was Herr Dörflinger gesagt hat –: aus denMitteln des Zivildienstes. Warum ist das logisch undkonsequent? Wir haben bereits mit der Änderung des Zi-vildienstgesetzes in 2002 in einem ersten Schritt Mitteldes Zivildienstes in den Bereich der Freiwilligendienstetransferiert. Seitdem ist es nämlich nach § 14c ZDGmöglich, einen gesetzlich geregelten Freiwilligendienstanstelle des Zivildienstes zu machen. Und siehe da: Seitdieser Zeit haben immer mehr Kriegsdienstverweigererein FSJ oder FÖJ statt ihres Zivildienstes gemacht. Inden Jahren 2003 und 2004 leisteten 6 500 junge Männerein FSJ oder FÖJ nach § 14c ZDG.

Mit dem In-Kraft-Treten des 2. Zivildienständerungs-gesetzes im Oktober 2004 sind wir einen weiterenSchritt in die richtige Richtung gegangen. So gilt nunzum Beispiel hinsichtlich der Tatbestände zur Befreiungder Wehrpflicht bzw. des Zivildienstes, dass alle, derenzwei Geschwister ein FSJ oder FÖJ von mindestensneun Monaten geleistet haben, keinen Wehr- oder Zivil-dienst mehr leisten müssen. Diese Entwicklungen ma-chen deutlich: Wir setzen von Anfang an auf eine starkeZivilgesellschaft. Auch darum sind Freiwilligendiensteim Gegenatz zum Auslaufmodell Zivildienst ein Zu-kunftsmodell. Das sehen übrigens auch Fachleute so. Ichzitiere die Mitgliedsverbände der Zentralstelle des KDV:

Die heutigen Zivildienstplätze dürften schnell inPlätze des Freiwilligen Sozialen und ÖkologischenJahres umgewandelt werden können. Freiwilligeauf diesen Plätzen werden damit mindestens in ei-ner Übergangszeit faktisch die bisher durch Zivil-dienstleistende erbrachten sozialen Tätigkeitenübernehmen.

Jugendfreiwilligendienste sind eine ganz besondereForm bürgerschaftlichen Engagements. Allen jungenLeuten draußen im Land, die eine Unterschriftenaktion

für den Ausbau dieser Dienste gestartet und die inner-halb kürzester Zeit Hunderte von Unterschriften, undzwar aus allen Bundesländern – täglich werden es mehr:momentan hat Bayern die Nase vorn,

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Dass wirin Bayern von Ihnen einmal gelobt werden –unglaublich!)

aber ich bin sicher, dass NRW noch aufholt –, gesam-melt haben, sage ich: Heute ist ein ganz besonderer Tagfür die Jugendfreiwilligendienste in Deutschland. Dennalle Fraktionen des Bundestages machen sich dafürstark, dass euer Wunsch an die Bundesregierung in Er-füllung gehen wird – für euch und für uns alle.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDP-

Fraktion.

Ina Lenke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Freiwilli-

gendienste und damit bürgerschaftliches Engagementvoranzubringen ist – das haben wir ja gehört – der Inhaltdieses Antrags. Die FDP unterstützt den Ausbau von Ju-gendfreiwilligendiensten und auch von, jetzt ganz neu,generationsübergreifenden Freiwilligendiensten. Wir brau-chen nun aber neue Konzepte, die zukunftsfähig sind.Das wird deshalb nicht der letzte Antrag sein; von denverschiedenen Fraktionen wird in den nächsten Monatensicher noch eine Weiterentwicklung ausgehen.

Dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages demAntrag im Prinzip zustimmen, Herr Dörflinger, finde ichsehr gut. Ich bedanke mich noch einmal bei unseremKollegen Schaaf, der heute nicht spricht, dass er so ko-operativ war.

(Anton Schaaf [SPD]: Das ist auch sonst gar nicht meine Art! – Heiterkeit)

– Es ist sonst auch nicht unsere Art, uns gegenseitig zuloben.

(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Das ist auch bald wieder zu Ende!)

Diesmal musste es aber sein, Herr Schaaf.

Die FDP begrüßt die Erhöhung der Zahl der Plätzefür Freiwilligendienste für junge Leute auf 30 000. Dasist ein willkommener Anlass, darauf hinzuweisen, dassbei den Jugendlichen bereits ein sehr hohes Interesse anFSJ und FÖJ besteht. Von Frau Dümpe-Krüger habenwir gehört, wie das Dach des freiwilligen sozialen Jahresauch für Kultur und Sport genutzt werden kann. FrauDümpe-Krüger, Sie sagten, dass es für manche Plätzedrei bis vier Bewerber gibt. Das zeigt, dass das Interessesehr groß ist. Insofern ist meine Position recht ähnlichwie Ihre und die der Grünen: Auch wir wollen, dassbeim Zivildienst nicht immer gekürzt wird, um den

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Ina Lenke

Haushalt von Herrn Eichel etwas zu entlasten, sonderndass das Geld für die Umgestaltung des Zivildienstes inandere Dienste verwendet wird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Dörflinger, Ihnen möchte ich gerne sagen, dassin Deutschland die Arbeitgeber, wenn sich ein jungerMann – oder auch eine junge Frau – bewirbt, schonschauen, was er neben seiner Ausbildung gemacht hat.Hat er ehrenamtlich gearbeitet? Hat er sich vielleicht inJugendorganisationen von politischen Parteien enga-giert? All das sind, glaube ich, Pluspunkte für ihn, wenner in den schwierigen Zeiten von heute, in denen die Ar-beitslosigkeit so groß ist, einen Job bekommen will.Denn er will sich ja in unsere Gesellschaft einbringen.Auch das gehört dazu, wenn man seinen Beruf sehr gutausüben will.

Aufgrund Ihres Antrages möchte ich auf die Möglich-keit hinweisen, dass statt des Zivildienstes auch das FSJund das FÖJ abgeleistet werden können. Das ist, FrauDümpe-Krüger, nicht allen Jugendlichen bekannt. Hie-rüber sollte die Bundesregierung wesentlich mehr infor-mieren.

Die Bundesregierung sollte zum Beispiel über Home-pages aber auch über etwas Weiteres informieren: Wehr-pflicht und Zivildienst können heute – auch das ist ge-setzlich geregelt – zeitlich in Abschnitten abgeleistetwerden. Wenn ich in Schulen gehe, stelle ich fest, dassdie jungen Leute über diese Möglichkeit gar nicht infor-miert sind. Diese Möglichkeit bedeutet: Wenn man Stu-dent ist und die neun Monate des Wehr- oder Zivildiens-tes absolvieren will, verliert man nur ein Semester undkeine zwei, wenn man seinen Dienst stückelt. Ichglaube, es ist wichtig, dass wir, wenn wir zu Diskus-sionsveranstaltungen gehen, darüber Auskunft geben.Auch dazu bietet der vorliegende Antrag eine guteGrundlage.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Antrag ist die Entwicklung vom Zivil-dienst hin zu Freiwilligendiensten klar erkennbar. Wiralle wollen ja die außerordentlich gute Arbeit der Zivil-dienstleistenden in eine breite Palette freiwilligen bür-gerschaftlichen Engagements in geordneter Form über-führen. Die Einrichtungen, die Zivildienstleistendebeschäftigen, orientieren sich – das wissen wir – schonjetzt um und ermöglichen vermehrt den FSJ-Dienst.

Schon die damalige Arbeitsgruppe, die die vorherigeFamilienministerin Anfang 2000 ins Leben gerufen hat,stellte fest, dass Veränderungen notwendig und wün-schenswert sind, um den Ertrag des Zivildienstes nichtnur für die nächsten Jahre zu sichern, sondern auch An-sätze zu schaffen, wertvolle Aufgabenfelder des Zivil-dienstes als wichtige Lernfelder von jungen Menschenunabhängig vom Zivildienst aufzubauen. Die neue Kom-mission „Impulse für die Zivilgesellschaft“, FrauHanewinckel, hat die Wichtigkeit dieser generations-übergreifenden Dienste hervorgehoben.

Die Debatten von heute sind wichtig, damit beimWegfall des Zivildienstes für die Bürger und Bürgerin-nen nicht die Welt zusammenbricht. Denn wir wissen,dass es viele Ängste gibt: Wenn es keine Zivildienstleis-tenden mehr in den entsprechenden Einrichtungen gibt,dann fehlt die zusätzliche Zuwendung durch Zivildienst-leistende. In dieser Debatte sollten wir sehr deutlich sa-gen, dass wir in der Politik darauf achten, dass so etwasnicht passiert. Wir wollen solchen Menschen durch ei-nen Mix von vielen verschiedenen Möglichkeiten hel-fen.

Ein Wort zu den generationsübergreifenden Diens-ten. Das freiwillige Ehrenamt endet nicht – das hat FrauDümpe-Krüger schon gesagt – bei einer bestimmten Al-tersgrenze. Ich komme aus einem Ort in Niedersachsenmit 15 000 Einwohnern. Männer, die ihr Berufslebenschon mit 55 oder 60 beendet haben, haben kaum An-knüpfungspunkte und wissen nicht, an wen sie sich wen-den und was sie machen sollen. Wir haben Sportvereine,den Kirchenvorstand, einen Gesangsverein. Aber die Pa-lette des bürgerschaftlichen Engagements ist wesentlichgrößer. Die demographische Entwicklung zeigt, dass wirnicht immer nur die jungen Leute auffordern sollten. Wirhaben ein Stück Eigenverantwortung, dass auch wir inunserem Alter vielleicht einmal etwas Ehrenamtlichesmachen

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

und dies nicht immer nur den jungen Leuten überlassen.

Meine Redezeit ist leider sehr begrenzt. Ich habe zumSchluss noch einen Appell – das ist ein sehr ernsthafterAppell –: Bundes- und Landespolitiker sollten demPflichtdienst für junge Menschen nicht mehr das Wortreden.

(Beifall bei der FDP sowie der Abg. JuttaDümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN])

Es muss endlich Schluss damit sein, zu sagen: Wir müs-sen alle jungen Männer und Frauen verpflichten. Diemüssen etwas lernen; die müssen sich ehrenamtlich betä-tigen. Wir sehen doch, dass es in einer liberalen Bürger-gesellschaft mit dem freiwilligen Engagement viel bes-ser geht. Ich bitte Sie sehr herzlich, Ihre Kollegen daraufaufmerksam zu machen, dass sie dann, wenn wieder ein-mal jemand die komische Idee eines Pflichtjahrs für allejungen Menschen hat, einen Punkt setzen und genau wiebei dem vorliegenden Antrag sehr eindeutig ihre Mei-nung sagen sollten. Denn die ist besser und wichtigerund wird eine Zukunft haben und nicht die andere Mei-nung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas Weigel,

SPD-Fraktion.

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Andreas Weigel (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Lenke, Pflichtdienste sind nicht das, was wirwollen. Deswegen ist es sehr wichtig, gerade heute hierüber die Freiwilligkeit zu sprechen. Ich denke, diesemPrinzip gehört die Zukunft. Man merkt es an dem An-trag: Wir sind einer Meinung. Das ist gut für dieses Hausund für uns; für die Debatte ist es vielleicht nicht ganz sogut, weil sie dadurch harmonischer und nicht kontroversgeführt wird.

(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Wir können auch anders!)

Aber wir sollten uns darüber auch hier aussprechen unddiskutieren.

Was wir heute hier vorgelegt haben, hat eine klareAussage: Freiwilligendienste sind ein wichtiger Bausteinfür unsere Zivilgesellschaft. Bürgerinnen und Bürger,junge wie alte Menschen – für sie ist es selbstverständ-lich mitzumachen und sie verdienen unsere Unterstüt-zung. Mit der jetzt vorliegenden Beschlussempfehlungsoll der Gesetzgeber angestoßen werden, konkrete Maß-nahmen zur Weiterentwicklung der Freiwilligendiensteumzusetzen. Die Beschlussempfehlung ist die Fortset-zung von Initiativen, die Rot-Grün im Sinne der Stär-kung von Freiwilligendiensten bereits eingeleitet hat.

So wurden zuletzt im Jahre 2002 hier im Plenum Än-derungsgesetze verabschiedet und die Rahmenbedin-gungen für Freiwilligendienste im In- und Ausland fle-xibilisiert. Damit wurde ein weiterer Ausbau derFreiwilligendienste gefördert.

In dieselbe Richtung zielt auch der Antrag, den wirheute beschließen werden. Ich freue mich sehr, dass alleFraktionen des Deutschen Bundestages den Antrag jetztmittragen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein gemeinsamer Beschluss des ganzen Bundestagessetzt ein sehr deutliches Zeichen der Anerkennung; dasist ein richtiges und wichtiges Signal für die Freiwilli-gendienste. Denn leider genießen Freiwilligendiensteeben nicht die Anerkennung und vor allem nicht die öf-fentliche Wahrnehmung, die sie verdienen. Auch dage-gen wollen wir mit den Forderungen, die im Antrag ste-hen, etwas tun. Einerseits wollen wir der hohenNachfrage in den bereits existierenden Freiwilligenpro-grammen besser Rechnung tragen; andererseits sollenneue Zielgruppen und Einsatzfelder für Freiwilligen-dienste erschlossen werden. Die Einrichtung von Mo-dellprojekten ist dazu ein erster Schritt, der bereits um-gesetzt wird. Zur Erprobung generationsübergreifenderFreiwilligendienste haben die Trägerorganisationen Pro-jektvorschläge eingereicht, Projektvorschläge, derenVielzahl und innovativer Charakter beeindruckend sind.Auch haben die Trägerorganisationen des freiwilligensozialen Jahres angeboten, die Anzahl der FSJ-Plätze in-nerhalb kurzer Zeit auf 30 000 pro Jahr zu erhöhen. Jetztmuss der Bund die finanzielle Förderung entsprechendanpassen. Auch das steht in unserem Antrag.

Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhangauch die internationalen Freiwilligendienste. Bei denAuslandsdiensten ist die Nachfrage nach Freiwilligen-plätzen besonders hoch. Das Angebot ist aber begrenzt.Auch hier wäre eine Anhebung des Fördervolumenswünschenswert. Denn die Erfahrung zeigt: Gerade imSinne intensiver interkultureller Begegnung leisten dieinternationalen Freiwilligendienste schon jetzt Pionierar-beit. Um auch der Bedeutung der Freiwilligendienste imAusland besser gerecht zu werden, haben wir die ur-sprüngliche Fassung unseres Antrages ergänzt.

Mit Beschluss dieses Antrages ist die Arbeit natürlichnoch lange nicht getan; schließlich ist der Antrag in ers-ter Linie als „to do“-Liste zu verstehen. Er enthält zahl-reiche Prüf- und Arbeitsaufträge.

Mir persönlich ist der letzte Abschnitt besonders wich-tig. Darin fordern wir die Regierung auf, die Einrichtungeines eigenständigen Haushaltstitels und die Vorlage ei-nes Rahmengesetzes für Freiwilligendienste auf Bundes-ebene zu prüfen. In beiden Maßnahmen sehe ich eine er-hebliche Chance, die Wahrnehmung und Anerkennungvon Freiwilligendiensten nachhaltig zu verbessern. Einaus dem Kinder- und Jugendplan ausgegliederter Haus-haltstitel würde Freiwilligendienste sichtbarer machensowie Kontinuität und Planungssicherheit für alle Betei-ligten erhöhen. Ein Freiwilligendienstegesetz könnte zurKlärung des Rechtsstatus für alle Freiwilligen beitragen.Dazu kann auf bestehende Bundesgesetze zum freiwilli-gen sozialen und zum freiwilligen ökologischen Jahr auf-gebaut werden.

Ich verspreche mir davon zweierlei: Erstens würdeein rechtlich definierter Status ermöglichen, dass Frei-willige Anerkennung durch konkrete materielle Vorteileerfahren, wie zum Beispiel die finanzielle Ermäßigungbei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Zweitens dürfte eine Verrechtlichung dazu beitragen,dass Freiwillige ihre während des Dienstes erworbenenKompetenzen und Qualifikationen leichter nachweisenund somit für ihren weiteren Lebensweg besser nutzbarmachen können.

In diesem Zusammenhang kommt auch der Definitioneindeutiger Qualitätsstandards für Freiwilligendiensteeine wichtige Rolle zu. Im Jahr 2004 wurden Trägeror-ganisationen erstmals mit einem neu entwickelten Quali-tätssiegel ausgezeichnet, dem so genannten Quifd-Sie-gel. Dieses Siegel sollte ähnlich bekannt gemachtwerden wie das Logo der Stiftung Warentest. – Mit Ge-nehmigung des Präsidenten möchte ich es kurz zeigen.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe es zwar nicht gesehen, aber das ist in Ord-

nung.

(Heiterkeit im ganzen Hause – Anton Schaaf [SPD]: Es ist jugendfrei!)

Andreas Weigel (SPD): Wir werden im Vorfeld einer umfassenden rechtlichen

und gesetzlichen Regelung über die Frage der Zuständig-keit des Bundes diskutieren und diese klar beantworten

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Andreas Weigel

müssen. Eine bundeseinheitliche Regelung dürfte in die-sem Fall ganz im Interesse aller Beteiligten sein. Ichwürde es sehr begrüßen, wenn wir uns im Zuge der wei-teren Überlegungen erneut auf ein gemeinsames, frak-tionsübergreifendes Vorgehen einigen könnten. Ange-messen wäre es diesem Thema allemal.

Auch ich möchte abschließend die Zusammenarbeitzwischen den Berichterstattern der verschiedenen Frak-tionen würdigen und insbesondere unseren KollegenToni Schaaf erwähnen, der durch sein Bemühen sehrdazu beigetragen hat, dass wir eine gemeinsame inhaltli-che Basis gefunden haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetender FDP – Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]:Dann müssen Sie uns auch einmal loben!)

Besonderen Dank möchte ich auch jenen Vertreterinnenund Vertretern der Träger von Freiwilligendiensten so-wie allen aktiven und ehemaligen Freiwilligen ausspre-chen, die zur Erarbeitung dieses Antrags konstruktiv bei-getragen haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sieuns gemeinsam an der Umsetzung dieses Antrags arbei-ten. Die Freiwilligendienste sind es wert, dass wir wei-terhin zusammenarbeiten.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Dr. Andreas Scheuer,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich wollte anfangs die gute und konstruktive Kom-munikation zwischen den Berichterstattern hervorheben.Da das bereits jeder meiner Vorredner getan hat, mussder Kollege Anton Schaaf aufpassen, dass er nicht ab-hebt. Deswegen mache ich es nur indirekt: Anton, dieZusammenarbeit war völlig okay.

Spaß beiseite. Die Opposition im Deutschen Bundes-tag ist kritisch, an der richtigen Stelle aber auch kon-struktiv, nämlich dann, wenn es den Beteiligten hilft.Von daher haben wir einen fairen Umgang erlebt und dieKommunikation war gut. Das könnten wir eigentlich öf-ter so machen.

Aber uns ist auch klar, dass das zuständige Ministe-rium die Wünsche des Parlaments umsetzen muss. Hierwird die CDU/CSU sehr genau hinschauen; denn dieSchwerpunkte, die die Koalitionsfraktionen und dieBundesregierung beim Thema Freiwilligendienste ge-setzt haben, waren bis dato, um es vorsichtig auszudrü-cken, etwas anders gelagert. Das werden wir, wenn einegewisse Zeit vergangen ist, noch einmal analysierenmüssen.

Die bürgerschaftlich Engagierten, die Aktiven leistenfür unsere Gesellschaft einen herausragenden Dienst. Sie

bringen sich ein und verkörpern eine solidarische Leis-tungsgesellschaft, in der ein Zusammenspiel von Rechtenund Pflichten besteht und in der mehr Teilkaskomentalitätmit Eigenverantwortung und weniger Vollkaskomentali-tät mit staatlicher Rundumversorgung vorherrschen. Ichglaube, das muss auch der Weg in die Zukunft sein.

Heute debattieren wir über einen besonderen Teil desbürgerschaftlichen Engagements, die Freiwilligendienste.Neben den vielen älteren Menschen, die ihre Potenzialeauf diesem Gebiet für unsere Gesellschaft einbringen,möchte ich insbesondere die jungen Freiwilligen hervor-heben. Die Bewerberzahlen zeigen – das wurde bereitsangesprochen –: Die Nachfrage nach Plätzen in Jugend-freiwilligendiensten ist hoch. Es mag an den Problemenin der Wirtschaft insgesamt und auf dem Arbeitsmarktliegen, ausgelöst durch eine miserable Politik von Rot-Grün,

(Nicolette Kressl [SPD]: Jetzt hat er das Lob zurückgenommen!)

dass junge Menschen hier eine Chance sehen, wenn siekeinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz bekommen. Dassdie Konzepte von Rot-Grün falsch sind, hat die Debatte,die wir am heutigen Vormittag zum Themenbereich Ju-gend geführt haben, gezeigt.

Was ich hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass essehr viele junge Bewerber für Freiwilligendienste gibt.Unsere Jugend will sich in die Gesellschaft einbringenund etwas leisten. Dass auf jeden Freiwilligendienstplatzrund drei Bewerber entfallen, spricht eine deutlicheSprache. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion findet esausgesprochen begrüßenswert, dass sich so viele jungeMenschen für Ehrenamt und Freiwilligendienste interes-sieren; das ist eine Investition in die Zukunft unserer Ge-sellschaft. Unser Staatsgefüge wäre schlimm dran, wennes dieses Engagement nicht gäbe. Deshalb tragen wir Ih-ren Antrag mit, wenn auch mit der Einschränkung desPunktes II; mein Kollege Dörflinger hat ja schon daraufaufmerksam gemacht.

Ich möchte etwas vielleicht Lustiges von den Bera-tungen im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engage-ment“ erzählen. Jetzt meinen manche der Kollegen, dienicht in diesem Ausschuss sitzen, vielleicht: Oh, jetztwird es langweilig; im Gegenteil, meine Damen undHerren. Als Abgeordneter will man sich ja stets gut in-formieren und auf die Beratung im Ausschuss vorberei-ten. Man wundert sich, wenn die dazu notwendigen Un-terlagen aus dem Ministerium nicht geliefert werden.Man geht dann schon etwas grimmig in seine Sitzung.Und oh Wunder, zu diesem Punkt werden zwei armeMitarbeiter aus dem Ministerium vorgeschickt, weil derzuständige Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer anschei-nend nicht den Mumm gehabt hat, Rede und Antwort zustehen.

Dann erklären manche Abgeordnete, dass die Unter-lagen in den Postfächern – ganz zufällig und bei allenKollegen auf einmal – verschwunden sind, unauffindbar.Es geht dabei um die Projekte zu den generationsüber-greifenden Freiwilligendiensten, Volumen 10 MillionenEuro. Nach unseren heftigen Protesten – dankenswerter-

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Dr. Andreas Scheuer

weise, wenn auch etwas dosiert, auch von den Kollegin-nen und Kollegen von SPD und Grünen unterstützt – hatder Mitarbeiter des Ministeriums plötzlich – was er vor-her bestritten hat – aus seinem hohen Stapel doch – wie-derum ganz zufällig – eine Liste von 50 Projekten her-vorgezaubert. Alle Projekte sind Anfang April gestartet.Dabei hat der zuständige Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer genau gewusst, dass wir bis dahin keine Sitzungs-woche mehr haben würden und darüber deshalb erstEnde April im Ausschuss beraten können.

Dahinter vermutet man eine gewisse Methodik. Ichmöchte die Frage stellen, was er da zu verbergen gehabthat. Warum informieren Sie das Parlament nicht recht-zeitig über die Verteilung von 10 Millionen Euro? Aufunsere Nachfrage konnte uns kein Katalog der Förder-kriterien genannt werden, gesagt wurde nur ganz vage:Zeitlich müssen die halt flexibel sein. Nicht beantwortetwurde, ob das im Haushalt veranschlagte Geld reichtoder nicht, mit wie viel die einzelnen Projekte gefördertwerden usw.

Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion forderndie Bundesregierung und das zuständige Bundesministe-rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf, unseinen Kriterienkatalog vorzulegen, die Höhe der Förde-rung für die einzelnen Projekte genau darzustellen undweitere genaue Erläuterungen zu geben. An die Adressevon Herrn Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer – FrauStaatssekretärin Riemann-Hanewinckel wird ihm das si-cher weiterleiten –: Wir fordern, dass Sie in der nächstenAusschusssitzung Rede und Antwort stehen. Machen Siegefälligst Ihre Arbeit ordentlich, damit die gute Sacheder Freiwilligendienste nicht unter Ihren Fehlern leidet!Wir sind die gewählten Vertreter der Bürgerinnen undBürger und haben das Recht, zu wissen, was mit demGeld der Bürger – in diesem Fall 10 Millionen Euro –gemacht wird.

Meine Damen und Herren, eine überaus hohe Anzahlvon jungen Frauen bringt sich durch Freiwilligendienstefür die Gesellschaft ein. Eine Tatsache ist auch, dass vorallem junge Menschen mit höherem Schulabschlussdiese Angebote wahrnehmen. Für Hauptschüler müssenwir die Attraktivität der Freiwilligendienste also noch zuerhöhen versuchen. Freiwilligendienste bieten Charak-terbildung und Orientierung, tragen zur Qualifizierungim Bereich der Werte und der Schlüsselkompetenzenbei. Frau Kollegin Lenke hat ja schon darauf verwiesen,dass das für den Einstieg ins Berufsleben entscheidendsein kann und die Unternehmen ein gesteigertes Inte-resse daran haben, dass sich junge Bewerber auf eigeneKosten und freiwillig weiterbilden.

Gerade bei der Ausbildungsplatzknappheit könnenFreiwilligendienste jungen Menschen einen wichtigenAnker bieten, ohne dass dieses Freiwilligenjahr zu einerregelrechten Warteschleife werden darf; darin sind wiruns, wie ich glaube, auch alle einig. Mit dieser Initiativebeleben wir die Diskussion neu: hin zu einer Kultur desgenerationenübergreifenden Helfens.

Was sind die Erwartungen junger Menschen an einefreiwillige Tätigkeit? Eine Umfrage unter 14- bis 24-Jäh-rigen hat ergeben: Es muss Spaß machen – dies sagen

93 Prozent –, Kontakte zu Menschen knüpfen – 83 Pro-zent –, eigene Erkenntnisse und Erfahrungen erweitern– 74 Prozent –, anderen Menschen helfen – 70 Prozent –,etwas fürs Gemeinwohl tun – 70 Prozent – usw. Das sinderfreuliche Zahlen. Das heißt, dass wir ein positivesKlima über unsere Jugend in Deutschland vermitteln soll-ten. Sie ist leistungsbereit, wissbegierig und freiwillig en-gagiert.

(Ina Lenke [FDP]: Jawohl!)

Bei den vielen jungen Herrschaften, die heute unsereDebatte verfolgen, kann man nur dafür werben, sichauch freiwillig zu engagieren, sich zu überlegen, einFreiwilligenjahr einzulegen.

Es ist auch klar, dass wir die Freiwilligendienste kei-ner Altersgrenze unterwerfen dürfen. Die Botschaftmuss lauten: Wer sich engagiert, gewinnt, egal welchenAlters. Wir bauen dabei auch auf die Erfahrungen der äl-teren Menschen in unserem Land. Die Entwicklungneuer, generationsübergreifender Freiwilligendienste er-fordert aber auch Veränderungen in der Trägerorganisa-tion und in den Einsatzstellen sowie eine weitere Öff-nung der Einsatzbereiche.

Meine Damen und Herren von Rot-Grün, für solcheInitiativen ist meine Fraktion immer offen. Man mussauch dazu sagen: Vielleicht kann das für manchenHauptschüler – die Zahlen belegen leider, dass sie diesesfreiwillige Jahr nicht so oft in Anspruch nehmen – aucheine Hilfe zur Selbsthilfe und zur Weiterbildung sein.Wir müssen vielleicht noch einmal gemeinsam daran ar-beiten, dass sich gerade auch die Jugendlichen mit einemgeringeren Schulabschluss hier mehr engagieren.

Bei Punkt II, wonach so genannte Nichtheranzie-hungsgründe für den Zivildienst verstärkte Anerkennungfinden sollten, werden wir nicht mitmachen. KollegeDörflinger ist darauf eingegangen.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hatdie Aufgabe, 2006 einen Bericht vorzulegen. Normaler-weise ist Papier ja geduldig. Wir als Opposition werdenaber genau hinschauen. Schließlich müssen wir mit demBericht nach der Bundestagswahl 2006 weiterarbeiten.

(Anton Schaaf [SPD]: Als Opposition!)

– Nein, als Regierung werden wir mit dem Bericht wei-terarbeiten müssen, Herr Kollege Schaaf. – Wir werdenauch genau hinschauen, ob das Ministerium die Freiwil-ligendienste gemäß der Haltung des Parlaments aus- undumbaut. Vor der Veröffentlichung dieses Berichts rateich der Bundesregierung und der Koalition – die in die-sem Fall Kontrahenten sind –, sich in ihrer Auffassungüber die Schwerpunktlegung einig zu werden; denn wirwerden bei der Analyse genau hinschauen und uns denBericht ganz genau vornehmen.

Der vorliegende Antrag ist für uns weitgehend tragfä-hig. Machen Sie im Sinne unserer Engagierten und deram Engagement Interessierten etwas daraus.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

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Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält die

Kollegin Ute Kumpf für die SPD-Fraktion das Wort.

Ute Kumpf (SPD): Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal finde ich es erfreulich, dass sich dieOpposition bei den Beratungen zu diesem Antrag, dervor dem Tag des Ehrenamtes im Dezember eingebrachtwurde, gemeinsam mit uns auf diesen Weg begeben hatund bereit ist – wenn vielleicht auch nur in Teilen, wiedie CDU/CSU –, diesen Antrag zu unterstützen. HerrDr. Scheuer, das ist jetzt auch ein Lob an Sie und anHerrn Dörflinger.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Danke!)

Ich glaube, wir alle sind gut beraten, die Bürgergesell-schaft nicht für parteitaktische Spielchen zu benutzen.Wir Abgeordnete loben bei unseren Sonntagsreden näm-lich immer, wie toll alles ist. Sie kennen das aus IhremWahlkreis. Wenn ich hier nach oben schaue, dann seheich, wie viele junge Menschen hier sind. Meine Besu-chergruppe ist gerade von der Tribüne gegangen, wasschade ist. Diese Gruppe, ein Jugendorchester des Mu-sikvereins Stuttgart-Hofen, zeichnet sich aus durch ihrmusikalisches Engagement, die Lebensqualität in Stutt-gart zu erhöhen. Die Mitglieder bringen sehr viel ehren-amtliches Engagement ein und vollziehen freiwillig ihreDienste wie so viele andere auch. Wir, die SPD, undauch die Regierungskoalition haben dafür gesorgt, dassauch im Bereich des Jugendfreiwilligendienstes neueEinsatzfelder möglich gemacht wurden. Ich denke insbe-sondere an das ökologische Jahr und an den Bereich derKultur.

Wir alle wissen und betonen es auch immer wieder,wie toll das ist und dass es sich für die jungen Menschen,die sich engagieren, lohnt. Darüber hinaus betonen wirauch immer, wie toll das für uns, die Gesellschaft, ist. Ir-gendwann einmal kommt es dann aber zum Bruch. Sievon der Opposition haben hier einiges zitiert. Wir habenvon Ihnen heute gehört, dass das Engagement in derBürgergesellschaft da ist. Ich hoffe, dass das von uns al-len hier im Hause durch eine entsprechende Unterstüt-zung in Form von Gesetzen politisch begleitet wird.

Ich möchte ganz gerne einige Ausführungen vonHerrn Dörflinger und Herrn Scheuer korrigieren. Es istnicht so, dass das Engagement zurückgegangen ist. Siekennen die Zahlen vom zweiten Freiwilligensurvey. DerMinisterin und ihrem Haus ist zu danken, dass diesesüberhaupt wieder durchgeführt wird. Es zeigt sich, dassdas Engagement insgesamt von 34 Prozent auf36 Prozent gestiegen ist. Letztes Mal haben wir bereitsgeschaut, wie es vor allem bei den aktiven Älteren aus-sieht. Auch dort gibt es inzwischen einen Zuwachs anEngagement. Wenn wir es uns genauer betrachten, dannsehen wir, dass es bei den 56- bis 65-Jährigen einen Zu-wachs von 36 Prozent auf 40 Prozent gibt.

Erstaunlich ist – das freut uns natürlich –, dass auchbei den 66- bis 75-Jährigen, also den aktiven Alten, einZuwachs zu verzeichnen ist. Besonders schön ist, dass

auch die Zahl der Engagierten bei den über 76-Jährigenzugenommen hat. Das ist für uns ein Indiz dafür, dasswir dieses Engagement abholen und mit neuen Formenbegleiten müssen.

Wir brauchen dieses Engagement, um eine solidari-sche Gesellschaft zu entwickeln; das haben auch Sie be-tont, Herr Dörflinger. Wir brauchen nicht nur einenquantitativen Ausbau der Freiwilligendienste, sondernauch einen qualitativen Ausbau. Ich denke, dass wir denjungen Menschen, die sich freiwillig engagieren, eingrößeres Angebot an Freiwilligendiensten machen müs-sen. Sie alle haben betont, dass die Freiwilligendiensteein wichtiges Bindeglied zwischen Schule und Berufsind.

Früher waren es – um das noch einmal ins Gedächtniszu rufen – nur die Mädel – dazu sage ich gleich nochetwas –, ausgehend von der Diakonie in Stuttgart in den60er-Jahren, die damals eine Arbeitsmarktlücke schlie-ßen mussten – ich wünsche mir, dass die Situation aufdem Arbeitsmarkt heute besser wäre –, weil dieses En-gagement im sozialen Bereich gefehlt hat. Damalswurde dieses Angebot für die Mädchen entwickelt. Dasfreiwillige soziale Jahr war eine ausgesprochene Mäd-chendomäne.

Heute kommen Gott sei Dank auch die Jungen dazu.Inzwischen ist dieses Angebot eine attraktive Alternativefür die Zivildienstleistenden. Viele Träger stellen vomZivildienst auf Freiwilligendienste um, weil sie so diejungen Menschen länger in ihrer Organisation haben undsie mehr mit ihnen machen können. Dies wird von denjungen Menschen dankbar angenommen, weil sie sehen,dass dieser Freiwilligendienst eine Möglichkeit ist, Er-fahrungen zu sammeln, um ihr Leben sozusagen plane-risch in die Hand zu nehmen und eine berufliche Per-spektive zu erhalten.

Das Gleiche gilt auch für die älteren Menschen. VieleVorruheständler – das wurde vorhin beschrieben –, die inAltersteilzeit oder in den Vorruhestand gegangen sind,haben den Wunsch, eingebunden zu werden, und findenauch Möglichkeiten, sich aktiv einzubringen. In IhrenWahlkreisen werden Sie schon mit neuen Formen derFreiwilligendienste konfrontiert. Viele Ältere unterstüt-zen inzwischen die Grundschulen im Bereich Lesen. Esgibt in Berlin dazu eine ganze Reihe toller Projekte.Viele ehrenamtliche Initiativen unterstützen die Ganz-tagsschulen. Ich erinnere nur an Rheinland-Pfalz. AuchBaden-Württemberg will diesen Weg gehen. Ebensosind die Bayern mit dabei. Wenn wir uns die Situationeinmal vor Augen führen, stellen wir fest: Wir braucheneinen neuen Generationenvertrag der Engagierten. Wirmüssen für diesen neuen Generationenvertrag der Enga-gierten die Weichen entsprechend stellen.

Noch ein Wort an die Christdemokraten bzw. die Kir-chen, weil sie aufgrund des Todes von Papst JohannesPaul zurzeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.Ich will Claudio Kardinal Hummes zitieren, Erzbischofvon Sao Paulo. Er hat zu einem anderen Thema gesagt:„Man kann auf neue Fragen keine alten Antworten ge-ben.“ Wir sind gut beraten, dieses Zitat auf die Freiwilli-gendienste anzuwenden.

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Ute Kumpf

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])

Ich habe schon gesagt, dass die Freiwilligendienste sobegehrt wie noch nie sind und dass die Zahl der Inan-spruchnahme in den letzten Jahren kontinuierlich gestie-gen ist. Wir als Bund haben mit der Hilfe und der Unter-stützung des Ministeriums dafür gesorgt, dass wir hierAufbauarbeit leisten konnten.

(Anton Schaaf [SPD]: So ist es!)

Jetzt noch einmal zu den jungen Menschen. Die jun-gen Menschen brauchen ein verstärktes Angebot. Aberauch für die älteren Menschen brauchen wir Modelle,die die Zukunft der Freiwilligendienste sicherstellen.Dies tun wir mit unserem Antrag. Hier stehen wir alleerst am Anfang. Ich wünsche mir, dass sich keiner in dieBüsche schlägt. Während hier nämlich einige verbal ra-dikale Forderungen stellen und Unterstützung signalisie-ren, sagen sie beim nächsten Schritt: Wir warten erst ein-mal ab und schauen, was die anderen machen.

(Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Wer macht denn das?)

– Das richtet sich vor allem an Sie, Herr Dr. Scheuer.Wir brauchen für diesen Weg auch Ihre Unterstützung,besonders wenn Sie mit uns übereinstimmen.

Die FDP ist an unserer Seite. Sie von der CDU/CSUaber verquicken das nach unserer Meinung zu sehr mitdem Thema Zivildienst. Wir sagen: Unabhängig davon,wie über die Wehrpflicht entschieden wird, sehen wir dieChance und die Möglichkeit, finanzielle Mittel freizu-machen, um den Ausbau der Freiwilligendienste fürJunge wie auch für die Älteren voranzubringen.

Wichtig ist, dass wir bei den FreiwilligendienstenQualität bieten. Wichtig ist auch, dass für die Engagier-ten klar ist, dass sie nicht als Ersatzarbeitskraft miss-braucht werden. Sie brauchen eine soziale Absicherungund es dürfen keine regulären Arbeitsstellen wegfallen.Daher ist das Gütesiegel von Bedeutung. Das Gütesiegel„Quifd“ wurde mit Unterstützung der Bosch-Stiftung aufden Weg gebracht, die mit ihrem eigenen Managementder Qualitätssicherung die Entwicklung des Gütesiegelsbetrieben hat. Ich habe die Ehre gehabt, die Präsentationdes Gütesiegels unterstützen zu dürfen.

Wir sind ist oft auf Appetit und Genuss aus. Die Ge-sellschaft hat Appetit auf Engagement. Ich wünsche mirdeshalb einen Guide Michelin, der den Appetit in Sa-chen Ehrenamtlichkeit und Freiwilligendienste unter-stützt. Das wird den Menschen wieder Mut machen undihr Engagement unterstützen. Ich lade Sie ein, mit unsgemeinsam voranzuschreiten.

Danke.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünenauf Drucksache 15/4395 zur Zukunft der Freiwilligen-dienste. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauenund Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlungauf Drucksache 15/5175, den Antrag in der Ausschuss-fassung anzunehmen. Es ist vereinbart, dass über die Be-schlussempfehlung getrennt abgestimmt wird. – Dazugibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann können wirso verfahren.

Wir stimmen zunächst über die Ziffern I und III derBeschlussempfehlung ab. Wer dafür stimmt, den bitteich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich der Stimme? – Das ist einstimmig so be-schlossen.

Wer stimmt für die Ziffer II der Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich derStimme? – Die Ziffer II der Beschlussempfehlung istmehrheitlich angenommen. Insgesamt ist damit die Be-schlussempfehlung angenommen.

Ich rufe jetzt entsprechend unserer geänderten Tages-ordnung die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie denZusatzpunkt 6 auf:

9 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten DirkFischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. KlausW. Lippold (Offenbach), weiteren Abgeordnetenund der Fraktion der CDU/CSU eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsgeset-zes

– Drucksache 15/5102 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)InnenausschussRechtsausschuss

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung desVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsgeset-zes

– Drucksache 15/4536 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus

ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten HorstFriedrich (Bayreuth), Daniel Bahr (Münster),Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und derFraktion der FDP eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Verkehrswegepla-nungsbeschleunigungsgesetzes

– Drucksache 15/5258 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus

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Vizepräsident Dr. Norbert Lammert

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 30 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ichkeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst der Kollegin Renate Blank für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Renate Blank (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rot-Grün

verspielt mit langen Planungszeiten für die Verkehrs-infrastruktur und mit ausufernder Bürokratie die ZukunftDeutschlands.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD)

Es ist doch schon seit langem bekannt, dass der Zeitauf-wand für die notwendigen Verwaltungsverfahren zur Er-stellung der Infrastruktur häufig Anlass politischer Dis-kussionen auf allen Ebenen ist. Niemand wird bestreiten:Die Planung des öffentlichen Verkehrswegebaus, egal obStraße, Schiene oder Wasserstraße, nimmt in Deutsch-land einen unangemessen langen Zeitraum in Anspruch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kritik der Bürgerinnen und Bürger ist hier vollangebracht, zumal bei vielen Projekten die Planungszei-ten schon bei über 30 Jahren liegen.

(Dr. Peter Danckert [SPD]: Davon haben wir nur knapp sieben Jahre regiert!)

Rot-Grün hat zwar mit einem Federstrich einige dieserProjekte aus dem Bundesverkehrswegeplan aus ideolo-gischen Gründen gestrichen und damit Planungskostenin den Sand gesetzt, die bis zu 20 Prozent der Kostenausmachen und nun leider bei den Ländern, die die Pla-nungskosten zu tragen haben, hängen bleiben, aber diePlanungszeiten bleiben nach wie vor zu lang. Die Zeitdrängt gerade im Hinblick auf eine leistungsfähige Infra-struktur, die in unserer heutigen Umbruchsituation derDreh- und Angelpunkt für die internationale Mobilitätvon Gütern und Personen ist. Notwendig sind daher eineideologiefreie, bedarfsorientierte Infrastrukturplanung,eine solide Finanzierungsbasis für die Infrastruktur inden öffentlichen Haushalten, verstärkt privatwirtschaft-lich orientierte Finanzierungsalternativen und die be-schleunigte Umsetzung von Infrastrukturprojekten.

„Nicht reden, sondern zügig handeln“ lautet dasMotto, nach dem wir einen Gesetzentwurf zur Änderungdes Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes ein-gebracht haben, da selbst die Bundesregierung in denkommenden Jahren ein kräftiges Wachstum im Perso-nen- und Güterverkehr erwartet, das nur mit einer gutausgebauten Infrastruktur zu bewältigen sein wird. Aberwas macht die Bundesregierung? Es liegt immer nochkein Gesetzentwurf vor, obwohl vollmundig getönt wird,dass noch in diesem Jahr Maßnahmen zur Vereinfachungund Beschleunigung von Planungsverfahren ergriffenwerden sollen, „sodass den neuen Ländern mit Ablaufdes Jahres 2005 ein gleitender Übergang in ein für ganz

Deutschland geltendes vereinfachtes Planungsrecht er-möglicht wird“. So die Aussage der Bundesregierung.

(Unruhe)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, Frau Kollegin. – Ich möchte doch

sehr dafür werben, dass unvermeidliche Gespräche zwi-schen den Kollegen gegebenenfalls außerhalb des Ple-narsaals, jedenfalls nicht in den vorderen Reihen durch-geführt werden. Das erschwert nämlich dieVerständigung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)

Bitte schön.

Renate Blank (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident.

Da hat doch tatsächlich der Bundeskanzler seine Re-gierungserklärung vom 17. März mit der Ankündigungeines Planungsvereinfachungsgesetzes abgegeben,ohne sich mit den Grünen abzustimmen. Das bedeutetStreit und Ärger in der Koalition.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt täuschen Sie sich aber!Das würde Ihnen so passen!)

Es ist ja durchaus anzuerkennen, dass beim Bundes-kanzler eine Sinnesänderung eingetreten ist. Denn als esim Jahr 1991 um das Verkehrswegeplanungsbeschleuni-gungsgesetz ging, war er der größte Gegner. Die heftigs-ten Widersacher waren der damalige niedersächsischeLandesminister Trittin und der frühere niedersächsischeMinisterpräsident Schröder. Aber anscheinend haben dieAnkündigungen von Minister Stolpe – ich zitiere: „Ver-zögerungstaktiken durch Umweltverbände darf es nichtmehr geben“, die „Einspruchsfrist von Umweltverbän-den muss auf zehn Wochen begrenzt werden“, „dasplötzliche Auffinden von Hamstern, um begonnene Bau-vorhaben zu blockieren, wird nicht mehr möglich sein“oder „Vorarbeiten und Ausschreibungen sollen künftigauch während einer Klage möglich sein“ – die Grünen soerschreckt, aufgeregt und auf den Plan gerufen, dass einRegierungsentwurf rasch wieder zurückgezogen wurdebzw. werden musste.

Man kann nun gespannt sein, wie sich der Streit zwi-schen den Koalitionspartnern entwickelt und ob auf-grund dieses Streits der geplante Zeitrahmen eingehaltenwerden kann. Wird es überhaupt ein Gesetz geben? Werwird sich letzten Endes durchsetzen: die Grünen mit ih-rem heimlichen Verkehrsminister Albert Schmidt

(Zurufe von der SPD: Oh! – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bitte aufstehen und grüßen!)

oder die SPD mit Minister Stolpe?

Laut Zeitungsberichten soll das neue Gesetz zwar ein-facher werden als die bisherigen Vorschriften, jedochkomplizierter als das bisher im Osten geltende Recht. Sokritisiert auch der Sprecher der ostdeutschen SPD-Bun-

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Renate Blank

destagsabgeordneten, der frühere Staatssekretär imBMVBW, Stephan Hilsberg:

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Guter Mann!)

Der Vorteil aus dem ostdeutschen Recht für die Rea-lisierung von Straßenbauvorhaben geht zum großenTeil verloren. Die Bundesregierung will ohne Notauf die alten westdeutschen Rechtsstandards zu-rück.

Bei dieser Aussage kann man sich des Eindrucksnicht erwehren, dass eine Vereinfachung planungsrecht-licher Vorschriften wahrscheinlich nicht zustande kom-men wird. Ich bin auf den Gesetzentwurf gespannt. BeiIhnen ist sicherlich die Erkenntnis vorhanden – Sie ha-ben das nach der EU-Osterweiterung auch immer wiederangeführt –, dass schnellere Planungszeiten und Be-schleunigungsverfahren notwendig sind. Die Erkenntnisist zwar vorhanden, aber Ihr Handeln erfolgt diametralzu dieser Erkenntnis. Es gilt im Übrigen für viele Ge-setzentwürfe von Rot-Grün, dass Reden und Handelnauseinander klaffen.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber klaffen als kläffen!)

Unverkennbar herrscht bei Rot-Grün das Interessevor, Planungen hinauszuzögern. Der Streit in der Koali-tion um eine Planungsvereinfachung und -beschleuni-gung könnte im Interesse des Erhalts und der Entwick-lung der Verkehrsinfrastruktur und damit der Sicherungvon Mobilität und Wachstum sofort beendet werden,wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Rot-Grün mit dem Ankündigungsminister Stolpe fehltes an programmatischer Realisierung. Deshalb solltenSie unserem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Für die Bundesregierung erhält der Parlamentarische

Staatssekretär Achim Großmann das Wort.

Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Wir haben in Deutschland einemoderne und leistungsfähige Infrastruktur: eine gutestädtische Infrastruktur, gute Transportsysteme, leis-tungsfähige Straßen sowie ein dichtes Netz von Energie-versorgungsleitungen. Diese Infrastruktur ist ein Pfund,mit dem Deutschland im internationalen Wettbewerb derStandorte nach wie vor wuchern kann. Dies soll so blei-ben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bundesregierung setzt daher genau die richtigenSignale für den weiteren Ausbau der Infrastruktur. DerBundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am17. März dieses Jahres die zentralen Entscheidungen

noch einmal genannt: zusätzlich 2 Milliarden Euro fürdie Verkehrsinfrastruktur,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

ein Beschleunigungsgesetz für öffentlich-private Part-nerschaften und ein Gesetz zur Vereinfachung von Pla-nungsprozessen.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Wir brauchen mehr Effizienz bei der Planung. Beschlos-sene Infrastrukturprojekte müssen zügig realisiert wer-den. Hinsichtlich der Bedeutung zügiger und effizienterPlanungsverfahren sind wir uns einig. Frau Blank, ichglaube, hier brauchen wir keinen Dissens zu suchen.

(Renate Blank [CDU/CSU]: Warum liegt dann noch nichts vor?)

Eine Verlängerung bzw. Modifizierung des Verkehrs-wegeplanungsbeschleunigungsgesetzes, wie Sie es for-dern, reicht aber nicht aus. Das ist eindeutig zu wenig.Wenn wir heute den Anforderungen einer effizienten In-frastrukturplanung Rechnung tragen wollen, muss unsNeues einfallen. Was wir jetzt brauchen, sind einfache,transparente und insbesondere kalkulierbare Verfahrenin ganz Deutschland, und zwar sowohl bei den Verkehrs-wegen als auch bei den Energieversorgungsleitungen.Es geht dabei auch darum, die Voraussetzungen für ei-nen wachsenden Anteil erneuerbarer Energien an unse-rer Energieversorgung zu schaffen, ein Schritt der Zu-kunftsvorsorge ersten Ranges.

Unkalkulierbar ist heute zum Beispiel, dass nach demgeltenden Planungsrecht Stellungnahmen von Vereinennoch immer ohne Fristen, das heißt noch nach Abschlussder regulär vorgesehenen Verfahrensschritte abgegebenwerden können. Damit wird der Planungsverlauf völligunkalkulierbar. Daher wollen wir als Kernelement unse-res Gesetzes eine umfassende Präklusion für alle Verei-nigungen einführen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Alle Beteiligten, die Planungsträger, die Firmen undauch die Verwaltung, brauchen mehr Rechts- undPlanungssicherheit und weniger Bürokratie. Nicht zu-letzt führt das auch zu einer spürbaren Beschleunigungsolcher Verfahren.

Wir werden deshalb den Entwurf einesInfrastrukturplanungsvereinfachungsgesetzes vorle-gen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wann?)

– Wir sind kurz davor, darüber im Kabinett zu beraten.Ich denke, dass wir einen solchen Entwurf bis zum Som-mer dieses Jahres vorlegen können.

Ich hoffe, dass die Opposition und die Länder ihremBekenntnis zur Planungsbeschleunigung dann auch Ta-ten folgen lassen, damit das Gesetz zum 1. Januar 2006in Kraft treten und das Verkehrswegeplanungsbeschleu-nigungsgesetz ablösen kann. Genau deshalb können wirden heute zur Diskussion stehenden Gesetzentwürfen

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Parl. Staatssekretär Achim Großmann

nichts abgewinnen. Sie bringen uns nämlich in zentralenFragen nicht weiter.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst mit unserem Gesetz und den neuen Instrumenten,von denen ich eines plakativ und beispielhaft erwähnthabe, werden wir die Planungsphase für unsere wichti-gen Infrastrukturprojekte um mehrere Monate verkürzenund besser kalkulieren können, wann wichtige Verkehrs-wege, städtische Bauvorhaben und Versorgungsleitun-gen fertig sein werden. Die Attraktivität Deutschlandsals Investitionsstandort wird damit deutlich gewinnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Horst Friedrich für die

FDP-Fraktion.

(Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Wo ist denn das Manuskript?)

Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Herr Kollege, es gibt auch Leute, die ohne Manu-

skript reden können.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Herr Präsident! Wir beraten heute zum wiederholtenMale über Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung desVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes. Das istzuerst einmal zu begrüßen; denn die Regierungskoalitionhatte noch Ende 2002/Anfang 2003 die Meinung vertre-ten, es bedürfe keiner weiteren Gesetze und man könnedas Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz aus-laufen lassen.

Wir sehen nun mit großer Begeisterung, dass die Bun-desregierung, allen voran der Bundeskanzler, auf einmalerklärt, das gehe nun doch nicht. Deswegen beraten wirheute wieder über mehrere Gesetze. Allerdings wurdensie vom Bundesrat, von der CDU/CSU-Fraktion und vonder FDP-Fraktion eingebracht. Was die Bundesregierungoder die sie tragenden Koalitionsfraktionen angeht, giltwie immer: Fehlanzeige.

Das Ganze geschieht angesichts einer in mittlerweile15 Jahren gewonnenen Erfahrung im Umgang mit demVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz in den neuenBundesländern. Als wir dieses Gesetz damals verab-schiedet haben, bedeutete es angeblich den Untergangder Bürgerrechte. Die Bundesregierung selbst weist da-rauf hin – das steht in ihrem Erfahrungsbericht –, dass inden Planungsverfahren in den neuen Ländern mit diesemInstrument sorgfältig umgegangen und ganz offensicht-lich nicht gegen den Bürger entschieden worden ist. Dergroße Unterschied ist: Die Rechtsansprüche sind auf denWeg der Klage beim Bundesverwaltungsgericht, also aufeinen Rechtszug, begrenzt. Das macht Sinn und das hatsich offensichtlich ausgezahlt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, warum versuchen Sie jetzt, einvöllig neues Instrument aus der Taufe zu heben? Siekündigen an, dass Sie bald das Kabinett erreichen; dannmüssen Sie sich auch mit Ihrem Kollegen Trittin einigen.Ich glaube an die Existenz solcher Gesetzentwürfe mit-tlerweile erst dann, wenn sie dem Bundestag vorliegen.

Fakt ist: Der Bundeskanzler hat etwas im März voll-mundig verkündet und Sie sind, obwohl Ihnen dank ei-nes riesigen Ministeriums die besseren Instrumente zurVerfügung stehen, noch nicht einmal in der Lage, jetzteinen Gesetzentwurf vorzulegen. Sie vertrösten uns da-mit, dass Sie vielleicht vor der Sommerpause so weitsind.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Sehr verehrter Staatssekretär, das Fluglärmgesetzwollten Sie eigentlich schon in der letzten Legislaturpe-riode verabschieden. Es ist noch immer in der Mache,weil man sich offensichtlich nicht einigt. Wenn die Ver-abschiedung des neuen Infrastrukturplanungsverein-fachungsgesetzes – es muss erst einmal durch alleGremien – genauso lange dauert wie die des Fluglärmge-setzes, dann haben auch die zusätzlichen Verkehrswege-investitionsmittel in Höhe von 2 Milliarden Euro, die Siezur Verfügung stellen wollen, wenig Sinn. Was dieHaushaltszahlen angeht, ist mir ohnehin ein bisschen derGlaube abhanden gekommen, woher das entsprechendeGeld kommen soll. Wie wollen Sie das Ganze denn fi-nanzieren?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie dieses Geld wirklich hätten, dann hätten Sie esja bereits in den Haushalt einstellen können.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ja, wo ist es denn?)

Das, was jetzt passiert, geschieht wieder einmal nachdem bekannten Motto: ein bisschen vertrösten, ein biss-chen angeben, aber dann nichts bringen. Wir werden Siejetzt testen.

Ich bin einmal gespannt, wie der Verkehrsminister aufdie beiden Gesetzentwürfe der Opposition reagiert– dankenswerterweise ist auch die Union mittlerweiledazu bereit, das Verkehrswegeplanungsbeschleuni-gungsgesetz auf beide Teile unseres Landes auszudeh-nen; sehr verehrter Herr Vorsitzender, so weit waren wirschon vor zwei Jahren; es wäre ein bisschen schnellergegangen, wenn ihr gleich Ja gesagt hättet – und mitwelcher Begründung Rot-Grün diese Gesetzentwürfe ab-lehnt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt,

Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Das Thema, das wir heute diskutieren – Verkehrs-wegeplanungsbeschleunigungsgesetz –, ist ein abgenag-ter Knochen; da ist nichts mehr dran, was uns für dieZukunft weiterhilft.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Komisch!)

Das erkennen Sie übrigens auch am schwachen Interessein meiner Fraktion; die Mitglieder meiner Fraktion kön-nen das Ganze bald nicht mehr hören.

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das ist eine faule Ausrede!)

Wer dieses Thema auch heute noch zu einer Frage er-klärt, deren Beantwortung über die Zukunft der deut-schen Verkehrsinfrastruktur entscheidet, der bläst inWirklichkeit einen ideologischen Luftballon auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – HorstFriedrich [Bayreuth] [FDP]: Da hat der HerrStaatssekretär aber gerade etwas anderes er-zählt!)

– Hören Sie doch einmal auf mich statt auf den Staats-sekretär. Jetzt rede doch ich, oder? Herr KollegeFriedrich, meine Redezeit hat begonnen.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Noch ist er nicht Verkehrsminister!)

– Ich stehe schon im Ruf, mich in Rom bei der Papst-wahl zu bewerben. Beides gleichzeitig kann ich nichtmachen.

Worum geht es denn? Was sind die schlichten undnüchternen Fakten? Eine Umfrage unter allen Baumaß-nahmeträgern, die damit zu tun haben, hat für den Be-richtszeitraum 1. Januar 2000 bis 31. Juli 2003 ergeben– ich zitiere aus dem Bericht des Bundesverkehrsminis-teriums; er hat sicherlich auch etwas mit dem Staats-sekretär zu tun –:

Die Auswertung dieser Daten – gemeint sind dieüber Verfahren nach dem Beschleunigungsgesetz –lässt nach Aussage der Vorhabenträger keine Unter-schiede zu den Verfahren erkennen, bei denen dieRegelungen des Beschleunigungsgesetzes nicht zurAnwendung kamen.

Was heißt das im Klartext? In den Jahren 2000 bis2003 hat dieses Gesetz gar nichts mehr beschleunigt. Be-schleunigt hat es in der Tat in den ersten Jahren nachWiederherstellung der deutschen Einheit. Aber jetzt, 14,15 Jahre danach, dieses Sonderrecht Ostzone noch be-haupten zu wollen und krampfhaft daran festhalten zuwollen,

(Dr. Peter Danckert [SPD]: „Ostzone“ weiseich zurück! – Carl-Ludwig Thiele [FDP]:„Ostzone“ ist unmöglich!)

obwohl es erkennbar nicht mehr wirkt, ist blanker Un-sinn;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ich könnte auch sagen: „blankscher Unsinn“; aber dassage ich nicht.

(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Reden Sie einmal mit den Ministerpräsidenten!)

Der eigentliche Regelungsgehalt, den dieses Gesetznoch hat, ist die Verkürzung des Rechtswegs auf dieeine Instanz Bundesverwaltungsgericht Leipzig. Na-hezu alles andere wurde längst in das Planungsvereinfa-chungsgesetz übernommen, das unbefristet und geogra-fisch unbeschränkt, also für die ganze Republik, gilt. Dahinein können wir gar nichts mehr übernehmen. EineVerlängerung der Geltungsdauer des Ende des Jahresauslaufenden Beschleunigungsgesetzes wäre nicht nurnicht nötig, sondern sogar falsch. Warum?

Erstens. Wenn der Antrag auf Plangenehmigung ge-stellt ist, dann gelten die Regeln des Beschleunigungsge-setzes noch über das Jahresende hinaus, und zwar unbe-fristet. Das heißt, Projekte, die unter der Maßgabe desBeschleunigungsgesetzes begonnen worden sind, habeninsofern sozusagen Bestandsschutz, nämlich Anspruchdarauf, nach diesem Verfahren zu Ende geführt zu wer-den, auch wenn es noch so lange dauert. Also, regt euchgar nicht auf!

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Noch re-gen wir uns auf, wenn wir es selber wollen,nicht nach Maßgabe der Grünen, auch wennClaudia Roth die empörungspolitische Spre-cherin Deutschlands ist!)

Punkt zwei. Der eigentliche Grund für die Schaffungdes Gesetzes damals, nämlich dass die Verwaltungsge-richtsbarkeit in den neuen Bundesländern einfach nochnicht verfügbar war, ist erkennbar entfallen. Die Ober-verwaltungsgerichte arbeiten. Sie arbeiten gut. Sie habenes gar nicht nötig, sich bevormunden zu lassen.

Dritter Punkt. Der Präsident des Bundesverwaltungsge-richts, Herr Eckart Hien, hat in diversen Expertengesprä-chen mit den Bundestagsfraktionen glaubhaft ausgeführt,dass es bei Verfahren vor Oberverwaltungsgerichtennach allem, was ihm bekannt ist und was statistisch be-kannt ist, in aller Regel bei dieser einen Instanz bleibt.Nur in 5 Prozent aller Fälle ist jemand, ein Einzelneroder ein Verband, in die nächste Instanz gegangen.

(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Das sind die entscheidenden Fälle!)

Jetzt so zu tun, als sei die Verkürzung des Instanzenwe-ges die eigentliche Beschleunigung, ist sachlich grund-falsch und daneben.

(Renate Blank [CDU/CSU]: Ihr wollt nicht bauen!)

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Albert Schmidt (Ingolstadt)

Herr Hien hat auch dargelegt, um welche Projekte esdabei geht. Es geht ausdrücklich nicht um VDEs, alsoVerkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, Großprojekte; inden 5 Prozent der Fälle, in denen überhaupt nur dienächste Instanz angerufen wird, geht es in aller Regelum kleine, lokal bedeutsame Ortsumfahrungen. Er sagtsogar – das ist auch unsere Einschätzung –, dass eineVerlängerung der Geltungsdauer dieses Gesetzes, dasEnde des Jahres auslaufen soll und wird, letztlich kontra-produktiv wäre; denn dann würde man den einen Senat,den es dazu derzeit beim Bundesverwaltungsgerichtgibt, überlasten; ein zweiter müsste erst noch etabliertwerden – und das für ein Sonderrecht, das wir nichtmehr brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fasse zusammen: Was verlangsamt unsere Planun-gen wirklich? Es ist weder der Verzicht auf die Verlänge-rung der Geltungsdauer des Beschleunigungsgesetzesnoch sind es der Hamster und seine Hilfstruppen beimBund Naturschutz usw.

(Werner Kuhn [Zingst] [CDU/CSU]: Nicht derHamster, der Zaunkönig! – Eduard Oswald[CDU/CSU]: Ich bin gegen die Aussetzungvon Hamstern!)

Was die Planung verlangsamt, ist Folgendes – das findeich hochinteressant, liebe Kolleginnen und Kollegen –:Zunehmend reißt die Unsitte ein, dass bei Ausschreibun-gen unterlegene Bewerber vor der Vergabekammer kla-gen und dort ein langes Verfahren anstrengen,

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Die Aus-schreibung vor der Planung?)

um doch noch in den Genuss des Auftrags zu kommenoder sich wenigstens als Beteiligter einzuklagen. Interes-sant sind ferner Verfahrensverkürzungen, die in der Zu-ständigkeit der Länderbehörden möglich wären. Die ha-ben nicht alles getan, um ein unbürokratisches Vorgehenzu gewährleisten.

Unsere Vorgehensweise, die in der Koalition übrigensverabredet ist – da können Sie gar keinen Dissenshineininterpretieren –, ist die, dass wir mit einer Geset-zesinitiative unter der Überschrift „Bauen einfacher ma-chen“ verfahrenstechnische Vereinfachungen mit be-schleunigenden Effekten auf den Weg bringen werden.Das wird garantiert keine Bürgerbeteiligung unzulässigverkürzen.

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Aha!)

Das wird – da brauchen Sie keine Angst zu haben –keine Ökostandards bzw. Umweltstandards aushebeln.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Grünen blo-cken wieder! Immer dasselbe!)

Aber es wird helfen, verfahrenstechnische Dinge, soweites möglich ist, zu beschleunigen und das schneller aufdie Schiene bzw. die Straße zu bringen. Dagegen habenwir nie etwas gehabt. Dagegen werden wir auch künftignichts haben. Aber einen abgenagten Knochen – das istdas veraltete Gesetz nämlich – länger als notwendig imMaul zu behalten ist einfach dumm und unzeitgemäß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD – HorstFriedrich [Bayreuth] [FDP]: Gequälter Beifallbei der SPD!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz, CDU/CSU-

Fraktion.

Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der heutige Tag eignet sich hervorragend zurDiskussion des Themas „Bürokratie im Verkehrswege-bau“, denn heute wurde der vorläufige Höhepunkt imDesaster der Berliner Flughafenpolitik erreicht: Es istwieder einmal Stillstand zu verzeichnen.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ein Desaster!)

Das hat jetzt nicht unbedingt direkt etwas mit Ihren Äu-ßerungen zu tun

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nichts mit dem Be-schleunigungsgesetz zu tun!)

– das habe ich gerade gesagt –,

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß schon jetzt: Das warder Hamster!)

aber wir alle wissen, welche Philosophie hinter dieserVerzögerungstaktik steht. Man kann sie mit Ihrer Redevergleichen, Herr Schmidt. Dieselbe Philosophie habenauch Sie hier vorgetragen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Meine Damen und Herren, ich spreche jetzt ganz ein-fach einmal den Herrn Staatssekretär an, der erfreuli-cherweise noch anwesend ist: Herr Staatssekretär, Siehaben uns gerade ein Infrastrukturplanungsbeschleu-nigungsgesetz vorgeschlagen. Bedauerlicherweise sindwir als Opposition bis jetzt noch nicht in den Genuss desReferentenentwurfes Ihres Hauses zu diesem Gesetz ge-kommen. Gegenüber der Presse waren Sie zum Glücketwas gnädiger, sodass wir Gelegenheit hatten, uns einwenig mit dem Inhalt zu befassen.

Es zeigt sich in der Tat, dass Ihre Ankündigungen unddie Ankündigungen des Kollegen Schmidt wider-spruchsfrei sind. Warum? Der ganz einfache Grund ist,dass Sie den wesentlichen Punkt des bisherigenBundesverkehrswegebeschleunigungsgesetzes, den wirverlängern möchten, nämlich die Einzügigkeit des Ge-richtsverfahrens, in Ihrem Referentenentwurf aufge-ben, weil Sie ihn gegenüber den Grünen nicht durchset-zen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind 5 Prozent allerFälle! Kein Richter in Deutschland will das! –Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]:Ein Kardinalfehler!)

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Arnold Vaatz

Das zeigt, dass Ihr Argument, Sie wollten eine Gesamt-lösung schaffen und könnten sich deshalb mit punktuel-len Lösungen, wie sie in den drei heute vorliegendenAnträgen beschrieben sind, nicht anfreunden, nichtstimmt. Die drei vorliegenden Anträge von Bundesrat,CDU/CSU-Bundestagsfraktion und FDP-Fraktion zielenalle in dieselbe Richtung.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle drei sind falsch!)

Sie haben die Absicht, den Rechtszug auf einen zu be-schränken und die derzeit geltende Regelung zeitlichauszudehnen. Die beiden Fraktionsanträge verfolgen au-ßerdem das Ziel, das Gesetz auch räumlich auf ganzDeutschland zu übertragen.

Diese Forderungen lehnen Sie ab, weil Sie sich ge-genüber Ihrem Koalitionspartner nicht auf die Reduzie-rung der Rechtszüge einigen können. Damit geben Siedas wesentliche beschleunigende Argument – Sie habennämlich nicht Recht, Herr Schmidt – auf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kompletter Unsinn! Sie ha-ben keine Ahnung!)

Gehen wir noch einen Schritt weiter, meine Damenund Herren. Selbst wenn wir sagen, der Bedarf sei nichtmehr gegeben, wie das der Kollege Schmidt behauptet,fällt mir schon Ihre methodische Herangehensweise auf.Wenn ich Ihren Argumenten folge,

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hören ja gar nicht zu!)

fällt mir auf, dass Sie immer dann, wenn ein Gesetz oderein Verfahren einigermaßen reibungslos läuft,

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es läuft eben nicht mehr! Eshat 0,0 Effekt!)

nach Begründungen suchen, um ein Gesetz verkompli-zieren zu können oder komplizierte Regelungen beste-hen zu lassen. Wir wollen einen anderen Geist in dieseDiskussion bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)

Die Öffentlichkeit in Deutschland fasst sich allmählichan den Kopf und fragt: Wieso streitet sich dieser Bundes-tag Jahr für Jahr über dieselben Dinge? Wieso kommendie Abgeordneten Jahr für Jahr zu dem Thema Bundes-verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz zusammen,reden immer über dieselben Argumente, verlängern dasGesetz dann um ein Jahr und vertrödeln so ihre Zeit? DerBürger möchte Entscheidungen haben, auf die er sichlangfristig einstellen kann, und unsere Kommunalpoliti-ker wollen Planungssicherheit haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen mit dem Abbau der Bürokratie Ernstmachen und wir möchten noch etwas einfordern, HerrStaatssekretär. Wir haben schon mehrmals gesagt undhaben Ähnliches auch schon aus Ihren Reihen gehört:Wenn sich bestimmte Regelungen oder Deregulierungenin Ostdeutschland als zweckmäßig erwiesen haben,

(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]:Sehr richtig!)

sollte man versuchen, sie auf Gesamtdeutschland zuübertragen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was Sie hier machen, ist vergleichbar mit der verknö-cherten Politik der alten Bundesrepublik Deutschland,die es strikt ablehnte, sich mit Dingen, die in Ost-deutschland erfolgreich waren, überhaupt zu befassen.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vieles haben wir bereitsübertragen!)

Wenn Sie so weitermachen, meine Damen und Herren,werden wir aus der wirtschaftlichen Klemme, in der sichdieses Land befindet, bis auf Weiteres nicht herauskom-men und die derzeitige Arbeitsmarktsituation nichtverbessern können.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist der Punkt! Jetzt ist es raus!)

Die Bürger sagen zu Recht: Wir sind frustriert von die-sen Leuten in Berlin, weil sie dieses Land nicht nachvorne bringen. Das ist die Realität.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich Sie ganzherzlich

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Treten Sie zu-rück! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)

– das wäre eine Hoffnung, der ich gerne Ausdruck ver-leihen würde, wenn in Bezug auf die Fähigkeit der Koa-lition, ihr Leistungsvermögen richtig einzuschätzen, ir-gendeine Chance auf Erfolg bestehen würde, aber ichglaube, dass diese Chance nicht gegeben ist, und ausdem Grunde denke ich an etwas anderes –: Lassen Sieuns aus den drei vorliegenden Vorschlägen – dem Be-schluss des Bundesrates und den beiden Anträgen vonzwei Fraktionen – ein vernünftiges Gesetz machen, dasden Politikern in den Ländern und Kommunen Pla-nungssicherheit für die nächsten Jahre gibt, lassen Sieuns die Befristung aufheben und erst dann wieder übereine Befristung reden, wenn diese aus irgendeinem an-deren vernünftigen Grund erforderlich wird. Damit ge-winnen Sie das Vertrauen der Öffentlichkeit zurück undbringen den Standort Deutschland nach vorne.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-rufe von der CDU/CSU: Bravo! – Sehr gut! –Eduard Oswald [CDU/CSU]: Du musst öftersreden!)

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Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Peter Danckert, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. AlbertSchmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Jetzt kommtwieder Ordnung in die Debatte!)

Dr. Peter Danckert (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Vaatz, die ganze Aufregung, die Sie hier verbreitethaben, ist eigentlich völlig unverständlich. Wenn manIhre drei vorliegenden Anträge daraufhin untersucht,was sie an Substanziellem enthalten, kommt man zu demSchluss, dass das gegen null tendiert.

(Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen minus sogar!)

Bezüglich der Planungsvereinfachung findet sich darinüberhaupt nichts. Sie wollen nur das bestehende Sonder-recht auf ganz Deutschland ausdehnen, und das ist esdann schon. Sie haben nicht einen einzigen substanziel-len neuen Gedanken in Ihre Gesetzentwürfe gebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Schäbig!)

Die Kollegen von der FDP haben ihren Antrag mit soheißer Nadel gestrickt

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Nee!)

– der Antrag ist vom 13. April –, dass ihnen noch nichteinmal aufgefallen ist – das geht jedenfalls aus dem Textihres Gesetzentwurfs hervor –, dass das geltendeVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz nicht2004 ausläuft, sondern 2005.

(Zuruf von der SPD: Peinlich, peinlich!)

Sie sollten sich wenigstens die Mühe machen, in IhrenEntwürfen auch die aktuelle Rechtslage zu berücksichti-gen. Nicht einmal das bekommen Sie hin. Es tut mirLeid, wenn ich das an der Stelle so sagen muss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]:Erste Lesung, Herr Kollege!)

Abgesehen von all dem, was noch an Substanziellemzu sagen wäre, möchte ich an dieser Stelle nicht ver-schweigen – der Kollege Vaatz ist mir da leider zuvorge-kommen –, dass heute aus der Sicht der Flughafenplanerein bedauerlicher Tag ist. Warum? Weil den Eilanträgender Flughafengegner stattgegeben worden ist. Wir allesollten vielleicht einmal gemeinsam überlegen, ob wiruns da auf dem richtigen Weg befinden. Das gilt übri-gens auch für die Frage der Kosten des Flughafens.Auch dazu werden wir vielleicht in nächster Zeit nocheiniges hören. Es geht also nicht nur darum, ein Pla-nungsrecht zu schaffen, sondern man muss auch tatsäch-lich die Voraussetzungen schaffen, um einen wirksamenbestandsfähigen Planfeststellungsbeschluss zustande zubringen. Das scheint das entscheidende Defizit in Bran-

denburg und Berlin zu sein. Aber auch der Bund ist,meine Damen und Herren Kollegen, an dieser Sache be-teiligt.

Zurück zu dem eigentlichen Thema des heutigen Ta-ges. Der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seinerwegweisenden Rede vom 17. März gesagt, dass es eingesamtdeutsches Planungsvereinfachungsrecht ge-ben wird, und hat, wie es der Staatssekretär Großmanneben auch deutlich gemacht hat, hinzugefügt, dass dassogar noch auf den Energiebereich ausgedehnt wird, in-dem auch für diesen Bereich eine entsprechende Novelleeingebracht wird. Auch das ist, wie ich denke, ein wich-tiger Gesichtspunkt, auf den Sie bisher nicht eingegan-gen sind; auch in Ihren Gesetzentwürfen steht dazu keinWort. Das werden wir aber umsetzen. Dieses Vorhabenmuss jedoch sorgfältig vorbereitet werden.

Der Kollege Dirk Fischer – ich weiß gar nicht, wo erim Moment ist

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sein Geist schwebt immer über uns!)

– gut, also richten Sie ihm das aus; aber dahinten steht erja – hat uns ja zumindest eine Frist bis zum 31. März ge-setzt. Aber nicht einmal die wurde abgewartet. DerCDU/CSU-Gesetzentwurf wurde 15 Tage früher einge-reicht. Wenn ich das einmal tendenziell bewerten soll,kann ich dazu nur sagen, dass Sie einmal in aller Hektik– zu welchen Fehlern das führt, haben wir gerade gese-hen – etwas auf den Tisch legen wollten, ohne sich sub-stanziell Gedanken darüber zu machen, was man eigent-lich verbessern könnte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Peinlich!)

Wenn Sie, Frau Blank, jetzt hier so tun, als würdenbeim Planungsrecht 30 Jahre ins Land gehen, dann mussich Ihnen in Erinnerung rufen, dass 16 Jahre davon Sieregiert haben. Was wollen Sie uns also eigentlich damitsagen? Sie hätten doch all das, was Sie heute beklagen,in diesen 16 Jahren realisieren können. Das haben Sieaber nicht getan. Wir gehen das nun substanziell an,Schritt für Schritt. Verbesserungen, die wir erreichen,werden wir auf den Tisch legen.

Ich denke, das darf ich sagen, Herr Staatssekretär: Mirpersönlich – ich rede jetzt nicht für die gesamte Frak-tion – wäre es schon lieber gewesen, wenn wir heuteauch über einen abgestimmten Entwurf hätten diskutie-ren können.

(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist doch wenigstens ein ehrliches Wort!)

Aber die Materie ist natürlich kompliziert; das räume ichein. Man sollte vielleicht auch noch einmal darübernachdenken, ob man nicht die Freunde von Bündnis 90/Die Grünen vielleicht doch davon überzeugen kann,

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wird schwer!)

auch das zu tun, was sich bewährt hat, was den einzügi-gen Gerichtsweg angeht, da das der Verfassungslageentspricht.

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Dr. Peter Danckert

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Michael Luther [CDU/CSU])

Zu einer Rechtsverkürzung, lieber Herr Verkehrsminis-ter Albert Schmidt, führt das ja nicht. Aus der Sicht derBürger geht es einfach darum, dass wir sie in der Phaseder Planung beteiligen und ihnen alle Rechte einräumen.Wenn es nachher um die Überprüfung des Planfeststel-lungsbeschlusses geht, könnten wir uns ja vielleicht miteiner Instanz zufrieden geben. Wir sollten darüber nocheinmal reden. Ich weiß, dass das ein Knackpunkt in derDiskussion ist.

(Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU] meldet sichzu einer Zwischenfrage – Eduard Oswald[CDU/CSU]: Unterbrich mal, er will eine Zwi-schenfrage stellen!)

Aber wir werden uns darüber vielleicht noch verständi-gen.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Danckert, darf Ihnen – –

Dr. Peter Danckert (SPD): Meine Bitte ist, dass uns jetzt zügig ein kompletter

Entwurf vorgelegt wird, über den wir dann gemeinsamdiskutieren können. Ich bin sicher, dass Ihre Gesetzent-würfe dann keine Rolle mehr spielen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eduard Oswald [CDU/CSU]:Jetzt hat er nicht einmal Luft geholt und HerrnVaatz keine Möglichkeit zu einer Zwischen-frage gegeben! – Gegenruf des Abg. RainerFornahl [SPD]: Von dem haben wir ja nur Mistgehört!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wirddie Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksa-chen 15/5102, 15/4536 und 15/5258 an die in der Tages-ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibtes dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowieden Zusatzpunkt 7 auf:

6 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. RolfMützenich, Uta Zapf, Gernot Erler, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion der SPD sowie derAbgeordneten Winfried Nachtwei, AlexanderBonde, Marianne Tritz, weiterer Abgeordneterund der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN

Verbreitung der Kernwaffen verhindern unddie nukleare Abrüstung stärken – Die Über-

prüfungskonferenz 2005 des Atomwaffen-sperrvertrags (NVV) zum Erfolg führen

– Drucksache 15/5254 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesre-gierung

Bericht der Bundesregierung zum Stand derBemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüs-tung und Nichtverbreitung sowie über die Ent-wicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresab-rüstungsbericht 2003)

– Drucksachen 15/3167, 15/5143 –

Berichterstattung:Abgeordnete Uta Zapf Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Fritz Kuhn Dr. Werner Hoyer

ZP 7 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Werner Hoyer, Harald Leibrecht, RainerBrüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP

Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbrei-tungsregimes stärken – US-Nuklearwaffen ausDeutschland abziehen

– Drucksache 15/5257 – Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss (f)Verteidigungsausschuss

Die Fraktionen haben hierzu eine Aussprache von ei-ner Stunde vereinbart. – Ich höre keinen Widerspruch.Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstder Kollege Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.

Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

wenigen Wochen wird erneut über die Wirksamkeit desAtomwaffensperrvertrages beraten. Alle fünf Jahre fin-det diese Überprüfungskonferenz statt. Delegationenaus 189 Vertragsstaaten werden in New York Bilanz zie-hen. Diese Bilanz wird nicht ohne Widersprüche seinkönnen. Einerseits ist der Atomwaffensperrvertrag derEckpfeiler in den weltweiten Bemühungen, die Verbrei-tung der Atomwaffen zu verhindern und die nukleareAbrüstung zu stärken. Nur noch Indien, Pakistan undIsrael befinden sich außerhalb des Vertrages. Nordkoreahat seinen Austritt erklärt. Andererseits existieren welt-weit noch immer über 28 000 Kernwaffen. Nach demEnde des Ost-West-Konflikts wurde eine Chance vertan,die nukleare Abrüstung zwischen den Kernwaffenstaa-ten umfassend und unumkehrbar zu machen. Auch inDeutschland sind weiterhin taktische Atomwaffen statio-niert. Die anhaltende Krise um die AtomprogrammeNordkoreas und des Iran macht zudem deutlich, wie ge-fährdet das Nichtverbreitungsregime ist.

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Dr. Rolf Mützenich

Deshalb ist es gut, wenn Deutschland ein verlässli-cher Partner des Atomwaffensperrvertrages bleibt. AlleBundesregierungen haben das Abkommen in den ver-gangenen Jahren zu stärken versucht. In unserem Landgibt es zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, dieden Atomwaffensperrvertrag mit ihren Mitteln stützen.Deutschland verfügt über hervorragenden wissenschaft-lichen Sachverstand, um weitere Ideen für die nukleareRüstungskontrolle zu entwickeln.

Darum ist es ein guter Zeitpunkt, wenn wir heute dieÜberprüfungskonferenz zum Anlass nehmen, Stärkenund Schwächen des Nichtverbreitungsvertrages zu be-nennen. Wir wollen mit unserem Antrag Anregungenvortragen, damit die nukleare Abrüstung wieder voran-kommt. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposi-tion unserem Antrag zustimmen könnte.

Eine besondere Verantwortung für die nukleareNichtverbreitung kommt den Atomwaffenstaaten zu.Sie müssen verbindliche Abrüstungsschritte vereinba-ren. Wir Sozialdemokraten engagieren uns weiterhin füreine atomwaffenfreie Welt. Der Moskauer Vertrag vomMai 2002 über die weitere Reduktion amerikanischerund russischer Atomwaffen kann dazu beitragen. Aller-dings stellt das Übereinkommen die Zerstörung derSprengköpfe nicht sicher, verzichtet auf die Überprüfungder Bestimmungen und ist zeitlich befristet.

Gravierender aus meiner Sicht ist allerdings, dass dieAtomwaffenmächte ihre Arsenale umstrukturieren undKernwaffen in der militärischen Planung wieder einenbedeutenden Platz bekommen. Die USA arbeiten anbunkerbrechenden Atomwaffen. Russland stellt neueMehrfachsprengköpfe in Dienst. Auch Großbritannien,Frankreich und die Volksrepublik China modernisierenihr atomares Potenzial. Weiterhin halten die Regierun-gen am atomaren Ersteinsatz fest. Vorzeitige, präventiveMilitäreinsätze gehören mittlerweile zur Sicherheitsphi-losophie.

Unterm Strich: Die offiziellen Kernwaffenmächte ge-hen mit schlechtem Beispiel voran. Dies erschwert dieBemühungen, andere Staaten innerhalb des Atomwaf-fensperrvertrages zu halten und außenstehende zu einemBeitritt zu bewegen. Daher sollten die Kernwaffenstaa-ten endlich wieder über wirksame Maßnahmen zur nu-klearen Abrüstung verhandeln, weitere vertrauens- undsicherheitsbildende Maßnahmen einleiten und auf dieErsteinsatzoption verzichten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Atomwaffenmächte müssen die Abrüstungsver-pflichtung aus Art. VI des Nuklearen Nichtverbreitungs-vertrages ernst nehmen. Diese Bestimmung steht ineinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Verpflich-tung anderer Staaten, keine Kernwaffen besitzen zu wol-len. Doch selbst dann kann es zu Verstößen kommen.

Nordkorea hat sich atomwaffenfähiges Material be-schafft, obwohl es Vertragsstaat war. Auch der Iran hatnicht alle Aktivitäten offen gelegt, obwohl er dazu ver-pflichtet gewesen wäre. Wie wir wissen, hat Libyen jah-relang geheime nukleare Aktivitäten betrieben. Der

Überprüfungsteil des Atomwaffensperrvertrags ist alsounzureichend. Deshalb war es gut, das Zusatzprotokollzu schaffen. Damit können wirksamere Überprüfungenstattfinden. Doch bisher haben immer noch nicht alleVertragsstaaten dieses Sicherungsabkommen ratifiziert.Das muss sich ändern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Wir sollten noch weiter gehen: Der InternationalenAtomenergie-Organisation müssen weitere Rechte ein-geräumt werden. Die UN-Behörde hat in den vergange-nen Jahren sicherlich Fehler gemacht. Vielleicht hat siean der einen oder anderen Stelle zu nachlässig gearbei-tet. Aber ohne die Internationale Atomenergie-Organisa-tion hätte der Atomwaffensperrvertrag weniger Biss.Tatsächlich kann die Internationale Atomenergie-Orga-nisation nur dann gut und effektiv arbeiten, wenn alleStaaten ausreichend Finanzen, geheimdienstliche Er-kenntnisse und Personal zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die iranische Atomkrise dokumentiert erneut einenentscheidenden Mangel des Atomwaffensperrvertrags:Einerseits sollen die Staaten auf Atomwaffen verzichten,andererseits sollen sie beim Aufbau des gesamten zivilenBrennstoffkreislaufs unterstützt werden. Die iranischeRegierung beruft sich auf diese Verknüpfung, wenn siedie Urananreicherung in Übereinstimmung mit interna-tionalem Recht und aus nationalem Prestige fordert.

Es gibt Vorschläge, wie mit diesem Problem umge-gangen werden könnte. Regionale Ansätze oder Liefer-garantien durch internationale Organisationen könnteneine Alternative sein. Anstelle des Transfers von Atom-technologie könnte aber auch ein Protokoll treten, wo-nach Länder Technologien für erneuerbare Energien er-halten könnten. Kurzum: Wir brauchen an dieser StelleBeweglichkeit von allen Staaten.

Der Atomwaffensperrvertrag ist nicht das einzige In-strument, um die Verbreitung der Kernwaffen zu verhin-dern. Weitere Maßnahmen müssen das Abkommen inseiner Wirksamkeit ergänzen. Dabei ist für uns Sozialde-mokraten klar: Das Völkerrecht und der Sicherheitsratder Vereinten Nationen bleiben unverzichtbar für eineNichtverbreitungspolitik. Nebenbei bemerkt: Jede Über-einkunft zur nuklearen Rüstungskontrolle stärkt die An-strengungen, mit denen verhindert werden soll, dass Ter-roristen in den Besitz von atomaren Waffen und Materialkommen.

Wir hoffen, dass die Überprüfungskonferenz zumAtomwaffensperrvertrag erfolgreich sein wird. Die Vo-raussetzungen sind leider nicht optimal. Die gegenseiti-gen Behinderungen erschweren einen Dialog und not-wendige Kompromisse. Doch wir brauchen einen Er-folg.

Europa hat Jahrzehnte unter der atomaren Bedrohunggelitten. Heute haben wir – mit Glück und Verstand –eine Zone des Friedens geschaffen. Mithilfe von Abrüs-

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Dr. Rolf Mützenich

tung und Rüstungskontrolle könnten solche Friedenszo-nen auch in anderen Regionen befördert werden. DerAtomwaffensperrvertrag ist hierfür unentbehrlich. DieÜberprüfungskonferenz muss dazu beitragen, die Nicht-verbreitung zu stärken. Ein gemeinsames Schlussdoku-ment wäre ein deutliches Signal zugunsten kooperativerRüstungssteuerung.

Wir danken der Bundesregierung, dass sie seit mehre-ren Monaten versucht, die Voraussetzungen für eine er-folgreiche Überprüfungskonferenz zu schaffen. DieSPD-Fraktion unterstützt sie bei diesen Bemühungen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Winfried Nachtwei [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)

Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Bundesre-gierung, jedenfalls die zum Auswärtigen Amt gehören-den Teile, dieser Debatte gefolgt hätte.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Ruprecht Polenz,

CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Mützenich, in Ihrem letztgenannten Punkt stimmenwir sicherlich alle überein. Wenn ich mir die Regie-rungsbank anschaue, dann sehe ich zwar ganz hinten dieverdienten Botschafter, die uns – wofür wir dankbarsind – auch im Unterausschuss immer zur Verfügung ste-hen, aber wir schicken doch auch nicht unsere Mitarbei-ter ins Parlament, um unsere Reden zu halten.

(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sie haben aber auch nicht viele Abge-ordnete hier, Herr Polenz!)

Insofern ist dies meines Erachtens ein bezeichnendesZeichen für den Zustand des Auswärtigen Amtes, das of-fensichtlich nur noch die Akten für den Visa-Untersu-chungsausschuss vorbereitet und der heutigen Debattenicht folgen will.

Meine Damen und Herren, es geht bei der Überprü-fungskonferenz um fünf Hauptthemen. Zum Ersten sollenmöglichst alle Staaten in den Nichtverbreitungsvertrageinbezogen werden; zurzeit sind es 188 Vertragspartner.Wie man erreichen kann, dass Nordkorea wieder dazuge-hören wird, ist eine der Fragen, die es zu diskutieren gilt.Wir alle gemeinsam wollen Iran im Sperrvertragsregimehalten.

Sie haben das Thema angesprochen, dass Indien, Pa-kistan und Israel als Kernwaffenstaaten nicht Mitgliederdes Nichtverbreitungsvertrages sind. Nun fordert dieKoalition in ihrem Antrag, diese Länder sollten „als

Nichtkernwaffenstaaten“ dem Vertrag beitreten. Das istvergleichsweise illusionär.

(Zuruf von der SPD: Gut, aber fordernkann man es ja!)

Deshalb stellt sich die Frage, ob man nicht schon einenSchritt weiter käme, wenn man von diesen drei Staatenforderte, ihre zivile Nutzung der Kernenergie dem Zu-satzprotokoll zu unterstellen. Meines Erachtens wärenwir dann immerhin einen Schritt weiter.

Im Hinblick auf Indien möchte ich auf eine Inkonsis-tenz in der Außenpolitik der Bundesregierung hinwei-sen. Bekanntlich hat der Bundeskanzler auf seinerAsienreise im Schulterschluss mit Indien für beide Staa-ten einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat gefordert. Erhat es als großen diplomatischen Erfolg gefeiert, dass In-dien die deutschen Ambitionen unterstütze und umge-kehrt. Nun muss man sich Folgendes vorstellen: Indien– dann also gegebenenfalls ständiges Mitglied des Si-cherheitsrates – muss Sanktionen mitbeschließen, diewegen der Nichtbefolgung des Nichtverbreitungsre-gimes gegen den Iran verhängt werden, obwohl Indienselbst an dem ganzen Regime nicht teilnimmt. Das istein gewisser Widerspruch in der Außenpolitik der Bun-desregierung, denn offensichtlich hat dieses Thema beider Bündnispolitik im Hinblick auf die Sicherheitsrats-ambitionen keine Rolle gespielt.

Zum Zweiten wird es in New York darum gehen, dasses möglichst keine neuen Atomwaffenstaaten gebensoll. Allerdings macht der Technologietransfer, der imNichtverbreitungsregime garantiert ist, Probleme. IhrAntrag unterschätzt die Bedeutung, die die Teilnahme ander friedlichen Nutzung der Kernenergie für die Schwel-lenländer auf der Welt hat. Es ist etwas naiv, zu glauben,dass man das Recht zur friedlichen Nutzung der Kern-energie gegen den angebotenen Technologietransfer vonWindrädern und Sonnenkollektoren eintauschen wird;im Prinzip steht das ja so in Ihrem Antrag.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das isteine Alternative!)

In Ihrem Antrag haben Sie aus nahe liegenden Grün-den nicht in die Bilanz aufgenommen, dass es auf derWelt im Augenblick 442 Kernkraftwerke gibt und 25weitere im Bau sind, und zwar mit steigender Tendenz.Die Begründung für den Ausstieg aus der Kernenergie,die Sie der bundesdeutschen Bevölkerung gegeben ha-ben, nämlich dass sich dadurch die Sicherheit erhöhenwerde, dass das ein weltweites Beispiel sei und andereLänder schrittweise dem leuchtenden Beispiel Deutsch-lands folgen würden, hat sich damit nachhaltig als illu-sionär erwiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU – WinfriedNachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Was ist Ihre Konsequenz?)

– Die Konsequenz ist, dass wir die Welt so nehmen, wiesie ist, und unsere Maßnahmen, lieber KollegeNachtwei, nicht alleine daran festmachen, wie wir siegerne hätten.

(Zuruf des Abg. Winfried Nachtwei [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

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Ruprecht Polenz

– Stell eine Zwischenfrage! Dann bekomme ich ein biss-chen mehr Redezeit. Anderenfalls sollten wir das Zwie-gespräch nicht fortsetzen.

Die Anreicherungsfähigkeit bei der zivilen Nutzungder Kernenergie ist die technologische Voraussetzungfür die Waffenfähigkeit. Deshalb kommt dieser Frageeine besondere Rolle zu.

Damit bin ich beim dritten Schwerpunkt der Konfe-renz, nämlich bei der Frage, wie man die Anreicherungbegrenzen könne. Da gibt es den Vorschlag eines Mora-toriums. Den lehnen Sie ab. Es geht dabei um eine Be-grenzung auf die Staaten, die jetzt anreichern, und zu-sätzlich um eine Liefergarantie zu Weltmarktpreisen fürdie Staaten, die bisher nicht anreichern. Ein anderer Vor-schlag sieht eine multilaterale Anreicherung unter inter-nationaler Kontrolle vor.

Wir halten es für nicht richtig, einen Weg von vorn-herein auszuschließen; denn der erste Weg wird wahr-scheinlich in Bezug auf den Iran von den EU-Drei ver-folgt. Das schließen Sie in Ihrem Antrag aus.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Nein, nein!)

– Doch. – Deshalb sind wir dafür, beide Wege zu verfol-gen und nach individuellen Lösungen zu suchen, wieman in dieser Anreicherungsfrage zu einer Begrenzungkommen kann.

Wir haben als vierten Punkt auf der Tagesordnung,wie wir die Verifizierung der Verpflichtungen besserund handfester gestalten können. Da ist Ihre Forderung,das Zusatzprotokoll praktisch zum Bestandteil des Ver-trages zu machen, richtig.

Aber darüber hinaus ist zu nennen: Wir müssen se-hen, dass die IAEO besser ausgestattet wird; denn es gibtheute neue Möglichkeiten des Aufspürens von nuklearenAktivitäten, die die IAEO gerne wahrnehmen würde,wozu sie aber kein Geld hat. Das wäre ein wichtigerPunkt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN)

Der fünfte Punkt betrifft die Kündigungsfrist bzw. dieKündigungsmodalitäten, die im Zusammenhang mitdem Sperrvertrag gelten. Wir haben es bei Nordkoreaschmerzlich gesehen: Die Fristen sind kürzer als ge-meinhin im deutschen Arbeitsrecht erlaubt. Binnen dreiMonaten kann gekündigt werden.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]:Da wollen Sie hin!)

Sie fordern als ein Instrument eine – ich sage es einmalmit meinen Worten – Rechtfertigungskonferenz. In ei-nem solchen Kündigungsfall gehört aber auch die Ver-pflichtung der Rückgabe von Nukleareinrichtungen undder Rückgabe spaltbaren Materials dazu. Das müsstenach unserer Auffassung hinzukommen.

Jetzt komme ich zu der Frage, wie man das alles er-reicht. Sie erwecken ja mit Ihrem Antrag den Eindruck,als werde daran der Erfolg der Konferenz gemessen, ob-

wohl eigentlich alle – jedenfalls alle, die jetzt hier sind –wissen, dass die Erwartungen eher bescheiden sind. Dasliegt auch daran, dass wir es nicht geschafft haben, zu ei-ner gemeinsamen Position der Europäischen Union zukommen. Ich frage mich: Wo sind denn die Anstrengun-gen Deutschlands, überhaupt eine solche gemeinsamePosition der Europäischen Union im Hinblick auf dieÜberprüfungskonferenz zu bewerkstelligen? Hier wäregut Raum für eine deutsch-französische Initiative zurVorbereitung einer gemeinsamen EU-Position gewe-sen. Dies wäre eine geradezu klassische Aufgabe im Zu-sammenhang mit der deutsch-französischen Führungs-rolle im Rahmen der Gemeinsamen Außen- undSicherheitspolitik gewesen. Warum? Klassischerweisenimmt Deutschland diese Aufgabe zusammen mitFrankreich wahr. Denn wenn der Rest der EuropäischenUnion das Gefühl hat, die Franzosen mit ihrem speziel-len Politikverständnis und die Deutschen mit ihrem et-was anders gelagerten haben sich auf etwas geeinigt,können das eigentlich alle mittragen.

Wenn man das in diesem Fall versucht hätte, hättensich Frankreich als Nuklearwaffenstaat und Deutschlandals Nichtatommacht auf eine Initiative geeinigt und sievielleicht in der Europäischen Union durchgesetzt. Dannstünden wir natürlich insgesamt viel besser da. Denn dieschwierigen Mentalitätsfragen zwischen „haves“ und„havenots“ wären viel leichter zu adressieren, wenn manmit einer Position käme, auf die man sich europaweitverständigt hätte. Das ist ein großes Versäumnis deut-scher Außenpolitik; aber der Außenminister hat ja be-kanntlich anderes zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Lassen Sie mich noch etwas zum FDP-Antrag sagen,in dem gefordert wird, dass die amerikanischen Nuklear-waffen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Ichweiß nicht, ob die FDP der Meinung ist, dass die US-Truppen gleich mit abgezogen werden sollen, oder ob sieder Meinung ist: Die amerikanischen Truppen solltenschon in Deutschland bleiben. Wenn sie aber Letzteresmeint – was ich vermute –, dann spricht eigentlich vielesdafür, die Frage, wie die Truppen geschützt und wie siebewaffnet werden sollen, denen zu überlassen, die siestellen.

Die zweite Frage, die sich im Zusammenhang mit Ih-rem Antrag stellt, ist: Wollen Sie auf den amerikanischenNuklearschirm für Deutschland verzichten?

(Harald Leibrecht [FDP]: Was hat das denn damit zu tun?)

Wenn nein – ich nehme an, dass Sie darauf nicht ver-zichten wollen –, dann, glaube ich, spricht viel dafür,diese Frage nicht in der Form zu adressieren, wie Sie esgetan haben. Ich glaube, das schafft nur neue Problemeim transatlantischen Verhältnis. Ich halte den FDP-An-trag insoweit für nicht zu Ende gedacht.

(Uta Zapf [SPD]: Fehlt nur noch der Erstschlag!)

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Ruprecht Polenz

Lassen Sie mich zu dem Abrüstungsversprechen desArt. VI des NVV, das ja auch in Ihrem Antrag eine großeRolle spielt, nur so viel sagen: Das Ziel einer atomwaf-fenfreien Welt halte ich für illusionär.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Aber es ist ein schönes Ziel!)

Dadurch würde auch nicht mehr Sicherheit in der Weltgeschaffen. Denn das Wissen, wie man die Bombe baut,ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Von daher sindwir gut beraten, wenn wir realistische Ziele formulierenund sicherlich an dem Vertrag in dem Punkt deklamato-risch festhalten. Aber wir sollten nicht unsere Argumen-tation hauptsächlich darauf abstützen. Nicht zuletzt ausdiesem Grund werden wir Ihrem Antrag nicht zustim-men.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. RolfMützenich [SPD] und Gert Weisskirchen[Wiesloch] [SPD]: Schade!)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei,

Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sprechen heute zu den beiden Anträgen, einerseits zudem von der Koalition und andererseits zu dem von derFDP, darüber hinaus in zweiter Lesung zum Jahresabrüs-tungsbericht 2003. Gestatten Sie, dass ich zunächst zudem Bericht einige Worte sage.

Das Jahr 2003 und die Monate, die seither vergangensind, waren wahrhaftig keine gute Zeit für weltweiteRüstungskontrolle und Abrüstung. Die Rüstungskon-trollverhandlungen – als besonders schlechtes Beispielmöchte ich die Verhandlungen in Genf anführen – ka-men ganz und gar nicht voran. Die kriegerischeZwangsabrüstung des Saddam-Hussein-Regimes im Jahr2003 ging einher mit enormen Aufrüstungsschüben ei-nerseits terroristischer und militanter Gruppen im Irakund andererseits der USA. Das Gesamtbild ist eher de-primierend. Aber um sich davon nicht lähmen zu lassen,ist es besonders wichtig, auf die Punkte etwas näher ein-zugehen, bei denen es doch ein wenig vorangeht und esgewisse Chancen gibt.

(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Ich möchte zuerst auf die Abrüstungszusammen-arbeit und Nichtverbreitung zu sprechen kommen.Große Gefahren für die internationale Sicherheit und dieUmwelt gehen immer noch von Altlasten des für uns in-zwischen ja so lange zurückliegenden Kalten Kriegesaus, und zwar vor allem von Altlasten in Ländern aufdem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Deshalb wardie von Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin imJahr 2002 gestartete G-8-Initiative „Globale Partner-schaft“ von enormer strategischer Bedeutung. Bei ihrgeht es vor allem um drei Felder, nämlich erstens um dieVernichtung chemischer Waffen – immerhin hat Russ-land 40 000 Tonnen deklariert –, zweitens die Entsor-

gung der russischen Atom-U-Boote, die in fürchterli-chem Zustand in verschiedenen Häfen vor sich hindümpeln und verrotten, und drittens um den Schutz nu-klearer Materialien, in Bezug auf die man sagen muss:Wenn man dazu Genaueres aus Russland hört, dann kannman zunächst einmal nicht glauben, unter welchen Be-dingungen dort mit solchen Stoffen noch umgegangenwird. Für dieses Programm sind immerhin 20 MilliardenDollar angesetzt. Die Bundesrepublik hat sich zu einemBeitrag von 1,5 Milliarden Euro bereit erklärt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das Gute ist – Mitglieder aller Fraktionen haben dasfestgestellt –, dass der bilaterale Beitrag der Bundesre-publik, zum Beispiel zur Chemiewaffenvernichtung,ausgezeichnet, leider aber auch einmalig ist. Aufgrundder bundesdeutschen Hilfe konnte die Anlage in Gornyschon längst ihren Betrieb aufnehmen. In Kambarka istdie nächste Inbetriebnahme geplant. Danach wird wahr-scheinlich sogar die Vernichtung von Nervenkampfstof-fen durchgeführt, was eigentlich mit US-amerikanischerHilfe geschehen sollte.

Ein anderer Bereich sind die konkreten Abrüstungs-maßnahmen. Wir haben heute schon viel über Massen-vernichtungswaffen gesprochen; das ist richtig und not-wendig. Aber dabei dürfen wir nicht vergessen, dass dierealen Massenvernichtungswaffen in diesen Tagen undJahren weiterhin Kleinwaffen und leichte Waffen sind.Dass die Bundeswehr im Jahr 2003 190 000 kleine undleichte Waffen vernichtet hat, ist ein sehr gutes Signal,nicht nur hierzulande, sondern auch auf internationalerEbene. In vielen Krisenregionen trägt deutsches staatli-ches und nichtstaatliches Engagement zu Projekten derDemilitarisierung, Demobilisierung und Reintegrationsowie zum humanitären Minenräumen bei. Ohne diesenDreiklang allerdings ist jede Entwaffnung zum Scheiternverurteilt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Immer deutlicher erkennen wir: In Konflikt- undNachkriegssituationen ist die Reform des Sicherheits-sektors eine Schlüsselaufgabe. Sie zielt auf die Ein-dämmung privatisierter Gewalt und die Förderungrechtsstaatlicher Gewaltmonopole. Sie ist so etwas wiestrukturelle Abrüstung. Hierzu leisten verschiedeneMinisterien – das Außenministerium, das Verteidigungs-ministerium, das Entwicklungsministerium und auch dasInnenministerium – hervorragende einzelne Beiträge. Esist ein sehr guter Schritt vorwärts, dass jetzt vorgesehenist, im Rahmen des Aktionsplans „Zivile Krisenpräven-tion, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ dieReform des Sicherheitssektors zu einem ganz zentralenund kohärenten Projekt der Bundesregierung zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nun zu den Themen Abrüstung und Europäische Si-cherheits- und Verteidigungspolitik. In den ersten Jahrender Europäischen Sicherheits- und Verteidigungs-politik spielten die Themen Rüstungskontrolle und

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Winfried Nachtwei

Abrüstung auf dieser Ebene eigentlich kaum eine Rolle.Es war vor allem die Rede von der Verbesserung der mi-litärischen Fähigkeiten der Europäischen Union.

Angesichts der Diskussionen, die in den letzten Mo-naten über die EU-Verfassung geführt wurden, muss andieser Stelle allerdings sehr deutlich der Vorwurf, die eu-ropäische Verfassung sei eine Aufrüstungsverfassung,der von Teilen der Öffentlichkeit erhoben wird, zurück-gewiesen werden. Dies ist eine Verzerrung und stimmtmit der Wirklichkeit nicht überein. Denn wenn in dereuropäischen Verfassung davon gesprochen wird, dassmilitärische Fähigkeiten verbessert werden müssten,dann bedeutet das in Wirklichkeit, dass heute vorhan-dene, äußerst teure Unfähigkeiten reduziert werden müs-sen. Darum geht es de facto.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Zum Operationsspektrum im Rahmen der Europäi-schen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehören seitdem Verfassungsentwurf ausdrücklich auch gemeinsameAbrüstungsmaßnahmen. Was das bedeutet, wird bei denverschiedenen EU-Missionen deutlich, zum Beispiel inBosnien und Mazedonien.

Nun komme ich zum Antrag der Koalition zur nu-klearen Nichtverbreitung und Abrüstung. 60 Jahre nachHiroshima und Nagasaki ist es um die Themen Atomrüs-tung und nukleare Abrüstung ziemlich ruhig gewor-den. Auch wenn heutzutage nicht mehr so etwas wie einWeltuntergang droht, was zu Zeiten des Kalten Kriegesstellenweise der Fall war, soll das Risiko, dass Atom-waffen eingesetzt werden, nach entsprechender Exper-tenmeinung heute sogar höher als in früheren Jahrzehn-ten sein.

(Harald Leibrecht [FDP]: Dann müssen Sie unserem Antrag zustimmen!)

Es besteht also kein Grund zur Verdrängung dieses The-mas, es besteht auch kein Grund zur Verdrängung derTatsache, dass es sich hier um ganz besonders grausame,unterschiedslos wirkende Waffen handelt, die eigentlichvöllig allen Grundsätzen des humanitären Kriegsvölker-rechts widersprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Nichtverbreitungsvertrag ist ein Eckpfeiler desweltweiten Bemühens, die Verbreitung von Atomwaffenzu verhindern und nukleare Abrüstung zu stärken. InKürze beginnt die Überprüfungskonferenz in New York.Nicht zu vergessen ist, was dieser Vertrag in den letztenJahren und Jahrzehnten leistete: Er brachte etliche Staa-ten dazu, von ihren Bemühungen, atomar zu rüsten, Ab-stand zu nehmen. Immerhin sind die allermeisten Staa-ten der Welt Mitglieder dieses Vertrages, wenn auchwichtige Staaten wie Indien, Pakistan, Israel nicht – undNordkorea nicht mehr.

Unübersehbar ist aber auch die Krise der Nicht-verbreitung: nicht nur dass ungefähr 40 Staaten überdie entsprechenden industriellen und wissenschaftlichen

Voraussetzungen verfügen; auch wächst bei den Nicht-kernwaffenstaaten die Ungeduld darüber, wie sich dieKernwaffenstaaten verhalten. Diese negieren nämlichdas Gebot zur nuklearen Abrüstung im Grunde und er-greifen, wie bereits angesprochen, im Gegenteil ver-schiedenste Modernisierungsmaßnahmen. Deshalb sindneue Impulse zur Stärkung und Revitalisierung desNichtverbreitungsvertrages äußerst dringend. Andern-falls wird die Proliferation, die Verbreitung von atoma-ren Waffen, einen Schub bekommen. Als Erste sind diefünf Kernwaffenstaaten gefordert, glaubwürdige Maß-nahmen in Richtung ihrer Abrüstungsverpflichtung zuergreifen und rechtlich verbindliche Sicherheitsgarantiengegenüber den Nichtkernwaffenstaaten zu entwickeln.Wieder zu beleben sind die amerikanisch-russischen Ab-rüstungsverhandlungen über substrategische und takti-sche Atomwaffen. Wir sagen in unserem Antrag: Vor al-lem die taktischen Kernwaffen sollen auf beiden Seitenreduziert und demontiert werden. Das heißt im Klartext:Für die Stationierung der amerikanischen Atomwaffenauf deutschem Boden gibt es keinerlei Rechtfertigungund auch keinerlei militärische Begründung mehr. Dasgilt, so meine ich, erst recht für die Vorbereitung vonbundesdeutschen Tornadopiloten darauf, auch solcheWaffen gegebenenfalls einsetzen zu können.

Bei der in Kürze in New York beginnenden Überprü-fungskonferenz werden viele Nichtregierungsorganisa-tionen als Beobachter dabei sein, unter anderem auch die„Bürgermeister für den Frieden“. Ihnen allen möchte ichausdrücklich für ihr Engagement und ihr Drängen aufnukleare Abrüstung danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie halten in Erinnerung und bewusst, dass wir uns nichtan ein Leben mit der Bombe gewöhnen dürfen, dass dasEintreten für nukleare Abrüstung kein Relikt der 80er-Jahre ist, sondern hochaktuell und dringlich. Vor allemwünsche ich aber den Verhandlern der Bundesregierungund ihren Verhandlungspartnern in New York möglichstviel Erfolg.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile dem Kollegen Harald Leibrecht, FDP-

Fraktion, das Wort.

Harald Leibrecht (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende des Kal-ten Krieges wird kaum noch über Abrüstung gespro-chen. Dabei sollten Fragen der Abrüstung und auch derRüstungskontrolle als Teil der Außen- und Sicherheits-politik wieder viel stärker gewichtet werden.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg[CDU/CSU])

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Harald Leibrecht

Abrüstungspolitik könnte zum Beispiel bei der Suchenach Lösungsansätzen für etliche Regionalkonflikte, diewir haben, eine wesentlich wichtigere Rolle einnehmen,so etwa im Hinblick auf den Broader Middle East. Dasollte man durchaus mit den im KSZE-Prozess in Europaerfolgreich angewendeten Ansätzen der Rüstungskon-trolle, aber auch der Vertrauensbildung arbeiten und dieregionalen Akteure zu einem Thema an einen Tisch brin-gen, an dem wirklich alle Interesse haben müssen.

Noch klarer wird die Bedeutung der Abrüstungspoli-tik bei der Bekämpfung der Verbreitung von Massen-vernichtungswaffen. Wenn der Iran eines Tages überNuklearwaffen verfügen sollte, würde dies ein nuklearesWettrüsten einleiten. Das Gleiche befürchte ich auch beiNordkorea.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)

Es wäre eine unvorstellbare Bedrohung für uns alle,wenn über solche Länder eines Tages Nuklearwaffen indie Hände von internationalen Terroristen geraten wür-den.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)

Meine Damen und Herren, der Welttrend läuft zurzeitleider nicht in Richtung Ab-, sondern eher in RichtungAufrüstung. Die weltweiten Rüstungsausgaben bewe-gen sich laut dem Stockholmer Friedensforschungsinsti-tut SIPRI weiter im Rekordbereich des Kalten Krieges.Der Waffenhandel befindet sich weltweit im Aufwärts-trend. Auch Deutschland mischt bei den Rüstungsexpor-ten kräftig mit. Gerade heute gab es eine Schlagzeile inder „Zeit“ mit der Überschrift: „Der peinliche Exporter-folg Deutschlands“. China rüstet im Rekordtempo auf;das hat bedrohliche Auswirkungen auf das Kräftegleich-gewicht in Asien. Was in diesem Zusammenhang dieAufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber Chinabedeuten würde, war heute Morgen bereits Thema einerDebatte. Sie wissen, dass wir, die FDP, strikt gegen dieAufhebung dieses EU-Waffenembargos sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die ehemaligen „Kalten Krieger“, die USA und Russ-land, drohen in eine Phase nuklearen Wettrüstens einzu-treten mit immer neuen Plänen für neue Nuklearwaffen.Bei den Bemühungen um weltweite Abrüstung herrschtheute hingegen weitgehend Stillstand. Die Genfer Ab-rüstungskonferenz ist seit sieben Jahren vollständig blo-ckiert. SPD und Grüne haben in einem von uns, der FDP,mit unterstützten Antrag zwar vielsagend und für Regie-rungsparteien durchaus auch selbstkritisch festgestellt,dass sich die Rüstungskontrolle heute „in der Krise be-findet“ und dass es neuer Impulse bedürfe. Im Jahresab-rüstungsbericht der Bundesregierung liest sich dies je-doch ganz anders. Ich vermisse bis heute die gefordertenImpulse der Bundesregierung, um die Abrüstungspolitikaus ihrer Krise zu führen.

(Beifall bei der FDP)

Wir als Liberale kritisieren aber nicht nur, wir machenauch konkrete Vorschläge. Wir alle sind uns einig, dassdie im Mai anstehende Überprüfungskonferenz zumNichtverbreitungsvertrag erfolgreich sein muss. Der

nukleare Nichtverbreitungsvertrag beruht auf drei wich-tigen Säulen. Das sind erstens die Verpflichtung zurNichtverbreitung, zweitens das Recht der Nichtnuklear-staaten auf zivile Nutzung der Kernenergie und drittensdie Abrüstungsverpflichtung der Nuklearmächte. Nurdieser Dreiklang macht das Nichtverbreitungsregimeglaubwürdig und tragfähig und nur bei Beachtung allerdrei Säulen können die Proliferationskandidaten dieserWelt glaubwürdig aufgefordert werden, sich an dieNichtverbreitung zu halten.

Wir Liberale unterstützen deshalb die EU-3-Initiative,den Iran auf diplomatischem Wege von seinen Nuklear-waffenambitionen abzubringen und Teheran dafür aufdem Gebiet der zivilen Nutzung entgegenzukommen,wie das im Nichtverbreitungsvertrag nun einmal vorge-sehen ist.

Wir meinen aber, dass der dritten Säule des Nichtver-breitungsvertrages, der Abrüstungsverpflichtung der Nu-klearmächte, mehr Nachdruck verliehen werden muss.Deshalb fordern wir in unserem heute eingebrachten An-trag den Abzug der in Deutschland stationierten etwa150 US-amerikanischen taktischen Nuklearwaffen.Diese Bomben sind ein Relikt des Kalten Krieges. Siespielen im Umgang mit den heutigen Bedrohungen keineRolle mehr und sind angesichts der gültigen NATO-Stra-tegie für Deutschland nicht zwingend erforderlich.

Die Tatsache, dass diese taktischen Nuklearwaffen bisheute in Deutschland lagern und dass auch unsere Solda-ten mit diesen Waffen üben müssen, werden in Deutsch-land weitgehend totgeschwiegen. Rot-Grün traut sich of-fensichtlich nicht an dieses Thema heran.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Steht im Antrag!)

Wir fordern die Bundesregierung auf, in der NATOund in Gesprächen mit den USA auf einen baldigen Ab-zug dieser Waffen zu drängen. Es wäre ein wichtiges Si-gnal an all die Länder, die wir auffordern, abzurüsten,wenn wir selbst mit gutem Beispiel vorangingen unddiese Waffen aus unserem Land verbannten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Weigel.

Andreas Weigel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Das Fazit des vorliegenden Jahres-abrüstungsberichtes 2003 ist eindeutig: Das Jahr 2003war für die Politik der Abrüstung ein schwieriges Jahr.Dennoch sind auch Erfolge zu verzeichnen: Bei der Ab-rüstung der konventionellen Waffen konnte 2003 beimOttawa-Übereinkommen eine positive Bilanz gezogenwerden. Der Export von Antipersonenminen ist zum Er-liegen gekommen. Ebenfalls positiv ist die Bilanz beimVN-Waffenübereinkommen. Ein neues Protokoll überKampfmittelrückstände wurde verabschiedet.

Nun aber zu den schlechten Nachrichten. Die nukle-are Bedrohung ist mit dem Ende des Kalten Krieges

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Andreas Weigel

nicht verschwunden. Der Atomwaffensperrvertrag istlöchrig geworden. Die internationale Kontrolle derAtomwaffentechnik zerfällt. Die Liste der unmittelbarenProbleme ist lang und leider auch heute noch aktuell:Nordkorea ist aus dem Atomwaffensperrvertrag ausge-stiegen. Der Iran steht weiterhin unter Verdacht, angerei-chertes Uran für den Bau von Atomwaffen nutzen zuwollen. Auch die Kernwaffenstaaten Indien und Pakistanwerfen immer wieder Fragen auf.

Ausdruck dafür ist zum Beispiel das internationaleNetz von Atomschmugglern, hinter denen pakistanischeNuklearforscher stehen. Angesichts der globalen Terror-netzwerke ist das eine sehr ernste Entwicklung. Deshalbbereiten auch die Tausenden Tonnen schlecht geschütztenSpaltmaterials auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjet-union weiterhin große Sorge.

Inzwischen hat man – auch auf Initiative der Bundes-regierung – gehandelt. So verabschiedete der Europäi-sche Rat 2003 die EU-Strategie gegen die Verbreitungvon Massenvernichtungswaffen.

Worum geht es bei dieser Strategie? Grundlegend istzuerst einmal, dass alle Verträge universelle Reichweitehaben; ansonsten bleiben sie wirkungslos. Die Kontrolleund die Verifikationsmechanismen der Verträge müssengestärkt werden. Das gilt auch für die institutionellenStrukturen der Kontrollregime. Schließlich setzt die EU-Strategie auf eine weitere Verstärkung der Kooperationmit den Vereinigten Staaten. Das ist die Grundlage unse-res Handelns. Auf dieser Grundlage wurden 2003 kon-krete Initiativen entwickelt und weiterverfolgt.

Von besonderer – ich möchte sogar sagen: zentraler –Bedeutung sind hier die Proliferationssicherheitsinitia-tive, PSI, und die Initiative „Globale Partnerschaft“. DiePSI zur Sicherstellung der Nichtverbreitung von Mas-senvernichtungswaffen ist eine globale Reaktion auf einglobales Problem. Ziel ist es, die Bekämpfung der Ver-breitung von Massenvernichtungswaffen mit polizeili-chen und strafrechtlichen Mitteln zu verbessern. Bei derzwischenstaatlichen Zusammenarbeit und beim Informa-tionsaustausch kann und muss noch viel getan werden.Der Handel mit Massenvernichtungswaffen und Träger-systemen muss konsequent bekämpft werden. DerTransport auf dem See-, Luft- und Landweg muss unter-bunden werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ganz wichtig ist es, Verbreitungsnetzwerke zu zer-schlagen und Strafverfolgungsbemühungen zu koordi-nieren.

Neben der Eindämmung der Proliferation gilt es – daszeigen die Erfahrungen und Ergebnisse –, die Initiative„Globale Partnerschaft“ zu festigen und weiterzuent-wickeln. Die G-8-Staaten haben im Rahmen der „Globa-len Partnerschaft“ bekräftigt, für die Umsetzung vonProgrammen in den nächsten zehn Jahren bis zu 20 Mil-liarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen.

In dem Rahmen der „Globalen Partnerschaft“ stehtauch die Politik der Abrüstungszusammenarbeit mit

Russland. Wir unterstützen Russland bei der Vernich-tung chemischer Waffen. Wir helfen Russland auch beider Entsorgung von nuklear angetriebenen Booten undvon Spaltmaterial. Außerdem investieren wir in dieSicherung von Nuklearmaterial. Deutschland hat die In-betriebnahme der Chemiewaffenvernichtungsanlage inGorny unterstützt. Jetzt helfen wir beim Bau einer zwei-ten Anlage in Kambarka. Damit konnte Russland seineVerpflichtungen bei der Chemiewaffenvernichtung er-füllen. Mit der Vernichtung der russischen Bestände deschemischen Kampfstoffes Lost ist erstmals eine ganzeKampfstoffklasse abgerüstet worden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind konkrete und nachhaltige Erfolge der Abrüs-tungspolitik. Die Bundesrepublik spielt hierbei eine füh-rende Rolle.

Weiterhin hat sich Deutschland mit Russland auf eineZusammenarbeit bei der Zerlegung von nuklearen U-Boo-ten geeinigt. Schließlich setzt sich Deutschland für eineVerbesserung der Sicherung von Nuklearmaterial undNuklearanlagen in Russland ein. Dazu gehört auch, fürdie Beschäftigung und Umschulung ehemaliger Waffen-forscher zu sorgen.

Die Initiative zur Sicherstellung der Nichtverbreitungvon Massenvernichtungswaffen, PSI, und die Initiative„Globale Partnerschaft“ sind zwei wichtige Säulen in derglobalen Reaktion auf globale Probleme. Der verstärkteEinsatz polizeilicher und strafrechtlicher Mittel zurBekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungs-waffen entspricht den Notwendigkeiten unserer Zeit.Gleichzeitig ist die Abrüstungszusammenarbeit mitRussland im Rahmen der „Globalen Partnerschaft“zwingend geboten. Wir sollten unsere Überlegungen nundarauf richten, dieses Modell einer Partnerschaft auf an-dere Staaten und Regionen auszudehnen. Vielleichtkönnte das Modell der „Globalen Partnerschaft“ auch ei-ner von vielen Bausteinen zu einem regionalen Sicher-heitssystem im Nahen Osten werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Jahres-abrüstungsbericht zeigt vor allem eines: Er zeigt, was zutun ist. Erste Initiativen sind ergriffen. Wie weit dieseInitiativen in die richtige Richtung weisen und ob sieausbaufähig sind, wird unter anderem der nächste Ab-rüstungsbericht zeigen. Wir sind gespannt darauf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Freiherr von und

zu Guttenberg.

Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg(CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Kollege Leibrecht wies richtigerweise auf eingelegentlich bedauernswertes Dasein der Abrüstungspo-litik hin. Man ist als Parlamentarier am heutigen Tagegeneigt, wild stöbernd nach außenpolitischen Themen-

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Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

feldern zu suchen, über die noch kein Gedankenembargoverhängt wurde.

(Lachen bei der SPD)

Es war nicht zuletzt dieses Hohe Haus, das in Jahrzehn-ten, oft im grundsätzlichen Konsens – heute nicht in al-len Feldern –, die Abrüstung und Rüstungskontrolle miteinem beachtlichen Fundament versehen hat. Es solltedaher in unser aller wohlverstandenem Interesse sein,dass auch diese Grundlage zukünftig nicht wider-spruchslos der bemerkenswerten Wucht des außenpoliti-schen Selbstverständnisses des Bundeskanzlers geopfertwird.

Insbesondere im sensiblen Bereich der Abrüstungsollte der Idealfall einer mit breiter parlamentarischerMehrheit getragenen und gegebenenfalls ergänzend be-gleitenden Politik von der Bundesregierung befördertund nicht ausgeblendet werden. Das aktuellste Beispielbildet in dieser Hinsicht die bereits mehrfach angespro-chene und im Jahresabrüstungsbericht 2003 nun endlichauch benannte Problematik des iranischen Nuklear-programms.

So hat eine Initiative aus der Mitte des Parlaments ingemeinsamer Anstrengung – einige der Kollegen sindheute hier – bewiesen, dass in Zeiten stagnierender Ab-stimmungsprozesse zwischen der Europäischen Unionund den Vereinigten Staaten durchaus flankierend Wir-kung erzielt werden kann, gerade seitens der parlamenta-rischen Ebene. Mit der Vorlage einer erstmalig gemein-samen und auf beiden Seiten überparteilichen deutsch-amerikanischen Initiative zur iranischen Nuklearproble-matik konnte zunächst aufgezeigt werden, dass eine Zu-sammenführung der amerikanischen und der europäi-schen Positionen grundsätzlich möglich ist. Das war indieser Situation als Anstoß bitter notwendig. Gerade inden Vereinigten Staaten konnte auf parlamentarischerEbene im Kongress die Diskussion um wichtige Aspekteerweitert werden, die schließlich auch bei der Erarbei-tung eines gemeinsamen Vorgehens auf der Ebene derdortigen Administration Berücksichtigung gefunden ha-ben.

Die Initiative wird von der Überzeugung getragen,dass eine dauerhafte Verhandlungslösung in der Iran-frage nur dann möglich ist, wenn die Europäische Unionund die Vereinigten Staaten in dieser Frage eng aufei-nander abgestimmt zusammenarbeiten und sich nicht er-neut auseinander dividieren lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Hier in groben Zügen der Inhalt der gemeinsamenPosition: Grundsätzlich ist dem Iran ein Recht auf diefriedliche Entwicklung nuklearer Technologie gemäßNVV einzuräumen. Gleichzeitig aber ist die Grundvo-raussetzung für ein Abkommen, dass Teheran als ver-trauensbildende Maßnahme das Zusatzprotokoll desNVV unverzüglich ratifiziert und strikt einhält. Zusätz-lich muss sich der Iran zur vollständigen Zusammenar-beit mit und zur Transparenz gegenüber der Internatio-nalen Atomenergiebehörde verpflichten.

Im Einklang – ich betone: im Einklang – mit denausgewiesenen Standpunkten der EU-3 sollte ein lang-fristiges Abkommen folgende Konditionen enthalten:Der Iran hat seine Bemühungen zur Erlangung einesgeschlossenen Brennstoffkreislaufs sowie jedwede Pro-gramme zur Anreicherung von Uran sowie zur Produk-tion von Uranhexafluorid und dessen Zwischen-produkten dauerhaft einzustellen. Das Gleiche gilt fürdie Gewinnung von Plutonium und iranische Bemühun-gen zur Erlangung eines nuklearen Schwerwasserreak-tors. Zur Überprüfung ist ein umfassendes Inspektions-regime zu etablieren.

Erfüllt der Iran diese Konditionen, hätten folgendeGegenleistungen in Kraft zu treten – im Übrigen Gegen-leistungen, die für die amerikanische Seite einen bemer-kenswerten Fortschritt bedeuten würden –: bilateraleVerhandlungen zwischen den USA und dem Iran mitdem Ziel der Wiederaufnahme diplomatischer und Han-delsbeziehungen. Darüber hinaus würden die USA unddie EU-3 den Beitritt des Landes zur WTO unterstützen;Condoleezza Rice hat sich schon in diese Richtung be-wegt.

Die EU-3 ihrerseits würden ihre Verhandlungen mitdem Iran über ein Handels- und Kooperationsabkommenwieder aufnehmen. Zudem würden die EU-3 und dieUSA den Iran beim Erwerb eines einzelnen nuklearenLeichtwasserreaktors und beim Zugang des Irans zuminternationalen Brennstoffmarkt unterstützen.

Falls der Iran schließlich formal und nachweisbar aufjegliche nukleare – offensive wie defensive – Bewaff-nung verzichtet, soll ein Nichtangriffspakt zwischen demIran und allen Parteien der Vereinbarung geschlossenwerden. In Ergänzung dazu sollen zwischen der EU-3und dem Iran parallel Gespräche über zentrale ungelösteFragen geführt werden. Entscheidend ist hierbei die An-erkennung des Existenzrechts Israels als jüdischerStaat in der Region durch den Iran.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Des Weiteren geht es um einen internationalen Kon-sens, wie dem Terrorismus entgegenzutreten ist, ein En-gagement zur Friedenssicherung im Irak, die Berück-sichtigung des transatlantischen Verhältnisses sowie umdie legitimen Sicherheitsinteressen und die ökonomi-schen Interessen des Iran, um dort das Interesse für einEntgegenkommen zu wecken.

Versäumt es der Iran schließlich, den genannten Vor-gaben nachzukommen, befürworten auch die EU-3 dieÜberweisung des iranischen Nuklearproblems an den Si-cherheitsrat der Vereinten Nationen. Die EU wird ihrer-seits unverzüglich umfassende Sanktionsmaßnahmengegenüber dem Iran ergreifen.

Die Reaktion des amerikanischen Präsidenten aufdiese Initiative war positiv; sie wurde ihm in Mainz vor-gestellt. Die Reaktion des Bundeskanzlers war, mildegesagt, verhalten. Er reagierte mit der Äußerung, parla-mentarische Initiativen seien für die laufenden Verhand-lungen nicht sinnvoll. Dies war erneut ein Moment, indem er mit seinem außenpolitischen Selbstverständnisim Grunde einsamer denn je wirkte. Trotzdem sollten

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Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg

wir die verbliebene Butter auf unserem parlamentari-schen Brot mit Zuversicht betrachten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat die Abgeordnete Uta Zapf.

Uta Zapf (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Weigel hat gerade auf den nächsten Jahresabrüs-tungsbericht hingewiesen. Er wird uns bald vorliegen. Eswäre gut, wenn wir über diesen etwas zeitnäher im Ple-num diskutierten.

(Beifall des Abg. Harald Leibrecht [FDP])

Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit beim Aus-wärtigen Amt für den Bericht und für die gute Zusam-menarbeit im Unterausschuss ganz herzlich bedanken,und zwar nicht nur mit dem Auswärtigen Amt, sondernauch mit den Kolleginnen und Kollegen von den anderenFraktionen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich glaube, wir hätten es nicht sehr schwer, mit Herrnvon und zu Guttenberg und Herrn Leibrecht gemeinsameAnträge zu erarbeiten.

(Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg [CDU/CSU]: Jetzt wird es schwerer!)

Herr Polenz, ich warne Sie davor, hier falsche Be-hauptungen aufzustellen. Es gibt einen gemeinsamenStandpunkt der EU – über diesen wird heute abgestimmt –und ein gemeinsames deutsch-französisches Papier.Aber Sie kennen ja das Abrüstungsgeschäft vor solchengroßen Ereignissen. Manchmal wird erst am letzten Tagentschieden und deutlich, was sich durchsetzt. Aber esgibt einen gemeinsamen Standpunkt.

Ich erinnere mich gerade am heutigen Tage an diegroße Debatte, die wir hier vor fast genau zehn Jahren– das Haus war damals übrigens wesentlich voller – überdie Verlängerungskonferenz zum Nichtverbreitungsver-trag geführt haben. Ich hatte damals als Rednerin eineerstaunliche Übereinstimmung mit dem KollegenDregger. Das war mir noch nie passiert und wird in derFolge sicherlich nicht mehr geschehen sein. Aber wiralle waren uns einig, einen Antrag der FDP als gemein-same Grundlage für einen überparteilichen Antrag zunehmen. Über diesen haben wir dann abgestimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ich denke, wir sollten uns zukünftig ein Beispiel darannehmen.

Es wurde schon erwähnt, dass der Nichtverbrei-tungsvertrag eigentlich eine Erfolgsstory ist. Als er1968 zur Zeichnung aufgelegt wurde, hat man befürch-tet, dass es in kürzester Zeit 25 Nuklearstaaten gebenwird. Heute gibt es, soweit bekannt, nur acht. Alleine dasist als ein Erfolg dieses Vertrages zu betrachten. Es gibtStaaten, die ihre Programme offen gelegt haben, davon

Abstand genommen haben und dem Vertrag beigetretensind. Das waren 1991 Südafrika – dort war man schonrelativ weit –, 1995 Argentinien und 1998 Brasilien. Esgibt natürlich auch Sorgenkinder; darauf ist schon hinge-wiesen worden. Libyen gilt sozusagen als gerade ent-sorgtes Sorgenkind.

Es gab auch einen Abrüstungsprozess, der durchausin Konformität mit dem Nichtverbreitungsvertrag gewe-sen ist. Ich erinnere an INF sowie an START I und II.Auch der Moskauer Vertrag ist noch hinzuzurechnen.Wir haben also eine tatsächliche Reduzierung der Zahlan Nuklearwaffen erreicht. Trotzdem haben wir heuteAngst, dass das Nichtverbreitungsregime auseinanderfällt. Warum ist das so? Das ist deshalb so, weil andereDinge, die im Zusammenhang mit dem Nichtverbrei-tungsvertrag als sehr wichtige Bestandteile vereinbartworden sind, nicht umgesetzt wurden. Das Erste ist dasAtomteststoppabkommen. Es war kurz zuvor ausge-handelt worden und wurde 1996 fertig gestellt. Es wurdevon 174 Staaten unterzeichnet und mittlerweile von 120ratifiziert. Aber es wird auf absehbare Zeit nicht in Krafttreten, weil wichtige Länder es nicht ratifizieren werden.Beispielsweise haben sich die USA aus diesem Vertragzurückgezogen. Das ist die erste Krise.

Die zweite zeichnet sich im Moment ab. Noch immergibt es im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenzkeine Möglichkeit, über einen Produktionsstopp fürwaffenfähiges Nuklearmaterial zu verhandeln. DieVerhandlungen über die Tagesordnung stecken weiterhinfest. All diese Dinge waren ein großer Hoffnungsträgerfür diejenigen, die verzichtet haben.

Als Drittes sind die Sicherheitsgarantien zu nen-nen. Natürlich stellen Indien und Pakistan ein großesProblem dar, genauso wie Israel. Ich glaube, wir müs-sen zwei Dinge im Zusammenhang mit der ganzen Dis-kussion – das trifft auch auf Nordkorea zu – in den Blicknehmen: Wir brauchen auf der einen Seite das, was vondenjenigen, die die Einzelheiten des Antrags dargestellthaben, bereits benannt worden ist. Auf der anderen Seitebrauchen wir eine Strategie, die darüber hinausgeht.Diese Strategie muss die Sicherheitsängste in den Regio-nen, in denen Konflikte heranwachsen, berücksichtigen.Notwendig sind also regionale Strategien der Vertrau-ensbildung, der Verständigung und der gegenseitigenAbsicherung, sodass klar ist, dass man keine bösen Ab-sichten hat.

Diese Strategien sind angesichts der beiden Kerne derInstabilität besonders wichtig. Der eine Kern ist Ost-asien; Nordkorea steht dabei im Mittelpunkt. Aber ei-gentlich sind auch China und Pakistan große Sorgenkin-der. Für China gilt das wegen seines momentanenKonflikts mit Japan und mit Taiwan. Warum sollte nichtauch Japan auf die Idee kommen – diesen Gedanken ha-ben einige schon geäußert –, dass man vielleicht einStückchen sicherer wäre, wenn man ebenfalls Nuklear-waffen hätte. Pakistan ist ein enorm instabiler Staat, derüber Atomwaffen verfügt. Der Konflikt zwischen Indienund Pakistan ist bei weitem noch nicht befriedet. Wirbrauchen also eine Strategie der regionalen Konfliktbe-

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Uta Zapf

arbeitung, die über die Abrüstungsmaßnahmen wesent-lich hinausgeht.

Dasselbe trifft auf den Nahen und Mittleren Ostenzu. Die Frage ist, wie man mit dem Iran umgeht. Herrvon und zu Guttenberg hat dazu einiges gesagt. Daskann ich nur unterstreichen. Ich glaube, dass wir dorteine doppelte Strategie anwenden müssen, um zu einemeinigermaßen guten Ergebnis zu kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen die Risiken durch halbstaatliche undnichtstaatliche Proliferation stärker minimieren. HerrWeigel hat dazu einiges gesagt. Die Netzwerke vonAbdul Qadir Khan haben sich als technologisch sehr po-tent erwiesen. Man hat ganze Pakete inklusive Anleitun-gen zur Herstellung nuklearer Sprengkörper nach Libyenverschickt. Wir wissen, dass diese Netzwerke ziemlichgut verzweigt sind. Sie können auf in unterschiedlichenLändern vorhandene Technologien zurückgreifen undsie illegal weitergeben. Damit können sich einigermaßenentwickelte Länder diese Technologien jederzeit ver-schaffen, um in den Besitz von Atomwaffen zu kommen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.

Uta Zapf (SPD): Ich komme sofort zum Ende.

Meine Konsequenz daraus lautet: Wir müssen dieAtommächte an ihre Abrüstungsverpflichtungen erin-nern. Wir müssen sie daran erinnern, Art. VI des Atom-waffensperrvertrags einzuhalten. Aber wir müssen da-rüber hinaus etwas gegen die schleichende illegale oderhalb legale Verbreitung von Nukleartechnologie, diewaffenfähig gemacht werden kann, tun.

Danke sehr.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat der Abgeordnete Hans Raidel das Wort.

Hans Raidel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Jahresabrüstungsbericht 2003, ergänzt durchdie Unterlagen der Bundeswehr, ist eigentlich längst ver-altet. Aber er bildet die Grundlage der heutigen Diskus-sion.

Gestatten Sie mir am Anfang, Ihnen, Herr BotschafterSchmid, und Ihnen, Herr Botschafter Gröning, rechtherzlich zu danken. Wir stehen in einem guten Einver-nehmen. Wir haben in all diesen Fragen eigentlich die-selben Grundauffassungen, nämlich die einzelnen Ab-rüstungsregime, die Nichtverbreitungsverträge etc. zumErfolg zu führen. Natürlich gibt es im Detail verschie-dene Betrachtungsweisen. Wir wollen aber gemeinsamdafür sorgen, dass Deutschland in einer Position ist, die

es ihm erlaubt, Impulse zu geben, die uns in den einzel-nen Bereichen vorwärts bringen.

Wir haben im Zusammenhang mit Iran, Pakistan undNordkorea mittlerweile sehr viel über die Atomfrage ge-hört. Wir haben die Konferenz in New York angespro-chen. Wir wollen, dass sie erfolgreich sein wird. Wirhaben aber nicht von der auch vorhandenen Bedro-hungslage im B- und C-Bereich gesprochen. Die terro-ristische Gefahr ist da möglicherweise viel stärker als imA-Bereich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen sollten wir heute auch über die Bereiche Bund C sprechen. Hierzu müssen wir feststellen, dass je-der im Bereich B und C halbwegs Kundige leicht in derLage ist, entsprechende Waffen herzustellen, die not-wendigen Trägermittel zu besorgen und die Waffen dannauch einzusetzen.

Das Problem hat sich deswegen zugespitzt, weil dietechnische Leistungsfähigkeit sehr vieler Länder derDritten Welt zunimmt. Man wird dort nicht mehr aufteure Importe angewiesen sein, sondern künftig vielesim Land selbst herstellen können. Was früher aus tech-nisch entwickelten Ländern beigebracht werden musste– beispielsweise Dual-Use-Produkte oder direkteKriegswaffengerätschaften –, ist heute in jedem Landder Dritten Welt vorhanden. Das heißt, die Anzahl derpotenziellen Lieferanten wird dementsprechend zuneh-men.

Ein Problem mit erheblichen Auswirkungen ist dannder Abfluss von Know-how, Fertigungsunterlagen, Ma-terialien sowie Fachpersonal aus diesen Staaten. Da-durch ist der Zeitraum für die Entwicklung von Pro-grammen für Massenvernichtungsmittel natürlich umJahre verkürzt. Das bedeutet, dass die Entwicklung zu-nehmend weniger kontrollierbar und auch unumkehrbarwird.

Leider besteht nicht mit allen Vertragsregimes undKontrolleinrichtungen der beschworene Konsens. VieleLänder haben die Verträge nicht unterschrieben odernicht ratifiziert; sie haben Vorbehalte oder halten sicheinfach nicht an die Regelungen. Es ist nicht meine Ab-sicht, die USA zu kritisieren, aber ich möchte sie gernauf ihre ganz besondere Verantwortung in verschiedenenBereichen hinweisen, weil sie eine Vorbildfunktion ha-ben und uns in anderen Bereichen an unsere Vorbild-funktion erinnern.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. HaraldLeibrecht [FDP] und des Abg. Thilo Hoppe[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn sie sich schon nicht an die Regimes, an die einzel-nen Vertragsstatuten binden lassen wollen, dann – ichsage das hier ganz offen – könnten sie das eine oder an-dere beispielsweise auch im Rahmen einer vorbildlichenSelbstverpflichtung leisten.

Welche Möglichkeiten haben wir überhaupt? Ichnenne ein Instrument, das heute noch nicht angespro-chen worden ist, das Instrument der Exportkontrolle.

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Hans Raidel

Es ist eines der wesentlichsten Instrumente, die wir beiallen Regimes, bei allen Kontrollverträgen haben. DiesesInstrument gilt es entsprechend weiter auszubauen, weilwir damit vonseiten der Lieferländer die Proliferationzumindest verzögern können, sodass die Politik Zeit undSpielräume zum Überlegen und Handeln gewinnt.

Wenn wir Kontrollinstrumentarien zur Exportpolitikansprechen, dann haben wir zwei Stichworte besondershervorzuheben. Das eine ist das Transparenzgebot, dasüberdacht werden muss, um je nach Fall Transparenz indie Sache hineinzubringen. Das wichtigste Stichwort da-bei aber ist die Endverbleibsklausel. Heute ist es dochüberall so, dass ein Gut geliefert wird, dass die Wegeaber verschlungen sind und der erste Zielort nicht derEndverbleibsort ist, sondern vom ersten Zielort aus überneue Exportwege das richtige Zielland angesteuert wird.Erst dort erfolgt der Zusammenbau – gegebenenfallsmüssen die Hilfsmittel dafür noch gesammelt werden –oder der Gebrauch der Massenvernichtungswaffe.

Das bedeutet aus meiner Sicht für uns – es wurdeschon angesprochen –, dass Abrüstungsfragen derzeitkeine Konjunktur haben. Aber vielleicht sind wir, meineDamen und Herren, als Parlament ein klein wenig mehrselbst gefordert, um dieses Thema öfter und nachhaltigerin die Politik einzubringen und zum Beispiel auch ent-sprechende Diskussionen hier zu gestalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das bedeutet für mich: Wir brauchen in diesem Bereicheine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, um das Bewusst-sein für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbrei-tung von Waffen wieder zu schärfen. Wir müssen uns dieZeit nehmen, im Sinne einer Effizienzsteigerung alleKontrollverträge einmal kritisch zu überprüfen und alleÜberwachungsregime zu unterstützen. Der KollegeWeigel ist darauf teilweise schon eingegangen.

Wir haben kein gemeinsames europäisches Sprach-rohr. Wir sprechen nicht mit einer Stimme.

(Ruprecht Polenz [CDU/CSU]: Frau Zapf hat aber etwas anderes behauptet!)

Jeder spricht immer noch zu sehr aus seiner Ecke. Dabeiwill ich gar nicht bezweifeln, dass es Ansätze gibt. DieseAnsätze sind aber noch nicht zu dem Erfolg gebrachtworden, den wir brauchen und den wir uns alle wün-schen. Die europäische Exportpolitik zusammen mit derAbrüstungspolitik zu harmonisieren bleibt für uns einebenso anspruchsvolles wie notwendiges Thema.

Wenn wir jetzt alle anlässlich der Konferenz zur UNOnach New York schauen, wäre es im Sinne einer Neuor-ganisation der UNO durchaus hilfreich, einmal darübernachzudenken, die UNO auch im Bereich von Abrüs-tung und Rüstungskontrolle zu einer entscheidendenDrehscheibe auszugestalten, wo Ideen gesammelt wer-den können. Wenn dann auch noch der Generalsekretärmit einem gewissen Instrumentarium ausgestattet wer-den könnte und selbst ein gewisses Maß an Entschei-dungsmacht bekäme, –

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, achten Sie bitte ein wenig auf Ihre Re-

dezeit.

Hans Raidel (CDU/CSU): – wären wir sicherlich ein ganzes Stück weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowiebei Abgeordneten der SPD und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet zusammengefasst, meine Damen undHerren: Wir haben jetzt die Chance, im Rahmen derNeuorganisation der UNO auch den Fragen von Abrüs-tung, Rüstungskontrolle, Proliferation und Vertrauens-bildung einen neuen Stellenwert zu geben. Ich glaube,dass das ein Stück weit gelingen könnte, wenn wir allemithelfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowiebei Abgeordneten der SPD und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe damit die Aussprache. Die Abgeordnete

Petra Pau hat gebeten, ihre Rede zu Protokoll geben zudürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? – Dann verfah-ren wir so.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünenauf Drucksache 15/5254 mit dem Titel „Verbreitung derKernwaffen verhindern und die nukleare Abrüstung stär-ken – Die Überprüfungskonferenz 2005 des Atomwaf-fensperrvertrages (NVV) zum Erfolg führen“. Werstimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal-tungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koaliti-onsfraktionen gegen die Stimmen der beiden Opposi-tionsfraktionen angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusseszum Jahresabrüstungsbericht 2003 der Bundesregierungauf den Drucksachen 15/3167 und 15/5143: Der Aus-schuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eineEntschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung des Ausschusses? – Gibt es Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist einstimmig angenommen worden.

Zusatzpunkt 7: Interfraktionell wird Überweisung derVorlage auf Drucksache 15/5257 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Siedamit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten PeterWeiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck,

1) Anlage 6

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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Arnold Vaatz, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU

Entschuldung voranbringen – Gute Regie-rungsführung und Armutsbekämpfung unter-stützen

– Drucksache 15/4659 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f)Auswärtiger Ausschuss FinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitHaushaltsausschuss

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist auch so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Peter Weiß.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Das Jahr 2005 wird ein entscheidendes Jahr für dieinternationale Entwicklungszusammenarbeit werden:Entweder verdoppeln jetzt die Industrienationen und dieEntwicklungsländer ihre Anstrengungen zum Erreichender vor fünf Jahren bei der UN-Millenniums-Sonderge-neralversammlung gemeinsam definierten Ziele wie zumBeispiel die Halbierung der extremen Armut bis zumJahre 2015 oder wir werden scheitern. Eine zentraleRolle dabei spielt, wie die massive Überschuldung aus-gerechnet der ärmsten Länder der Welt abgebaut werdenkann.

Die Weltbank hat erst in der vergangenen Woche inihrem Bericht zur globalen Entwicklungsfinanzierungerneut davor gewarnt, dass viele EntwicklungsländerGefahr laufen, immer weiter in die Schuldenfalle zu ge-raten. In großen Teilen der Entwicklungsregionen derWelt, so stellt die Weltbank fest, seien die Außenschul-den des öffentlichen Sektors weiter gewachsen. Über-schuldung ist immer ein massives Entwicklungshinder-nis.

Doch statt die Dinge anzugehen und einen Rahmenfür eine neue Entschuldungsrunde zu erarbeiten, prä-sentieren sich die Industrienationen und ihre Regierun-gen überwiegend ratlos und zögerlich. Auf der Herbstta-gung von IWF und Weltbank im vergangenen Oktoberwurde zwar eine neue internationale Entschuldungs-runde ausgerufen, aber die Behandlung der Frage, wasgenau zu tun ist und wie es zu finanzieren ist, ist vertagtworden. Auch innerhalb der Bundesregierung herrschtoffensichtlich große Verwirrung darüber, wie es nun mitder internationalen Entschuldung weitergehen soll. Da-bei gibt es Vorstöße für neue Entschuldungsrunden, zumBeispiel vom britischen Schatzkanzler Gordon Brown.Außer freundlichen Floskeln war aber von der Bundesre-gierung hierzu wenig zu hören.

(Markus Löning [FDP]: Zum Glück!)

Wenn sich die Bundesministerin für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung, Frau Wieczorek-Zeul,offen zeigt für die Ausweitung der Liste der zu entschul-denden Länder und sich für einen 100-prozentigen Er-lass der multilateralen Schulden einsetzt, wird sie gleichvon ihrem Kollegen Finanzminister Eichel wieder einge-fangen und mit Worten abgekanzelt wie: Es reicht nicht,mit dem Herzen dabei zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie in ande-ren Politikbereichen auch ist das Bild dieser Bundesre-gierung in diesem Bereich völlig konfus. Millenniums-ziele lassen sich aber nicht mit Konfusion,

(Detlef Dzembritzki [SPD]: Konfuzius!)

sondern nur mit klarer Zielsetzung und Strategie errei-chen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es nützt eben nicht, herumzulavieren und sich für eineweitere Entschuldungsrunde auszusprechen, aber auf dieFrage, wie das geschehen soll, die Aussage zu verwei-gern. Ein typisches Beispiel dafür bot die gestrige Frage-stunde, in der Sie, sehr geehrte Frau ParlamentarischeStaatssekretärin Hendricks, auf meine Fragen, wie sichdie Bundesregierung bezüglich eines möglichen Einsat-zes der IWF-Goldreserven verhalten will und mit wel-chem Konzept die Bundesregierung überhaupt in dieseneue Entschuldungsrunde gehen will, sozusagen dieAussage verweigert und sich auf den Standpunkt zurück-gezogen haben, dass Sie darüber weiter beraten wollen.Heute lesen wir in den Zeitungen, dass die deutsche De-legation schon gar nicht mehr mit einem positiven Er-gebnis bezüglich des Schuldenerlasses rechnet. Die„taz“ spricht sogar von einer Blockade beim Schuldener-lass.

(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Die Bundesregierung legt offensichtlich die Hände inden Schoß und tut nichts, um diese Blockade zu über-winden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor dem Start in eine weitere Entschuldungsrundesollten zunächst einmal die Konsequenzen aus der letz-ten internationalen Entschuldungsrunde, also ausHIPC II, gezogen werden. Ich möchte drei Punkte nen-nen, die mir dabei besonders wichtig sind:

Erstens. Zentrale Bedingung für den Schuldenerlassist die Erarbeitung einer nationalen Armutsbekämp-fungsstrategie. Bei den Anforderungen an künftigeStrategiepapiere solcher Art muss mehr als bisher aufWachstumsorientierung gesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Wachstum ist eine Hauptvoraussetzung für einen nach-haltigen Erfolg von Entschuldungsmaßnahmen. Armuts-bekämpfung wird nicht gelingen ohne Wachstum, dasauf breitenwirksamer und produktiver Beschäftigung

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Peter Weiß (Emmendingen)

beruht. Dieser Aspekt ist in den Armutsbekämpfungs-strategien bislang nicht ausreichend betont worden.

Zweitens. Alle gut gemeinten Entschuldungsabkom-men helfen nichts, wenn an den Schuldenerlass nichteindeutige und unmissverständliche Konditionen zur gu-ten Regierungsführung geknüpft sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Good Governance ist das Schlüsselkriterium für denErfolg der Armutsbekämpfung. Dazu gehört auch eintransparenter Nachweis über die Verwendung der durchden Schuldenerlass frei werdenden Mittel. Wir forderndaher in unserem Antrag eine klarere Konditionierungals bisher. Wenn wir wollen, dass die Entschuldung dengewünschten Beitrag zur Entwicklung unserer Partner-länder leistet, müssen wir konsequenter auf gute Regie-rungsführung drängen.

Drittens. Bei der Erarbeitung von Armutsbekämp-fungsstrategien für die Entwicklungsländer wurde dieBeteiligung der lokalen Zivilgesellschaften als eineBedingung aufgeführt. Die Erfahrungen haben gezeigt,dass diese Bedingung durchaus ein geeignetes Mittel ist,um die Zielgenauigkeit der Armutsbekämpfung zu erhö-hen und außerdem die demokratische Beteiligung zuverbessern. Wir tun gut daran, bei künftigen Schuldener-lassen verstärkt auf die Mitwirkung der Zivilgesellschaf-ten zu setzen.

Allerdings muss man feststellen, dass die Beteiligungder Zivilgesellschaften in den einzelnen von den Schul-denerlassen begünstigten Ländern höchst unterschiedlichausgefallen ist. Vielfach war es nur eine rein symbolischeBeteiligung. Von einigen Nichtregierungsorganisationenwird sogar der Vorwurf erhoben, die Einbeziehung derZivilgesellschaften sei mancherorts zur reinen Farce ge-raten. Deshalb müssen wir hier nacharbeiten. Ich forderedie Bundesregierung auf, sich im Sinne der Forderungvieler Nichtregierungsorganisationen endlich dafür ein-zusetzen, dass wenigstens Mindeststandards für die zi-vilgesellschaftliche Beteiligung bei der Erarbeitung vonArmutsbekämpfungsstrategien festgelegt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die HIPC-II-Initiative hat gezeigt, dass wir von denEntwicklungsländern mehr verlangen müssen. Dafürmüssen wir, die Industrienationen, sie im Gegenzug wir-kungsvoll davor bewahren, erneut in die Schuldenfallezu geraten. Deshalb ist zu begrüßen, dass bei den Wie-derauffüllungsverhandlungen der IDA beschlossenwurde, den Zuschussanteil am Gesamtvolumen zu erhö-hen. Die Zuschüsse sind also gegenüber früher gestie-gen. Das ist sicher auch ein Beitrag zur Verringerung desWiederverschuldungsrisikos für die von der Entschul-dung begünstigten Länder.

Allerdings sollte damit klar sein, dass auf uns in denkommenden Jahren die Verpflichtung zukommen wird,für die nächste Wiederauffüllung durch die IDA höhereFinanzmittel aufzubringen als in der Vergangenheit. Indiesem Zusammenhang halte ich die Aussage für nichtbesonders ehrlich, dass man sich über dieses Problem,das uns im Jahr 2015 erreichen wird, heute keine Gedan-

ken machen muss. Denn klar ist: Diese Großzügigkeitfunktioniert nur, wenn in Zukunft mehr Gelder aus demdeutschen Haushalt für die Entwicklungszusammen-arbeit aufgewendet werden als bislang.

Meine Damen und Herren, der Kern des Problems,warum sich die Diskussion über eine neue Entschul-dungsrunde im Kreis dreht, ist: Anspruch und Wirklich-keit, Worte und Taten in der Entwicklungspolitik geradedieser rot-grünen Bundesregierung haben inzwischennichts mehr miteinander zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Es darf heute einmal daran erinnert werden, dass sich1999 der Bundeskanzler selbst an die Spitze des KölnerEntschuldungsgipfels gesetzt hat.

(Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Große Sprüche und nichts dahinter!)

Die Bundesrepublik ist sogar öffentlich dafür belobigtworden. Heute, wo es darum geht, den Erklärungen vondamals konkrete Entwürfe und Entscheidungen folgenzu lassen, wo die Zeit für die Umsetzung der internatio-nalen Armutsbekämpfungsziele knapp wird, gibt dieseBundesregierung ein mehr als erbarmungswürdiges Bildab.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!)

Sie haben keine Konzepte. Ihre großen Ankündigungenzerplatzen. Auf einige Fragen wie zum Beispiel auf dieFrage, ob der IWF die Entschuldung über die Verwen-dung der Goldreserven finanzieren soll, können Siekeine Antwort geben. Auch zur internationalen Finan-zierungsfazilität haben Sie letztlich keinen Standpunkt.

Am Montag dieser Woche hat die OECD die neueODA-Statistik für 2004 vorgestellt. Damit haben wir esamtlich: Die deutsche Entwicklungspolitik ist endgültigam unteren Ende der internationalen Tabelle angekom-men. Allen Beteuerungen zum Trotz: Sie haben es ge-rade geschafft, die 0,28 Prozent aus dem Vorjahr zu hal-ten. Es muss also deutlich gesagt werden: Der Beitragder Bundesrepublik Deutschland zum Fortschritt bei derArmutsbekämpfung in der Welt ist im Jahr 2004 im Ver-gleich zum Jahr 2003 nicht um ein Quäntchen gestiegen.Er beträgt also null Komma null.

Natürlich können wir davon ausgehen, dass Sie unsnächstes Jahr trotzdem eine Erfolgsbilanz präsentierenwerden, weil Sie das international zugesagte 0,33-Pro-zent-Ziel dadurch erreichen werden, dass der Schul-denerlass für den Irak eingerechnet wird. Damit demons-trieren Sie öffentlich, was Sie derzeit machen: Sieersetzen eine effektive Entwicklungspolitik durch Ent-schuldungsmaßnahmen. Sie erreichen die internationalzugesagten Verpflichtungen nicht durch tatsächlichesHandeln, sondern schlichtweg durch finanzielle Ta-schenspielertricks.

(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Löning[FDP]: Geld ist Geld! Das Geld ist trotzdemweg!)

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Peter Weiß (Emmendingen)

Ich bin der Auffassung, dass die Diskussion um so ge-nannte neue Finanzierungsinstrumente und um neueIdeen zur Entschuldung, die die Bundesregierung derzeitöffentlich inszeniert, letztendlich nichts anderes ist alsdie Verzweiflungstat einer Regierung, die zu einer ech-ten Entwicklungsfinanzierung nicht in der Lage ist.

Gestern war der neue Entwicklungskommissar derEuropäischen Union, Louis Michel, in Berlin. Er hat dasProblem eindeutig angesprochen:

Die Debatte über innovative Finanzierungsquellendarf uns keinesfalls ablenken von unserer unmittel-baren Aufgabe, nämlich den Anteil der Entwick-lungshilfe in den öffentlichen Haushalten zu erhö-hen. Das ist immer noch das schnellste, einfachsteund transparenteste Mittel, um die Entwicklungs-hilfe aufzustocken.

Michel sagte weiterhin:

Innovative Finanzierungsquellen können die Erhö-hung der Haushalte nicht ersetzen, sondern nur er-gänzen.

Weil die Zeit drängt und sich die Uhr bis 2015 nichtanhalten lässt, fordern wir von Ihnen: Sorgen Sie in demWirrwarr von Finanzierungs- und Entschuldungsvor-schlägen endlich für Klarheit. Zurzeit ersetzt Rot-Grünglaubwürdige Entwicklungspolitik durch Diskussionenüber finanzielle Taschenspielertricks.

Meine Damen und Herren, entweder sind Sie bereit,bei der Entwicklungsfinanzierung einen echten Schrittnach vorn zu gehen, oder Sie müssen ehrlich bekennen,dass Sie das Geld nicht haben und dass Deutschland vonder Erreichung der Millenniumsziele abrückt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlef

Dzembritzki.

Detlef Dzembritzki (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist immer faszinierend, zu beobachten, wie hier überdie finanziellen Beiträge diskutiert wird. Herr KollegeWeiß, Sie haben gerade den Kommissar Michel zitiert.Auch ich fand seine Aussagen sehr interessant. Sie wa-ren für mich zum Teil überzeugend. Denn Entwicklungs-politik ist mehr als Geld.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Markus Löning [FDP])

Wenn Sie sich fragen, warum HIPC I – diese Initia-tive wurde in den 90er-Jahren zur Entschuldung einigerder ärmsten und am meisten verschuldeten Länder derWelt durchgeführt – nicht erfolgreich war, dann erhaltenSie nun die Antwort: Diese Initiative war deswegennicht erfolgreich, weil die begleitenden Konzepte unddie Konditionalität gefehlt haben.

Der Beschluss zur Durchführung von HIPC II aufdem Kölner Gipfel brachte bemerkenswerte Fortschritte.Es wurde nicht nur der Kreis der durch eine Teilent-schuldung zu entlastenden Länder vergrößert. Durch dieAnforderungen, die den betroffenen Ländern durch diesevon der rot-grünen Bundesregierung wesentlich voran-gebrachte Initiative auferlegt wurden, ergaben sich auchInnovationen und substanzielle Erfolge. Es wurde erst-mals der Versuch unternommen, eine dauerhafte Lösungdes Verschuldungsproblems armer Entwicklungsländerzu formulieren. Ein zentraler Aspekt von HIPC II wardie Verknüpfung der Entschuldung mit der Bedingung,dass die durch den Schuldenerlass frei werdenden Mittelkonkret für die Armutsbekämpfung eingesetzt werden,und zwar – Sie haben das zum Teil schon erwähnt – nacheiner Armutsbekämpfungsstrategie, die das zu entschul-dende Land selbst erarbeiten sollte, damit es sich mitdem Entschuldungsprojekt wirklich identifiziert.

Wir wissen alle, dass die HIPC-II-Initiative von vorn-herein als zeitlich begrenzte Maßnahme vorgesehen war.Herr Weiß und liebe Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU-Fraktion, neben vielen anderen Publikatio-nen, die sich – teils lobend, teils kritisch – mit den bis-lang gemachten Erfahrungen auseinander gesetzt haben,begrüße ich auch Ihren Antrag als Beitrag zur Diskus-sion. Wir können gemeinsam feststellen, dass HIPC IIbereits heute zu einer spürbaren Entlastung vieler zuvorhoch verschuldeter armer Länder geführt hat. Wir kön-nen auch gemeinsam feststellen, dass trotz dieser aner-kannten Fortschritte Einigkeit darüber besteht, dass imBereich der Entschuldung noch mehr getan werden mussund dass dabei die langfristige Schuldentragfähigkeit derPartnerländer stärker im Mittelpunkt stehen muss. Ichglaube, niemand muss sich etwas anderes einreden.

Die nächste Initiative zur Entschuldung – und diesemuss kommen – sollte durchaus vorhandene Schwächendes aktuellen Programms korrigieren. Sie sollte vor allenDingen aber auch die Ursachen der Verschuldung undnicht nur ihre Symptome bekämpfen. An diesem Punktsind wir gefordert. Wenn Sie von der Notwendigkeit desWachstums sprechen – insofern möchte ich Ihnen zu-stimmen –, dann müssen Sie aber auch hinzufügen, dassim Süden nur Wachstum möglich sein wird, wenn wir imNorden unsere Verhaltensweisen verändern. Wir werdenüberhaupt nicht umhin kommen, darüber zu diskutieren,wie wir unsere Märkte für Produkte aus den Schuldner-ländern öffnen und wie wir durch massiven Abbau vonExportsubventionen der OECD-Länder, vor allem imAgrarbereich, einen Beitrag dazu leisten, dass die Ent-wicklungsländer eine Chance haben, ihre Schulden ab-zubauen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und der FDP sowie des Abg.Dr. Christian Ruck [CDU/CSU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das nicht be-wältigen, dann werden wir immer wieder in einen Kreis-lauf der ständigen Überschuldung auf der einen Seiteund der sich daraus ergebenden Entschuldungsfrage aufder anderen Seite geraten. Das kann aber doch nicht

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Detlef Dzembritzki

langfristig die Konzeption sein, die wir im Norden ver-treten wollen.

Die notwendige Stärkung der Exporte der HIPC-II-Länder zur Abfederung externer Schocks setzt einenlangwidrigen Prozess der Veränderung der Wirtschafts-struktur voraus. Bis es so weit ist, dürfen wir diesen Län-dern nicht auch noch die wenigen Exportmöglichkeitenvorenthalten, die sie bereits jetzt haben können. Es istein wenig kennzeichnend für Ihren Antrag, dass dieserZusammenhang keinerlei Erwähnung findet. Vielmehrrichtet sich ein Großteil des Forderungskataloges an dieAkteure in den verschuldeten Partnerländern, und eskommt mir angesichts Ihrer Forderungen so vor, als obder in Ihrem Antrag mehrfach erwähnte Begriff „Owner-ship“ in der Weise verstanden werden soll, dass die Ge-ber entscheiden, was die Nehmer letztlich zu machen ha-ben. Ich glaube, dann kommen wir genau in dieSituation, die nicht eintreten darf. Wir sind nämlich im-mer der Meinung gewesen, dass die Zusammenarbeitmit den Entwicklungsländern zwischen Nord und Südauf gleicher Augenhöhe stattzufinden hat und dass wir„Ownership“ so zu verstehen haben, dass die Verantwor-tung in den Ländern selbst gestärkt wird.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Heinrich?

Detlef Dzembritzki (SPD): Kollege Heinrich, bitte.

Ulrich Heinrich (FDP): Lieber Herr Kollege, Sie haben gerade im Zusam-

menhang mit Ownership und Bevormundung wahreSätze gesagt.

(Zuruf von der SPD: Wie immer!)

Ich frage Sie deshalb: Warum haben Sie gestern meinemAntrag nicht stattgegeben, in dem ich genau diesenPunkt angesprochen habe? Dabei ging es darum, dassmöglichst alle frei werdenden Mittel für die Verbesse-rung der Biodiversität einzusetzen sind. Man hat erneutvorgeschrieben, wie die Mittel zu verwenden sind. Dasist ein absoluter Widerspruch zu dem, was Sie gerade ge-sagt haben.

Detlef Dzembritzki (SPD): Herr Kollege Heinrich, wir sind ja gemeinsam im

Ausschuss tätig und aktiv. Wir beraten. Sie kennen dieSituation, dass manche Details in den Vorschlägen sehrvernünftig sind, dann aber im Gesamtbild möglicher-weise eine Relativierung erfahren, weil sich die Gesamt-situation anders darstellt.

In der Diskussion, die wir im Augenblick gemeinsamzu führen haben, macht uns stark, dass wir viele Schnitt-mengen haben, in denen wir übereinstimmen. Wir kön-nen sagen: Wenn wir eine vernünftige Entwicklungspoli-tik machen, kommt es auf den Grundsatz an, dass wir dieVerantwortung in den Ländern selbst stärken. Ich werdeim Verlauf meiner weiteren Ausführungen – ich habe

mir die Pläne von Gordon Brown bzw. die der USA an-geschaut – darauf zurückkommen. Denn ich meine, dassmit unseren Partnern in der EU und mit den USA zu er-arbeiten ist, wie wir es schaffen, das Verantwortungsbe-wusstsein weit über die Good Governance hinaus zustärken, was offensichtlich auch Sie befürworten. So ge-sehen freue ich mich, dass Sie dem, was ich gesagt habe,letztendlich zustimmen, Herr Kollege Heinrich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich will festhalten – damit komme ich zur anderenOppositionspartei zurück –, dass Sie sich erfreulicher-weise – das gehört mit in das Verantwortungspaket, dasich hier eben versucht habe zu skizzieren – dafür aus-sprechen, dass sozial und verantwortungsvoll gestalteteSteuersysteme vorzusehen sind. Ich begrüße das aus-drücklich, insbesondere deswegen, weil ich manchmalden Eindruck habe, dass Sie diese Position hier bei unsim Land seltener vertreten.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ge-rade da! – Markus Löning [FDP]: Na, na!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe an man-chen Stellen Gemeinsamkeiten in unseren Positionen.Die Schnittmengen, die ich eben dem Kollegen Heinrichin der Antwort auf seine Zwischenfrage versucht habe zuofferieren, sehe ich auch hier, wenn ich mir zum BeispielIhren achten Forderungspunkt anschaue, in dem Sie da-rauf hinweisen, dass allzu optimistische Wachstumspro-gnosen seitens der Weltbank dazu geführt haben, dasszum Beispiel der Umfang des Entschuldungsvolumensals viel zu gering eingeschätzt worden ist, man da alsonacharbeiten muss. Denn die Folge dieser Fehleinschät-zung war häufig, dass wir zu so genannten Topping-upsgekommen sind, wobei im Verfahren des Entschul-dungsweges das Volumen der Entschuldung erhöht wer-den musste, also nicht ausreichend Zeit zur Verfügungstand, um wirklich flexibel vorzugehen.

Ich denke, dass eine größere Flexibilität, eine Verbes-serung der Analyseinstrumente zur Beurteilung derSchuldentragfähigkeit der Empfängerländer und einestärkere Berücksichtigung der individuellen Problem-lage bei den Partnern notwendig sind. Darüber sollteman sich ein klares Bild machen.

Das muss man auch bei der künftigen Ausgestaltungvon Entschuldungsinitiativen sehen. Im Zusammenhangmit Entschuldungsmaßnahmen wird zurzeit über ver-schiedene Vorschläge zur Erreichung der Schuldentrag-fähigkeit diskutiert. Hierzu gehören die im Antrag derCDU/CSU-Fraktion angesprochenen Vorschläge derUSA und Großbritanniens im Hinblick auf 100-prozen-tige Schuldenerlasse für die HIPC-Länder.

Zu beiden Vorschlägen muss ich – ich hoffe, darinsind wir uns weiterhin einig – gewisse Vorbehalte an-melden. Der amerikanische Vorschlag einer pauschalenund unkonditionierten Entschuldung aller HIPC-Län-der führt meiner Ansicht nach dazu, dass diejenigenLänder, die aufgrund einer besseren wirtschaftlichenPerformance, eines besseren Schuldenmanagements, ei-ner besseren Regierungsführung oder einer besseren Prä-vention gegen externe Schocks nicht zu den HIPC-Län-

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Detlef Dzembritzki

dern gehören, in der Tendenz quasi bestraft werden. Ichglaube, dass hier falsche Anreizstrukturen geschaffenwerden

(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP])

und zu wenig differenziert vorgegangen wird.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es dazu kommt, dass Good Governance bestraftund nicht belohnt wird, dann muss man sagen: Das, waswir mit dem Entschuldungsprozess vorhaben, ist imGrunde kontraproduktiv. Deswegen melde ich an dieserStelle Bedenken an.

Der britische Vorschlag, der den Kreis der zu berück-sichtigenden Länder erweitert, enthält gleichzeitig dieKonditionierung, dass frei werdende Mittel zur Armuts-reduzierung einzusetzen sind. Da würden wir alle vomGrundsatz her erst einmal zustimmen. Ich melde nurwieder bei der Auswahl der Kandidatenländer, die derbritische Schatzkanzler Brown getroffen hat, Bedenkenan und schlage vor, dass man sich auch vonseiten derBundesregierung – ich sage es einmal sehr freundlichund vorsichtig – den Kreis der betroffenen Länder nocheinmal anschaut.

Darüber hinaus bleibt es bei meiner grundsätzlichenReserviertheit gegenüber einer 100-prozentigen Ent-schuldung des ausgewählten Länderkreises. Ich be-fürchte, dass eine nicht abgestufte Vorgehensweise ge-eignet ist, eine mangelnde Verantwortungswahrnehmungzu befördern.

Die Frage nach der Finanzierbarkeit weiterer Ent-schuldungsmaßnahmen kann nicht ausbleiben. Herr Kol-lege Weiß, natürlich wird die Opposition das immer an-ders betrachten. Aber man muss objektiv sehen, dass wirda in einem Spannungsfeld stehen – das ist doch über-haupt nicht zu leugnen –, das sich einerseits aus demWunsch, die ärmsten Länder umfassend zu entschulden,und andererseits aus der Notwendigkeit ergibt, unsereneigenen Haushalt in Ordnung zu bringen und dieMaastricht-Kriterien zu erfüllen. Ich finde es sehr ge-fährlich, lieber Herr Kollege Weiß, wenn Sie in dieserDiskussion im Parlament den Eindruck entstehen lassen,dass die Entschuldung, also der Verzicht darauf, sichSchulden zurückzahlen zu lassen, die Bundesrepubliknichts kosten würde, dass das ein Nullsummenspielwäre.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Kolleginnen und Kollegen, diesen Eindruck darf mannun wirklich nicht entstehen lassen. Alle, die den Haus-haltsplan kennen – die Staatssekretärin könnte sofort ei-niges über den betreffenden Titel sagen –, wissen, dasswir mit erheblichen Rückflüssen rechnen können. Wennwir darauf verzichten, wäre das eine Leistung, die vonden Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern unseres Landesmit erbracht werden müsste. Das zu verniedlichen, halteich für gefährlich. Das darf nicht so ohne weiteres ak-zeptiert werden.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß? –

Ja.

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kollege Dzembritzki, ich stimme Ihnen natür-

lich voll und ganz zu; das war auch der Punkt, auf denich hinweisen wollte: Entschuldung kostet Geld. Ichdenke, dass die Koalition und die Bundesregierung zur-zeit den Eindruck erwecken, eine neue Entschuldungs-runde sei quasi ohne Geld machbar. Was bedeutet dennder Vorschlag anderes, der IWF möge die Entschul-dungsrunde mit seinen Mitteln finanzieren? – Entschul-digung, wo hat der IWF das Geld her? Oder nehmen SieIhren Vorschlag, man solle eine Kerosinsteuer einführen,um die Entschuldung oder andere Maßnahmen im Rah-men der Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren.Das ist doch eine zusätzliche Steuer.

Ich frage Sie: Wie sieht denn der Vorschlag der Koali-tionsfraktionen und der Bundesregierung aus, um eineneue Entschuldungsrunde zu finanzieren und die Mittelfür die Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen? Dannsagen Sie auch klar und deutlich, dass das Geld kostet,das entweder jetzt oder in Zukunft – Stichwort „interna-tionale Finanzierungsfazilität“; das heißt, es werden An-leihen aufgenommen – von uns refinanziert werdenmuss.

Detlef Dzembritzki (SPD): Herr Kollege, wenn Sie mit Ihrer Zwischenfrage si-

gnalisieren, dass auch Sie wissen, dass es uns, wenn dieBundesregierung bzw. die Bundesrepublik einen Schul-denerlass ausspricht, Geld kostet, wenn wir also in dieserFrage Klarheit haben, dann bin ich ein Stückchen zufrie-dener als zu dem Zeitpunkt, als ich zum Rednerpult ge-gangen bin. Dass wir uns über Finanzierungsmodelle,die über die traditionellen Haushaltsmittel hinausgehen,Gedanken machen, zeigen ja auch die Diskussionen, diewir zum Beispiel im Ausschuss führen.

Wenn Sie von der Kerosinsteuer sprechen, dann mussich Ihnen sagen, dass das ja mehrere Facetten hat. Mankönnte sich zum Beispiel überlegen, durch die Einnah-men aus einer solchen international erhobenen SteuerAufgaben im Bereich der Entwicklungszusammenarbeitzu finanzieren. Wir könnten durch den Einsatz dieserMittel allerdings auch Entscheidendes tun, um etwas ge-gen die im Wesentlichen von den Industrieländern verur-sachten Belastungen öffentlicher Güter zu unternehmen,um jene Länder, die darunter am stärksten leiden, imRahmen einer weltweit vorzunehmenden Aufgabentei-lung zu entlasten.

In diesem Zusammenhang könnte man eine sehr inte-ressante und, wenn Sie so wollen, modellhafte Diskus-sion darüber führen, wie die Situation, dass zum Beispielder Norden weitaus mehr öffentliche Güter als der Südenverbraucht, weltweit etwas gerechter zu gestalten ist.Deswegen ist das nicht nur eine Frage der Entwicklungs-finanzierung, sondern auch eine Frage, in der es darumgeht, die Belastungen weltweit so zu verteilen, dass esnicht nur Verursacher und Empfänger gibt, sondern dass

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Detlef Dzembritzki

sich die Verursacher auch an der Beseitigung der Belas-tungen beteiligen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend willich sagen, dass wir uns als Entwicklungspolitikerinnenund Entwicklungspolitiker – das gilt zumindest für jene,die in Regierungsverantwortung stehen – den Zwängen,die sich aus unserer Finanzsituation ergeben, zu stellenhaben. Jede Ausgabenerhöhung muss gegenfinanziertund in unserer Gesellschaft akzeptiert werden. DieseVerantwortung müssen im Wesentlichen die Regierungs-parteien tragen. In den Forderungen, die Sie in IhremAntrag erhoben haben, berücksichtigen Sie dieses Pro-blem weniger.

Es ist unsere Aufgabe, die Verschuldung sowohl imInland als auch in unseren Partnerländern des Südens zubekämpfen. Diese Aufgabe nehmen wir ernst. Ich denke,dass wir mit HIPC II gut vorangekommen sind und dassim Rahmen einer weiteren Runde des vernünftigenSchuldenerlasses die Kriterien, über die hier diskutiertworden ist, und die Lernprozesse, die im Rahmen vonHIPC II stattgefunden haben, berücksichtigt werden.Dann befinden sich die weitere finanzielle Entlastungund die Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd auf ei-nem guten Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Markus Löning.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Markus Löning (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Dzembritzki, ich bin sprachlos. Ich weiß gar nicht,was ich noch sagen soll, weil Sie und alle meine Vorred-ner mir das, was ich sagen wollte, schon aus dem Mundgenommen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings finde ich es schade, dass die Ministerin das,was Sie über den verantwortlichen Umgang mit Haus-haltsmitteln gesagt haben, nicht gehört hat.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn sie ist diejenige, die immer wieder genau das for-dert.

Ich muss sagen – das habe ich sicherlich schon desÖfteren, auch im Ausschuss, vorgetragen und ichglaube, hier sind wir uns einig –: Ich finde es manchmalverantwortungslos, wie hier über große Summen disku-tiert wird. Da werden zum Beispiel mit einem Feder-strich 4 Milliarden Euro für den Irak zur Verfügung ge-stellt. Manchmal entscheiden wir hier über eine sehrgroße Menge Geld leichtfertig – zu leichtfertig, wie ichfinde.

Herr Weiß, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das ist es,was mich an Ihrem Antrag am meisten stört: die Leicht-fertigkeit, mit der aus Gebersicht argumentiert wird. Esfehlt mir die Einforderung der Verantwortung derjeni-gen, die sich verschuldet haben und die nun verschuldetsind. Sie wird in Ihrem Antrag zwar angesprochen, abermir fehlt die Gewichtung. Die eigene Verantwortung derverschuldeten Länder müsste viel stärker herausgearbei-tet werden.

Auch finde ich es nicht richtig, wenn Sie sich hierhinstellen und einfach sagen, wir müssten die ODA-Quote erhöhen und mehr Geld ausgeben. Auch hier gilt:Wir müssen verantwortungsvoll mit Geld umgehen. Siewissen so gut wie ich, dass es in einer Situation der tota-len Verschuldung, in der wir uns befinden, nicht verant-wortungsvoll ist, zu fordern, dass mehr Geld ausgegebenwerde.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist insbesondere bei Fragen der Entschuldung derFall.

Sie beschreiben zu Recht, dass es in vielen Bereichenan Konditionierung und Auflagen fehlt und dass vielesschief gegangen ist; wir alle kennen das Beispiel Boli-vien. Fast alle Punkte, die Sie anführen, halte ich fürrichtig und unterschreibenswert. Aber es fehlt die letzteKonsequenz. Es geht eben nicht nur darum, zum Bei-spiel darauf zu achten, dass ein Steuersystem eingeführtwird, sondern es geht darum, dass auch Steuern gezahltwerden. Es kann nicht sein, dass nach Guatemala Ent-wicklungshilfe fließt und gleichzeitig die Reichen dortkeinen Pfennig Steuern bezahlen. Das geht nicht; dafehlt die Konsequenz.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sprechen Gordon Brown an. Ich nehme an, Siemeinen die Finanzierungsfazilität. Ich finde das in un-serer derzeitigen Situation unverantwortlich. Das kön-nen die Briten gut und richtig finden – wir als Deutschekönnen in der derzeitigen Verschuldungssituation keineneuen Schulden machen, auch nicht wenn wir sie IFFnennen oder Schuldverschreibungen. Deswegen ist derIFF aus meiner Sicht für Deutschland kein diskussions-würdiges Modell.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich habe meine Redezeit schon überschritten; inso-fern werde ich es abkürzen: Es gibt noch viele Punkte zudiskutieren. Ich würde mir wünschen, dass wir das imAusschuss noch einmal ausführlich behandeln und ander einen oder anderen Stelle nachbessern. Dann wärenwir auch bereit, den Antrag zu unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thilo Hoppe.

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Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich erinnere mich noch lebhaft, aber ungern an eine vonder CDU/CSU anberaumte Aktuelle Stunde imJahre 2003, die unter dem Motto stand „Im Ausland dieSchulden eintreiben“.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das habenwir nie getan! Wir wollten das Geld in Russ-land holen, wo Sie es großzügig verschenkthaben!)

Ich freue mich, dass Sie inzwischen dazugelernt habenund von populistischen Forderungen nach hartemDurchgreifen gegenüber den ausländischen Schuldnern– wohlgemerkt: auch den armen und ärmsten Ländern –ablassen und sich jetzt im Dienste der Armutsbekämp-fung für eine Entschuldung einsetzen. Es geht nicht nurum Russland, es ging auch um Mosambik und um an-dere Staaten; „Bild“-Zeitung-Interviews von FriedrichMerz. Es ging auch um die Eintreibung von Schulden inder so genannten Dritten Welt.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:Wenn Sie meiner damaligen Rede zugehört ha-ben, Herr Hoppe, dann können Sie das jetztnicht sagen!)

Das heißt, sie loben jetzt mit dem Antrag das, was dieBundesregierung zum Programm gemacht hat. Ich zi-tiere wörtlich aus Ihrem Antrag:

Der für HIPC II gewählte ... Ansatz ist weitreichendund nachhaltig: Entschuldungsmaßnahmen werdenunabdingbar mit der Armutsbekämpfung in denSchuldnerländern verknüpft; die Schuldnerländersollen im Zuge der Entschuldung anhaltendes En-gagement etwa bei der Verbesserung der Sozial-standards, der Bildung und der Gesundheitsfürsorgezeigen.

Das steht in Ihrem Antrag und das ist eine sehr zutref-fende Beschreibung unserer Politik.

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Ha!)

Von den 42 HIPC-Ländern haben sich mittlerweile27 für die Entschuldung qualifiziert. Die Entwicklunggeht so weiter, dass sich der Schuldenstand in diesenLändern um bis zu zwei Drittel reduzieren wird. Als bis-herige Erfolge treten Tansania und Uganda ganz beson-ders bei der Primärschulbildung hervor: Beiden Ländernhat der Schuldenerlass erlaubt, die Schulgebühren abzu-schaffen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Löning?

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne.

Markus Löning (FDP): Herr Kollege Hoppe, wie verträgt sich die Entschul-

dung, die ja im Wesentlichen durch Neuverschuldung inDeutschland finanziert wird, mit den Prinzipien von

Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit, die IhrePartei zu Recht oft hochhält?

(Ulrich Heinrich [FDP]: Die haben ihre Ideale alle aufgegeben!)

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Löning, die Entschuldung der ärmsten

Länder, in denen Menschen verhungern, in denen Men-schen ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können,steht in keinem Verhältnis zu der wirtschaftlichen Situa-tion in unserem Land. Die Schulden von Ländern imsüdlichen Afrika mit unserem Schuldenstand zu verglei-chen halte ich für unredlich.

Aber zurück zu meinen Ausführungen: Ich habe überdie Erfolge der Entschuldungskampagnen gesprochen.Beiden Ländern – Tansania und Uganda – hat der Schul-denerlass erlaubt, die Schulgebühren abzuschaffen unddamit die Zahl der Kinder, die eine Grundschule besu-chen können, zu verdoppeln. Beide Länder waren auchim Bereich Gesundheitsfürsorge erfolgreich. Auch inBenin, um ein weiteres Beispiel zu nennen, konntendurch den Schuldenerlass Mittel für den Aufbau einesumfänglichen Netzes von ländlichen Kliniken freigesetztwerden. In Mali konnten durch die Entschuldung 5 000zusätzliche Dorfschullehrer eingestellt werden. Wir ha-ben hier viel von Misserfolgen und von Schwarzmalereigehört. Aber auch die Erfolge müssen einmal klar unddeutlich benannt werden und dürfen nicht verschwiegenwerden.

Selbstverständlich gibt es Fehlentwicklungen; wirwaren gemeinsam in Bolivien und haben uns dort überdie doch recht trostlose Situation informiert. Die Ent-schuldungsinitiative muss ausgeweitet werden; das istklar. Vor allem gilt es, die multilateralen Schulden zügigzu erlassen.

Wir haben es heute immer noch mit einer verkehrtenWelt zu tun, in der die ärmsten Länder täglich100 Millionen Dollar in den Norden – in den Schulden-dienst – transferieren. Das ist mehr als doppelt so viel,wie sie an Entwicklungshilfe erhalten. Dieses Geld fehltbei der Armutsbekämpfung dringend. Jede Woche ster-ben infolge von extremer Armut mehr Menschen, als derTsunami-Katastrophe zum Opfer gefallen sind. Wir kön-nen mehr tun; darin stimmen wir überein. Wo ein Willeist, ist auch ein Weg. Ich habe es schon erwähnt: DieserWeg muss kurzfristig über einen qualifizierten, kondi-tionierten Schuldenerlass der Weltbank und des IWFführen.

Ich setze mich dafür ein, dass die kurzfristige Befrei-ung der ärmsten Länder von den Schulden des IWF übereine Neubewertung und auch über den Verkauf vonIWF-Goldreserven erfolgt. Im Gegensatz zu Ihren Aus-führungen in Ihrem Antrag reden wir nicht um den hei-ßen Brei herum, sondern benennen ganz klar Wege, diezum Erfolg führen könnten.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:Frau Hendricks und Herr Eichel wollen das janicht!)

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15864 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

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Thilo Hoppe

– Ich spreche hier für meine Fraktion. Es gibt aber auchmehrere Stellungnahmen aus der Bundesregierung, ausdenen hervorgeht, dass dieser Weg, den sich auch IWF-Chef Rato vorstellen kann, begrüßt wird; man will ihnpositiv gehen.

Ein kleiner Schlenker zur Bundesbank ist an dieserStelle angebracht. Es ist nicht angemessen, dass sich dieBundesbank explizit gegen einen solchen Schritt aus-spricht,

(Markus Löning [FDP]: Natürlich ist das ange-messen!)

ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, eine Alter-native aufzuzeigen. Ich halte das für nicht angemessen.

Bei den Goldreserven des IWF ist eine Wertberichti-gung von bis zu 37 Milliarden Dollar möglich, genug,um den ärmsten Ländern Luft zum Atmen zu geben undsie darin zu unterstützen, die Millenniumsziele zu errei-chen. Letzteres ist unabdingbare Bedingung; darin stim-men wir überein. Diese Konditionalität sollte aber nichtnur von IWF und Weltbank ausgelegt und überwachtwerden, sondern hier ist eine noch stärkere Einbezie-hung der Zivilgesellschaft absolut notwendig. Dies giltauch bei einer Neugestaltung der Schuldentragfähig-keitsanalysen. Wir stimmen darin überein, dass in derVergangenheit viel zu optimistische Berechnungen ange-stellt und externe Schocks nicht berücksichtigt wurden.

Jetzt bin ich schon am Ende der Redezeit angekom-men, eines will ich aber in Richtung CDU/CSU undauch in Abgrenzung zur FDP deutlich unterstreichen:Selbstverständlich geht es nicht nur um Schuldenredu-zierung, selbstverständlich müssen wir auch FreshMoney in die Hand nehmen. Unsere Fraktion hat dazueinen Beschluss gefasst, der jetzt vom Länderrat bestä-tigt wurde.

(Markus Löning [FDP]: Ihr nehmt jedes Jahr Fresh Money in die Hand!)

Wir möchten und hoffen sehr, dass die Bundesregie-rung in den nächsten 14 Tagen bis drei Wochen einenverbindlichen Fahrplan in Richtung 0,7 Prozent verkün-den wird. Die Ministerin hat sich ähnlich geäußert undauch die Kolleginnen und Kollegen Entwicklungspoliti-ker sind der gleichen Meinung. Wir hoffen stark, dasssich das durchsetzt und dass auch die gesamte Koalitionin den nächsten Wochen zu diesem Schritt bereit ist.

(Markus Löning [FDP]: Und Sie können Geld drucken, Herr Hoppe!)

Schuldenerlass ist das eine – er ist notwendig –, wirkommen aber nicht um zusätzliche Anstrengungen he-rum, um die Millenniumsziele zu erreichen. Das Geld,das wir in die Armutsbekämpfung investieren wollen,wird gut angelegt sein. Es ist auch eine Investition in un-sere Sicherheit.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön. – Ich schließe damit die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/4659 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten ReinholdHemker, Dr. Sascha Raabe, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPD sowie der Abgeordneten UlrikeHöfken, Thilo Hoppe, Volker Beck (Köln),weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Ernährung als Menschenrecht

– zu dem Antrag der Abgeordneten BernhardSchulte-Drüggelte, Peter H. Carstensen (Nord-strand), Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSU

Welternährung sichern – eine globale Ver-antwortung für die nationale und europäi-sche Agrarpolitik

– Drucksachen 15/3956, 15/3940, 15/4408 –

Berichterstattung:Abgeordnete Reinhold Hemker Bernhard Schulte-Drüggelte Ulrike Höfken Hans-Michael Goldmann

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider-spruch höre ich keinen. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Reinhold Hemker.

Reinhold Hemker (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Ich habe in der letzten Woche ein Empfehlungspa-pier der Regierung von Sambia zugeschickt bekommen.Darin fand ich eine sehr interessante Formulierung zuunserem heutigen Thema. Sie spricht nämlich nicht vonder Ernährung als Menschenrecht bzw. sie zitiert dieLeitlinien nämlich nicht einfach, sondern sie spricht imzweiten Teil dieser Formulierung davon, dass es um eineangemessene Ernährung für alle Menschen geht. Wenndas, was die Sambianer formuliert haben, richtig ist, be-deutet das, dass wir uns vor diesem Hintergrund zu-nächst einmal über die Bedeutung dieser Leitlinien klarwerden müssen, die nun schon seit einigen Monaten inder Diskussion sind und über die sich verschiedene Re-gierungen Gedanken hinsichtlich der Implementierungin nationale Programme machen.

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Reinhold Hemker

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben sich schon das letzte Mal bedankt!)

– Ich habe mich noch gar nicht bedankt, Herr Kollege.Sie greifen jetzt dem Rest meiner Rede vor. Aber in derTat lohnt es sich, sich bei einigen zu bedanken. – Ich ver-weise darauf, was in einigen Entwicklungsländern pas-siert und was auf der Basis der Empfehlungen der FAOin den reicheren Ländern geschehen muss. Der stellver-tretende Generaldirektor der FAO, Hartwig de Haen, hatdeutlich darauf hingewiesen, dass es sich bei diesenLeitlinien „nur“ um ein zusätzliches Instrument handelnkann.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Bedeu-tung der Nichtregierungsorganisationen in Deutsch-land, in Europa und auch in den Entwicklungsländernhinweisen. Diese Nichtregierungsorganisationen – ichnenne hier ganz bewusst FIAN, ein Netzwerk, das sichals internationale Menschenrechtsorganisation für dasRecht auf Nahrung einsetzt – haben bei der Vermittlungund Organisation von Kampagnen für die notwendigeAufklärung bei beteiligten Regierungen gesorgt. Es wäreim letzten Jahr – das ist meine Einschätzung – nicht zumDurchbruch gekommen, wenn nicht in einigen Ländern– ich nenne hier besonders die USA – christlich geprägteOrganisationen dafür gesorgt hätten, dass dieses Themaimmer wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Da-für, denke ich, muss man sich, Herr Kollege Goldmann,auch bedanken.

Wichtig ist dabei, dass wir uns klar machen, dassnicht allein die FAO mit ihren Programmen und dem zuwenig bereitgestellten Geld die Umsetzung organisierenkann, sondern dass dies ein Wechselspiel zwischen denbereits „aktiven“ Ländern, die die Implementierung imRahmen ihrer agrarwirtschaftlichen und ernährungswirt-schaftlichen Programme vornehmen, und den Möglich-keiten ist, die die FAO und die Geberländer haben. Vondaher gesehen, wird es jetzt bei der Implementierung aufdie Kooperation zwischen den verschiedenen internati-onalen Organisationen und den jeweiligen staatlichen In-stitutionen – dabei geht es nicht immer nur um dieAgrarpolitik, sondern auch um vor- und nachgelagerteBereiche genau wie bei uns – ankommen, und zwar imWechselspiel mit den Nichtregierungsorganisationen,die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind.

Ich will dazu einige wichtige Kernpunkte nennen,die sich für die praktische Politik aus den Leitlinien er-geben.

Erstens. Es geht darum, dass aus diesen Leitlinien soetwas wie ein integraler Bestandteil der Gesamtprogram-matik wird. Das ist es bisher nicht. Es ist so etwas wieeine Basis. Diejenigen, die in den internationalen Orga-nisationen und in den nationalen Programmen tätig sind,müssen hier eng zusammenarbeiten.

Zweitens. Es geht darum, dass man länder- oder regi-onalspezifisch für die Implementierung Konzepte entwi-ckelt, die viele der Entwicklungsländer noch gar nichthaben, insbesondere diejenigen Entwicklungsländer, dieauf ein, zwei oder drei Agrarprodukte für den Export set-zen und so an international verhandelbares und einsetz-

bares Kapital kommen. Man muss sich also sowohl aminternationalen als auch am nationalen Markt orientierenund entsprechend handeln.

Dafür ist Kommunikation und Training notwendig.Ebenso ist Unterstützung für die bereits „aktiven“ Län-der wichtig. Deutsche Organisationen wie INWENT,aber auch die GTZ müssen auf diesen Schwerpunkt ver-stärkt eingeschworen werden, was bisher noch nicht derFall ist. Ländliche Agrarpolitik und Entwicklungspolitiksind noch kein Thema.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann würde ich das in dem Antrag fordern!)

– Das haben wir in unserem Antrag alles angedeutet,Kollege Goldmann. Das wissen Sie. Sie können in einemkurzen Antrag für die parlamentarische Debatte nicht dieGesamtprogrammatik, die wir entwickeln und die nochzu entwickeln ist, aufnehmen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Vier Seiten hat er!)

Wichtig ist jetzt, dass wir die verschiedenen Agrar-sektoren einer Gesamtbetrachtung unterziehen. Wichtigist außerdem, dass wir den Subsistenzsektor betrachtenund über die Politik der Entwicklungszusammenarbeitund die entsprechenden Maßnahmen deutlich machen,dass der Subsistenzsektor in Richtung Marktfähigkeitweiterentwickelt werden muss.

(Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])

Das Gleiche gilt für kleine landwirtschaftliche Be-triebe, die oft gar nicht in der Lage sind, ihre Produkteauf lokalen, regionalen, geschweige denn nationalenMärkten abzusetzen.

Hier haben die mittelgroßen Farmen und insbeson-dere die kommerziellen Großfarmen mit ihrem Know-how in den Entwicklungsländern eine ganz wichtigeAufgabe. Als Hinweis: Es gibt bereits einige Entwick-lungsländer, in denen Weiterbildungsinstitutionen ge-rade von den Vertretern des Großfarmsektors unterhaltenwerden.

Dabei ist auch wichtig, dass wir bei der Weiterent-wicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft vorAugen haben, dass standortgerecht produziert wird, undzwar mit solchen Produkten, die zu den heimischen Pro-duktsorten gehören. Gerade im afrikanischen Kontextkonnte ich in den letzten Jahren sehen, dass man ver-stärkt auf traditionelle Produkte im Grundversorgungs-bereich setzt. Dafür muss die Marktfähigkeit erzielt wer-den.

Dazu ist es nun wichtig, dass wir uns Gedanken da-rüber machen, wie es mit den vor-, nach- und zugeordne-ten Sektoren aussieht. Wir wissen, dass gerade imBereich der Konservierung große Probleme in den Ent-wicklungsländern bestehen. Sie alle wissen, wenn Siebei Reisen in Entwicklungsländer auf Märkten gewesensind, dass immer ein Geruch in der Luft liegt, was daranliegt, dass viele Produkte verfaulen, bevor sie auf dieMärkte kommen, weil Lager- und Konservierungsmög-lichkeiten nicht bestehen.

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Reinhold Hemker

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift der Welthunger-hilfe wird dieses Problem anhand des Milchsektorsdargestellt. Sie wissen alle, dass Milch in den Entwick-lungsländern weitestgehend durch kleine Händler ver-marktet wird und die Vermarktung sehr produktionsnaherfolgen muss. Deswegen ist es wichtig, dass wir in derEntwicklungszusammenarbeit durch die Projektarbeitentsprechende Konservierungsmethoden unterstützen.Manche sind nicht kostengünstig bzw. gar nicht durch-setzbar, weil man bestimmte Kühlungssysteme in vielenEntwicklungsländern gar nicht einsetzen kann.

Es geht also um den Ausbau der Maßnahmen fürInfrastruktur. Das alles ist in den Leitlinien erwähntund wird als Auftrag für die Programmumsetzung for-muliert. Es geht um Transport, es geht um die Erfassungaller Möglichkeiten, zum Beispiel Lagerung und Kon-servierung, die ich eben erwähnt habe. Sehr spannend istdabei die immer wieder gehörte Aussage, dass es zurProfessionalisierung der Beteiligten, also zur Entwick-lung der Fähigkeiten der Menschen kommen muss.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein Buchverweisen, das sich wie ein kleines Kompendium zu un-serem Thema liest. Es ist ein Buch, das von einigen Mit-gliedern von FIAN herausgegeben worden ist. Es heißtprovokativ: „Wirtschaft global – Hunger egal?“ In die-sem kleinen Kompendium wird so etwas wie eine Be-wertung nach ethisch-moralischen Grundsätzen undwerden Handlungsperspektiven vorgegeben. Es wirdaber auch eines deutlich gemacht, was mir angesichtsder Debatte, die in den letzten Tagen über China auchhier im Hause geführt worden ist, aufgefallen ist. Es gibteine ganze Reihe von wirtschaftlich unheimlich starkenLändern: Brasilien, Indien und China. Wenn man sicheinmal anschaut, wie groß der Anteil unter- bzw. fehl-ernährter Menschen in diesen Ländern ist, dann siehtman, dass die Binnenstrukturen in diesen Ländern verän-dert werden müssen.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Klar!)

Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Das heißt aber:Wenn, liebe Frau Staatssekretärin, die Bundesregierungauf bestimmte Ankerländer setzt, zu denen Brasilien,Indien und China gehören, dann muss man in den bilate-ralen Gesprächen deutlich machen, dass es um eine Ver-änderung der binnenorientierten Agrar- und Ernährungs-politik und der Wirtschaftspolitik dieser Länderinsgesamt gehen muss.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das steht nicht in Ihrem Antrag!)

– Lieber Kollege Goldmann, die Debatten sind – daswissen Sie doch ganz genau – dazu da, dass man zusätz-lich zu dem, was man aufschreibt, noch einige Erläute-rungen gibt. Ich könnte das Satz für Satz anhand unseresAntrags nachweisen, weil ich diesen Antrag mit Herz-blut geschrieben habe.

Vor diesem Hintergrund müssen wir alle politischenMethoden einbeziehen. Wir haben eben über die HIPC-Initiative gesprochen. Wir müssen aber auch darübersprechen, wie wir unsere Agrarsubventionen in dennächsten Jahren gestalten. Denn ein Abbau der Agrar-

subventionen würde bei einer entsprechenden Entschul-dung dazu führen, dass mehr Investitionen für die natio-nal verantwortete Implementierung der Leitlinie „Rechtauf Nahrung“ möglich wären und es zum anderen zu ei-nem größeren Handlungsspielraum käme.

Vor diesem Hintergrund möchte ich mit einer Aus-sage aus dem kleinen Büchlein schließen:

Die Durchsetzung von Menschenrechten erfordertden Widerstand und die Gegenmacht der Opfer so-wie die Unterstützung von Menschenrechtsorgani-sationen und anderen sozialen Bewegungen. DieseSolidarität ist auch jetzt schon möglich!

In beiden vorliegenden Anträgen wird auf dieserGrundlage argumentiert. Ich gehe davon aus, dass wirdas in den Fachdiskussionen noch weiter zu konkretisie-ren haben. Zurzeit stehen wir am Anfang der Implemen-tierung auf der Grundlage dieser Leitlinien. Ich denke,dass wir als Abgeordnete aus den verschiedenen Fachbe-reichen einen solidarischen Beitrag für die Umsetzungund Implementierung leisten können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marlene Mortler.

Marlene Mortler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Hemker, ichschätze Sie wirklich sehr, vor allem Ihren Einsatz für dieärmsten Menschen in unserem Lande wie auch auf derganzen Welt. Lassen Sie mich trotzdem den Blick auf Ih-ren Antrag lenken.

„Wer Gutes tun will, muss es verschwenderisch tun“:Ihr Antrag mit dem Titel „Ernährung als Menschen-recht“ folgt zwar im Wortlaut Martin Luther, aber nichtin seinem Geiste. Ihr Anspruch ist hoch, aber die Wirk-lichkeit sieht anders aus. Eine Meldung der OECDmacht deutlich, dass die staatliche Hilfe Deutschlandszur Förderung der Entwicklung der ärmsten Länder 2004geringer geworden ist.

Die Ursachen für Hunger und Unterernährung in vie-len Teilen der Welt sind vielfältig. Hungerbekämpfungist in erster Linie Armutsbekämpfung. EntscheidendeFaktoren sind der Zugang zu Boden und Kapital, einebessere Bildung und Ausbildung, die Bekämpfung vonKorruption und die Vermeidung von kriegsähnlichen Zu-ständen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

So ist Nordkorea ein eklatantes Beispiel für politischverursachten Hunger. Das dortige diktatorische Regimedrangsaliert seine Bevölkerung seit Jahrzehnten mit ei-ner verfehlten Agrarpolitik. Schlagworte wie Abbau vonSubventionen – wie gerade zu hören war – und Protek-tionismus mögen zwar im Zusammenhang mit der Ar-

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Marlene Mortler

mutsbekämpfung populär sein; sie helfen aber bei derBekämpfung von Hunger nicht weiter.

Einen wichtigen Beitrag zur Hungerbekämpfung lie-fert aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion die moderneAgrarforschung. Darauf bezieht sich auch die zentraleForderung in unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Die Zahlen der FAO machen nämlich deutlich, dass diepro Kopf zur Verfügung stehende landwirtschaftlichnutzbare Fläche unaufhaltsam kleiner wird. Währendzum Beispiel 1961 noch für jeden Erdenbürger1,5 Hektar zur Verfügung standen, waren es 2002 nurnoch 0,81 Hektar. Ich frage mich, ob dieser Rückgangmit konventionellen oder gar ökologischen Bewirtschaf-tungsmethoden noch ausgeglichen werden kann.

Bündnis 90/Die Grünen haben in ihrem Antrag vomJuli 2003 ebenfalls gefordert, dass Aktivitäten der inter-nationalen Agrarforschung dem Ziel einer nachhaltigenNahrungssicherung entsprechen sollten. Im aktuellenAntrag der Regierungskoalition steht kein Wort mehrvom Nutzen der Agrarforschung bei der Hungerbekämp-fung. Damit wollen Sie wohl jeden Zusammenhang mitder Pflanzengentechnik vermeiden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Hunger kann man nicht mit Ideologien bekämpfen, son-dern nur mit der Nutzung aller Chancen und einem ganz-heitlichen Ansatz.

Wie eingleisig in diesem Zusammenhang gedacht undgehandelt wird, zeigt auch die Versetzung von ProfessorSchlagheck in den einstweiligen Ruhestand. Ich habedas überhaupt nicht verstanden; denn ich habe ProfessorSchlagheck als einen loyalen Mitarbeiter Ihres Hauseskennen gelernt, Herr Dr. Thalheim. Aber er war sicher-lich auch ein Mitarbeiter, der beim Thema Gentechniküber den Tellerrand hinausgeschaut hat. Wir reden heuteüber eine ausreichende Versorgung der Menschen in denEntwicklungsländern mit Nahrungsmitteln und Wasserund Frau Ministerin konzentriert sich zurzeit auf die Ver-sorgung ihres grünen Umfelds.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wie groß muss die Panik sein, wenn sie die Zusammen-arbeit mit hoch qualifizierten Mitarbeitern einfach auf-kündigt? Der politische und wirtschaftliche Schaden,den sie damit anrichtet, scheint ihr egal zu sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Beim Thema Agrarbiotechnologie setzen Sie aufÄngste, sprechen Sie nur von Risiken und beeinflussenso einseitig die Stimmung der Menschen in unseremLand. Dabei ist die Agrarbiotechnologie aus meinerSicht eine der zukunftsträchtigsten Entwicklungen in dermodernen Wissenschaft. Aber die Spielregeln müsseneingehalten werden; denn wir sind uns durchaus in derBewertung des illegalen Exports von Bt-10-Mais ausden USA in die EU einig. Die Vorgehensweise des welt-größten Biotechnologiekonzerns, aber auch der US-Be-

hörden ist aus meiner Sicht durch nichts zu entschuldi-gen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowiedes Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN])

Die Agrarbiotechnologie kann aber zusammen mit tradi-tionellen oder konventionellen Pflanzenzüchtungsme-thoden herausragende Leistungen erbringen. Die erfolg-reiche Maniokforschung in Afrika ist hierfür ein gutesBeispiel. Deshalb ist es aus meiner Sicht verantwor-tungslos und unvernünftig, Forschung und Erprobung imeigenen Land massiv zu behindern.

Auch die vielfach geforderte Liberalisierung desWeltagrarhandels ist kein Segen für die Entwicklungs-länder. Vom totalen Freihandel profitieren nicht dieKleinbauern oder die Landarbeiter, sondern wenigegroße Familien zum Beispiel in Brasilien, die mit ihremEinfluss das Land gestalten und den Acker bestellen las-sen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es darf nicht sein, dass eine falsch verstandene Ent-wicklungshilfe, etwa die zum Teil umweltzerstörerischeZuckerproduktion, zum Nachteil unseres heimischenAnbaus gefördert wird. Deshalb kann ich persönlich dieVorschläge der EU-Kommission zur Reform der Zucker-marktordnung nicht nachvollziehen; denn sie würden dieExporterlöse der AKP-Länder drastisch mindern und da-mit dort die Kaufkraft, aber auch die Ernährungssiche-rung beeinträchtigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Marlene Mortler (CDU/CSU): Jawohl, Frau Präsidentin. – Die internationale Han-

delspolitik kann also das Ernährungsproblem nicht al-leine lösen.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, den heuti-gen Worten Taten folgen zu lassen, um so den Ärmstenzu einem besseren Leben zu verhelfen, und zwar ganzim Sinne von Molière: „Ich lebe von guter Suppe undnicht von schöner Rede.“

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thilo Hoppe.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind uns darin einig, dass die katastrophal hohe Zahlder Hungernden nicht hinnehmbar ist und eine riesige He-rausforderung darstellt. Die große Mehrheit der Hungern-den lebt auf dem Lande. Wir sind uns deshalb darin einig,dass mehr für die ländliche Entwicklung, insbesondere

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Thilo Hoppe

für die Entwicklung des ländlichen Raumes in den Län-dern der so genannten Dritten Welt getan werden muss. Inder nächsten Woche wird es im Entwicklungsausschuss,im AwZ, eine Anhörung geben, die genau das zum Zielhat: den Stellenwert der ländlichen Entwicklung zu erhö-hen. Ich prophezeie Ihnen: Es wird neue Konzepte gebenwird und es wird in Zukunft mehr Geld in diesen Sektorfließen.

Die Union hebt in ihrem Antrag darauf ab, dass dieAgrarproduktion gesteigert werden muss. Sie meint, diesmit einer Art zweiten grünen Revolution bewerkstelligenzu können. Große Hoffnungen werden dabei in dieGrüne Gentechnik gesetzt. Die FDP hat zwar keinen An-trag vorgelegt, hat aber in vielen Debatten deutlich ge-macht, dass für sie die Liberalisierung des Welthandels,der Agrarmärkte, der Königsweg ist.

Über die Chancen und Risiken der Grünen Gentech-nik haben wir hier schon viel diskutiert. Ich möchte da-rauf heute nicht vertieft eingehen; aber aufgrund derjüngsten Ereignisse – sie wurden schon angesprochen,Stichwort Bt-10-Mais – ist in mir die Skepsis gegenüberder Grünen Gentechnik eher noch gewachsen.

Das, was wir auf einer AwZ-Delegationsreise imHerbst in Argentinien erlebt haben, war sehr gruselig.Dort hat der industriemäßige Anbau von Gensoja zuschweren ökologischen und sozialen Verwerfungen ge-führt. Er hat einige wenige Großinvestoren reicher ge-macht; aber er hat viele Indigene und Kleinbauern insElend getrieben und verdrängt. Wir haben da erschüt-ternde Berichte von Vertretern der Kleinbauern und derIndigenen gehört. Wir haben Berichte von verseuchtemGrundwasser gehört. Die Vertreter der Indigenen, derKleinbauern, die Hilfswerke der katholischen und derevangelischen Kirche, alle erheben schwere Vorwürfegegen die argentinische Agrarpolitik, die von dem US-Konzern Monsanto ganz stark geprägt ist.

Aber auch unabhängig von der Gentechnikproblema-tik wird hier ein Dilemma deutlich. Natürlich ist es rich-tig und notwendig, dass wir aus Gründen der Nord-Süd-Gerechtigkeit auch unsere Agrarmärkte für die Entwick-lungs- und Schwellenländer öffnen müssen. Doch eineLiberalisierung der Agrarmärkte führt nicht automa-tisch zur Hungerbekämpfung. Manchmal geschieht ge-nau das Gegenteil,

(Beifall der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

nämlich dann, wenn die Ausweitung der Agrarproduk-tion für den Export nur einer winzig kleinen Oberschichtoder internationalen Konzernen zugute kommt und wenndie Exportorientierung dazu führt, dass der Anbau vonGrundnahrungsmitteln vernachlässigt wird. Es gibt dafüreinige besonders krasse Beispiele: Zierblumen, Winter-tomaten, Erdbeeren, die unter großer Wasserverschwen-dung in Ländern der Sahelzone angebaut werden.

Ricardos Lehre von den angeblich komparativen Kos-tenvorteilen musste sogar schon dafür herhalten, zurechtfertigen, dass in einigen Hungerländern Afrikas aufbis zu 70 Prozent der Anbauflächen Futter für Schweineund Rinder der Europäischen Union angebaut wurde.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich plädiere kei-neswegs für eine Abschottung unserer Märkte – daswäre die falsche Schlussfolgerung –; aber eine Öffnungmuss von Reformen in den Entwicklungsländern selbstflankiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ein hervorragendes Instrument dafür können die frei-willigen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts aufNahrung sein, die im Herbst letzten Jahres von der FAObeschlossen wurden und die auf eine starke Initiativevon Renate Künast zurückgehen. Diese Leitlinien sehenvor, dass jedes Land, in dem Hunger herrscht, zunächstein Kataster erstellen muss. Damit muss jedes dieserLänder folgenden Fragen nachgehen: Welche Bevölke-rungsgruppen in welchen Regionen leiden an Hunger?Was sind die Ursachen? Die mit dieser Bestandsauf-nahme verbundenen Fragen müssen mit einer nationalenStrategie beantwortet werden, nach dem Prinzip: Foodfirst! Das bedeutet: Zunächst muss die Verfügbarkeit vonGrundnahrungsmitteln gesichert werden.

Den Entwicklungsländern muss das Recht zugestan-den werden, im Sinne der Ernährungsouveränität ihre ei-genen Märkte vor Dumping durch die Industrienationenabzuschotten und zu schützen. In diesem Bereich spieltdie Abschaffung der Agrarexportsubventionen wirk-lich eine ganz große Rolle.

(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich bitte die CDU/CSU, hier endlich einmal Farbe zu be-kennen. Da gibt es eine große Diskrepanz: Die Entwick-lungspolitiker sagen das Richtige und sie fordern dieAbschaffung der Agarexportsubventionen; aber dieAgrarpolitiker betreiben mehr Klientelpolitik und sagenetwas anderes. Ich wiederhole: Da müssen Sie endlichFarbe bekennen und eine einheitliche, also kohärenteStellungnahme entwickeln.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Auf jeden Fall müssen die Agrarexportsubventionenradikal heruntergefahren werden, und zwar auf null. DieMarktöffnung muss umgestaltet werden. Es ist noch eineMenge Gehirnschmalz notwendig, um das Ganze richtigauszubalancieren. Im EU-Parlament wird momentanüber den Begriff „qualitativer Marktzugang“ nachge-dacht. Man möchte die Marktöffnung im Rahmen vonbilateralen und von regionalen Abkommen an die Ein-haltung ökologischer und sozialer Standards und auch anvernünftige nationale Strategiepapiere zur Umsetzungdes Rechts auf Nahrung koppeln. So flankiert kannMarktöffnung wirklich zur Hungerbekämpfung beitra-gen, nicht flankiert kann sie den Hunger sogar noch ver-schärfen.

Zusammengefasst: Abbau der Agrarexportsubventio-nen, qualitative Marktöffnung und zusätzliche Investitio-nen direkt in die ländliche Entwicklung, das sind dieWege, die geeignet sind, um den Welthunger wirklich ra-dikal zu bekämpfen.

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Thilo Hoppe

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael

Goldmann.

Hans-Michael Goldmann (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sollten dieses Thema aus meiner Sicht schon einbisschen konkreter angehen. Wir können hier natürlichsehr grundsätzliche Reden darüber halten, wie engagiertwir alle dafür eintreten, die Armut in der Welt zu be-kämpfen und das Recht auf Nahrung für jedermann zusichern. Wir sollten uns heute aber vielleicht eher etwasgenauer mit diesen beiden Anträgen befassen.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, sindzwei sich gegenseitig ergänzende grundsätzliche Schrittenotwendig, Kollege Hoppe. Der eine Schritt ist eineklare Liberalisierung. Die Liberalisierung ist genau we-gen der Maßnahmen notwendig, die Sie selbst eben an-gesprochen haben, nämlich Absenkung von Exportbei-hilfen oder sogar Verzicht darauf, Verzicht auf direkteHilfen und Senken von Schutzzöllen. Das müssen wirgemeinsam vorantreiben. Das sollten wir nicht mit Pro-blemen vermischen, die es in Märkten selbstverständlichgibt; da bestimmen Starke natürlich einen Teil der Mu-sik. Aber – auch wenn es flapsig und platt klingt, HerrKollege Hoppe –: Nur von einem gedeckten Tisch kön-nen möglichst viele ernährt werden. Deswegen sollteman hier keinen Widerspruch zwischen den Großen undden Kleinen aufbauen, sondern gemeinsam dafür sorgen,dass bei allen Verhandlungen und Gesprächen, zum Bei-spiel bei der WTO, ein Einklang hergestellt werdenkann. Wir sollten dabei grundsätzlich daran festhalten,dass gerade wir gefordert sind, der Liberalisierung undder Marktöffnung mehr Chancen zu geben. Das ist dereinzige wirklich zielführende Weg, den wir aus dem Par-lament heraus beschreiten können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es gibt einen zweiten Schwerpunkt. Ich bitte Sie,Kollege Hoppe, und auch die Kollegen von der Sozial-demokratischen Partei, Agrartechnik und Agrarfor-schung nicht zu verengen auf Probleme im Bereich derGrünen Gentechnik, die Sie hier angesprochen haben.Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten: Der Fall„Bt 11 und Bt 10“ war sehr schädlich und da war nachmeiner Einschätzung Bösartigkeit im Spiel. Aber das istnicht das, was sich hinter Agrartechnik und Agrarfor-schung verbirgt.

Stellungnahmen der FAO sagen ganz eindeutig: Wirmüssen zu einer Ausdehnung der landwirtschaftlichenNutzfläche kommen. Wir müssen zur Verbesserung derBodenqualität durch kluge und moderne Bewässerungs-systeme und durch einen Einsatz effektiver Düngemittelkommen. Wir müssen zur Steigerung des Ertrags prolandwirtschaftlicher Nutzfläche kommen. Wenn wir

diese Bereiche der modernen Technologie, der moder-nen Form von Bearbeitung, der nachhaltigen Bearbei-tung, entwickeln, dann haben wir auch Chancen, überden Bereich der Grünen Gentechnik hinaus ein Zusätz-liches zu erreichen.

(Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan[FDP] sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin davon überzeugt, dass ein kluges Miteinander indieser Frage der richtige Weg ist.

Wenn ich die Anträge bei Licht betrachte, KollegeHemker, dann stelle ich fest, dass der Antrag der CDU/CSU wesentlich richtungsweisender ist als der der Ko-alition. Die allgemeinen Ausführungen, die Sie in IhremAntrag niedergelegt haben, sind blumig, aber nicht sehreffektiv. Deswegen werden wir dem CDU/CSU-Antragzustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Schulte-

Drüggelte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bedanke mich erst einmal für die Beurteilung desCDU/CSU-Antrags als „wesentlich richtungsweisen-der“. Ganz genau der Meinung sind wir natürlich auch.

Ich möchte einiges zur Situation sagen. Wir haben nurnoch genau zehn Jahre Zeit, um das UN-Millenniums-ziel zu erreichen, die Zahl der Menschen, die unter Ar-mut und Hunger leiden, zu halbieren. Nach der Debatte,die wir vorhin geführt haben, und der Debatte, die imAugenblick in den Medien läuft, kann man sich natürlichdie Frage stellen: Wer glaubt denn noch daran, dass die-ses Ziel erreicht wird, zumal in den letzten Jahren dieZahl der Hungernden eher zugenommen hat? Wenn dieRegierungen in Nord und Süd – ich sage bewusst: inNord und Süd – nicht schnellstmöglich handeln, dannwird dieses Ziel nicht erreicht.

Die Zahlen wurden auch schon in der Armutsdebattevorhin genannt. Die Weltbank hat festgestellt: Im Au-genblick werden 70 Milliarden Dollar für Entwicklungs-hilfe aufgewandt. Es sollten mindestens 120 MilliardenDollar sein, wenn man die Ziele erreichen will.

Das Bedauerliche ist, dass Deutschland unter den Ge-berländern leider nur einen der hinteren Ränge ein-nimmt, weit hinter Norwegen, Luxemburg, Dänemarkoder Portugal. Dabei haben sich alle EU-Staaten ver-pflichtet, ihre Entwicklungshilfe auf 0,39 Prozent desBruttoinlandsprodukts zu steigern.

Deutschland will bis 2006 leider nur 0,33 Prozent er-reichen. Und wie sieht es zurzeit aus? Seit zwei Jahrenstagniert der Anteil bei 0,28 Prozent. Um einen Begriff

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aus der Entwicklungspolitik zu verwenden: Das ist keingutes Regierungshandeln.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Das wird sich sehr bald ändern!)

Im Augenblick scheint eine Trendwende in Sicht.Man hat den Eindruck, UN-Generalsekretär Annan habedas Erreichen von 0,7 Prozent zur Bedingung für einenSitz im Sicherheitsrat gemacht. Die Frage, die geradeschon einmal angesprochen wurde, stelle ich mir natür-lich auch: Wie will diese Bundesregierung das finanzie-ren? In der Presse liest man, dass ihr zur Finanzierungnur Steuererhöhungen einfallen. Das ist die Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal die Gründe für den niedrigenAnteil von 0,28 Prozent nennen. Ich glaube, es liegtnicht daran, dass die Fachpolitiker nicht für eine deutli-che Erhöhung des Anteils sind. Den Fachpolitikernmöchte ich den guten Willen nicht absprechen. Ich sagedeutlich: Die Gründe für diesen niedrigen Prozentsatzliegen ganz eindeutig in der verfehlten rot-grünenWirtschaftspolitik in diesem Land

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

und Folge dieser verfehlten rot-grünen Wirtschafts-politik ist eine katastrophale Haushaltslage. Das ist dieSituation.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine gewisse Ernst-haftigkeit würde Ihnen ausgezeichnet zu Ge-sicht stehen!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Schmidt?

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Ich möchte das noch zu Ende bringen.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das wäre sehr schön! Dafür wären wir dankbar!)

Unter den Folgen dieser verfehlten rot-grünen Wirt-schaftspolitik leiden offenbar nicht nur die über5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wie sieht es aus? Würden Sie jetzt eine Zwischen-

frage gestatten?

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Wir sind zwar Nachbarn, aber lassen Sie mich das

noch zu Ende bringen.

(Zuruf von der SPD: Feigling!)

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Bitte. Das war jetzt eine Herausforderung. Wir sind

Nachbarn; sie kommt aus einem Nachbarkreis.

Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD): Ich wusste gar nicht, dass Sie Kartoffellandwirt sind –

rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Erst durfteich, dann durfte ich nicht. Aber jetzt darf ich.

Meine erste Frage interessiert gerade mich als Ent-wicklungspolitikerin: Ist Ihnen bewusst, dass wir auchschon in wirtschaftlich weit besseren Zeiten, in denendie ODA-Quote bei 0,42 Prozent lag, heruntergewirt-schaftet worden sind, nämlich unter einer Regierung vonCDU/CSU und FDP?

Die zweite Frage: Sehen Sie ein – solche Aussagenhöre ich zumindest in meiner Region, also in Ihrer Nach-barschaft –, dass mit fairen Preisen sowohl für unsereLandwirte als auch für die Landwirte in den armen Län-dern vielleicht doch etwas erreicht werden könnte fürmehr Gerechtigkeit in der Welt? Ich kann zumindest fürdas Sauerland sagen, dass man viele Landwirte auf sei-ner Seite hat, wenn man sich für die faire Produktion vonlandwirtschaftlichen Produkten und für faire Preise ein-setzt. Ich würde gerne einmal von Ihrer Seite hören, wieSie sich in dieser Beziehung gegenüber Ihrer Verbands-politik verhalten.

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Wir sind Nachbarn und deshalb will ich die Fragen

kurz beantworten. Ich bin Vertreter eines Wahlkreisesund vertrete nicht irgendwelche Verbandspolitik. Dasmöchte ich ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe mich auch in den anderen Debatten für einenfreien und fairen Welthandel ausgesprochen, genauwie Sie ihn jetzt gerade gefordert haben. Diese Forde-rungen sollen auch bei den WTO-Verhandlungen durch-gesetzt werden. Ich erwähne in dem Zusammenhangauch die Zuckermarktordnung, über die wir beim letztenMal gesprochen haben.

Ich hoffe, diese Antworten helfen Ihnen weiter, undlasse es nun dabei bewenden.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)

Ich setze mich genau wie mein Kollege für einenfreien Welthandel ein, der aber fair geführt werden sollund in dem auch die Interessen der europäischen Land-wirte berücksichtigt werden müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da Sie wie ich aus Nordrhein-Westfalen kommen,möchte ich die Folgen der verfehlten rot-grünen Wirt-schaftspolitik für Nordrhein-Westfalen noch einmal prä-zisieren: Ergebnis dieser Wirtschaftpolitik sind bundes-weit 5 Millionen Arbeitslose, davon allein in Nordrhein-Westfalen über 1 Million Arbeitslose.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Bernhard Schulte-Drüggelte

Die Leitlinien – um noch einmal darauf zurückzu-kommen –, die ein Recht auf Nahrung vorsehen, und derAktionsplan 2015 sind wichtige Maßnahmen. Ich er-kenne das auch deutlich an. Sie werden aber nur zu Er-folgen führen, wenn die Regierungen, also auchDeutschland, klare Leitlinien in der Entwicklungspolitikverfolgen.

Ich möchte einmal Jacques Chirac zitieren, der aufdem Weltwirtschaftsgipfel in Davos von den stillenTsunamis gesprochen hat – ich weiß nicht, ob Sie dasverfolgt haben; ich fand dieses Bild sehr gut –, die inweiten Teilen der Welt in Form von Hungersnöten, In-fektionskrankheiten, Aufruhr und Gewalt auftreten. Die-ses Bild mag für viele erschreckend sein, aber beschreibtdie Situation zutreffend. Ich möchte auch noch einmaldie Fakten nennen: Derzeit sind circa 815 MillionenMenschen unterernährt, darunter 160 Millionen Kinder.Jeden Tag – ich will es noch einmal erwähnen – sterben24 000 Menschen an den Folgen von Hunger. Drei Vier-tel davon sind Kinder unter fünf Jahren. Man stelle sichdas einmal bildhaft vor: Das bedeutet, dass die Entwick-lungsregionen Südasien und Afrika quasi alle 14 Tageeinen Tsunami mit 300 000 Toten erleiden müssen. Alle14 Tage ein Tsunami! Das ist die Situation, die im Au-genblick in der Welt herrscht.

Ich möchte Ihnen noch einen anderen Zusammenhangvor Augen führen: 70 Prozent der Armen leben auf demLande. Die Weltbevölkerung wächst jährlich um80 Millionen Menschen. Die steigende Nachfrage nachNahrungsmitteln trifft auf die nur begrenzt vorhande-nen Ressourcen Ackerland und Wasser. Die FAO sagtganz klar, dass eine Mehrproduktion von Nahrungsmit-teln nur über höhere Flächenerträge erreicht werdenkann. Diese Tatsache macht ganz deutlich

(Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– zweimal ist genug –, dass der Weg aus der Armut nichtmehr in erster Linie über den Bau von Straßen, Brückenund Schienenwegen führt, sondern über gut koordinierteInstitutionen und Entwicklungspolitik sowie Boden-reformen in den betroffenen Ländern, also über gute Po-litik, und – ich will es noch einmal sagen – über einenfreien, aber auch fairen Welthandel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie

haben Ihre Redezeit schon weit überschritten.

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): 37 Sekunden.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nein, Herr Kollege. Es ist fast eine Minute. Die Uhr

hat zu lange gestanden.

Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Ach so, Entschuldigung. – Zum Schluss darf ich sa-

gen, dass die Überwindung von Hunger nicht nur eine

Sache von besserem Wissen, besserer Technologie undguter Politik ist. Es ist auch eine Sache von Macht undRecht und besonders von Mitverantwortung. Die viel zulange Dauer

(Heiterkeit)

dieses Problems sollte uns nicht Anlass dazu geben, unsdaran zu gewöhnen. Wir, auch Sie, die Sie angesichts ei-nes so ernsten Problems lachen – eigentlich sind Sie jaordentliche Leute, aber angesichts eines solchen Pro-blems sollte man keine Späße machen –, sollten stetigdafür kämpfen, dass dieses Problem gelöst wird.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft auf Drucksache 15/4408.

Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 15/3956 mit dem Titel: „Ernährung alsMenschenrecht“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionbei Gegenstimmen von der CDU/CSU und der FDP an-genommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnungdes Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-sache 15/3940 mit dem Titel: „Welternährung sichern –eine globale Verantwortung für die nationale und euro-päische Agrarpolitik“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionbei Gegenstimmen von der CDU/CSU und der FDP an-genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerBrüderle, Gudrun Kopp, Rainer Funke, weitererAbgeordneter und der Fraktion der FDP

Gegen die Zerfaserung wettbewerbsrecht-licher Kompetenzen

– Drucksache 15/4561 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.

Gudrun Kopp (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Es

ist an der Zeit, dass wir uns – das geschieht heuteAbend – wieder einmal der Frage von Wettbewerb undordnungspolitischen Rahmenbedingungen am StandortDeutschland widmen. Ein funktionierender Wettbewerb– das wissen wir alle – schafft Wachstum, Beschäftigungund Innovation. Vor allen Dingen wirkt ein funktionie-render Wettbewerb gegen eine Konzentration wirtschaft-licher Macht und sorgt stattdessen für eine Verteilungder Macht, was sich positiv auf die Vielfalt, die Qualitätund die Preise auswirkt. Insofern ist dies ein ganz wich-tiger Bereich im allgemeinen Wirtschaftsprozess, denman möglichst nicht stören sollte.

Wir haben aber gerade in der letzten Zeit bemerkt,dass die rot-grüne Bundesregierung an der einen oderanderen Stelle tiefe Einschnitte vorgenommen hat. DasRegister dieser wettbewerbs- und ordnungspolitischenSünden ist schon recht lang. Ich nenne ein paar Bei-spiele.

Sie haben erstens gegen jeden Sachverstand von Bun-deskartellamt und Monopolkommission die Fusion vonEon und Ruhrgas genehmigt. Das Resultat sind zumBeispiel sehr hohe Gaspreise, worunter die Wirtschaftund auch die Privatverbraucher leiden. Jetzt ist das Kar-tellamt mit Abmahnverfahren zur Schadensbegrenzungbeschäftigt, soweit dies möglich ist.

Sie haben zweitens im Telekommunikationsgesetzein Einzelweisungsrecht des Ministers durchgesetzt. Dasist ein einmaliger Vorgang, ein Eingriff, der mit Blickauf die Entscheidungen der Regulierungsbehörde einepermanente Bedrohung bedeutet. Dieses Sonderrecht imTKG gehört schnellstens gestrichen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Sie betreiben drittens mit dem Wettbewerbsrecht sek-torale Industriepolitik, indem Sie das Pressefusions-recht ausgehöhlt haben und damit die Pressefreiheitnachhaltig stören.

(Beifall bei der FDP)

Bei solcherlei Eingriffen stirbt die Freiheit scheibchen-weise. Das darf nicht auf die leichte Schulter genommenwerden.

Sie leisten viertens der Zersplitterung der Wettbe-werbsaufsicht Vorschub, indem Sie für die Energieregu-lierung statt des Bundeskartellamts der Regulierungsbe-hörde für Post und Telekommunikation den Zuschlaggegeben haben. Damit öffnen Sie der sektoralen Regu-lierung in anderen Branchen Tür und Tor. Gleichzeitigschwächen Sie das Bundeskartellamt personell und in-haltlich. Auch das ist eine Tendenz, die wir mit großerSorge sehen.

(Beifall bei der FDP)

Eigentlich sollte die Regulierungsbehörde ja abgeschafftwerden. Jetzt aber erfährt sie in personeller Hinsicht ei-

nen immer stärkeren Aufwuchs. Das ist das Gegenteilvon schlanker Regulierung.

Was fordern wir in unserem Antrag? Wir möchten,dass die bestehenden Wettbewerbsbehörden in ihrerEigenständigkeit und Unabhängigkeit gestärkt werden.Wir wollen, dass das Einzelweisungsrecht, das ich ebenerwähnt habe, zurückgenommen wird. Wir wollen, dassdie Wettbewerbsbehörden von politischer Einfluss-nahme befreit werden. Das heißt, dass einer beamten-rechtlichen Besetzung der Spitze der Regulierungsbe-hörde der Vorzug zu geben ist. Wir brauchen auf keinenFall einen weiteren Vizepräsidenten oder eine weitereVizepräsidentin der Regulierungsbehörde für Post undTelekommunikation.

(Hubertus Heil [SPD]: Die FDP hat doch schon eine!)

Für uns ist die Stärkung des Wettbewerbs wichtig;denn sie nutzt den Verbrauchern und der Wirtschaft. DerWettbewerb ist die Säule einer sozialen Marktwirtschaft.Sie sollten daher aufhören, an dieser Säule zu sägen. Siesollten sich vielmehr auf das besinnen, was ordnungs-politisch notwendig ist. Sie sollten dem Populismus undder Zerfaserung der Wettbewerbsstrukturen in Deutsch-land keinen Vorschub leisten.

(Beifall bei der FDP)

Zu guter Letzt fordern wir Sie auf, mit dafür Sorge zutragen, dass das Wettbewerbsrecht auf EU-Ebene einenebenso großen Stellenwert erhält, wie er derzeit inDeutschland noch zu finden ist. Deshalb unsere Auffor-derung an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu und han-deln Sie im Sinne einer Stärkung des Wettbewerbs unddamit einer Stärkung unserer Wirtschaftskraft!

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil, SPD-Frak-

tion.

Hubertus Heil (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kollegin Kopp, eigentlich ist Ihr Antrag mehr als flüssig,nämlich überflüssig. Sie hätten durchaus die Gelegenheitgehabt, diesen Antrag im Rahmen der Debatte um dieNovellierung des GWB, des Grundgesetzes der Markt-wirtschaft, zu stellen. Sie hätten diesen Antrag in diemorgige Debatte über das Energiewirtschaftsgesetz ein-bringen können. So aber vergeuden wir heute Abend un-sere Zeit, weil wir uns mit Ihrem Antrag auseinander set-zen müssen, einem Antrag, über den man bei allemWohlwollen sagen muss, dass er nicht nur hochgradigwidersprüchlich, sondern einfach nur unsinnig ist.

(Gudrun Kopp [FDP]: Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen nichts dazu einfällt!)

Ich möchte Ihnen die Widersprüche an der einen oderanderen Stelle darlegen. Ich bin froh, dass die Fernseh-kameras nicht mehr zugeschaltet sind und die Leute sich

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Hubertus Heil

diese Debatte nicht ansehen müssen. Aber wir müssenuns jetzt mit Ihrem Antrag auseinander setzen, der, wiegesagt, an einigen Stellen widersprüchlich ist. Vielleichtkönnen wir die Gelegenheit zur gegenseitigen Aufklä-rung nutzen.

Wir haben in Deutschland eine Wettbewerbsord-nung, die sich im internationalen Vergleich trotz man-cher Probleme sehen lassen kann. Aus unserer Sichtkann von Zerfaserung keine Rede sein. Im Gegenteil:Wir haben eine Arbeitsteilung. Ich bin sehr stolz auf dieArbeit, die das Bundeskartellamt, die Monopolkommis-sion und auch die Regulierungsbehörde für Telekommu-nikation und Post leisten. Diese Arbeit sollten wir nichtschlechtreden.

Ich möchte einmal erklären, warum es vernünftiger ist,eine Arbeitsteilung vorzunehmen, als die Arbeit in eineeinzige Mammutbehörde zu schaufeln. Das Kartellamthat nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungendie Aufgabe, allgemeines Kartellrecht durchzusetzen.Die Monopolkommission hat den gesetzgeberischenAuftrag, eine regelmäßige Beurteilung von Unterneh-menskonzentrationen vorzunehmen. Sie hat auch dieAufgabe, die Vorschriften im Bereich der Zusammen-schlusskontrolle zu würdigen. Last, not least hat sie dieAufgabe, Stellungnahmen zu allgemeinen wettbewerbs-politischen Fragen abzugeben.

Warum, so fragen Sie, gibt es dann noch eine Regulie-rungsbehörde in diesem Bereich? Zugegebenermaßen istdie Bezeichnung „Regulierungsbehörde“ nicht sehr pas-send. Denn der Auftrag beinhaltet ja das Gegenteil.Deswegen werden wir morgen den Namen in „Netz-agentur“ ändern. Damit soll etwas deutlicher werden,warum wir in diesen Bereichen eine sektorspezifischeRegulierung brauchen, die Sie kritisieren.

Es handelt sich in diesem Bereich um netzgebundeneIndustrien, die auf dem Weg zur Liberalisierung sind.Zurzeit kann man von einem funktionierenden Wettbe-werb noch nicht reden. Das betrifft die Telekommunika-tionsbranche, den Postbereich, die Bereiche Strom undGas – entsprechende Regelungen werden morgen imRahmen des Energiewirtschaftsgesetzes verabschiedetwerden – sowie den Bereich der Schiene.

Hier geht es nicht wie in anderen Sektoren um Wett-bewerbsaufsicht, sondern hier geht es darum, durchRegulierung, vor allen Dingen durch eine Ex-ante-Regu-lierung, die morgen für den Bereich Strom und Gas be-schlossen wird, Wettbewerb erst einmal herzustellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Das ist doch in Ordnung!)

Ich glaube, dass diese Aufgabe bei der Regulierungs-behörde gut angesiedelt ist. Sie hat nämlich über dieJahre im Bereich Telekommunikation Kompetenz er-worben. In diesem Bereich sind wir schon weiter als imStrom- und Gasbereich. Ich weiß nicht, warum es einordnungspolitischer Sündenfall sein soll, wenn Profisauch für den Bereich Gas und Strom sowie für den Be-reich Schiene verantwortlich sind.

Der zweite Punkt, den Sie in Ihrem Antrag anspre-chen, ist die Forderung nach einem europäischenKartellamt. Wir finden diesen Vorschlag sehr sympa-thisch. Er wird auch von der Bundesregierung unter-stützt. Sie wissen aber auch, dass wir uns mit dieser For-derung, die wir im Rahmen der Diskussion über dieeuropäische Verfassung aufgestellt haben, nicht habendurchsetzen können. Deswegen schlagen wir vor – wirhaben das im GWB gegen Stimmen aus Ihren Reihenbeschlossen –, zumindest zu einer Koordinierung dereuropäischen Kartellbehörden zu kommen. Das wäre einpragmatischer Schritt.

Ich würde gern noch etwas zu Ihrem Lieblingsthema,zum Thema der Einzelweisungen, sagen. Frau KolleginKopp, Ihr Antrag behauptet und Sie sagten es auch, wirhätten dieses Instrument im letzten Jahr in das TKG ein-geführt. Das stimmt nicht. Sie haben es zusammen mituns und der CDU bei der Reform des TKG 1996/97 ein-geführt. Das wurde nicht von uns im vergangenen Jahrgemacht. Es geht auch nicht darum, dass wir in irgendei-ner Form direkten politischen Einfluss auf die Regulie-rungsbehörde nehmen. Im Gegenteil: Das Telekommu-nikationsgesetz, das wir im letzten Jahr novelliert haben,sieht Transparenz vor. Es gibt eine Veröffentlichungs-pflicht für den Bereich der Weisungen, sofern sie dasAußenverhältnis, also die Wirtschaft und die Unterneh-men, betreffen. Deshalb ist meine herzliche Bitte, keinenRegentanz aufzuführen. Das immer wieder hochzuzie-hen, wenn Sie an dem Gesetz sonst nichts zu kritisierenhaben, ist wirklich ein Popanz.

Wir Sozialdemokraten bekennen uns zum Wettbe-werb als dem ordnungspolitischen Prinzip unsererMarktwirtschaft. Wir wissen, dass wir in diesem Bereichwachsam gegenüber Konzentrationsprozessen sein müs-sen. Wir wissen, dass viel zu tun ist, um in den netzge-bundenen Industrien funktionsfähigen, nachhaltigen,wirksamen Wettbewerb einzuführen. Wir haben die In-strumente geschaffen. In diesem Bereich haben wir, wiegesagt, keine Zerfaserung, sondern eine Bündelung derStrukturen. Auch im Interesse der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter, die wirklich harte Arbeit leisten, bitte ich,das nicht kaputt zu reden.

Ich habe, nachdem ich, Frau Kollegin Kopp, den An-trag gelesen habe, noch eine darüber hinausgehendeBitte. Sie betrifft die Art der Auseinandersetzung. Wirkönnen in der Sache ja in vielen Bereichen unterschiedli-cher Meinung sein; deswegen sind wir in unterschiedli-chen Fraktionen. Ihr Antrag – nicht Sie persönlich –schlägt manchmal einen Ton an, den ich für skandalisie-rend und in einer politischen Auseinandersetzung fürnicht angemessen halte. Wenn man unterschiedlicherMeinung ist, kann man sich heftig streiten. Dafür bin ichgern zu haben. Es ist aber die Frage, ob man, wenn mananderer Meinung ist, alles skandalisieren muss. Denntatsächliche Skandale sind vielleicht nicht mehr erkenn-bar, wenn man immer „Skandal“ ruft

(Zuruf von der FDP: Kann man bei Ihrer Regierung auch!)

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Hubertus Heil

und sozusagen alarmistisch den Untergang der Markt-wirtschaft predigt. Ich finde, das ist nicht so sonderlichhilfreich und in jedem Fall der Sache nicht angemessen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das betrifft auch etwas, was in Ihrem Antrag garkeine Rolle spielt, was Sie aber in Ihrer Rede angespro-chen haben, nämlich die Debatte um die Reform derPressefusionskontrolle. Ich erspare mir und dem Kolle-gen Schauerte, mit dem ich mich verschiedentlich überdas Thema ausgetauscht habe, mich darüber heute nocheinmal in epischer Breite auszulassen. Aber so viel: Wirwollen Wettbewerb auch am Zeitungsmarkt; das ist garkeine Frage. Wir müssen uns aber gerade wegen derMeinungsvielfalt Gedanken darüber machen, ob Wettbe-werb nicht eine wirtschaftliche Basis braucht und ob wires nicht mit strukturellen Veränderungen am Zeitungs-markt zu tun haben.

(Gudrun Kopp [FDP]: Konzentration!)

– Nein, es geht überhaupt nicht um Konzentration, esgeht um Kooperation. So müssen wir zum Beispiel imBereich der Anzeigen die Möglichkeit für Kooperatio-nen schaffen. Wir wollen Meinungsvielfalt, aber Mei-nungsvielfalt darf sich nicht darauf beschränken, dassZeitungen immer dünner und die Inhalte immer dümmerwerden, weil nur noch Agenturmeldungen zusammenge-stückelt werden, für tatsächliche redaktionelle Arbeitaber keine wirtschaftliche Basis mehr vorhanden ist. Ge-nau darum geht es aber, weil sich die Bedingungen desZeitungsmarktes verändert haben. 1976, als das Presse-fusionsrecht in der jetzigen Form geschaffen wurde, gabes noch kein Internet. Rubrikenanzeigen waren damalsnoch nicht in neue Medien migriert, weil es noch keinPrivatfernsehen und keine SMS gab. Heute gibt es alldiese Konkurrenz – mit dem Ergebnis, dass sich bei Zei-tungen die Finanzierungsquote verschoben hat. Es istnicht mehr so wie früher, dass sich Zeitungen zu zweiDritteln aus Anzeigen und zu einem Drittel aus Ver-triebserlösen finanzieren. Vielmehr lautet die Quoteheute 50 : 50. Darauf ist, wenn einem an Meinungsviel-falt in Deutschland gelegen ist, zu reagieren. Wir habenVorschläge gemacht, die der Bundestag beschlossen hat.Wir sind sehr gespannt, wie das im Bundesrat und imVermittlungsverfahren, das wir bekommen werden, wei-tergehen wird. Keiner von uns hat in der ganzen Ge-schichte die Wahrheit gepachtet und jeder kann irren.Aber die Unterstellung, wir würden uns an der Presse-freiheit zu schaffen machen,

(Gudrun Kopp [FDP]: Ist ja auch so!)

ist, mit Verlaub, unter Demokraten ein ziemlich harterVorwurf. Ich finde, Sie sollten das unterlassen.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, schöpfeich meine Redezeit nicht aus. Ihr Antrag ist dünn und ei-gentlich auch widersprüchlich. Das habe ich, wie ichglaube, an ein paar Punkten sehr deutlich gemacht. Ichwünsche Ihnen einen schönen Abend und ich wünscheuns, dass wir uns das nächste Mal die Zeit für ernsthaf-tere Debatten nehmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]:Diese Arroganz ist zum Davonlaufen! MeinGott!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Der nächste Redner ist der Kollege Hartmut

Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich kann im Namen der Fraktion der CDU/CSUdem FDP-Antrag nicht zustimmen, weil bereits Ent-scheidungen getroffen worden sind, die wir nicht wiedermit der Zustimmung zu diesem Antrag zerfasern undrückgängig machen sollten. Die Grundentscheidung,dass wir eine Behörde für die Energieregulierung brau-chen, ist gefallen. Schade, dass es so weit gekommen ist!Aber das ist nun einmal so. Es ist auch die Grundent-scheidung getroffen worden, dass diese Regulierungsbe-hörde alle Netze – und nur die Netze und nichts sonst –kontrolliert.

Ursprünglich hatten wir eine Einbindung in die Kar-tellbehörde vorgezogen. Aber es gibt auch eine MengeArgumente für die jetzige Regelung. Das war eineknappe Entscheidung, eine Entscheidung von 48 : 52.Denn es gibt in der Anfangsphase der Regulierung, überdie wir jetzt reden, auch dann ein paar Abgrenzungspro-bleme, wenn wir diese Aufgabe in das Kartellamt inte-griert hätten. Insoweit können wir mit der Entscheidung,dass man die Aufgabe in einer getrennten Organisationwahrnimmt, leben.

Wir verlangen allerdings – ich denke, das klingt beiIhnen durch, wenn Sie davon sprechen, dass es keineweitere Zerfaserung geben soll –, dass all das, was dieNetze betrifft, in eine Behörde gehört. Es sollte nichtwieder eine weitere Behörde aufgebaut werden. Das istdas eine.

Dann müssen wir darauf achten, dass sehr sorgfältigabgegrenzt wird, was in der Zuständigkeit des Kartell-amts bleibt und was in die Zuständigkeit der Netzbe-hörde – so nenne ich sie jetzt einfach einmal – fällt. Dagibt es unterschiedliche Auffassungen. Da müssen wirbei der Abgrenzung noch einmal genau hinsehen.

Das hängt auch damit zusammen, wie man diese Be-hörden personalmäßig bestückt. Ich darf daran erinnern,dass das Bundeskartellamt eine relativ kleine Behör-denstruktur hat und sehr viele Aufgaben zu leisten hat.Für die Regulierungsbehörde, die wir jetzt einrichten– das gilt auch für die, die wir zum Teil schon haben –,sind mittlerweile aufgeblähte Personalstrukturen vor-gesehen. Wir werden für die neue Regulierungsbehördeallein 180 höhere Dienststellen schaffen. Das gesamteKartellamt hat heute 150. Die Regulierungsbehörde sollnichts anderes tun, als die Netzregulierung zu betreiben.

(Hubertus Heil [SPD]: Ein bisschen schwieri-ger ist es schon!)

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Hartmut Schauerte

– Ja. Aber es geht im Wesentlichen um die Netzregulie-rung mit allen technischen Fragen, die damit in Verbin-dung stehen. Insbesondere die technischen Fragen willich nicht unterbewerten. – Das Kartellamt hat eine vielumfassendere Aufgabenstellung. Ich habe den Eindruck:Weil sich die Regulierungsbehörden ausschließlich ausGebühren der beteiligten Marktteilnehmer finanzieren,ist man großzügig. Da das Kartellamt ausschließlich ausSteuern finanziert wird, bleibt man da im Hinblick aufdie Ausgaben eng. Ich halte von dieser Gewichts- undEinflussverschiebung, die damit auch verbunden ist,nichts. Ich halte sie für gefährlich.

Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen: Das Kartell-amt hat einen Personalkostenanteil von 13,8 MillionenEuro pro Jahr und einen Gesamthaushalt von 18 Millio-nen Euro. Die Regulierungsbehörde, die bereits jetzt be-steht, hat einen Haushalt von 108 Millionen Euro undPersonalkosten in Höhe von 94 Millionen Euro. Jetztkommen die 180 neuen Regulierer hinzu. Das heißt, eswird noch einmal aufgebläht.

Das machen wir mit einer Behörde, von der wir ei-gentlich sagen – Herr Heil, es wäre mir sehr wichtig,wenn wir uns darüber noch einmal unterhalten könn-ten –: Sie ist zur Einführung von Wettbewerb in schwie-rigen Marktsegmenten, in denen wir mit Netzen zu tunhaben, die sich nicht einfach so sortieren lassen, notwen-dig. Aber diese Behörde soll endlich sein. Sie soll nichtfür immer bestehen, sondern soll, wenn sie ihre Aufgabeerledigt hat – ich bin immer noch nicht bereit, diesenschönen Traum aufzugeben – und der Wettbewerb eini-germaßen hergestellt ist, aufgelöst werden.

(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Aber das dauert noch ein bisschen!)

Das mag fünf Jahre oder zehn Jahre dauern. Aber in die-sem Zeitraum muss das gelungen sein. Dann sind dieRestaufgaben, die Verhinderung von Missbrauch undÄhnliches, durchaus von der Kartellbehörde zu schaffen.Dann kann man die Behörde wieder einstampfen.

Meine Bitte für die Union ist deswegen, in diesen Be-reichen bei der Personalbewirtschaftung nicht zu lang-fristig zu denken. Wir haben hier eine Sonderaufgabe zurEinführung von Wettbewerbselementen in einemschwierigen Segment. Wir halten diese Aufgabe für zeit-lich befristet lösbar. So bauen wir die Behörde auf.

Dazu sage ich Ihnen: Wenn Sie jetzt zusätzlich sehrviel Personal hineinknallen, wird es eines Tages sehrproblematisch, wenn man es wieder abbauen muss. Wirkennen ja die Prozesse, die dann stattfinden. Deswegensollte man mit Befristungen arbeiten, an die Zeitschienedenken und die Personalplanung nicht gleich in lebens-längliche Träume verwandeln. Sehr lange brauchen wirnicht zur Einführung von Wettbewerb in unsere Netzsys-teme.

(Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Langfristig sind alle tot!)

– Frau Kollegin Hustedt, diese Behörde könnte geradenoch während Ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin, diemöglicherweise zu erwarten ist, existieren. Spätestens

dann, wenn Sie die Altersgrenze erreicht haben, müssteaber Schluss sein.

(Hubertus Heil [SPD]: Sollen wir die CDU-Vizepräsidenten rausschmeißen?)

Bitte gehen Sie also auf der Zeitschiene und auch imHinblick auf die Aufblähung vorsichtig an dieses Themaheran! In beiden Bereichen scheinen Sie bisher entschie-den zu weit zu gehen.

In diesem Zusammenhang ist mir auch noch einmalwichtig, klar zu machen, dass wir auch die Bahnnetze indieses System einbauen und wirklich keine zusätzlicheSonderregelung mehr fassen.

Um Wettbewerb auf dem Energiemarkt zu schaffen,reicht natürlich ein diskriminierungsfreier Netzzugangallein nicht aus. Er ist fast nur ein technisches Problemmit vielen rechtlichen Fragestellungen. Der ganze Restbleibt beim Kartellamt und gehört weiterhin in den Be-reich des Kartellamtes. Sonst bekommen wir Abgren-zungsschwierigkeiten.

(Hubertus Heil [SPD]: Es gibt noch Netzregu-lierung!)

Alles, was nicht mit Netzzugang zu tun hat, ist im Prin-zip Aufgabe der eigentlichen Wettbewerbsbehörde, dieinteressanterweise eine größere Unabhängigkeit hat alsdie Regulierungsbehörden und diese auch haben und be-halten soll.

Lassen Sie mich noch einen anderen Gedanken ein-führen. Ich würde auch empfehlen, bei den Regulie-rungsbehörden die Beamtenstruktur in der Leitung einStück beizubehalten. Wenn wir sie wie ein freies Unter-nehmen behandeln, dann geht das in die Kosten. Dennein Präsident nach Gesichtspunkten der Wirtschaft undein Präsident nach öffentlich-rechtlichen Gesichtspunk-ten finanzieren sich unterschiedlich. Meine Bitte ist,diese Kosten wirklich schmal zu halten.

Eine Frage ist in diesem Zusammenhang sicherlichbald zu beantworten. Daran haben wir durchaus Inte-resse. Es geht um die Entkopplung von Öl- und Gas-preis. Das haben Sie in Ihrem Antrag angesprochen. Ichfinde es in Ordnung, dass wir das problematisieren. Ichgehe davon aus, dass sich das Kartellamt in kürzesterZeit mit dieser Frage beschäftigt.

(Hubertus Heil [SPD]: Das ist keine gesetzliche Bestimmung! Das ist ein Vertrag!)

– Ja, aber trotzdem: Wenn Marktgeschehen falsch läuft,liegt es meistens nicht am Gesetz, sondern am Verhaltender Beteiligten. Insoweit ist das genau der Punkt, an demdas Kartellamt eingreifen muss.

(Hubertus Heil [SPD]: Aber Sie wollen keinenpolitischen Einfluss auf das Kartellamt! Dasmachen die schon selber!)

– Das wird aber, wenn man ihm an dieser Stelle die Frei-heit lässt, gern nachsehen, ob es denn bei dieser Koppe-lung bleiben muss. Ich meine, ihre Sinnentleerungschreitet fort. Ob der Zeitpunkt schon da ist, sie abzubre-chen, ist eine andere Frage. Aber ob es richtig ist, dass

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der Ölpreis letztlich den Gaspreis bestimmt, das mussman berechtigt fragen können.

Ich denke, viel mehr muss man im Moment gar nichtdazu sagen. Ihr Antrag wird, wie gesagt, von uns sonicht akzeptiert, weil wir an einigen Punkten unter-schiedlicher Meinung sind und wir den Ansatz, das jetztnoch zusammenlegen zu wollen, für ein Stück irreal hal-ten. Als Idee kann man es tatsächlich verfolgen. UnserZiel ist aber eher, die Fristigkeit des ganzen Prozessesdeutlich zu machen und dafür zu sorgen, nicht in Verges-senheit geraten zu lassen, dass wir eigentlich eine großeBehörde für den Übergang planen und bitte nicht für län-ger. Alle Beteiligten sollten wissen, dass wir sie alsÜbergangsbehörde sehen und sie endlich ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Bünd-

nis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

verstehe nicht ganz, warum dieser Antrag – wir hattennachgefragt, ob es nicht möglich sei – nicht doch mor-gen im Paket mit dem Energiewirtschaftsgesetz behan-delt werden kann oder schon vorher – er liegt schon län-ger in der Pipeline – im Zusammenhang mit dem GWBverhandelt werden konnte.

Ich habe nur eine Erklärung dafür, dass Sie es abge-lehnt haben, nämlich dass dann absolut klar gewordenwäre, wie hoffnungslos veraltet dieser Antrag ist. DieEntscheidung darüber, dass die RegTP die Regulie-rungsbehörde für den Strom-, Energie- und Gassektorwerden wird, ist vor über einem Jahr gefallen. Von daherist diese Debatte völlig rückwärts gewandt.

Es wäre natürlich denkbar gewesen, dass das Bundes-kartellamt zuständig wird. Das Bundeskartellamt hatsich in der Vergangenheit ziemlich gute Meriten erwor-ben, in diesem Vakuum der Verbändevereinbarung zuretten, was zu retten ist. Ich habe dafür große Hochach-tung und bin auch ständig im Gespräch mit dem Kartell-amt. Das ist überhaupt nicht die Frage.

Aber man muss doch eines sagen: Es sind gerade ein-mal zehn Leute, die sich im Kartellamt mit dieser Fragebeschäftigen. Es ist doch sehr unwahrscheinlich, wennman eine ernsthafte Regulierung eines Sektors wie desEnergie- und Gassektors will, dass man dann mit zehnLeuten auskommt. Natürlich muss man auf 100 oder150 Leute aufstocken, auch bei einer schlanken Be-hörde. Das ist klar. Wir sind uns einig, dass so wenigewie möglich eingestellt werden sollen. Aber wenn mandiesen komplizierten Sektor tatsächlich regulieren will,dann muss es auch ein paar kompetente Menschen ge-ben, die den Stromkonzernen tatsächlich in die Aktengucken können.

Dann kann es nicht bei nur zehn Leuten bleiben. Dasbedeutet, dass wir so oder so eine neue Abteilung hätten

aufbauen müssen, entweder beim Kartellamt oder beider RegTP.

(Gudrun Kopp [FDP]: Richtig!)

Die RegTP ist durchaus gut geeignet. Es gibt ein gu-tes Argument, sich für die RegTP zu entscheiden: dasssie auch für die Regulierung in den Bereichen Post undTelekommunikation zuständig ist und auf Wunsch desBundesrates jetzt auch noch die Zuständigkeit für dasSchienennetz bekommt. Jetzt befindet sich also die Zu-ständigkeit für alle monopolistisch organisierten Infra-strukturen unter einem Dach.

Angesichts all der Unterschiede, die zwischen ihnenbestehen, ist dieser Prozess unglaublich spannend. Icherwarte, dass große Synergieeffekte entstehen werdenund dass man im Hinblick auf die unterschiedlichen Re-gulierungsansätze voneinander lernen wird. Das siehtdie RegTP – ihr neuer Name, an den wir uns langsam ge-wöhnen sollten, lautet Netzagentur – genauso. Es gibtbereits Pläne, ihre Mitarbeiter zum Beispiel im Kreis zuschicken, damit sie etwas Distanz bekommen und von-einander lernen. Ich glaube, dass das Kartellamt geeignetgewesen wäre. Ich bin aber sicher, dass die neue Netz-agentur einen spannenden Prozess in Gang setzen wird.

Herr Schauerte, auch Sie wissen, dass nur ein sehrkleiner Teil der vielen Mitarbeiter der Regulierungsbe-hörde für Telekommunikation und Post für die Regulie-rung zuständig ist. Es handelt sich um etwa 150 bis180 Mitarbeiter. Die übrigen Mitarbeiter sind für Ange-legenheiten des ehemaligen Postministeriums zustän-dig, die mit Regulierung gar nichts zu tun haben, zumBeispiel für Frequenzen. Für den harten Kern der The-men Wettbewerb und Regulierung ist eine überschau-bare Anzahl von Leuten zuständig. Wenn diese Arbeits-plätze überflüssig werden, muss man sie in der Tatabbauen; hier stimme ich Ihnen zu.

Ein zweiter Punkt ist die weitgehende Unabhängig-keit der Behörde. Ich glaube, auch hier besteht kaumein Unterschied zwischen dem Kartellamt und der neuenBundesnetzagentur. Beide sind dem Wirtschaftsministe-rium unterstellt und für beide besteht die Möglichkeitder Weisung. Wir sind uns einig, dass von dieser Mög-lichkeit nur äußerst sparsam Gebrauch gemacht werdendarf. Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe nicht die Gefahr,dass das ausufert. Zwar hat auch mir das eine oder an-dere Mal etwas nicht gefallen. Aber ich muss ehrlich sa-gen: Das beste Mittel, die Anzahl von Bundesweisungeneinzuschränken, ist die Öffentlichkeit, die kontrollierenund auch protestieren kann.

Abschließend komme ich zum Thema Vizepräsi-dentschaft. Das ist wirklich verlogen. Derzeit stellt dieSPD den Präsidenten, die CDU/CSU den Vizepräsiden-ten und die FDP hat eine Vizepräsidentin benannt. Ent-weder werden die Posten dem Parteienproporz entspre-chend besetzt – dann müssen wir allerdings alle Parteien„in the long run“ gleich behandeln – oder wir entschei-den uns gegen den Einfluss der Parteien. Ich hoffe, Siesind der Überzeugung, dass die von Ihrer Partei be-stimmte Vizepräsidentin kompetent ist.

(Gudrun Kopp [FDP]: Ja, natürlich!)

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– Also, bitte. – Wenn wir uns nur an der Sachkompetenzorientieren, dann muss aber auch das für alle Parteiengelten. Ich sage Ihnen: Wenn wir die Umstrukturierungder Behörde abgeschlossen haben, werden wir uns auchdieser Frage ganz sachlich stellen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/4561 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Engel-bert Wistuba, Horst Kubatschka, Annette Faße,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlin-burg), Ursula Sowa, Volker Beck (Köln), weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN

Die vielfältigen Potenziale des Wirtschaftsfak-tors Kulturtourismus weiter erschließen

– Drucksache 15/5120 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus (f) FinanzausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Tourismus (19. Aus-schuss)

– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-ten Ernst Burgbacher, Marita Sehn, HelgaDaub, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDP zu der Beratung der Unterrichtungdurch die Bundesregierung

Tourismuspolitischer Bericht der Bundes-regierung – 14./15. Legislaturperiode –

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-rung

Tourismuspolitischer Bericht der Bundesre-gierung – 14./15. Legislaturperiode –

– Drucksachen 15/1799, 15/1303, 15/4623 –

Berichterstattung:Abgeordneter Klaus Brähmig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeEngelbert Wistuba, SPD-Fraktion.

Engelbert Wistuba (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! „Hier ist’s jetzt unendlich schön“ –das könnte das Zitat von einem der täglich 5 500 Besu-cher sein, die über unseren Köpfen in der Reichstags-kuppel nach oben laufen und von dort den Blick überBerlin genießen. Der Reichstag und erst recht unsereHauptstadt sind kulturtouristische Attraktionen. Berlinverzeichnete im vergangenen Jahr bei den Übernachtun-gen ein Plus von 15,7 Prozent. Auch andere Städte konn-ten von dem überdurchschnittlichen Wachstumstrend beiStädtereisen profitieren.

„Hier ist’s jetzt unendlich schön“ – das werden vieleder 50 Millionen Deutschen sagen, die laut einer Unter-suchung der „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Rei-sen“ aus dem Jahr 2003 in den letzten drei Jahren inihrem Urlaub kulturelle oder historische Sehenswürdig-keiten besucht haben.

„Hier ist’s jetzt unendlich schön“ ist aber das Zitat ei-nes Kulturreisenden aus dem Jahre 1778: Der 29-jährigeGoethe schrieb dies an Freifrau von Stein undschwärmte von seinem Besuch im Wörlitzer Park.

(Horst Kubatschka [SPD]: Goethe ist immer gut!)

Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich gehört heute zu den30 UNESCO-Welterbestätten in Deutschland. Es gehört– wie im Übrigen auch Goethe selbst – zum kulturellenReichtum unseres Landes. Dieser Reichtum zieht jedesJahr Millionen von Gästen aus dem In- und Ausland an.Aus tourismuswirtschaftlicher Sicht stellt er eine wert-volle Ressource dar. Er ist die entscheidende Basis fürwirtschaftliches Wachstum, Einkommen und Arbeits-plätze im Kulturtourismus.

Im Kulturtourismus arbeiten zwei starke Partner zu-sammen. Das wirtschaftliche Potenzial, das dieser Part-nerschaft innewohnt, weiter zu erschließen ist das Zielunseres Antrages. Tourismus und Kultur können sich beiihren gemeinsamen Anstrengungen auf die Unterstüt-zung der SPD-Bundestagsfraktion verlassen.

(Beifall bei der SPD)

Wie eine solche erfolgreiche Kooperation zwischenTourismus und Kultur aussehen kann, haben die zehnBewerberstädte um den Titel der Europäischen Kultur-hauptstadt 2010 in den vergangenen Monaten ein-drucksvoll gezeigt. Angesichts dieser Kreativität und desEngagements unterstützen wir die Idee eines gemeinsamvon Bund und Ländern getragenen Wettbewerbs für einenationale Kulturhauptstadt.

Kulturtourismus liegt im Trend, es ist ein wachsenderMarkt. Davon profitieren insbesondere die Städte, aberauch ländlichen Regionen bietet er Chancen zur Gestal-tung ihrer ökonomischen und sozialen Entwicklungsstra-tegien. Ich bin dankbar, dass das Bundeswirtschafts-ministerium bereits eine Studie zur ökonomischenBedeutung des Städte- und Kulturtourismus in Auftrag

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gegeben hat. Eine vergleichbare Untersuchung mit demFokus auf ländliche Tourismusdestinationen halten wirfür notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Denn auch der ländliche Raum hat seinen Gästen kultu-rell viel zu bieten.

Kultur und Tourismus sind starke Partner; dies gilt inDeutschland, das gilt aber auch im europäischen Rah-men und weltweit. Durch den Maastrichter Vertrag undaktuell durch den Vertrag über eine Verfassung für Eu-ropa haben wir die Chance für eine europäische Kul-turpolitik, die das Bewusstsein für die kulturelle Viel-falt Europas einerseits und die gemeinsamen kulturellenWurzeln andererseits vertieft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Förderung einer europäischen Identität ist derTourismus ein wichtiger Partner und ein Motor des euro-päischen Integrationsprozesses. Darum ist es uns Sozial-demokraten wichtig, dass die Kulturförderung im euro-päischen Kontext auf hohem Niveau fortgeführt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das betrifft Städtepartnerschaften, das betrifft den Ju-gendaustausch, das betrifft die Weiterentwicklung desEU-Programms „Kultur 2000“ über das Jahr 2006 hi-naus. Grenzüberschreitende Projekte wie aktuell die Eu-ropäische Route der Backsteingotik verdienen in diesemZusammenhang unsere ganz besondere Unterstützung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kultur und Tourismus, das ist auch ein spannungsrei-ches Verhältnis: Aus tourismuswirtschaftlicher Sichtmuss Kultur buchbar und vermarktbar sein. Das kultu-relle Angebot muss zielgruppenspezifisch aufbereitetwerden und barrierefrei zugänglich sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses marktwirtschaftliche Interesse mit dem Ziel derBewahrung des kulturellen Erbes in Einklang zu bringenist nicht immer einfach. Ich habe aber den Eindruck,dass es immer besser gelingt. Dazu wird in Zukunft auchder neue Ausbildungsberuf zum Kaufmann bzw. zurKauffrau für Tourismus und Freizeit beitragen. Dazusollten aber auch alle Beteiligten beitragen, indem sieden Dialog zwischen Tourismusfachleuten und Kultur-schaffenden fördern und diesen Themenbereich in derAus- und Weiterbildung fest verankern.

In Kultur zu investieren lohnt sich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sind Bund, Länder und Gemeinden ganz beson-ders gefordert. Als ostdeutscher Abgeordneter will ichbetonen, dass in den letzten 15 Jahren bei der Sanierungkultureller Einrichtungen gerade in Ostdeutschland

Eindrucksvolles geleistet worden ist. Kulturtourismus istin vielen ostdeutschen Regionen ein wichtiges wirt-schaftliches Standbein. Darum sind Investitionen in diekulturelle Infrastruktur nachhaltige Investitionen in denwirtschaftlichen Aufbau Ost.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Engagement der Bundesregierung für Kulturgü-ter in Ostdeutschland von internationaler und nationalerBedeutung kann sich sehen lassen. Ich begrüße aus-drücklich den Vorschlag der Kulturstaatsministerin andie Ministerpräsidenten der Länder, 1 Prozent der Soli-darpakt-II-Mittel für den Kulturbereich einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine sehr sinnvolle Verwendung von Solidarpakt-mitteln.

In die Kultur investiert nicht nur der Staat, in die Kul-tur investieren auch engagierte Bürgerinnen und Bür-ger. Die Zugänglichkeit von kulturellen Angeboten wäreohne ihre Investitionen von Zeit und Geld nicht denkbar.

In einer Untersuchung zum Freiwilligenengagementkam das Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend 1999 zu dem Ergebnis, dass im Kul-turbereich 2,1 Millionen Menschen ehrenamtlich aktivsind. Diesen Menschen gelten unser Dank und unsereAnerkennung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie erhalten Dorfkirchen verlässlich offen, betreibenHeimatmuseen, inszenieren Musik- und Theaterveran-staltungen und vieles mehr. Auch den vielen Stiftungenund Vereinen, die sich mit großem finanziellen und zeit-lichen Aufwand für den Erhalt unseres kulturellen Erbesstark machen, soll an dieser Stelle ausdrücklich gedanktwerden.

(Beifall im ganzen Hause)

Die SPD-Fraktion wird konsequent weiter daran ar-beiten, dass sich die Rahmenbedingungen für das bür-gerschaftliche Engagement in unserem Land Schritt fürSchritt verbessern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Engelbert Wistuba (SPD): Ich komme gleich zum letzten Satz. – Das liegt auch

im Interesse des Kulturtourismus.

Ich komme jetzt zum Schluss. Meine Damen undHerren, die kulturelle Vielfalt ist ein Aushängeschild un-seres Landes und des Deutschlandtourismus.

(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich mit Nachdruckfür Initiativen und Maßnahmen ein, die dieses Aushän-geschild auf Hochglanz polieren und mit denen die gro-

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ßen wirtschaftlichen Wachstumspotenziale engagiert ge-nutzt werden können.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig, CDU/CSU-

Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Klaus Brähmig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Wir debattieren heute über die Situation der Tou-rismuswirtschaft in Deutschland und sprechen über diePotenziale des Wirtschaftsfaktors Kulturtourismus. Eingutes Jahr vor Beginn der Fußballweltmeister-schaft 2006 ist dies auch dringend notwendig; denn daseinmalige Großereignis, das unserem Land im kommen-den Jahr bevorsteht, muss unbedingt dafür genutzt wer-den, der seit Jahren mit den strukturellen Problemenunseres Wirtschaftsstandorts kämpfenden Reise-, Hotel-lerie- und Gastronomiebranche zu neuen Geschäfts- undWachstumsimpulsen zu verhelfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer in den vergangenen Wochen die Bewerbung umdie erste Tranche von WM-Tickets mitverfolgt hat, kannsich ein ungefähres Bild davon machen, welche Reise-und Besucherströme unser schönes Land in den vier Wo-chen zwischen dem 9. Juni 2006 und dem 9. Juli 2006erwarten wird.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl!)

Darüber freuen wir uns. Gemäß dem Motto der Welt-meisterschaft „Die Welt zu Gast bei Freunden“ wird diedeutsche Tourismuswirtschaft ihren Beitrag dazu leisten,dass sich die Besucher aus dem In- und Ausland auchauf dieser Reise wie zu Hause fühlen werden. Wir sindnatürlich sehr froh und stolz, dass unser Ausschussvor-sitzender, Kollege Hinsken, in den entsprechenden Gre-mien mitwirkt und vor allen Dingen – wie sich das ge-hört – auch immer den Finger auf die noch offenenWunden legt.

Bei aller Vorfreude auf das kommende Jahr solltenwir aber die tatsächliche Lage der Reisebranche unseresLandes nicht aus den Augen verlieren. Es ist zwar rich-tig, dass das Hotelgewerbe bei den Übernachtungszah-len von Ausländern derzeit Zuwächse verzeichnen kann– deutsche Reiseveranstalter melden Buchungszuwächseund haben endlich auch die große Bedeutung des Inlandsals Reiseziel der Deutschen erkannt –, das Problembleibt jedoch der Binnenmarkt. Die Zahl der Gästeüber-nachtungen von Bundesbürgern im eigenen Land ist seitJahren rückläufig. Darüber hinaus existiert nach wie vorein deutliches Reisebilanzdefizit in Höhe von circa36 Milliarden Euro.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Dies bedeutet, dass die Deutschen nach wie vor deutlichmehr Geld im Ausland ausgeben, als ausländische Gästebei uns im Lande lassen.

Die Kaufzurückhaltung, die sich die Bundesbürger an-gesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage in unse-rem Land seit Jahren auferlegen, trifft auch die deutscheTourismusbranche. Wer dennoch verreist, gibt deutlichweniger Geld aus. Dies gilt sowohl für die Reiseleistungselbst als auch für die Nebenkosten vor Ort. Man kann esden Menschen auch nicht verdenken, dass sie angesichtsdes desolaten Erscheinungsbildes der Bundesregierungeher an morgen denken und abwartend agieren; denn werweiß schon heute, was bei der Regierung Schröder be-reits morgen auf der Agenda stehen wird.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leiderwahr! – Weiterer Zuruf der CDU/CSU: Dasweiß er selbst nicht!)

Welche zusätzlichen Opfer werden den Bürgern nochabverlangt, ohne dass diese dafür ein schlüssiges Ge-samtkonzept und tragfähige Visionen für die Zukunft er-warten dürfen?

(Brunhilde Irber [SPD]: Bierdeckel!)

Eines haben die Menschen im Lande schon lange mitbe-kommen: Bei dieser Regierung fehlt jede Verlässlich-keit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.Ernst Burgbacher [FDP] – Ernst Hinsken[CDU/CSU]: Wir schicken Herrn Schröder fürlange Zeit in Urlaub!)

Wenn wir über die mittelständischen Unternehmen indiesem Lande sprechen – hierzu gehört die Tourismus-branche in großem Umfang –, ist es zwingend notwen-dig, die Regierung immer wieder auf die Hauptursachefür die Probleme unseres Landes hinzuweisen. Diesesind nicht konjunktureller Natur, sondern zutiefst struk-tureller Art. Gerade die Tatsache, dass ein guter Umsatzhierzulande noch lange keinen ausreichenden Gewinnbedeutet, stellt für alle Gewerbetreibenden einen enor-men Wettbewerbsnachteil dar. Durch anhaltend hohestaatliche Gebühren und Abgaben wird die Wettbe-werbsfähigkeit unserer Unternehmen in grotesker Artund Weise untergraben.

Da die am Markt durchsetzbaren Preise zum großenTeil völlig ausgereizt sind, bleiben mit dem Gewinnauch die zukunftsweisenden Investitionen aus. Dasheißt, weniger neue Arbeitsplätze werden geschaffenund weniger wird in die betriebliche Infrastruktur derUnternehmen investiert. So werden beispielsweise un-sere Hotel- und Pensionsbetriebe mit völlig überzogenenund steigenden Forderungen der GEMA, anderer Ver-wertungsgesellschaften für Urheberrechte sowie mit ho-hen Rundfunkgebühren belastet.

(Brunhilde Irber [SPD]: Das liegt nicht in der Verantwortung der Bundesregierung!)

Was als Service für die Gäste gedacht ist, erweist sichals ein erheblicher Kostenfaktor, der bei mittelständi-schen 100-Zimmer-Häusern mit fast 20 000 Euro pro

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Jahr zu Buche schlägt und bei größeren Hotels leicht dasDrei- bis Vierfache erreicht. Frau Kollegin Irber, es istrichtig, dass dies keine Aufgabe des Bundes, sonderneine Aufgabe der Länder ist. Dafür haben wir uns frak-tionsübergreifend verwandt, aber hierfür leider kein Ge-hör gefunden.

(Brunhilde Irber [SPD]: Das müssen Sie den Kollegen in den Ländern sagen!)

Aber nicht nur bei der reinen Betrachtung inländi-scher Problemlagen sieht sich der Reise- und Verkehrs-standort Deutschland enormen Herausforderungen ge-genüber. Wir sollten daher die heutige Debatte auch dazunutzen, die Bundesrepublik Deutschland als Transit-bzw. Umsteigeland in den internationalen Reiseströmenunter die Lupe zu nehmen; denn gerade im direkten in-ternationalen Vergleich wird umso deutlicher, dass wiruns kein verlorenes Jahr für wohlgemeinte Sonntagsre-den mehr leisten können.

Die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweiselegen derzeit ein gewaltiges gesamtstaatliches Investi-tionsprojekt im Luftverkehr auf.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Die staatliche Fluglinie Emirates ordert mehr als doppeltso viele Großraum-Airbus-Flugzeuge vom Typ A380wie die traditionsreiche Lufthansa, die dieser Tage ihren50. Geburtstag feiert. Zwar profitieren die Unternehmenam Persischen Golf derzeit noch von reich fließendenEinnahmen aus dem Ölgeschäft, die direkt investiertwerden können. Aber gleichzeitig muss auch hier deut-lich darauf hingewiesen werden, dass diese Flugzeug-käufe zum Teil von der Bundesregierung durch Hermes-bürgschaften unterstützt werden. Somit fördert derdeutsche Steuerzahler den Aufbau von Überkapazitätenam Golf, die dann zu Niedrigpreisen auf den bundes-deutschen Markt geworfen werden können.

Daneben vernachlässigt die rot-grüne Bundesregie-rung auf sträfliche Weise die Interessenvertretung deut-scher Fluggesellschaften bei der Vergabe von Lande-rechten in Deutschland. Dies gilt ebenso für dieBehandlung von luftverkehrsrechtlichen Themen aufeuropäischer Ebene, wo andere Mitgliedstaaten ihre Vor-stellungen und Standards EU-weit durchsetzen können.

Aber nicht nur in Brüssel ist diese Bundesregierungzu schnellem Handeln aufgefordert. Auch hierzulandemuss es uns in große Alarmbereitschaft versetzen, dassdas Genehmigungsverfahren für den Bauantrag einerneuen Wartungshalle für den Airbus A380 am Frank-furter Flughafen länger dauert als die komplette Errich-tung eines neuen Flughafenterminals mit sechs Lande-bahnen in Dubai.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist unglaub-lich, aber wahr! – Brunhilde Irber [SPD]: Dasist Ländersache! Dafür ist Herr Koch in Hes-sen zuständig!)

Bislang wurden im Planungsverfahren über fünf lau-fende Meter Akten produziert. Dies zeugt nicht geradevon Entbürokratisierung und Aufbruchstimmung.

Hier müssen wir mit klaren und schnellen Entschei-dungen Handlungsfähigkeit beweisen, wenn wir imWettbewerb mittel- und langfristig bestehen wollen. Wirfordern daher die Bundesregierung auf, tatkräftig daranmitzuwirken, dass der dringend notwendige Ausbau desFrankfurter Flughafens endlich Gestalt annimmt und dieprivatwirtschaftlichen Investitionen endlich stattfindenkönnen.

(Brunhilde Irber [SPD]: Sagen Sie das einmal den Hessen!)

Andernfalls wäre die Rolle Frankfurts als internationalesDrehkreuz langfristig ernsthaft in Gefahr. Von demSchönefelder Flughafen in Berlin will ich erst gar nichtsprechen.

Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzmuss auch für die wichtigen Infrastrukturprojekte inWestdeutschland schnellstens Anwendung finden. Bei5,2 Millionen Arbeitslosen gilt es, zukunftsfähige Ar-beitsplätze in Deutschland zu sichern und nicht nachGründen zu suchen, die großen Investitionen zu verhin-dern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Beim für den Tourismus so bedeutenden Luftverkehrist aber auch auf die von der rot-grünen Bundesregierungangestoßene Debatte um eine Besteuerung von Kerosinhinzuweisen. Im Interesse der vielen Menschen, die mitdem Flugverkehr in Deutschland ihren Lebensunterhaltverdienen, muss man Bundeskanzler Schröder mit Nach-druck auffordern, seinen Bundesumweltminister JürgenTrittin endlich an die kurze Leine zu nehmen.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er soll ihn an die frische Luft setzen!)

Wir können auch hier keine deutschen Alleingängegebrauchen, die nur als ideologischer Seelenbalsam derGrünen zu gebrauchen sind.

(Horst Kubatschka [SPD]: Sagen Sie mal et-was zur Kultur!)

Denn ansonsten drehen sich in Deutschland bald nurnoch die Rotorblätter der Windkraftwerke an den Küstenvon Nord- und Ostsee und auf den Feldern im Lande.

(Horst Kubatschka [SPD]: Was hat das mit Kulturtourismus zu tun?)

Man muss sich wirklich die Frage stellen: Wann fängtdiese Bundesregierung endlich damit an, nicht nur fürdie Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Nach-barn Politik zu machen? Wann beginnt sie endlich damit,die richtigen Rahmenbedingungen für den Abbau vonArbeitslosigkeit in Deutschland zu setzen?

(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Damit hat sie schon längst angefangen!)

Dabei ist es doch gerade im Dienstleistungsbereich rela-tiv einfach, Wachstumsimpulse zu setzen. Wenn jedesdeutsche Tourismusunternehmen von einer wirklichernst betriebenen Entbürokratisierung und einem Abbauvon EU-Wettbewerbsverzerrungen profitierte und nur je

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einen Mitarbeiter einstellen würde, könnten Hunderttau-sende neuer Arbeitsplätze geschaffen werden.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Interessant!)

Um Deutschland als Tourismusstandort optimal zupositionieren, müssen wir uns aber auch auf unsere Stär-ken besinnen. Wie das derzeit laufende Schillerjahrzeigt, hat der Name Deutschland besonders als Heimathochwertiger Kulturgüter international einen sehr gutenRuf. Herr Kubatschka, da werden Sie mir doch bestimmtzustimmen.

(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Woran das wohlliegt! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Schillerklingt auch besser als Kubatschka!)

Aus diesem Grunde ist der heute ebenfalls debattierteAntrag der Regierungsfraktionen über die weitere Er-schließung des Wirtschaftsfaktors Kulturtourismus inAnsätzen zu begrüßen. Die in ihm geforderte Bereitstel-lung zusätzlicher Bundesmittel für den Erhalt und dieRestaurierung von UNESCO-Welterbestätten wäre einwertvoller Beitrag zur Sicherung historischer Bau-substanz. Herr Wistuba, ich bin Ihnen sehr dankbar, dassSie intensiv auf dieses Thema eingegangen sind. UnsereArbeitsgruppe war vor wenigen Tagen in Xanten amNiederrhein im Wahlkreis unserer Kollegin Falk. Diesegroße Römerstadt würde massiv von der kulturellen undfinanziellen Unterstützung profitieren. Wir nehmen Siehier beim Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dieses Geld würde natürlich sinnvoll investiert. Dahaben Sie unsere Unterstützung. Die Unionsfraktionwird jedoch genau prüfen, wo und in welcher Höhe Siediese geforderten Mittel in den Bundeshaushalt einstel-len. Denn die Ankündigung hier ist das eine und das Ein-stellen in den Bundeshaushalt und die Umsetzung beiden Kulturstätten das andere.

Auch eine enge Kooperation zwischen der DeutschenWelle, dem Auswärtigen Amt und der Deutschen Zen-trale für Tourismus bei der Darstellung Deutschlands alskulturhistorisches Reiseziel würde mit Sicherheit imAusland für zahlreiche neue Gäste sorgen können.Jedoch muss an dieser Stelle erneut auch an eine alteUnionsforderung erinnert werden. Wir können die Deut-sche Zentrale für Tourismus, die im Auslandsmarke-ting einen hervorragenden Job für Deutschland macht,nicht immer weiter mit zusätzlichen Aufgaben belasten,ohne gleichzeitig ihre Finanzausstattung nachhaltig zuverbessern.

Hier verlangen die Regierungsfraktionen Unmögli-ches und hätten es dabei doch in der Hand, in überflüs-sige Regierungspropaganda fehlinvestierte Gelder ge-winnbringend in die Marketingaktivitäten der DeutschenZentrale für Tourismus zu investieren.

(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Die gibt es ja nicht!)

Das sind die Fakten.

Der Tourismusstandort Deutschland steht großen He-rausforderungen gegenüber. Betreiben Sie endlich eine

Politik, die sich mit der Lösung der drängenden Pro-bleme unseres Landes beschäftigt!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Würden Sie endlich einmal überzeugende Lösungen prä-sentieren, dann wäre den Menschen in Deutschland eingroßes Stück geholfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/

Die Grünen.

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Rängen! HerrBrähmig, es ist ja schön, dass Sie wenigstens zumSchluss noch die Kurve zum eigentlichen Thema ge-kriegt haben.

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Zwei Punkte!)

Man muss daran erinnern: Wir wollten hier über diePotenziale des Wirtschaftsfaktors Kulturtourismus redenund außerdem über den tourismuspolitischen Bericht derBundesregierung, zu dem die FDP einen Antrag einge-bracht hat. Ich kann nicht verstehen, dass Sie jede touris-muspolitische Debatte – auch ich würde mir wünschen,dass wir sie vor einem volleren Haus führten – benutzen,um darzustellen, dass der Tourismus in Deutschland ei-gentlich überhaupt nichts taugt und alles ganz furchtbarund schrecklich ist. Den Eindruck kann ich nicht teilen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/CSU]:Das hat er auch nicht gemacht! Er hat Pro undKontra herausgestellt!)

– Es ist eine Interpretationsfrage, ob er das gemacht hat.Jedenfalls hat er kaum zum Thema gesprochen. Er hatvielmehr einen Rundumschlag gemacht, wie schrecklichalles ist.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Zum tourismus-politischen Bericht hat er eine themenbezo-gene Rede gehalten!)

– Herr Hinsken, ich möchte jetzt gerne zum Thema Kul-turtourismus zurückkommen.

In der „Kölnischen Rundschau“ zum Beispiel – es istschließlich immer schwierig, so etwas einzugrenzen –war neulich zu lesen, Tourismusforschung erinnere oftan das berühmte Lesen im Kaffeesatz. Trends kämenund gingen, ohne dass diese daran dächten, den Voraus-sagen zu folgen. Keiner könne wirklich wissen, wie siesich entwickelten. Eines aber stehe fest: der Boom derStädte- und Kulturreisen.

Ob man die Einschätzung der „Kölnischen Rund-schau“ generell teilt oder nicht, mag dahingestellt sein.Auf jeden Fall trifft es zu, dass Kultur und deren Ver-marktung immer stärker in das Blickfeld von Städten

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Undine Kurth (Quedlinburg)

und ganzen Regionen rücken. Es wird auch erkannt, dassdie Schnittmenge der Kulturinteressen von Einheimi-schen und Gästen erstaunlich groß ist.

Zu dem Thema Kulturtourismus hat der KollegeWistuba schon sehr viel gesagt. Ich könnte auf weitereAusführungen verzichten, wenn Sie es geschafft hätten,festzustellen, dass nicht ausschließlich die SPD-Frak-tion, sondern die Koalition für das Verfolgen der in die-sem Bereich angestrebten Ziele eintreten wird. Denn ichglaube, dass wir mit dem, was wir erreichen wollen,ziemlich dicht beieinander liegen.

Ich möchte noch einmal auf das Thema Denkmal-schutz zu sprechen kommen; denn oft und zu Recht wirdes als sehr wichtig hervorgehoben, das Denkmal zu erle-ben. Es gibt den inzwischen berühmten Gegensatz zwi-schen der Aufforderung, auch Denkmäler zeitgemäßenNutzungsformen zuzuführen, und dem Problem, dass derso genannte klassische Denkmalschutz in dem Sinneverstanden wird, Historisches als Zeugnis der Ge-schichte zu bewahren. Auf der einen Seite steht die Hal-tung „Nicht berühren!“ und „Nicht betreten!“, auf deranderen Seite wird zu Recht eine Nutzung eingefordert.

Auf der Jahrestagung der Landesdenkmalpfleger imvergangenen Jahr hat man sich dieses Problems ange-nommen. Dabei wurde sehr deutlich herausgestellt, dasses Baudenkmäler ohne Nutzung schwer haben. Es istunabdingbar, Kompromisse für die Nutzung zu finden,damit die Baudenkmäler nicht untergehen; denn – ichzitiere –: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.“

Vorgeschlagen wurde unter anderem, zum BeispielDenkmalgruppen zu touristischen Alleinstellungsmerk-malen bestimmter Regionen oder Länder zusammenzu-fassen. Das ist eine sehr kluge und richtige Idee, die auchgreift. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel istdas in der Bäderarchitektur erfolgt, in Sachsen-Anhalt inder Gartenkunst. 40 der bedeutendsten, für Einheimi-sche wie für Touristen gleichermaßen reizvolle Anlagensind in dem Netzwerk „Gartenträume – HistorischeParks in Sachsen-Anhalt“ zusammengefasst. Im nächs-ten Jahr sollen diese „Gartenträume“ das touristischeSchwerpunktthema des Bundeslands Sachsen-Anhaltwerden.

Die wichtige Rolle der Stiftungen – zum Beispiel derDeutschen Bundesstiftung Umwelt – ist bereits hervor-gehoben worden. Ich möchte noch einmal betonen, dassauch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt in diesemBereich sehr aktiv ist. Auch die UNESCO ist bereits an-gesprochen worden.

Lassen Sie mich aber in diesem Zusammenhang da-rauf hinweisen, dass sich Kulturtourismus nicht alleinauf das Erleben von Denkmälern beschränkt. Im Vorteilsind die Touristiker, die bei der Produktgestaltung aufweitere kulturelle Angebote zurückgreifen können, so-fern es diese noch gibt. Vielerorts war man nämlich derMeinung, in touristisch interessanten Gegenden könneman gut und gerne auf ein Museum oder Theater ver-zichten; man könne diese Einrichtungen schließen undtrotzdem weiter gute Geschäfte machen. Das ist eineirrige Auffassung. Wir müssen diejenigen, die über gute

kulturelle Angebote verfügen, darauf hinweisen, dass siediese erhalten müssen, um auch dem WirtschaftszweigTourismus wirkungsvoll unter die Arme greifen zu kön-nen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie des Abg. Ernst Hinsken[CDU/CSU])

– Es freut mich, dass es dafür Zustimmung gibt, und ichhoffe, dass wir mit diesem Antrag gemeinsam eine guteGrundlage dafür schaffen, dass die Bedeutung von Kul-tur auch für den Wirtschaftszweig Tourismus viel besserund mit einer größeren Breitenwirkung berücksichtigtwird.

Auch über die Barrierefreiheit ist schon etwas ausge-führt worden, sodass ich darauf nicht näher eingehenmöchte.

Ich hoffe, wie gesagt, dass wir zu einer breiten Ver-ständigung darüber kommen, wie wichtig kulturelle An-gebote sind, um touristische Angebote weiterzuentwi-ckeln, sodass sie eine gute Grundlage bilden können, umdiesen Wirtschaftszweig nach vorne zu bringen. Ichhoffe deshalb, dass wir mit dem vorliegenden Antrag,der heute an die Ausschüsse überwiesen werden soll, eingutes Ergebnis erzielen werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Ernst Burgbacher, FDP-

Fraktion.

Ernst Burgbacher (FDP): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin,

wenn Sie so erkältet sind, kann ich Ihnen nur empfehlen:Kommen Sie nach Baden! Dort sollten Sie sich von derSonne und dem guten Wein verwöhnen lassen; auch dasist Deutschlandurlaub. Dann erholen Sie sich wiederganz schnell.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sofort über das Wochenende, Herr Kollege.

Ernst Burgbacher (FDP): Da ich nur wenig Zeit habe und zu beiden Bereichen,

über die wir heute reden, etwas sagen möchte, kann ichnur ein paar Stichworte nennen. Zum Thema „Touris-muspolitischer Bericht der Bundesregierung“: LiebeFrau Kollegin Kurth, es geht nicht darum, dass wir sa-gen, dass überhaupt nichts läuft. Wir haben ja einiges ge-tan, manches auch gemeinsam. Das sei ausdrücklich ge-sagt. Ich möchte nur auf die Berichte aus der 14. und15. Legislaturperiode verweisen. Manches ist auch aufInitiative und massiven Druck der FDP geschehen. Ichdenke dabei beispielsweise an die Abschaffung derTrinkgeldbesteuerung

(Lachen bei der SPD)

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Ernst Burgbacher

und an die Neuregelung touristischer Beschilderungen.Das hat dem Tourismus durchaus geholfen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir alle sind froh, dass sich die Zahl der Übernach-tungen ausländischer Gäste sehr gut entwickelt. Auchdie Zahl der Übernachtungen inländischer Gäste istleicht gestiegen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dasswir auf einem sehr tiefen Stand waren und dass einigesweit besser laufen könnte. Wenn wir im Bereich der Bü-rokratie, auf dem Arbeitsmarkt und bei den Energiekos-ten, die hoch sind, endlich entgegensteuerten, dannkönnten wir ganz andere Zahlen haben und mehr Ar-beitsplätze im touristischen Bereich schaffen. Das ist derPunkt, um den es uns geht.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das Thema Kulturtourismus ist entscheidend undwichtig. Nun sagen viele Forscher in diesem Bereich,dass Kulturtourismus ein Trend ist, der weiter zunehmenwird, und dass Deutschland mit vielen kulturellen High-lights in allen Bereichen hier hervorragend aufgestelltist. Herr Kollege Wistuba, das meiste, was Sie gesagt ha-ben, unterschreibe ich. Deshalb möchte ich zwei Berei-che nennen, die noch nicht so ausführlich geschildertworden sind:

Erstens. Kulturtourismus ist sehr häufig Bustouris-mus. Viele Ziele und Reisen gerade im Bereich Kulturwerden von Busreiseveranstaltern angeboten. Deshalbgeht es auch darum, diesen das Leben zu erleichtern undendlich einen solchen Unsinn wie eine Ökosteuer fürBusse abzuschaffen. Wir dürfen die Busunternehmennicht benachteiligen, sondern wir müssen ihnen faireWettbewerbschancen geben. Das muss einmal gesagtsein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zweitens. Frau Staatsministerin Dr. Weiss, ich freuemich, dass Sie heute hier sind. Wir haben vor kurzemeine Debatte über die Breitenkultur geführt. Neben denkulturellen Highlights sollten wir viel stärker herausstrei-chen, dass wir – ich behaupte: wie kein anderes Land –eine breite und qualitativ hochwertige Laienkultur haben.Ich selbst bin im Bereich der Laienmusik ehrenamtlichtätig. Wir haben riesengroße Feste von hervorragenderQualität. Ich kann nur dafür werben, hier mehr zu tun unddie Verbindung zwischen der Laienkultur und dem Tou-rismus in Deutschland viel mehr in den Vordergrund zustellen. Ich hoffe, dass die DZT hier noch mehr einsteigt,als sie das bisher schon getan hat; denn hier gibt esenorme Chancen, die wir nutzen sollten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Das meiste, wasin Ihrem Antrag steht, unterstützen wir durchaus. Des-halb mache ich den Vorschlag, uns zusammenzusetzenund zu sehen, ob wir nicht einen interfraktionellen An-trag erarbeiten können. Wir haben in der Vergangenheitim Tourismusausschuss vieles gemeinsam erreicht. Daskönnte eine Gelegenheit sein, erneut einen gemeinsamenVersuch zu unternehmen. Ich jedenfalls biete Ihnen Zu-sammenarbeit an.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Annette Faße, SPD-Frak-

tion.

Annette Faße (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Nachfrageschub im neuen Jahr“ und „Mit Dynamik insJahr 2005: Reiseland Deutschland boomt“, das sind zweiÜberschriften von Presseerklärungen der DZT, zu derwir alle stehen und die wir alle gelobt haben. Seit Januardieses Jahres haben wir einen deutlichen Zuwachs so-wohl bei der Zahl der ausländischen Gäste als auch beider Zahl der Inlandsbuchungen zu verzeichnen.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dort schaut es nicht so gut aus!)

Eine Umfrage hat ergeben, dass die Hotelbranche imlaufenden Jahr eine Steigerung von bis zu 5 Prozent er-wartet. Das sichert Einkommen und Arbeitsplätze in derBranche.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns liegt ein sehr umfangreicher Tourismuspoliti-scher Bericht vor. Ich möchte dafür herzlich danken.Wir, die SPD-Fraktion, haben in den vergangenen Jahrenkonsequent zur Stärkung der Tourismusbranche beige-tragen. Das wird auch so bleiben.

Aber wir sollen hier eher darüber diskutieren, wofürder Bund zuständig ist, und nicht darüber, wofür dieLänder zuständig sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Frankfurter Flughafen liegt immer noch in Hessen,weswegen das Land Hessen zuständig ist.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Bund ist doch Anteilseigner!)

Wir können auch das Thema Kerosinbesteuerung er-örtern. Es gibt über alle Parteigrenzen hinweg einenbreiten Konsens, dass diese Angelegenheit nicht auf na-tionaler Ebene geregelt werden kann. Wie Sie wissen, istdas auch auf europäischer Ebene kaum zu regeln. Mankann der Bundesregierung daher keinen Vorwurf ma-chen. Man muss die Tatsachen zur Kenntnis nehmen undversuchen, Veränderungen vorzunehmen. Der Finanzmi-nister hat dieses Thema erst vor kurzem wieder auf euro-päischer Ebene angesprochen. Er hat also versucht, die-sen Weg zu gehen.

Mein lieber Kollege Brähmig, Sie haben sich hier mitder Verkehrsinfrastruktur ganz massiv auseinander ge-setzt. Aber Sie haben leider nicht erwähnt – das tue ichdafür heute sehr gern –, dass uns für einen Zeitraum vonvier Jahren 2 Milliarden Euro mehr für alle Bereiche derVerkehrsinfrastruktur zur Verfügung stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Annette Faße

Das wird dem Tourismus helfen, Herr Brähmig.

Wir haben in den vergangenen Jahren Anträge einge-bracht, die sich mit dem barrierefreien Reisen, mit demTourismus in, an und auf dem Wasser, mit Chancen desTourismus auf europäischer Ebene befasst haben. Heuteberaten wir unseren Antrag zum Kulturtourismus. HerrKollege Burgbacher, vielleicht hätten auch Sie auf dieIdee kommen können, so einen schönen Antrag zu stel-len. Möglicherweise können wir zusammenarbeiten. Ichwill das heute nicht ausschließen.

Wir alle treten für die DZT ein. Die DZT ist kontinu-ierlich mit Mitteln ausgestattet worden. Jeder kann sichmehr wünschen. Wir geben ihr mehr, nämlich3 Millionen Euro mehr für die Erstellung des Gastgeber-konzeptes für die Fußballweltmeisterschaft. Sie hatalso eine neue Aufgabe und mehr Geld.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen diese Fußballweltmeisterschaft nutzen,uns der Welt, also nach außen, positiv darzustellen. Wirwollen für Nachhaltigkeit sorgen. Da sind wir alle, derTourismus, aber auch alle Bereiche um ihn herum, gefor-dert. In der nächsten Ausschusssitzung werden wir unsmit diesem Thema noch einmal sehr ausführlich befas-sen.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Diese Auffas-sung teile ich!)

Wir haben eine weitere Konsequenz gezogen, indemwir ein neues Berufsbild geschaffen haben. In Mecklen-burg-Vorpommern gibt es die erste vollständige Berufs-schulklasse für diesen neuen Beruf; die DZT und die ers-ten Freizeitparks bilden aus. Wir sind also flexibelgewesen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammer-tag geht von bis zu 800 Ausbildungsverträgen aus.

Wir machen uns stark und wir erreichen auch etwasfür die Branche. Das zeigen die Aktivitäten der letztenJahre. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Wir habenuns auch im Ausschuss mit den neuen Berechnungssys-temen auseinander gesetzt, und zwar sehr strittig. Aberwir brauchen natürlich seriöse europäisch und internatio-nal vergleichbare Zahlen; darauf sind wir angewiesen.Ich denke, es ist klar und es besteht weitgehend Einig-keit darüber, dass wie bisher zusätzliche Bereiche in dieBerechnung aufgenommen werden sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derCDU/CSU)

Heute liegt auch ein FDP-Antrag vor. Wir lehnen ihnaus mehreren Gründen ab:

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ach, das kann doch nicht wahr sein!)

Was die Mehrwertsteuersätze angeht, liegen wir imguten Mittelfeld. Wir haben daher keinen Anlass, dieSteuersätze zu senken.

Was die Fragen zum Jugendarbeitsschutzgesetz an-geht, muss ich wirklich sagen: Wer meint, dadurch mehr

Ausbildungsplätze schaffen zu können, dass die Nacht-arbeitszeiten endlos ausgedehnt werden, der liegt falsch.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist eine Un-terstellung, Frau Kollegin!)

Die Arbeitsplätze, die dadurch entstünden, wären demunteren Lohnniveau zuzuordnen. Es ginge zum Beispieldarum, abends noch aufzuräumen; zu lernen gäbe es danichts mehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage noch einmal ganz klar und deutlich: DerTourismus in Deutschland boomt. Jeder hat eine Vorstel-lung davon, wie man etwas verbessern kann.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wir machen es ja auch besser!)

Das gilt auch für uns. Wir glauben, dass unter anderemdie Verabschiedung unseres heutigen Antrags zu einerVerbesserung beiträgt. Das Reiseland Deutschland hatvon der weitestgehend guten Arbeit der DZT im Auslandwie im Inland profitiert. Deutschland ist in und das las-sen wir uns von Ihnen nicht schlechtreden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/5120 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Tagesordnungspunkt 10 b: Wir kommen zur Abstim-mung über die Beschlussempfehlung des Ausschussesfür Tourismus auf Drucksache 15/4623. Der Ausschussempfiehlt, in Kenntnis des Tourismuspolitischen Be-richts der Bundesregierung für die 14. und 15. Wahlpe-riode auf Drucksache 15/1303 den Entschließungsantragder Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1799 abzuleh-nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegen-stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Michael Meister, Heinz Seiffert, LeoDautzenberg, weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU

Bürokratieabbau bei der Kreditvergabe vo-ranbringen

– Drucksache 15/4842 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit

Die Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger, OttoBernhardt, Stefan Müller (Erlangen), Jutta Krüger-Jacob

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

und Dr. Volker Wissing haben ihre Reden zu Protokollgegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/4842 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten AndreaWicklein, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell,Dr. Antje Vogel-Sperl, Dr. Reinhard Loske, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN

Rahmenbedingungen für die industrielle stoff-liche Nutzung von nachwachsenden Rohstof-fen in Deutschland schaffen

– Drucksache 15/4943 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Christel Happach-Kasan, Hans-MichaelGoldmann, Michael Kauch, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP

Die vielfältigen Potenziale nachwachsenderRohstoffe für die nachhaltige Entwicklungausschöpfen

– Drucksache 15/3358 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Die Abgeordneten Waltraud Wolff (Wolmirstedt),Andrea Wicklein, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),Helmut Lamp, Dr. Antje Vogel-Sperl und Dr. ChristelHappach-Kasan haben ihre Reden zu Protokoll gege-ben.2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 15/4943 und 15/3358 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

1) Anlage 72) Anlage 8

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-sammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten KarinKortmann, Detlef Dzembritzki, SiegmundEhrmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der SPD sowie der Abgeordneten ThiloHoppe, Volker Beck (Köln), Antje Hermenau,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Die Entwicklungszusammenarbeit der EUkonstruktiv weiterentwickeln – Effizienzund Nachhaltigkeit verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. RalfBrauksiepe, Dr. Christian Ruck, Peter Hintze,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSU

Mehr Mut zur Reform der EU-Entwick-lungszusammenarbeit

– Drucksachen 15/2338, 15/1215, 15/4972 –

Berichterstattung:Abgeordnete Karin Kortmann Dr. Ralf Brauksiepe Thilo Hoppe Markus Löning

Die Abgeordneten Karin Kortmann, Dr. RalfBrauksiepe, Thilo Hoppe und Markus Löning haben ihreReden zu Protokoll gegeben.3)

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung auf Drucksache 15/4972. Der Ausschuss emp-fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung dieAnnahme des Antrags der Fraktionen der SPD und desBündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2338 mitdem Titel „Die Entwicklungszusammenarbeit der EUkonstruktiv weiterentwickeln – Effizienz und Nachhal-tigkeit verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionbei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP ange-nommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnungdes Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-sache 15/1215 mit dem Titel „Mehr Mut zur Reform derEU-Entwicklungszusammenarbeit“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSUund der FDP angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurÄnderung des Energieeinsparungsgesetzes

– Drucksache 15/5226 –

3) Anlage 9

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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-mentarische Staatssekretär Achim Großmann.

Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun-desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das energiesparende Bauen hat in Deutschland in denletzten Jahrzehnten große Bedeutung erlangt und ist fastschon zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Seit derersten Ölkrise haben wir große Fortschritte gemacht. ImVergleich zu den Anforderungen von 1974 müssen dieGebäude zunehmend besser gegen Wärmeverluste ge-dämmt werden. Auch die Heizungsanlagen sind immerenergieeffizienter geworden. Der Heizenergieverbrauchje Quadratmeter Wohnfläche ist in den letzten 20 Jahrenum etwa 40 Prozent gesunken. Neubauten nach der Ener-gieeinsparverordnung haben rechnerisch einen durch-schnittlichen Heizenergiebedarf von umgerechnet nurnoch 7 Litern Heizöl pro Quadratmeter und Jahr. ZumVergleich: Altbauten in Deutschland haben einen durch-schnittlichen Heizenergiebedarf von rund 20 LiternHeizöl pro Quadratmeter und Jahr.

Diese Entwicklung hat für Aufträge in der Bauwirt-schaft gesorgt und wichtige Impulse zur nachhaltigenenergetischen Verbesserung der Gebäudesubstanz gege-ben. Sie leistet einen wichtigen Beitrag für den Klima-schutz. Bei steigenden Energiepreisen hat sie auch zurBegrenzung des Anstiegs der Wohnnebenkosten beige-tragen.

Rund 30 Jahre nach der Einbringung des ersten Ener-gieeinsparungsgesetzes in den Deutschen Bundestagmuss nun die europäische Richtlinie über die Gesamt-energieeffizienz von Gebäuden in deutsches Recht um-gesetzt werden. Vieles von dem, was uns Brüssel auf-trägt, ist im deutschen Recht bereits verankert. Diesbetrifft zum Beispiel die ganzheitliche Bewertung desEnergiebedarfs von Neubauten, die energetischen Anfor-derungen an Bauteile, die von Änderungen eines beste-henden Gebäudes betroffen sind, die Ausstellung undVorlage von Energieausweisen für Neubauten und untergewissen Voraussetzungen auch für den Gebäudebestandund schließlich die regelmäßige Inspektion von Hei-zungsanlagen und vieles mehr.

Wir müssen unser Recht aber in einigen Punkten er-gänzen, um den besonderen Anforderungen der Gebäu-derichtlinie zu entsprechen. Dies soll in zwei Schrittengeschehen.

Erstens. Die inhaltliche Umsetzung der einzelnen Re-gelungen soll durch eine Novellierung der Energieein-sparverordnung erfolgen.

Zweitens. Zuvor müssen wir aber das Energieein-sparungsgesetz ändern, damit sich der Verordnungsgeber

bei der Novellierung der Energieeinsparverordnung aufsicherem Boden bewegen kann. Das Energieein-sparungsgesetz bildet die gesetzliche Grundlage zum Er-lass dieser Energieeinsparverordnung. Die geltendenVerordnungsermächtigungen müssen deshalb erweitertwerden, um den Verordnungsgeber in die Lage zu ver-setzen, die Gebäuderichtlinie vollständig umzusetzen. Inanderen Worten: Mit der Änderung wird der Gestal-tungsrahmen des Verordnungsgebers abgesteckt.

Die Richtlinie ist bis Anfang 2006 in nationales Rechtumzusetzen. Da die fristgerechte Umsetzung europäi-scher Rechtsakte für die Bundesregierung hohe Prioritäthat, beschränkt sich der vorliegende Gesetzentwurf da-rauf, die für eine rechtzeitige Umsetzung unbedingt er-forderliche Änderung des Energieeinsparungsgesetzesvorzusehen.

Mit der Gesetzesänderung werden keine inhaltlichenVorentscheidungen getroffen. Ich möchte deshalb nurkurz auf die wesentlichen Erweiterungen der gesetzli-chen Verordnungsermächtigungen eingehen.

Wir müssen verbindliche Energieausweise für denFall des Verkaufs und der Vermietung bestehender Ge-bäude einführen. Dazu gehört auch die Pflicht des Aus-hangs von Energieausweisen in öffentlichen Gebäudenmit großem Publikumsverkehr. Die Richtlinie spricht inihren Erwägungsgründen ausdrücklich die Vorbildfunk-tion der öffentlichen Hand an. Neu ist ferner die Pflichtzur regelmäßigen Inspektion von Klimaanlagen.Schließlich gilt es, die Energieanteile von Beleuchtungund Klimaanlagen in Nichtwohngebäuden in den Ge-samtenergiebedarf mit einzubeziehen.

Besondere Aufmerksamkeit gebührt dem obligatori-schen Energieausweis im Gebäudebestand. Er wirdzweifellos die größte Breitenwirkung in der Umsetzungder Richtlinie entfalten. Das zeigt schon die zunehmendeund sehr lebhafte Diskussion in der Öffentlichkeit. Des-halb ist die neue Ermächtigung der Bundesregierung, In-halt und Ausgestaltung von Energieausweisen für beste-hende Gebäude vorzugeben, das Kernelement desGesetzentwurfs.

Bestandsausweise werden die Informationslage vonKäufern und Mietern spürbar verbessern. Diese könnenEinsicht in Daten über die energetische Qualität des je-weiligen Gebäudes nehmen und verschiedene Objekteüberschlägig miteinander vergleichen. Diese Transpa-renz nützt dem Verbraucher. Sie erweitert den Wettbe-werb auf dem Immobilienmarkt. Wir setzen darauf, dassviele Eigentümer unter diesen Bedingungen verstärkt inenergetisch modernisierungsbedürftige Häuser investie-ren. Das ist gut für Deutschland und wird auch zur Si-cherung von Arbeitsplätzen führen.

Deshalb haben wir uns entschlossen – KanzlerSchröder hat das im März in seiner Regierungserklärungverkündet –, das KfW-Programm zur energetischen Ge-bäudesanierung in 2006 und 2007 weiter mit jährlich360 Millionen Euro zu unterstützen. Damit stoßen wirInvestitionen in Höhe von circa 5 Milliarden Euro an

(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wollen wir noch mehr!)

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Parl. Staatssekretär Achim Großmann

und es werden etwa 35 000 bis 40 000 Arbeitsplätze imBaugewerbe und im vor- und nachgelagerten Bereichgesichert oder neu geschaffen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei den Energieausweisen ist klar: Sie müssen zen-trale Kriterien erfüllen. Sie müssen einfach erstellt wer-den können, für den Verbraucher leicht verständlich seinund der Preis muss stimmen. Wichtig ist auch, dass dieAnforderungen an die Qualifikation der Fachleute ange-messen sind.

Wenn uns eine optimale Gestaltung dieser Ausweisegelingt, kann der Ausweis das Schlüsselelement einermodernen Informationspolitik zum energiesparendenund umweltgerechten Bauen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beratungen inden Ausschüssen geben Gelegenheit, über den engerenformalen Rahmen der Gesetzesänderungen hinaus dieinhaltlichen Grundsätze und Eckpunkte gerade bei denEnergieausweisen für den Gebäudebestand zu erörtern.

Mit dem Gesetzentwurf, der heute vorgelegt wird, le-gen wir den Grundstein zur Umsetzung der EU-Gebäu-derichtlinie. Ich möchte Sie schon heute um eine breiteUnterstützung dieser Vorlage bitten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Thomas Dörflinger, CDU/

CSU-Fraktion.

Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesemGesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten,schaffen wir sozusagen den rechtlichen Rahmen für dieUmsetzung der erwähnten EU-Richtlinie, aber wir neh-men mit der Schaffung des Rechtsrahmens auf Basis desRegierungsentwurfs, wie er uns vorliegt, in einigenPunkten auch Weichenstellungen vor; insofern unter-scheiden wir uns etwas, Herr Staatssekretär. Über dieseWeichenstellungen müssen wir, wenngleich man unter-schiedlicher Auffassung darüber sein kann, ob sie quali-tativ hoch oder weniger hoch anzusiedeln sind, in denBeratungen reden.

Wir sind uns sicher über das Ziel Energieeinsparungvöllig einig. Angesichts von Kioto und Rio ist dieseFrage in diesem Hause sicherlich keiner Debatte wert.Ich signalisiere einmal mehr für die Unionsfraktion imDeutschen Bundestag die Bereitschaft zu konstruktiverMitarbeit an diesem Gesetzentwurf wie auch bei den Be-ratungen zum Energiepass. Das habe ich auch schon beider ersten Lesung eines von uns eingebrachten Antragsgetan, der zum Inhalt hatte, sich darüber Gedanken zu

machen, wie wir den Energiepass inhaltlich ausgestaltensollen. Nun haben wir allerdings mit einigem Missmutzur Kenntnis genommen, dass die Beratung dieses An-trags im zuständigen Ausschuss und im Plenum desDeutschen Bundestages nicht fortgesetzt wurde. Jetzt istuns auch klar, warum: Sie mussten Zeit gewinnen, damitder Bundeskanzler am 17. März in seiner Regierungser-klärung das KfW-Programm ankündigen und sich quasials Erfinder des Pulvers darstellen konnte. Die Abfolgeder Dinge war eine andere. Wir beide, Herr KollegeFischer, wissen das, nehmen das aber so zur Kenntnis.

Gegenstand unseres damaligen Antrags war, dass wiruns auch die Erfahrungen in anderen europäischen Staa-ten, die diese Richtlinie schon umgesetzt haben, vor Au-gen führen, um davon bei ihrer Umsetzung hierzulandezu profitieren. Wir hätten uns auch gewünscht und wün-schen es uns nach wie vor, die Erfahrungen aus denFeldversuchen der Dena und des GdW-Bundesverbandesdeutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmenquasi synoptisch nebeneinander zu legen, um so zusam-men mit den in anderen europäischen Staaten gesammel-ten Erfahrungen eine vernünftige Grundlage zu haben,wenn wir anschließend darangehen, die Dinge in natio-nales deutsches Recht umzusetzen. Ich erinnere an dieBeratungen zum Europarechtsanpassungsgesetz Bau, wosowohl die Bundesregierung als auch die Berichterstatterder im Bundestag vertretenen Fraktionen in einer, wieich fand, sehr konstruktiven Atmosphäre dafür gesorgthaben, dass eine Eins-zu-eins-Umsetzung des europäi-schen Rechts in das nationale Recht geschah, und wün-sche mir, Herr Staatssekretär, dass wir das hier auch ma-chen. Ich werde an einigen Punkten versuchen,nachzuweisen, dass Sie bereits mit dem Gesetzentwurf,der uns heute zur Beratung vorliegt, über diese Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen. Weil wir in vielen anderenBereichen berechtigterweise davon reden, europäischesRecht auch mit Blick auf diejenigen, die davon betroffensind, nicht zuletzt in der Wirtschaft, eins zu eins umzu-setzen und nichts hinzuzufügen, sollten wir auch beidem vorliegenden Gesetz keine Ausnahme machen.

Bei der Materie, die wir heute beraten, haben wir denklassischen Fall, dass ein Erfolg erst dann sichtbar wird,wenn das, was wir hier gesetzgeberisch tun, bei den Be-troffenen – das ist letztlich der einzelne Bürger oder dieeinzelne Bürgerin, der oder die ein Haus besitzt – Ak-zeptanz findet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Deswegen halte ich es schon für ein bisschen übertrie-ben, wenn gleich mit dem § 8 „Bußgeldvorschriften“ dieKostenkeule geschwungen wird. Ich muss doch denLeuten zunächst einmal erklären, was ich mache, warumich es mache, was das Gesetz zum Inhalt hat und was esfür den Verbraucher oder die Verbraucherin möglicher-weise für Vorteile, auch ökonomischer Natur, hat. Nach-dem ich dann auch die Sanktionsmöglichkeiten erklärthabe, kann ich eventuell mit dem Bußgeld kommen.

Diese Materie hat zwar unter den Fachleuten diesesHauses und auch auf Verbandsseite eine recht breite Öf-fentlichkeit gefunden – da stimme ich Ihnen zu, Herr

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Thomas Dörflinger

Staatssekretär –, aber diejenigen, die es schlussendlichangeht, nämlich der einzelne Hausbesitzer oder die ein-zelne Hausbesitzerin, sind nicht im Bilde, was da auf siezukommt. Deswegen wäre es schön, wenn das die Bun-desregierung, die ja ansonsten in Sachen Öffentlichkeits-arbeit sehr fleißig ist, zum Anlass nehmen würde, einebreite Informationskampagne zu starten, die sich geradean die Adresse von Hausbesitzerinnen und Hausbesit-zern richtet, damit diese wissen, was möglicherweise aufsie zukommt, und sich mit dieser Materie vertraut ma-chen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir versprechen uns ja – ich komme noch einmal auf dieBeratung im Rahmen der ersten Lesung unseres Antragszurück – von diesem Gesetz und dem Energiepass nichtnur einen ökologischen, sondern letztlich auch einen ar-beitsmarktpolitischen Effekt. Der arbeitsmarktpolitischeEffekt entsteht allerdings nur dann, wenn wir die Akzep-tanz der Betroffenen – nicht nur der Wirtschaft, sondernauch der Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer – für das,was wir tun, finden.

Jetzt komme ich zu den Punkten, bei denen ich denEindruck habe, dass hier über das europäische Recht hi-nausgegangen wird. Erster Punkt. Sie regeln in § 5 a denZeitpunkt für Ausstellung und Aktualisierung der Ener-gieausweise. Wie wäre es denn gewesen, wenn wir inPunkt 3 die Gültigkeitsdauer der Energieausweise be-schrieben und festgelegt hätten? Damit hätte sich dieAktualisierung von Energieausweis und Kennwerten er-übrigt, da sie sich durch die Gültigkeitsdauer und denAblauf der Gültigkeit quasi ergeben hätte. So einfachkönnen die Dinge manchmal sein. Statt dass wir es unsschwer machen, indem wir eine große gesetzgeberischeAktion starten, die anschließend nur bedingte Akzeptanzfindet, sollten wir es uns lieber einfach machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zweiter Punkt. Die europäische Richtlinie sprichtausdrücklich von Kostengünstigkeit der Empfehlungenfür Verbesserungen der Energieeffizienz. Das Wort „kos-tengünstig“ findet sich im Regierungsentwurf nicht. Ichbedaure das. Denn insbesondere für die Verbraucherin-nen und Verbraucher ist das Wort „kostengünstig“ andieser Stelle elementar, da Akzeptanz nur dann gegebenist, wenn der Energieausweis für den Verbraucher unddie Verbraucherin eben nicht mit überbordenden Kostenverbunden ist.

Dritter Punkt. In Punkt 6 des § 5 a ist geregelt, dass– das hat mich, ehrlich gesagt, etwas erheitert – derEnergieausweis Behörden und – so wörtlich – „bestimm-ten Dritten“ zugänglich gemacht werden muss. In Bezugauf Behörden ist das in Ordnung. Nur, wer in drei Teu-fels Namen sind „bestimmte Dritte“? Sind das Sie oderein anderer oder ist das mein Nachbar oder meine Fami-lie? Wer sind „bestimmte Dritte“? Das ist ein unbe-stimmter Rechtsbegriff. Wie wäre es gewesen, wenn wirin das Gesetz geschrieben hätten, dass der Energieaus-weis potenziellen Käufern oder potenziellen Mietern zu-gänglich gemacht werden muss? So einfach und klar de-

finiert hätte das sein können; damit wäre der Fall erledigtgewesen.

(Ilse Falk [CDU/CSU]: Aber kompliziert ist es schöner!)

Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der nichtganz unerheblich ist und den der Gesamtverband derWohnungswirtschaft zu Recht erwähnt hat, nämlich dieFrage, ob wir im Gesetz eine mögliche Auswirkung desGesetzes auf das Mietrecht regeln müssen. Die Bundes-regierung schreibt in ihrer Begründung zum Gesetzent-wurf, eine solche Regelung sei nicht notwendig, weilKäufer und Verkäufer bzw. Mieter und Vermieter das inihrem Vertragsverhältnis regeln könnten. Das ist so weitnicht falsch. Nur, was passiert, wenn sie es nicht tun?Was passiert, wenn Käufer und Verkäufer diese Rege-lung in ihrem Kaufvertrag nicht treffen? Dann greift§ 311 Bürgerliches Gesetzbuch, wenigstens nach meinerrechtlichen Auffassung. Dann entsteht letztendlich mög-licherweise die Forderung nach Schadensersatz aus die-sem Vorgang. Deswegen wäre es der sauberere Weg,wenn wir in § 5 a beispielsweise einen Absatz einfügten,in den wir hineinschreiben, dass der Energieausweis– wie es übrigens auch in der Richtlinie steht – eine In-formationsfunktion für den Käufer und den Verkäuferbzw. den Mieter und den Vermieter hat, dass er aber inBezug auf den Kaufvertrag keine rechtliche Wirkungentfaltet. Dann wären die Dinge klar.

Zum Schluss, meine Damen und Herren, noch einmaldie herzliche Bitte, dass wir uns bei der Umsetzung voneuropäischem Recht in nationales Recht am Maßstabeins zu eins orientieren und nicht darüber hinausgehen.Ich signalisiere gerne für meine Fraktion, sowohl wasdiesen Gesetzentwurf als auch was die zukünftige kon-krete Beratung über den Energieausweis angeht, einekonstruktive Mitarbeit – aber, wie gesagt, orientiert aneinem Eins-zu-eins-Maßstab und an der Praxis, wie wirsie seinerzeit beim EAG Bau miteinander gepflegt ha-ben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-

Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dies ist eine gute Debatte, weil das Thema Klimaschutzam Bau eigentlich fraktionsübergreifend und wohl auchin weiten Teilen der Gesellschaft und der Wirtschaft einKonsensthema, ein Win-Win-Thema ist. Außerdem istEnergiesparen im Baubereich ganz elementar in Bezugauf die Bauwirtschaft und die Arbeitsplatzsituation.

Rot-Grün hat in den vergangenen Jahren schon sehrviel in diesem Bereich getan. Wir haben im Jahr 2001die Energieeinsparverordnung in der heutigen Form ein-geführt. Wir haben ein sehr umfassendes Gebäudesanie-

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Franziska Eichstädt-Bohlig

rungsprogramm auf den Weg gebracht, das wir im Jahre2003 erweitert haben. Dieses Programm ist ein ganzwichtiger Faktor für unsere Bauwirtschaft und dient derErhaltung von Arbeitsplätzen.

Wir haben ferner die Mittel für die Energieforschungaufgestockt. Wir haben die Energieberatung vor Ort, diewir für sehr wichtig halten, sowie die Information inden entsprechenden Fachzeitschriften für Bauherrn, In-genieure und Handwerker bewusst ausgeweitet. HerrKollege Dörflinger, Sie sehen also, dass wir seit langeman diesem Thema dran sind. Wir alle sind sehr daran in-teressiert – wir werden das auch tun –, die Anstrengun-gen auf dem Gebiet der Informationsweitergabe zu ver-stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Schon 2001 habe ich gesagt, dass sich die Energieein-sparverordnung dann durchgesetzt hat, wenn man in denImmobilienannoncen nicht nur lesen kann, wie groß eineangebotene Wohnung ist und ob sie über eine Terrasseverfügt, sondern auch die Information über die energeti-sche Qualität der Wohnung findet. Ich war schon damalsdavon überzeugt, dass es von diesem Tag an eine regel-rechte Revolution im Immobilienbereich geben wird.Denn diese Annoncen sind ein deutlicher Beleg, dass dasThema Energieeinsparung für die Immobilienwirtschaft,für Vermieter und Mieter sowie für Verkäufer und Käu-fer in den Vordergrund gerückt ist.

Ich freue mich also, dass wir heute an diesem Punktsind. Es gibt zwar noch Dissens im Detail. Darüber wer-den wir in der anstehenden Beratung zur Änderung desEnergieeinsparungsgesetzes reden müssen. Beispiels-weise müssen wir an der Ausgestaltung des Energieaus-weises noch intensiv arbeiten. Wir wissen, dass wir nochlängst nicht auf einem gemeinsamen Nenner sind. Aberim Grundsatz sind wir alle für die Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie. Sie ist sehr zielgerichtet und wirduns, was den Klimaschutz und die Arbeitsplätze amBau angeht, deutlich nach vorne bringen. Ich wünschemir, dass sie so ausgestaltet wird, dass sie einen Impulsfür die Bauwirtschaft und für die Immobilienwirtschaftin Bezug auf eine Modernisierung der Gebäude bringt,die wir brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

In diesen Zusammenhang gehört auch – dieser Punktwird viel zu wenig beachtet –, dass in Zukunft an öffent-lichen Gebäuden, bei denen es eben nicht um Mietenund Vermieten bzw. um Kaufen oder Verkaufen geht,kenntlich gemacht wird, wie deren energetische Qualitätist. Ich glaube, auch in diesem Bereich muss es denwichtigen Impuls zur Sanierung und damit zur energeti-schen Optimierung geben. So entsteht auch bei diesenGebäuden eine Win-Win-Situation: Sparen bei den Ener-giekosten, bei den Heizkosten und Nebenkosten, und imGegenzug investieren!

Da meine Redezeit nur sehr kurz ist, will ich jetzt zuden einzelnen Punkten nichts im Detail sagen. Darüberwerden wir noch im Ausschuss beraten. Ich würde mich

freuen, wenn wir parteiübergreifend zu einem Konsenskommen würden und wenn es das sonst übliche Hick-hack zwischen Koalition und Opposition nicht gebenwürde. Dies würde der Sache sehr gut tun.

Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen, dass fürden öffentlichen Bereich der wirtschaftliche Impuls sehrwichtig ist. Gerade dort muss investiert werden. Wirsollten gemeinsam daran arbeiten – ich hoffe, dass auchder Bundesrat mitspielt –, dass das Konzept entspre-chend ausgestaltet wird und dass wir optimale Bedin-gungen für Investitionen bekommen. Unsere Bauwirt-schaft und unsere Immobilienwirtschaft – bei der wirnoch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten müssen –brauchen diesen Modernisierungsschub, der mit derenergetischen Optimierung der Gebäude einhergeht.

In dem Sinne hoffe ich auf eine gute Zusammenarbeitzwischen Regierung, Koalition, Opposition und last, notleast Bundesrat. Das täte der Sache gut und würde dieöffentliche Meinung über unsere Arbeit verbessern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Angelika Brunkhorst,

FDP-Fraktion.

Angelika Brunkhorst (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-

liegende Entwurf der Novelle zum Energieeinsparungs-gesetz soll die EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienzvon Gebäuden umsetzen. Das ist löblich. Die Expertensagen ganz eindeutig: Im privaten Bereich lassen sich biszu 25 Prozent an Energie problemlos einsparen. Dasollte man auch wirklich rangehen.

Das Vorhaben ist beim Bauministerium und beimWirtschaftsministerium in Kooperation und nicht beimUmweltministerium angesiedelt, obwohl ein weiteresVorhaben zur Umsetzung dieser EU-Richtlinie, nämlichdas Erneuerbare-Wärme-Gesetz, gleichzeitig beim BMUerarbeitet wird. Die Tranchierung auf mehrere Ministe-rien lässt vermuten, dass die Regierung daraus ein größt-mögliches Konjunkturprogramm machen will. Das istja nicht von Schaden.

(Gabriele Groneberg [SPD]: Genau! Da müss-ten Sie Beifall klatschen!)

Wir befürchten aber gleichzeitig, dass es dann nicht beieinem schmalen Energieausweis bleibt. Wir fordern aberganz rigoros ein, dass es kein monströser, ins Detail ge-hender, restriktiver Ausweis wird.

(Gabriele Groneberg [SPD]: Aber er muss aus-sagekräftig sein!)

Das ist unsere ganz klare Botschaft.

Des Weiteren bemängeln wir, dass das gesamte Ge-setzesvorhaben nicht in ein klimapolitisches Gesamtkon-zept eingebunden ist. Darauf komme ich gleich noch zusprechen. Hauptsächlich regelt die Novelle, dass derschon angesprochene Energiepass eingeführt wird. Er

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Angelika Brunkhorst

kann – das ist ganz klar – zu mehr Energieeffizienz füh-ren. Nach unserer Auffassung kann er aber nur ein ersterBaustein für mehr Transparenz im Energiebereich sein,sodass der Verbraucher weiß, wie es um die Energie-effizienz seiner Immobilie steht. Vor allem aber kann derAusweis zu einem bewussteren und zu einem selbstbe-stimmten Umgang mit Energie im Hausbereich führen.Ich denke, letztlich ist das aber im Ermessen der Bewoh-ner. Man kann technisch alles richtig machen, man kannvon Gesetzes wegen alles richtig machen, aber man kannden Verbraucher nicht dressieren. Insofern kann noch et-was schief gehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Energiepass ist im Moment von noch nicht soguter Kontur, dass er schon das Prädikat „gut“ erhaltensollte. Ich meine, wir müssen daran noch arbeiten. ImMoment hilft es auch nicht, darüber zu debattieren, obder Ausweis kennwertbasiert oder referenzbasiert seinsoll. Vielmehr müssen wir die grundlegende Schwächedes Gesetzes ausmerzen. Wir müssen eine Verbindungzum Emissionshandel und die Einbindung in das klima-politische Gesamtkonzept schaffen, anstatt – wie aus un-serer Sicht mit dem EEG geschehen – den Emissions-handel in seiner Wirkung auszubremsen.

(Horst Kubatschka [SPD]: Bringen Sie da nicht etwas durcheinander?)

Deshalb wollen wir dazu auch weitere Vorschläge erar-beiten. Die Überraschung mache ich Ihnen dann in dernächsten Rede.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat die Kollegin Gabriele Groneberg, SPD-

Fraktion.

Gabriele Groneberg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ach, Frau Brunkhorst, wir lieben Überraschungen. Waswäre das Leben ohne Überraschungen? Es wäre doch ei-gentlich todlangweilig.

Ich habe in der Debatte heute Abend große Überein-stimmung gesehen. Herr Dörflinger, Frau Brunkhorst,wenn wir – ich sage das einmal so – unter Baufachleutenüber solche Themen reden, haben wir eigentlich immereinen vernünftigen Umgang miteinander und kommenauch zu vernünftigen Ergebnissen. Über die Anregun-gen, die Sie heute gemacht haben, werden wir dann nochin Ruhe reden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, den Letzten beißendie Hunde. Wenn man bei einem solchen einvernehmli-chen Thema als Letzte reden soll, bleibt ja gar nichtmehr viel. Trotzdem möchte ich einmal festhalten, dasswir die Novellierung des Gesetzes und die Beratungenzur Verordnung zügig durchführen werden, um die voll-

ständige Umsetzung der Gebäuderichtlinie in deutschesRecht rechtzeitig zum 4. Januar 2006 zu gewährleisten.Einiges von dem, was in der Gesamtenergieeffizienz-richtlinie gefordert wird, ist bereits Bestandteil unsererGesetzgebung bzw. unserer Verordnungen. Insofern wirddas nicht das Problem sein.

Die Einzelheiten der Änderungen sind schon vonHerrn Großmann ausführlich dargelegt worden.

Der Knackpunkt, an dem sich mit Sicherheit Diskus-sionen entzünden werden, ist der Energieausweis, denes bereits für neue Gebäude gibt, der jetzt aber auch fürGebäude im Bestand eingeführt werden soll und derKäufern und Mietern einen Menge Informationen bietenund insofern Transparenz schaffen wird, die wir uns alledoch eigentlich wünschen.

Ich frage mich manchmal, warum man sich, wennvoller Elan über einen solchen Pass diskutiert wird, da-rüber so vehement aufgeregt. Als ob wir etwas ganzSchlimmes tun würden! Kühlschränke und Waschma-schinen werden schon seit langem klassifiziert. SchauenSie sich einmal das Käuferverhalten an: Die Leute kau-fen nicht generell das billigste Gerät. In der Werbungwird als Erstes auf die Energieeffizienz der Geräte hin-gewiesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum machen wir uns – Frau Eichstädt-Bohlig hat diesausdrücklich erwähnt – nicht das Wissen und die Bereit-willigkeit zunutze, die schon bei den Nutzern existieren,um diesen Pass zu einem Erfolgserlebnis zu machen?Frau Brunkhorst, was ist daran schlecht, wenn dies dannauch noch ein wirklich gutes Konjunkturprogrammwird?

Herr Dörflinger, es ist nicht so, dass wir Ihren Antragauf die lange Bank geschoben haben. So alt ist er ja nochnicht. Bisher hat noch keiner dessen Aufsetzung im Aus-schuss gefordert. Wir werden ihn, denke ich, zusammenmit dem Gesetzentwurf beraten. Ich glaube, dass IhreVorstellung, wir hätten mit der Beratung Ihres Antragesso lange gewartet, bis wir mit der Regierungserklärungdurch sind, vollkommen fehlgeleitet ist. Wir haben unteruns schon lange darüber diskutiert, wie und mit welchenMitteln wir eine Ausweitung des erfolgreichen KfW-Programms vornehmen können. Wenn Sie es gut finden,dass wir der Konjunktur und der Bauwirtschaft helfenwollen, wenn Sie es gut finden, dass wir Mietern undVermietern Sicherheit geben wollen, dann werden wirauch zu einem guten Ergebnis kommen.

Ich setze schon voraus, dass wir eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie vornehmen. Ich sehe es nichtso, dass die Punkte, die Sie genannt haben, über eineEins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen. Das kann ich mirim Moment nicht vorstellen. Wir werden aber im Aus-schuss in Ruhe darüber reden.

Besonders interessant finde ich, dass wir so nahe bei-einander sind, wenn wir über die Ziele des Klimaschut-zes reden. Frau Brunkhorst, Ihre Kritik, dass wir hierkein Konzept haben, ist einfach nicht richtig.

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Gabriele Groneberg

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein Ziel unserer Regierung und unserer Koalition – da-ran haben wir vehement gearbeitet – ist der nachhaltigeKlimaschutz. Die jetzige Energieeinsparverordnung istein zentrales Element der Energie- und Klimaschutzpoli-tik der Bundesregierung. Sie selber wissen: Sie dientebenso der Daseinsvorsorge und gibt in Zukunft nochmehr wichtige Impulse für die Baukonjunktur. Wir ha-ben also ein Gesamtkonzept und der Energiepass passthier hervorragend hinein. Wir gehen davon aus, dassdies zu einem Innovationsschub führen wird, der denBeschäftigten in der Bauwirtschaft ganz massiv zugutekommen wird. Mit der Gesetzgebung, die wir vorhaben,schlagen wir schlichtweg zwei Fliegen mit einer Klappe,indem wir diese beiden Elemente miteinander kombinie-ren.

Herr Dörflinger, eines muss ich noch loswerden: Siehaben in Ihrem Antrag im Zusammenhang mit der Dis-kussion über den Gebäudepass von der Bundesregierungeine Reihe von Berichten abgefordert. Ich möchte andieser Stelle darauf hinweisen, dass wir es uns nicht leis-ten können, nicht leisten sollten und nicht leisten wollen,durch ein Einfordern all dieser Berichte das Risiko ein-zugehen – Sie sind anscheinend bereit, ein solcheseinzugehen –, dass sich Verzögerungen bei der zeitlichenUmsetzung ergeben. Ich glaube, wir sollten zügig an dieBeratungen gehen. Wir können dies schaffen. Der Tatsa-che, dass uns Informationen zur Verfügung gestellt wer-den müssen, wird in der Regel nachgekommen. SeienSie ehrlich: Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiternund Mitarbeiterinnen des Ministeriums war doch – Sieselber haben die Baugesetzgebung erwähnt – hervorra-gend.

(Beifall bei der SPD)

Bringen wir es also zügig über die Bühne! Ich glaube,wir werden ein sehr gutes Ergebnis bekommen. Es wäreschön, wenn wir die Entscheidung einvernehmlich hierim Hause treffen könnten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit zu so späterStunde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-fes auf Drucksache 15/5226 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazuanderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten SilviaSchmidt (Eisleben), Angelika Krüger-Leißner,Gudrun Schaich-Walch, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne-ten Ursula Sowa, Volker Beck (Köln), BirgittBender, weiterer Abgeordneter und der Fraktiondes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Stärkung der Künstlersozialversicherung

– Drucksache 15/5119 – Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f)Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Bildung, Forschung und TechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss

Die Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, SilviaSchmidt, Matthias Sehling, Vera Lengsfeld, BirgittBender und Hans-Joachim Otto haben ihre Reden zuProtokoll gegeben.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/5119 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des DeutschenBundestages auf morgen, Freitag, den 15. April 2005,9 Uhr, ein.

Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Besu-cherinnen und Besuchern auf der Tribüne einen schönenAbend.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 20.46 Uhr)

1) Anlage 10

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(B)

Anlagen zum Stenografischen Bericht

Anlage 1Liste der entschuldigten Abgeordneten

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Carstensen (Nordstrand), Peter H.

CDU/CSU 14.04.2005

Dominke, Vera CDU/CSU 14.04.2005

Pieper, Cornelia FDP 14.04.2005

Vogel, Volkmar Uwe

CDU/CSU 14.04.2005

Abgeordnete(r)entschuldigt biseinschließlich

Anlage 2

Namensverzeichnis

der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl des Wehrbeauftragten desDeutschen Bundestages teilgenommen haben

(D)

SPD

Dr. Lale AkgünGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst Bahr

(Neuruppin)Doris Barnett Dr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel

(Berlin)Klaus Barthel

(Starnberg)Sören BartolSabine BätzingUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterUte BergDr. Axel BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding

(Heidelberg)Kurt Bodewig Gerd Friedrich

BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann

(Hildesheim)Hans-Günter

BruckmannEdelgard BulmahnMarco BülowUlla BurchardtDr. Michael BürschHans Martin Bury

Marion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-

GmelinKarl DillerMartin DörmannPeter DreßenElvira Drobinski-

WeissDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelMartina EickhoffMarga ElserGernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagLilo Friedrich

(Mettmann)Iris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf

(Rosenheim)Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl-Hermann Haack

(Extertal)

Hans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann

(Wackernheim)Nina HauerHubertus HeilReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßMonika HeubaumGisela HilbrechtGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann

(Chemnitz)Walter Hoffmann

(Darmstadt)Iris Hoffmann

(Wismar)Frank Hofmann

(Volkach)Eike HovermannKlaas HübnerChristel Humme Lothar IbrüggerBrunhilde IrberRenate JägerKlaus-Werner JonasJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h. c. Susanne

KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus Kirschner

Lars KlingbeilHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Bärbel KoflerDr. Heinz Köhler

(Coburg)Walter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningDr. Hans-Ulrich

KrügerAngelika Krüger-

LeißnerHorst KubatschkaHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange

(Backnang)Christine LehderWaltraud LehnDr. Elke LeonhardEckhart LeweringGötz-Peter LohmannGabriele Lösekrug-

MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkCaren MarksHilde MattheisMarkus Meckel

Ulrike MehlPetra-Evelyne MerkelUlrike MertenAngelika MertensUrsula MoggMichael Müller

(Düsseldorf)Christian Müller

(Zittau)Gesine MulthauptFranz Müntefering .Dr. Rolf MützenichVolker Neumann

(Bramsche)Dietmar NietanDr. Erika OberHolger Ortel Heinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm

PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeKarin Rehbock-

ZureichGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-

HanewinckelWalter RiesterReinhold RobbeRene RöspelDr. Ernst Dieter

RossmannKarin Roth

(Esslingen)Michael Roth

(Heringen)Gerhard Rübenkönig

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15894 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

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(B) (D)

Ortwin RundeMarlene Rupprecht

(Tuchenbach)Thomas SauerAnton SchaafAxel Schäfer (Bochum)Gudrun Schaich-WalchRudolf ScharpingBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyHorst Schmidbauer

(Nürnberg)Ulla Schmidt (Aachen)Silvia Schmidt (Eisleben)Dagmar Schmidt (Meschede)Wilhelm Schmidt (Salzgitter)Heinz Schmitt (Landau)Garsten SchneiderWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserWilfried SchreckOttmar SchreinerGerhard SchröderBrigitte Schulte (Hameln)Reinhard Schultz

(Everswinkel)Swen Schulz (Spandau)Dr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-

WolgastWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesHans-Jürgen UhlRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerUte Vogt (Pforzheim)Dr. Marlies VolkmerHans Georg WagnerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisReinhard Weis (Stendal)Gunter WeißgerberGert Weisskirchen

(Wiesloch)

Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker

Dr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelAndrea WickleinJürgen Wieczorek (Böhlen)Heidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützBrigitte Wimmer (Karlsruhe)Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenWaltraud Wolff

(Wolmirstedt)Heidi WrightUta Zapf Manfred Helmut ZöllmerDr. Christoph Zöpel

CDU/CSU

Ulrich AdamIlse AignerPeter AltmaierArtur AuernhammerDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck

(Reutlingen)Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtDr. Rolf BietmannClemens BinningerRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen

(Bönstrup)Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeHelge BraunMonika BrüningGeorg BrunnhuberVerena ButalikakisHartmut Büttner

(Schönebeck)Cajus Julius CaesarManfred Carstens (Emstek)Peter H. Carstensen

(Nordstrand)Gitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtVera DominkeThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria Eichhorn

Rainer Eppelmann Anke Eymer (Lübeck)Georg FahrenschonIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelEnak FerlemannIngrid FischbachHartwig Fischer (Göttingen)Dirk Fischer (Hamburg)Axel E. Fischer (Karlsruhe-

Land)Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter Flosbach Herbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)Erich G. FritzJochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Peter GauweilerDr. Jürgen GehbNorbert GeisRoland Gewalt Eberhard GiengerGeorg GirischMichael Glos Ralf GöbelDr. Reinhard GöhnerJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldKurt-Dieter GrillReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundKarl-Theodor Freiherr von

und zu GuttenbergOlav GuttingHolger-Heinrich HaibachGerda HasselfeldtKlaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenSiegfried HeliasUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerJoachim HörsterHubert Hüppe Susanne JaffkeDr. Peter JahrDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiBernhard KasterVolker Kauder

Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)

Gerlinde KaupaEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerKristina Köhler (Wiesbaden)Manfred KolbeNorbert KönigshofenHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausMichael KretschmerGünther KrichbaumGünter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner Kuhn (Zingst)Dr. Karl A. Lamers

(Heidelberg)Dr. Norbert LammertHelmut LampBarbara LanzingerKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link (Diepholz)Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold

(Offenbach)Patricia LipsDr. Michael LutherDorothee MantelErwin Marschewski

(Recklinghausen)Stephan Mayer (Altötting)Dr. Conny Mayer (Freiburg)Dr. Martin Mayer

(Siegertsbrunn)Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelFriedrich MerzLaurenz Meyer (Hamm)Doris Meyer (Tapfheim)Maria MichalkHans MichelbachKlaus MinkelMarlene MortlerDr. Gerd MüllerHildegard Müller Stefan Müller (Erlangen)Bernward Müller (Gera)Bernd Neumann (Bremen)Henry NitzscheMichaela NollClaudia NolteGünter NookeDr. Georg NüßleinFranz ObermeierMelanie OßwaldEduard OswaldRita PawelskiDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim Pfeiffer

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15895

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Sibylle PfeifferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht Polenz Daniela RaabThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard (Dresden)Katherina ReicheHans-Peter RepnikKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore RoedelFranz-Xaver RomerHeinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAlbert Rupprecht (Weiden)Peter RzepkaAnita Schäfer (Saalstadt)Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut SchauerteDr. Andreas ScheuerNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckAngela SchmidBernd SchmidbauerChristian Schmidt (Fürth)Andreas Schmidt (Mülheim)Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferKurt SegnerMatthias SehlingMarion SeibHeinz SeiffertBernd SiebertThomas SilberhornJohannes Singhammer

Jens SpahnErika SteinbachChristian von StettenGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl (Heilbronn)Lena StrothmannMichael StübgenAntje TillmannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarko WanderwitzPeter Weiß (Emmendingen)Gerald Weiß (Groß-Gerau)Ingo WellenreutherAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschWilly Wimmer (Neuss)Matthias WissmannWerner WittlichDagmar WöhrlElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerWilli Zylajew

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kerstin AndreaeMarieluise Beck (Bremen)Volker Beck (Köln) Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertJutta Dümpe-KrügerFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef Fell

Joseph Fischer (Frankfurt)Katrin Göring-EckardtAnja HajdukWinfried HermannPeter HettlichUlrike HöfkenThilo HoppeMichaele HustedtJutta Krüger-JacobFritz KuhnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth (Quedlinburg)Monika LazarDr. Reinhard LoskeAnna LührmannJerzy MontagKerstin Müller (Köln)Winfried NachtweiChrista NickelsFriedrich OstendorffSimone ProbstClaudia Roth (Augsburg)Krista SagerChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt (Ingolstadt)Werner Schulz (Berlin)Petra SelgUrsula SowaRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornHans-Christian StröbeleJürgen TrittinMarianne TritzDr. Antje Vogel-SperlDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerJosef Philip WinklerMargareta Wolf (Frankfurt)

FDP

Dr. Karl AddicksDaniel Bahr (Münster)Rainer BrüderleAngelika BrunkhorstErnst Burgbacher

Helga DaubJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeHorst Friedrich (Bayreuth)Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther (Plauen)Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Christel Happach-KasanKlaus HauptUlrich HeinrichBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppJürgen KoppelinSibylle LaurischkHarald LeibrechtIna LenkeSabine Leutheusser-

SchnarrenbergerMarkus LöningDirk Niebel Günther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto

(Frankfurt)Eberhard Otto (Godern)Detlef ParrGisela PiltzDr. Andreas PinkwartDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerDr. Rainer StinnerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeJürgen TürkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker Wissing

Fraktionslose Abgeordnete

Martin HohmannDr. Gesine LötzschPetra Pau

Anlage 3

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Rezzo Schlauch auf die Fragendes Abgeordneten Dirk Niebel (FDP) (168. Sitzung,Drucksache 15/5229, Fragen 23 und 24):

Wie spiegelt sich die Festlegung der Obergrenze auf98 Millionen Euro beim Leistungsumfang für den virtuellenArbeitsmarkt der BA wider angesichts des zunächst mit132,5 Millionen Euro veranschlagten Finanzbedarfs, und wiebeurteilt die Bundesregierung die zunächst deutlich höher ver-

anschlagten Kostenansätze, wenn der Leistungsumfang gleichbleibt?

Ist die vollständige Ablösung der Fachverfahren coArbund COMPAS im Leistungsumfang des Vertrages vom22. Juli 2005 enthalten, und wenn ja, von welchen Kostengeht die BA für die ursprünglich mit 46 Millionen Euro ange-setzten Leistungen für eine vollständige Ablösung aus?

Zu Frage 23:

Wie der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA)bereits vor einem Jahr gegenüber der Öffentlichkeit und

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15896 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005

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(B) (D)

dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit des DeutschenBundestages erklärt hat, wird der virtuelle Arbeitsmarktdie Kosten in Höhe von 163 Millionen Euro bis 2008nicht überschreiten. Die Begrenzung des Auftragsvolumensauf 98 Millionen Euro bezieht sich lediglich auf das Ver-tragsverhältnis zwischen der BA und der Firma Accen-ture. Die Reduzierung der ursprünglich veranschlagtenKosten in Höhe von rund 132 Millionen Euro, die kalku-latorisch den damaligen Planungsstand darstellten undnicht vertraglich festgelegt waren, konnte durch die Ver-kürzung des externen Betriebs auf Juni 2006 statt Fe-bruar 2008 und die Streichung einiger geplanter funktio-naler Elemente, die nicht zur Ablösung der Altverfahrennotwendig oder datenschutzrechtlich kritisch waren (bei-spielsweise Zugang per Handy), erreicht werden. DurchVerhandlungen zwischen der BA und der Auftragnehme-rin, konnten gleichwohl zusätzliche Funktionen im Leis-tungsspektrum belassen werden, so beispielsweise Vor-stufen zur Kundendifferenzierung und fachspezifischenTerminierung.

Zu Frage 24:

Soweit sich die Frage auf die Änderungsvereinbarungzwischen der Bundesagentur für Arbeit (BA) und derFirma Accenture vom 22. Juni 2004 beziehen sollte, soist im Leistungsumfang die vollständige Ablösung derFachverfahren coArb und COMPAS enthalten. Für dieAblösung von coArb und COMPAS durch die Einfüh-rung von VerBIS sind nach Auskunft der BA 56,2 Mil-lionen Euro vereinbart. Nach Auskunft der BA kann einZusammenhang mit dem genannten Betrag in Höhe von46 Millionen Euro nicht hergestellt werden, da dieserBetrag von der BA zu keinem Zeitpunkt kalkuliert oderbekannt gegeben wurde.

Anlage 4

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Rezzo Schlauch auf die Fragender Abgeordneten Dagmar Wöhrl (CDU/CSU)(168. Sitzung, Drucksache 15/5229, Fragen 25 und 26):

Entspricht die bisherige Umsetzung des virtuellen Arbeits-marktes den Erwartungen der Bundesregierung im Hinblickauf das erforderliche Finanzvolumen und die erzielten Verbes-serungen bei der Stellenvermittlung?

Welcher Geschäftsbereich der BA war von der Zeit derAusschreibung bis heute für die Einführung des virtuellen Ar-beitsmarktes zuständig, und wer ist innerhalb des Vorstandesder BA für diesen Geschäftsbereich verantwortlich?

Zu Frage 25:Aus Sicht der Bundesregierung gibt es keine Alterna-

tive als die Stellenvermittlung durch die Bundesagenturfür Arbeit an den technischen Fortschritt, insbesonderedurch das Internet, anzupassen. Da das Projekt „Virtuel-ler Arbeitsmarkt“ insgesamt noch nicht abgeschlossenist, ist eine abschließende Bewertung derzeit nicht mög-lich. Soweit von den Nutzern Verbesserungsvorschlägean die Bundesregierung herangetragen worden sind, sinddiese an die Bundesagentur weitergeleitet und in vielenFällen bereits umgesetzt worden.

Zu Frage 26:

Das Projekt „Virtueller Arbeitsmarkt“ ist bereits aufdas Jahr 2000 zurückzufuhren. Im Zusammenhang mitder Reform der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurdeder organisatorische Zuschnitt der Zentrale (früher:Hauptstelle) mehrfach Veränderungen unterzogen. Da-mit einhergehend hat auch die Zuständigkeit für denVirtuellen Arbeitsmarkt gewechselt. Heute ist innerhalbdes Vorstandes der BA das Mitglied des VorstandesRaimund Becker zuständig.

Anlage 5

Antwort

des Parl. Staatssekretärs Rezzo Schlauch auf die Fragendes Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU)(168. Sitzung, Drucksache 15/5229, Fragen 29 und 30):

Wie hoch waren die in der Antwort des ParlamentarischenStaatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und Ar-beit, Dr. Ditmar Staffelt, auf meine Frage 21 in der Frage-stunde am 16. März 2005, Plenarprotokoll 15/165, S. 15475 (B),erwähnten erheblichen Zahlungsrückstände, die aus dem Bun-deshaushalt entschädigt werden mussten und die bisher aufschriftliche und mündliche Nachfragen beim Parlamentari-schen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft undArbeit, Dr. Ditmar Staffelt, nicht beziffert wurden, und wel-ches Ergebnis hatte die umfassende Restrukturierung der ver-einbarten Finanzkredite?

Was ist unter der „Vereinbarung, die bislang pünktlich be-dient wird“, das Bartergeschäft mit Russland aus dem Jahr1998 betreffend, zu verstehen, und wie hoch sind die Beträge,die jährlich in die Bundesrepublik Deutschland zurückflie-ßen?

Die Überfälligkeiten resultierten aus Russlandge-schäften der Elbewerft Boizenburg über die Lieferungvon Langleinenfangschiffen im Wert von 141 MillionenUS-Dollar. In den Jahren 1993 und 1994 und der Volks-werft Stralsund über die Lieferung von Hecktrawlern imWert von 244,5 Millionen US-Dollar in den Jahren 1994und 1995. Beide Geschäfte wurden aus bundesgedecktenFinanzkrediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau fi-nanziert. Die Rückzahlung der Darlehen war als Projekt-finanzierung konzipiert, d. h. die Darlehen für dieSchiffe sollten aus den Fischereierträgen getilgt werden.Diese Konstruktion scheiterte jedoch. Dadurch kam eszu Überfälligkeiten in Höhe von rund 372 Millionen US-Dollar per 5. April 2002, die aufgrund der übernomme-nen Exportkreditgarantien bereits zum überwiegendenTeil durch den Bund entschädigt werden mussten. Nachumfangreichen Verhandlungen mit der russischen Seitekam es 2002 zu einer einvernehmlichen Regelung. ImRahmen der Restrukturierung wurden neue Kreditver-träge abgeschlossen. Alle Forderungen sind durchStaatsgarantien der russischen Regierung besichert. Da-raus ergaben sich per 5. April 2002 Zahlungsverpflich-tungen von insgesamt 697,7 Millionen US-Dollar ein-schließlich Zinsen in Höhe von 215,6 Millionen US-Dollar. Der russische Darlehensnehmer kommt seinenZahlungsverpflichtungen pünktlich nach. Nach In-Kraft-Treten der Restrukturierung zahlte dieser bisher Til-gungsraten in Höhe von 194,6 Millionen US-Dollar zu-züglich Zinsen. Die letzten Raten sind am 5. April 2011fällig.

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15897

(A) (C)

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Anlage 6

Zu Protokoll gegebene Rede

zur Beratung:

– Antrag: Verbreitung der Kernwaffen ver-hindern und die nukleare Abrüstung stär-ken – Die Überprüfungskonferenz 2005 desAtomwaffensperrvertrags (NVV) zum Er-folg führen

– Beschlussempfehlung und Bericht: Berichtder Bundesregierung zum Stand der Bemü-hungen um Rüstungskontrolle, Abrüstungund Nichtverbreitung sowie über die Ent-wicklung der Streitkräftepotenziale (Jahres-abrüstungsbericht 2003)

– Antrag: Glaubwürdigkeit des nuklearenNichtverbreitungsregimes stärken – US-Nu-klearwaffen aus Deutschland abziehen

(Tagesordnungspunkt 6 a und b, Zusatztages-ordnungspunkt 7)

Petra Pau (fraktionslos): Der Jahresabrüstungsbe-richt der Bundesregierung für das Jahr 2003 belegt: Derangestrebte weltweite Abrüstungsprozess stockt. Erdroht sogar zu scheitern. Das betrifft besonders die Ab-rüstung bei Nuklearwaffen. Mehr noch: Neue Rundenatomaren Wettrüstens wurden eröffnet und die Gefahrwächst, dass weitere Staaten und Organisationen in denBesitz dieser Massenvernichtungswaffen gelangen. An-fang der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts gab esernsthafte Bestrebungen, die Erde bis zur Jahrhundert-wende von Atomwaffen zu befreien. Davon sind wirweiter entfernt denn je und das ist bedrohlich.

Nicht nur die PDS meint: Die Hauptschuld an dieserEntwicklung haben die großen Militärmächte Großbri-tannien, Frankreich, Russland, vor allem aber die USA,die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie blockieren dieAbrüstung, sie beanspruchen ein Atommonopol und siedrehen an der Rüstungsspirale. So lange das so ist, solange sind auch alle Verzichtsappelle an andere Staatenzwielichtig und unehrlich. Deshalb reicht es auch nicht,mit dem Iran zu verhandeln oder Nordkorea zu drohen.Die nukleare Gefahr steckt inmitten der NATO.

Wir begehen in wenigen Tagen den 60. Jahrestag derBefreiung vom Faschismus. Das war zugleich das Endedes Zweiten Weltkrieges – in Europa; in Asien ging ernoch weiter. Vor 60 Jahren, im August 1945, wurden dieersten Atombomben über den japanischen Städten Hi-roshima und Nagasaki abgeworfen. Sie brachten hun-derttausendfachen Tod und anhaltendes Leid.

Der Bürgermeister von Hiroshima hat eine internatio-nale Städte-Initiative „Vision 2020“ angeregt. Sie soll ineinem „Völkergipfel“ in New York münden, den Druckfür unverzügliche Abrüstungsverhandlungen verstär-ken, sodass die Welt spätestens 2020 frei von Nuklear-waffen wird. 215 deutsche Städte haben sich der Initia-tive bereits angeschlossen, darunter auch Berlin undmein Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf. Es wäre hilfreich,

wenn der Bundestag, wenn die Bundesregierung weitereStädte ermutigt, daran teilzunehmen. Die PDS tut es je-denfalls.

Anlage 7

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Antrags: Bürokratieabbau beider Kreditvergabe voranbringen (Tagesord-nungspunkt 17)

Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Auf Antrag derFraktionen der Regierungskoalition hat der DeutscheBundestag in seiner 157. Sitzung am 17. Februar 2005einen Beschluss zur Erleichterung der Kreditvergabevon Banken und Sparkassen gefasst. Die Vorschrift ausdem Kreditwesengesetz zur Offenlegung der wirtschaft-lichen Verhältnisse der Kreditnehmer von Banken undSparkassen wird gelockert.

Worin bestehen die Erleichterungen? Zwei Vereinfa-chungen sind zu nennen:

Erste Erleichterung: Bei einem Kredit mit einem Be-trag von mindestens 750 000 Euro oder aber 10 Prozentdes bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitals des kreditge-währenden Kreditinstituts muss das Institut Einblick indie wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden anhand ge-eigneter Unterlagen nehmen. Bislang betrug der Schwel-lenwert 250 000 Euro. Nunmehr ist der absolute Schwel-lenwert auf das dreifache Niveau angehoben worden.Das bedeutet eine Erleichterung für die Banken undSparkassen, weil sie weniger Kreditunterlagen zu bear-beiten haben. Zugleich werden viele Kreditnehmer ent-lastet, weil sie auf die Einreichung von Unterlagen überihre wirtschaftlichen Verhältnisse verzichten können.Nur bei Großkrediten bleibt die bisherige Offenlegungs-pflicht bestehen.

Der Schwellenwert ist bereits in der Vergangenheit re-gelmäßig angepasst worden, um der Entwicklung imKreditgewerbe Rechnung zu tragen. Er betrug Anfangder 60er-Jahre bei Erlass des Kreditwesengesetzes ganze20 000 DM. Die jetzige deutliche Erhöhung des Schwel-lenwertes erscheint mit Blick auf die im Kreditgewerbeerkennbare Tendenz hin zur Entwicklung interner Ra-ting- und Scoringverfahren bankaufsichtlich vertretbar.Es bleibt jedoch wie bisher dabei, dass die Institute auchbei Kreditvergaben unterhalb des Schwellenwertes ge-halten sind, sich einen hinreichenden Einblick in diewirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmer zu ver-schaffen und dies zu dokumentieren.

Die Anhebung der Schwellenwerte, welche noch imApril in Kraft treten wird – am Tage nach der derzeitvorbereiteten Verkündung des Gesetzes über die Neu-ordnung des Pfandbriefrechts –, ist vom Kreditgewerbeund von der Wirtschaft begrüßt worden.

Zweite Erleichterung: Die praktische Handhabungder Offenlegungsvorschrift wird deutlich vereinfacht.Bereits vor der Beschlussfassung des DeutschenBundestages veröffentlichte die Bundesanstalt für

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Finanzdienstleistungsaufsicht ihre Vorschläge zur Ver-einfachung der praktischen Anwendung und Handha-bung der bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften zurOffenlegung der Kreditunterlagen. Zu den wesentlichengeplanten Erleichterungen zählen: Den Kreditinstitutensoll nunmehr selbst überlassen werden, bei welchen ab-gesicherten Krediten von einer Offenlegung der wirt-schaftlichen Verhältnisse der Darlehensnehmer infolgeder Sicherheiten abgesehen werden kann. Daten aus demInternet können unter bestimmten Voraussetzungen nun-mehr als Kreditunterlagen beigebracht werden. Exis-tenzgründungsdarlehen werden auch ohne Bonitäts-prüfung des Kreditnehmers gewährt. Es gibtErleichterungen bezüglich der Formvorschriften – Un-terschriften – und großzügigere Fristen zur Einreichungder Unterlagen, so die Abgabe der Jahresabschlüsse in-nerhalb von zwölf Monaten nach dem Bilanzstichtag.

Damit nicht genug: Die Verbände des Kreditgewerbesund andere interessierte Kreise haben noch bis EndeApril Gelegenheit, zu den Vorschlägen für die Verwal-tungsvereinfachungen Stellung zu beziehen. Unter Be-rücksichtigung der Anmerkungen aus der Praxis werdendie Leitlinien dann verlautbart werden.

Lassen Sie mich feststellen: Die Fraktionen der Re-gierungskoalition und die Bundesregierung haben spür-bare regulatorische Erleichterungen zur Vergabe vonBankkrediten auf den Weg gebracht. Dieses ist in demAntrag von CDU/CSU gar nicht berücksichtigt. Unab-hängig davon lautet die Frage nunmehr: Sind die einge-leiteten Maßnahmen ausreichend? Sind begleitende oderzusätzliche Schritte zu veranlassen?

Beginnen möchte ich mit der angesprochenen Verein-fachung der Verwaltungspraxis: Auf wiederholte Einga-ben seitens des Kreditgewerbes hat die Bankenaufsichtden Zeitraum zur Abgabe von Stellungnahmen zu denneuen Leitlinien für die Kreditvergabe nochmals verlän-gert. Die zusätzliche Zeit bis Ende April sollte genutztwerden, das „richtige“ Gleichgewicht bei den künftigenRichtlinien auszuloten. Einerseits müssen die Kreditin-stitute darauf vertrauen können, bei der Kreditvergaberechtskonform zu handeln. Andererseits dürfen die Ent-scheidungsspielräume im Einzelfall nicht unzulässig ein-geschränkt werden. Hier sollte ein vernünftiger Mittel-weg angestrebt werden. Das Ergebnis der Fachgesprächezwischen Bankenaufsicht und Kreditgewerbe bleibt ab-zuwarten.

Die bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften für dieKreditvergabe von Banken unterliegen gegenwärtig ei-nem tief greifenden Wandel. Immer stärker in den Vor-dergrund rückt eine risikoorientierte Ausgestaltung derBankenaufsicht. An Bedeutung gewinnen moderne Ver-fahren zur Messung und Steuerung der bankaufsichts-rechtlich relevanten Risiken aus dem Bankgeschäft. Fürdiese Entwicklung steht das Schlagwort „Basel II“. Da-mit ist die gegenwärtige Novellierung der bankaufsichts-rechtlichen Kreditvorschriften auf internationaler Ebeneangesprochen. Der Einsatz moderner Verfahren zur Risi-komessung stellt die Bewertung der Kreditwürdigkeitvon Kreditnehmern auf eine neue Grundlage. Mögli-cherweise reichen die bisherigen Standards für eine ge-

nauere Risikoeinschätzung nicht länger aus. Inwieweitdie derzeitige Offenlegungsvorschrift nach dem Kredit-wesengesetz in Zukunft Bestand haben wird, bleibt imRahmen der Umsetzung von Basel II zu entscheiden.Vonseiten der Fraktion der Regierungskoalition wollenwir diesen Prozess intensiv begleiten.

Ein weiterer bedeutender Gesichtspunkt in diesemZusammenhang ist die Handhabung der bankaufsichts-rechtlichen Offenlegungsvorschriften in anderen wichti-gen Ländern. Hier treten wir für eine stärkere Anglei-chung der nationalen Aufsichtspraktiken ein. Die weitfortgeschrittene Integration des Finanzbinnenmarktesverlangt eine enge Abstimmung zwischen den Bankauf-sehern in Europa. Der neue Europäische Ausschuss fürBankaufsichtsbehörden hat die Aufgabe, die allseits ge-wünschte Angleichung der nationalen Bankaufsichts-praktiken voranzubringen. National unterschiedlicheAufsichtsstandards mit möglicherweise wettbewerbsver-zerrenden Auswirkungen passen nicht zur Idee des Fi-nanzbinnenmarktes. Die Unterschiede sind abzubauen,soweit dieses sachlich geboten ist.

Für eine Verbesserung der Zusammenarbeit der euro-päischen Bankaufsichtsbehörden spricht sich auch dieEU-Kommission aus. Ob hier ein Ergänzungsbedarf mitzusätzlichen Regelungen auf Gemeinschaftsebene be-steht, sollte nach Dafürhalten der Kommission auf derGrundlage von Kosten-Nutzen-Analysen sorgfältig ge-prüft werden. Die Kommission plant, ihre Überlegungenhierzu in Kürze öffentlich zur Diskussion zu stellen. Ausunserer Sicht ist zu begrüßen, dass das Finanzdienstleis-tungsgewerbe und andere interessierte Kreise die Mög-lichkeit zur Stellungnahme erhalten.

Eine zusätzliche Handlungsmöglichkeit in diesemZusammenhang zielt ab auf die Stärkung der Selbstregu-lierung der betroffenen Institute. Für eine größere Eigen-verantwortung der Institute bei der Überprüfung derwirtschaftlichen Verhältnisse der Kreditnehmer plädie-ren einzelne Teile des Kreditgewerbes. Andere Kreisesprechen sich dagegen aus, weil sie auf verbindlicheRechtsnormen keineswegs verzichten möchten. Hiersehe ich in erster Linie die Kreditwirtschaft selbst gefor-dert, praktikable Konzepte zu entwickeln, welche allge-mein anerkannt werden.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Der Antrag derCDU/CSU-Fraktion, der heute zur Beratung vorliegt,bringt weder die beteiligten Kreditinstitute noch die be-troffenen Kreditnehmer in der Sache weiter: Erstens ha-ben Bundesregierung und Bundesanstalt für Finanz-dienstleistungsaufsicht rascher gehandelt, als dieOpposition dies vorausgesehen hat. Insoweit ist der An-trag obsolet. Zweitens greift der Antrag in der Sache zukurz, weil weder die europäische Dimension noch Ver-antwortung und Beitrag der Kreditinstitute selbst thema-tisiert werden. Deshalb lehnen wir den vorliegenden An-trag ab.

Otto Bernhardt (CDU/CSU): Mit unserem Antraghaben wir ein Thema in die parlamentarischen Beratun-gen eingebracht, das jeden Tag an Bedeutung gewinnt.In diesem Zusammenhang ist die Erhöhung des Kredit-

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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2005 15899

(A) (C)

(B) (D)

betrages, bei dem eine Offenlegung der wirtschaftlichenVerhältnisse zwingend erforderlich ist, gemäß § 18 desKreditwesengesetzes ein wichtiger Schritt auf dem Wegezum Bürokratieabbau bei der Kreditvergabe und zumAusgleich von Wettbewerbsverzerrungen im internatio-nalen Bereich, insbesondere in den Grenzregionen zuÖsterreich und den Beneluxländern, wo zum Teil über-haupt keine bzw. deutlich höhere Kreditgrenzen gelten.

Auf eine Anhebung des Schwellenwertes sollte sicheine Reform des § 18 KWG aber nicht beschränken, son-dern sie sollte breiter angelegt sein. Der bestehendeadministrative Aufwand für die Kreditinstitute und dieKreditnehmer ist aufgrund der zum Teil praxisfernenRundschreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-tungsaufsicht zunehmend ausgeufert. Viele Kredit-institute und deren Verbände kritisieren dies seit längererZeit, ohne dass es bisher zu grundlegenden Verbesserun-gen gekommen ist. Dies wird unter anderem durch dieUmfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammer-tages deutlich, an der sich über 300 Kreditinstitute betei-ligt haben. Demnach begrüßen sechs von zehn Institutendie Erhöhung des Schwellenwertes für die Offenlegungder wirtschaftlichen Verhältnisse.

Deutlich wird auch, dass sich die Kritik der Kredit-wirtschaft nicht generell gegen den § 18 KWG richtet.Der Kern der gesetzlichen Regelung wird durchaus ak-zeptiert. Der Wunsch nach einer generellen Beseitigungbesteht in der Kreditwirtschaft nicht, aber über 40 Pro-zent der Kreditinstitute sehen Probleme bei der prakti-schen Anwendung der Ausführungsbestimmungen. Inder Gruppe der Sparkassen sind das sogar über 50 Pro-zent. Im Wesentlichen wird der durch die Ausführungs-bestimmungen der BaFin gesetzte Ermessensspielraumals zu gering angesehen. Hier sind es besonders die klei-neren und mittleren Institute, die Änderungsbedarf se-hen. Die Konsequenzen dieser Ergebnisse sind beson-ders für die mittelständische Wirtschaft nachteilig. Diesbeweist die Tatsache, dass mehr als ein Drittel der klei-neren und mittleren Kreditinstitute von Fällen berichtenkönnen, in denen alleine Unklarheiten über die richtigeHandhabung der Ausführungsbestimmungen zum § 18KWG sowie die Gefahr rechtlicher Sanktionen zuKreditablehnungen geführt haben. Bei diesen Institutenhandelt es sich insbesondere um Institute aus dem genos-senschaftlichen und dem Sparkassenbereich, die be-kanntlich die Hauptfinanzierer des Mittelstandes sind.

Im Interesse der mittelständischen Unternehmen istdaher dringend Handlungsbedarf geboten. Unser Antrag„Bürokratieabbau bei der Kreditvergabe voranbringen“setzt hier an. Die Bundesregierung wird aufgefordert,endlich tätig zu werden und gemeinsam mit der BaFindie entsprechenden Regelungen grundlegend zu über-arbeiten und so den Bürokratieabbau in Deutschlandmaßgeblich voranzubringen. Durch die Reduzierung desadministrativen Aufwands können die bestehendenWettbewerbsnachteile inländischer Kreditinstitute abge-baut werden, um einerseits die Wettbewerbsfähigkeit un-serer Kreditinstitute zu erhöhen und andererseits einenBeitrag zu leisten, die Wirtschaft anzukurbeln.

Nachdem die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit derhier zur Debatte stehenden Initiative aktiv geworden ist,hat die BaFin in einem Schnellschuss am 17. Februar2005 den Entwurf eines Rundschreibens vorgelegt, mitdem die Verwaltungsvorschriften zum § 18 KWG pra-xisgerechter formuliert werden sollten. Leider findenzentrale Punkte keine Berücksichtigung. Um eine wirkli-che Erleichterung herbeizuführen, ist es notwendig, denInstituten erweiterte Spielräume einzugestehen, die eineGeschäftspolitik zulassen, die sich am tatsächlichen Ri-siko orientiert. Ich sage in diesem Zusammenhang deut-lich, dass das Ergebnis keinen Wettlauf um die gerings-ten Offenlegungsvorschriften auslösen darf. DieKreditinstitute benötigen klare und rechtssichere Richtli-nien, die mit möglichst geringem bürokratischen Auf-wand praktiziert werden können.

Als ehemaliger Banker, der Kreditinstitute aus allenBereichen unseres dreigliedrigen Bankensystems gelei-tet hat, will ich abschließend noch auf drei Punkte einge-hen, die im derzeitigen Entwurf des BaFin-Rundschrei-bens aus unserer Sicht verbessert werden sollten undvorweg auf einen Punkt, der die kleineren Kreditinstitutebetrifft:

Die Obergrenze für Kredite, die in Zukunft nichtzwingend zu einer Offenlegung der wirtschaftlichen Ver-hältnisse führen muss, liegt bei 10 Prozent des haftendenEigenkapitals eines Kreditinstitutes. Nach Auskunft desBundesverbandes der Volks- und Raiffeisenbanken ha-ben 300 der insgesamt rund 1 400 genossenschaftlichenKreditinstitute ein Eigenkapital unter 7,5 MillionenEuro, 30 sogar unter 2,5 Millionen Euro. Wenngleichkleinere Kreditinstitute gerade auch ihre größeren Kre-ditengagements sorgfältig auf ihr Risiko prüfen müssen,entsteht hier ein Wettbewerbsnachteil für kleinere ge-genüber größeren Instituten, über den noch einmal nach-gedacht werden sollte.

Eine Erleichterung für Kreditinstitute kann nurerreicht werden, wenn die Regelungen des Rundschrei-bens nicht auch für Kredite unterhalb des neuen Schwel-lenwertes angewendet werden müssen. Der zur Diskus-sion stehende Rundschreibenentwurf schließt dies nichtausdrücklich aus. In diesen Fällen sollte es der Ge-schäftsleitung überlassen sein, inwieweit ein Einblick indie wirtschaftlichen Verhältnisse notwendig ist.

Im internationalen Wettbewerb kann es zu Problemenführen, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse bei Kre-diten an Unternehmen im Ausland ausschließlich nachdeutschen Richtlinien einzureichen sind. Viele ausländi-sche Unternehmen sind häufig nicht in der Lage, gefor-derte Unterlagen, die meist zur Beurteilung der wirt-schaftlichen Situation nicht maßgeblich sind, zeitgerechteinzureichen. Eine Öffnungsklausel, die auch anerkannteausländische Standards als ausreichend ansieht, könntehelfen.

Bei einem Kredit in Höhe von 760 000 Euro, der mit750 000 Euro besichert ist, führen die unbesicherten10 000 Euro zur vollständigen Offenlegungspflicht,während ein unbesicherter Kredit in Höhe von740 000 Euro keinerlei Offenlegungspflichten auslöst.

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Die Anrechnung von Sicherheiten könnte hier Abhilfeschaffen.

Auch über das Thema Sonderprüfungen durch dasBaFin muss noch einmal kritisch nachgedacht werden.In 2003 wurden zum Beispiel bei den Sparkassen106 Sonderprüfungen durchgeführt. Insgesamt sind al-leine in diesem Bereich dadurch Kosten von circa6,5 Millionen Euro entstanden. Die durchschnittlichenKosten pro Prüfung lagen also bei rund 63 000 Euro.Dies sind Belastungen, die insbesondere für kleinereKreditinstitute unverhältnismäßig hoch sind.

Lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen:Da Kreditinstitute im Wesentlichen mit fremden Geldernarbeiten, muss jede Kreditvergabe sorgfältig geprüftwerden. Dabei sollten wir die hohe Kompetenz der Mit-arbeiter im deutschen Kreditwesen und der verantwortli-chen Vorstandsmitglieder nicht unberücksichtigt lassen.

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Die Europäi-sche Union hat der Bundesrepublik Deutschland für die-ses Jahres das niedrigste Wirtschaftswachstum aller EU-Mitgliedstaaten vorhergesagt. Seit Jahren befindet sichDeutschland in einer tiefen strukturellen Krise, die wirnur überwinden können, wenn wir es endlich schaffen,wieder konkurrenzfähig zu werden im Wettbewerb mitden anderen Staaten.

Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir vor allemeine umfassende Befreiung von allen bürokratischen Re-gelungen, die uns lähmen. Wir bedauern ein ums andereMal, dass die Binnenkonjunktur nicht anzieht, weil dieStimmung hier im Land so bedrückend ist, dass sich nie-mand traut, wieder Geld auszugeben. Es fehlt unsschlicht und einfach an Vertrauen in die eigenen Mög-lichkeiten und Fähigkeiten. Eine umfassende Entbüro-kratisierung bei der Kreditvergabe gäbe uns die Mög-lichkeit, ein Signal zu setzen, das wichtig wäre für diedeutsche Kreditwirtschaft und vor allem für die investie-renden Unternehmen.

Ein Kreditinstitut hat vor und während der Kreditge-währung die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers sorg-fältig zu prüfen bzw. zu überwachen, um die Risiken derkonkreten Kreditvergabe abschätzen zu können. Das istund bleibt eine wichtige Maßnahme, die auch zur Stabi-lität des Finanzplatzes Deutschland beiträgt. Schließlichhandelt es sich in der Regel um fremdes Kapital, mitdem in entsprechend verantwortlicher Weise umgegan-gen werden muss.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Einfüh-rung einer vom haftenden Eigenkapital des Kreditinsti-tuts abhängigen Kreditgrenze, ab dem die formalisierteOffenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kre-ditnehmers durchgreift. Ich danke den Kollegen im Fi-nanzausschuss, dass sie den Weg frei gemacht haben füreine Anhebung der Kreditgrenze auf 750 000 Euro in§ 18 KWG und möchte in diesem Zusammenhang daranerinnern, dass wir uns in der Beschlussempfehlung desAusschusses darauf geeinigt haben, dass die bisherigenvier Rundschreiben in einem einzigen konsolidiertenRundschreiben zusammengefasst werden, um die Gele-

genheit für eine Vereinfachung des Inhalts der Rund-schreiben zu nutzen. Davon ist das jetzige Rundschrei-ben der BaFin noch weit entfernt.

Da im Gesetz keine Einzelheiten geregelt sind, wel-che Unterlagen und in welcher Qualität diese Unterlagenvom Kreditnehmer vorzulegen sind, wird diese Konkre-tisierung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleis-tungsaufsicht, BaFin, in Form von Schreiben und Rund-schreiben vorgenommen werden müssen. DieKomplexität und Überregulierung der bankaufsichtli-chen Vorgaben löst zusätzliche Dokumentationspflichtenaus und führt daher zwangsläufig zu einer Verkomplizie-rung der Abläufe und damit zu einer Verlangsamung derEntscheidungsprozesse.

Die Banken müssen natürlich im Rahmen eines aus-geglichenen Wettbewerbes alle von den gleichen Prü-fungsstandards bei der Kreditvergabe ausgehen. Unzu-frieden zeigen sich Banken und Sparkassen aberinsbesondere mit den Ausführungsbestimmungen derBundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. EinDrittel aller Kreditinstitute berichtet von Fällen, in denenallein aus Unsicherheit über die regelkonforme Anwen-dung der Vorschriften – nicht aber aufgrund mangelnderKreditnehmerbonität – Kredite nicht ausgereicht wur-den. Denn ein formaler Verstoß gegen die BaFin-Be-stimmungen kann gravierende aufsichtsrechtliche Fol-gen für Kreditinstitute – bis hin zum Eintritt desHaftungsfalls für Bankenvorstände – nach sich ziehen.Überflüssige und intransparente Bürokratie staatlicherRegulierung im Kreditwesen verschärft damit zusätzlichdie angespannte Finanzierungssituation des Mittelstan-des. Ich bin allerdings der Meinung, dass allein eineÄnderung bei § 18 KWG nicht ausreicht, um den Büro-kratieabbau bei der Kreditvergabe umfassend voranzu-treiben.

Die Zusammenfassung der Mindestanforderungen andas Kreditgeschäft und der Mindestanforderungen andas Risikomanagement darf nicht dazu führen, dass derKreditwirtschaft weitere bürokratische Regelungen auf-erlegt werden. Es bringt überhaupt nichts, auf der einenSeite Vorschriften abzuschaffen und auf der anderenSeite neue Hemmnisse aufzubauen, um dann im Ergeb-nis schlechter zu stehen als vorher. Wir müssen immerdaran denken, dass wir aus Wettbewerbsgründen nichtüber das Maß an Regelungen hinausgehen dürfen, die inunseren Nachbarländern gelten. Die Mindestanforderun-gen an das Kreditgeschäft müssen dahin gehend über-prüft werden, ob sie in einem vernünftigen Verhältniszur Größe des Kreditinstitutes und seiner Eigenkapital-ausstattung stehen. Unsere österreichischen Nachbarnlösen dieses Problem so, dass die Mindeststandards beiKreditgeschäften nur für Institute gelten, die über eineEigenkapitalausstattung von über 30 Millionen Euroverfügen. Für alle darunter sind diese Vorgaben nur eineEmpfehlung. Das ist eine – wie ich denke – auch fürDeutschland denkbare Lösung. Die Kreditwürdigkeits-prüfung muss natürlich erhalten bleiben und höchstenAnforderungen genügen. Ziel einer Entbürokratisierungmuss aber sein, die Mindestanforderungen an das Kre-ditgeschäft deutlich zu reduzieren und auf ein realisier-bares Maß zu beschränken.

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Durch die EU-Erweiterung und die zunehmende Glo-balisierung sehen sich deutsche Kreditinstitute neuenHerausforderungen durch ausländische Konkurrenzinsti-tute gegenüber. Gerade im grenznahen Raum zu Öster-reich ist das Bankgeschäft bereits seit längerer Zeit voneinem starken Wettbewerbsverhältnis geprägt.

Erschwerend kommt für die deutschen Kreditinstitutedie in Teilbereichen immer noch sehr formalistischeAufsichtspraxis der deutschen Bankenaufsicht hinzu. Esentsteht der Eindruck, dass häufig die Einhaltung der ge-setzlichen und bankaufsichtlichen Vorgaben mehr nachrein formalen Kriterien geprüft wird.

Hinzu kommt – und das dürfen wir in diesem Zusam-menhang nicht vergessen –, dass die Bundesanstalt für Fi-nanzdienstleistungsaufsicht ihre gesamten Kosten aus Ge-bühren, Erstattungen sowie ganz überwiegend durch eineDirektumlage, die ebenfalls von den beaufsichtigten Insti-tuten zu tragen ist, deckt. Mit dem Gesetz über die inte-grierte Finanzdienstleistungsaufsicht vom 22. April 2002hat die Bundesregierung jeden Anreiz für eine wirt-schaftliche Haushaltsführung verhindert, da es dem Auf-sichtsgremium egal sein kann, wie viele Prüfungen an-gesetzt werden. Die Kosten werden ja ohnehin komplettvon dem betroffenen Kreditinstitut getragen. Zu eineranteiligen Kostentragung durch die Finanzaufsicht solltedaher umgehend wieder zurückgekehrt werden. DieKosten zum Beispiel der österreichischen Finanzmarkt-aufsicht werden zwar auch zum überwiegenden Teil vonden Beaufsichtigten selbst getragen, doch gewährt dieRepublik Österreich, anders als die BundesrepublikDeutschland, pro Geschäftsjahr einen spürbaren Zu-schuss, der letztlich indirekt zu einem Kostenbewusst-sein in der Öffentlichkeit und bei den Aufsichtsbehördenbeitragen wird.

Notwendig sind flexible Regelungen, die der Risiko-tragfähigkeit des einzelnen Instituts entsprechen undHandlungsspielräume für kaufmännische Erwägungenoffen lassen. Der Sparkassenverband und der DeutscheIndustrie- und Handelskammertag haben bereits Vor-schläge gemacht, die einer weiteren EntschlackungRechnung tragen. Ich gehe davon aus, dass das Rund-schreiben der BaFin § 18 KWG betreffend genau das ist,was es sein soll: zunächst erst mal ein Entwurf, derdurch weitere Verbesserungen das wird, was er werdensollte, nämlich eine Grundlage für eine konkurrenzfä-hige und unbürokratische Kreditvergabe in Deutschland.

Jutta Krüger-Jacob (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Bürokratieabbau im Allgemeinen und im Besonderen imZusammenhang mit der Kreditvergabe sind fundamen-tale politische Ziele der Grünen. Dennoch hätte es dieserDebatte nicht bedurft, da sich der Antrag der Uniondurch aktuelle Entwicklungen inhaltlich größtenteils er-ledigt hat. Bereits Mitte Februar wurde auf Initiative dergrünen Finanzpolitiker der § 18 KWG im Rahmen derNeuregelung des Pfandbriefrechts geändert. Darüber hi-naus hat sich der Finanzausschuss vor zwei Monaten in-tensiv mit der Praxis der Bankenaufsicht befasst. ImFachgespräch mit Vertretern kleiner und großer Bankensowie der BaFin und der Deutschen Bundesbank wurden

die Probleme der Kreditinstitute ausgiebig erörtert. Zu-dem wurden zwischenzeitlich Maßnahmen auf den Weggebracht, um Bürokratie abzubauen und gezielt denadministrativen Aufwand der Kreditnehmer durch dieBaFin zu reduzieren. Von Untätigkeit kann also keineRede sein.

Lassen Sie mich auf die Änderung des § 18 KWGeingehen, mit der die bisherige Offenlegungspflicht beider Kreditvergabe wesentlich erleichtert worden ist. Seit1. April müssen Kreditinstitute erst dann die Offenle-gung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Kreditunter-nehmers verlangen, wenn die Kreditsumme 750 000 Eurobzw. 10 Prozent des haftenden Eigenkapitals der Bankübersteigt. Wir haben den Schwellenwert zwar nicht inder von der Union geforderten Höhe angehoben, aberdennoch den Ursprungswert verdreifacht. Hierdurchwird die Kreditaufnahme für kleine und mittelständischeUnternehmen erleichtert. Infolge des geringeren büro-kratischen Aufwands werden künftig geringere Kostenentstehen, Kredite also billiger werden. Damit wiederumwird ein erheblicher Beitrag zu einer höheren Investi-tionstätigkeit und zu mehr Wachstum geleistet.

Mit den Änderungen des § 18 KWG wurde durchEinführung der 10-Prozent-Regel auch den KreditrisikenRechnung getragen; denn für diese ist das Verhältnis vonKredithöhe und Eigenkapitel des Kreditinstituts von ent-scheidender Bedeutung. Die Anhebung der absolutenOffenlegungsgrenze auf – wie im Antrag gefordert –1 Million Euro ist bei Abwägung aller Interessen derhiervon Betroffenen nicht vertretbar. Es lässt sich nichtwegdiskutieren, dass sich durch die Änderung des § 18KWG der sowieso schon vorhandene Wettbewerbsvor-sprung der größeren Banken gegenüber den kleinerenvergrößern wird, eine Folgeerscheinung, die sich nichtvermeiden ließ. Aber schon unter Wettbewerbsgesichts-punkten wären den kleineren Kreditinstituten die Folgeneines weiteren Anhebens des Schwellenwertes absolutunzumutbar.

Was die Bankenaufsicht durch die BaFin betrifft, ha-ben wir den Prozess zur Reduzierung des administra-tiven Aufwands erst in Gang gebracht. Es wird unsereAufgabe sein, diese Entbürokratisierung und Vereinfa-chung der Aufsicht im Auge zu behalten. Die Lösungunstreitig vorhandener Probleme in dem Verfassen neuerGesetze zu suchen, dürfte derzeit der falsche Weg sein.

Wir sollten uns nichts vormachen: Eines der zentralenHindernisse bei der Mittelstandsfinanzierung ist die Bü-rokratie. Die Bankenaufsicht mit den Anforderungen andie Betroffenen wird häufig als größte Wachstums-bremse bezeichnet. Eine Kritik, die wir – auch wenn sieüberzogen ist – ernst nehmen müssen und die uns zumHandeln zwingt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen,dass – insoweit waren sich alle am Fachgespräch Betei-ligten einig – eine Aufsicht notwendig ist. Deren Quali-tät wird wegen des internationalen Wettbewerbs eine zu-nehmend größere Rolle spielen und den FinanzplatzDeutschland stärken.

Die BaFin hat sich der Kritik gestellt und Maßnah-men getroffen, um durch eine flexiblere Aufsichtspraxisstärker auf die Besonderheiten kleinerer Kreditinstitute

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Rücksicht nehmen zu können. Die Aufsicht als solchewird sich von einer bisher zu sehr quantitativen in einestärker qualitative ändern. Ziel der BaFin ist eine System-aufsicht, die lediglich noch kontrolliert, ob Risikoma-nagements bestehen und funktionieren. Die unternehme-rischen Entscheidungen werden dadurch definitiv nichtinfrage gestellt. Weitere Folge wird sein, dass Prüfungenviel seltener und überhaupt nur noch anlassbezogen er-folgen werden.

Ein konsequentes Umsetzen all dieser Maßnahmenwird nicht nur den Kreditinstituten und Kreditnehmern,sondern unserer gesamten Volkswirtschaft zugute kom-men.

Dr. Volker Wissing (FDP): Die FDP begrüßt dieEntscheidung, die Offenlegungsgrenze nach § 18 desKreditwesensgesetzes auf 750 000 Euro anzuheben. Da-mit können die deutschen Banken endlich wieder mitausländischen Kreditinstituten konkurrieren, die erst beiviel höheren Kreditsummen gezwungen waren, auf eineOffenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kre-ditnehmers zu bestehen. Die alte Offenlegungsgrenzevon 250 000 Euro war ein Anachronisums. Deshalb wares höchste Zeit, diese anzuheben.

Wenn man aber den Lauf der Dinge betrachtet, istman schon etwas irritiert: Da müssen sich zuerst dieBanken beim bayerischen Finanzminister beschweren.Der muss wiederum die Bundesregierung mit einemBrief auf das Problem aufmerksam machen. Erst dannwacht die Bundesregierung auf und tut etwas. Eineaktive Modernisierungs- und Reformpolitik sieht andersaus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Regie-rung muss zum Jagen getragen werden. Ich würde mireinmal wünschen, dass Österreich voller Neid auf deut-sche Regelungen schaut und sie kopiert. Ich würde mirwünschen, dass sich einmal unsere Nachbarländer durcheine mutige und entschlossene Politik der Bundesregie-rung unter Druck gesetzt fühlen. Stattdessen: UnsereNachbarn agieren, Deutschland reagiert. Ich würde mirim Interesse unseres Landes auch wünschen, dass dieBundesregierung mehr auf die Interessen deutscher Ban-ken achtet.

Eine Ausnahme bildet da Frau Kollegin Scheel. FrauScheel gibt sich – laut „FAZ“ vom 9. Februar 2005 –nicht mit der Anhebung der Offenlegungsgrenzen zufrie-den. Nein, sie stellt die Regelung generell infrage. Res-pekt, Frau Scheel! Das wäre sogar richtig mutig, wennIhren Ankündigungen auch Taten folgen würden. Ichwarte gespannt auf den Antrag der Grünen zur Abschaf-fung der Offenlegungsgrenzen. Ich versichere Ihnen: DieFDP wird Sie nicht im Regen stehen lassen. Aus libera-ler Sicht ist es allemal eine Überlegung wert, ob tatsäch-lich der Staat den Banken vorschreiben muss, bei wel-cher Kreditsumme diese auf eine Offenlegung derwirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers beste-hen müssen. Ich bin aber gespannt, wann Ihr Vorstoßkommt. Ebenso gespannt bin ich darauf, wie sie die Risi-ken für die Gesamtwirtschaft bei einer Abschaffung der

Offenlegungsgrenze beurteilen. Die FDP wird Ihren An-trag jedenfalls wohlwollend prüfen.

Auf jeden Fall ist die Anhebung der Offenlegungs-grenze von 250 000 Euro auf 750 000 Euro ein ersterSchritt. Die FDP hat immer deutlich gemacht, dass unseine Erhöhung auf 1 Million Euro lieber gewesen wäre.Aber ein kleiner Schritt ist besser als keiner. Wenn FrauScheel ihren Antrag zur vollständigen Abschaffung derOffenlegungsgrenzen vorlegt, hat sich das Thema viel-leicht schon bald ganz erledigt.

Anlage 8

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung der Anträge:

– Rahmenbedingungen für die industriellestoffliche Nutzung von nachwachsendenRohstoffen in Deutschland schaffen

– Die vielfältigen Potenziale nachwachsenderRohstoffe für die nachhaltige Entwicklungausschöpfen

(Tagesordnungspunkt 12 a und b)

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Fossile Roh-stoffe sind endlich. Sag ich etwas Neues? – Nein! Wirals große Industrienation haben aber trotz allen Wissensnicht konsequent umgesteuert und tun zum Teil immernoch so, als stünden uns fossile Ressourcen in allerEwigkeit zur Verfügung. Das Ziel kann nur heißen: wegvom Öl. Deshalb müssen wir neue Strategien entwickelnund nachhaltig umsetzen. Alternative Energieformenbrauchen daher oberste Priorität!

Ein weiterer Grund für den Einsatz nachwachsenderRohstoffe: Wir haben ein nationales Klimaschutzpro-gramm, um das im Februar in Kraft getretene Kioto-Pro-tokoll zu erfüllen. Die Treibhausgasemissionen sind da-nach bis 2012 um 21 Prozent zu reduzieren. Den CO2-Ausstoß vermindern bedeutet die Chance, einen Klima-kollaps zu vermeiden!

Als Agrarpolitikerin aus dem ländlich geprägten Nor-den Sachsen-Anhalts sehe ich natürlich auch die Arbeits-platzchancen, die sich durch stärkere Positionierung vonnachwachsenden Rohstoffen am Markt ergeben. EineStudie des Ökoinstitutes kommt zu dem Ergebnis, dassbis 2030 etwa 200 000 neue Arbeitsplätze im Bereichder nachwachsenden Rohstoffe geschaffen werden kön-nen. Gerade die neuen Länder mit ihren großen Acker-schlägen sind geradezu prädestiniert, um nachwach-sende Rohstoffe anzubauen.

Ein weiteres politisches Ziel der rot-grünen Bundes-regierung ist es, den Flächenverbrauch einzudämmenund von etwa 130 Hektar pro Tag im Jahre 2000 auf30 Hektar pro Tag im Jahre 2020 zu senken. Heute wer-den immer noch etwa 105 Hektar Fläche täglich fürSiedlung und Verkehr genutzt. Und so begrüße ich essehr, dass durch nachwachsende Rohstoffe Landwirteneue Möglichkeiten sehen und nutzen.

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Politik kann nur Rahmenbedingungen setzen. Unddas hat Rot-Grün seit 1998 auch konsequent im Bereichder nachwachsenden Rohstoffe getan. Erst unter unsererRegierungszeit hatte beispielsweise der Kraftstoff Bio-diesel im Jahre 1999 einen nennenswerten Anteil von100 000 Tonnen. Heute liegt die Produktionskapazitätbei 1,1 Millionen Tonnen. Biodiesel ist schwefelfrei undträgt damit nicht zur Versauerung der Böden bei. DerKraftstoff enthält kein Benzol oder andere aromatischeVerbindungen und im Vergleich zum herkömmlichenDiesel ergibt sich eine Verminderung des Rußanteils um50 Prozent. Und heute sollte schon jeder wissen, dass beider Verbrennung ungefähr so viel Kohlendioxid freige-setzt wird, wie die Pflanze vorher bei ihrem Wachstumaufgenommen hat. Das nenne ich Gleichgewicht! In die-sem Bereich hat die Kohl-Regierung die Zeit total ver-schlafen.

Auch mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, demEEG, haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet, umden Anteil an regenerativen Energien zu steigern. Schaf-fung von neuen Arbeitsplätzen ist auch hier eine Erfolgs-geschichte!

Gesetzliche Rahmenbedingungen sind eines. Politikmuss aber auch durch Forschungsförderung in Entwick-lungsprozesse eingreifen. Letztendlich ist es doch demEhrgeiz der Wissenschaft zu verdanken, dass wir mit un-serem technischen Fortschritt da sind, wo wir jetzt ste-hen. Es ist an der Zeit, diesen Forscherdrang noch stär-ker in die Richtung der nachwachsenden Rohstoffe zulenken und damit auch das Interesse der forschendenWirtschaft – beispielsweise an der stofflichen Nutzungvon nachwachsenden Rohstoffen – zu erhöhen. Das istwichtig, denn wir müssen uns nicht einbilden, dass wirmorgen oder übermorgen auf Erdöl basierende Produkteeins zu eins durch nachwachsende Rohstoffe ersetzenkönnen. Wir brauchen Fortschritte in der Entwicklung!

Bei der stofflichen Nutzung sind Dämm- und biogeneSchmierstoffe absolut wichtige Produktgruppen. Des-halb ist es grundrichtig, hier die Förderung in 2005 wei-terlaufen zu lassen. Die Bundesregierung unterstützt dieProgramme zur stofflichen Nutzung im Rahmen der För-derung der nachwachsenden Rohstoffe mit immerhin53,6 Millionen Euro im Haushalt des Verbraucher-schutzministeriums. Trotz Sparhaushalt haben wir hierin 2005 noch mal etwa 23 Millionen Euro draufgepackt!

Es gibt noch so viel zu erforschen, damit wir Produkteaus Rohöl wirtschaftlich ersetzen können! Hierzu findeich bei der Opposition aber so gar keine Ideen! Deshalbist die Bundesregierung ausgesprochen klug, indem sieim Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie eineKonzeption für den verstärkten Einsatz nachwachsenderRohstoffe erarbeitet. Damit können wir in Zukunft nochbesser die Potenziale biobasierter Produkte nutzen.

Andrea Wicklein (SPD): Die rot-grüne Regie-rungskoalition hat im Energie- und Kraftstoffbereichdie richtigen Weichen gestellt: zur Förderung der mit-telständischen Unternehmenslandschaft, für zukunftsfä-hige Arbeitsplätze und zum nachhaltigen Klimaschutz.

Neben der energetischen Nutzung von Biomasse ge-winnt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Nut-zung nachwachsender Rohstoffe für Bioprodukte immermehr an Bedeutung. Deutschland hat in Forschung undEntwicklung bereits beträchtliche Entwicklungen undErfolge zu verzeichnen und auch weltweit kommt derZug für biobasierte Kunststoffe in Fahrt. In wenigen Ta-gen werden sie auf der Messe Düsseldorf, der Interpack2005, zu sehen sein. Orientiert am Kreislauf der Natur,haben es viele Bioprodukte bereits zur Marktreife ge-bracht. Andere stehen an der Schwelle zu einer breitenMarkteinführung. Ob Plastiktüten, Einmalgeschirr, Klar-sichtfolien oder Textilien – die Besucher der Messe wer-den erleben, dass diese Produkte nicht nur aus Erdöl,sondern auch aus nachwachsenden Rohstoffen bestehenkönnen. Parallel zu den bewährten erdölbasierten Kunst-stoffen entwickelt sich ein neues Marktsegment von Bio-kunststoffen aus Mais, Roggen, Kartoffeln oder Holzund Zuckerrüben.

Es zeigt sich: Ökologie kann wirtschaftlich und Wirt-schaft kann ökologisch sein, wenn unser rohstoffarmesLand die Produktion seiner Rohstoffe auf diese Weisesteigert. Durch den Einstieg in eine Kreislaufwirtschaftschonen wir die fossilen Ressourcen. Durch regenerativeProdukte kommen wir auch dem Ziel der Klimarahmen-konvention näher, die CO2-Emissionen bis zum Jahr2010 um 21 Prozent zu senken.

Erdöl wird knapper und teuer. Die Entwicklung alter-nativer Materialien auf Basis erneuerbarer Ressourcenbietet zusätzliche Chancen: Chancen für die chemischeIndustrie, für die Landwirtschaft, für die Forschung unddamit für Wachstum und Beschäftigung.

Um diesen langfristigen Prozess zu unterstützen,brauchen wir auch in diesem Bereich innovations- undinvestitionsfördernde Rahmenbedingungen. Insgesamtbenötigt die chemische Industrie zur Herstellung chemi-scher Produkte in Deutschland jährlich etwa 14 Millio-nen Tonnen Erdöl. Der Markt für Biokunststoffe istenorm, es gibt eine Vielfalt von neuen Anwendungsbe-reichen. Doch warum schaffen es nur wenige biobasierteProdukte auf den Markt? Ein Modellprojekt in Kasselmit kompostierbaren Verpackungen zeigte einen großenZuspruch in der Bevölkerung. Im Vorfeld dieses Antra-ges habe ich zahlreiche Gespräche mit Wissenschaftlern,mit der Industrie und Verbänden geführt und einen aus-führlichen Dialog gesucht. Dabei wurde deutlich: Allesehen die Wachstums- und beschäftigungspolitischenPotenziale der biobasierten Kunststoffe. Alle sehen de-ren Marktpotenziale. Ich stimme der FDP-Fraktion indiesem Punkt zu, dass wir die Potenziale der Biomassein Deutschland noch nicht annähernd nutzen.

Deshalb brauchen wir eine gemeinsame Strategie imBereich der stofflichen Nutzung von nachwachsendenRohstoffen, keine Strategie, die wir vorgeben, sonderneine, die im engen Dialog mit Industrie, Landwirtschaftund Forschung entsteht. Wenn wir jetzt auch in diesemBereich rechtzeitig die richtigen Rahmenbedingungenschaffen, dann bieten sich für den Wirtschafts- und For-schungsstandort Deutschland exzellente zusätzliche Per-spektiven erstens für die ländlichen Gebiete durch neue

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Produktions- und Einkommensalternativen in einemhoch innovativen Zukunftsfeld, zweitens für unsereHochschulen und Wissenschaftseinrichtungen, weil dortdie wissenschaftlichen und technischen Grundlagen fürdie Nutzung von Biomasse entstehen, und drittens fürdie chemische und verarbeitende Industrie, weil dort dieneuen Marktpotenziale erschlossen und exportfähige Zu-kunftstechnologien entwickelt werden.

Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung dieses Antra-ges, der ein erster Schritt ist. Wir brauchen eine natio-nale, aber auch eine europäische Strategie für Biokunst-stoffe. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Diegroße Bedeutung eines wettbewerbsfähigen Anbausnachwachsender Rohstoffe ist offenkundig, nicht nur fürdie Entwicklung des ländlichen Raumes. Da sind wir unsdoch alle einig. Sowohl für die Weiterverarbeitung in derchemischen-, Bau oder anderen Industrien, als auch fürdie Erzeugung von Bioenergie wird der Pflanzenbau im-mer wichtiger werden. Auch dem Einsatz zur Erfor-schung erneuerbarer Energien wird eine immer größereBedeutung zukommen. Mit den vorliegenden Anträgensollen geeignete Rahmenbedingungen für eine erfolgrei-che Entwicklung aufgezeigt werden. Das ist deshalb be-sonders wichtig, weil bereits einiges Porzellan von Rot-Grün zerschlagen wurde, zum Beispiel beim EEG.

Im EEG sollte es weniger Subventionen für Wind undSonne geben, statt dessen mehr Geld für die Biomasse.Denn die Förderung der Biomasse stärkt vor allem denländlichen Raum. Zudem ist die Stromerzeugung aus Bio-masse qualitativ der aus Wind- und Sonnenenergie weitüberlegen, da Strom aus Biomasse die Grundlast abde-cken kann. Er steht dann zur Verfügung, wenn man daswill und nicht, wenn zufallig gerade einmal der Windweht oder die Sonne scheint.

Kollege Lamp ist ja auf die Chancen schon eingegan-gen. Es ist klarzustellen: Subventionsfrei lohnend ist derAnbau landwirtschaftlicher Produkte in Deutschlandheute nur in seltenen Fällen. Auch deshalb müssen wirdie vorhandenen und sich neu auftuenden Chancen derNutzung von Biomasse in Deutschland konsequent ent-wickeln. Forschung und Entwicklung sind von daherentscheidende Produktionsfaktoren in der deutschenLand-, Forst- und Ernährungswirtschaft. Sie eröffnenPerspektiven für den dauerhaften Erhalt der bäuerlichenLandwirtschaft und können Katalysator für eine erfolg-reiche Entwicklung des ländlichen Raums sein. Diesevorhandenen Perspektiven können aber nur Realität wer-den, wenn in einem innovationsfreundlichen Klima For-schung und Entwicklung stattfinden und nicht von derBundesregierung ohne triftigen Grund verhindert wer-den. Wir müssen nachwachsende Rohstoffe über bio-und gentechnische Verfahren besser erschließen. Dochwie ist die Situation in Deutschland? Die rot-grüne Bun-desregierung sperrt sich leider – vor allem die Grünen –gegen einen verantwortungsvollen Umgang mit dieserneuen Technologie.

Angesichts der schwierigen Ertragssituation, derSchließung vieler Höfe aufgrund der Ökologisierung der

konventionellen Landwirtschaft und der damit verbun-denen Auszehrung des ländlichen Raumes müssen denheimischen Landwirten dringend neue Chancen eröffnetwerden. Es ist vor diesem Hintergrund unverantwortlich,wenn die Bundesregierung die gentechnische Spitzen-forschung in Deutschland aus rein ideologischen Grün-den abwürgt und deshalb wertvolle Forschungsergeb-nisse im Inland nicht zur Anwendung kommen dürfen.Eine solche Politik existenz- und arbeitsplatzvernichten-der rot-grüner Träumereien schädigt nicht nur den For-schungsstandort Deutschland – es gibt weder eine zu-sätzliche Wertschöpfung, noch werden Arbeitsplätzegeschaffen.

Wir brauchen keine Maulkorberlasse für engagierteForscher, wir brauchen keine engstirnige Einengung un-serer Zukunftsperspektiven und wir brauchen auch keinepolitisch produzierten Forschungsideologien. Im Gegen-teil: Wir brauchen eine konsequente Förderung zukunfts-weisender Forschungsprojekte sowie Unterstützung fürdie Erprobung und Anwendung der gewonnenen Er-kenntnisse. Nur mit eigener Initiative kann die deutscheLandwirtschaft als Motor für den ländlichen Raum undGarant für höchste Qualität neue, dauerhaft tragfähigePerspektiven gewinnen. Denn eines ist doch völlig klar:Mit den Anbaumethoden von gestern werden wir nichtdie Märkte von morgen gewinnen können.

Aus diesem Grund ist es sehr zu begrüßen, dass dasLand Sachsen-Anhalt jetzt die Initiative ergriffen hatund versucht, auf dem Weg über das Verfassungsgerichtdas Recht des ländlichen Raumes in Deutschland auf ei-gene Entwicklung einzuklagen, das Recht auf die Nut-zung vorhandener Chancen.

Nach Berechnungen des Deutschen Bauernverbandeskönnten mittelfristig 100 000 neue produktive Arbeits-plätze in der Landwirtschaft entstehen, wenn die Rah-menbedingungen dafür stimmen. Schauen wir doch ein-mal, was in Ihrem Antrag dazu zu finden ist. Sieschreiben darin von der „Notwendigkeit neuer Ansätzein Forschung und Entwicklung“, vom Einsatz für einen„gemeinsamen abgestimmten Handlungsrahmen aufdem Gebiet der biologisch basierten Produkte“ innerhalbder Europäischen Union. Recht haben sie, doch was tunSie?

Sie machen das genaue Gegenteil: Anstatt neue An-sätze in Forschung und Entwicklung zu fördern, verhin-dern Sie die weitere Erforschung und Anwendung derGrünen Gentechnik in Deutschland. Anstatt den gemein-samen Handlungsrahmen zur Entwicklung und Anwen-dung der Grünen Gentechnik in Europa auszufüllen,beschließen Sie im europäischen Alleingang fürDeutschland ein Gentechnikverhinderungsgesetz, ent-werten damit Forschungsergebnisse und vernichten bäu-erliche Existenzen.

Nicht genug damit: Während Sie die Voraussetzungenfür eine eigene Wertschöpfung der Landwirte verhin-dern, reden Sie auch noch von „Markteinführungspro-grammen“ und argumentieren für weitere Subventionen,für weitere planwirtschaftliche Förderprogramme. Da-mit tun Sie alles dafür, dass Landwirtschaft weiter un-rentabel bleibt, dass die Landwirte in Deutschland noch

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enger am planwirtschaftlichen Gängelband der Bürokra-tie geführt werden und der Hoffnungsschimmer auf einerentablere Produktion und eine verbesserte Wettbe-werbsfähigkeit verlischt.

Wären nachwachsende Rohstoffe günstiger als ihreAlternativen, dann brauchten wir keine Markteinfüh-rungsprogramme. Genau so wie die Grünen noch Mitteder 90er-Jahre gegen die Forschung und Erprobungnachwachsender Rohstoffe Sturm gelaufen sind, verhin-dern sie heute die Optimierung des Anbaus nachwach-sender Rohstoffe, die Entwicklung von Pflanzen nachMaß. Die innovations- und landwirtschaftsfeindliche Po-litik von Frau Künast zeigt auch entsprechende Wirkun-gen: Seit Amtsantritt von Rot-Grün sind 165 000 Ar-beitsplätze abgebaut worden. Ich habe es in der Debatteheute Nachmittag auch schon gesagt: Rot-Grün machtarm. Leider bestätigt sich das auch hier wieder ein-drucksvoll.

Geradezu grotesk erscheint vor diesem Hintergrunddie Forderung aus Ihrem Antrag, die Bundesregierungmöge Vorschläge unterbreiten, „wie eventuell weitereHemmnisse für den Einsatz nachwachsender Rohstoffebeseitigt werden können.“ Das größte Hemmnis ist dochdiese Bundesregierung selbst. Sie verhindert durch For-schungsverbote, Anwendungsverbote und Maulkorber-lasse systematisch, dass nachwachsende Rohstoffe ren-tabler werden, dass die Wertschöpfung in unserenlandwirtschaftlichen Betrieben steigen kann. Die natio-nalen Alleingänge, die unseren Betrieben nur Wettbe-werbsnachteile verschaffen, immer mehr Bürokratie undkeine Vorteile für Umwelt und Verbraucher bringen,müssen ein Ende finden.

Politik für nachwachsende Rohstoffe sollte sich nichtdarin erschöpfen, die Planwirtschaft zu optimieren, aufsteuerfmanzierte Förderprogramme zu schielen oderAgrarsubventionen einzustreichen. Es gilt auch und ge-rade vonseiten der Politik verstärkt auf die eigenen Stär-ken zu setzen und bestehende Chancen für wirtschaft-liche Verbesserungen aus eigener Kraft zu nutzen und zuunterstützen. Ein eindeutiges Bekenntnis zur GrünenGentechnik als wichtigem Zweig deutscher Spitzenfor-schung und als Hoffnungsträger für die Landwirtschaftkönnte besonders im jetzigen Einstein-Jahr mithelfen,den ländlichen Raum als Wirtschafts-, Forschungs- undLebensstandort attraktiver zu machen.

Wir brauchen dringend Forschung für die Zukunft,für eine gute Zukunft für uns und unsere Kinder! Wirbrauchen keine Blockaden für den Erhalt von Überkom-menem, für veraltete Anbaumethoden und Ideologienvon gestern. Wir brauchen Wohlstand, Arbeitsplätze undPerspektiven. Wir brauchen eine neue Bundesregierung,je schneller je besser.

Helmut Lamp (CDU/CSU): Die SPD legt einen An-trag vor mit dem Ziel, Rahmenbedingungen für die in-dustrielle stoffliche Nutzung von nachwachsenden Roh-stoffen zu schaffen. Zu Recht wird auf die Verknappungendlicher Ressourcen hingewiesen. Auch die vielfältigenMöglichkeiten der stofflichen Nutzung werden aufge-zählt. Ebenso wird die Chance, tausende Arbeitsplätze

zu schaffen, erwähnt. Doch die Darstellung der enormenBedeutung der biologischen Rohstoffe für die Wirt-schaftsentwicklung unseres Landes vermisse ich ebensowie die Forderung, dass als unbedingte Voraussetzungzur breiten Markteinführung nachwachsender Rohstoffeertragreiche, spezifische Nutzpflanzen zu entwickelnsind.

Die Chancen unserer exportorientierten Wirtschaftdurch stoffliche und energetische Nutzung der nach-wachsenden Rohstoffe werden oft unterschätzt. Dabeigenügt es nicht, allein den deutschen Wirtschaftsraum zubeleuchten; denn dem Anlagenbau und der Produktioneröffnen sich schon bald im gesamten EU-Wirtschafts-raum durch nachwachsende Rohstoffe enorme Möglich-keiten. Einerseits werden steigende Preise der sichschnell verknappenden Rohstoffe für verbesserte Wett-bewerbsfähigkeit regenerativer Rohstoffe sorgen, ande-rerseits werden in wenigen Jahren enorme Flächen in derEU für den Anbau nachwachsender Rohstoffe zur Verfü-gung stehen.

Das kann sich jeder an den Fingern ausrechnen: Zur-zeit werden zur Nahrungsmittelversorgung eines Bun-desbürgers gerade noch 0,22 Hektar Agrarfläche inDeutschland benötigt. Die Produktivität der Landwirt-schaft wird weiter steigen und dies ganz besonders inden Beitrittsländern. Das haben wir mit der Wiederverei-nigung erlebt. Man brauchte weniger als zehn Jahre, umin Ostdeutschland das Ertragsniveau der westdeutschenLandwirtschaft zu erreichen.

Wenn also in gut zehn Jahren jeder EU-Bürger nochetwa 0,30 Hektar Agrarfläche für seine Nahrungsmittel-versorgung beansprucht, werden auf 45 bis 50 MillionenHektar – von den 146 Millionen Hektar landwirtschaftli-che Flächen der erweiterten EU – keine Nahrungsmittel-pflanzen mehr angebaut werden müssen. Oder andersausgedrückt: Argarflächen, die größenmäßig den gesam-ten landwirtschaftlichen Nutzflächen Deutschlands undFrankreichs entsprechen, stehen Jahr für Jahr für die Er-zeugung regenerativer Rohstoffe zur Verfügung – für dieEnergiewirtschaft, für die Chemie, für die Pharmazie,für die verarbeitende Industrie.

Um im künftigen Markt der Nutzung nachwachsenderRohstoffe bestehen zu können, müssen moderne Aufbe-reitungs- und Produktionsanlagen zur Verfügung stehen.Erste Voraussetzung eines erfolgreichen Markteinstiegssind jedoch brauchbare biologische Rohstoffe, die wirheute überwiegend noch aus Nahrungsmittelpflanzen ge-winnen. Neben der Palette der Nahrungsmittelpflanzensind unbedingt ertragreiche Energie- und Rohstoffpflan-zen zu entwickeln, die ganz gezielt ihrer vorgesehenen,manchmal sehr spezifischen Verwendung anzupassensind.

Wir brauchen eine Bündelung der Kompetenzen, dieüber fünf Ministerien verteilt sind, optimierte Energie-pflanzen, spezifische Rohstoffpflanzen, greifende Markt-einführungsprogramme und endlich eine angemesseneForschungsförderung. Gerade 0,66 Prozent der Ener-gieforschungsmittel wurden in den vergangenen zehnJahren der Bioenergie zur Verfügung gestellt.

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Dr. Antje Vogel-Sperl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Warum weg vom Öl und hin zu erneuerbarenRessourcen? Das ist die zentrale Frage. Fossile Roh-stoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle haben unter anderemfolgende hinlänglich bekannte Nachteile:

Erstens. Ihr Verbrauch erzeugt klimaschädliche Emis-sionen, das heißt der Klimaschutz ist das Umweltpro-blem schlechthin.

Zweitens. Sie sind endlich und damit geht die Verteu-erung des Ölpreises einher.

Ich möchte darauf hinweisen: Der Ölpreis hat erst inder vergangenen Woche den Rekord von 58 Dollar proBarrel erreicht. Mittlerweile ist der Preis wieder auf un-ter 50 Dollar gesunken, aber von einer tatsächlichen Ent-spannung kann man keinesfalls sprechen. Ganz im Ge-genteil, wir müssen uns auf einen dauerhaft hohenÖlpreis einstellen.

Fakt ist: Im Schnitt kostete 2005 bisher 1 Barrel48 Dollar. Ein Ölpreis von sage und schreibe 45 Dollarwird vom Bundesverband des deutschen Groß- und Ein-zelhandels mittlerweile als solide bezeichnet. Das heißt,das Erreichen neuer Rekordmarken beim Ölpreis ist mit-tlerweile fast schon alltäglich geworden. Und wer vorzwei oder drei Jahren behauptet hätte, dass der Ölpreisbald dauerhaft über 50 Dollar liegen würde, wäre wohlnur milde belächelt worden. Heute erwarten Expertenlaut einer aktuellen Studie der Investmentbank Goldmanund Sachs innerhalb der nächsten Jahre Preise von über100 Dollar pro Barrel.

Die EU-Kommission und der IWF gehen ebenfallsvon dauerhaft hohen Ölpreisen aus. Und das bedeutet fürdie Konjunktur eine äußerst ernst zu nehmende Gefahr,eine Fortsetzung der Entwicklung vom vergangenenJahr.

Hinzu kommt zum einen, dass die Erdölförderung invöllig instabilen Regionen statt findet, und zum anderen,dass der Bedarf der Schwellenländer wie China oder In-dien gigantisch und unkalkulierbar zunimmt. Das ver-deutlicht alles in allem, dass die Abhängigkeit vomErdöl die Achillesferse unseres Wirtschaftssystems dar-stellt. Daraus folgt ganz klar: Wer eine nachhaltige Ent-wicklung sichern will, muss die Abhängigkeit von fossi-len Rohstoffen reduzieren, das heißt sowohl denRohstoffverbrauch reduzieren als auch die Rohstoffbasisumstellen.

Zusammengefasst: Eine Abkehr von fossilen Res-sourcen ist neben einer ökologischen und friedenspoliti-schen Notwendigkeit mehr und mehr auch eine ökono-mische Notwendigkeit. Folglich kann es nur darumgehen, eine umfassende Strategie aufzuzeigen, die un-sere Abhängigkeit in allen Bereichen angeht, das heißtnicht nur bei Strom und Wärme, sondern auch bei Treib-stoffen und Produkten. Genau das ist Gegenstand unse-res Antrags.

Mit dem EEG hat Deutschland sich zum Vorreiter derFörderung erneuerbarer Energien gemacht. 130 000neue Arbeitsplätze sind durch das EEG in kurzer Zeitentstanden. Das heißt, dass Deutschland sich Schritt für

Schritt den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Ressour-cen bahnt. Die Damen und Herren von der Oppositionverleugnen die Chancen für Innovation und die Schaf-fung neuer nachhaltiger Arbeitsplätze, die mit dieserEntwicklung in Zusammenhang stehen. Sie sind sozusa-gen blind auf diesem Auge.

Rot-Grün hat seit 1998 intensiv die Förderung nach-wachsender Rohstoffe vorangetrieben und damit Per-spektiven für die Landwirtschaft und zahlreiche innova-tive Unternehmen geschaffen. Der von uns jetzteingebrachte Antrag setzt diese Linie der ökologischenModernisierung unseres Landes konsequent fort. Ichmöchte Ihnen die entscheidenden Punkte kurz erläutern.

Erstens. Der Antrag setzt erstmals die wichtige dritteSäule, nämlich die Umstellung der Ressourcenbasisauch im produzierenden Gewerbe, das heißt den Ersatzvon Erdöl in der chemischen und nachgeschalteten In-dustrie, auf die politische Agenda. Die Anträge von derOpposition greifen dagegen viel zu kurz, indem sie sichauf die energetische Nutzung beschränken.

Zweitens. Wir fordern zudem eine Zielsetzung auf eu-ropäischer Ebene bei den biobasierten Produkten als not-wendige Ergänzung zu den europäischen Zielsetzungenbei EE und Biokraftstoffen.

Drittens. Unser Antrag fordert eine deutliche Zuwei-sung der Kompetenz bei der Forschungsförderung, dieEinbeziehung der industriellen stofflichen Nutzungnachwachsender Rohstoffe sowohl bei Forschung undLehre an den Hochschulen als auch in das 7. For-schungsrahmenprogramm der EU.

Viertens. Als zentrales Element fordern wir einen na-tionalen Fahrplan mit allen Akteuren für die schrittweiseUmstellung auf eine Rohstoffbasis aus nachwachsendenRohstoffen und die Aufnahme der industriellen stoffli-chen Nutzung von Biomasse in die Innovationsoffensiveder Bundesregierung.

Fünftens. Wir fordern ganz konkret als sozusagenkostenneutrale Fördermaßnahme den Abbau gesetzlicherHemmnisse für biobasierte Produkte. Hier haben wir mitder Novellierung der Verpackungsverordnung bereits ei-nen ersten wichtigen Schritt getan. Aber das ist ganzklar: Weitere müssen folgen.

Ein weiteres zentrales Element unseres Antrags ist dieFörderung von Bioraffinerien, einer neuen innovativenTechnologie. Bioraffinerien können biotechnologischaus allen verfügbaren Pflanzen, das heißt Heu und Stroh,Getreide, Grünschnitt, und aus Abfallstoffen der Lebens-mittelindustrie, der Land- und Forstwirtschaft, der Bio-tonne sowohl klassische Ausgangsstoffe der chemischenIndustrie als auch hochwertige Produkte wie Biokunst-stoffe sowie Biokraftstoffe, zum Beispiel Bioethanol, er-zeugen, die zudem – und das ist ein entscheidender Plus-punkt – klimaneutral, CO2-neutral sind. Bioraffineriensind aus unserer Sicht eine echte Schlüsseltechnologie,die die Erfolgsgeschichte der Windräder und Photovol-taik fortschreiben wird. Denn Bioraffinerien ermögli-chen eine „intelligente umfassende Nutzung“ von nach-wachsenden Rohstoffen durch die Methode derGanzpflanzennutzung. Eine Diskussion um den Einsatz

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Grüner Gentechnik bei einer derartigen Biomassenut-zung entbehrt im Übrigen jeder Grundlage sowohl öko-nomisch als auch ökologisch. Das heißt, gentechnischveränderte Pflanzen bei der stofflichen Nutzung nach-wachsender Rohstoffe bringen keinen Vorteil, ganz imGegensatz zur Anwendung der Weißen Biotechnologie.Zusammengefasst: Bioraffinerien sind ein echtes Inno-vationsthema mit enormem Potenzial für neue Arbeits-plätze, die Entwicklung der ländlichen Räume und denRessourcenschutz.

Ich kann die Ausführungen der Damen und Herrenvon der Opposition schon hören: Das sei Gängelung derWirtschaft etc. Ich sage Ihnen klipp und klar: SchauenSie einmal über den Horizont Ihrer Klientel, die sich al-lein auf den Aktienkurs der nächsten sechs Monate kon-zentriert, hinaus. Das heißt erstens, Weitblick und einklares Konzept für die langfristige wirtschaftliche Ent-wicklung Deutschlands ist Aufgabe der Politik, und esist zweitens Aufgabe der Politik, jungen, innovativenund vor allem nachhaltigen Technologien mit den geeig-neten Rahmenbedingungen einen fairen Zugang zumMarkt zu schaffen, die wir dann auch exportieren kön-nen. Die Damen und Herren von der Opposition begrei-fen nicht, welche Chancen für Deutschland darin liegen,angesichts der kommenden Entwicklung des Ölpreisesund der Herausforderung des Klimaschutzes, sich zumVorreiter einer nachhaltigen Entwicklung zu machen,welche Chancen für die chemische Industrie, die Auto-mobilindustrie, die Maschinenbauindustrie und dieLandwirtschaft mit einer Umstellung der Rohstoffbasisauf erneuerbare Ressourcen verbunden sind. Damit dasganz klar ist: Ich spreche hier von Chancen für Innova-tion, Arbeitsplätze und die Umwelt.

Unser Antrag zur Förderung der industriellen stoffli-chen Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist ein wichti-ger, notwendiger und konsequenter Schritt auf unseremWeg „Weg vom Öl“. Im Übrigen gibt es für den Ersatzvon fossilen Rohstoffen in der chemischen Industriepraktisch keine andere Alternative als die Nutzung derBiomasse.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die vielfälti-gen Potenziale nachwachsender Rohstoffe werden inDeutschland nur unzureichend genutzt. Die FDP hat inihrem Antrag „Die vielfältigen Potenziale nachwachsen-der Rohstoffe für die nachhaltige Entwicklung ausschöp-fen“ (Bundestagsdrucksache 15/3358) zahlreiche Vor-schläge für die Nutzung nachwachsender Rohstoffegemacht und aufgezeigt, wie wir zu mehr Erfolgen kom-men können.

Weder bei der energetischen noch bei der stofflichenVerwertung nachwachsender Rohstoffe ist bis jetzt derDurchbruch gelungen. Dabei herrscht große Einigkeit,dass die Endlichkeit der fossilen Rohstoffe Erdöl, Erd-gas, Kohle uns zwingen wird, vermehrt nachwachsendeRohstoffe sowohl stofflich wie energetisch zu nutzen.Weiter erfordert der Klimaschutz, dass nachwachsendeRohstoffe die fossilen Rohstoffe ersetzen, damit die wei-tere Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre gestopptwird.

Die Energiebilanz in Deutschland ist traurig: Der An-teil erneuerbarer Energien an der Primärenergieversor-gung beträgt nur 3,6 Prozent. Deutschland nimmt, einerEnergiestatistik des Umweltbundesamtes (UBA) zu-folge, im EU-weiten Vergleich der C02-Äquivalente jeproduzierte Kilowattstunde den viertletzten Platz ein.

Von einer Energiewende sind wir weit entfernt.

Bei der stofflichen Verwertung nachwachsender Roh-stoffe ist es nicht viel anders. Unser wichtigster nach-wachsender Rohstoff ist das Holz. Die Bundeswaldin-ventur hat gezeigt, dass wir Holz im Überfluss haben,nur etwa 60 Prozent des jährlich nachwachsenden Hol-zes wird genutzt, weitere 40 Prozent stehen zur Verfü-gung. In Deutschland werden nur 16 Prozent der Ein-und Zweifamilienhäuser aus Holz gebaut, in den USAsind es 95 Prozent und in Finnland 50 Prozent. Bisherhat die Charta für Holz nicht gewirkt.

Weitere Potenziale der stofflichen Nutzung sieht dieFDP bei den Pflanzenölen im Bereich der Bioschmier-stoffe, bei den Faserstoffen in der Automobil- undBaustoffindustrie, in der Blauen Biotechnologie, derNutzung von Naturstoffen mariner Organismen wieSchwämmen, Tunikaten und Algen.

Damit endlich Fortschritte bei der Nutzung nach-wachsender Rohstoffe erzielt werden, brauchen wir Ini-tiativen auf ganz verschiedenen Politikfeldern:

Nicht alle Naturstoffe sind von Natur aus für die in-dustrielle, stoffliche Nutzung geeignet; die produzierteMenge ist nicht immer ausreichend. Deswegen müssendie Organismen, die diese Naturstoffe produzieren,züchterisch verändert und dadurch die nachwachsendenRohstoffe an die Nutzungserfordernisse angepasst wer-den. Moderne Züchtung schließt die Methoden der Gen-technik mit ein. Die züchterische Weiterentwicklung vonMikroorganismen wie auch von Pflanzen macht Bakte-rien und Pflanzen fit, damit sie verstärkt als Produzentenvon nachwachsenden Rohstoffen genutzt werden kön-nen. Gerade die Forschungsansätze bei Raps und Kartof-feln sind vielversprechend.

Der Bundeskanzler spricht zwar viel von Innovatio-nen, doch die rot-grüne Regierung handelt genau entge-gengesetzt: Das Gentechnikgesetz blockiert die Anwen-dung der Grünen Gentechnik in der Forschung und imAnbau transgener Kulturpflanzen. Die Forschungsförde-rung im Bereich der Grünen Gentechnik ist drastisch re-duziert, Beispiel GABI (Genomanalyse im BiologischenSystem Pflanze), die Ressortforschung wird von Minis-terin Künast behindert, die Ergebnisse, wenn sie demgrünen Weltbild widersprechen, negiert.

Nur eine Forschungsstrategie mit Einbeziehung gen-technischer Methoden wird den nachwachsenden Roh-stoffen zum Durchbruch verhelfen. Der von Rot-Grünvorgelegte Antrag ist auf diesem Auge blind.

Bürokratische und praxisferne Reglementierungen,die der Nutzung nachwachsender Rohstoffe entgegenste-hen, müssen abgebaut werden. Das betrifft Bundes- wieauch Länderregelungen. Im europäischen Binnenmarktsind zum Beispiel die unterschiedlichen Bestimmungen

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zum Gesamtlastzuggewicht ein Fremdkörper, der Wett-bewerbsverzerrungen verursacht.

Im Rahmen der Umsetzung der Energieeinsparver-ordnung müssen bis 2007 etwa 3 bis 7 Millionen Hei-zungsanlagen erneuert werden. Dies ist eine Chance, dieenergetische Nutzung von Holz voranzubringen.

Eine verstärkte Förderung der Forschung im Bereichder nachwachsenden Rohstoffe ist Voraussetzung für de-ren verstärkte Nutzung. Wir kennen noch lange nicht alleNaturstoffe, die zur Nutzung geeignet sind, wir kennennicht deren Wirkungsweise. Daher müssen Grundlagen-forschung und angewandte Forschung zusammenwir-ken. Gleichzeitig muss die Markteinführung neuer Pro-dukte gefördert werden, wenn sie einen Beitrag zurNachhaltigkeit leisten, und überflüssige Reglementie-rungen müssen abgebaut werden. Dann kann die Nut-zung nachwachsender Rohstoffe einen Beitrag zur Nach-haltigkeit leisten und gleichzeitig den ländlichen Raumin Deutschland fördern.

Anlage 9

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung der Anträge:

– Die Entwicklungszusammenarbeit der EUkonstruktiv weiterentwickeln – Effizienzund Nachhaltigkeit verbessern

– Mehr Mut zur Reform der EU-Entwick-lungszusammenarbeit

(Tagesordnungspunkt 14)

Karin Kortmann (SPD): Am gestrigen Mittwochhatte der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung erstmals Gelegenheit, mit dem neu ge-wählten EU-Entwicklungskommissar zu sprechen. Daswar zeitlich umso passender, als wir heute an dieserStelle darüber sprechen, dass die europäische Entwick-lungszusammenarbeit sich den veränderten Bedingun-gen in der einen Welt anpassen muss. Ich begrüße aus-drücklich, dass es gelungen ist, Entwicklungspolitik alseigenständiges Ressort innerhalb der EU-Kommissionzu erhalten. Dass sich der Erhalt durchsetzen konnte, hatsicherlich auch damit zu tun, dass die hartgesottenenKritiker dieses „weichen“ Politikfeldes mittlerweile er-kannt haben, wie wichtig dieses langfristige und nach-haltige Handeln ist.

Wir haben hier im Bundestag über die Parteigrenzenhinweg häufig genug Kritik an der europäischen Ent-wicklungspolitik und an dem zuständigen Kommissargeübt. Gestern nun haben wir die Positionen von HerrnLouis Michel kennen gelernt. Ich freue mich auf die Zu-sammenarbeit mit ihm!

Herr Michel hat große Linien angekündigt – ermöchte Veränderungen erreichen, die darauf zielen, einebessere Koordination zwischen den verschiedenen Poli-tiken der EU einerseits mit einer verstärkten Koopera-tion der Mitgliedstaaten in der EU andererseits zu ver-

einbaren. Dies ist eine Herkulesaufgabe, die er gegennicht geringe Widerstände, auch seiner Ressortkollegin-nen und -kollegen durchsetzen muss. Wir wollen undbrauchen mehr Kohärenz zwischen den verschiedenenPolitikbereichen wie Handel, Agrar-, Außen- und Si-cherheitspolitik und Entwicklungszusammenarbeit Dennauch wir wollen, dass drei wesentliche Ziele erreichtwerden: erstens eine deutliche Steigerung der Effizienzeuropäischer Entwicklungszusammenarbeit, zweitenseine umfassende Erhöhung der Effektivität der Zusam-menarbeit und drittens eine gravierende Änderung beider derzeit mangelhaften Kooperation zwischen und mitden Mitgliedstaaten.

Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaa-ten sind gemeinsam die weltweit größten Geber für Ent-wicklungshilfe: rund 55 Prozent kommen aus den Fi-nanztöpfen der EU. Gleichzeitig sind wir der wichtigsteHandelspartner der Entwicklungsländer. Im kommendenJahr werden das etwa 46 Milliarden Euro sein. Gut8 Milliarden Euro vergibt die EU, den größten Beitragleisten die einzelnen Mitgliedstaaten der EU. Kommis-sar Michel hat am vergangenen Dienstag die Europäi-sche Kommission dazu bewegt, den Mitgliedstaaten einneues sehr ehrgeiziges Ziel zu stecken: Bis 2010 sollendie Finanzmittel durch die Mitgliedstaaten um weitere20 Milliarden Euro erhöht werden, also eine Erhöhungum knapp 50 Prozent. Dieser Forderung können wirdann zustimmen, wenn damit auch die notwendigen Re-formen in der EU-Entwicklungspolitik erfolgreich ein-geleitet sind.

Die Kommission hat sich erstmalig auch zur Mitver-antwortung der neuen EU-Mitgliedstaaten für die Ent-wicklung nicht nur im eigenen Land, sondern auch inden armen Ländern geäußert. Das ist richtig, aber nichtnur einfach zu verordnen, sondern setzt entsprechendeProzesse in den dortigen Ländern und Regierungen vo-raus. Das braucht Zeit.

Das 0,7-Prozent-Ziel allein wird jedoch nicht zur Lö-sung der gravierenden Entwicklungsdefizite in denärmsten Ländern führen. Ich bezweifle insbesondere,dass es mit den derzeitigen Instrumenten möglich ist,den Betroffenen Mittel in die Hand zu geben, um zueiner selbsttragenden Entwicklung zu kommen. Wirbrauchen – und damit komme ich auf meine obigen For-derungen zurück – eine erhebliche Steigerung der Effek-tivität und Effizienz der eingesetzten Mittel auf europäi-scher Ebene.

Wir legen sehr hohe Maßstäbe an unsere nationalenInstitutionen und staatlichen Organisationen bei der Ver-wendung der ihnen vom Steuerzahler zur Verfügung ge-stellten Mittel. Wir stellen immer wieder aus gutemGrund die Sinnhaftigkeit der Instrumente infrage, umweitere Verbesserungen zu erzielen. Wir können deshalbnicht umhin, ebenso hohe Standards auch von den euro-päischen Institutionen und Organisationen zu verlangen.Deshalb verlangen wir in unserem Antrag auch ein sys-tematisches Monitoring und regelmäßige Evaluierungender Programme der Gemeinschaftshilfe. Wir glaubenund wissen aus der nationalen Erfahrung, wie wirksamdies für eine Steigerung der Ergebnisse sein kann.

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Der Entwicklungskommissar hat sich gestern erfreuli-cherweise zu einem weiteren Thema ausführlich ge-äußert, das wir auch in unserem Antrag fordern: dieErstellung von gemeinsamen Länderstrategiepapieren.Das ist ein weiterer wichtiger Hebel, die vorhandenenMittel so einzusetzen, dass Projekte und Programmenicht komplementär wirken, sondern den gewünschtenKohärenzgedanken auch in einem überschaubaren Um-feld verankern. Es wäre beispielsweise denkbar, dass einGeberland eine „Leadership“ für einen Politikbereich ineinem Land oder einer Region übernimmt, in dem esaufgrund seiner historischen Erfahrungen und Verant-wortungen einen komparativen Vorteil gegenüber denanderen Mitgliedstaaten besitzt Das muss nicht für im-mer und alle Zeiten gelten, aber es gäbe dann eine di-rekte Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft. Einesolche Initiative hat Louis Michel angekündigt und ichhoffe, dass es ihm gelingt, dieses umzusetzen. Die so-zialdemokratischen Entwicklungspolitiker und -politike-rinnen werden ihn dabei jedenfalls nach Kräften unter-stützen.

Unterstützung sagen wir auch bei dem Ziel zu, denam stärksten benachteiligten Kontinent wieder stärker inden Blick zu nehmen: Afrika ist mit seinen 58 Ländern,mindestens neun großen innerstaatlichen oder grenz-überschreitenden Konflikten, seinen 900 MillionenMenschen, der durch HIV/Aids derzeit am stärksten be-troffenen Region und einem weit verbreiteten Staatszer-fall in einer Lage, die nicht mehr aus eigener Kraft gelöstwerden kann. Dagegen steht der Rohstoffreichtum, derleider in vielen Ländern nicht für eine zukunftsfähigeEntwicklung genutzt wird, oder das starke Bevölke-rungswachstum, das durch die Aids-Pandemie in seinerKontinuität zerstört wird. Diesen Kontinent mit zusätz-lich finanziellen Ressourcen auszustatten, ist dringendnotwendig und wird von uns unterstützt. Allerdings giltauch hier: Die Regierungen in den Partnerländern müs-sen Gegenleistungen erbringen. Wir können nicht un-konditioniert Mittel in korrupte und unfähige Regime in-vestieren, die kurz darauf auf Schweizer Bankkontenlanden. Es muss unser oberstes Ziel sein, die Lebensbe-dingungen der Bevölkerung zu verbessern, nicht Herr-schaftssysteme zu stützen. Wir sollen Strukturen auf-bauen, die den Menschen auch mittel- und langfristighelfen, ihre Existenz zu sichern, und wir sollten sie nichtmit kurzfristiger Nahrungsmittelhilfe von weiterer Hilfeabhängig machen. Dies ist politisches Handeln der deut-schen Entwicklungszusammenarbeit, es muss auch Leit-linie europäischen Handelns sein,

Das Scheitern der WTO-Konferenz von Cancun hateinmal mehr die Spaltung zwischen Industrie- undEntwicklungsländern offenbart. Wir wollen eine Verbes-serung der Handelsbeziehungen für die Entwicklungs-länder erreichen, vor allem durch den Abbau von Agrar-subventionen. Ich verweise dazu auf das SPD-Papier zurZuckermarktordnung. Oberstes Ziel der Entwicklungs-politik der Gemeinschaft muss die Überwindung vonHunger und Armut sein. Maßnahmen der EU in Berei-chen wie Migration, Kampf gegen den Terrorismus oderbewaffnete Friedenseinsätze bei akuten Konflikten soll-ten jedoch grundsätzlich nicht zulasten der für die nach-

haltige Bekämpfung von Hunger und Armut bereitge-stellten Ressourcen verfolgt werden. Kommissar Michelteilt unsere Kritik, die wichtige Aufgabe der afrikani-schen Friedensfazilität aus dem Europäischen Entwick-lungsfonds zu finanzieren. Deutschland hat viele Kom-petenzen für die Zusammenarbeit in und mit der EUanzubieten: Seien es die guten Erfahrungen der Durch-führungsorganisationen wie auch das Know-how vonentwicklungspolitischem Fachpersonal aus Deutschland.Hier wünschen wir uns eine stärkere Präsenz. Eine ver-besserte und arbeitsteilige Zusammenarbeit zwischenden nationalen und EU-Durchführungsorganisationen istdringend erforderlich.

Ich bitte Sie deshalb, sich unserem Antrag anzuschlie-ßen, die Entwicklungszusammenarbeit der EU konstruk-tiv weiterzuentwickeln und Effizienz und Nachhaltigkeitzu verbessern,

Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Nicht zum erstenMal diskutieren wir heute in diesem Hause Entwicklun-gen in der EU-Entwicklungszusammenarbeit, und leiderunterscheidet sich das, was zu diesem Thema gesagtwerden muss, nicht wesentlich von dem, was wir alsCDU/CSU-Fraktion bereits zu früheren Zeitpunkten zurEU-EZ gesagt haben. Die beiden heute zu behandelndenAnträge stammen aus den Jahren 2003 bzw. 2004. Be-dauerlicherweise muss man jedoch konstatieren, dasssich an den in unserem Antrag aufgezeigten Problemender EU-EZ bis heute wenig geändert hat: So beobachtenwir zum Beispiel trotz der Gründung von Europe-Aidnach wie vor ein Zuviel an Bürokratie bei der Mittelver-gabe und müssen eine mangelnde Abstimmung mit denPolitiken der Mitgliedstaaten bzw. mit den anderenFachpolitiken der EU beklagen. Dies und andere Fakto-ren verhindern nach wie vor eine effektivere und effi-zientere Entwicklungszusammenarbeit der EuropäischenUnion.

Dabei haben Rat und Kommission schon im Jahre2000 in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten, dasssich die EU-EZ insbesondere an den so genannten dreiKs, nämlich Koordination, Kohärenz und Komplementa-rität, messen lassen muss. Daneben wollte die EU ihreAktivitäten auf insgesamt sechs Bereiche konzentrieren,die einen besonderen Beitrag bei der Armutsbekämp-fung leisten können, und zwar auf folgende: den Zusam-menhang zwischen Handel und Entwicklung, regionaleIntegration und Kooperation, Unterstützung der makro-ökonomischen Politik und Förderung eines gleichbe-rechtigten Zugangs zu sozialen Diensten, Transportsys-teme, Ernährungssicherheit und nachhaltige ländlicheEntwicklung sowie Ausbau der institutionellen Kapazi-täten. Wenn man nun fünf Jahre nach dieser Erklärungeine Beurteilung der EU-EZ vornimmt, so fällt die Bi-lanz eher dürftig aus.

Multilaterale Entwicklungszusammenarbeit bekommtnur dann einen Sinn, wenn sie gegenüber den nationalenPolitiken einen Mehrwert schafft, sie insofern also jeneLücken schließt, die durch nationale Maßnahmen nichtbzw. durch gemeinschaftliches Handeln besser geschlos-sen werden können. Betrachtet man jedoch das

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umfassende Sammelsurium an Aktivitäten, die sich dieEU auf ihre entwicklungspolitische Agenda geschriebenhat, so muss man feststellen, dass auf europäischerEbene mal wieder gehörig über das Ziel hinausgeschos-sen wird. Der deutschen Bundesregierung ist es bishernicht gelungen, den vollmundigen Ankündigungen desheute hier behandelten rot-grünen Antrages Taten folgenzu lassen und diesem entwicklungspolitischen Wild-wuchs der EU Einhalt zu gebieten.

Es ist schon besorgniserregend, dass es im Rahmeneiner Brüsselreise unserer Arbeitsgruppe nicht einmalhochrangigen Angehörigen der zuständigen Generaldi-rektion gelungen ist, uns praktische Beispiele für wirk-lich komplementäre Aktivitäten der EU-EZ zu liefern.Auch die gestern durchgeführte Anhörung von Kommis-sar Louis Michel in unserem Ausschuss hat an dieserEinschätzung wenig geändert. Dabei liegt es doch aufder Hand, wie eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischenEU und Mitgliedstaaten aussehen könnte. So wäre es imSinne der Komplementarität denkbar, die Aktivitäten derEU einerseits auf jene Länder zu fokussieren, in denendie Mitgliedstaaten selbst nicht bzw. nicht mehr enga-giert sind. Andererseits könnte sich die EU auf die Un-terstützung von Maßnahmen konzentrieren, die ohneeine finanzielle EU-Einbindung gar nicht zustande kä-men.

Dies würde einen wichtigen Beitrag leisten, damit dieEU-EZ tatsächlich einen komplementären Charakter be-kommt. Die Bundesregierung muss endlich ihrer Verant-wortung für eine effektive und effiziente EU-EZ gerechtwerden und auf dem europäischen Parkett für die Durch-setzung des Komplementaritätsgrundsatzes sorgen. Vie-les von dem, was die EU heute im Bereich der Entwick-lungspolitik betreibt, könnte von den Mitgliedstaatenwesentlich besser durchgeführt werden. Ich möchte des-halb die Bundesregierung bei der Mitgestaltung der EU-EZ ausdrücklich daran erinnern, dass sich der Subsidia-ritätsgedanke auch auf die Entwicklungszusammenarbeitbezieht.

Leider ist es nicht nur die mangelhafte Berücksichti-gung der Komplementarität, die wir bei der Betrachtungder EU-EZ bemängeln müssen. Auch eine Beurteilungder Kohärenz zwischen den verschiedenen Fachpolitikenfällt in zahlreichen Fällen negativ aus. Dabei ist es nichtnur die mangelnde Abstimmung zwischen der Entwick-lungszusammenarbeit einerseits und der Handels- undAgrarpolitik andererseits, die hier ins Auge fällt. So be-rühren auch die Migrationspolitik und die Umweltpolitikdie Entwicklungszusammenarbeit in vielerlei Hinsicht.

In ihrem Konsultationspapier zur Fortentwicklung derEU-EZ hat die Kommission selbst darauf hingewiesen,dass zwischen diesen Politikfeldern viele Synergien undVerbindungen bestehen, die auf europäischer Ebenenoch nicht hinreichend berücksichtigt sind. Nennenmöchte ich hier zum Beispiel die Diskussion um Brain-drain bzw. Braingain sowie die Verbesserung des Um-weltmanagements in unseren Partnerländern. Wir kön-nen unsere Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnernnur erhalten, wenn wir ihnen endlich die Chance zurnachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung einräumen.Ein kohärentes Handeln in der Entwicklungszusammen-

arbeit und in vielen anderen Politikfeldern, in denen dieEU Kompetenzen besitzt, ist dabei von entscheidenderBedeutung.

Darüber hinaus ist auch die Koordination der EU-EZmit den jeweils nationalen Entwicklungspolitiken nachwie vor alles andere als zufriedenstellend. Daran ändertauch die Tatsache nichts, dass die Kolleginnen und Kol-legen von Rot-Grün in ihrem Antrag die Ansätze derBundesregierung zur Synchronisation von nationalerund europäischer Entwicklungszusammenarbeit überden grünen Klee loben. Wie gering sind eigentlich ihreAnsprüche geworden, wenn ihnen bereits Bemühungenohne jegliche Ergebnisse ausreichen, um dieser Regie-rung ein gutes Zeugnis ausstellen? Tatsächlich passiertist doch so gut wie gar nichts in diesem Bereich! Unsereeigenen Durchführungsorganisationen sowie eine Viel-zahl an NROs beklagen immer wieder die nach wie voreklatanten Koordinationsdefizite zwischen supranationa-ler und nationaler Entwicklungszusammenarbeit.

Die Bundesregierung muss auch hier Verantwortungübernehmen und dafür sorgen, dass die Aktivitäten in-nerhalb der EU endlich besser aufeinander abgestimmtwerden. Genau dies ist eine Aufgabe, die die EU als zen-traler Akteur im Grundsatz besser erfüllen kann als dieeinzelnen Mitgliedstaaten. Doch auch in diesem Bereichsind die Ergebnisse bisher enttäuschend.

Ein weiterer Schwachpunkt der EU-EZ ist die nichtmehr zu rechtfertigende Sonderbehandlung der AKP-Staaten. Diese Sonderbehandlung ist sachlich falsch undmuss deshalb umgehend aufgehoben werden. Im Gegen-satz zu unserem problematisiert der rot-grüne Antragdiese Tatsache leider überhaupt nicht.

Mit unserer Forderung nach einer Beendigung derSonderbehandlung der AKP-Staaten sind wir keinesfallsisoliert. In vielen Gesprächen, die wir geführt haben, be-fürworteten auch NROs sowie Kommissionsvertreterimmer wieder eine Änderung des bisherigen Kurses. DasCotonou-Abkommen, das bis 2020 die Handelsbezie-hungen zwischen der EU und den AKP-Staaten regelt,sieht nach wie vor einseitige Handelspräferenzen vorund läuft damit den Regelungen der WTO zuwider. Waswir brauchen, ist keine regionale Parzellierung der euro-päischen EZ, sondern die Etablierung eines einheitli-chen, WTO-konformen Systems auf europäischerEbene, welches nicht zwischen den unterschiedlichenPartnerstaaten der EU diskriminiert.

Die Europäische Kommission hat zu Beginn diesesJahres einen umfassenden Konsultationsprozess über dieZukunft der europäischen Entwicklungszusammenar-beit in Gang gesetzt. Dabei betont sie richtigerweise dieNotwendigkeit einer engen Verzahnung von Entwick-lungspolitik einerseits und Außen- und Sicherheitspoli-tik andererseits. Denn der Zusammenhang zwischen Ar-mut und politischer Instabilität ist offensichtlich: Vonden 60 ärmsten Ländern der Welt ist rund die Hälfte vonbewaffneten Konflikten betroffen, wobei Armut sowohlUrsache als auch Folge kriegerischer Auseinanderset-zungen ist. Eine Integration von Konfliktprävention undKrisenbewältigung ist demnach zweckmäßig und liegtzu Recht auch der aktuellen Sicherheitsstrategie der EUzugrunde.

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So richtig es ist, diese beiden Bereiche zu verzahnen,so richtig ist es aber auch, festzustellen, dass die Ent-wicklungszusammenarbeit über Sicherheitsaspekte hi-naus wichtige Aufgaben zu erfüllen hat. Die Bekämp-fung von Armut dient auch, aber eben nicht nur derBefriedigung von Sicherheitsbedürfnissen. Deshalb– und auch hier ist die Bundesregierung gefordert –muss die institutionelle und finanzielle Eigenständigkeitder EU-Entwicklungszusammenarbeit auch in der Zu-kunft unbedingt gewahrt bleiben. Die notwendige Ab-stimmung zwischen den Politikbereichen darf nicht dazuführen, dass die Entwicklungszusammenarbeit aus-schließlich für außen- und sicherheitspolitische Belangeinstrumentalisiert wird. Dass eine solche Gefahr durch-aus bestehen könnte, dokumentiert auch der aktuelleEU-Haushalt. Aus diesem wird ersichtlich, dass nurBruchteile der insgesamt für entwicklungspolitischeMaßnahmen zur Verfügung stehenden Mittel in Bereichewie Grundbildung und medizinische Basisversorgungfließen, die aber für den Aufholprozess unterentwickel-ter Volkswirtschaften eminent wichtig sind.

Die Bundesregierung darf hier nicht die Hände in denSchoß legen, sondern muss dringend auf solche Miss-stände hinweisen. Genauso muss sie verhindern, dass dienach außen gerichteten Aktivitäten der EU sich nur nocheinseitig von sicherheitspolitischen Interessen leiten las-sen. Dass es Tendenzen in dieser Richtung gibt, daraufdeutet zum Beispiel auch die neue Nachbarschaftspolitikder EU hin. Diese darf nicht dazu führen, dass immerweniger EU-Mittel für jene armen und ärmsten Staatender Erde verausgabt werden, die für uns sicherheitspoli-tisch vielleicht nicht so interessant sind wie andere Län-der, aber dafür umso hilfsbedürftiger sind.

Aber es ist sicherlich nicht davon auszugehen, dassdie Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün gerade aufeuropäischer Ebene für eine bessere Entwicklungszu-sammenarbeit sorgen, wenn ihnen das schon im nationa-len Kontext nicht gelingt. Dabei zeigen uns doch dieZahlen eindrucksvoll, dass wir bei der Armutsbekämp-fung endlich vorankommen müssen: Nach Untersuchun-gen der UNCTAD hat sich die Anzahl der in absoluterArmut lebenden Menschen in den letzten 30 Jahren na-hezu verdoppelt, und wenn sich die Entwicklung weiterfortsetzt, werden im Jahr 2015 weltweit über400 Millionen Menschen mit weniger als 1 Dollar proTag auskommen müssen. Dies sind etwa ein Drittel mehrPersonen als heute. Besonders besorgniserregend ist dieSituation im südlichen Afrika, wo nach VN-Angaben beieiner Fortführung der bisherigen Anstrengungen von In-dustrie- und Entwicklungsländern die Millenniumszieleerst im Jahr 2165 erreicht werden.

So lange können, so lange dürfen wir nicht warten.Wir müssen jetzt handeln und die Entwicklung in unse-ren Partnerländern vorantreiben durch eine effektive undeffiziente bilaterale, aber auch multilaterale Entwick-lungszusammenarbeit auf europäischer Ebene.

Die letzten sechs Jahre wurden von Rot-Grün jedochweitgehend ungenutzt gelassen. Anstatt eine Entwick-lungszusammenarbeit zu betreiben, die im InteresseDeutschlands und seiner Partner liegt, streicht diese

Bundesregierung die Mittel für die bilaterale EZ immerweiter zusammen und setzt verstärkt auf ein multilatera-les Vorgehen, das häufig vollkommen ungeeignet ist, un-sere entwicklungspolitischen Zielsetzungen zu errei-chen. Es ist schon höchst bedauerlich, wenn mittlerweileLänder wie Frankreich, Großbritannien und Norwegenim Verhältnis zu ihrem jeweiligen Sozialprodukt mehrfür die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben alsDeutschland.

Dass diese Bundesregierung die aktuellen Pläne desEU-Entwicklungskommissars für die Mitgliedstaatender EU 15 erfüllen kann, bis zum Jahr 2010 mindestens0,56 Prozent des BIP für die Entwicklungszusammenar-beit zur Verfügung zu stellen, erscheint wenig realis-tisch. Deshalb wird es höchste Zeit, dass wir als CDU/CSU-Fraktion zukünftig wieder die entwicklungspoliti-sche Verantwortung übernehmen, um die nationale undeuropäische Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig zuverbessern.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): DieReform der EU-Entwicklungszusammenarbeit ist ein gu-tes Stück vorangekommen, die Dezentralisierung zeigtFrüchte, der Mittelabfluss des EEF hat sich verbessert.Die Bundesregierung hat sich stets dafür eingesetzt, dieEU-Entwicklungspolitik auf das Oberziel Armutsbe-kämpfung auszurichten, auch hier hat sich einiges getan.

Bei der Umsetzung der Armutsbekämpfung muss dieEU aber noch konkreter werden. Ich möchte bereitsheute anmahnen, dass die Bekämpfung von Hunger undArmut in den neuen Finanzperspektiven für 2007 bis2013 eine Priorität bleiben muss. Wir müssen die strate-gische Ausrichtung der EU-Entwicklungspolitik auf dieMillenniumsziele sogar noch verbessern und EU-Kom-missar Michel beim Wort nehmen, der sich ja gestern beider Anhörung für mehr Kohärenz ausgesprochen hat.Auch die Agrarpolitik und Handelspolitik der EU mussder Zielsetzung der EU-Entwicklungspolitik entspre-chen. Und da liegen zwischen Anspruch und Wirklich-keit leider noch Welten.

Aber auch innerhalb der EU-Entwicklungspolitik gibtes noch Reformbedarf. Um beim Aufbau einer nachhal-tigen Wirtschaft in den Entwicklungsländern und bei derArmutsbekämpfung noch effizienter zu arbeiten, mussdie Partizipation der Zivilgesellschaft verstärkt werden.Hierfür gilt es, den Aktionsplan zur Beteiligung derZivilgesellschaft im Rahmen des Cotonou-Abkommensmit Leben zu erfüllen. Es gilt aber auch, Antrags- undBewilligungsverfahren für europäische NROs zu verein-fachen und transparenter zu machen. Aber da hat ja auchder neue EU-Entwicklungskommissar gestern eineMenge versprochen. Deshalb bin ich auf diesem Gebietauch optimistisch. In Hinblick auf die EU-Osterweite-rung ist es dringend geboten, die Sensibilität für Ent-wicklungsfragen in diesen neuen Ländern zu stärken.Dies sollte durch einen verstärkten Austausch im Rah-men der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, durchdie technische Beratung unserer Vorfeldinstitutionen,aber auch durch eine starke Beteiligung der Zivilgesell-schaft geschehen.

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Ich habe bereits erwähnt, dass sich der Mittelabflussdes EEF verbessert hat. Es könnte jedoch noch effizien-ter und vor allem noch schneller laufen. Die Qualitätbraucht darunter nicht zu leiden. Die bisherigen Erfolgedurch eine Verstärkung der personellen Präsenz vor Ortund eine zügige Umprogrammierung der Mittel im Falleschlechter Performer sind ausbaubar. Dass die EU sichtatkräftig an globalen Initiativen wie HIPC, dem Globa-len Gesundheitsfonds oder dem Nachfolgeprozess vonJohannesburg beteiligt, ist aus meiner Sicht richtig.Auch eine verstärkte Nutzung der Budgethilfe, immerdort, wo dies qualifiziert machbar ist, finde ich gut.

In Hinblick auf den EEF haben wir in unserem Antragauf ein ganz zentrales Problem hingewiesen: Es ist zugewährleisten, dass die Mittel zur Erreichung entwick-lungspolitischer Ziele adäquat eingesetzt werden, um zuverhindern, dass Entwicklungsgelder der EU im Rahmender Bewältigung immer neuer Aufgaben für sicherheits-politische oder militärische Einsätze zweckentfremdetwerden. Dort, wo es sinnvoll ist, EU-finanzierte Frie-densmissionen zu unterstützen, müssen diese durch ei-genständige Finanzierung abgesichert sein. Eine entspre-chende Budgetlinie ist in der finanziellen Vorausschau2007 bis 2013 einzurichten. Auch für dieses Vorhabenwill sich Louis Michel ja persönlich einsetzen. Als eineder wichtigsten Herausforderungen verbleibt für die EU,Entwicklungs- und Handelspolitik kohärenter zu ma-chen. Die EU-Handelspolitik darf nicht den Zielen ihrerEntwicklungspolitik widersprechen. Deshalb ist es soenorm wichtig, dass sich die EU in der WTO-Runde„entwicklungsfreundlich“ verhält. Dies gilt auch fürbiregionale Verhandlungen und ganz besonders für dieEPAs, die Economic Partnership Agreements. Wir wol-len, dass hier genau das geschieht, was wir schon in un-serem WTO-Antrag von Mitte 2003 hervorgehoben ha-ben: Entschiedene Schritte der Beendigung von EU-Agrarexportsubventionen, qualifizierte Marktöffnungund Abbau der Zolleskalation für Schlüsselprodukte derEntwicklungsländer. Diese entwicklungsfördernden Zu-geständnisse dürfen auf der anderen Seite nicht, wie dasgerade passiert, durch eine Singapur-Agenda für EPAserzwungen werden. Die Singapur-Themen, Investitions-abkommen, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungs-wesen, gehören nicht auf die Agenda der EPA-Verhand-lungen.

Dass die EU in der Lage ist, durch Subventionsabbaufrei werdende Gelder für Entwicklungsaufgaben einzu-setzen und damit eine doppelte Dividende zu erzielen,werden wir – so hoffe ich sehr – in Kürze im Rahmender EU-Zuckermarktordung erleben. Die Agrarexport-subventionen auf Null zu fahren – und einen wesentli-chen Teil der dadurch frei werdenden Mitteln den AKP-Staaten und den LDCs geben, damit sie durch die Um-stellung ihrer Wirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Ar-mutsbekämpfung leisten können – wäre ein prima Signalaus Europa, ein Signal, das jetzt einfach dran ist!

Markus Löning (FDP): Die FDP begrüßt die vomneuen Kommissar Louis Michel mit Tatkraft und vielEnergie angegangene Reform der EU-Entwicklungspoli-tik hin zu mehr Effizienz. Wir begrüßen es insbesondere,

dass er das unter seinem sozialistischen Vorgänger PoulNielsen begonnene und ausufernde Beratungs- und Eva-luierungsunwesen zurückfahren will. Dies hat viel ge-kostet und nichts gebracht. Nicht Gutachten werden ge-braucht, sondern entschlossenes politisches Handeln.Dafür ist der Liberale Louis Michel der richtige Mann.Als ehemaliger Außenminister wird er seinem Ressortwieder Farbe und Format geben. Wir unterstützen ihnauch deshalb, weil er die Entwicklungspolitik als genui-nen Bestandteil der Außenpolitik begreift, der kein Mau-erblümchendasein führen darf.

Ein EU-Kommissar muss die Beschlüsse von Rat undParlament ausführen. Hier gibt es natürlich auch Punkte,die wir kritisch betrachten. So halten wir die auch vonder EU postulierte Festlegung auf eine ODA-Quote von0,51 Prozent bis 2010 und 0,7 Prozent bis 2015 für so-wohl unrealistisch als auch für nicht wünschenswert, so-lange bestehende Effizienzreserven im System nicht aus-geschöpft werden. Darüber hinaus sagen wir auch klar,dass Deutschland bei der derzeitigen jährlichen Neuver-schuldung keinerlei zusätzliche Mittel aufbringen kann.

Statt immer mehr Mittel in ein kaum reformiertesSystem zu pumpen, fordert die FDP, die EU-Entwick-lungprojekte konsequent aus den Middle Income Coun-tries – MIC – abzuziehen und sie statt dessen auf dieLow Income Countries – LIC – zu konzentrieren. Diesefinden sich zum ganz überwiegenden Teil in der RegionSubsahara-Afrika.

Wir begrüßen es, dass Kommissar Michel sich mit al-lem Gewicht dafür einsetzt, die EU-Entwicklungspolitikmehr und mehr auf Afrika zu konzentrieren. Dies istüberfällig, denn Länder wie Indien und insbesondereChina, die in Afrika bereits selbst als Geber auftreten,brauchen unsere Entwicklungshilfe nicht mehr. Für sie,aber auch für ressourcenreiche Länder wie Mexiko, Bra-silien und andere mehr, weisen Wirtschafts-, Wissen-schafts- und Bildungskooperation den richtigen Weg.Deutschland wäre gut beraten, diesem Weg zu folgen.

Am meisten könnte für Entwicklungsländer dadurchgewonnen werden, dass die EU schnellstmöglich dienoch existierenden Marktzutrittsbarrieren für Drittländerbeseitigt. Es ist doch abartig, dass wir gegenüber Kolum-bien den Bananenimport in die EU mit Zöllen belegenund gleichzeitig kolumbianischen Bauern mit Entwick-lungshilfe unter die Arme greifen, damit sie vom Koka-Anbau wegkommen.

Weniger Zölle zu erheben hilft viel mehr, als teureEntwicklungsprojekte zu finanzieren, denn erstens hilftdies den Entwicklungsländern, mit eigenen Produktenauf dem Weltmarkt zu bestehen, und zweitens vermeidetes, dass mit der Hilfe von Entwicklungszahlungen neueGeber-/Empfänger-Strukturen entstehen, die vor alleman ihrem eigenen Fortbestand interessiert sind und nichtdaran – wie es doch eigentlich bei der Hilfe zur Selbst-hilfe der Fall sein sollte –, sich schrittweise selbst über-flüssig zu machen. Was wir brauchen, ist eigene Wirt-schaftskraft von Entwicklungsländern, nicht neueAbhängigkeiten in altem Geber-/Empfänger-Denken.

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Dies gilt im Kleinen, also bei der bilateralen nationa-len Entwicklungszusammenarbeit, und dies gilt mehrnoch im Großen, bei der multilateralen Entwicklungszu-sammenarbeit. Bestes Beispiel hierfür ist die Zusam-menarbeit der EU mit den AKP-Staaten. Für die FDP istdie Idee der vertieften Zusammenarbeit der EU mit denAKP-Staaten, also den nach dem Zweiten Weltkrieg un-abhängig gewordenen französischen, britischen, portu-giesischen und spanischen Kolonien heute nicht mehrzeitgemäß.

Wieso erhält zum Beispiel Belize, das ehemalige Bri-tisch-Honduras, als AKP-Staat eine Vorzugsbehandlung,sein Nachbar Honduras aber nicht? Das ist nicht sachge-recht und muss auch so bezeichnet werden.

Die FDP fordert daher die Abkehr von der Sonder-stellung der AKP-Staaten. Ein Folgeabkommen für dasgegenwärtige Cotonou-Abkommen, das die Grundlagefür die EU-AKP-Zusammenarbeit darstellt, soll es unse-res Erachtens nicht mehr geben.

Statt dessen soll die Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten in die normale Entwicklungspolitik der EU ein-gegliedert werden. Diese Forderung erstreckt sich insbe-sondere auch auf das Hauptinstrument der EU-AKP-Zu-sammenarbeit, den EEF.

Wir fordern, diesen schnellstmöglich in den EU-Haushalt einzugliedern und die gegenwärtigen Planun-gen für einen 10. EEF abzubrechen. Die Beschlussfas-sung über die finanzielle Vorausschau der EU für 2007bis 2013 gibt einen willkommenen Anlass, diese von unsseit langem erhobenen Forderung umzusetzen. Diesbrächte mehr Haushaltsklarheit und Transparenz.

Der dann anteilig höhere Beitrag Deutschlands zumbisherigen EEF entspräche sodann dem deutschen Anteilim allgemeinen EU-Haushalt. Diesen finanziellen Bei-trag zur Haushaltsklarheit sind wir bereit zu erbringen.Wir sind aber nicht bereit, einfach mehr Geld in die Ent-wicklungspolitik zu pumpen, um ein rein quantitativesZiel, 0,7 Prozent ODA-Quote bis 2015, zu erreichen.

Helfen heißt mehr als Bezahlen. Es kommt vielmehrdarauf an, richtig zu helfen. Dafür stehen wir jederzeitzur Verfügung.

Anlage 10

Zu Protokoll gegebene Reden

zur Beratung des Antrags: Stärkung der Künst-lersozialversicherung (Tagesordnungspunkt 18)

Angelika Krüger-Leißner (SPD): Hunderte, ja,Tausende von E-Mails haben die Mitglieder der En-quete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vor Wochenerreicht und deren Büros für einige Zeit beschäftigt. In-haltlich forderten all diese Schreiben nur eines: DieKünstlersozialkasse muss erhalten werden.

Grund für diese Flut an Meldungen war eine einzigemissverständliche Äußerung der Vorsitzenden der En-quete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Gitta

Connemann. „Soll die KSK erhalten werden, kann sieüberhaupt erhalten werden?“ fragte Frau Connemann inder Einladung zu einer öffentlichen Anhörung.

Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, wie sinnvolles ist, so etwas zu schreiben, wenn man, wie auch dieUnion beteuert, das System erhalten will. Nach Beteue-rungen von allen Seiten ebbte die Masse der E-Mailsschnell ab.

Aber uns allen dürfte dieser Moment noch einmal vorAugen geführt haben, wie wichtig das soziale Siche-rungssystem der KSK in Deutschland für Künstler undPublizisten ist.

Als der Künstlerbericht der Bundesregierung 1975 zudem Ergebnis kam, dass die Berufe im Kulturbereich be-sonders schützenswert sind, wurde der Gedanke derKünstlersozialversicherung geboren. Am 27. Juli 1981wurde – nach langen Diskussionen – das entsprechendeGesetz von der sozialliberalen Koalition verabschiedet.Besonders die Verwerterseite wehrte sich, zog in den80er-Jahren sogar vor das Bundesverfassungsgericht,zum Glück aber erfolglos.

Wie bedeutsam die KSK werden würde, war damalsallerdings nicht absehbar. Nach dem ersten Jahr waren esgerade einmal 12 000 Versicherte, die über dieses Sys-tem unterstützt wurden.

Heute, nach zwei KSK-Novellen, sind über140 000 bildende Künstler, Musiker, Journalisten,Schriftsteller und andere über die Künstlersozialversi-cherung versichert. Das Haushaltsvolumen liegt bei nun-mehr 537 Millionen Euro. Zum Vergleich: Vor zehn Jah-ren waren es unter 200 Millionen Euro.

Die Bedeutung der KSK hat sich deutlich vergrößert.Sie spielt eine wichtige Rolle in unseren sozialen Siche-rungssystemen. Denn in einem ähnlichen Maß wie dasHaushaltsvolumen ist auch die Zahl der Versicherten ge-stiegen.

Aber eben diese Entwicklung bringt auch Problememit sich. Diese Erkenntnis herrscht auf allen Seiten.Denn die finanzielle Belastung muss gemeinsam ge-schultert werden. Das gilt in besonderem Maße für dieVerwerterseite.

Bei einem Bundeszuschuss von 20 Prozent hat sichder Abgabesatz für die Verwerter von 3,8 Prozent in2003 auf 4,3 Prozent in 2004 und nunmehr auf5,8 Prozent in 2005 entwickelt. Das sind bedeutende An-stiege. Auch der Bundeszuschuss hat sich auf rund100 Millionen Euro erhöht.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Das kulturelle Lebenin Deutschland ist sehr vital. Über diese Ursache des An-stieges können und sollten wir uns freuen. Ein andererGrund des stetigen Anstiegs der Mitglieder in der KSKliegt aber auch in der wirtschaftlichen Lage und der Re-aktion der Unternehmen darauf.

Viele Künstler und Publizisten haben zurzeit kaumnoch ausreichend Möglichkeiten, in einem Angestellten-verhältnis tätig zu sein. Und die Unternehmen, gerade imjournalistischen Bereich, gehen dazu über, ihre Ange-

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stellten in die KSK auszulagern. Dieses Outsourcingführt zu deutlichen Einsparungen. Denn die KSK-Ab-gabe ist immer noch bei weitem geringer, als Sozialab-gaben es sind.

Aus meiner Sicht ist der Bundeszuschuss bei all demnoch zu rechtfertigen. Problematischer wird es, wennwir den Anstieg bei den Verwertern betrachten, der inbestimmten Bereichen die Wirtschaftlichkeit des Kultur-betriebs gefährden kann, wenn die Tendenz weiterhin soanhält.

Daher gilt für die KSK, was wir in anderen sozialenSicherheitssystemen ebenfalls festgestellt haben: Wirmüssen sie den veränderten Gegebenheiten anpassen,wenn wir sie erhalten wollen.

Und dies muss an dieser Stelle nochmals betont wer-den: Wir wollen die Versicherung unter allen Umständenerhalten. Der Bestand dieses Systems darf aus Sicht derSPD-Bundestagsfraktion nicht infrage gestellt werden.Die Künstlersozialversicherung ist und bleibt ein inEuropa einzigartiges System, dass es Kulturschaffendenermöglicht, ihre Berufung auszuüben, sobald sie in derLage sind, den Hauptteil ihre Einkommens davon zu be-streiten.

Das schafft große Sicherheit und Möglichkeiten fürdie Versicherten, wie sie sonst nicht denkbar wären, undes erhält den vitalen Kulturbetrieb in Deutschland, denwir ohne die Künstlersozialversicherung so kaum hätten.

Jede notwendige Änderung an dieser Stelle muss demZiel folgen, die Lebensfähigkeit der KSK zu erhalten.Das ist Sinn und Inhalt des Antrages von SPD undBündnis 90/Die Grünen zu Stärkung der Künstlersozial-versicherung.

Fassen wir aber zusammen, welche Probleme dieKSV zurzeit hat:

Erstens. Die steigende Anzahl der Mitglieder hat denBundeszuschuss und die von den Verwertern zu zahlen-den Zuschüsse erhöht.

Zweitens. Infolge rückläufiger Aufträge hat die Ho-norarsumme, auf die die Abgabe zu zahlen ist, nicht mitden Versichertenzahlen standgehalten. Die Verwerterab-gabe ist auf 5,8 Prozent gestiegen.

Drittens. Durch Outsourcing werden bisher ange-stellte Künstler und Publizisten in die KSK getrieben.Der Bund übernimmt damit zunehmend Sozialabgaben,die zuvor die Unternehmen zu zahlen hatten.

Viertens. Die Mitglieder in der Künstlersozialkassewerden zu selten auf Einkommen und Berechtigung ih-rer Mitgliedschaft überprüft. Die Erkenntnisse über dieKSK-Mitglieder und ihre genaue soziale Absicherungsind noch gering. Auch hier gibt es ständig Veränderun-gen.

Fünftens. Die Verwerter sind nicht ausreichend er-fasst. Viele entziehen sich ihrer KSK-Pflicht, sodass dieerfassten Verwerter die Abgabe auf wenige Schulternverteilt zahlen müssen. Allein eine vollständige Erfas-sung würde den Verwerteranteil drastisch senken kön-nen.

Die Folge aus dieser Situation kann nur sein, dass wirdie Mitglieder in der KSK und die Verwerter besserüberprüfen. Eine höhere Effizienz im System ist die ein-zige Möglichkeit, das System langfristig zu erhalten.

Die KSK ist für Berufe zuständig, die als besondersschützenswert – und damit unterstützenswert – erkanntwurden. Diese sollen diese Sonderleistung in Anspruchnehmen können. Ein bessere Kontrolle schafft auch hiermehr Gerechtigkeit für die wirklich berechtigten Mit-glieder. Nachträgliche Einkommensnachweise könnenhier Klarheit bringen.

In diesem Zusammenhang sei den Künstlern und Pu-blizisten in Deutschland nochmals gesagt: Es gibt keinenGrund zur Panik. Die KSK bleibt erhalten. Dafür stehtdie Regierungskoalition ein.

Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung in die-sem Zusammenhang schon erste Maßnahmen ergriffenhat, die für die Nachhaltigkeit der Künstlersozialversi-cherung wichtig sind. Vor allem die Beschlüsse zur ad-ministrativen und personellen Stärkung der KSK in Wil-helmshaven sind wichtig. Die Stärkung der Verwaltungist hier ein Schritt zu mehr – und nicht wie sonst oft – zuweniger Effizienz. Es ist beachtlich, was die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter der KSK mit geringem Personalin den letzten Jahren geleistet haben. Wir brauchen aberkünftig mehr Personal für die Erfassung und Prüfungvon Verwertern und Versicherten. Das macht die KSKzukunftsfähig und schafft mehr Gerechtigkeit. Auch undgerade in finanzieller Hinsicht.

Es ist in diesem Zusammenhang dringend erforder-lich, dass die von der Bundesregierung aufgenommenenAnstrengungen zur Erfassung der Verwerter voran-schreiten. Unser Antrag unterstützt dabei die bisherigenMaßnahmen. Diese müssen schnell und sachgerecht zuErgebnissen kommen. Wir können nicht so lange warten,bis die jetzt erfassten Verwerter in Abgabenhöhen kom-men, die wirtschaftlich nicht mehr zu leisten sind.

Und wir wollen eine Analyse der zukünftigen Ent-wicklung der KSK. Auf Dauer ist ein derartiges Wachs-tum in den Mitgliederzahlen kaum zu rechtfertigen. Wirmüssen Erkenntnisse darüber gewinnen, wie die Haus-haltssituation dieser Versicherung in Zukunft aussieht.Dann werden auch die Diskussionen über den Erhalt derKSK abebben.

Ein großes Problem ist die Rentenabsicherung derMitglieder der KSK. Unsere bisherigen Erkenntnissedeuten darauf hin, dass die meisten Mitglieder hier nurmit sehr unzureichenden Absicherungen rechnen kön-nen. Hier müssen Systeme, die wir in anderen Bereichengeschaffen haben, wie zum Beispiel die Riester-Rente,ebenfalls stärker als bisher verbreitet werden.

Und schließlich wollen wir, dass Impulse, die ausdem „Runden Tisch“ von BMGS, BKM und Kulturratkommen, auch aufgenommen werden. Es sind auch zu-künftig Anstrengung notwendig, um die KSK für die Be-rechtigten abzusichern.

Die Künstlersozialversicherung ist ein System, aufdas wir in Deutschland stolz sein können. Es gelingt uns

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damit, das kulturelle Leben am Laufen zu halten, ohnedass Künstlerinnen und Künstler aus Sorge vor ihrer so-zialen Absicherung ihre Fähigkeiten nicht mehr nutzen.

Die Politik darf dieses System nicht infrage stellen.Wir müssen klar und deutlich machen – auf allen Seitendes hohen Hauses – dass wir notwendige Reformen undEinsparungen in unserem Land nicht auf Kosten des kul-turellen Lebens und der Künstlerinnen und Künstler vor-nehmen werden.

Dies können wir am besten dadurch zeigen, dass wiruns alle zum Erhalt der Künstlersozialversicherung be-kennen. Dies darf aber kein Lippenbekenntnis sein. DieProbleme werden deutlich. Der Erhalt ist wirtschaftlichlangfristig nur möglich, wenn wir die in unserem Antraggenannten Maßnahmen vornehmen und die Bundesre-gierung bei ihren Anstrengungen unterstützen.

Das sollte unser aller Ziel sein, im Sinne der Kultur-schaffenden, Künstler und Publizisten in Deutschland.

Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Lassen Sie michnun kurz etwas über den Aufbau der Künstlersozialversi-cherung sagen: Die Künstlersozialversicherung wurdeim Juli 1981 vom Parlament beschlossen und trat 1983in Kraft. Sie ist eine einmalige sozialpolitische und so-zialdemokratische Errungenschaft und soll freien Künst-lern soziale Sicherheit schaffen und zugleich den Kultur-standort Deutschland dadurch bereichern.

Die Künstlersozialkasse regelt die Künstlersozialver-sicherung. Sie ist eine Abteilung der Unfallkasse desBundes mit Sitz in Wilhelmshaven und führt den Einzugder Gelder durch. Ist ein Künstler zum Beispiel bei derAOK krankenversichert, leitet sie die Gelder – Kranken-versicherung und Pflegeversicherung – an die betref-fende AOK weiter. Ebenfalls leitet die KSK die Gelderan die BfA weiter. Abgesehen vom Bundeszuschuss zuder Künstlersozialkasse trägt der Bund die Verwaltungs-kosten.

Die Künstlersozialversicherung geht davon aus, dassviele freie Künstler in einem arbeitnehmerähnlichen Ver-hältnis stehen. Die Künstler, die versichert sind, zahlennur die Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung,Kranken- und Pflegeversicherung. Die Verwerter zahlengegenwärtig einen einheitlichen Betrag von 5,8 Prozent,weil sie nicht die Endverbraucher sind, sondern mit derAuftragsarbeit des Künstlers Geld verdienen.

Ursprünglich diente der Bundeszuschuss als Aus-gleich zum „Selbstvermarktungsanteil“. Wenn Künstlerzum Beispiel einem privaten Endverbraucher etwas ver-kaufen – etwa ein Bild –, sollte hier der Bund eine Ar-beitgeber-Zahlung „simulieren“. Viele Jahre haben Bundund Verwerter jeweils 25 Prozent in die KSK eingezahlt.Weil aber immer mehr Künstler in einem arbeitneh-merähnlichen Verhältnis stehen, ging auch der Anteil,den die Künstler durch Privatkunden erwirtschafteten,zurück. Somit hat der Bund im Jahr 2000 seinen Anteilauf 20 Prozent reduziert. Mittlerweile gilt der Bundeszu-schuss zur Künstlersozialkasse – KSK – entsprechenddem Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversiche-rung. Er gilt in erster Linie als kultur- und sozialpoliti-

sche Maßnahme. Sie sichert den Künstler sozial ab. DerBundeszuschuss ist mit 100 Millionen Euro aber so hochwie noch nie. Der Bundeszuschuss ist auch deshalb sohoch, weil wir mittlerweile 140 000 Versicherte haben.

Zur Forderung des Deutschen Kulturrates zur Anhe-bung des Bundeszuschusses auf 25 Prozent möchte ichaber sagen: Muss man das „Outsourcen“ auch noch un-terstützen? Viele Betriebe lassen oft die ehemaligen An-gestellten als freie Mitarbeiter für sie arbeiten. Für michsteht fest, dass viele Auftraggeber einen hohen Nutzenvon den freien Kreativen haben: Eine angestellte Grafi-kerin „kostet“ den Arbeitgeber eben deutlich mehr anAbgaben als eine freie Mitarbeiterin. Und die freie Mit-arbeiterin muss er weder im Krankheitsfalle noch in derSchwangerschaft finanzieren, noch muss er den Arbeits-platz in diesem Fall drei Jahre freihalten. Denn berück-sichtigt werden muss das „Outsourcing“ im künstleri-schen Bereich der letzten Jahre. Und verglichen mit2002 bekommen Künstler nur noch etwa 70 Prozent ih-res Honorars. Somit war die Erhöhung mehr als notwen-dig.

1983, im ersten Jahr, waren 12 569 Künstler versi-chert. Im Jahr 2001 waren es 110 000. Nun sind es be-reits 140 000. Dies hat mit dem bereits angesprochenen„Outsourcing“ zu tun. Auch hat die Möglichkeit, Ich-AGs zu gründen dazu beigetragen, den Anteil der Versi-cherten zu erhöhen. Weiterhin muss mit einem jährlichenAnstieg von etwa 6 000 bis 7 000 Personen gerechnetwerden, die in die KSK aufgenommen werden.

Es gibt auch die so genannten Mitnahmeeffekte.Nicht jeder Künstler, der sich als Künstler bezeichnet, istauch einer. Hier entscheiden die KSK und im Streitfalldie Sozialgerichte: So kann es eben sein, dass das Lan-dessozialgericht Niedersachsen-Bremen eine „japani-sche Teezeremonienmeisterin“ als Künstlerin im Sinnedes KSVG einstuft, weil das Gericht überzeugt war, dasssie trotz des ja nun eigentlich nach japanischer Zeremo-nie sehr, sehr festen Ritus, diesen angeblich „eigen-schöpferisch“ auslegen würde. Aber wenn sie genug ein-zahlt, sollte uns das nicht weiter interessieren.

Trotzdem wird in Zusammenarbeit mit Krankenkas-sen, Rentenversicherungsträgern, der KSK und demBundesversicherungsamt ein besserer Abgrenzungskata-log erarbeitet, um Missbrauch zu vermeiden. Zurzeitkennt die Berufsliste der KSK 110 Berufe, die grund-sätzlich versicherungsfähig sind. Denn es gibt Einord-nungsprobleme wie die so genannten Web-Designer:Sind es „Informatiker“ oder „Kreative“? Auch gibt esimmer wieder vor Gerichten Abgrenzungsprobleme zumKunsthandwerk – obwohl Kunsthandwerker grundsätz-lich ausgeschlossen sind.

In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Ausnah-men aus der Abgabenpflicht: zum Beispiel für Vereine,die „heimatliches Brauchtum“ pflegen. Ebenso kann hierdie „Übungsleiterpauschale“ – § 3 Nr. 26 EstG – er-wähnt werden, da nunmehr nebenberuflich künstlerischTätige bis 1 848 Euro im Jahr auch im Sinne der KSKabgabenfrei sind. Begünstigte sind hier zum Beispiel dieVolkshochschulen – das freut sicherlich die Kommunal-politiker.

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Wir haben die Situation, dass sich immer mehr Ver-werter offenbar bei der KSK nicht melden wollen. DieKSK hat gegenwärtig noch nicht genug Personal, umkontrollieren zu können, wer als nicht angemeldeter Ver-werter tätig ist. Stichproben in den Gelben Seiten reichennicht aus, um die Säumigen zu finden. Und so rufe ichUnternehmen auf, sich in „Ausgleichsvereinigungen“ zu-sammenzuschließen oder bestehenden beizutreten. Siekönnen dann günstigere Tarife erhalten. Unternehmensollten sich gemeinsam freiwillig als „Verwerter“ mel-den. Das Einzugsverfahren wird hier durch Gruppenbil-dung vereinfacht. Ein verbilligter „Gruppentarif“ mit derKSK kommt den Verwertern auch entgegen.

Wir von der Koalition sichern den Fortbestand derKünstlersozialversicherung durch folgende Maßnahmen:

Vollständige Erfassung der Verwerter. Die vollstän-dige Erfassung wird ermöglicht durch die bereits am1. April erfolgte Aufstockung von 4,5 auf 15,5 Stellen.Zusätzlich wird das BMGS 14 zusätzliche Stellen in die-sen Bereich einbringen. Die KSK muss Zugriff auf dieArbeitgeberdatei der BfA haben. Damit wird die Erfas-sung vereinfacht. Das BMGS prüft hier bereits, wie einDatenausgleich rechtlich möglich ist.

Bessere Überprüfung der Versicherten. Ein weitererwichtiger Punkt ist die bessere Überprüfung der Versi-cherten. Bisher genügte es, wenn sie ihre voraussichtli-chen Einnahmen im kommenden Jahr angaben. Die Ver-sicherten der KSK werden jetzt bei der jährlichenAbfrage der KSK im Herbst veranlasst, Einkommens-nachweise und ihre Nachweise über ihre Auftraggebervorzulegen. Ich denke, das ist berechtigt. Auch führt dasBMGS auf Leitungsebene regelmäßige Gespräche mitdem „Aktionsbündnis Verwerter“. Ziel ist die Abschät-zung der Abgabenhöhe und die Erörterung weiterer Re-formoptionen. Ebenso gibt es einen runden Tisch zurKSK, an dem BMGS, KSK, Verwerter und Versichertebeteiligt sind.

Natürlich muss auch die private Altersvorsorge ver-bessert werden: Hierzu gab es bereits am 2. Dezember2004 eine Tagung vom BMGS und dem Deutschen Kul-turrat. Ziel war der Abschluss von Rahmenverträgen fürdie Verbandsmitglieder sowie die Werbung für staatlichgeförderte Altersvorsorge. Für die Festsetzung des Ab-gabensatzes für das Jahr 2006, die im Herbst 2005 erfol-gen muss, kommt es entscheidend auf die Honorarmel-dungen von 2004 an – die liegen aber erst im Mai 2005vor. Dreh- und Angelpunkt wird hier auch die Entwick-lung der Honorare sein. Aber wir Sozialdemokratenwerden uns für das Weiterbestehen der Künstlersozial-versicherung zum Wohle der Künstler und des Kultur-standortes Deutschland einsetzen.

Matthias Sehling (CDU/CSU): Ihr Antrag mit demviel versprechenden Titel „Stärkung der Künstlersozial-versicherung“ ist ein typischer „Gutmenschenantrag“:Alles, was darin steht, hört sich zwar schön an; aller-dings wird dadurch weder die Künstlersozialversiche-rung stabilisiert noch verbessert sich die soziale Siche-rung der Künstlerinnen und Künstler. Zudem beschreibtRot-Grün die derzeitige Situation unvollständig. Sie

starten nach dem Titel als Tiger und landen nach dem In-halt als Bettvorleger.

Mit ihrem Antrag scheint Rot-Grün vor allem die ge-werkschaftlich organisierten Künstler beeindrucken zuwollen. Ich kann das insoweit verstehen, da auch ich vonder Überflutung mit Hunderten von Mails betroffen war,nachdem das Gerücht umging, der Bundestag wolle dieKSK abschaffen. Da dieses Gerücht von der Gewerk-schaft Verdi in die Welt gesetzt wurde, mag Sie – ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen –diese Aktion zu einem solchen Antrag verleitet haben.Allerdings scheinen Sie damit nicht mehr erreichen zuwollen, als Ihren guten Willen zu demonstrieren, ohnewesentliche Änderungen vorzunehmen.

Ich bin Ihrer Meinung, dass die abgabepflichtigenVerwerter – Verlage, Galeristen, Theaterhäuser – konse-quenter erfasst werden müssen. So könnten beispiels-weise auch Produktionsunternehmen, die Designer be-schäftigen, Beitrag zur Künstlersozialkasse zahlen undnicht nur Plattenfirmen oder Opernhäuser, die zum „Ver-werter“-Beitrag verpflichtet sind.

Auch ist es sinnvoll, den Versichertenkreis einzugren-zen. In letzter Zeit fiel vermehrt auf, dass sich neben di-plomierten Malern auch gerne mal Grafitti-Beschmiererals Künstler ausgaben und so Mitglieder der Künstlerso-zialkasse wurden. Gerne können wir über Eingrenzungs-maßnahmen sprechen.

Abgesehen von diesen zwei Punkten – konsequentereErfassung aller Verwerter und Eingrenzung des Versi-chertenkreises – sehe ich in Ihrem Antrag allerdingsnichts, was zu einer besseren Situation der Künstler füh-ren könnte.

Künstler verdienen im Durchschnitt nur 40 Prozenteines gesetzlich Versicherten. Schon jetzt haben Künst-ler nach den Statistiken der Künstlersozialkasse eindurchschnittliches Einkommen von nur 11 000 Euro proJahr gegenüber 24 500 Euro der Gesamtbevölkerung.Regelfall sind ja nicht einzelne Spitzenverdiener, son-dern der alltägliche Normalfall, zunehmend die in dieunfreiwillige Selbstständigkeit gedrängten freien Mitar-beiter. Auch wenn man absichtlich geringe Angaben be-rücksichtigt, um die Beitragslast gering zu halten, bedeu-tet dieses, dass die Künstler damit mit äußerst niedrigenAlterssicherungen rechnen müssen. Es bedeutet auch,dass die Probleme, die wir heute schon mit der gesetzli-chen Rente haben, die Kulturschaffenden verschärft tref-fen werden.

Wir sehen mit Sorge auf die Mitgliederentwicklungder Künstlersozialkasse. Die Mitgliederanzahl steigtständig – in den letzten fünf Jahren allein um 30 000Mitglieder oder über 30 Prozent. Seit Gründung derKünstlersozialkasse von 12 000 in den Jahren 1982/83hat sich die Versichertenzahl auf heute 130 000 mehr alsverzehnfacht. Nach Informationen der Künstlersozial-kasse wird ein weiterer Anstieg der Versicherungsneh-mer erwartet. Danach hätten bis zu 80 000 selbstständigeKünstler derzeit noch die Möglichkeit, Mitglied in derKünstlersozialkasse zu werden. Die finanzielle Lagewird sich durch Masse noch verschärfen. Nur ganz ver-

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schämt – mit dem Stichwort Outsourcing – deuten Sie inIhrem Antrag eine Hauptursache für die Versicherten-schwemme an: Immer mehr Unternehmen, insbesondereZeitungen und Verlage, drängen wegen der hohen So-zialabgaben, die die Bundesregierung zu verantwortenhat, ihre bisher fest angestellten Mitarbeiter in dieSelbstständigkeit und damit in die Künstlersozialkasse.

Im Übrigen vermisse ich die Erwähnung eines weite-ren wichtigen Faktums, das die Regierungsfraktionenverständlicherweise nicht gerne in der Öffentlichkeit dis-kutieren wollen: Die Künstlersozialkasse war Ende 2004schon einmal in einer erheblichen Finanzklemme: Auf-grund der Mindereinnahmen im Jahr 2004 musste derBundesfinanzminister der Künstlersozialkasse eine über-planmäßige Finanzspritze in Höhe von über 13 Millio-nen Euro geben. Dieses Darlehen muss laut Unterrich-tung durch die Bundesregierung vom 17. November2004 in den Jahren 2005 und 2006 zurückgezahlt wer-den, und zwar, indem der Bundeszuschuss in diesen Jah-ren jeweils um Millionenbeträge erneut reduziert wird.Es wäre interessant zu wissen, wie Rot-Grün diese wei-tere Kürzung des Bundeszuschusses angesichts der jetztschon bestehenden Probleme in der Künstlersozialkasseverkraften will, ohne die Liquidität der Künstlersozial-kasse erneut in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen.Auch dazu lese ich in Ihrem Antrag kein Sterbenswört-chen.

Ein Großteil der Einnahmen der Künstlersozialkassekommt im Übrigen aus Veranstaltungen, die mit auslän-dischen Künstlern organisiert wurden. Der Konzertver-anstalter muss dann seinen Verwerter-Anteil von5,8 Prozent in die Künstlersozialkasse einzahlen, auchwenn er die Einnahmen einem ausländischen Künstlerverdankt, der niemals Anspruch auf Leistungen aus derKünstlersozialkasse haben wird. Wenn also Elton Johnin Deutschland auftritt, bezahlt er indirekt die Altersver-sicherung einer deutschen Ballettänzerin. Dieser Beitraggeht dem Künstler entsprechend vom Honorar ab. NachAngaben aus Künstlervermarkter-Kreisen wollen diesejetzt vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Was sollgetan werden, wenn die Kläger vor dem EuropäischenGerichtshof erfolgreich sind? Bei Erfolg der Klagewürde ein großer Teil der Einnahmen der Künstlersozial-versicherung wegbrechen!

Völlig unerwähnt in Ihrem Antrag bleibt auch einerder Hauptgründe für die Finanzmisere der Künstlerso-zialkasse, nämlich die gesetzliche Kürzung des Bundes-zuschusses im Jahr 2000 von 25 auf 20 Prozent. Dem-entsprechend mussten die Verwerter ihren Beitrag auf30 Prozent erhöhen. Zum 1. Januar diesen Jahres stiegder Abgabesatz nach der Vereinheitlichung von 4,3 Pro-zent auf nunmehr 5,8 Prozent der Entgelte. Würde Rot-Grün sich ernsthaft um die soziale Schutzbedürftigkeitunserer Künstler sorgen, würden Sie den Bundeszu-schuss wieder erhöhen! Wo ist hier Ihr Appell an dieBundesregierung? Damit könnten der Beitrag der Ver-werter wieder gesenkt und vielleicht auch Klagen vordem EuGH und konkursführende Belastungen von Ver-wertern vermieden werden.

Es ist also absehbar, dass noch in diesem Jahr ernst-haftere Anträge zur Künstlersozialversicherung im Bun-destag eingebracht werden müssen, wenn vermiedenwerden soll, dass Künstler in Deutschland bald ein Ein-kommens- und Alterssicherungsniveau erreichen, wieman es zuletzt vor 150 Jahren kannte. Statt mit Verdi ori-entierten Schaufensteranträgen zu operieren, sollten Siesich lieber in der Enquete-Kommission „Kultur inDeutschland“ um gemeinsame Handlungsempfehlungenzur tatsächlichen Stärkung der Künstlersozialversiche-rung bemühen!

Vera Lengsfeld (CDU/CSU): Es entsteht zuweilender Eindruck von Selbstbeweihräucherung, der sich Rot-Grün mit dem Antrag zur Stärkung der Künstlersozial-versicherung unterzieht. Stehen wir nicht im fraktions-übergreifenden Konsens in dieser Sache?

Wenn Sie also schon Initiative zeigen, dann bitte nichtmit leerem Aktionismus. Ich glaube, Sie wollen mit die-sem Antrag Ihre eigene Untätigkeit verdecken. Diese istwiederum Resultat Ihrer offensichtlichen Ratlosigkeit,die Probleme Deutschlands zu lösen. Nicht nur dieKünstlersozialkasse ist in ihrer Existenz bedroht, unseregesamten sozialen Sicherungssysteme müssen einenWandel erfahren, vor dem Sie sich offenbar scheuen.

Es ist kein Geheimnis, dass in der KSV jetzt die Ren-tenansprüche der ersten Jahrgänge bestehen. Auch diesteigenden Zahlen der Versicherten sind im digitalenZeitalter, wo viele Künstlerberufe gerade auch im Be-reich des Internets entstanden sind, eine logischeSchlussfolgerung. Das hat natürlich zur Folge, dass sichauch der Bereich der Verwerter vergrößert. Hier beste-hen derzeit enorme definitorische Mängel. Wer ist heuteein Künstler? Wer ist Verwerter und profitiert von derKunst? Lange schon findet Kunst nicht mehr nur in Ga-lerien, Verlagen oder Opernhäusern statt.

Doch durch Nichtstun wird das System nicht besser.Was wollten Sie uns sonst mit Ihrem Antrag mitteilen,wenn nicht von dieser Tatsache abzulenken? Ich erinnereSie gerne nochmals an Ihre Pflicht: Die Bundesregierungunterliegt dem Handlungszwang bei der Reform derKünstlersozialversicherung. Mit fragwürdigen Anträgenist dem sicher nicht geholfen.

Ich ermahne Sie deshalb, Vorhaben umzusetzen, dieder Reform dienlich sind: Definieren Sie Berufe, zu de-nen Künstler heute gehören. Im Zeitalter des Internetsentstehen auch hier neue Berufssparten, die sich zumBeispiel mit Webdesign beschäftigen und bisher keinAnrecht auf Zugehörigkeit zur Künstlersozialkasse ha-ben. Definieren Sie den Begriff des Verwerters. Auch dieTextil- oder Automobilbranche profitiert von Kunst.Verwerter müssen stärker in ihre Pflichten eingebundenwerden.

Den gesenkten Bundeszuschuss von 20 Prozent wie-der zu erhöhen, lehne ich ab. Obwohl in der Presse zu le-sen ist, dass sich das neue Grundsatzprogramm der SPDjetzt wieder stärker am Staat orientiert, weil die Ursacheallen Übels in der „totalen Ökonomisierung kurzatmigenProfithandelns“ liegen soll, betone ich die Notwendigkeit

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der Eigenvorsorge. Dem Staat dürfen keine weiterenfinanziellen Lasten aufgebürdet werden. Ebenso sollte ersich aber auch aus bestimmten Feldern zurückziehen undKontrolle zurücknehmen.

Im Prinzip ist heute jeder Einzelne dazu aufgefordert,eine eigenständige Vorsorge zu treffen. Das gilt auch fürKünstler. Dass deren Einkommen so niedrig ist und sieihre Vorsorge mit einem durchschnittlichen Gehalt von11 100 Euro im Jahr kaum bewältigen können, ist nichtSorge des Staates. Wir müssen eine stärkere Eigeninitia-tive der Versicherten fordern.

Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diesoziale Absicherung der Künstler und Publizisten ist derKoalition ein wichtiges Anliegen. Die Künstlersozial-kasse ist vor diesem Hintergrund eine besondere kultur-und sozialpolitische Errungenschaft.

Steigende Versichertenzahlen und rückläufige Ein-nahmen haben jedoch in den zurückliegenden Jahren zuhöheren Kosten für die Verwerter und den Bund geführt.Das ist gerade in Zeiten konjunktureller Schwäche vonNachteil. Die Leistungsfähigkeit der Künstlersozialkasseist einer Probe ausgesetzt. Angelegt war sie ursprünglichauf eine kleine, überschaubare Anzahl von Versicherten.Zählte sie zu Beginn rund 12 000 Versicherte, so sucheninzwischen schon rund 140 000 Kulturschaffende Schutzunter dem Dach der Künstlersozialkasse. Nach Schät-zungen arbeiten weitere 80 000 Selbstständige im Land,die Anspruch auf eine Versicherung in der Künstlerso-zialkasse hätten.

In der Debatte ist die Forderung erhoben worden, denBundeszuschuss zur Künstlersozialkasse wieder zu erhö-hen. Ich mache darauf aufmerksam, dass dieser im Zugeder letzten Reform gesenkt worden ist, weil ein Gutach-ten gezeigt hat, dass der Bundeszuschuss zu hoch dimen-sioniert war. Davon abgesehen, macht man es sich dochsehr leicht mit dieser Forderung. Man entledigt sich derAufgabe, die strukturellen Verwerfungen in der Künst-lersozialkasse zu beheben. Stattdessen bittet man einfachdie Steuerzahler zur Kasse, um neues Geld für dieKünstlersozialkasse aufzutun.

Derzeit schätzen die Versicherten ihr Einkommen, aufdas Beiträge erhoben werden, selbst. Dieses Verfahrenlädt zum Missbrauch förmlich ein und setzt einen großenAnreiz, das zu erwartende Einkommen immer zu geringzu veranschlagen, da eine Überprüfung der Einkom-mensverhältnisse nur bei Verdacht erfolgt.

Auch die Verwerter beweisen offenbar großen Ein-fallsreichtum, wenn es darum geht, sich der Abgaben-pflicht zu entziehen.

Im Vergleich zu anderen Gruppen von Selbstständi-gen genießt die Künstlersozialkasse beachtliche Privile-gien. Die Berufe, die nicht als künstlerisch eingestuftwerden, müssen sich nach dem derzeitigen Sozialrechtzu wesentlich ungünstigeren Konditionen versichern. Dawird die Frage gestellt werden dürfen, ob jene Personenin den Schutz dieser Versicherung kommen, die man be-sonders schützen wollte. Ist der selbstständige Tontech-niker, der eine Anlage einrichtet und steuert, schon ein

Künstler? Warum sind Kunsthistoriker, die nicht publi-zistisch tätig sind, sondern als Museumspädagogen ar-beiten, nicht in der Künstlersozialkasse?

Die Fraktion unterstützt von daher das Anliegen derBundesregierung, die abgabepflichtigen Verwerter voll-ständig zu erfassen, Maßnahmen zur Überprüfung derZugehörigkeit der Versicherten zur Künstlersozialver-sicherung zu intensivieren und sicherzustellen, dass aufdas gesamte Einkommen Beiträge gezahlt werden, dieAktivitäten zur Verbreitung der Riester-Rente zu verstär-ken.

Wir erwarten von der Bundesregierung Vorschläge,welche die Finanzen der Künstlersozialkasse schnellwieder ins Lot bringen.

Lassen Sie uns jedoch auch die Gelegenheit nutzenund, wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, ge-meinsam mit den Verbänden der Versicherten und Ver-werter eine Analyse der zukünftigen Entwicklung derfinanziellen Lage der Künstlersozialversicherung erstel-len.

Unseres Erachtens steht in diesem Zusammenhangauch eine Debatte darüber an, ob die Sondersysteme fürbestimmte Berufsgruppen in der sozialen Sicherung er-halten bleiben sollten. Der Fall der Künstlersozialkassezeigt, dass die Abgrenzung von abhängig Beschäftigtenund Selbstständigen immer schwieriger wird. DiesesProblem ist uns auch aus anderen Sozialversicherungenvertraut. Er zeigt zudem, dass die Abgrenzung vonkünstlerischen und nichtkünstlerischen Berufen nichtüber jeden Zweifel erhaben ist. Heute sind zudem nichtnur selbstständige Künstler besonders schutzbedürftig.Wir wollen aus diesem Grund die Sozialversicherungenzu Bürgerversicherungen weiterentwickeln.

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Mit wach-sender Sorge betrachten wir die finanzielle Entwick-lung der Künstlersozialkasse. Nicht erst die Anhörungder Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ zurwirtschaftlichen und sozialen Absicherung von Künst-lerinnen und Künstlern hat uns diese Probleme deutlichvor Augen geführt. Zugespitzte Formulierungen imVorfeld der Anhörung, die aufgebauscht und von inter-essierter Seite überinterpretiert wurden, ändern nichtsan dem – so hoffe ich – klaren Bekenntnis aller Frak-tionen zur Künstlersozialkasse.

Die Künstlersozialversicherung wurde Anfang der80er-Jahre gegründet – übrigens mit den Stimmen vonSPD und FDP. Sie ist die Grundlage der sozialen Siche-rung von selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern.Der Bundeszuschuss ist damit zugleich ein Beitrag desStaates zur Künstler- und zur Kunstförderung.

Infolge der einseitigen Absenkung des Bundeszu-schusses durch SPD und Bündnis 90/Die Grünen imJahre 1999 – die gegen die Stimmen der FDP erfolgte –ist die KSK allerdings finanziell unter Druck geraten.Dass jetzt die Verwerterabgabe von 4,3 auf 5,8 Prozenterhöht werden muss, ist eine Folge dieser Entscheidung.Für die Verwerter stellt dies eine große Belastung dar.Trotzdem halten die Einzahlungen der abgabepflichtigen

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Verwerter dem rasanten Zuwachs der anspruchsberech-tigten Versicherten nicht stand.

Daher verlangt das klare Bekenntnis zur Künstlerso-zialkasse die Bereitschaft zu Reformen. Wie aber kön-nen wir das Ziel, die Künstlersozialkasse zu erhalten unddabei die Beiträge für alle Beteiligten in angemessenemRahmen zu halten, erreichen?

Ich bin der Überzeugung, dass wir mit der Positionvon Rot-Grün nicht wirklich weiterkommen. Der vorlie-gende Antrag enthält Richtiges, zugleich aber auch Ba-nales: Die „abgabepflichtigen Verwerter müssen voll-ständig erfasst“ werden, der „Personalbestand der KSKmuss erweitert“ werden, „wir müssen die zukünftigeEntwicklung analysieren“.

Aber die entscheidenden Fragen lässt der Antrag, der„die Bundesregierung in ihrem Bemühen um den Erhaltder KSK unterstützen soll“ – welch unterwürfige Auf-fassung vom Parlament steckt hinter dieser Formulie-rung! –, unbeantwortet. Wie kann es uns denn gelingen,die Verwerter vollständig zu erfassen? Woher soll dasGeld für zusätzliches Personal kommen? Hier bleibt derAntrag im Vagen. Es fehlen die Instrumente und Wege,wie wir das Ziel erreichen können. Darüber macht derAntrag keine konkreten Angaben, sondern beschränktsich auf durchaus zustimmungswürdige Allgemein-plätze – aber Farbe bekennt er nicht.

Wie sieht es denn zum Beispiel mit der Amnestie-regelung für säumige Verwerter aus? Wenn wir die Ver-werter komplett erfassen wollen und die KSK auf ihrerEinnahmenseite stärken möchten, dann müssen wir doch

überlegen, wie uns das gelingen kann. Gegenwärtig istes so, dass ein Verwerter, der sich der Abgabepflicht ent-zieht, mit jedem Tag, an dem er nicht erwischt wird, ge-winnt. Erst über eine zeitlich befristete Amnestierege-lung, bei der im Falle von Verwertern, die sich freiwilligmelden, auf eine Pflicht zur Nachzahlung der Abgabender letzten vier Jahre zumindest teilweise verzichtetwird, können wir den Kreis der zahlenden Verwerter er-weitern. Sonst besteht doch überhaupt kein Anlass, dieszu tun. Wie steht die Koalition zu diesem Modell? Ausdem Antrag geht das leider nicht hervor.

Und woher soll das zusätzliche Personal der KSKkommen? Auch dies wird nicht klar und deutlich gesagt.Wir sind der Auffassung, dass die Zahl der Prüfer derKünstlersozialversicherung nur dann aufgestockt werdenkann, wenn dafür Personal aus anderen Versicherungs-trägern bereitgestellt wird, etwa von der Deutschen Ren-tenversicherung nach der Fusion der Bundesversiche-rungsanstalt für Angestellte und dem Verband DeutscherRentenversicherungsträger.

In den einzelnen Punkten und den Fragen der Umset-zung werden wir gemeinsam hoffentlich in den Aus-schussberatungen Klarheit erzielen können. Ich bin ge-spannt, wozu die Koalition wirklich bereit ist, ob alsohinter diesem Antrag die ernst gemeinte Bereitschaft zueiner Reform der Künstlersozialversicherung steht oderes sich nur um eine populistische Beruhigungspille han-delt. Meine Fraktion jedenfalls wird konkrete Reform-schritte vorschlagen, weil wir die Künstlersozialversi-cherung zukunftsfähig machen wollen.

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