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2 deutschland 48 STERN 40/2006 Wies’n-Musiker haben einen knochenharten Job: Bringt die Leute zum Trinken und zum Tanzen! Für die MÜNCHNER ZWIETRACHT ist das ganze Jahr Oktoberfest – sie spielen überall, wo’s Bier aus großen Gläsern gibt Das Leben ist ein Bierzelt 1140_054_Oktoberfest (N/L).ps 25.09.2006 14:51 Uhr Seite 48

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Wies’n-Musiker haben einen knochenharten Job: Bringt die Leute zumTrinken und zum Tanzen! Für die MÜNCHNER ZWIETRACHT ist das ganze JahrOktoberfest – sie spielen überall, wo’s Bier aus großen Gläsern gibtDas Leben ist ein Bierzelt

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Die Krüge hoch: Auf dem Plärrer, Augsburgs Antwort aufs Oktoberfest, muss Wolfgang mitten ins Publikum, damit sich wasbewegt an diesem zähen Abend. Am Ende tanzen ein paar Jungs auf den Bierbänken, ein Mann mit Vokuhila-Frisur spieltLuftgitarre – und nach getaner Arbeit gibt’s endlich was zu esse

Augsburg, Plärrer

Die Zwietracht Rockin’ all over the world: Heinzi, Wolfgang, Udo, Karl und Mark (v. l.), im Vordergrund der Anderl,am Strand von Cavallino bei Venedig. Die Münchner Zwietrachtler sind weltweite Wies’n-Botschafter

ls hätte jemand den Stecker rausge-zogen. Eben noch haben sie alle

auf den Bierbänken gestanden imHippodrom; oben auf der Bühne hat derHeinzi, der sonst immer die Trompetebläst, „Summer Of Sixty-nine“ gesungen,und unten sind sie schier durchgedreht.Die Büroheinis, die ihre Krawatten vomKragen gerissen und nun zum Teil um dieStirn gebunden haben und nachher sichernoch die ein oder andere Kollegin verräu-men werden. Und die feschen Mädchen inihren Dirndln, die man beim Trachten-Discounter in der Münchner Altstadt be-kommt, 150 Euro, und a jeder schaut auswia a Bayer. Auf der Galerie, wo die Pro-mis beim Schampus stehen, hat der Wep-per Fritz noch die Luftgitarre gespielt, denStumpen seiner Davidoff in der Hand.„Oooh yeah“, hat auch er gesungen, „backin the summer of sixty-nine“.

Und mit einem Mal, keine Viertelstun-de später, herrscht gespenstische Ruhe.

Es ist ja so: Wenn die „Buam“ von derKapelle namens Münchner Zwietracht„Gott mit dir, du Land der Bayern“ spie-len, dann weiß jeder, dass aus is’ für denAbend. Zum Schluss die Hymne, wassollte da noch kommen? Natürlich könn-te man jetzt sein Bier austrinken, denn

7,50 Euro für die Maß, die lässt du ja nichteinfach umkommen, aber so ein Okto-berfestzelt ohne Musik, das ist dann dochwie Bier ohne Alkohol. Und so trollensich jetzt alle ohne Murren. Es ist kurz vorelf, und man hätte geschworen, die reißendas Zelt ab vor Wut, weil sie weiter hüp-fen und singen und saufen wollen. Aberdann fügt sich der Bayer doch immer wie-der in sein Schicksal, und dieses nimmtbeim „Weinwirt“ seinen weiteren – even-tuell verheerenden – Lauf, oder beim„Käfer“.

Hinter der Bühne wischt sich derWolfgang jetzt den Schweiß von der Stirn.Das Hemd so nass, als hätte er es geradeaus der Waschmaschine gezogen. Abervon wegen Waschmaschine. Das G’wandwird nach dem Auftritt in das Holzkabuffunter der Bühne gehängt, bisschen Fe-breze draufsprühen, dann geht das wieder. Und so riecht’s da unten wie inOmas Kartoffelkeller. Mark, der Drum-mer, sagt: „Nach zwei Wochen wachsenhier unten die Pilze auf dem Holz.“

WOLFGANG GEHÖRT zu den Gründungs-mitgliedern der Kapelle, und damit dasProgramm mal klar ist, nennen sich diesechs Jungs „die populärste Oktoberfest-band der Welt“. Weil: Die Zwietrachtlersind musikalische Wies’n-Botschafter,und man fasst es gar nicht, wo die schon

aufgetreten sind in Sachen Oktoberfest:In Acapulco und in New York und imFestsaal des Hilton-Hotels von Seoul, wohin der Otto-Versand den KoreanernDirndln geschickt hat. Im Prinzip, sagtWolfgang, spielen sie „überall, wo’s Bieraus sehr großen Gläsern gibt“. Und einenSchweinsbraten dazu. Und immer bewe-gen sie sich im Spannungsfeld zwischenGrusel-Musi und guter Unterhaltung.

Vor zwei Jahren hat der HamburgerHeinz Strunk ein wunderbares Buch vor-gelegt, es heißt „Fleisch ist mein Gemüse“und handelt von ein paar Radikal-Verlie-rern, die sich „Tiffanys“ nennen und alsTanzkapelle durch die norddeutsche Tief-ebene ziehen: Schützenfeste, Firmenjubi-läen, Goldhochzeiten – kein Anlass ist zuschade, um nicht mit „An der Nordsee-küste“ bespielt zu werden. Strunk hat sichdas in geradezu therapeutischer Formvon der Seele geschrieben, und als Wolf-gang von der Zwietracht im vorigen Jahrdas Buch las, dachte er: Genau so ist das.Genau so. Nur, dass man als Bayer statt„Nordseeküste“ zur selben Melodie „It’sbeer-time, baby“ singt.

Jetzt steht man als Oktoberfestmusikervom Sozialprestige her natürlich ein paarStufen über diesen Tanzkapellenjungs im Glitzersakko. 900 000 Besucher warenam ersten Wochenende auf der Wies’n,ein neuer Rekord, und im legendären

Von MARKUS GÖTTING und BERT HEINZLMEIER (Fotos)

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Im Dunkeln ist gut schunkeln: Im Ferienort Cavallino bei Venedig sindselbst die teutonischen Camping-touristen erst mal skeptisch. Also hält Anderl Schilder hoch – als Anleitung zum Lustigsein. Und dann ein Prosit derGemütlichkeit. Na bitte, geht doch!

Sant’Angelo Village, Italien

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Hippodrom, da spielst du vor 4000 Leu-ten, und nur du und deine Kollegen, ihrentscheidet darüber, ob die Menge aus-rastet und den Laden auseinandernimmt– oder ob die Damen und Herren gepflegtihre kälbernen Fleischpflanzerl zu lau-warmem Erdäpfel-Rucola-Salat verspei-sen können. Bevor sie dann auf die Bänkesteigen. „Du musst die Mechanismenkennen“, sagt Wolfgang, „und vor allemRücksicht auf den Wirt nehmen.“ Ein nurtanzendes, grölendes Publikum isst undtrinkt nicht genug. „Als Musiker“, erklärtWolfgang, „funktionierst du wie dasThermostat an der Heizung. Du gibst dieTemperatur vor.“

Vor dem Oktoberfest, das darf mannicht verschweigen, steht auch für Zwie-tracht der sogenannte Alltag, und das sindAuftritte wie der beim Möbel Biller inPlauen oder das Fest zum Sechzigstenvom 1. FC Kalchreuth. Oder das Gastspielim drittelvollen Bierzelt von Bad Staffel-stein in Oberfranken. Und da muss mandann unweigerlich an den Strunk denkenund die „Tiffanys“. Wolfgang: „Manchmalist es eben ein Job, so wie ins Büro gehen.Aber das Leben ist halt ein Bierzelt.“

ES IST ENDE AUGUST, und die Piazza aufdem Campingplatz von Cavallino naheVenedig ist mit blau-weißem Karo ge-schmückt, Löwenbräu-Wimpel hängenschlapp in der warmen Luft. Der Tag geht,

und die Zwietracht kommt. Die Jungs ha-ben eine Menge eigener Lieder, mit denensie manchmal im Fernsehen auftreten,und die sind jetzt zu hören. Sie haltenSchilder in die Luft, um die Leute in Stim-mung zu bringen, aber zunächst schauendie deutschen Campingtouristen nochwenig amüsiert. Zwei, drei Lieder, dann„ein Prosit der Gemütlichkeit“. Hinter derZapfanlage gerät der Wirt arg ins Schwit-zen, ein Bier nach dem anderen, und manmuss sagen, die Masche funktioniert. Ein,zwei Maß Bier, da steigen die ersten Leuteauf die Bänke. Hinterher sagt Wolfgang,dass man sich bei solchen Auftritten ja alsDienstleister betrachte: „Wir sollen dieLeute zum Saufen bringen.“ Beim Okto-berfest klingeln bei jedem Prosit ein paartausend Euro in der Wirtskasse.

Als Stimmungsmusiker spielst du einziemlich schräges Programm – von Jür-gen Drews bis AC/DC, und es gibt nichtwenige Momente der Entfremdung. AmTeufelswerk des DJ Ötzi führt heutzutagekein Weg mehr vorbei: „Das tut schonweh“, sagt Wolfgang, „aber: Ein paar Sa-chen spielst du einfach nicht.“ Aus Selbst-achtung. Etwa den „Holzmichl“ von die-ser Ossi-Band, man hätte sonst schnellein Potpourri des Grauens beisammen.

Die Zwietracht ist vor ein paar Jahrenin der Republik bekannt geworden, als siemit dem seligen Rudolph Moshammerbeim Vorentscheid zum Schlager-Grand-

Prix aufgetreten ist: Moos hamma, großdamma, nobel und famos samma/reichsamma, Scheich samma, ganz ohne Ver-gleich. Im Schaller-Zelt auf dem Augsbur-ger Plärrer, der schwäbischen Variantedes Oktoberfests, will die Menge abernicht so recht mitgehen bei dem Lied. Soein Mittwochabend kann zäh sein. Nurein paar Jungs vorne in den ersten Reihenklatschen jetzt kräftig, darunter einer, derseine Vokuhila-Frisur aus den Achtzigernin die Gegenwart hinübergerettet hat. DieZwietrachtler geben alles: „Smoke On TheWater“ und andere Oldies und neben derBühne spielt ein völlig besoffener Typ mitGipsbein Luftgitarre auf seiner Krücke.Aber das Einzige, was man wirklich mit-nimmt von hier, ist das Grummeln, dasSchweinsbraten und Blaukraut im Magenhinterlassen haben.

Karl ist das zweite Gründungsmitglied,und wie Wolfgang hat auch er früher beieiner Versicherung gearbeitet. Heute ist ereiner der Leadsänger, wobei jeder singendarf bei den sechs Zwietrachtlern – außerdem Drummer. Karl erzählt: „Wir hattenmal einen in der Band, der war Vegetarier.Aber der hat das nicht lange ausgehalten.“Weil immer nur trockene Kartoffeln undKnödel, das macht selbst den härtestenKerl weich.

Die Wochen vorm Oktoberfest sindfür die Band so eine Mischung aus arbei-ten gehen und sich warm spielen und ➔

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ein paar Lieder testen, die der Wies’n-Hitwerden könnten. Ganz sicher ist es dies-mal „54, 74, 90, 2010“ von den Sport-freunden Stiller. Karl sagt, dass man so einen Wies’n-Hit nicht planen könne. Ersagt: „Du spielst am ersten Wochenendezwei, drei Lieder, die das Potenzial haben,und beobachtest die Reaktion. Das Volkstimmt dann ab.“ Am Ende läuft das Liedin high rotation. Trotzdem haben es im-mer wieder Komponisten versucht, eineOktoberfesthymne zu schreiben. DerLetzte, der einsehen musste, dass es nichtgeht, war wie immer Ralph Siegel.

IN MÜNCHEN GIBT ES JA Promi-Anwäl-te und Promi-Zahnärzte. Promi-Wirtegibt es auch, und Sepp Krätz gehört zuden berühmtesten, weil er die Waldwirt-schaft betreibt und den Andechser amDom, und die sind so ziemlich das Beste,was München an bodenständiger Gastro-nomie zu bieten hat. Seit zehn Jahrenspielt die Zwietracht nun schon in seinemHippodrom auf der Wies’n. Überall imZelt hängen Fotos von ihm – vielleichtsollte man lieber Bildnisse sagen: SeppKrätz mit gütigem Goldkronenlächeln.

Das Hippodrom heißt Hippodrom,weil hier früher in der Zeltmitte 25 Pferdegelaufen sind. Die Bierseligen sind dannim Kreis geritten und runtergefallen, undein jeder hat seinen Spaß daran gehabt.Heute hängen nur noch hölzerne Pferdean einem riesigen Adventskranz unter der

Decke. Früher war das Hippodrom einverrufener Laden, Sperrstunde erst umeins, und alle, die den Kanal noch nichtvoll hatten, kamen zum Weitertrinkenher und auch auf eine deftige Keilerei.Später ist der Besitzer dann wegen irgend-einer Steuergeschichte in den Knast ge-gangen, und Sepp Krätz hat das Hippo-drom auf das Gediegenste zivilisiert.

Er sagt: „Der Oberkapellmeister binimmer noch ich.“ Weil er ständig an denTischen unterwegs ist, um die Stimmungzu checken. Da wird es mitunter kompli-ziert: Denn die Band will Party machen,aber der Wirt seine Wies’n-Hendl ver-kaufen, und die essen sich leichter im Sit-zen. Deshalb hatten sie schon mal einbisschen Zoff – vergangenes Jahr hat ereine andere Kapelle ausprobiert. In dieserSaison ist nun die Zwietracht wieder da.„Eigentlich müsste die Band ja umsonstspielen“, sagt Krätz, „das ist doch die bes-te Werbung für die.“

Aber dann räumt er ein, dass er ihnentrotzdem 80 000 Euro überweist. Undman stellt sich vor: Ein bisschen Schmer-zensgeld wird schon auch dabei sein. DerMensch hat ja heutzutage eine gewisseRekordmentalität, und so bietet das Oktoberfest allen die Gelegenheit, per-sönliche Grenzen auszutesten: Den Kell-nerinnen, die acht bis zehn Maßkrüge aufeinmal schleppen, und auch den Land-burschen, die acht bis zehn Krüge nach-einander leeren. Oder den fröhlichen

Musikanten, die fünf Stunden lang in diesem Festzelt stehen und die Trompeteblasen und das Akkordeon quetschen,ohne ohnmächtig zu werden in dieserLuft, die, je später der Abend, einen der-ben Geruch von Schweiß und Zigaretten-qualm und hier und da Erbrochenem annimmt. Ein Prosit, ein Pro-ho-sit der Gemütlichkeit.

Als Gast kann man so eine Veranstal-tung unter drei Maß kaum ertragen. Da-nach wird’s aber lustig. Bei den Musikernist es genau umgekehrt. Um 17 Uhr geht’slos – vorher spielt eine bessere Amateur-band – und dann den ganzen Abend nurApfelschorle und zum Abschluss einWeißbier und ein Schnapserl dazu. Sonst,sagt Wolfgang, „hältst du das hier nichtdurch“.

Bis zum 3. Oktober schunkelt dieFrohsinnsindustrie noch vor sich hin,aber spätestens in der zweiten Wocheschleppen die Bedienungen die ersten Er-kältungen rein, die verbreiten sich dannwie eine Epidemie. Vor Mitternachtkommt man eh nie ins Bett, und amnächsten Morgen schon gar nicht wiederraus. „Am Ende ist es ein Teufelskreis“,sagt Wolfgang – und tupft sich mit seinemZwietracht-Handtuch die schweißnasseStirn ab – „nach der Wies’n brauchst duerst mal Urlaub, ganz viel Urlaub.“

Aber das ist alles immer noch sehr vielbesser, als durch Oberbayern zu fah-ren und Versicherungen zu verkaufen.

Oktoberfest, München … so schön, ein Musikant zu sein: Anderl quetscht im Wies’n-Hippodrom das Akkor-deon, die Menge tanzt auf Bierbänken. Eine Maß Weißbier gibt’s erst nach der Arbeit

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