Die Alpen: das einzigartige Naturerbe · 2020. 10. 30. · 4 5 Oben: Calanda, Berg im Churer...

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WWF Deutschland Rebstöcker Straße 55 D-60326 Frankfurt Tel: (+49) 69-7 91 44-202 [email protected] WWF Italien Via Orseolo 12 I-20144 Milano Tel: (+39) 02-831-33206 [email protected] WWF Österreich Brixnerstraße 4/Top 9 A-6020 Innsbruck Tel: (+43) 512-57 35 34-25 [email protected] WWF Schweiz Hohlstr. 110 CH-8010 Zürich Tel: (+41) 1-297-2237 [email protected] WWF Frankreich 188, Rue de la Roquette F-75011 Paris Tel: (+33) 1-55 25 84 73 [email protected] Die Alpen: das einzigartige Naturerbe Eine gemeinsame Vision für die Erhaltung ihrer biologischen Vielfalt © Copyright des WWF International ® Warenzeichen des WWF International Netzwerk Alpiner Schutzgebiete Micropolis Isatis F-05000 Gap Tel: (+33) 49-24020-00 [email protected] Internationales Wissenschaftliches Komitee Alpenforschung Bärenplatz 2 CH-3011 Bern Tel: (+41) 31-318 70 18 [email protected] CIPRA International Im Bretscha 22 FL-9494 Schaan Tel: (+423) 237-40 30 [email protected] WWF / Hubert Malin

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WWF DeutschlandRebstöcker Straße 55D-60326 FrankfurtTel: (+49) 69-7 91 [email protected]

WWF ItalienVia Orseolo 12I-20144 MilanoTel: (+39) 02-831-332 [email protected]

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Die Alpen: das einzigartige

NaturerbeEine gemeinsame Vision für die Erhaltung

ihrer biologischen Vielfalt

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NetzwerkAlpiner SchutzgebieteMicropolis IsatisF-05000 GapTel: (+33) 49-240 [email protected]

InternationalesWissenschaftlichesKomitee AlpenforschungBärenplatz 2CH-3011 BernTel: (+41) 31-318 70 [email protected]

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F S C - C e r t i f i c a t e - N o . : S G S - C O C - 1 5 3 7

17,5%Minimum

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Vorwort ....................................................................................................................................4

Eine Strategie zum Schutz der Alpenvielfalt....................................................................6

Ökoregion unter Druck .........................................................................................................8

Die biologische Vielfalt der Alpen ....................................................................................10

Insekten: Unauffällig, aber richtig wichtig.........................................................................11

Flora: Enzian und Co .........................................................................................................12

Vögel: Sesshafte und Durchreisende ................................................................................14

Säugetiere: Von der Alpenwaldmaus bis zum Wolf..........................................................16

Süßwasser: Quell des Lebens ..........................................................................................18

Amphibien und Reptilien: Geheimnisvolles Leben ........................................................20

Entlegene Gebiete: Wildnis pur ......................................................................................21

Der Einfluss des Menschen auf die biologische Vielfalt der Arten............................22

Vorranggebiete für Naturschutz .......................................................................................26

Ausblick: Nachhaltige Zukunft für die Alpen .................................................................28

Danksagung ..........................................................................................................................30

Inhalt

Impressum:

Herausgeber: WWF Deutschland, Frankfurt am Main,im Rahmen des WWF Europäischen Alpenprogramms,(1. Auflage, Januar 2004).

Autor: Frank Mörschel, mit Beiträgen von:Serena Arduino, Guido Plassmann, Michel Revaz und Andreas Weissen.Redaktion und Produktion: Heike Mühldorfer.Gestaltung: Fluxdesign Bremen, Ralf Wittke.Druck: medialogik, Karlsruhe auf FSC-Papier.

Arbeitsgruppe:Serena Arduino, Andreas Baumüller, Doris Calegari, Frank Mörschel,Hermann Sonntag, Christine Sourd, Holger Spiegel, Andreas Weissen (WWF);Andreas Götz, Michel Revaz (CIPRA),Engelbert Ruoss, Thomas Scheurer (ISCAR),Boris Opolka, Guido Plassmann (ALPARC),und Chistoph Plutzar (GIS Arbeiten).

Andere WWF Mitwirkende:N. Gerstl, T. Kaissl, G. Steindlegger, C. Walder (WWF Österreich),S. Jen (WWF Europäisches Politikbüro),C. du Monceau, A.-I. Perrin, E. Pétitet, D. Vallauri (WWF Frankreich),F. Bulgarini, B. Franco, G. Guidotti, I. Pratesi (WWF Italien),F. Antonelli, P. Regato, C. Roberts (WWF Programmbüro Mittelmeer),C. Elliker (WWF Schweiz),J. Reed, D. Robinson, H. Strand (WWF USA).

Übersetzung: Serena Arduino, Elisabetta Luchetti, Studio Michelangelo (I),Andreja F. Gasperlin und Tina Markun (SL), Frank Mörschel (E+D),Donné N. Beyer (D), Danièle Reuland (F).

© 2004 WWF, Frankfurt am Main,Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.

Durch die Verwendung von FSC-zertifiziertem Holz unterstützen wir einebessere Bewirtschaftung der Wälderweltweit.Mindestens 50 % dieses Papiers be-stehen aus deinktem Altpapier und FSCFrischfaserzellstoff. 17,5 % der imProduktionsprozess dieses Papiers ver-wendeten Fasern stammt aus verant-wortungsvoller Waldbewirtschaftung,unabhängig zertifiziert nach den Richt-linien des Forest Stewardship Council.

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Oben: Calanda, Berg im Churer Rheintal, Schweiz WWF / Jürgen Deuble

Unten: Schreckhorn, Schweiz WWF / Andreas Baumüller

die Alpen gelten als das am meisten genutz-te Gebirge der Welt. Dennoch beherbergensie nach wie vor die größte biologischeVielfalt in Europa. Dieses Naturerbe ist zu-gleich untrennbar mit der Lebensqualitätvon Bewohnern und Besuchern verknüpft.Zusammen mit seinen PartnerorganisationenALPARC (Netzwerk Alpiner Schutzgebie-te), CIPRA (Internationale Alpenschutz-kommission) und ISCAR (InternationalesWissenschaftliches Komitee Alpenfor-schung) bestimmte der WWF diejenigenGebiete in den Alpen, die wegen ihrer he-rausragenden biologischen Vielfalt vorran-gig zu schützen sind. Die entstandenenKarten sind das Ergebnis einer zweijährigenAnalyse, an deren Ende zwei internatio-nale Workshops mit Wissenschaftlern,Vertretern von Nichtregierungsorganisatio-nen und Institutionen in Gap/Frankreich(Mai 2002) und Alpach/Österreich (Sep-tember 2002) standen. Das Ergebnis derAnalyse ist in dieser Broschüre veröffent-licht. Es trägt dazu bei, die biologische Viel-falt der Alpen besser zu verstehen und ent-hält eine Empfehlung, auf welche Gebietesich Naturschutzmaßnahmen künftigkonzentrieren sollten.

Die Initiative unserer vier Organisationenzur Erhaltung der biologischen Vielfaltder Alpen ist ein wichtiger Beitrag zur Al-penkonvention. In diesem internationalenAbkommen verpflichten sich die Alpen-staaten und die Europäische Union, einePolitik der nachhaltigen Entwicklung in

dieser Gebirgsregion zu verfolgen. Damitwurden die Alpen zu einer Modellregiongrenzüberschreitender Zusammenarbeit fürandere Regionen in Europa und weltweit.Unsere gemeinsame Initiative präsentiertzum ersten Mal eine Karte der Alpenregio-nen mit hoher biologischer Vielfalt unterBerücksichtigung vieler verschiedenerPflanzen, Tiere und Lebensräume. DieseKarte zeigt, wo wir zuerst handeln müssenund ergänzt damit die Alpenkonventionund ihre Protokolle, die nur definieren, wel-che Maßnahmen wie umgesetzt werdensollen. Auf diese Weise können wir nun dieBewahrung der biologischen Vielfalt besserin Planungsentscheidungen auf lokaler,regionaler, nationaler und internationalerEbene berücksichtigen.

Das Netzwerk Alpiner Schutzgebiete istein herausragendes Ergebnis der Alpenkon-vention. Es stellt ein wichtiges Instrumentfür die Bewahrung der biologischen Viel-falt dar. Doch selbst wenn die Manager die-ser Schutzgebiete nun ein enges Netzwerkknüpfen, das den Austausch von Informa-tionen und Erfahrungen fördert: Die Schutz-gebiete selbst bleiben weiterhin voneinanderisoliert. Es gibt keine ökologischen Korri-dore zwischen ihnen, sie bleiben Inseln.Unser Naturerbe ist deshalb nur unzurei-chend gesichert. Daher müssen wir wir-kungsvolle und nachhaltige Management-methoden auch außerhalb von Schutzge-bieten verstärken, besonders in Regionenmit hoher biologischer Vielfalt – und dort,

wo möglich, ökologische Korridore schaf-fen. Die Alpenkonvention und vor allemihre Protokolle zu „Naturschutz und Land-schaftspflege“ sowie zu „Raumplanung undnachhaltige Entwicklung“ enthalten Werk-zeuge, mit denen dieses Ziel mittelfristigerreicht werden kann.

Netzwerke knüpfen

WWF, ALPARC, CIPRA und ISCAR ar-beiten gemeinsam daran, die Biodiversitätder Alpen zu erhalten. Wir sind überzeugtdavon, dass es wichtig ist, alle Kraft imNaturschutz vor allem auf die jetzt identifi-zierten Gebiete mit hoher biologischerVielfalt zu konzentrieren. Wir wollen sicher-stellen, dass Aspekte der Bewahrung derbiologischen Vielfalt in Planungsentschei-dungen Eingang finden und dass ange-messene und wirkungsvolle Maßnahmenumgesetzt werden, um ein ökologischesNetzwerk von Schutzgebieten einzurichten.Und dass Flächen außerhalb der Schutzge-biete nachhaltig bewirtschaftet werden.Die vier unterzeichnenden Organisationenwerden Projekte innerhalb der Regionenmit hoher biologischer Vielfalt in Zusam-menarbeit mit der lokalen Bevölkerung,zuständigen Behörden und Interessen-gruppen beginnen. Wir rufen alle im Natur-schutz Aktiven auf, unserer Initiative zufolgen und uns in unserer Anstrengung, dasNaturerbe der Alpen zu schützen, zuunterstützen.

Die Alpenkonventionund die biologische Vielfalt

Die „Konvention zum Schutz der Alpen“ wurde 1991

unterzeichnet und trat 1995 in Kraft. Die Alpen-

konvention – so die Kurzform – war der erste multi-

laterale Vertrag, der die Organisation und Kooperati-

on zwischen Staaten in einer Gebirgsregion regelt.

Sie dient seither als Beispiel für andere Gebirgs-

regionen wie etwa die Karpaten. Die Konvention um-

reißt die Prinzipien und den dringenden Handlungs-

bedarf in besonderen Umweltbereichen, sowie auf

wirtschaftlichem und sozialem Gebiet¹.

Die neun Unterzeichner des Abkommens (Deutsch-

land, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco,

Österreich, Schweiz, Slowenien und die Europäische

Union) betonen den natürlichen und kulturellen

Reichtum der Alpen, ihre Bedeutung für die Bewoh-

ner und die Besucher, den Bedarf einer Verstärkung

grenzüberschreitender Kooperation sowie die Not-

wendigkeit, ökologische Erfordernisse bei Wirt-

schaftsinteressen zu berücksichtigen. Die Staaten

erkennen die Tatsache an, dass die Alpen einen

unverzichtbaren Lebensraum und letzten Zufluchts-

ort für viele bedrohte Pflanzen- und Tierarten dar-

stellen. Sie sind sich per Unterzeichnung bewusst,

dass der ständig wachsende Druck durch den

Menschen die Alpenregion und ihre ökologische

Funktion immer stärker bedroht. Mit der Alpenkon-

vention verfolgen die beteiligten Parteien daher eine

umfassende Politik für den Schutz und den Erhalt

der Alpen. Um die Ziele zu erreichen, haben sich

die Unterzeichnerstaaten dazu verpflichtet, die

entsprechenden Maßnahmen auf zwölf Themenge-

bieten zu ergreifen und dies in so genannten Pro-

tokollen festgehalten. Bis heute wurden acht The-

menprotokolle formuliert – zum Beispiel über „Berg-

landwirtschaft“, „Energie“, „Tourismus und Freizeit“

und „Verkehr“. Bis heute haben jedoch nur drei

Mitglieder alle acht Protokolle formal ratifiziert.

Für die Bewahrung der biologischen Vielfalt der Al-

pen sind die zwei Protokolle „Naturschutz und

Landschaftspflege“ sowie „Raumplanung und nach-

haltige Entwicklung“ die wichtigsten. Sie traten

im Dezember 2002 in Kraft. Das internationale Ab-

kommen könnte ein mächtiges Instrument sein,

wenn alle Unterzeichner des Abkommens die Proto-

kolle endgültig ratifizieren und umsetzen würden.

Liebe Leserinnen und Leser,

¹⁾ Der gesamte Text der Alpenkonvention und alleProtokolle können unter www.alpenkonvention.org oderwww.cipra.org eingesehen werden.

Dr. Thomas Scheurer

ISCAR, Geschäftsführer

Andreas Götz

CIPRA, Direktor

Dr. Guido Plassmann

ALPARC, Direktor

Dr. Claude Martin

WWF, Generaldirektor

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0 100 200 km

Base MapWWF European Alpine Programme

–––– National Boundary

–––– Alpine Convention Boundary

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Die Alpen sind ein wahres Wunder der Na-tur. Die riesige Vielfalt verschiedener Le-bensräume fasziniert den Menschen schonseit langer Zeit: warme, weite Täler, sanfteHügel, tiefe Gebirgsschluchten bis hin zuEis- und Steinwüsten in den Gipfelregionen.Die Alpen werden beherrscht von natürli-chen, manchmal gewaltigen dynamischenProzessen: Föhnstürme, Lawinen, Stein-schläge, Überflutungen und harte Winter.Diese Prozesse sind charakteristisch für dieAlpen. Sie zerstören kurzfristig und schaf-fen zugleich immer wieder kontinuierlichneuen Lebensraum für Pflanze und Tier.Sie sind die treibende Kraft für die biolo-gische Vielfalt. Aber sie sind manchmalauch zerstörerisch für die menschliche Be-völkerung in den Alpen. Das prägt derenSichtweise und führt nicht selten zu Proble-men im alltäglichen Umgang mit Natur.Dynamische Prozesse und eine immense

Vielfalt von Lebensräumen haben einen sehrgroßen Reichtum an Tier- und Pflanzen-arten hervorgebracht. Daher zählen die Al-pen zu den 238 wichtigsten Ökoregionen²der Erde, den Global 200 (siehe Kasten S.7).Die Alpen sind jedoch nicht nur Mitteleuro-pas größte verbliebene Naturregion, sondernzugleich auch eine der bedrohtesten. Bereitsheute ist die Natur der Alpen vielerortsvon Menschen stark verändert und zerstörtworden. Bisher gab es keinen strategischenAnsatz, um die biologische Vielfalt dergesamten Alpenregion zu schützen und fürkünftige Generationen zu sichern. Es gibtnur wenige Initiativen, die sich der Biodiver-sität der gesamten Alpenregion angenom-men haben. Deshalb entwickelte der WWF

Eine Strategie zum Schutzder Alpenvielfalt

Denken in Ökoregionen – eine neue Naturschutzstrategie

In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts identifizierte der WWF weltweit

238 besonders wertvolle Ökoregionen im Rahmen seiner Global 200-Initiative.

Auch die Alpen gehören zu den Global 200-Regionen. Diese ausgewählten Ökore-

gionen repräsentieren die wichtigsten und wertvollsten Beispiele aller vorhandenen

Habitattypen. Wenn es uns gelingt, in diesen 238 Ökoregionen die biologische Vielf-

alt zu schützen, bewahren wir zugleich die Mehrzahl aller Tier- und Pflanzenarten der

Erde. Auch internationale Organisationen wie die Europäische Umweltbehörde und

die Weltbank haben die Global 200 anerkannt und übernommen – andere große

Naturschutzorganisationen wie „The Nature Conservancy“ und „Conservation Inter-

national“ haben ökoregionalen Naturschutz sogar als zentrale Naturschutzstrategie

angenommen.

Naturschutz in Ökoregionen umfasst einige wichtige Schritte:

\ Entwicklung einer Vision für die biologische Vielfalt,

\ Identifikation vorrangiger Gebiete für den Schutz der Biodiversität,

\ Entwicklung und Umsetzung eines ökoregionalen Aktionsplans.

Schlüsselmerkmale sind dabei Großräumigkeit (bezogen auf eine gesamte Ökoregion),

Entwicklung einer langfristigen Vision (auf mindestens 50 Jahre angelegt), Inte-

gration von Biodiversität mit sozio-ökonomischen Faktoren, wissenschaftlich fundierter

Ansatz, die Partnerschaft mit anderen Beteiligten sowie die Einbeziehung von

Interessengruppen.

mit seinem ökoregionalen Naturschutzan-satz zusammen mit ALPARC, CIPRA undISCAR eine Vision für die Bewahrungder biologischen Vielfalt der Alpen. Um diebiologische Vielfalt der Alpen für die kom-menden Generationen zu sichern, wurdendie wichtigsten Bereiche bestimmt, aufdie sich die Schutzbemühungen in Zukunftkonzentrieren sollten. Ein umfassenderAktionsplan wird Schutzmaßnahmen aufökoregionaler wie auf regionaler Ebenebenennen. Nur auf diesem Weg können wireinen langfristigen Schutz unseres Natur-erbes in den Alpen garantieren.

Die Edelsteine der Alpen

Die ausgewählten Gebiete mit höchsterSchutzpriorität (siehe S. 26/27) repräsentie-ren die „Edelsteine“ der Alpen. Sie stellenaus ökoregionaler Sicht die für die Biodi-

Piz Palü, Schweiz WWF / Jürgen Deuble

Italien 17,1%

Österreich 14,4 %

Liechtenstein 0,6%

Slovenien 13,3%

Schweiz 8%

Frankreich 29,3%

Deutschland 13,5%

Geschütztes Gebietrelativ zum Alpenanteildes Landes(nur Nationalparke, Regionalparkeund Naturreservate > 100 ha)

²⁾ Eine Ökoregion ist ein Ökosystem, das eine relativgroße Wasser- oder Landfläche umfasst, die einecharakteristische geographische Zusammensetzungnatürlicher Lebensgemeinschaften beherbergt

versität wichtigsten Regionen dar. Das be-deutet nicht, dass Gebiete außerhalb dieserVorranggebiete wertlos sind. Im Gegenteil:Jeder Quadratmeter der Alpen ist wichtig.Aber wenn wir besonders effektiv mit unse-ren begrenzten Ressourcen umgehen wol-len, müssen wir unsere Anstrengungenkonzentrieren. Das heißt: Menschliche Ak-tivitäten in den vorrangigen Gebieten müs-sen auf die Natur besondere Rücksichtnehmen. Wir alle haben eine große Verant-wortung, diese „Edelsteine“ der Alpen zubewahren. Wir können uns nicht leisten, siezu verlieren.

Karte 1: Die Ökoregion Alpenin den Grenzen der Alpenkonvention.Dabei besitzt Österreich 28,5% der Alpen,Italien 27,6%, Frankreich 21,4%,die Schweiz 13,1%, Deutschland 5,8%,Slowenien 3,5% und Liechtenstein 0,08%.

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Labyrinth von Tälern und Bergketten, diebis zu 4.800 Meter über dem Meeresspiegelliegen (mit dem Gipfel des Mont Blanc) undeine große Anzahl von Gesteinsarten undMikroklimaten aufweisen. Das ist derHauptgrund für die erstaunliche Lebensviel-falt, die dort zu finden ist. Alleine die Arten-zahlen sind beachtlich und würden bereitseinen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorderechtfertigen. Doch sie geben nur einen klei-nen Eindruck von der eigentlichen Vielfalt(siehe Kasten S.9). Kein Wunder also, dassdieAlpen in zwei Untersuchungen zur welt-weiten Artenvielfalt als eine Region vonglobaler Bedeutung ausgewählt wurden.Zum einen wurden sie vom WWF als eineGlobal 200-Region identifiziert und gehörtdemnach zu den 238 ökologischen wichtig-sten und artenreichsten Regionen der Erde(siehe Kasten S.7). Zum anderen stuftenWWF und die Weltnaturschutzunion IUCNin der Studie „Zentren der Pflanzen-Viel-falt“ die Alpen als eine von 234 Regionenein, die weltweit die größte Pflanzenvielfaltaufweisen.

Die Menschen in den Alpen

Abgesehen von diesen Superlativen: DieAlpen sind auch die Heimat von 14 Millio-nen Menschen in acht Ländern – miteiner Vielzahl verschiedener Kulturen undSprachen. Die Alpen erstrecken sich lautAlpenkonvention über eine Fläche von191.000 Quadratkilometern – das entsprichtmehr als der Hälfte Deutschlands. Aufeinem Quadratkilometer leben durchschnitt-lich 68 Menschen. Allerdings ist die Be-völkerung keineswegs gleichmäßig verteiltsondern konzentriert sich vor allem aufdie Täler. Schon zur Steinzeit vor etwa 7.500Jahren lebten Menschen in den Alpen.Seither führen sie einen Überlebenskampfin einer oft lebensfeindlichen Natur. Sied-lungen entstanden an jenen Plätzen, diekleinen, lebensfreundlichen Inseln gleichka-men: auf Anhöhen in großen Tälern undauf kleineren Bergen. Später dehnten siesich allmählich über die Talsohlen bis in dieSeitentäler aus. Die steilen und rauen Bergewaren zwar für permanente Besiedlungenungeeignet. Doch wurden sie häufig ge-nutzt, um dort im Sommer das Vieh grasenzu lassen. Historischer Ackerbau undViehhaltung führten schließlich in vielen

gesetzlich geschützt sind. Die Ausweisungvon Schutzgebieten ist ein sehr wichtigesInstrument für den Erhalt der Artenviel-falt. Es wurden in den Alpen große Anstren-gungen seitens der nationalen Regierungenunternommen, verschiedene Formen vonSchutzgebieten zu etablieren: National-parke, Natur- und Regionalparke, Naturre-servate, Biosphärereservate und andereergänzende gesetzliche Naturschutzmaß-nahmen. Trotzdem sind geschützte Gebietehäufig voneinander isoliert und müssendurch ökologische Korridore und weitereMaßnahmen außerhalb der Schutzgebieteverbunden werden.

Ökoregion unter Druck

Teilen der Alpen zu der charakteristischenKulturlandschaft, die heute eine wichtigeRolle für den Erhalt der Artenvielfalt spielt.Mit wachsender Industrialisierung undGlobalisierung allerdings lohnt sich die tra-ditionelle Landbewirtschaftung heute finan-ziell nicht mehr. Deshalb nimmt die be-schriebene extensive Landwirtschaft imganzen Alpenraum ab und zugleich nimmteine intensive Landwirtschaft mit größerenBetrieben in den Tälern zu – mit fatalenFolgen für die Artenvielfalt.

Gut 120 Millionen Touristen besuchen jähr-lich die Alpen. Sie benötigen Verkehrsin-frastrukturen und Unterkünfte. Der Touris-mus dringt mittlerweile auch in die bislangnoch entlegenen Gebiete vor und droht, sei-ne eigene wirtschaftliche Basis zu zerstören.Das Straßenverkehrsaufkommen wächst

aber nicht nur aufgrund steigender Urlau-berzahlen, sondern auch wegen des wach-senden Handels zwischen den Alpenstaaten.Gleichzeitig wächst der Pendlerstrom zu dengrößeren Städten in den Alpen. Andereernsthafte Bedrohungen der Artenvielfaltentstehen durch die immer stärkere Nutzungdes Wassers: zur Bewässerung von Feldern,zur Energieerzeugung und vor allem alsTrinkwasser. Die Alpen sind das wichtigsteTrinkwasser-Reservoir Europas und wer-den deshalb stark von außeralpinen Inter-essen beeinflusst.

Naturschutz aus Tradition

Naturschutz in den Alpen hat bereits einelange Tradition. Viele ökologisch wichtigeGebiete sind mittlerweile Schutzgebiete,sodass heute gut 20 bis 25 Prozent der Alpen

Die Tier- und Pflanzenvielfalt der Alpen

\ ca. 30.000 Tierarten,davon:

\ ca. 20.000 wirbellose Tierarten (dies ist nur

eine grobe Schätzung),

\ ca. 200 Brutvogelarten,

\ ca. 80 Säugetierarten (darunter einige,

die nur zeitweilig in den Alpen sind),

\ ca. 80 Fischarten,

\ 21 Amphibienarten (eine davon endemisch),

\ 15 Reptilienarten.

\ ca. 13.000 Pflanzenarten,davon:

\ mehr als 5.000 Pilzarten,

\ ca. 4.500 Gefäßpflanzenarten

(dies sind 39 Prozent der gesamten Flora in Europa,

mehr als 400 davon sind endemisch),

\ ca. 2.500 Flechtenarten,

\ ca. 800 Moosarten,

\ ca. 300 Lebermoosarten.

Die Alpen sind eine der letzten Regionenin Zentraleuropa in denen es noch unberühr-te Wildnis gibt. Viele Gebiete sind auchheute noch schwer zugänglich und weitge-hend unberührt.

Die Alpen sind zugleich atemberaubend undwunderschön. Sie sind eine der letzten Ba-stionen der Natur gegen die immer weiterwachsenden Ansprüche der Menschheit, diedie Basis ihrer eigenen Herkunft und Zu-kunft umzuwandeln und oft zu zerstörendrohen. Die Berglandschaft unterscheidetdie Alpen von allen umliegenden deutlichflacheren Regionen und macht sie innerhalbEuropas zu etwas Einmaligem. Die Bergetrennen das mediterrane Südeuropa mitseinen Trockenwäldern vom Mitteleuropamit seinen Laubwäldern. Die Alpen sind ein

Oben: Zersiedlung im Saastal, Schweiz WWF / Andreas Weissen

Unten: Almen in Montafon, Österreich WWF / Hubert Malin

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0 100 200 km

InsectsWWF European Alpine Programme

–––– National Boundary

–––– Alpine Convention Boundary

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Biodiversität ist die „Würze des Lebens“.Biologische Vielfalt besteht aus allen Genen(Gen-Vielfalt), allen Arten (Arten-Vielfalt),allen Ökosystemen (Ökosystem-Vielfalt)und allen Prozessen, die Leben auf der Erdeerhalten.

Die Biodiversität zu beschreiben ist jedocheine große Herausforderung. Obwohl dieAlpen das am gründlichsten erforschteGebirgssystem der Welt sind, haben wir den-noch nur ein sehr begrenztes Wissen überdie verschiedenen Komponenten ihrer Viel-falt. Wir kennen zum Beispiel nicht einmalalle wirbellosen Arten, die in den Alpenleben – und erst recht nicht alle Gene undProzesse. Das ist der Grund, warum die mei-sten Studien zwar über Biodiversität spre-chen, aber ihre Arbeit auf bestimmte Artenund Ökosysteme beschränken. Auch un-sere Studie ist hier keine Ausnahme.

Das Wissen um die Verbreitung von Artenund Ökosystemen in den Alpen wird sehrhäufig eingeschränkt durch die regionalenund politischen Grenzen der Alpen. Außer-dem gibt es große Unterschiede in derMethodik der Datensammlung und -auswer-tung in den einzelnen Ländern und Regio-nen. Um dieses Hindernis zu überwinden,hat das Europäische Alpenprogramm desWWF damit begonnen, Daten zur Arten-vielfalt und zu sozio-ökonomischen Zusam-menhängen zu sammeln, die im gleichenMaßstab für den gesamten Alpenraum vor-liegen. Diese wurden in ein geographischesInformationssystem (GIS) übertragen. AufGrundlage dieser Informationen und den

Wirbellose Tiere³ sind klein – ihre Wichtig-keit wird deshalb von vielen Menschenunterschätzt. Denn die Mehrzahl aller Artenauf unserer Erde sind Insekten, Würmer,Spinnen, Krebse oder Schnecken. Und wennman sie alle gemeinsam wiegen würde,hätten sie ein größeres Gewicht als alle Wir-beltiere⁴ wie Elefanten, Wale und Menschenzusammen. Gleichzeitig sind wirbelloseTiere die Gruppe von Tieren, über die wiram wenigsten wissen. Dies gilt für die ganzeWelt, also auch für die Alpen. Schätzungs-weise gibt es in den Alpen mindstens zwan-zig Mal mehr wirbellose Tierarten als Wir-beltiere. Von Kärnten wissen wir, dass es

Insekten: Unauffällig, aber richtig wichtig

Erkenntnissen von Naturschutz-Expertenaus allen Alpen-Ländern wurden für die Al-pen charakteristische Arten und Ökosyste-me ausgewählt – wobei diese Auswahl einKompromiss zwischen ihrer Wichtigkeitfür die Artenvielfalt und der Verfügbarkeitentsprechender Informationen über siedarstellt. Die Gebiete, die am bedeutendstenfür eine Artengruppe (Flora, Insekten, Rep-tilien und Amphibien, Vögel und Säuge-tiere) und für Süßwasser-Ökosysteme sind,wurden von Experten in einer großmaß-stäblichen Karte der Alpen eingetragen(Karten 2-7).

Bergwiese im Bschlabertal, Österreich WWF / Andreas Baumüller

DiebiologischeVielfaltder Alpen

³⁾ Alle Tiere ohne Wirbelsäule: z.B.: Insekten, Würmer, Spinnen, Krebse, Schnecken

⁴⁾ Alle Tiere mit Wirbelsäule: z.B.: Säugetiere, Reptilien, Amphibien, Fische, Vögel

Karte 2: Alpen-Gebiete,die am wichtigsten für den Schutzvon Insekten sind – nach den im Textgenannten Kriterien.

dort mindestens 8.500 wirbellose Artengibt. Etwa 33 Prozent dieser Tierarten sindbedroht, zumeist durch Verlust oder Zer-störung ihres Lebensraums.

Die vorliegende Studie beschäftigt sich vor-nehmlich mit Schmetterlingen und Käfern,denn diese sind die einzigen Gruppen derwirbellosen Tiere, zu denen es Verbreitungs-daten aus den ganzen Alpen gibt. Es wurdennicht nur Gebiete ausgewählt, in denenviele endemische Schmetterlinge und Käfervorkommen, sondern auch solche, woviele Arten von Schmetterlingen mit ande-ren Insektenarten zusammen auftreten.

Apollofalter (Parnassius apollo) WWF / Anton Vorauer

Alpenböcke(Rosalia alpina)

Dietmar Nill

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0 100 200 km

FloraWWF European Alpine Programme

–––– National Boundary

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Enzian (Gentiana acaulis), Edelweiß (Leon-topodium alpinum) und Alpenrosen (Rhodo-dendron ferrugineum und R. hirsutum) sindwahrscheinlich die bekanntesten Alpen-pflanzen. Aber sie sind nur vier von insge-samt gut 4.500 verschiedenen Arten von Ge-fäßpflanzen, die in den Alpen heimisch sind(das entspricht 39 Prozent der in Europavorkommenden Flora). Von diesen wächstein Sechstel nur in großen Höhenlagen. Au-ßerdem gibt es in den Alpen ca. 900 ver-schiedene Pflanzengesellschaften – charak-teristische Kombinationen verschiedenerPflanzenarten, die größere Gebiete bede-cken. Diese enorme Vielfalt macht es sehrschwierig, eine bestimmte Anzahl vonPflanzenarten und Vegetationstypen als bei-spielhaft zur Untersuchung auszuwählen.Trotzdem gibt es einige außergewöhnlichePflanzengruppen und Vegetationstypen, diehervorstechen und typisch für die Alpensind. Diese wurden in dieser Studie unter-sucht:

Zentren endemischer Arten: Von den4.500 Pflanzenarten in den Alpen kommen350 Arten (acht Prozent) nur in den Alpenoder in Teilen der Alpen vor. Sie sind nir-gendwo anders auf der Welt zu finden. Die-se endemischen Pflanzen sind insbesonderein den Höhenlagen der Alpen zu finden, woraue Lebensbedingungen das Pflanzen-wachstum einschränken. Oder in Gebieten,die während der pleistozänen Vergletsche-rung fast eisfrei geblieben waren, wobei be-sonders die Ausläufer des alpinen Gebirgs-bogens vielen dieser Pflanzenarten alsZufluchtsort dienten. Hier wachsen heutedie meisten Arten mit sehr geringer Verbrei-tung – wie zum Beispiel bestimmte Stein-brech-Arten (Saxifraga diapensioides, S.tombeanensis, S. burseriana), die NickendeGlockenblume (Campanula zoysii) oderdie Krainer Lilie (Lilium carniolicum).

Zentren seltener Arten: In einigen Regio-nen der Alpen, zum Beispiel in der Berga-mo-Region oder im Engadin, gibt es sehrviele seltene Arten. Diese Regionen sind be-sonders bedeutend für den Erhalt der alpi-nen Pflanzenvielfalt.

Große, zusammenhängende Waldgebiete:

Wären die Alpen heute noch vom Menschenunberührt, würde die meiste Vegetationunterhalb der Baumgrenze aus Laubmisch-wäldern in den Tälern und aus Nadelwäl-dern in den Höhenlagen bestehen. In vielenBergwäldern war die Waldnutzung überJahrhunderte eingeschränkt oder verboten,denn Wälder schützen die Siedlungen in denTälern vor Naturkatastrophen wie Lawi-nen oder Steinschlag. Viele dieser Wäldergelten heute noch als relativ ursprünglichund dienen seltenen Arten als wichtigeRückzugsgebiete. Gleichzeitig fungieren sieals Korridore für viele andere Tierarten(zum Beispiel Auerhahn, Rothirsch, Reh,Wolf, Luchs und Bär).

Trockengebiete mit angepasster Vege-

tation: Das Klima in den Alpen variierterheblich – vom Atlantikklima in den Ge-birgsausläufern am Rand der Alpen bis hinzum Kontinentalklima in den Tälern derZentralalpen. Diese trockenen Täler im Zen-trum der Alpen beheimaten spezifischePflanzen wie zum Beispiel verschiedeneGrasarten der Gattung Stipa oder Arten derFamilie der Schmetterlingsblütler, wie zumBeispiel Tragant und Fahnenwicke (Astraga-lus sp., Oxytropis sp.) und spezielle Gras-land-Gemeinschaften mit Stipa oderSchwingelgras (z.B. Festuca valesiaca).

Flora: Enzian und Co

Karte 3: Gebiete, die nach den im Textbeschriebenen Kriterien unbedingtgeschützt werden müssen, um die Florader Alpen zu bewahren.

Krainer Lilie (Lilium carniolicum) WWF / Andreas Weissen

Lebensräume mit bestimmten ökologi-

schen Phänomenen (ausgewählte Habitatevon besonderer ökologischer Relevanz):Es gibt einige besondere Lebensräume, diecharakteristisch für die Alpen sind. Hiertreten besondere ökologische Phänomeneund Prozesse auf – wie zum Beispiel Mooreoder Endmoränenlandschaften. Viele dieserLebensräume sind bis heute noch unversehrterhalten und daher von großer Bedeutung.

Von oben nach unten:Berardie (Berardia subacaulis) WWF / Andreas Weissen

Nickende Glockenblume (Campanula zoysii) WWF / Andreas Weissen

Kerners Alpenmohn (Papaver kerneri) WWF / Andreas Weissen

Breitblättriger Enzian (Gentiana acaulis)Michael Hesse

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0 100 200 km

BirdsWWF European Alpine Programme

–––– National Boundary

–––– Alpine Convention Boundary

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Gut 200 Vogelarten brüten in den Alpen,weitere 200 Arten machen während ihresZuges Halt in der Region. Es gibt in denAlpen keine endemischen Vogelarten. Be-sonders Greifvögel wie der Steinadler(Aquila chrysaetos), der Wanderfalke (Falcoperegrinus) und der Bartgeier (Gypaetusbarbatus) haben schwer unter der Verfol-gung durch die Menschen gelitten. Heutehat sich der Bestand des Steinadlers mit Hil-fe internationaler Schutzbemühungen wie-der erholt. Der Bartgeier, Anfang des 20.Jahrhunderts in den Alpen ausgerottet, isterfolgreich wieder ausgewildert worden– dank des vielleicht ambitioniertesten Wie-deransiedlungsprojekts, das je in Europadurchgeführt wurde. Der Bestand der Wan-derfalken steigt ebenfalls nach starkenRückgängen wieder deutlich an. Trotzdemist die Zerstörung von Lebensraum ein gro-ßes Problem besonders für Zug- und Was-servögel. Folgende Kriterien wurden indieser Studie berücksichtigt.

Wichtige Vogelgebiete: Gebiete, diefür Vögel weltweit wichtig sind, wurden vonder Organisation BirdLife Internationalund der Mitarbeit vieler Experten festge-

legt. Sie werden als „wichtige Vogelgebiete“(„Important Bird Areas“, kurz IBA) be-zeichnet. Ein Gebiet kann nur ein IBA wer-den, wenn es bestimmte Kriterien erfüllt:Entweder beheimatet es eine bedeutendeAnzahl einer oder mehrere weltweit bedroh-te Arten; oder es ist Teil gleich mehrererGebiete, die gemeinsam den Lebensraumvon Arten bilden, welche in ihrer Verteilungoder in ihrem Lebensraum eingeschränktsind; oder es beherbergt eine besonders gro-ße Anzahl an Zugvögeln oder Vogelschwär-men. Meistens sind IBA wichtig für vieleverschiedene Vogelarten, weshalb sie ein gu-tes Kriterium für diese Studie bilden.

Gebiete mit hohem Wert für typisch alpine

Vögel: Die meisten Vögel leben in niedri-geren Höhenlagen. Nur gut 50 Arten brütenüber der 2.000-Meter-Grenze. Noch weni-ger Vögel können als wirkliche Alpenvögelbezeichnet werden (d.h. sie leben vorrangigüber der Baumgrenze) wie das Steinhuhn(Alectoris graeca) oder der Mornellregen-pfeifer (Charadrius morinellus). AndereArten sind auf einen besonderen Lebens-raum beschränkt, wie die Bergwälder. Dortleben zum Beispiel der Auerhahn (Tetrao

Vögel: Sesshafte und Durchreisende

Mornellregenpfeiffer (Charadrius morinellus) A. Jordi

Grauspecht (Picus canus) Manfred Delpho

Karte 4: Die wichtigsten Gebiete zumSchutz der Vögel in den Alpen nach denim Text beschriebenen Kriterien.

Wiedehopf (Upupa epops) SVS, Zürich

urogallus), der Dreizehenspecht (Picoidestridactylus) und der Zitronengirlitz (Serinuscitrinella). Manche leben auch entlang derAlpenflüsse so wie der gewöhnliche Flus-suferläufer (Actitis hypoleucus). Darüberhinaus gibt es noch besonders seltene Arten,die über die gesamte Alpenregion verstreutsind wie das Steinhuhn und der Steinrötel(Monticola saxatilis). Diese Vogelarten so-wie einige andere verdienen besondere Auf-merksamkeit.Weitere Gebiete wurden fürsolche Vogelarten ausgewählt, wenn die Ex-perten der Meinung waren, dass sie durchdie IBA nicht ausreichend repräsentiert sind.

Steinhuhn (Alectoris graeca) SVS, Zürich

Auerhahn (Tetrao urogallus)SVS, Zürich / Tero Niemi

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0 100 200 km

MammalsWWF European Alpine Programme

–––– National Boundary

–––– Alpine Convention Boundary

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Wer an Säugetiere denkt, hat meist die gro-ßen vor Augen – Braunbär, Steinbock oderHirsch. Doch neben diesen sehr auffälligenund attraktiven Vertretern gibt es weit mehrSäugetiere in den Alpen, die – klein undunscheinbar, wie sie sind – im Verborgenenleben. Etwa 80 Säugetierarten leben inden Alpen, und die meisten von ihnen sindMäuse, Spitzmäuse, Wühlmäuse und Fle-dermäuse. Drei Arten leben ausschließlichin den Alpen: die Bayerische Kurzohrmaus(Microtus bavaricus) und die Alpenwald-maus (Apodemus alpicola), aber auch dieGämse der Chartreuse Berge (Rupicaprarupicapra cartusiana). Für die Studie warenfolgende Gruppen von Bedeutung:

Große Beutegreifer: Die Rückkehr vonWolf (Canis lupus), Luchs (Lynx lynx) undBraunbär (Ursus arctos) in ihren ange-stammten Lebensraum gelten als Erfolgs-geschichten für den Naturschutz in denAlpen – auch wenn es noch immer vieleVorurteile gegen sie gibt. Nichtsdestotrotzwaren und sind sie ein integraler Bestand-teil der Alpennatur. Die Alpen sind heute einwichtiger Lebensraum für große Beute-greifer in West- und Zentraleuropa und spie-len eine zentrale Rolle darin, ihr Überlebenund weitere Ausbreitung zu garantieren.Gebiete, in denen heute große Beutegreiferleben und Junge großziehen sowie solche,die ein großes Potenzial für eine Ansiedlungbergen, wurden von Experten ausgewählt.

Große Pflanzenfresser: Der Steinbock wur-de einst gejagt, bis er fast ausgerottet war.Nachdem er im 19. Jahrhundert unterSchutz gestellt und zum Teil wieder ange-siedelt worden war, erholte sich der Bestandund gilt heute als sicher. Die Gämse (Ru-picapra rupicapra) und der Rothirsch (Cer-vus elaphus) sind weitere typische Pflanzen-fresser der Alpen. Gämsen sind heute weitverbreitet und im Bestand stabil. Rothirschewiederum sind eine Herausforderung fürein Naturschutz-Management in den Alpen.Denn ihre traditionellen Wanderrouten zwi-schen Winter- und Sommerweiden wurdenmeist durch den Menschen unterbrochen(zum Beispiel durch intensive Landnutzungin Tälern oder durch Straßen), sodass derZugang zu natürlichen Wintereinständenkaum mehr möglich ist. Abgedrängt in we-niger geeignete Lebensräume und aufgrundungenügenden Managements können Rot-hirsche Wälder schädigen – oft solche, diehelfen, Menschen gegen Schnee- undSchlammlawinen zu schützen. Vor allemdie Gebiete, in denen alle drei großen

Säugetiere: Von der Alpenwaldmaus bis zum Wolf

Braunbären (Ursus arctos) WWF-Canon / Kevin Schafer

Karte 5: Die wichtigsten Gebiete, umSäugetiere in den Alpen zu schützen, nachden im Text beschriebenen Kriterien.

Pflanzenfresser gemeinsam auftreten sowieGebiete mit optimalen Lebensbedingun-gen für diese Huftiere wurden für die vorlie-gende Studie ausgewählt.

Kleine und mittelgroße Säuger: Nebenden bereits erwähnten endemischen ArtenAlpenwaldmaus und Bayerische Kurzohr-maus wurden besonders Fledermäuse be-rücksichtigt. Die Nordfledermaus (Eptesicusnilssonii) stellt eine typische Art der Alpendar (auch wenn sie ebenso in Nordeuropavorkommt). Die Hufeisennasen (Rhinolo-phus euryale, R. ferrumequinum, R. hippo-sideros) benötigen Höhlen als Schlafplatzund reagieren sehr sensibel auf Störungen.Meistens leben sie in Tälern bis in 1.000Meter Höhe. Fischotter (Lutra lutra) lebenvor allem in noch intakten Habitaten. Siesind auf lokale Vorkommen in den Al-pen beschränkt. Gebiete, die für diese Artenwichtig sind, wurden für die vorliegendeStudie ausgewählt.

Wolf (Canis lupus) WWF / Chris M. Bahr

Junger Luchs (Lynx lynx) WWFNordfledermaus

(Eptesicus nilssonii)Dietmar Nill

Alpenwaldmaus (Apodemus alpicola)WWF Schweiz

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0 100 200 km

FreshwaterWWF European Alpine Programme

–––– National Boundary

–––– Alpine Convention Boundary

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Die Alpen sind Europas wichtigstes Wasser-reservoir. Die Rhône, der Rhein und derPo entspringen in der Alpenregion und spei-sen von hier ihre großen Stromgebiete au-ßerhalb der Alpen. Etwa 80 verschiedeneFischarten leben in den Alpenseen und-flüssen, dabei nimmt der Artenreichtum mitsteigender Höhe stark ab. Die Fischarten,die in den großen Strömen Donau, Rhein,Rhône und Po sowie ihren alpinen Neben-flüssen vorkommen, werden besondersdurch die Fischfauna in ihren Mündungsge-bieten bestimmt: Die Donau steht in engerVerbindung zum Schwarzen Meer und derRhein zur Nordsee, von wo aus einst Lachsein großer Zahl flussaufwärts auf Wander-schaft gingen. Rhône und Po spiegeln dieFischfauna des Mittelmeers wieder. Vieleder kleinen Alpenseen waren einst natürli-cherweise fast fischfrei – mit nur wenigen,spezialisierten Fischarten. Diese beidenAspekte – die Konvergenz der Fischfaunenentfernter Meere in alpinen Flüssen sowieeine hoch spezialisierte Fischfauna in klei-nen Seen und Flüssen – machen Flüsse undSeen ganz einzigartig in den Alpen.

Zudem transportieren die Bäche undFlüsse der Alpen eine große Menge an Ge-röll bergab, was periodisch alte Lebens-räume zerstört und neue schafft. Das machtaus natürlichen Bächen und Strömen hoch

dynamische Systeme, die für die Alpensehr wichtig und typisch zugleich sind. In-takte Bäche und Flüsse sind außerdem wich-tige Bio-Korridore – innerhalb der Alpengenauso wie zu benachbarten Regionen.

Seit dem Mittelalter versuchten Fischer,in alpinen Seen und Flüssen Fischpopulatio-nen anzusiedeln. Dabei beeinträchtigtensie die hoch spezialisierte und oft endemi-sche Wirbellosenfauna sowie die lokalenPopulationen der Forelle (Salmo truttafario, Salmo trutta marmorata). Die Ansied-lung exotischer Arten in viele alpine Gewäs-ser ist einer der verheerendsten Eingriffeder Menschen in die Fauna der Alpen. DesWeiteren wurden viele Flüsse aufgestaut,um aus Wasserkraft Energie zu gewinnen.Auengebiete wurden vom dynamischenFluss getrennt und zerstört, was große Pro-bleme in den Tälern durch Frühjahrshoch-

Süßwasser: Quell des Lebens

Gänsesäge (Mergus merganser)SVS, Zürich

Karte 6: Wichtige Gebiete zur Erhaltungvon Süßwasser-Ökosystemen in den Alpen, basierendauf den im Text beschriebenen Kriterien.

wasser nach sich zog. Etwa 90 Prozentder Alpenflüsse sind heute in keinem natür-lichen Zustand mehr.

Diese dramatische Situation macht esbesonders dringend, die letzten verbliebenennatürlichen Flüsse wie beispielsweise denTagliamento in Italien zu schützen. Für dievorliegende Studie wählten Experten dieletzten Flüsse mit intakten Auengebietenund die letzten natürlichen oder naturnahenOberläufe von Flüssen aus.

Bachforelle (Salmo trutta fario) Marek P. Krzenien

Bergbach bei Kühtai, Österreich WWF / Anton Vorauer

Einer der letzten Wildflüsse der Alpen: der Tagliamento, Italien Arno Mohl

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Amphibians and ReptilesWWF European Alpine Programme

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0 100 200 km

Remote AreasWWF European Alpine Programme

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Amphibien und Reptilien sind ganz beson-dere Tiere, denn es gibt nur wenige Arten inden Alpen, die zudem ganz spezifischeLebensräume brauchen. Besonders deutlichwird dies zum Beispiel beim Höhlensala-mander (Speleomantes strinatii), der tat-sächlich nur in Höhlen lebt. Insgesamt sind21 Amphibien- und 15 Reptilienarten inden Alpen heimisch. Eine Salamanderart(Salamandra lanzai) ist endemisch und lebtausschließlich in einem sehr kleinen Ge-biet in den Cottischen Alpen. Keine der an-deren Arten kommt nur in den Alpen vor,obwohl der Alpensalamander (Salamandraatra) und die Kreuzotter (Vipera berus)Lebensräume in montanen und subalpinenGebieten bevorzugen. Die meisten Am-phibien sind durch die Zerstörung ihrer Le-bensräume äußerst bedroht – durch dieVeränderungen in der traditionellen Land-wirtschaft, die Trockenlegung von Feucht-gebieten und durch die Unterbrechungihrer Wanderrouten.

In den Alpen finden sich einige der letztenentlegenen, wirklich wilden Plätze Europas.Weit entfernt zu sein von menschlicherInfrastruktur wird zu einem immer seltene-ren Gut und ist schon als solches schützens-wert. Doch wie abgelegen sind die Alpentatsächlich? Immerhin leben hier 14 Mil-lionen Menschen. Dazu kommen jährlich120 Millionen Touristen.

Eine aktuelle Studie⁵ ermittelte 831 entle-gene Gebiete, die bisher von Infrastrukturenweitgehend unbeeinflusst geblieben sind.Das heißt: Dort gibt es keine Straßen, Eisen-bahnen, Städte, Industriegebiete, Kabel-trassen, Pipelines oder Ähnliches. DieseGebiete sind im Schnitt 32 Quadratkilome-ter groß – das kleinste 0,04, das größte1.387 Quadratkilometer. 69 dieser Gebietesind größer als 100 Quadratkilometer.Die meisten dieser Gebiete liegen in hohen,unzugänglichen Bergregionen.

Diese entlegenen Gebiete wurden nicht ingleichem Maße für die Auswahl der Vor-ranggebiete berücksichtigt wie die anderenParameter biologischer Vielfalt, denn siezeigen per se keine biologische Vielfalt an.

Amphibien und Reptilien:Geheimnisvolles Leben

Entlegene Gebiete: Wildnis pur

Für die vorliegende Studiewurden Gebiete ausge-wählt, in denen es entwederseltene Amphibien- und Reptilienarten gibt,oder wo die endemische Salamanderart lebt.Außerdem wurden Regionen ausgewählt,in denen es eine hohe Dichte an verschiede-nen Amphibien- und Reptilienarten gibt,wie zum Beispiel das untere Ticino-Tal oderdas Rhône-Tal.

Karte 8: Entlegene Gebiete, die vonInfrastruktur (Straßen, Eisenbahnen, Städte,Industriegebiete, Kabeltrassen, Pipelines,etc.) weitgehend unbeeinflusst sind.

Karte 7: Die wichtigsten Gebiete,um Amphibien und Reptilienin den Alpen zu schützen, nach denim Text beschriebenen Kriterien.

⁵⁾ Kaissl 2002: Mapping the Wilderness of the Alps– a GIS-based approach, Univ. Vienna

der Grenzen eines Vorranggebietes aufge-nommen, wenn es nahe an einem Zentrumbiologischer Vielfalt liegt.

Schlingnatter (Coronella austriaca) Franco Andreone

Höhlensalamander (Speleomantes strinatii)Enrico Lana

Die „Drei Schwestern“, Liechtenstein WWF / Jürgen Deuble

Rothirsch (Cervus elaphus) WWF / Reinhold Hell

Diese Informationen wurden jedoch benutzt,um die groben Grenzen um artenreicheGebiete zu ziehen, die durch das Übereinan-derlegen aller anderen Biodiversitäts-Kar-ten identifiziert wurden. Ein entlegenesGebiet wurde grundsätzlich dann innerhalb

Alpensalamander (Salamanda atra) WWF / Anton Vorauer

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Jede Strategie zur Bewahrung der biologi-schen Vielfalt, die eine gewisse Aussicht aufErfolg haben will, muss die wirtschaft-lichen, sozialen und politischen Entwicklun-gen der Region berücksichtigen. MancheEinflüsse – wie zum Beispiel die der Land-nutzung – beeinträchtigen die biologischeVielfalt direkt. Andere hingegen, wie zumBeispiel nationale und internationale Politikoder das Freizeitverhalten der Menschen,die aus anderen Ländern anreisen, wirkeneher indirekt, sind aber nicht weniger ent-scheidend.

Gerade in der Alpenregion mit ihrer kultu-rellen Vielfalt fällt es besonders schwer,sozio-ökonomische und politische Trendszu verallgemeinern. Manche Aspekte unter-scheiden sich von Region zu Region undwirken sich, wie zum Beispiel die Landwirt-schaft oder der Tourismus, nicht generellnachteilig auf die gesamte Alpenregionaus. Andere hingegen – wie der Verkehroder der Klimawandel – betreffen die Alpenals Ganzes. Die folgenden Faktoren habendie schwerwiegendsten Auswirkungen aufdie biologische Vielfalt der Alpen.

Die demographische Entwicklung:Täler jenseits der Hoffnung

Höher gelegene Gebiete in den großen Al-pentälern wurden zuerst von Menschenbesiedelt, weil sie am einfachsten erreichbarwaren und die besten Bedingungen für dieJagd und den Ackerbau boten. Von hieraus wuchsen die Siedlungen entlang der Tä-ler und breiteten sich auch in die Nebentäleraus. Die leicht erreichbaren Täler vonRhône, Rhein, Inn und Etsch haben bereitsden Großteil ihres biologischen Reichtumsverloren. Städte, Dörfer und Siedlungenbreiten sich weiter aus, führen zu einer Ver-städterung und Degradierung der Land-schaft und zerstören so die letzten Naturre-fugien in den Talsohlen. In hohem Gradurbanisierte Täler mit ihrer Verkehrsinfra-struktur (zum Beispiel Autobahnen) wirkenals unüberwindliche Barriere für viele Ar-ten und verhindern die Schaffung ökologi-scher Netzwerke.

Andererseits wandern die Bewohner dersüdwestlichen und südlichen Alpen (Drôme,Piemont, Ligurien, Friaul, slowenischeAlpen) aus den Gebirgsregionen in die Städ-te ab, welche in leicht erreichbaren Tälernliegen – und hinterlassen große, entvöl-kerte Gebiete. Die meisten Alpensiedlun-gen liegen heute unterhalb der 1.000-Meter-Grenze. Nur wenige Städte liegen höher,vor allem die stetig wachsenden Touristen-zentren wie Chamonix und Davos.

Landwirtschaft:Intensiv gegen extensiv

Noch immer stellt die Landwirtschaft diebedeutendste Landnutzung der Alpen dar.Die intensive Landwirtschaft nimmt vorallem in weiten Tälern und gut zugänglichenBerghängen zu, wo sie zu großen Verlustenan biologischer Vielfalt führt – vor allemdurch den Einsatz von Düngemitteln. Inden inneren alpinen Trockenzonen werdenGemüse, Früchte und Wein intensiv ange-baut. Die meist bewaldeten und mehr entle-genen Berghänge werden nicht landwirt-schaftlich genutzt.

Im Hochgebirge dominiert extensive Weide-wirtschaft. Diese traditionelle, arbeitsinten-sive Almwirtschaft stirbt jedoch mit derälteren Generation aus und kann nicht durchökologische Landwirtschaft ersetzt werden.Ein Großteil alpinen Weidelandes liegt heu-te bereits brach. Dort sinkt die Artenviel-falt, da die Almwiesen unterhalb der Wald-grenze langsam verbuschen und natürlicher-weise wieder Wald werden.

Der Einfluss des Menschenauf die biologische Vielfalt der Alpen

Waldwirtschaft:Bergwälder als letzte Bastion

Bezogen auf die Flächennutzung in der Al-penregion stellt die Waldwirtschaft denzweitgrößten Nutzungssektor dar. Der Groß-teil der Wälder in den Tälern – auch beson-ders wertvoller Auenwald – musste bereitsSiedlungen, Städten, Straßen und Flußbe-gradigungen weichen. Die verbliebenenWaldgebiete liegen heute hauptsächlich anBerghängen, wo sie noch immer großeGebiete bedecken. Diese Wälder werdenin den Alpen zum größten Teil bewirt-schaftet, wobei der Erhalt ihrer Schutzfunk-tion vor Schnee- und Gerölllawinen schonimmer im Vordergrund stand. Die meistendieser Wälder konnten in einem relativnatürlichen Zustand erhalten werden, wobeijedoch ihre natürliche Dynamik (z.B. dasZulassen einer Zerfallsphase) ausgeschlos-sen wurde, um ihre Schutzfunktion nichtzu gefährden. Die meisten Waldbereiche derAlpen können leicht über ein enges Netzvon Forststraßen erreicht werden. Die we-nigen ursprünglichen (Ur-)Wälder (ins-gesamt etwa 665 Hektar) finden sich inabgelegenen Gebieten, wohin aus Kosten-gründen keine Straßen gebaut werdenkonnten.

Oben: Grenoble, Frankreich WWF / Jürgen Deuble

Mitte: Apfelplantage in Meran, Italien WILDLIFE / O. Diez

Unten: Holzernte im Wirtschaftswald WWF-Canon / Edward Parker

Oben: Wildfütterung im Winter, Österreich WWF

Rechts: Heuernte in Tirol, Österreich WWF / Andreas Baumüller

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Tourismus:Rücksichtsloses Freizeitvergnügen?

120 Millionen Touristen pro Jahr besuchendie Alpen. Für sie stehen alpenweit mehrals fünf Millionen Betten zur Übernachtungbereit. In den vergangenen Jahren ging beiden Besuchern der Trend immer stärkerzu „Aktiv- und Spaßurlaub“ – mit Moun-tain-Bike, Snow-Board oder Paragleiter. Ge-rade diese Freizeitbeschäftigungen beein-trächtigen auch besonders abgeschiedene,ökologisch wertvolle Regionen.

Die für die Natur schädlichste Sportartbleibt jedoch das Skifahren. Etwa 300 Ski-gebiete gibt es heute in den Alpen. 10.000Liftanlagen bedienen mehr als 3.400 Qua-dratkilometer Pisten, viele weitere sindgeplant. Der Bau von Skipisten und -liftenzerstört ganze Landschaften. Der steigendeEinsatz von Schneekanonen schafft zusätz-liche Umweltprobleme durch ihren massi-ven Wasser- und Stromverbrauch, sowieauch durch den Zusatz von chemischen undbiologischen Stoffen, wie z.B. in derSchweiz.

Wasser:Das Lebenselixier

Flüsse und Bäche in den Alpen wurden inder Vergangenheit aufgestaut, begradigt undreguliert. Auengebiete, die natürlichenHochwasserspeicher, wurden vom Fluss ab-geschnitten und in Landwirtschaftsflächenoder Baugebiete umgewandelt. Nur nochetwa zehn Prozent aller Flüsse sind heutenoch in einem natürlichen oder naturnahenZustand. Das Wasser der Alpen dient nichtnur als Trinkwasser, sondern zugleich derBewässerung in der Landwirtschaft und derErzeugung elektrischen Stroms. All dieseMaßnahmen haben erhebliche Auswirkun-gen auf die einzigartige und spezialisierteFauna und Flora der Alpengewässer. Außer-dem gelten die Alpen als wichtigstes Was-serreservoir Europas. In dieser Funktionwerden sie deshalb stark von außeralpinenInteressen beeinflusst. Im vergangenen Jahr-zehnt wurden – nach verheerenden Über-schwemmungen, wie zum Beispiel an derDrau in Österreich und der Rhône in derSchweiz – etliche Rückbaumaßnahmen vor-angetrieben. Diese Projekte schaffen beidenFlüssen mehr Raum und schützen somitdie Bevölkerung besser vor künftigen Flut-katastrophen.

Transit:Die Last des Verkehrs

Die Alpen stellen eine natürliche Barrieregerade für den Transitverkehr dar. Fast150 Millionen Menschen überqueren jedesJahr die Alpen. Dabei fahren 83 Prozent aufder Straße und nur 17 Prozent mit demZug. Pkw legen jährlich 70 Milliarden Kilo-meter zurück, der Lastverkehr 1,3 Milliar-den Kilometer. Innerhalb der nächsten 20Jahre werden der Frachtverkehr schätzungs-weise um 100 Prozent und der Personenver-kehr um 50 Prozent ansteigen. Allerdingssind zurzeit die Güterkapazitäten der Bahnnur zu 50 Prozent ausgelastet. Zusätzlichsteigt der inneralpine Verkehr: vor allemdurch Pendler in die größeren Städte, aberauch durch Freizeitverkehr. Berufsverkehrverursacht schon heute mehr inneralpinenVerkehr als der Transit. Auch der Touris-mus trägt einen großen Teil zum Verkehr inden Alpen bei, vor allem auf Straßen inentlegene Gebiete. Zwischen 1963 und 1993sank die Zahl der Gebiete in den Alpen,die größer als 1.500 Quadratkilometer sindund nicht durch ausgebaute Straßen be-rührt werden, von 31 auf 14.

Klimawandel:Die Alpen heizen sich auf

Die Erwärmung des Weltklimas hat in denAlpen bereits erkennbare Folgen: Gletscherschmelzen ab und Alpenpflanzen ziehensich in größere Höhenlagen zurück – inner-halb von nur zehn Jahren einen halben bisvier Meter höher. Längerfristig werden siein immer höhere Regionen verdrängt unddurch Pflanzen aus den tiefer gelegenen Ge-bieten ersetzt – solange, bis keine Ausweich-möglichkeit mehr vorhanden ist. Viele die-ser hoch spezialisierten und oftmals nur inden Alpen heimischen Pflanzen werdendann aussterben. Weitere Folge des Klima-wandels wird das Einwandern von exoti-schen Pflanzen und die Invasion von Krank-heitserregern aus dem Süden sein, weil fürsie das Hochgebirge dann keine Kältebarrie-re mehr darstellen wird. In der Ticino-Region kann dieser Effekt bereits heute be-obachtet werden: Immergrüne Pflanzen undsogar Palmen haben sich in den Wäldernbreit gemacht. Ändert sich aber die Zusam-mensetzung der Pflanzengemeinschaftenin den Alpen, hat dies auch für alle Nah-rungsnetze unabsehbare Folgen.

Zusätzlich zu den erhöhten Temperaturensteigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieRegen- und Schneefallmengen verändern.Extreme Ereignisse wie Überschwemmun-gen und Lawinen werden sich häufen. Durchhöhere Temperaturen werden die Dauer-frostregionen schrumpfen, wodurch sich dieErosion der Berghänge, sowie Steinschlägeoder Erdrutsche verstärken werden.

Verkehrsstau auf der Brenner Autobahn, Österreich/Italien Gesellschaft für ökologische Forschung / Oswald Baumeister

ParagleiterWWF / Anton Vorauer

Ganz oben: Staudamm in den Seealpen, Frankreich WWF / Andreas Weissen

Oben: „Skizirkus“ vor dem Matterhorn, Schweiz WWF / Andreas Weissen

Schmelzender Aletschgletscher, Schweiz WWF / Andreas Weissen

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Priority areas, protected areasWWF European Alpine Programme

Priority Areas

Reservation Areas

Regional Nature Park

Special Protection

National Park Area

National Park Periphery

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Priority Conservation Areas in the Alps

A Alpi Marittime – Alpes Maritimes (Italia/France) B Alpi Cozie– Gran Paradiso – Queyras – Massif de Pelvoux – Massif de la Vanoise(Italia/France) C Diois en Drôme (France) D Mont Ventoux enProvence (France) E Vercors (France) F Alpes Vaudoises (Suisse)G Alpi Pennine – vallée du Rhône – Oberwallis (Italia/Suisse/Schweiz) H1 Sottoceneri H2 Sopraceneri nel Ticino (Svizzera)I Alpi Orobie – Grigne (Italia) J Bündner Rheintal (Schweiz)K Alpstein – Churfirsten (Schweiz) L Engadina – Stelvio/Stilfser Joch(Svizra/Italia) M Brenta – Adamello – Baldo – Alto Garda (Italia)N Dolomiti Bellunesi (Italia) O Karwendel – Isar (Österreich)P Lechtal (Österreich) Q Allgäu (Deutschland) R Dolomiti d’Ampezzo(Italia) S Berchtesgaden (Deutschland) T Hohe Tauern (Österreich)U Karnische Alpen/Alpi Carniche – Tagliamento – Julische Alpen/AlpiGiulie/Julijske Alpe – Karawanken/Karavanke (Österreich/Italia/Slovenija) V Koralpe (Österreich) W Oberösterreichische Kalkalpen– Niedere Tauern (Österreich)

Priority Areas

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Overlap of Biodiversity MapsWWF European Alpine Programme

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Priority Areas

Die biologische Vielfalt sollte immer aufder gesamten Fläche einer Region geschütztwerden. Nichtsdestotrotz zwingen heutebeschränkte finanzielle und personelle Res-sourcen dazu, sich auf diejenigen Gebietezu konzentrieren, für die Naturschutzakti-vitäten besonders vordringlich sind. So sollauch die große Karte auf dieser Seite(Karte 9) interpretiert werden: Sie stellt dieZonen dar, in denen sich Naturschutz alsbesonders wichtig für den gesamten Alpen-raum herausgestellt hat – so genannteVorranggebiete. Hier findet sich die Mehr-zahl an Tieren, Pflanzen und Ökosystemender Alpenregion. Die Gebiete außerhalbdieser vorrangigen Flächen dürfen jedochnicht als „verlorenes Land“ angesehenwerden. Sie sind wichtig für die eine oderandere Tierart, für bestimmte Pflanzen undÖkosysteme. Die Vorranggebiete jedochstellen die Edelsteine der Alpen dar.

Wie entstand die Karte?

Alle verschiedenen Biodiversitätskarten(siehe Karten 2-7) wurden übereinander ge-legt (Karte 10). Die Regionen mit den um-fassendsten Schnittflächen wurden als dieVorranggebiete der Alpen identifiziert (Kar-te 9). Überall wo besonders entlegeneFlächen nahe an einer dieser Regionen lagen(aus Karte 7), wurden diese mitberücksich-tigt. Die entstandenen Vorranggebiete fürden Naturschutz der Alpen wurden an-schließend daraufhin analysiert, ob sie tat-sächlich alle biogeographischen Regionender Alpen, sowie alle (potenziellen) Vege-tationszonen umfassen. Beide Analysen be-stätigten die Repräsentativität der Vorrang-gebiete hinsichtlich beider Faktoren.

Vorranggebiete fürNaturschutz Karte 9: Die Vorranggebiete für Naturschutz in den Alpen

– diese Gebiete sind die „Edelsteine“ der insgesamtschützenswerten Alpen. Naturschutzaktivitäten sollten sichauf diese Gebiete konzentrieren.

Karte 10: Wie die Vorranggebiete entstanden. Diese Karte zeigt das Ergebniswenn man alle einzelnen Biodiversitätskarten (Karten 2-7) übereinander legt.Die Regionen mit den umfassendsten Schnittflächen erscheinen dunkler und sindzugleich die Kerngebiete der Vorrangflächen. Sie sind für die größte Anzahlvon Pflanzen, Tieren und Ökosystemen wichtig.

Karte 11: Vorrangflächen und Schutzgebiete. Schutzgebiete spielen eine wichtigeRolle beim Erhalt der Biodiversität, auch wenn sie nicht die einzige Möglichkeitzu deren Schutz darstellen. Schutzgebiete wurden nicht als Auswahlkriteriumfür die Vorrangflächen genutzt. Dennoch stehen 59 % der Vorranggebiete unterSchutz, 14 % davon als Nationalpark-Kerngebiete.

Verdon Schlucht, Frankreich WWF / Andreas Baumüller

nachhaltige Waldwirtschaft, die Entwick-lung von Märkten für regionale Produkte,die Renaturierung zerstörter Lebensräumeund – unter anderem – die Ausweisungneuer sowie die Verbesserung bestehenderSchutzgebiete. Die detaillierten Pläne fürdie Umsetzung auf regionaler und lokalerEbene müssen nach einer gründlichenAnalyse der jeweiligen Situation in jeder derVorranggebiete entwickelt werden. Dannsollten auch die genauen Grenzen derVorranggebiete festgelegt werden, da dievorliegenden Karten nur einen grobenÜberblick über ihre Lage und Ausdehnunggeben können.

Vision für die Zukunft

Der WWF und seine Partner verfolgen dieVision, die außerordentliche biologischeVielfalt der Alpen für die kommenden Ge-nerationen zu sichern. Wir sind überzeugt,dass das möglich ist. Karte 9 zeigt den Weg,dieses Ziel zu erreichen. Es ist nicht beab-sichtigt, alle Vorranggebiete auch alsSchutzgebiete auszuweisen. Es gibt viel-mehr eine Vielzahl anderer Maßnahmen, siezu sichern: die Entwicklung eines verant-wortungsvollen Tourismus genauso wie eineökologisch verträgliche Landwirtschaft,

Winterlandschaft im Regionalpark Vercors, Frankreich WWF / Jürgen Deuble

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Blicken wir 30 bis 50 Jahre voraus: Wiewerden die Alpen dann aussehen? Werdensie immer noch ein Ort außergewöhnlicherSchönheit sein? Können wir dann immernoch Steinbock, Gämse und Rotwild aufunserem Morgenspaziergang sehen können?Werden wir das Glück haben, einen Blickauf einen Wolf zu erhaschen, der unserenWeg kreuzt und dann im Wald verschwin-det? Oder auf einen Bartgeier, der maje-stätisch über dem Tal kreist? Können wirdann noch Ruhe und Einsamkeit in diesenBergen finden, um zur Besinnung zu kom-men? Wird es noch die kleinen Dörfer,die Almhirten und lokale Nutztierrassen ge-ben? Zusammengefasst: Gibt es eine nach-haltige Zukunft für die Alpen?

Die klare Antwort des WWF und seinerPartner ist: ja! Die Alpen haben eine nach-haltige Zukunft, wenn wir jetzt beginnen zuhandeln. Nachhaltigkeit ist kein theoreti-sches Konzept für irgendwelche akademi-schen Kreise oder Umweltgruppen. Nach-haltigkeit ist der einzige Weg, wie dieMenschheit – unsere Kinder, Enkel und Ur-

enkel – auf lange Sicht überleben kann. Siebedeutet: Nicht mehr Ressourcen zu ver-brauchen, als sich unter natürlichen Bedin-gungen regenerieren können und ohne dassdabei Biodiversität zerstört wird. Das er-fordert die Einbeziehung und das Engage-ment von allen Gruppen der Gesellschaftüber politische und kulturelle Grenzen hin-weg. Nachhaltigkeit ist die Erkenntnis,dass nicht nur ökonomische und soziale Er-wägungen wichtig sind, sondern dass wirdiese auch in ein Gleichgewicht mit ökolo-gischen Bedürfnissen bringen müssen.

In einem ersten Schritt hat unsere Alpen-Initiative das Ziel, diese ökologischenBedürfnisse geographisch zu definieren:und zwar durch die Identifizierung von Vor-ranggebieten in den Alpen mit hohemökologischem Wert. Es ist jedoch wichtigzu wiederholen, dass Gebiete außerhalb derausgewiesenen Areale nicht als wertloses„Ödland“ verstanden werden. Vorranggebie-te sind wie Edelsteine in den insgesamtwertvollen Alpen. Wir müssen beide einbe-ziehen in eine umfassende Umweltpolitik.Wir müssen besonders vorsichtig sein beider Entwicklung ökonomischer Maßnah-men in den Vorranggebieten – etwa beimBau von Wohn- und Industriegebieten oderTouristenzentren. Zuweilen werden wirökologischen Belangen Vorrang vor ökono-mischen und sozialen Interessen geben müs-sen. Manchmal müssen wir neue Schutz-gebiete ausweisen, um bereits bestehendezu stärken und zu vernetzen. Oder wirmüssen eine nachhaltige Waldwirtschaft för-dern, zur ökologischen Landwirtschaftermutigen, den Verkehr reduzieren, die EU-Politik ändern, Schulkindern und Erwach-senen die Vorzüge umweltverträglicherLebensweisen nahe bringen, Zuschüsse fürlokale Gemeinden bereitstellen und vielesmehr. Es gibt viele verschiedene Werkzeu-ge, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Ineinigen Gebieten müssen alle zugleich an-gewendet werden, in anderen nur einigewenige.

Unsere Alpen-Initiative hat die Gebieteder Alpen mit herausragender biologischerVielfalt identifiziert und beschrieben. Je-

doch nicht, welche konkreten Schritte indiesen Gebieten notwendig sind. Dernächste Schritt wird daher die eingehendeAnalyse aller Vorranggebiete sein, um diedort jeweils drängendsten Probleme zuerkennen und konkrete Maßnahmen einzu-leiten. Das ist etwas, was der WWF undseine Partner nicht alleine tun können. Die-ser nächste Schritt erfordert das Engage-ment aller interessierten Gruppen undPersonen in den relevanten Gebieten: Lokal-politiker, Landnutzer, Touristenvereine,Wissenschaftler, private Naturschutzgrup-pen und Schutzgebietsmanager – um nur ei-nige zu nennen.

Der WWF und seine Partner sind davonüberzeugt, dass die vorgestellten Kartenund Informationen auch für andere Initiati-ven hilfreich sind, die die Bewahrung derBiodiversität in den Alpen zum Ziel haben.Die hier aufgezeigte Vision soll von Ent-scheidungsträgern auf lokaler, regionaler,nationaler und internationaler Ebene über-nommen werden. Die Karten und Vorschlä-ge unserer Alpen-Initiative sind ein Bei-trag zur Umsetzung der Naturschutzzieleder Alpenkonvention, einer der vielver-sprechendsten internationalen Abkommenfür eine nachhaltige Zukunft der Alpen.Wir werden mit Naturschutzaktionen in aus-gewählten Vorranggebieten fortfahren.Lasst es uns gemeinsam angehen!

Ausblick: Nachhaltige Zukunftfür die Alpen

Almabtrieb, Österreich Gesellschaft für ökologische Forschung / Oswald Baumeister

Schafschur in Innervillgraten, ÖsterreichGesellschaft für ökologische Forschung / Oswald Baumeister

Blaukehlchen (Luscinia suecica)SVS, Zürich

Ziegenmelken in der Schweiz Gesellschaft für ökologische Forschung / Oswald Baumeister

Einseles Akelei (Aquilegia einseleana)WWF / Andreas Weissen

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Dieses Projekt wurde finanziell durch das Deutsche Bundesministerium

für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und das Deutsche Um-

weltbundesamt gefördert.

Die Förderer übernehmen keine Gewähr für die Richtigkeit, die

Genauigkeit und Vollständigkeit der Angaben sowie für die Beachtung

privater Rechte Dritter. Die geäußerten Ansichten und Meinungen müssen

nicht mit denen der Förderer übereinstimmen.

Zusätzliche finanzielle Mittel für diese Publikation wurden vom

Italienischen Ministerium für Kultur und Denkmalschutz bereitgestellt.

Ministero per i Beni e le Attività Culturali

Besonderer Dank gebührt dem Internationalen Jahr der Berge, der

Stadt Gap, dem Conservatoire Botanique National de Gap-Charance, dem

Institut für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie

der Universität Wien und dem ForumAlpinum 2002 für die finanzielle

und/oder organisatorische Unterstützung bei der Durchführung von zwei

Workshops (in Gap/Frankreich und Alpbach/Österreich), sowie Teleatlas

für die kostenlose Bereitstellung von GIS-Daten.

Der WWF und seine Partner übernehmen die volle Verantwortung für

sämtliche Ungenauigkeiten und Fehler, die sich noch in dieser Broschüre

und in den Ergebnissen des Projekts verstecken.

Die folgenden Organisationen haben zu diesem Projekt beigetragen:

indem sie Daten und Informationen bereitgestellt, an den Workshops

teilgenommen oder die Karten und den Text der Broschüre kritisch geprüft

haben. Ohne den engagierten Einsatz all dieser Personen und Organisa-

tionen sowie ihre Bereitschaft, Informationen, Daten und ihr Wissen zu

teilen, wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen.

Danksagung Agencija Republike Slovenije za okolje v okviru Ministrstvo za okolje, prostor in energijo,Ljubljana (J. Kristanc);Alpine Network of Protected Areas-ALPARC, Gap & Chambéry (A. Bousquet, E. Brancaz,S. Nunes Veloso, M. Zurbach);Amt der Tiroler Landesregierung, Innsbruck (J. Kostenzer, R. Lentner);Amt für Wald, Natur und Landschaft, Liechtenstein-AWNL, Vaduz (M. Fasel);Associazione Razze Autoctone a Rischio di Estinzione-RARE (R. Fortina);Bayerisches Landesamt für Umweltschutz, München (A. Liegl, S. Kluth, J. Voith);Bayerisches Landesamt für Wasserwirtschaft, München (W. Binder);Bayerisches Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Fischerei, Starnberg (E. Leuner);BirdLife Deutchland-NABU (H. Hötker);BirdLife International, Wageningen (D. Callaghan, S. P. Nagy);BirdLife Italy-Lega Italiana Protezione Uccelli, Parma (C. Celada);BirdLife Liechtenstein;BirdLife Österreich (A. Landmann, A. Ranner);BirdLife Slovenia-Dopps (T. Jancar);BirdLife Switzerland-Schweizer Vogelschutz-SVS, Zürich (W. Müller);Bund Naturschutz in Bayern e.V., München (C. Margraf);Bundesamt für Naturschutz, Bonn (U. Bohn);Bündner Natur-Museum, Chur (T. Briner, J.-P. Müller);Bureau d’Études Biologiques, Aigle (R. Delarze);CEMAGREF, Grenoble (J.-J. Brun);Centre Alpin de Phytogéographie, Fondation J.-M- Aubert, Champex-Lac (J.-P. Theurillat);Centre du Réseau Suisse de Floristique-CRSF, Chambésy (B. Bäumler);Centre Suisse de Cartographie de la Faune, Neuchâtel (Y. Gonseth);Conservatoire Botanique National Alpin, Gap (U. Collombier, J.-P. Dalmas, L. Gerraud, J.-C. Villaret);EAWAG-Eidg. Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz,Dübendorf & Kastanienbaum (T. Gonser, A. Peter);Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne-EPFL, Laboratoire dynamiques (M. Perlik);Econat, Yverdon-les-Bains (G. Berthoud);European Environmental Agency;European Topic Centre, Nature Protection and Biodiversity-ETC/NPB, Paris (D. Evans);Fachhochschule Weihenstephan, University of Applied Sciences,Fachbereich Wald und Forstwirtschaft (J. Ewald);Forum Européen de la Montagne, Gland (L. Soubrier);M. Franzen;Interakademische Kommission Alpenforschung-ICAS, Bern (V. Kaufmann, A. Latif);International Bearded vulture Monitoring (R. Zink);International Commission for the Protection of the Alps-CIPRA International (A. Ullrich);Istituto di Ecologia Applicata, Roma (L. Boitani);Istituto Nazionale per la Fauna Selvatica, Ozzano Emilia (E. Dupré, P. Genovesi);Istituto Oikos, Varese (L. Pedrotti);KORA-Koordinierte Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Managementder Raubtiere in der Schweiz, Bern (U. Breitenmoser, F. Zimmermann);Laboratoire d’Ecologie Alpine-LECA, Université Joseph Fourier, Grenoble (J.-L. Borel, P. Ozenda);Laboratoire d’Ecologie Alpine-LECA, Université de Savoie, Le Bourget du Lac (C. Miaud);Landesbund für Vogelschutz in Bayern e. V.-LBV (M. Jakobus, A. von Lindeiner);Large Carnivore Initiative for Europe (W. Pratesi Urquhart);Léavital;Monitoring Institute for Rare Breeds and Seeds in Europe-SAVE, St. Gallen (H.-P. Grünenfelder);Museo Regionale di Scienze Naturali, Sezione di Zoologia, Torino (F. Andreone);Museo Tridentino di Scienze Naturali, Trento (B. Maiolini);Muséum National d'Histoire Naturelle-MNHN, Paris (J. Moret);Nationalpark Berchtesgaden (H. Franz);Nationalpark Hohe Tauern (R. Zink);Nationalpark Kalkalpen (E. Weigand);Naturhistorisches Museum der Burgergemeinde Bern (K. Grossenbacher);Office National de la Chasse et de la Faune Sauvage, Eybens (J. Michallet);Office pour la Protection de l’Insecte et son Environnement-OPIE (P. Dupont);Oikos Inc., Dom_ale (M. Harmel);Parco Nazionale dello Stelvio (L. Pedrotti);PLA project group landscape + conservation, Walpertskirchen (A. Ringler);C. Schütz;Stiftung Landschaftsschutz Schweiz-SL/FP, Bern (C. Neff);Technische Universität München, Wildbiologie und Wildtiermanagement,Wissenschaftszentrum Weihenstephan (W. Schröder, I. Storch);Teleatlas;Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (P. Hümer);Triglavski Narodni Park (T. Menegalija);UNESCO Biosphäre Entlebuch, Schüpfheim;United Nations Environment Programme– World Conservation Monitoring Centre-UNEP/WCMC;Università degli Studi dell’Insubria, Dipartimento di BiologiaStrutturale e Funzionale, Varese (A. Martinoli);Università degli Studi di Milano, Dipartimento di Biologia,Sez. Botanica Sistematica e Geobotanica (C. Andreis);Università degli Studi di Roma “La Sapienza”, Dipartimento di BiologiaAnimale e dell’Uomo (L. Boitani);Università degli Studi di Torino, Dipartimento di Biologia Vegetale (F. Montacchini);Università degli Studi di Torino, Dipartimento di Scienze Zootecniche (R. Fortina);Universität Erlangen (W. Bätzing);Universität Innsbruck, Institut für Geographie (A. Danzl, E. Gärtner);Universität Innsbruck, Institut für Naturkunde und Ökologie (A. Landmann);Universität Innsbruck, Institut für Zoologie und Limnologie (L. Füreder, A. Wille);Universität Marburg, Fachbereich Biologie, Fachgebiet Naturschutz (H. Plachter);Universität München (S. Schmidtlein);Universität Wien, Institut für Botanik (H. Niklfeld);Universität Wien, Institut für Ökologie und Naturschutz (G. Grabherr, H. Pauli);Universität Wien, Zoologisches Institut, Abt. Evolutionsbiologie (B.-A. Gereben-Krenn, H. Krenn);Université de Savoie, Le Bourget du Lac (C. Miaud);Université de Genève, Laboratoire de Biogéographie (J.-P. Theurillat);Université Joseph Fourier, Grenoble (J.-L. Borel);Univerza v Ljubljani (A. Brancelj);VAUNA e. V., Oberammergau (K. Elmauer, U. Wotschikowsky);Veterinärmedizinische Universität Wien, Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie (F. Reimoser);Ville de Gap (P. Bernard-Reymond, M. Halbout);P. Warbanoff;WSL-Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, Birmensdorf (P. Duelli, M. Perlik,T. Wohlgemuth);Zoologische Staatssammlung München (R. Kraft);Zukunft Biosphäre GmbH, Bischofswiesen (W. d’Oleire-Oltmanns, R. Eberhardt).