Die Armen haben mich evangelisiert - DER WEINBERG...Die Armen haben mich evangelisiert Der...

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sen Jungfrau Maria zu sein. Nach vier Jah- ren Studium der Theologie bin ich in Bra- silien bei den Armen in die Schule ge- gangen. Ich wurde dorthin geschickt, um als Missionar das Evangelium zu predigen, und als Gegenleistung brachten mich die Armen durch das Zeugnis ihres Lebens Gott näher. Sie haben mir die Bedeutung des Evangeliums neu erschlossen. Ich sollte Missionar sein, aber die Armen haben mich evangelisiert. Die Zeit, die ich in den Favelas von Brasilien verbrachte, gehört zu den ge- segneten Jahren meines Lebens. Ich I n Brasilien habe ich so viel darüber ge- lernt, was es bedeutet, ein Priester, ein Missionar und ein Oblate der Makello- kannte das Leben und die Nöte der Armen sehr genau und sah die Gegen- wart des lebendigen Gottes bei Men- schen, die nur Armut und Elend hatten. Ihre Widerstandsfähigkeit inmitten von Armut war wirklich erstaunlich. Erstaun- lich war auch ihre Fähigkeit zur Freude und Gemeinschaft untereinander ange- sichts von Hoffnungslosigkeit, Gewalt und völliger Missachtung durch andere. Ihre Großzügigkeit, anderen zu helfen, war vorbildlich. Eine Zeit der Gefahr, des Schmerzes und der Güte In den Favelas kristallisierte sich das Obla- ten-Charisma in mir heraus, den Armen die Frohe Botschaft zu bringen. Es war eine aufregende Zeit, weil sich das Land unter einer Militärdiktatur befand und die Kirche eine Widerstandskraft in Soli- darität mit den Menschen war. Wir un- terstützten die Armen in ihren Kämpfen für Gerechtigkeit und Menschenrechte, und die Diktatur begann schließlich zu zerbrechen, was zum großen Teil auf den Einfluss der Kirche zurückzuführen ist, die die Menschen in Glaubensgemein- schaften und Handlungsgemeinschaften organisiert hatte. Es war eine Zeit der Ge- fahr, des Leids und des Schmerzes, aber es war auch eine Zeit der Freude, Liebe und Güte, die von den Armen ausstrahlte. Es war eine schwierige Zeit, aber ich hatte in diesen Jahren so viel Freude und gute Begegnungen, sowohl mit meinen Mit- brüdern, als auch mit den Menschen, denen wir dienten. Als ich zum Generaloberen gewählt wurde, war das eine Berufung zu einer Aufgabe, von der ich zugeben muss, dass sie schwer für mich zu akzeptieren war. Ich liebe die Kongregation, und ich habe in den Gelübden Gehorsam versprochen. Wenn man mich aber gefragt hätte, wohin ich lieber gegangen wäre, in die Favelas von Brasilien oder nach Rom, hätte ich mich für Brasilien entschieden. Nun, es wurde anders entschieden. Als Generaloberer habe ich meine Augen nun für „Favelas“ auf der ganzen Welt geöffnet, in denen die Oblaten das Evan- gelium verkünden und daran arbeiten, das Leben der Armen zu verbessern. Gott ist in den Favelas Im Senegal haben Oblaten und Assozi- ierte eine Gruppe namens „Friends of St. Eugene“ – „Freunde des heiligen Eugen“ zu Ehren unseres Ordensgründers gegrün- det. Diese Gruppe hilft in einer Art „Favela“ auf dem Land. Es ist ein Gebiet, in dem etwa 800 Menschen ohne medizinische Hilfe unter Dürre und drückender Hitze leiden. Die „Freunde des heiligen Eugen“ versorgen die Dorfbewohner, Christen und Muslime, mit grundlegender medizi- nischer Hilfe. Für die meisten Menschen ist das die einzige medizinische Versor- gung, die sie jemals erhalten werden. Letztes Jahr war ich in „Favelas“ in Kuba, wo vier Oblaten in sieben Gemein- den arbeiten. Ich war schockiert über die Armut der älteren Menschen dort. Es ist ihnen unmöglich, von ihren Renten zu leben. So haben die Oblaten in jeder Gemeinde ein Mittagsprogramm für äl- tere Menschen eingerichtet. Nach der Feier der Messe an den Wochentagen bietet die Gemeinde Essen an. Die Obla- ten essen gemeinsam mit den Bedürfti- gen. Dort wird auch gesungen, getanzt und Gemeinschaft gepflegt. Es ist ein wunderbarer, einfacher Dienst, und es ist eine Möglichkeit für die Oblaten, nahe bei den Menschen zu sein. In den Favelas habe ich entdeckt, was passieren kann, wenn wir Gottes Geist wirken lassen. Bei den Benachteiligten und Armen durfte ich Gott mehr und mehr als Mysterium erleben. Als Myste- rium der Liebe, der Gemeinschaft und der Solidarität. In den Favelas, die ich gesehen habe, war der Geist Gottes unter den Menschen und führte uns zu Gott, einem Gott, der voller Überraschungen war und erkennbar wurde, als ich ihn am wenigsten erwartete. Erkennbar in Zei- chen von Gemeinschaft, Mitleid, Groß- zügigkeit, Dankbarkeit, tiefem Glauben und Hoffnung trotz aller Armut, Schwie- rigkeiten und Gewalt. Mein Traum für die Oblaten Wenn meine Zeit als Generaloberer vor- bei ist, würde ich ohne zu zögern zurück in die Favelas gehen. Ich wäre in Brasilien sehr glücklich, aber vielleicht ist es auch ein Ort wie Indien oder Bangladesch, an dem unsere Oblatenfamilie noch viel jünger ist. Diese jüngeren Oblatenein- heiten bitten mich immer, ihnen einen älteren Oblaten zu schicken, der sie be- gleitet. Vielleicht bin ich dieser ältere Oblate, eine Art Weisheitsfigur, obwohl ich nicht weiß, wie viel wirkliche Weis- heit ich mit ihnen teilen könnte. Ein junger Oblatenstudent aus Leso- tho hat mir einmal eine schöne Frage gestellt: „Was ist dein Traum für die Ge- meinschaft der Oblaten?“ Nach einigem Nachdenken wurde mir klar, dass mein Traum derselbe ist wie der unseres Grün- ders Eugen von Mazenod. Es ist der Traum, dass wir immer nah bei den Armen sind, den Armen, um die sich sonst niemand kümmert. Es ist ein Traum, der an Orten wie den Favelas ver- wirklicht wird. Auf den ersten Blick schei- nen sie einfach hässlich, gewalttätig und grausam zu sein. Wenn wir jedoch über den äußeren Anschein hinwegsehen und die Menschen der Favelas treffen, kön- nen wir menschliche Werte und Werte des Evangeliums entdecken. Werte, in denen sehr einfache und gewöhnliche Taten mit außergewöhnlicher Großzü- gigkeit, Liebe und Opfer ausgeführt wer- den. Dann kann man erleben, was es be- deutet, wenn der Evangelis Lukas sagt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21). PATER LOUIS LOUGEN OMI ROM, ITALIEN Die Armen haben mich evangelisiert Der Generalobere der Oblaten über die Favelas dieser Welt 18 Jahre lang hat der Generalobere der Oblaten in Brasilien gearbeitet. Als er einmal gefragt wurde, wo er lieber seinen Dienst versehen würde, in Rom oder in den Favelas, antwortete er ohne zu zögern: „Ich würde in die Favelas gehen“. Pater Egide Palata hat nach seiner Ausbildung zum Priester Medizin studiert. Er arbeitet als Missionar in der Diözese Idiofa und betreut drei Krankenstationen, die die Oblaten aufgebaut haben. Am 28. September 2010 wählte das 35. Generalkapitel der Oblaten Pater Louis Lougen zum Generaloberen der Gemeinschaft. Fotos: OMI-Kongo DER WEINBERG | 02/2019 5 Missionare schreiben 4 DER WEINBERG | 02/2019

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sen Jungfrau Maria zu sein. Nach vier Jah-ren Studium der Theologie bin ich in Bra-silien bei den Armen in die Schule ge-gangen. Ich wurde dorthin geschickt, umals Missionar das Evangelium zu predigen,und als Gegenleistung brachten mich dieArmen durch das Zeugnis ihres LebensGott näher. Sie haben mir die Bedeutungdes Evangeliums neu erschlossen. Ichsollte Missionar sein, aber die Armenhaben mich evangelisiert.

Die Zeit, die ich in den Favelas vonBrasilien verbrachte, gehört zu den ge-segneten Jahren meines Lebens. Ich

In Brasilien habe ich so viel darüber ge-lernt, was es bedeutet, ein Priester, einMissionar und ein Oblate der Makello-

kannte das Leben und die Nöte derArmen sehr genau und sah die Gegen-wart des lebendigen Gottes bei Men-schen, die nur Armut und Elend hatten.Ihre Widerstandsfähigkeit inmitten vonArmut war wirklich erstaunlich. Erstaun-lich war auch ihre Fähigkeit zur Freudeund Gemeinschaft untereinander ange-sichts von Hoffnungslosigkeit, Gewaltund völliger Missachtung durch andere.Ihre Großzügigkeit, anderen zu helfen,war vorbildlich.

Eine Zeit der Gefahr, des Schmerzes und der GüteIn den Favelas kristallisierte sich das Obla-ten-Charisma in mir heraus, den Armen

die Frohe Botschaft zu bringen. Es wareine aufregende Zeit, weil sich das Landunter einer Militärdiktatur befand unddie Kirche eine Widerstandskraft in Soli-darität mit den Menschen war. Wir un-terstützten die Armen in ihren Kämpfenfür Gerechtigkeit und Menschenrechte,und die Diktatur begann schließlich zuzerbrechen, was zum großen Teil auf denEinfluss der Kirche zurückzuführen ist,die die Menschen in Glaubensgemein-schaften und Handlungsgemeinschaftenorganisiert hatte. Es war eine Zeit der Ge-fahr, des Leids und des Schmerzes, aberes war auch eine Zeit der Freude, Liebeund Güte, die von den Armen ausstrahlte.Es war eine schwierige Zeit, aber ich hatte

in diesen Jahren so viel Freude und guteBegegnungen, sowohl mit meinen Mit-brüdern, als auch mit den Menschen,denen wir dienten.

Als ich zum Generaloberen gewähltwurde, war das eine Berufung zu einerAufgabe, von der ich zugeben muss, dasssie schwer für mich zu akzeptieren war.Ich liebe die Kongregation, und ich habein den Gelübden Gehorsam versprochen.Wenn man mich aber gefragt hätte,wohin ich lieber gegangen wäre, in dieFavelas von Brasilien oder nach Rom,hätte ich mich für Brasilien entschieden.Nun, es wurde anders entschieden. AlsGeneraloberer habe ich meine Augennun für „Favelas“ auf der ganzen Weltgeöffnet, in denen die Oblaten das Evan-gelium verkünden und daran arbeiten,das Leben der Armen zu verbessern.

Gott ist in den FavelasIm Senegal haben Oblaten und Assozi-ierte eine Gruppe namens „Friends of St.Eugene“ – „Freunde des heiligen Eugen“zu Ehren unseres Ordensgründers gegrün-det. Diese Gruppe hilft in einer Art „Favela“

auf dem Land. Es ist ein Gebiet, in demetwa 800 Menschen ohne medizinischeHilfe unter Dürre und drückender Hitzeleiden. Die „Freunde des heiligen Eugen“versorgen die Dorfbewohner, Christenund Muslime, mit grundlegender medizi-nischer Hilfe. Für die meisten Menschenist das die einzige medizinische versor-gung, die sie jemals erhalten werden.

Letztes Jahr war ich in „Favelas“ inKuba, wo vier Oblaten in sieben Gemein-den arbeiten. Ich war schockiert überdie Armut der älteren Menschen dort.Es ist ihnen unmöglich, von ihren Rentenzu leben. So haben die Oblaten in jederGemeinde ein Mittagsprogramm für äl-tere Menschen eingerichtet. Nach derFeier der Messe an den Wochentagenbietet die Gemeinde Essen an. Die Obla-ten essen gemeinsam mit den Bedürfti-gen. Dort wird auch gesungen, getanztund Gemeinschaft gepflegt. Es ist einwunderbarer, einfacher Dienst, und esist eine Möglichkeit für die Oblaten, nahebei den Menschen zu sein.

In den Favelas habe ich entdeckt, waspassieren kann, wenn wir Gottes Geistwirken lassen. Bei den Benachteiligtenund Armen durfte ich Gott mehr undmehr als Mysterium erleben. Als Myste-rium der Liebe, der Gemeinschaft undder Solidarität. In den Favelas, die ichgesehen habe, war der Geist Gottes unterden Menschen und führte uns zu Gott,einem Gott, der voller Überraschungenwar und erkennbar wurde, als ich ihn am

wenigsten erwartete. Erkennbar in Zei-chen von Gemeinschaft, Mitleid, Groß-zügigkeit, Dankbarkeit, tiefem Glaubenund Hoffnung trotz aller Armut, Schwie-rigkeiten und Gewalt.

Mein Traum für die OblatenWenn meine Zeit als Generaloberer vor-bei ist, würde ich ohne zu zögern zurückin die Favelas gehen. Ich wäre in Brasiliensehr glücklich, aber vielleicht ist es auchein Ort wie Indien oder Bangladesch, andem unsere Oblatenfamilie noch vieljünger ist. Diese jüngeren Oblatenein-heiten bitten mich immer, ihnen einenälteren Oblaten zu schicken, der sie be-gleitet. vielleicht bin ich dieser ältereOblate, eine Art Weisheitsfigur, obwohlich nicht weiß, wie viel wirkliche Weis-heit ich mit ihnen teilen könnte.

Ein junger Oblatenstudent aus Leso-tho hat mir einmal eine schöne Fragegestellt: „Was ist dein Traum für die Ge-meinschaft der Oblaten?“ Nach einigemNachdenken wurde mir klar, dass meinTraum derselbe ist wie der unseres Grün-ders Eugen von Mazenod.

Es ist der Traum, dass wir immer nahbei den Armen sind, den Armen, um diesich sonst niemand kümmert. Es ist einTraum, der an Orten wie den Favelas ver-wirklicht wird. Auf den ersten Blick schei-nen sie einfach hässlich, gewalttätig undgrausam zu sein. Wenn wir jedoch überden äußeren Anschein hinwegsehen unddie Menschen der Favelas treffen, kön-nen wir menschliche Werte und Wertedes Evangeliums entdecken. Werte, indenen sehr einfache und gewöhnlicheTaten mit außergewöhnlicher Großzü-gigkeit, Liebe und Opfer ausgeführt wer-den. Dann kann man erleben, was es be-deutet, wenn der Evangelis Lukas sagt:„Das Reich Gottes ist mitten unter euch“(Lk 17,21).

PATER LOuIS LOuGEN OMIROM, ITALIEN

Die Armen habenmich evangelisiert

Der Generalobere der Oblatenüber die Favelas dieser Welt

18 Jahre lang hat der Generalobereder Oblaten in Brasilien gearbeitet.Als er einmal gefragt wurde, wo erlieber seinen Dienst versehen würde,in Rom oder in den Favelas, antwortete er ohne zu zögern: „Ich würde in die Favelas gehen“.

Pater Egide Palata hat nach seinerAusbildung zum Priester Medizinstudiert. Er arbeitet als Missionar inder Diözese Idiofa und betreut dreiKranken stationen, die die Oblatenaufgebaut haben.

Am 28. September2010 wählte das

35. Generalkapitelder Oblaten PaterLouis Lougen zum

Generaloberen derGemeinschaft.

Fotos: OMI-Kongo

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