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13 Diagnostik im Dialog • Ausgabe 50 • 08/2016 | Die ARNI-Therapie und ihr Monitoring | Medizin Schritte zu einer neuartigen Therapie Die HI-Therapie basiert auf dem Antagonis- mus maladaptiv veränderter neuroendokri- ner Systeme, was die Prognose der Betrof- fenen deutlich verbessert. Verglichen mit der Situation von vor 20 Jahren beträgt die Sterblichkeit der HI heutzutage nur noch 25 %. 2 Allerdings besteht trotz Verwendung von Angiotensin-Conversions-Enzym-Inhi- bitoren (ACE-Hemmer), Betablockern und Mineralocorticoid-Antagonisten immer noch ein hohes Risiko, dass sich die HI verschlechtert und die Patienten wieder stationär aufgenommen werden müssen. Da sich der klinische Zustand auch symp- tomatisch unbemerkt verschlimmern kann, ist – neben der Diagnose – auch die Thera- piekontrolle mit biochemischen Markern (z. B. natriuretischen Peptiden) mittlerweile zu einem Standbein der Versorgung herz- insuffizienter Patienten geworden. 3 De Bold und Mitarbeiter haben als erste bei Versuchstieren gezeigt, dass die Injektion von Extrakten aus Vorhöfen die Natrium- Wasser-Ausscheidung im Urin erhöht. 4 Sie charakterisierten und sequenzierten wenig später eine Familie von natriuretischen Peptiden, die die renalen und hämodyna- mischen Effekte vermitteln. 5 Es folgte die Hypothese, dass sich diese biogenen Pep- tide möglicherweise zur Behandlung einer HI eignen. Voraussetzung dafür wären: eine natriuretische und diuretische Wirkung, Vasodilatation sowie antihypertrophe und antifibrotische Effekte am Herzen und an den Gefäßen. 6 In diesem Kontext hat insbesondere das Brain Natriuretic Peptide (BNP) Bedeu- tung erlangt. Bald nach der Sequenzierung und der Charakterisierung von Wirkun- gen zeigte sich, dass BNP und auch Atrial Die chronische Herzinsuffizienz (HI) ist von einer hohen Mortalität und Komorbidität begleitet. Die Symptomatologie schränkt die Qualität des täglichen Lebens ein und führt zu einer beträchtlichen Wiederaufnahme- rate in Krankenhäuser. 1 Pharmakologische Entwicklungen haben zu einer neuartigen Therapieoption (ARNI*) für HI-Patienten geführt. Sie kann kardiovaskuläre Todes- fälle und HI-Hospitalisierungen zusätz- lich zu einer intensiven Standardtherapie um 20 % reduzieren. ARNI hat in einem beschleunigten Zulassungsverfahren Ein- gang in die neuen Leitlinien der European Society of Cardiology gefunden. Aufgrund physiologischer Gegebenheiten eignen sich biologisch aktive natriuretische Peptide, wie z. B. das BNP, hierbei nicht zur Therapie- überwachung. Unter ARNI reflektiert nur NT-proBNP die aktuelle kardiale Situation des Patienten. Die ARNI-Therapie und ihr Monitoring Prof. Dr. Michael Böhm, Klinik für Innere Medizin III, Universitätsklinikum des Saarlandes fotolia/lenaconstantin Die Symptomatologie der Herzinsuffizienz schränkt die Lebens- qualität spürbar ein.

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 50 • 08/2016 | Die ARNI-Therapie und ihr Monitoring | Medizin

Schritte zu einer neuartigen Therapie Die HI-Therapie basiert auf dem Antagonis-mus maladaptiv veränderter neuroendokri-ner Systeme, was die Prognose der Betrof-fenen deutlich verbessert. Verglichen mit der Situation von vor 20 Jahren beträgt die Sterblichkeit der HI heutzutage nur noch 25 %.2 Allerdings besteht trotz Verwendung von Angiotensin-Conversions-Enzym-Inhi-bitoren (ACE-Hemmer), Betablockern und Mineralocorticoid-Antagonisten immer noch ein hohes Risiko, dass sich die HI verschlechtert und die Patienten wieder stationär aufgenommen werden müssen. Da sich der klinische Zustand auch symp-tomatisch unbemerkt verschlimmern kann, ist – neben der Diagnose – auch die Thera- piekontrolle mit biochemischen Markern (z. B. natriuretischen Peptiden) mittlerweile zu einem Standbein der Versorgung herz- insuffizienter Patienten geworden.3

De Bold und Mitarbeiter haben als erste bei Versuchstieren gezeigt, dass die Injektion von Extrakten aus Vorhöfen die Natrium-Wasser-Ausscheidung im Urin erhöht.4 Sie charakterisierten und sequenzierten wenig später eine Familie von natriuretischen Peptiden, die die renalen und hämodyna-mischen Effekte vermitteln.5 Es folgte die Hypothese, dass sich diese biogenen Pep-tide möglicherweise zur Behandlung einer HI eignen. Voraussetzung dafür wären: eine natriuretische und diuretische Wirkung, Vasodilatation sowie antihypertrophe und antifibrotische Effekte am Herzen und an den Gefäßen.6

In diesem Kontext hat insbesondere das Brain Natriuretic Peptide (BNP) Bedeu-tung erlangt. Bald nach der Sequenzierung und der Charakterisierung von Wirkun-gen zeigte sich, dass BNP und auch Atrial

Die chronische Herzinsuffizienz (HI) ist von einer hohen Mortalität und Komorbidität begleitet. Die Symptomatologie schränkt die Qualität des täglichen Lebens ein und führt zu einer beträchtlichen Wiederaufnahme-rate in Krankenhäuser.1 Pharmakologische Entwicklungen haben zu einer neuartigen Therapieoption (ARNI*) für HI-Patienten geführt. Sie kann kardiovaskuläre Todes-fälle und HI-Hospitalisierungen zusätz-lich zu einer intensiven Standardtherapie um 20  % reduzieren. ARNI hat in einem beschleunigten Zulassungsverfahren Ein-gang in die neuen Leitlinien der European Society of Cardiology gefunden. Aufgrund physiologischer Gegebenheiten eignen sich biologisch aktive natriuretische Peptide, wie z.  B. das BNP, hierbei nicht zur Therapie-überwachung. Unter ARNI reflektiert nur NT-proBNP die aktuelle kardiale Situation des Patienten.

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Die Symptomatologie der Herzinsuffizienz schränkt die Lebens- qualität spürbar ein.

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Natriuretic Peptide (ANP) bei HI signifi-kant erhöht sind.7,8 Die direkte Gabe von BNP in Form des synthetischen Derivates Nesiritide verbesserte bei akuter HI zwar geringfügig die Luftnot nicht aber die Pro-gnose der Patienten.9–11 Trotz einer guten pathophysiologischen Rationale und bio-logisch-relevanten Effekten blieb zunächst die Frage, wie man die biologischen Wir-kungen nutzen kann.

Biogene Peptide werden über das Enzym Neprilysin* abgebaut, vermittelt über eine membranständige Endopeptidase, die in vielen Geweben, insbesondere aber in der Niere, vorkommt.12,13 Neprilysin ist nicht BNP-spezifisch. Es baut diverse, auch zum Teil uncharakterisierte Biopeptide, wie ANP, Substanz P, Angiotensin II und Brady- kinin ab. Die Hemmung dieses Enzyms wäre demnach vielleicht eine Möglichkeit, die bio-logisch günstigen Wirkungen natriuretischer Peptide in der Situation der HI zu verstärken.

Daher wurden isolierte Inhibitoren von Neprilysin (Racecadotril und Candoxatrilat) hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Na- trium- und Wasserexkretion untersucht.14,15 Die Effekte waren uneinheitlich und limi-tiert, was über die zusätzliche Hemmung des Abbaus von Angiotensin II zu erklären wäre.16 Später wurde ein Hybridmolekül generiert (Omapatrilat), das gleichzeitig ACE und Neprilysin hemmt.17 Es zeigte sich eine posi-tive Wirkung auf die Belastungstoleranz herz-insuffizienter Patienten (IMPRESS-Studie18), war allerdings nicht von einer verbesserten Prognose begleitet (OUVERTURE19). Dies könnte ebenfalls an der begleitenden Abbau-hemmung von Angiotensin II liegen.

Der nächste Entwicklungsschritt verfolgte das Ziel, die maladaptiven Wirkungen von Angio-tensin  II zu blockieren sowie die potenziell protektive Wirkung der natriuretischen Pep-tide zu potenzieren. Es resultierte der biolo-gisch aktive Salzkomplex LCZ696, bestehend aus dem Angiotensin  II-Rezeptorblocker (auch AT1-Antagonist*) Valsartan und dem Neprilysin-Inhibitor Sacubitril (ARNI) (Pro-drug AHU377). Das Hybridmolekül wird in einem stöchiometrischen Verhältnis von 1:1

resorbiert, was für eine stabile Pharmakoki-netik spricht.20 Bei Hochdruckpatienten zeigte sich, dass LCZ696 zusätzlich blutdrucksen-kende Wirkungen entfaltete, die denen des AT1-Antagonisten alleine entsprachen.21

Die PARADIGM*-Studie Es handelte sich um eine Studie mit über 2000 Patienten und der bisher größten Zahl nachverfolgter Patientenjahren.22 Ver-glichen wurden bei Patienten mit stabiler HI der Stadien NYHA  II (Mehrzahl der Fälle) bis NYHA  IV die Wirkungen von Sacubitril/ Valsartan einerseits und Enalap-

ril, einem Arzneistoff aus der Gruppe der ACE-Hemmer, andererseits. Nach einer Präexpositionsphase wurden die Patienten in Arme mit Enalapril (2  x  10  mg) bzw. LCZ696 200 mg (98 mg Valsartan, 102 mg Sacubitril) randomisiert. Als primärer kom-binierter Endpunkt galt kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen HI.

Im Sacubitril/Valsartan („ARNI“)-Arm zeigte sich insgesamt eine 20 %-ige Abnahme des primären Endpunkts, wobei beide Kom-ponenten in ähnlicher Weise beeinflusst wurden.22

Abb. 1: Wirkung von LCZ696 (ARNI) auf die Biomarker NT-proBNP und BNP bei Patienten mit Herzinsuffizienz (mod. aus 31). Mediane als Kreise dargestellt; 25 % / 75 % Interquartil-Bereich als Balken. Dunkle Balken und Kreise zeigen Patienten der LCZ696-Gruppe, Darstellung der Patienten der Enalapril-Gruppe mit hellen Balken und hellen Kreisen.

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 50 • 08/2016 | Die ARNI-Therapie und ihr Monitoring | Medizin

Ergebnisse:O 21 % Reduktion für Herzinsuffizienz-

hospitalisierung (p < 0,00004)O 20 % Reduktion für kardiovaskuläre

Todesfälle (p < 0,00004)O 16 % Reduktion der Gesamtmortalitäts-

rate (p < 0,0005)O Aufgrund der deutlichen Überlegenheit

der neuen Wirkstoffkombination vs. Standardtherapie mit ACE-Hemmern wurde die Studie frühzeitig abgebrochen.

Bei Therapie mit Sacubitril/Valsartan kam es zu etwas mehr Hypotonien, wohingegen die Abnahme der GFR* weniger ausgeprägt war. Letzteres lässt auf eine biologische Wirkung von ARNI zur Perfusionssteigerung der Nieren schließen. Subgruppenanalysen erga-ben keine Wirkungsheterogenität bezogen auf den Schweregrad der Herzinsuffizienz, gemessen an dem EMPHASIS-HF-Score23 und dem Magic Score.24 Ebensowenig zeig-ten sich Unterschiede bei Patienten mit oder ohne Diabetes mellitus25 oder in Abhängig-keit von der Ejektionsfraktion.26 Ältere27 oder Patienten mit niedrigem Blutdruck28 profitierten in ähnlicher Weise von der Therapie. Daher berücksichtigen die aktu-alisierten Leitlinien der European Society of Cardiology LCZ696 für eine frühzeitige Therapie bei Herzinsuffizienz.29

Auswirkung auf die TherapiesteuerungBNP und das Spaltprodukt NT-proBNP werden für die Diagnostik und insbeson-dere auch für die Vorhersage des klinischen Verlaufes einer HI verwendet.30 Welche Aus-wirkungen hat die Empfehlung des neuarti-gen Wirkstoffes auf das essenzielle Therapie-

monitoring? BNP ist Substrat für Neprilysin, welches bei einer ARNI-Therapie durch Sacubitril gehemmt wird. Dementsprechend steigt die Konzentration des zirkulieren-den BNP an. NT-proBNP dagegen ist kein Substrat, wird also durch Neprilysin nicht beeinflusst und reflektiert unverändert den Schweregrad und Verlauf der HI.

In der neuroendokrinen Subanalyse der PARADIGM-HF-Studie war NT-proBNP als (richtiger) Ausdruck der HI-Besserung in seiner Konzentration vermindert, BNP aber leicht erhöht (Abb. 1).31 Diese Ergebnisse und die pathophysiologischen Zusammenhänge belegen, dass sich unter ARNI-Therapie nur NT-proBNP, nicht aber BNP als Verlaufs- parameter eignet. Denn bei fehlender Verän-derung (oder gar einem Anstieg) von BNP lässt sich nicht entscheiden, ob es sich um einen pharmakologischen Effekt der Nepri-lysininhibition handelt oder ob sich eine HI signifikant verschlechtert hat.

Literatur 1 Butler J et al: JAMA (2014); 312: 789-790 2 Packer M: Eur Heart J (1995); 16 Suppl F: 4-6 3 Cleland JG: Eur J Heart Fail (2002); 4: 243-247 4 de Bold AJ et al: Life Sci (1981); 28: 89-94 5 Flynn TG et al: Biochem Biophys Res Commun (1983);

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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Michael Böhm, MD Direktor der Klinik für Innere Medizin III Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin Universitätsklinikum des Saarlandes Kirrberger Str. 1 66424 Homburg/Saar E-mail: [email protected]

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atm

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Aufgrund der deutlichen Überlegenheit eines neuen Wirkstoffes gegen HI wurde die diesbezügliche Prüf-studie vorzeitig abgebrochen.

* Glossar

ARNI: Hybridmolekül aus AT II-Rezeptor-blocker Valsartan und Neprilysin-Inhibitor Sacubitril

Neprilysin: frühere Bezeichnungen sind „neutrale Endopeptidase“, „Vasopeptidase“, „Atriopeptidase“ und „Enkephalinase“

AT1-Antagonisten wirken selektiv am AT1-Rezeptor und antagonisieren dadurch die kardiovaskulären Wirkungen des Angio-tensin II

GFR (Glomeruläre Filtrationsrate): Indikator der Nierenleistung

PARADIGM-HF: Prospective comparison of ARNI and ACE to Determine Impact on Global Mortality and Morbidity in Heart Failure