Die Asienpolitik der Europäischen Union -...

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Die Asienpolitik der Europäischen Union Die Asienpolitik der Europäischen Union FRANCO ALGIERI Asien hat als wirtschaftlicher Standort an Attraktivität gewonnen und ist damit auch unter politischen und sicherheitspolitischen Aspekten für die Europäische Union bedeutsamer geworden. Aufgrund der unterschiedlichen Interpretationen von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit liefert der Annähe- rungsprozeß jedoch auch Konfliktpotential. Geographisch definiert umfaßt Asien für die EU acht Länder und Volkswirt- schaften Ostasiens, zehn Länder Südostasiens und acht Länder Südasiens 1 . Auf administrativer Ebene zeigt sich die Hinwendung zu Asien etwa in den Anpas- sungsleistungen der Europäischen Kommission, in der sich zwei Kommissare mit Asien beschäftigen. Die Generaldirektion I von Sir Leon Brittan umfaßt u.a. die Beziehungen zu Japan, China, Korea, Hong Kong, Macau und Taiwan. In der Manuel Marin unterstehenden Generaldirektion I.B werden u.a. die Beziehungen zu den übrigen asiatischen Staaten aufgegriffen. Diese Aufteilung ist unter regio- nalen Aspekten nachvollziehbar, doch sind Koordinierungsschwierigkeiten und Probleme bei der Kompetenzabgrenzung nicht auszuschließen. Die Asienstrategie Die Europäische Kommission initiierte im Juli 1994 mit der Mitteilung 'Auf dem Weg zu einer neuen Asienstrategie' 2 an den Rat eine Politik, die Asien größere Pri- oritäten auf der europäischen Agenda einräumen sollte. Vom Europäischen Rat in Essen wurde diese Initiative unterstützt und das Europäische Parlament stimmte im Juli 1995 dieser Asienstrategie zu, betonte aber gleichzeitig, daß für die ver- schiedenen Teile Asiens stärkere und differenzierte Strategien entwickelt werden sollten 3 . Dem europäischen Ansatz waren bereits Anstrengungen in Deutschland vorausgegangen 4 , die darauf abzielten, die deutsche Asienpolitik gemeinsam mit der EU-Asienpolitik auszubauen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hatte für die zweite Jahreshälfte 1994 in bezug auf Asien einen weitreichenden Arbeitsplan ent- worfen. Die elfte Ministertagung der EU und der ASEAN-Staaten im September 1994 in Karlsruhe 5 war nicht nur Folge der seit 1980 bestehenden Partnerschaft, sie verdeutlichte auch die herausragende Rolle der ASEAN für die Beziehungen der EU zur asiatisch-pazifischen Region. Im Rahmen ihrer Asienstrategie will die EU die wirtschaftliche Präsenz der Union in Asien stärken, die Stabilität durch internationale Zusammenarbeit unter- stützen, die wirtschaftliche Entwicklung der ärmeren Länder und Regionen Asiens fördern sowie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte entwickeln und festigen. Dieses ambitionierte Konzept bietet eine vielschichtige Problemlage. Jahrbuch der Europäischen Integration 1995/96 253

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Die Asienpolitik der Europäischen Union

Die Asienpolitik der Europäischen UnionFRANCO ALGIERI

Asien hat als wirtschaftlicher Standort an Attraktivität gewonnen und ist damitauch unter politischen und sicherheitspolitischen Aspekten für die EuropäischeUnion bedeutsamer geworden. Aufgrund der unterschiedlichen Interpretationenvon Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit liefert der Annähe-rungsprozeß jedoch auch Konfliktpotential.

Geographisch definiert umfaßt Asien für die EU acht Länder und Volkswirt-schaften Ostasiens, zehn Länder Südostasiens und acht Länder Südasiens1. Aufadministrativer Ebene zeigt sich die Hinwendung zu Asien etwa in den Anpas-sungsleistungen der Europäischen Kommission, in der sich zwei Kommissare mitAsien beschäftigen. Die Generaldirektion I von Sir Leon Brittan umfaßt u.a. dieBeziehungen zu Japan, China, Korea, Hong Kong, Macau und Taiwan. In derManuel Marin unterstehenden Generaldirektion I.B werden u.a. die Beziehungenzu den übrigen asiatischen Staaten aufgegriffen. Diese Aufteilung ist unter regio-nalen Aspekten nachvollziehbar, doch sind Koordinierungsschwierigkeiten undProbleme bei der Kompetenzabgrenzung nicht auszuschließen.

Die Asienstrategie

Die Europäische Kommission initiierte im Juli 1994 mit der Mitteilung 'Auf demWeg zu einer neuen Asienstrategie'2 an den Rat eine Politik, die Asien größere Pri-oritäten auf der europäischen Agenda einräumen sollte. Vom Europäischen Rat inEssen wurde diese Initiative unterstützt und das Europäische Parlament stimmteim Juli 1995 dieser Asienstrategie zu, betonte aber gleichzeitig, daß für die ver-schiedenen Teile Asiens stärkere und differenzierte Strategien entwickelt werdensollten3. Dem europäischen Ansatz waren bereits Anstrengungen in Deutschlandvorausgegangen4, die darauf abzielten, die deutsche Asienpolitik gemeinsam mitder EU-Asienpolitik auszubauen. Die deutsche Ratspräsidentschaft hatte für diezweite Jahreshälfte 1994 in bezug auf Asien einen weitreichenden Arbeitsplan ent-worfen. Die elfte Ministertagung der EU und der ASEAN-Staaten im September1994 in Karlsruhe5 war nicht nur Folge der seit 1980 bestehenden Partnerschaft,sie verdeutlichte auch die herausragende Rolle der ASEAN für die Beziehungender EU zur asiatisch-pazifischen Region.

Im Rahmen ihrer Asienstrategie will die EU die wirtschaftliche Präsenz derUnion in Asien stärken, die Stabilität durch internationale Zusammenarbeit unter-stützen, die wirtschaftliche Entwicklung der ärmeren Länder und Regionen Asiensfördern sowie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte entwickelnund festigen. Dieses ambitionierte Konzept bietet eine vielschichtige Problemlage.

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DIE AUSSENPQL1TIK DER EUROPÄISCHEN UNION

Grundsätzlich besteht zwar der Anspruch, die wirtschaftliche und politischeDimension in Einklang zu bringen, doch zeigen sich jeweils innerhalb dieser Berei-che Unterschiede bei der Ausgestaltung der Beziehungen zu einzelnen asiatischenStaaten. So haben die Beziehungen zu der ASEAN, China und Japan bislang eineherausragende Position in der EU-Asienpolitik, da nicht nur das wirtschaftspoliti-sche Profil dieser Staaten relevant ist, sondern in zunehmendem Maße auch ihrsicherheitspolitisches Gewicht. Schließlich stößt die Politik der EU an Grenzen,wenn - wie es in Einzelfällen geschieht - asiatische Staaten den europäischenAnspruch auf eine universell geltende Auslegung von Demokratie und Menschen-rechten ablehnen.

Handelspolitik und Kooperationsmaßnahmen

Der Handel zwischen der EU und Asien verzeichnet Zuwachsraten, wobei einunausgewogenes Verhältnis zwischen Aus- und Einfuhren besteht6. Die für finanzi-elle, technische und wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitgestellten Beträge derEU erfuhren eine deutliche Steigerung7. Wie auch zu vielen anderen Staaten derWelt gestaltet die EU ihre bilateralen Beziehungen zu den Ländern Asiens im Rah-men von Handels- und Kooperationsabkommen. Die Kommission geht davon aus,daß in Asien die wachstumsstärksten Länder der Welt liegen, auf die bis zum Endedieses Jahrhunderts zwischen einem Viertel und einem Drittel der Weltwirtschaftentfallen könnte. Für die Entwicklungsländer Asiens, deren Anteil an den EU-Exporten kontinuierlich stieg, ist die EU nach den Vereinigten Staaten der wichtig-ste Absatzmarkt. Bevölkerungswachstum und Armut - in Südasien wird es auch imJahr 2000 noch die stärkste Konzentration der Ärmsten in der Welt geben - werdenAuswirkungen auf die wirtschaftlichen Beziehungen haben.

Die einzelnen ASEAN-Staaten haben für die EU unterschiedliche handelspoliti-sche Bedeutung, wobei sich gegenwärtig Singapur zum bedeutendsten Partner ent-wickelt hat8. Mit Ausnahme von Vietnam hat das seit 1980 bestehende Kooperati-onsabkommen Gültigkeit. Mit dem neuen ASEAN-Mitglied Vietnam wurde imJuli 1995 ein Abkommen der dritten Generation unterzeichnet. Zu Beginn der 90erJahre zeigte sich aufgrund des enormen Handelsaufkommens zwischen den beidenRegionen, daß eine Revision des Abkommens notwendig ist. Bereits bei dem neun-ten EG-ASEAN Ministertreffen 1991 wurde die Überarbeitung des Abkommensbeschlossen, doch scheiterte dies an der ablehnenden Haltung Portugals aufgrundder Ost-Timor-Frage9. Im Anschluß an die elften EU-ASEAN Ministertagung von1994 kam es im Mai 1995 in Singapur zu der ersten Sitzung hoher Beamter ausbeiden Regionen und der Kommission. Ihre Aufgabe ist es, die Hemmnisse politi-scher und wirtschaftlicher Art in den Beziehungen zu analysieren und Pläne für dieZukunft zu entwickeln. Bei der Diskussion um die Einführung einer Sozialklauselin internationalen Handelsbeziehungen wurde bei diesem Treffen zwar keingemeinsamer Nenner erzielt, doch konnte das Thema angesprochen werden, ohnedaß es zu einer Konfrontation führte.

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Die Asienpolitik der Europäischen Union

Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Japan sind nicht konfliktfrei. ImJuni 1995 veröffentlichte der Rat seine Schlußfolgerungen 'Europa und Japan: Dienächsten Schritte'10. Hierbei handelt es sich um eine Weiterführung der Beziehun-gen, die auf der gemeinsamen Erklärung EG-Japan von 1991 und den Schlußfolge-rungen des Rates vom Juni 1992 basieren. Die Europäer kritisieren die Zugangsbe-schränkungen zum japanischen Markt, besonders die nichttarifären, rechtlichenund administrativen Hindernisse. Sie fordern die strikte Einhaltung der Meistbe-günstigungsklausel im Rahmen der WTO-Regeln. In diesem Kontext äußerte sichdie EU auch zum Streit zwischen den Vereinigten Staaten und Japan im Automo-bilsektor und teilte teilweise die amerikanische Besorgnis in bezug auf die struktu-rellen Hindernisse beim Zugang zum japanischen Markt. Beim vierten euro-japa-nischen Gipfel im Juni 1995 in Paris, an dem der französische Staatschef Chiracals Präsident des Europäischen Rats und Kommissionspräsident Santer sowie derjapanische Premierminister Murayama teilnahmen, wurden in der Abschlußer-klärung einige Punkte genannt, die der Kritik der Europäer Rechnung tragen". Inder gemeinsamen Erklärung von 1991 war vorgesehen, diese Gipfeltreffen jährlichund jeweils abwechselnd in Japan und Europa abzuhalten, in der Praxis wird diesbislang nicht umgesetzt, und erst vier Jahre später gelang die Einigung auf eingemeinsames Kommunique.

Nach der Aufnahme bilateraler Beziehungen zwischen der EU und China imJahr 1975 und der Unterzeichnung des Abkommens über handelspolitische undwirtschaftliche Zusammenarbeit im Jahr 1985 reagierte die Europäische Kommis-sion 1995 mit der Mitteilung 'Die langfristige Politik der Europäischen Uniongegenüber China'12 auf die zunehmende wirtschaftliche und sicherheitspolitischeRolle Chinas in Asien. Die daraufhin vom Rat vorgelegten Schlußfolgerungen13

wurde vom Europäischen Rat von Madrid im Dezember 1995 zwar zur Kenntnisgenommen, gleichzeitig wurde aber die Besorgnis über die Verurteilung eines chi-nesischen Dissidenten zum Ausdruck gebracht. Die künftige Kooperationsstrategieder Union zielt darauf ab, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China zu ver-stärken, China in das weltweite Handels- und Investitionssystem einzugliedern, dieZivilgesellschaft zu fördern, Armut zu lindern und die Umweltpolitik in China zustärken. Schwachpunkte der bisherigen Kooperation waren die unzureichendeInformationspolitik und das mangelnde Verständnis zwischen China und Europa.Die China-Europe International Business School in Schanghai soll zu einem inten-siveren Austausch im Hochschulwesen und bei der Berufsausbildung beitragen.Um Unternehmenskontakte zu erleichtern, wird die Errichtung eines EU-ChinaBusiness Council erwogen. China erhofft sich von der EU Unterstützung bei denBemühungen, der WTO beizutreten. Dieses Ansinnen wird in der Chinastrategieunterstützt, wobei sich aber bei der Sitzung des gemischten Ausschusses EU-Chinaim Oktober 1995 zeigte, daß noch eine Reihe grundlegender Meinungsverschie-denheiten bei Einzelfragen wie beispielsweise Übergangsperioden, dem hohenNiveau chinesischer Einfuhrzölle oder der Situation im öffentlichen Auftragswe-sen bestehen. China möchte unter den weniger strengen Kriterien, die für Entwick-

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DIE AUSSENPOLITIK DER EUROPÄISCHEN UNION

lungsländer gelten, aufgenommen werden, was nicht auf allgemeine Zustimmunginnerhalb der WTO-Staaten stößt. EU-Kommissar Sir Leon Brittan äußerte sichbei seinem Chinabesuch im Mai 1996 wenig optimistisch. Beim Besuch des chine-sischen Ministerpräsidenten Li Peng in Frankreich im April 1996 kam es zu Ver-einbarungen über die Bestellung von Passagierflugzeugen für den chinesischenMarkt im Wert von 1,5 Mrd. US$. Li Peng reagierte damit auch auf die amerikani-sche Zurückhaltung gegenüber dem Wunsch Chinas, der WTO beizutreten.

Neben der Politik gegenüber der ASEAN, Japan und China gab es eine Reiheweiterer Schritte, die darauf zielten, das asienpolitische Profil der EU zu verbes-sern. Die Troika besuchte im März 1996 Indien, mit dem seit 1994 ein Kooperati-onsabkommen in Kraft ist. Indien ist Hauptnutznießer der von der EU für Entwick-lungshilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitgestellten Mittel. Auch mitNepal und Sri Lanka wurden 1995 Kooperationsabkommen abgeschlossen, die aufder Achtung der Menschenrechte und der Wahrung der Demokratie basieren. Mitder Republik Korea begannen 1995 Verhandlungen über ein Rahmenabkommenüber Handel und Zusammenarbeit, und aus dem Haushaltsplan der EU für 1996wird ein Sofortbeitrag von 5 Mio. ECU für die Korean Peninsula Energy Develop-ment Organization (KEDO)14 bereitgestellt.

Das Treffen asiatischer und europäischer Staats- und Regierungschefs (AsiaEurope Meeting - ASEM) griff im März 1996 die Themen auf, die bereits in denbilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den asiatischen Staatendiskutiert werden. Auf asiatischer Seite waren neben den ASEAN-Staaten auchJapan, China und Südkorea vertreten. Besondere Bedeutung wird in dem Abschluß-dokument der ersten WTO-Ministerkonferenz beigemessen, die für Dezember 1996in Singapur geplant ist15. Dieses Treffen wird für beide Seiten zu einem Testfall,ob der erklärte Wille zur Annäherung vorhanden ist. Nicht zuletzt wird es auch aufdie Reaktionen der asiatischen Staaten ankommen, sollte die EU ihre Absichtumsetzen, Handelsfragen mit Fragen von Arbeitsbedingungen zu verknüpfen. DieInitiative zu einem solchen Treffen wurde erstmals informell unter den Teilneh-mern des dritten europäisch-ostasiatischen Wirtschaftgipfels 1994 in Singapur erör-tert und anschließend von den ASEAN-Staaten aufgegriffen. Hong Kong und Tai-wan waren, anders als im Rahmen der APEC, nicht vertreten, da mögliche Unstim-migkeiten in dieser Frage mit China vermieden werden sollten.

Politischer Dialog und Sicherheitspolitik

Bei den traditionellen Erklärungen der EU-Präsidentschaft lagen im Bereich Asiendie Schwerpunkte 1995 und Anfang 1996 bei der Sorge um Menschenrechts- undDemokratiefragen - Myanmar (Burma) und China wurden in diesem Zusammen-hang am häufigsten genannt - sowie der Stabilität in einzelnen Teilen Asiens, beson-ders in Sri Lanka und im Südchinesischen Meer. Die Erklärungen der EU als Aus-druck der gemeinsamen Haltung wurden in Einzelfällen auch von Drittstaatengenutzt. So schlössen sich beispielsweise die mit der EU assoziierten mittel- und

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osteuropäischen Länder einer Erklärung zur Lage in Sri Lanka an, und als die EUdie Verurteilung eines chinesischen Dissidenten bedauerte, fand dies ebenfalls dieUnterstützung einiger assoziierter mittel- und osteuropäischer Staaten, und auchNorwegen schloß sich auf diese Weise der EU-Position an.

Die hohen Rüstungsausgaben asiatischer Staaten sowie die Rüstungskontrolleund Nichtweitergabe von Massenvernichtungswaffen werden auch künftig einHauptthema in den politischen Beratungen der EU mit den Staaten Asiens sein.1995 steigerten die meisten Staaten der Region erneut ihre Verteidigungsausgaben.Japan hatte mit 56 Mrd. US$ von allen Staaten Asiens die höchsten Aufwendungenim Verteidigungsbereich. Im Vergleich gaben Frankreich 37 Mio. US$ und das Ver-einigte Königreich 34 Mio. US$ 1995 für Verteidigung aus. Als Beitrag zur Lösungdes Problems der Verbreitung von Kernwaffen auf der koreanischen Halbinsel ver-abschiedete der Rat gemäß Art. J.3 EUV im März 1996 eine gemeinsame Aktion.Formen eines erweiterten Dialogs, bei dem nicht nur die EU und asiatische Staatenzusammentreffen, bieten sich während der ASEAN Post-Ministerial Conference(PMC) und im Rahmen des ASEAN Regional Forum (ARF). Bei der jährlich imAnschluß an die Außenministertagung der ASEAN stattfindenden PMC sind u.a.die Vereinigten Staaten, Kanada und Australien vertreten. Das erste Treffen desARF, an dem als Konsultationspartner auch China und Rußland beteiligt waren,fand 1994 statt. Nicht nur für die ASEAN als „pragmatischer Sicherheitszweckver-bund"16, sondern auch für die EU, in ihrem Bemühen „Frieden, Sicherheit undFortschritt ... in der Welt zu fördern"17, bieten diese Foren eine Möglichkeit, zurStabilität der Region und zur Vertrauensbildung zwischen Europa und Asien beizu-tragen.

Neben der ASEAN sind Japan und China die wichtigsten asiatischen Partnerbeim politischen Dialog der EU. Die Kommission schlug vor, die EU solle denAntrag Japans auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat unterstützen, dochfand dies beim Rat nur eingeschränkte Zustimmung. Der in der Erklärung von 1991geschaffene Rahmen wird für den politischen Dialog weiterhin Gültigkeit haben,jedoch wird Japan hinsichtlich der Erweiterung des UN-Sicherheitsrats nicht aufdie Unterstützung der EU vertrauen können, da es in dieser Frage keinen Konsenszwischen den Mitgliedstaaten gibt.

Chinas Entwicklung zur politischen und militärischen Weltmacht macht es fürdie EU notwendig, gegenüber diesem Staat eine Kooperations- und Einbindungs-strategie zu entwickeln. Es ist beabsichtigt, die bereits bestehenden regionalenForen und den bilateralen Dialog zu nutzen, um insbesondere Nuklearfragen, dieVerbreitung von Massenvernichtungswaffen und Gebietstreitigkeiten zu regeln.Mit Blick auf die Übergabe Hong Kongs und Macaus an China im Jahre 1997 bzw.1999 wird von der EU der Fortbestand der Rechtsstaatlichkeit, die Bedeutung derMarktwirtschaft und die Wahrung der entsprechend vereinbarten Autonomie gefor-dert. Am Beispiel der Beziehungen der EU zu China zeigt sich, wie sehr die Kon-troverse um Menschenrechte und Demokratie zu entscheidenden Verhandlungs-aspekten im handelspolitischen Dialog werden können. Sind die Europäer nicht

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nur bei wirtschaftlichen, sondern auch bei politischen und anderen Themen koope-rationsbereit, können seitens China entsprechend positive Reaktionen, besondersim wirtschaftlichen Bereich erwartet werden. Im Gegensatz zu den VereinigtenStaaten zeichnet sich unter den EU-Mitgliedstaaten vermehrt die von China bevor-zugte Haltung ab, die Kooperationspolitik nicht zu sehr an politische Bedingungenzu knüpfen18.

Bei den Menschenrechten beruft sich die EU generell auf bestehende internatio-nale Normen und führt den entsprechenden Dialog in erster Linie auf bilateralerEbene und in multilateralen Gremien, wie der UN-Menschenrechtskommission.Einige asiatische Staaten drücken jedoch deutlich ihre Kritik an dem Ansatz derEU, das Menschenrechts- und Demokratieverständnis in Europa und Asien gleich-zusetzen, aus. Im Vorfeld des ASEM bestand Unsicherheit darüber, ob politischeThemen wie die Lage in Ost-Timor, Menschenrechtsfragen und Arbeitsstandardsnicht zu einer Gefährdung des Treffens führen könnten. Dem portugiesischen Mini-sterpräsidenten Guterres gelang es nicht, mit dem indonesischen PräsidentenSuharto am Vorabend des ASEM ein Gespräch zu führen, bei dem Ost-Timor erör-tert werden sollte. Bereits im Januar 1996 befaßte sich der Rat mt einem Entwurffür einen gemeinsamen Standpunkt gemäß Art. J.2 EUV zu Ost-Timor. Mittels despolitischen Dialogs soll eine international annehmbare Lösung dieses Problemsgefunden werden. Kommissionspräsident Santer verwies darauf, vor einer Diskus-sion über die Menschenrechte müsse ein entsprechendes Gesprächsklima herge-stellt werden19. Die Passage zu den Menschenrechten in der Erklärung des Vorsit-zes des ASEM stellt eine Kompromißformel dar und nimmt allgemein Bezug aufdie entsprechenden internationalen Vereinbarungen.

Das Europäische Parlament hingegen greift mit Blick auf Asien häufig Men-schenrechts- und Demokratiefragen auf und bildet ein Gegengewicht zu der im Ratvorherrschenden Position. Wie sich jedoch bei der Diskussion um die Einfügungeiner Sozialklausel in Handelsabkommen zeigt, räumt das EP ein, daß dies eine„potentielle Quelle von Mißverständnissen und Fehldeutungen zwischen Europaund Asien ist" und empfiehlt, die jeweiligen Standpunkte ausführlich zu berück-sichtigen20. In den Abkommen mit Staaten Asiens besteht noch keine einheitlicheFormel zu Menschenrechten und Demokratie21. So ist beispielsweise in demAbkommen mit ASEAN nur ein allgemein gehaltener Satz in der Präambel zu fin-den. Das mit Vietnam 1995 geschlossene Abkommen basiert gemäß seinem Art. 1auf der Achtung der Menschenrechte und den Grundsätzen der Demokratie. Fürmögliche künftige Mitglieder der ASEAN wie Laos, Kambodscha oder Myanmarwürde die gleiche Formel angewandt.

Ausblick

Die Staaten Asiens haben eine wichtige, wenngleich unterschiedlich gewichtetePosition in den Außenbeziehungen der EU eingenommen. ASEAN, Japan undChina finden bislang die intensivste Zuwendung der EU. Indien wird mittelfristig

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hinzukommen, was nicht zuletzt dadurch bestätigt wird, daß die EU beabsichtigt,Indien zum nächsten ASEM im Jahre 1998 nach London einzuladen und gegen-wärtig ein Strategiepapier für eine intensivere Partnerschaft mit Indien erarbeitetwird. In sicherheitspolitischen Fragen wird sich der Dialog vertiefen. Die unter-schiedlichen Auffassungen zu Demokratie und Menschenrechten werden weiterhinden schwierigsten Teil des politischen Dialogs darstellen. Abzuwarten bleibt, wiesich die flexible Haltung einzelner EU-Mitgliedstaaten weiterentwickelt. DasZustandekommen eines neuen Abkommens mit der ASEAN und die Frage derSozialklausel im Rahmen der WTO werden dadurch richtungsweisend. Es ist davonauszugehen, daß auch weiterhin die Positionen der Mitgliedstaaten über den Erfolgeiner gemeinsamen Asienpolitik der EU entscheiden werden. Der Abschluß desAbkommens mit Vietnam wurde für einige Zeit u.a. von Großbritannien aufgrundder vietnamesischen Haltung zu den boat people in Hong Kong und von Deutsch-land wegen der deutsch-vietnamesischen Unstimmigkeiten über die Rückführungillegal in Deutschland lebender Vietnamesen verhindert22. Die Erfahrungen ausden euro-asiatischen Beziehungen der vergangenen Jahre zeigen jedoch, daß sicheine Kooperations- und Dialogstruktur für beide Seiten erfolgreicher auswirkt alseine Abschottungspolitik.Eine auf Gegenseitigkeit gebaute Politik zwischen der EU und Asien bedarf jedocheiniger grundlegender Voraussetzungen. Integrationspolitische Konzepte, die fürEuropa anwendbar sind, können nicht einfach auf Asien übertragen werden. Diehistorisch, ethnisch, kulturell und politisch gewachsenen Unterschiede asiatischerStaaten müssen bei dem Annäherungsprozeß der EU und Asiens berücksichtigtwerden. Voreilige und kurzfristig getroffene Analysen und Politikkonzepte sindwenig hilfreich.

Anmerkungen

1 Ostasien (China, Japan, Nord- und Südkorea,Mongolei, Taiwan, Hong Kong, Macau);Südostasien (Brunei, Indonesien, Malaysia,Philippinen, Singapur, Thailand, Kambod-scha, Laos, Vietnam, Myanmar); Südasien(Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka,Nepal, Bhutan, Malediven und Afghanistan).Die fünf zentralasiatischen Republiken wer-den im Rahmen der GUS behandelt; vgl.KOM(94) 314endg. v. 13.7.1994, S. 2.

2 KOM(94) 314 endg. v. 13.7.1994.3 ABL. der EG, C 166/66 v. 3.7.1995.4 Vgl. Leitlinien zur deutschen Asienpolitik,

in: Presse- und Informationsamt der Bundes-regierung: Bulletin Nr. 9 v. 28.1.1994.

5 Presse- und Informationsamt der Bundesre-gierung: Bulletin Nr. 87 v. 28.9.1994; Asso-ciation of Southeast Asian Nations (Brunei-Darussalam, Indonesien, Malaysia, Philippi-

nen, Singapur, Thailand, Vietnam)1994 betrug der asiatische Anteil an denGesamteinfuhren der EU 26%, während sichder Anteil an den Gesamtausfuhren der EUauf 20% belief; vgl. Europa ohne Grenzen,Europäische Kommission, Monatlicher Brief,April 1996, Beilage S. I.Finanzielle und technische Zusammenarbeit1995: 376 Mio. ECU; 1994: 280 Mio. ECU;wirtschaftliche Zusammenarbeit 1995: 91,54Mio. ECU; 1994: 59 Mio. ECU; vgl. Gesamt-bericht über die Tätigkeit der EuropäischenUnion 1995, Brüssel/Luxemburg 1996,S. 403.Vgl. Eurostat, Außenhandel, Monatliche Sta-tistiken 4 (1996), S. 13f.Die frühere portugiesische Kolonie wurde1975 von Indonesien annektiert und häufigwerden Menschenrechtsverletzung in dieser

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Region beklagt.10 Siehe Schlußfolgerungen des Rates, in:

Europe Dokumente v. 9.6.1995.11 Vgl. Agence Europe v. 21.6.1995, S. 11.12 KOM(95) 279 endg. v. 5.7.1995.13 Vgl. Europe Dokumente v. 18.1.1996.14 Bulletin der EU 3 (1996), S. 98. Die KEDO

wurde im Frühjahr 1995 von den VereinigtenStaaten, Südkorea und Japan gegründet, umNordkorea bei der Nutzung der friedlichenKernenergie zu unterstützen.

15 Vgl. Erklärung des Vorsitzes zum Asien-Europa-Treffen, Bangkok, 2.3.1996, EuropeDokumente v. 20.3.1996.

16 Vgl. Dosch, Jörn: Die Relevanz des integra-tionstheoretischen Ansatzes von Karl W.Deutsch für die Assoziation südostasitischerStaaten (ASEAN), in: Integration im Pazifik,Welttrends. Internationale Politik und ver-gleichende Studien 7 (1995), S. 66-85.

17 Präambel des Vertrags über die EuropäischeUnion.

18 Vgl. das Interview mit dem chin. Minister-präsidenten Li Peng, in: Financial Times v.11.6.1996, S. 15.

19 Vgl. The Economist v. 9.3.1996, S. 65;VWD-Europa v. 1.3.1996, S. 2.

20 Vgl. die Entschließung des EP zur Asienstra-tegie, in: ABL. der EG, C 166/66 v. 3.7.1995,Punkt 29-31; Stellungnahme zum Thema'Die Beziehungen zwischen der Europäi-schen Union und ASEAN' des Wirtschafts-und Sozialauschusses, CES 99/96,31.1/1.2.1996.

21 Vgl. Die Europäische Union und die Men-schenrechte in der Welt, Bulletin derEuropäischen Union, Beilage 3 (1995).

22 Vgl. Far Eastern Economic Review v.9.2.1995, S. 28.

Weiterführende LiteraturGoodman, David S.G., Gerald Segal: China

Deconstructs. Politics, Trade and Regiona-lism, London 1994.

Grant, Richard (Hrsg.): The European Union andChina, London 1995.

Integration im Pazifik, hrsg. v. Welttrends. Inter-nationale Politik und vergleichende Studien7(1995).

Mayer, Hans Jürgen, Manfred Pohl (Hrsg.): Län-derbericht Japan. Geographie, Geschichte,Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur,Bonn 1994.

Südostasien. Sicherheit und Stabilität, in: Kon-rad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Auslandsin-formationen 9 (1995).

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