Die Aura der Kopie, Teil 3

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SPEKTRUM 6. mai 2011 / nr. 7 / kunst und auktionen 42 Von Künstlern dagegen wird erwartet, dass bei ihnen Eitelkeit und Neu- gier groß genug sind, um für Ruhm und aus Lust an der Erfindung zu erfinden. Der Schutz der eigenen Idee ist marginal, jeder andere kann sie sofort aufgrei- fen und modifizieren, mit dem Resultat einer raschen, manchmal überra- schenden, oft sogar atemlosen stilistischen Weiterentwicklung und eines großen Wettbewerbs. Man selbst muss als Künstler Strategien entwickeln, sei- ne Erfindung zu verteidigen, um Marktführer seiner Idee zu werden und zu bleiben, am besten, indem man sich als ihr Urheber unübersehbar macht. Dazu braucht es Verbündete in Museen, Galerien und in den Medien. Dass der gesellschaftliche Nutzen – vorausgesetzt, man vermag sich in der Masse der Kunstproduktion noch halbwegs zu orientieren – auf diese Weise größer ist, als wenn sich jeder Künstler seine Idee schützen lassen könnte, liegt auf der Hand. Kultur ist allerdings längst ein Standort- und Wirtschaftsfaktor, von dem selbstredend die Künstler finanziell am wenigsten profitieren. Und das ist ein globales Phänomen. Das Leben besteht aus Augenblicken. Manche mögen für uns von persön- licher Bedeutung sein, manche schaffen es in die Nachrichten, doch nur we- nige sind von der Historie geschwängert. Ein solcher geschichtsträchtiger Moment, zumindest für die Deutschen, fiel zweifellos auf den 14. November 1993, an dem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl Schinkels Neue Wa- che in Berlin einmal mehr als Mahnmal einweihte. Deutschland hatte nun eine zentrale Gedenkstätte für die unschuldigen „Opfer von Krieg und Gewaltherr- schaft“, wie es die wenigen Worte sagen, die zu Füßen einer Plastik in grauen Stein eingelassen sind, die eine dicke Frau mit Kopftuch darstellt. Einerseits entspann sich angesichts dieser Inschrift eine bemerkenswerte Diskussion, wer hier gemeint sein könnte – doch das soll hier nicht Thema sein. Zum an- deren aber war da diese Skulptur, die „die Tragödie unseres Jahrhunderts“ (Helmut Kohl) anschaulich machen sollte: eine um den toten Sohn trauernde Mutter, ein Verstorbener, eine Überlebende, ein Werk, entfernt an eine Pietà gemahnend. Der Bundeskanzler vertrat die Ansicht, es handle sich um eine Plastik von Käthe Kollwitz, die sie kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs geschaf- fen hatte. Doch was war es wirklich? Helmut Kohl hatte, wie es sich gehört, bei den Erben des Urheberrechts eine Erlaubnis eingeholt, als er eine Kleinskulp- tur der Künstlerin im Maßstab 1:4 aufblähen ließ. Mancher hätte sich ge- wünscht, zu diesem Vorgang die Ansicht von Käthe Kollwitz selbst hören zu können. Aber vielleicht war aus ihrem Werk längst ein Kohl-Werk geworden, vielleicht hatte die neu entstandene Skulptur als Teil des Gesamtkunstwerks Neue Wache so wenig mit dem Original, mit dessen Künstlerhandschrift und Intimität zu tun, dass es als Bearbeitung durchgehen konnte und damit eine persönliche geistige Schöpfung des Bundeskanzlers wäre, nach dessen Idee und unter dessen Aufsicht sie entstand. In diesem Falle wäre die Bescheiden- heit Kohls, sein Werk als eine Schöpfung von Käthe Kollwitz auszugeben, ein Straftatbestand, der mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden müsste. Wenn Künstler wüssten, was mit ihren Kreationen nach ihrem Tod ge- schieht, würden sie sich hin und wieder entschließen, sie gar nicht erst zu erschaffen. Davon darf man ausgehen. Einmal in die Welt gesetzt, dessen sollte man sich aber ohnehin als Künstler immer gegenwärtig sein, sind Kunst- werke kaum noch zu kontrollieren. Für die ersten fünfzig oder auch siebzig Jahre nach dem Tod (je nach Rechtsprechung) mag man noch halbwegs darü- ber verfügen können, aber, wie das Beispiel Thomas Bernhard zeigt, der tes- tamentarisch ein totales Aufführungsverbot seiner Stücke in Österreich ver- fügte, kann sogar ein so unmissverständlich formulierter letzter Wille durch Jakob Seisenegger (1505–1567), Kaiser Karl V. mit Hund, Öl/Lwd., 1532, 203,5 x 123 cm, © Kunsthistorisches Museum Wien (oben) Tiziano Vecellio, gen. Tizian (um 1490–1576), Kaiser Karl V. mit Hund (nach Seisenegger), Öl/Lwd., 1533, 194 cm x 112,7 cm, © 2011 Museo Nacional del Prado (unten)

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SPEKTRUM6. mai 2011 / nr. 7 / kunst und auktionen42

Von Künstlern dagegen wird erwartet, dass bei ihnen Eitelkeit und Neu-gier groß genug sind, um für Ruhm und aus Lust an der Erfindung zu erfinden. Der Schutz der eigenen Idee ist marginal, jeder andere kann sie sofort aufgrei-fen und modifizieren, mit dem Resultat einer raschen, manchmal überra-schenden, oft sogar atemlosen stilistischen Weiterentwicklung und eines großen Wettbewerbs. Man selbst muss als Künstler Strategien entwickeln, sei-ne Erfindung zu verteidigen, um Marktführer seiner Idee zu werden und zu bleiben, am besten, indem man sich als ihr Urheber unübersehbar macht. Dazu braucht es Verbündete in Museen, Galerien und in den Medien. Dass der gesellschaftliche Nutzen – vorausgesetzt, man vermag sich in der Masse der Kunstproduktion noch halbwegs zu orientieren – auf diese Weise größer ist, als wenn sich jeder Künstler seine Idee schützen lassen könnte, liegt auf der Hand. Kultur ist allerdings längst ein Standort- und Wirtschaftsfaktor, von dem selbstredend die Künstler finanziell am wenigsten profitieren. Und das ist ein globales Phänomen.

Das Leben besteht aus Augenblicken. Manche mögen für uns von persön-licher Bedeutung sein, manche schaffen es in die Nachrichten, doch nur we-nige sind von der Historie geschwängert. Ein solcher geschichtsträchtiger Moment, zumindest für die Deutschen, fiel zweifellos auf den 14. November 1993, an dem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl Schinkels Neue Wa-che in Berlin einmal mehr als Mahnmal einweihte. Deutschland hatte nun eine zentrale Gedenkstätte für die unschuldigen „Opfer von Krieg und Gewaltherr-schaft“, wie es die wenigen Worte sagen, die zu Füßen einer Plastik in grauen Stein eingelassen sind, die eine dicke Frau mit Kopftuch darstellt. Einerseits entspann sich angesichts dieser Inschrift eine bemerkenswerte Diskussion, wer hier gemeint sein könnte – doch das soll hier nicht Thema sein. Zum an-deren aber war da diese Skulptur, die „die Tragödie unseres Jahrhunderts“ (Helmut Kohl) anschaulich machen sollte: eine um den toten Sohn trauernde Mutter, ein Verstorbener, eine Überlebende, ein Werk, entfernt an eine Pietà gemahnend. Der Bundeskanzler vertrat die Ansicht, es handle sich um eine Plastik von Käthe Kollwitz, die sie kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs geschaf-fen hatte. Doch was war es wirklich? Helmut Kohl hatte, wie es sich gehört, bei den Erben des Urheberrechts eine Erlaubnis eingeholt, als er eine Kleinskulp-tur der Künstlerin im Maßstab 1:4 aufblähen ließ. Mancher hätte sich ge-wünscht, zu diesem Vorgang die Ansicht von Käthe Kollwitz selbst hören zu können. Aber vielleicht war aus ihrem Werk längst ein Kohl-Werk geworden, vielleicht hatte die neu entstandene Skulptur als Teil des Gesamtkunstwerks Neue Wache so wenig mit dem Original, mit dessen Künstlerhandschrift und Intimität zu tun, dass es als Bearbeitung durchgehen konnte und damit eine persönliche geistige Schöpfung des Bundeskanzlers wäre, nach dessen Idee und unter dessen Aufsicht sie entstand. In diesem Falle wäre die Bescheiden-heit Kohls, sein Werk als eine Schöpfung von Käthe Kollwitz auszugeben, ein Straftatbestand, der mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden müsste.

Wenn Künstler wüssten, was mit ihren Kreationen nach ihrem Tod ge-schieht, würden sie sich hin und wieder entschließen, sie gar nicht erst zu erschaffen. Davon darf man ausgehen. Einmal in die Welt gesetzt, dessen sollte man sich aber ohnehin als Künstler immer gegenwärtig sein, sind Kunst-werke kaum noch zu kontrollieren. Für die ersten fünfzig oder auch siebzig Jahre nach dem Tod (je nach Rechtsprechung) mag man noch halbwegs darü-ber verfügen können, aber, wie das Beispiel Thomas Bernhard zeigt, der tes-tamentarisch ein totales Aufführungsverbot seiner Stücke in Österreich ver-fügte, kann sogar ein so unmissverständlich formulierter letzter Wille durch

Jakob Seisenegger (1505–1567), Kaiser Karl V. mit Hund, Öl/Lwd., 1532, 203,5 x 123 cm, © Kunsthistorisches Museum Wien (oben)

Tiziano Vecellio, gen. Tizian (um 1490–1576), Kaiser Karl V. mit Hund (nach Seisenegger), Öl/Lwd., 1533, 194 cm x 112,7 cm, © 2011 Museo Nacional del Prado (unten)