Die Auswahl des Sachverständigen im Unterbringungsverfahren und im Verfahren zur Genehmigung der...

3
trage dem Schutz des Betroffenen in seinen Grundrechten auf Leben, Selbstbestimmung und Menschenwürde Rech- nung, entlaste aber auch den Betreuer, dem die alleinige Last der Entscheidung gegen eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung nicht zuzumuten sei, und schütze ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung. Eine vormundschaftliche Genehmigung wurde vom BGH (Beschl. v. 8. 6. 2005 – XII ZR 177/03 –, BGHZ 163, 195) daher nicht für erforderlich erachtet, wenn sich der Betreuer und der behandelnde Arzt übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des Betreuten entschieden haben. Der deutsche Gesetzgeber hat die Thematik zwischen- zeitig einer Regelung zugeführt: Nach § 1904 Abs. 2 bis 4 BGB i. d. F. des am 1. 9. 2009 in Kraft getretenen 3. BtRÄG bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Ein- willigung des Betreuers in einen schwerwiegenden ärzt- lichen Eingriff nun der Genehmigung des Betreuungsge- richts (Abs. 2); dieses hat die Genehmigung zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwil- ligung dem Willen des Betreuten entspricht (Abs. 3); eine derartige Genehmigung ist jedoch nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB (Patientenverfü- gung) festgestellten Willen des Betreuten entspricht. 3.13. Der Oberste Gerichtshof kann aufgrund des oben dargestellten Determinierungsgebots für das österreichi- sche Recht keine ausreichende Grundlage zu einer ver- gleichbaren richterlichen Rechtsfortbildung erkennen. Ko- petzki (in: Kröll/Schaupp, a. a. O., S. 86, 88) führt vielmehr überzeugend aus, dass bei moralisch und/oder gesellschafts- politisch strittigen Angelegenheiten ein höheres Maß an gesetzlicher Präzision zu verlangen sei, weil und sofern die Gesetzesauslegung gerade in solchen Bereichen nicht mehr durch die ergänzende Heranziehung allgemein anerkann- ter Wertungskonsense konkretisiert werden könne. Die Einsicht, dass im Sachwalterrecht auf flexible Handlungs- spielräume zur Bewältigung unvorhergesehener Entschei- dungsnotwendigkeiten im Bereich der Personensorge nicht verzichtet werden könne, ohne die Funktionsfähigkeit des Rechtsinstituts in Frage zu stellen, entbinde den Gesetz- geber nicht davon, typische und vorhersehbare Konflikt- lagen zu regeln und eine generellabstrakte Regelbildung dort vorzunehmen, wo sie möglich sei. Nach Ansicht des erkennenden Senats steht dies einer Rechtsfortbildung in der vom BGH vorgenommenen Weise entgegen. 3.14. Dies führt zum Ergebnis, dass ein durch gericht- liche Verantwortung begleiteter auf Beendigung des Le- bens durch die Abschaltung der lebenserhaltenden Systeme gerichteter Entscheidungsprozess im Rahmen des medi- zinischen Behandlungsvertrags durch die österreichische Rechtsordnung weder im dafür relevanten § 283 ABGB noch durch Rechtsanalogie zur Verfügung gestellt wird. Es bleibt daher bei den aus dem Behandlungsvertrag mangels gerichtlicher Entscheidungsbefugnis bestehenden grund- sätzlich auf Erhaltung des Lebens gerichteten ärztlichen Verpflichtungen. 4. Als anerkannt gelten kann, dass der behandelnde Arzt bei der Beurteilung der von ihm vorzuschlagenden bzw. durchzuführenden Maßnahmen (vgl. etwa § 8 Abs. 3 KA- KuG) auch auf die Persönlichkeit des Patienten Bedacht zu nehmen hat (Aigner, Die Patientenverfügung de lata und de lege ferenda, in: Schriftenreihe des BMJ, Recht und Würde im Alter, S. 237 ff.). In diesem Zusammen- hang wird etwa der Befragung der Angehörigen und auch der beachtlichen Patientenverfügung Bedeutung zukom- men. Diese Ausgangspunkte sind auch für die Tätigkeit des Sachwalters wichtig, wenn nach der Einschätzung des behandelnden Arztes aus medizinischer Sicht eine weitere Behandlung, nicht mehr dem Wohl des Patienten dient. Der Sachwalter des Patienten hat die beachtliche Patienten- verfügung in Bezug auf die medizinische Behandlung zur Erforschung des mutmaßlichen Parteiwillens ins Kalkül zu ziehen (RV 1299 BlgNR 22. GP, S. 8 [zu §§ 8, 9 PatVG]; Kopetzki, iFamZ 2007, 197, 203; ders., in: Körtner/Ko- petzki/Kletečka-Pulker, a. a. O., S. 127 ff., 134; Kletečka, Anm. zu 6 Ob 286/07p, Zak 2008, 332, 333; Bernat, in: Schwimann/Kodek, ABGB, 4. Aufl., § 9 PatVG, Rdnr. 3). Der Sachwalter des Patienten ist insoweit an den in einer bloß beachtlichen Patientenverfügung verankerten mut- maßlichen Willen des Patienten als Richtschnur und Ori- entierungshilfe gebunden (z. B. Bernat, a. a. O.). Weder dem Sachwalter noch dem behandelnden Arzt kommt in diesem Fall die alleinige Entscheidungsbefugnis zu. Viel- mehr haben sie unter Beachtung der beachtlichen Patien- tenverfügung über die weitere Vorgehensweise konsensual zu befinden. Ist nur einer von ihnen für die Lebenserhal- tung, hat diese Vorrang. Eine Entscheidungsbefugnis des Gerichts besteht – wie dargelegt – nicht. 5. Zusammenfassend ist festzuhalten: Für eine gerichtliche Genehmigung des Abbruchs einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung besteht nach geltendem Recht keine Grundlage. Insbesondere scheidet eine analoge Anwendung des § 283 Abs. 2 ABGB hierfür aus. 6. Für den verfahrensgegenständlichen Antrag des Sach- walters fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Das schließt von vornherein die Möglichkeit seiner Genehmigung durch einen Kollisionskurator aus, so dass sich auch dessen Be- stellung zu dem Zweck, den Antrag des Sachwalters kura- telgerichtlich zu genehmigen, als unzulässig erweist. Dem Revisionsrekurs der Kollisionskuratorin ist damit im Ergebnis Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss des RekG sowie der ihm zugrunde liegende Beschluss des ErstG sind ersatzlos zu beheben. DOI: 10.1007/s00350-014-3725-0 Die Auswahl des Sachverständigen im Unterbringungsverfahren und im Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme FamFG § 321 Abs. 1 S. 5 1. In Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme kann der behan- delnde Arzt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen mit der Erstattung des vor der Entscheidung einzuholenden Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme be- auftragt werden. 2. Die Gründe für eine Abweichung von der Rege- lung des § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG sind in der Genehmi- gungsentscheidung darzulegen. BGH, Beschl. v. 30. 10. 2013 – XII ZB 482/13 (LG Ravensburg) Problemstellung: Der Beschluss ist die erste Ent- scheidung des BGH, die sich mit den seit dem 26. 2. 2013 geltenden besonderen Vorschriften zum Verfahren der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme befasst. Der BGH erläutert die unter- schiedlichen gesetzlichen Anforderungen an die Auswahl der Person des Sachverständigen im Verfahren zur Ge- nehmigung einer Unterbringung (ohne Zwangsbehand- lung) gegenüber dem Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme. Bearbeitet von RiLG Dr. iur. Jens Diener, Landgericht Saarbrücken (z.Zt. abg.), Franz-Josef-Röder-Straße 15, 66119 Saarbrücken, Deutschland Rechtsprechung MedR (2014) 32: 393–395 393

Transcript of Die Auswahl des Sachverständigen im Unterbringungsverfahren und im Verfahren zur Genehmigung der...

Page 1: Die Auswahl des Sachverständigen im Unterbringungsverfahren und im Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

trage dem Schutz des Betroffenen in seinen Grundrechten auf Leben, Selbstbestimmung und Menschenwürde Rech-nung, entlaste aber auch den Betreuer, dem die alleinige Last der Entscheidung gegen eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung nicht zuzumuten sei, und schütze ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung.

Eine vormundschaftliche Genehmigung wurde vom BGH (Beschl. v. 8. 6. 2005 – XII ZR 177/03  –, BGHZ 163, 195) daher nicht für erforderlich erachtet, wenn sich der Betreuer und der behandelnde Arzt übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des Betreuten entschieden haben.

Der deutsche Gesetzgeber hat die Thematik zwischen-zeitig einer Regelung zugeführt: Nach § 1904 Abs. 2 bis 4 BGB i. d. F. des am 1. 9. 2009 in Kraft getretenen 3. BtRÄG bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Ein-willigung des Betreuers in einen schwerwiegenden ärzt-lichen Eingriff nun der Genehmigung des Betreuungsge-richts (Abs.  2); dieses hat die Genehmigung zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwil-ligung dem Willen des Betreuten entspricht (Abs. 3); eine derartige Genehmigung ist jedoch nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB (Patientenverfü-gung) festgestellten Willen des Betreuten entspricht.

3.13. Der Oberste Gerichtshof kann aufgrund des oben dargestellten Determinierungsgebots für das österreichi-sche Recht keine ausreichende Grundlage zu einer ver-gleichbaren richterlichen Rechtsfortbildung erkennen. Ko-petzki (in: Kröll/Schaupp, a. a. O., S. 86, 88) führt vielmehr überzeugend aus, dass bei moralisch und/oder gesellschafts-politisch strittigen Angelegenheiten ein höheres Maß an gesetzlicher Präzision zu verlangen sei, weil und sofern die Gesetzesauslegung gerade in solchen Bereichen nicht mehr durch die ergänzende Heranziehung allgemein anerkann-ter Wertungskonsense konkretisiert werden könne. Die Einsicht, dass im Sachwalterrecht auf flexible Handlungs-spielräume zur Bewältigung unvorhergesehener Entschei-dungsnotwendigkeiten im Bereich der Personensorge nicht verzichtet werden könne, ohne die Funktionsfähigkeit des Rechtsinstituts in Frage zu stellen, entbinde den Gesetz-geber nicht davon, typische und vorhersehbare Konflikt-lagen zu regeln und eine generellabstrakte Regelbildung dort vorzunehmen, wo sie möglich sei. Nach Ansicht des erkennenden Senats steht dies einer Rechtsfortbildung in der vom BGH vorgenommenen Weise entgegen.

3.14. Dies führt zum Ergebnis, dass ein durch gericht-liche Verantwortung begleiteter auf Beendigung des Le-bens durch die Abschaltung der lebenserhaltenden Systeme gerichteter Entscheidungsprozess im Rahmen des medi-zinischen Behandlungsvertrags durch die österreichische Rechtsordnung weder im dafür relevanten § 283 ABGB noch durch Rechtsanalogie zur Verfügung gestellt wird. Es bleibt daher bei den aus dem Behandlungsvertrag mangels gerichtlicher Entscheidungsbefugnis bestehenden grund-sätzlich auf Erhaltung des Lebens gerichteten ärztlichen Verpflichtungen.

4. Als anerkannt gelten kann, dass der behandelnde Arzt bei der Beurteilung der von ihm vorzuschlagenden bzw. durchzuführenden Maßnahmen (vgl. etwa § 8 Abs. 3 KA-KuG) auch auf die Persönlichkeit des Patienten Bedacht zu nehmen hat (Aigner, Die Patientenverfügung de lata und de lege ferenda, in: Schriftenreihe des BMJ, Recht und Würde im Alter, S.  237 ff.). In diesem Zusammen-hang wird etwa der Befragung der Angehörigen und auch der beachtlichen Patientenverfügung Bedeutung zukom-men. Diese Ausgangspunkte sind auch für die Tätigkeit des Sachwalters wichtig, wenn nach der Einschätzung des behandelnden Arztes aus medizinischer Sicht eine weitere

Behandlung, nicht mehr dem Wohl des Patienten dient. Der Sachwalter des Patienten hat die beachtliche Patienten-verfügung in Bezug auf die medizinische Behandlung zur Erforschung des mutmaßlichen Parteiwillens ins Kalkül zu ziehen (RV 1299 BlgNR 22. GP, S. 8 [zu §§ 8, 9 PatVG]; Kopetzki, iFamZ 2007, 197, 203; ders., in: Körtner/Ko-petzki/Kletečka-Pulker, a. a. O., S.  127 ff., 134; Kletečka, Anm. zu 6 Ob 286/07p, Zak 2008, 332, 333; Bernat, in: Schwimann/Kodek, ABGB, 4. Aufl., § 9 PatVG, Rdnr. 3). Der Sachwalter des Patienten ist insoweit an den in einer bloß beachtlichen Patientenverfügung verankerten mut-maßlichen Willen des Patienten als Richtschnur und Ori-entierungshilfe gebunden (z. B. Bernat, a. a. O.). Weder dem Sachwalter noch dem behandelnden Arzt kommt in diesem Fall die alleinige Entscheidungsbefugnis zu. Viel-mehr haben sie unter Beachtung der beachtlichen Patien-tenverfügung über die weitere Vorgehensweise konsensual zu befinden. Ist nur einer von ihnen für die Lebenserhal-tung, hat diese Vorrang. Eine Entscheidungsbefugnis des Gerichts besteht – wie dargelegt – nicht.

5. Zusammenfassend ist festzuhalten:Für eine gerichtliche Genehmigung des Abbruchs einer

lebenserhaltenden medizinischen Behandlung besteht nach geltendem Recht keine Grundlage. Insbesondere scheidet eine analoge Anwendung des § 283 Abs. 2 ABGB hierfür aus.

6. Für den verfahrensgegenständlichen Antrag des Sach-walters fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Das schließt von vornherein die Möglichkeit seiner Genehmigung durch einen Kollisionskurator aus, so dass sich auch dessen Be-stellung zu dem Zweck, den Antrag des Sachwalters kura-telgerichtlich zu genehmigen, als unzulässig erweist.

Dem Revisionsrekurs der Kollisionskuratorin ist damit im Ergebnis Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss des RekG sowie der ihm zugrunde liegende Beschluss des ErstG sind ersatzlos zu beheben.

DOI: 10.1007/s00350-014-3725-0

Die Auswahl des Sachverständigen im Unter bringungsverfahren und im Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

FamFG § 321 Abs. 1 S. 5

1. In Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme kann der behan-delnde Arzt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen mit der Erstattung des vor der Entscheidung einzuholenden Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme be-auftragt werden.

2. Die Gründe für eine Abweichung von der Rege-lung des § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG sind in der Genehmi-gungsentscheidung darzulegen.BGH, Beschl. v. 30. 10. 2013 – XII ZB 482/13 (LG Ravensburg)

Problemstellung: Der Beschluss ist die erste Ent-scheidung des BGH, die sich mit den seit dem 26. 2. 2013 geltenden besonderen Vorschriften zum Verfahren der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme befasst. Der BGH erläutert die unter-schiedlichen gesetzlichen Anforderungen an die Auswahl der Person des Sachverständigen im Verfahren zur Ge-nehmigung einer Unterbringung (ohne Zwangsbehand-lung) gegenüber dem Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme.

Bearbeitet von RiLG Dr. iur. Jens Diener, Landgericht Saarbrücken (z.Zt. abg.), Franz-Josef-Röder-Straße 15, 66119 Saarbrücken, Deutschland

Rechtsprechung MedR (2014) 32: 393–395 393

Page 2: Die Auswahl des Sachverständigen im Unterbringungsverfahren und im Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

In dem zu entscheidenden Fall hatte das Beschwer-degericht den behandelnden Arzt zum Sachverständigen bestellt. Soweit es um die Genehmigung der Einwilli-gung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme ging, hat dies der BGH beanstandet, da in diesen Verfahren gemäß § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG der zwangsbehandelnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden „soll“. Al-lenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen könne das Gericht vom gesetzlichen Regelfall abweichen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen. In diesem Fall habe das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs.  1 S.  5 FamFG abgewichen ist. Soweit es alleine um die Genehmigung der Unter-bringung (ohne Zwangsbehandlung) ging, hat der BGH klargestellt, dass der behandelnde Arzt zum Sachverstän-digen bestellt werden kann, wenn die Gesamtdauer der Unterbringung kürzer als vier Jahre ist.

Zum Sachverhalt: Die Betroffene wendet sich gegen die betreu-ungsgerichtliche Genehmigung ihrer Unterbringung in einem psy-chiatrischen Krankenhaus und ihrer zwangsweisen Heilbehandlung.

Die Betroffene, die an einer paranoiden Schizophrenie leidet, steht unter Betreuung. Auf Antrag ihres Betreuers hat das AG zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterbringung der Betrof-fenen in einem psychiatrischen Krankenhaus betreuungsgerichtlich genehmigt. Nach Einholung einer „fachärztlichen Stellungnahme zu § 1906 BGB und zur Zwangsmedikation“ durch den Oberarzt der Klinik, in der die Betroffene untergebracht war, und der Anhörung der Betroffenen hat das AG mit Beschl. v. 16. 8. 2013 die Unterbrin-gung für einen Zeitraum von weiteren zwölf Wochen genehmigt und die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung ausgesprochen. Zugleich wurde die Genehmigung zur zwangsweisen Behandlung der Betroffenen mit in dem amtsgerichtlichen Beschl. konkret be-zeichneten Medikamenten für die Dauer von sechs Wochen erteilt. Insoweit hat das AG von einer Anordnung der sofortigen Wirksam-keit seiner Entscheidung abgesehen.

Im Beschwerdeverfahren hat das LG die Einholung eines Sach-verständigengutachtens angeordnet und den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellt. In dem durch den Berichterstatter als beauftragten Richter durchgeführten Anhörungstermin hat der Sachverständige in Anwesenheit der Betroffenen, ihres Betreuers, des Verfahrenspfle-gers und ihres Vaters als Bevollmächtigtem mündlich ein Gutachten zur Erforderlichkeit der Unterbringung und der zwangsweisen Heil-behandlung der Betroffenen erstattet.

Das LG hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen und die sofortige Wirksamkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung auch hinsichtlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung zur zwangs-weisen Behandlung der Betroffenen angeordnet. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

Aus den Gründen: [5] II. Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechts-beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der an-gegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

[6] 1. Die Genehmigung der Unterbringung und der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen ist verfah-rensfehlerhaft erfolgt, weil die Einholung des Sachverstän-digengutachtens nicht den Anforderungen des § 321 Abs. 1 FamFG genügt.

[7] a) Nach § 321 Abs. 1 S. 1 FamFG hat vor einer Un-terbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendig-keit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i. V. mit Abs.  2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilpro-zessordnung durchzuführen. Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO). Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zu-mindest formlos mitzuteilen, damit dieser ggf. von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i. V. mit § 406

ZPO Gebrauch machen kann. Ferner hat der Sachverstän-dige den Betroffenen gemäß § 321 Abs. 1 S. 2 FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen. Andern-falls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisauf-nahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erstattet werden, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des schwerwiegen-den Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkennt-nisse darstellen und wissenschaftlich begründen (Senats-beschl. v. 15. 9. 2010 – XII ZB 383/10  –, FamRZ 2010, 1726, Rdnrn. 18 ff., m. w. N.). Dem wird das durch das Beschwerdegericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht gerecht.

b) Soweit es die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen betrifft, ist es zwar nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht den behandelnden Arzt zum Sach-verständigen bestellt hat. Nach § 329 Abs. 2 S. 2 FamFG soll das Gericht nur bei einer Unterbringung mit einer Gesamt-dauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt hat. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer kürzeren Unterbrin-gungsdauer der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt werden kann (Senatsbeschl. v. 15. 9. 2010 – XII ZB 383/10 –, FamRZ 2010, 1726, Rdnr. 9).

[9] Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Geneh-migung der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffe-nen. In Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anord-nung soll nach § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG der zwangsbehan-delnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Regelung der betreuungs-rechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaß-nahme v. 18. 2. 2013 (BGBl.  I S. 266) mit Wirkung vom 26. 2. 2013 eingeführten Vorschrift wollte der Gesetzgeber gewährleisten, dass der gerichtlichen Entscheidung über die Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung eine unvor-eingenommene ärztliche Begutachtung durch einen Sach-verständigen vorausgeht, der nicht mit der Behandlung des Betroffenen befasst ist (vgl. BT-Dr. 17/12086, S. 11). Die gegenüber §§ 280 Abs. 1, 321 Abs. 1 S. 1, 4 FamFG erhöh-ten Anforderungen an die Qualifikation des Sachverstän-digen und die Einführung eines „Vier-Augen-Prinzips“ (so Dodegge, NJW 2013, 1265, 1270) tragen dabei dem Um-stand Rechnung, dass die Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung bei dem Betrof-fenen zu einem zusätzlichen schweren Grundrechtseingriff führt, der über die mit der Unterbringung verbundenen Beschränkungen des Betroffenen hinausgeht (Grotkoop, in: Bahrenfuss [Hrsg.], FamFG, 2. Aufl., § 321, Rdnr., 14). Dass § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG trotzdem nur als „Soll“-Vor-schrift ausgestaltet ist, beruht darauf, dass der Gesetzgeber eine fachlich fundierte Begutachtung erreichen, gleichzei-tig aber durch die abgestuften Anforderungen den unter-schiedlichen Verfahren und den Bedürfnissen der Praxis bei der Auswahl geeigneter Sachverständiger Rechnung tra-gen wollte (BT-Dr. 17/12086, S. 11). Im Hinblick auf den genannten Schutzzweck der Vorschrift und die besondere Grundrechtsrelevanz einer medizinischen Zwangsbehand-lung ist vor der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung re-gelmäßig die Begutachtung des Betroffenen durch einen neutralen Sachverständigen geboten. Nur in eng begrenz-ten Ausnahmefällen – etwa bei besonderer Eilbedürftig-

Rechtsprechung394 MedR (2014) 32: 393–395

Page 3: Die Auswahl des Sachverständigen im Unterbringungsverfahren und im Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme

keit – kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzel-fall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen (Grotkoop, in: Bahrenfuss [Hrsg.], FamFG, 2. Aufl., § 321 Rdnr. 14; Jurgeleit/Diekmann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 321 FamFG, Rdnr.  4; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. 7. 2013], § 321, Rdnr. 10). In diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG ab-gewichen ist (Roth, in: Prütting/Helms [Hrsg.], FamFG, 3. Aufl., § 321, Rdnr. 4; BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. 7. 2013], § 321, Rdnr.  10; vgl. auch BT-Dr.  17/12086, S. 11)

[10] Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Der vom Beschwerdegericht mit der Erstattung des Gutachtens beauftragte Sachverständige ist Oberarzt in der Einrichtung, in der die Betroffene unter-gebracht ist, und gleichzeitig ihr behandelnder Arzt. Das LG hat in den Gründen der Genehmigungsentscheidung nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen es von der Regelung des § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG abgewichen ist. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die im vorliegen-den Fall ausnahmsweise eine Abweichung von dem in der Vorschrift enthaltenen „Vier-Augen-Prinzip“ rechtfertigen könnten.

[11] c) Auch soweit es die Genehmigung der Unterbrin-gung der Betroffenen betrifft, ist das eingeholte Gutachten keine taugliche Grundlage für die Entscheidung des Be-schwerdegerichts.

[12] Es fehlte an einer Untersuchung der Betroffenen nach Bestellung des Arztes zum Sachverständigen und vor Erstattung des Gutachtens. Die vom Gericht verwerteten Erkenntnisse, die der Sachverständige über die Betroffene gewonnen hatte, beruhen ausschließlich auf seiner Tätig-keit als behandelnder Arzt in der Klinik und nicht auf ei-ner Untersuchung als Sachverständiger. Deshalb konnte die Betroffene keine Kenntnis davon haben, dass die durchge-führten Untersuchungen einer späteren Begutachtung die-nen sollten. Zudem genügen die Äußerungen des Sachver-ständigen in der Anhörung nicht den an ein Gutachten i. S. des § 321 FamFG zu stellenden Anforderungen. Es mangelt schon an einer Darstellung der von ihm durchgeführten Untersuchungen.

[13] 2. Der angefochtene Beschluss kann danach kei-nen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden, da es hierzu weiterer Feststellungen, insbesondere der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage der Unterbringung und der Notwendigkeit der zwangsweisen Heilbehandlung der Betroffenen bedarf. Die Sache ist deshalb an das LG zurückzuverweisen.

[14] 3. Der in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthafte Antrag, auch die sofortige Wirksamkeit der Genehmigung der Unterbringung einstweilen außer Vollzug zu setzen (vgl. Senatsbeschl. v. 18. 7. 2012 – XII ZB 661/11 –, FamRZ 2012, 1556, Rdnr. 25), ist begründet.

[15] Das Rechtsbeschwerdegericht hat über den vorge-nannten Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen zu ent-scheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechts-mittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen (Senatsbeschl. v. 18. 7. 2012 – XII ZB 661/11 –, FamRZ 2012, 1556, Rdnr. 26; vgl. auch BGH, Beschl. 21. 1. 2010 – V ZB 14/10 –, FGPrax 2010, 97, Rdnr. 5).

[16] Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der amtsgerichtli-chen Entscheidung aufzuheben ist. Nachdem die Rechts-beschwerde Erfolg hat, weil die bisherigen Feststellungen die Genehmigung der Unterbringung und der ärztlichen Zwangsbehandlung nicht rechtfertigen, kann auch die An-ordnung der sofortigen Wirksamkeit der Unterbringungs-genehmigung keinen Bestand haben.

Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 30. 10. 2013 – XII ZB 482/13 (LG Ravensburg)

Jens Diener

Nach dem Regelungskonzept des FamFG für Verfahren über die Genehmigung der Unterbringung und Verfah-ren zur Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangs-behandlung kommt der Auswahl der Person des Sach-verständigen besonderes Gewicht zu. Die gesetzlichen Anforderungen sind im Verfahren zur Genehmigung der Zwangsbehandlung im Vergleich zur Unterbringung ohne Zwangsbehandlung höher, da mit der Zwangsbehandlung ein weiterer – über die Unterbringung hinausgehender – Grundrechtseingriff verbunden ist. Der rechtliche Rahmen für das Hauptsacheverfahren erschließt sich durch eine Ge-samtschau aus § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG und § 329 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 FamFG. Welche Person zum Gutachter bestellt werden darf, hängt damit zum einen davon ab, ob es um eine Unterbringung oder (darüber hinaus auch) um eine Zwangsbehandlung geht. Zum anderen ist auch die zeitli-che Dauer der Maßnahme entscheidend.

I. Gesetzlicher Rahmen

Bei Unterbringungen (ohne Zwangsbehandlung) mit ei-ner Gesamtdauer von mehr als vier Jahren soll das Gericht gemäß § 329 Abs. 2 S. 2 FamFG keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder be-gutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist. Im Umkehrschluss, den auch der BGH zieht, bedeutet dies, dass bei einer Unterbringung mit einer Gesamtdauer von weniger als vier Jahren der be-handelnde Arzt durchaus zum Sachverständigen bestellt werden kann.

Bei der Genehmigung der Zwangsbehandlung ist die Rechtslage etwas differenzierter: Hier soll das Gericht bei einer Gesamtdauer der Maßnahme von mehr als 12 Wo-chen gemäß § 329 Abs. 3 FamFG keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begut-achtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Be-troffene untergebracht ist. Bei der Gesamtdauer der Maß-nahme von weniger als 12 Wochen bestimmt § 321 Abs. 1 S. 5 FamFG lediglich, dass der Sachverständige nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein soll.

II. Weg des BGH

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall waren die gesetz-lichen „Soll“-Anforderungen in Bezug auf das Verfahren zur Genehmigung der Einwilligung in die Zwangsbehand-lung nicht erfüllt, da das Gericht den Arzt zum Sachver-ständigen bestellt hatte, der auch die Zwangsbehandlung vornehmen sollte. Neuralgischer Punkt war damit die Frage, in welchen Fällen die Praxis von dem gesetzlichen Grundsatz abweichen darf und welche verfahrensrechtli-chen Anforderungen hierfür beachtet werden müssen 1.

Der BGH führt zunächst unter Bezugnahme auf Gesetzes-materialien 2 aus, dass der Gesetzgeber mit der Ausgestaltung als „Soll“-Vorschrift eine fachlich fundierte Begutachtung erreichen, gleichzeitig aber durch die abgestuften Anforde-

RiLG Dr. iur. Jens Diener, Landgericht Saarbrücken (z. Zt. abg.), Franz-Josef-Röder-Straße 15, 66119 Saarbrücken, Deutschland

Rechtsprechung MedR (2014) 32: 395–396 395

1) Die sonstigen Ausführungen des BGH zu den Anforderungen und den zeitlichen Abläufen einer förmlichen Beweisaufnahme waren nicht neu und entsprechen der in BGH, MedR 2011, 434 vorge-zeichneten Linie.

2) BT-Dr. 17/12086, S. 11.