Die Bedeutung der pädagogischen Fachkraft in der...

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung Die Bedeutung der pädagogischen Fachkraft in der Montessori-Pädagogik im Kindergarten Bachelorarbeit im Studiengang Early Education 6. Fachsemester von Mielke, Julia URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis 2017-0261-8 Datum der Abgabe: 26.Juni 2017 Erstprüferin: Zweitprüferin: Dipl.-Soz.Päd. Dagmar Hoffmann Nadine Simonn (M.A.)

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Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

Die Bedeutung der pädagogischenFachkraft in der Montessori-Pädagogik im

Kindergarten

Bachelorarbeit

im Studiengang Early Education

6. Fachsemester

von

Mielke, Julia

URN: urn:nbn:de:gbv:519-thesis 2017-0261-8

Datum der Abgabe: 26.Juni 2017

Erstprüferin:

Zweitprüferin:

Dipl.-Soz.Päd. Dagmar Hoffmann

Nadine Simonn (M.A.)

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung………………………………………………..……………………………1

1. Montessori-Pädagogik…………………………………………………………..1

1.1 Entstehung und Grundgedanke………………………………………….….1

1.2 Bild vom Kind – das Kind als „Baumeister seiner selbst“…………………3

1.3 Der vorbereitete Pädagoge…………………………………………………..6

1.3.1 Sensible Phasen………………………………………………………..8

1.3.2 Polarisation der Aufmerksamkeit ……………………………………10

1.3.3 Vorbereitete Umgebung………………………………………………13

1.3.3.1 Entwicklungsmaterialien……………………………………15

1.3.4 Freiarbeit………………………………………………………..……...18

1.3.5 Kritik – Die Freiarbeit und das „Freie Spiel“……………………….21

2. Pädagogik der frühen Kindheit – ein Gegensatz zur Montessori-Pädagogik ?.............................................................................22

2.1 Verständnis von Bildung und Erziehung…………………………………..22

2.2 Bild vom Kind – das Kind als „Akteur seiner Entwicklung“………………24

2.3 Bedeutung des Pädagogen………………………………..……………..…25

2.3.1 Denken lernen durch Beziehung und Interaktion…………………..26

2.3.1.1 Das Entwicklungspsychologische Dreieck………………..27

2.3.1.2 Das Didaktische Dreieck……………………...…………….28

2.4 Montessori im 21. Jahrhundert .…………………………………...............29

2.4.1 Montessori-Pädagogik und Gehirnforschung……………….…..…30

3. Fazit……………………………………………………………………………..….33

4. Literaturverzeichnis………………………………………………………..……34 5. Eidesstattliche Erklärung……………………………………………………....36

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Einleitung Im Rahmen meiner Bachelorarbeit möchte ich mich mit der Frage beschäftigen,

welche Bedeutung die pädagogische Fachkraft in der Montessori-Pädagogik im

Kindergarten hat. Dabei gehe ich zunächst im ersten Teil meiner Arbeit auf die

theoretischen und praktischen Grundlagen der Montessori-Pädagogik ein. Den

Fokus werde ich dabei, in den einzelnen Themenbereichen, immer auf die

Bedeutung der pädagogischen Fachkraft richten. Bei meinen Ausführungen zur

Montessori-Pädagogik beziehe ich mich größtenteils auf diverse Werke Maria

Montessoris und nutze unter anderem auch Literatur von Tanja Pütz und Michael

Klein-Landeck. Im zweiten Teil meiner Arbeit schreibe ich über die Pädagogik der

frühen Kindheit. Hier möchte ich Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur

Montessori-Pädagogik darstellen und herausarbeiten, ob das Konzept

Montessoris im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß ist. Dabei steht wieder die

Bedeutung der pädagogischen Fachkraft im Fokus meiner Ausführungen. Diese

beziehen sich in erster Linie auf die Bildungskonzeption für 0- bis 10-jährige

Kinder in Mecklenburg-Vorpommern und unter anderem auch auf Literatur von

Gerd E. Schäfer und Fabienne Becker-Stoll. Im letzten Teil nehme ich

nocheinmal Stellung zum thematischen Schwerpunkt meiner Arbeit und

formuliere ein kurzes Fazit.

1. Montessori-Pädagogik 1.1. Entstehung und Grundgedanke

Die Ärztin Maria Montessori (1870-1952) wurde als italienische Pädagogin

weltberühmt. Ihre berufliche Laufbahn begann mit der Medizin und führte dann

über die Heilpädagogik zur Pädagogik. Maria Montessori ist viel in der Welt

umhergereist und hat ihre Vorstellungen von einem Bildungsweg verbreitet und

verteidigt. Ihre Pädagogik ist unter dem Motto „Hilf mir es selbst zu tun“ bekannt

und stellt das Kind mit seinen individuellen Bedüfnissen in den Mittelpunkt aller

pädagogischer Bemühungen. Dabei wird ein besonderer Wert darauf gelegt,

dass Kinder anders sind, anders gesehen werden sollen und die Möglichkeit

erhalten sollen, anders sein zu dürfen.

Zudem möchte Montessori, dass die Kinder aktiv lernen, denn sie ist davon

überzeugt, dass das eigentätige Kind der entscheidende Faktor in seinem Lern-

und Entwicklungsprozess ist. (vgl. Klein-Landeck/Pütz, 2012) Dabei spricht sie

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sich gegen ein gleichschrittiges Lernen aus. Stattdessen plädiert sie für die

Schaffung einer optimalen Lernumgebung. Diese soll den Kindern einen Raum

bieten, in dem sie ihre individuellen Lern- und Entwicklungsaugfgaben bewältigen

können. Die individuellen Stärken jedes Kindes sollen sich darin

entwicklungsangemessen entfalten können. Die Kinder sollen eine

Lernumgebung vorfinden, in der sie sich unter der Gewährung größtmöglicher

Freiheit mit bedürfnisorientieren Arbeitsangeboten auseinandersetzen können.

Der Raum wird somit zur vorbereiteten Lernumgebung (vgl. Pütz, 2015).

Die Kindergruppen in der Montessori Pädagogik sind altersgemischt. Auch

Psychologen haben inzwischen bestätigt, was Montessori bereits vor vielen

Jahren realisierte, nämlich, dass das Lernen in altersheterogenen Gruppen

kindgerechter, umfassender und effektiver ist, als das Lernen in homogenen

Gruppengefügen. So lernen Jüngere imitativ von Älteren, welche wiederum

Hilfestellung geben und eine verantwortungsbewusste Position in der Gruppe

einnehmen können. Vielfältige soziale Erfahrungen lassen die Kinder in

entsprechende Rollen hineinwachsen und auch für die Probleme anderer

sensibel werden. Maria Montessori konnte auf Grund von Jahrzehnte langer

Erprobung in verschiedenen Ländern und Kulturen unter anderem auch

nachweisen, dass die Drei- bis Fünfjährigen in einer Altersmischung von drei

Jahrgängen optimal gefördert werden können (vgl. Neise, 1998, S. 6).

In der Montessori-Pädagogik gibt es freie Arbeitsphasen in denen die Kinder sich

mit einem selbst ausgewählten Material bzw. einer Tätigkeit, welche ihren

Lernbedüfnissen entspricht, auseinandersetzen können. Diese freie Wahl der

Tätigkeitkeit ist besonders wichtig, „weil alle Lebewesen sich individuell

entwickeln. Wenn auch gleiche Grundfähigkeiten, Grundprinzipien und

Lebensgesetze die Entwicklung bestimmen, so ist doch niemals ein

mechanisches Gleichwerden da. Jedes Individuum ist bis ins einzelne seines

Tuns, seines Daseins verschieden, obwohl man diese Verschiedenheit oft kaum

benennen kann. Wo individuelle Entwicklung verhindert wird, da wird normale

Entwicklung verhindert“ (Helming, 1998, S. 65) Deshalb wird auf diese

Wahlfreiheit besonders viel Wert gelegt. „Das Leben basiert auf Wahl. So lernen

sie, sich selbst zu entscheiden. Sie müssen sich entschließen und immer selbst

wählen, und so entwickeln sie diese Fähigkeit“ (Montessori 1989, S. 118).

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Durch die Wahlfreiheit, die mit Entscheidungs- und Durchhaltepflicht verbunden

ist, helfen die Phasen der freien Wahl der Arbeit dabei, die Kinder schon früh auf

das Leben mit all seinen Entscheidungsprozessen vorzubereiten. Somit haben

die freien Arbeitsphasen eine entwicklungsfördernde Funktion. Gleichzeitig

schreibt Maria Montessori ihnen aber auch eine gesellschaftliche und soziale

Aufgabe zu: „In der Menschlichen Gesellschaft wählt jeder seine Arbeit. Alle tun

Verschiedenes, aber müssen doch in Eintracht arbeiten“ (Montessori 1989, S.

116).

In der Kita spiegelt sich dies darin wieder, dass alle Kinder in der

Freiarbeitsphase mit verschiedenen Materialien arbeiten, sich dabei jedoch in

einer gemeinsamen Lernumgebung befinden. Zudem ist jedes Material nur

einmal vorhanden, somit müssen die Kinder miteinander ins Gespräch kommen.

Wenn sie das Material, welches ein anderes Kind gerade nutzt, auch nutzen

möchten müssen sie den Dialog suchen, genauso wenn sie mit einem anderen

Kind zusammenarbeiten möchten oder Hilfe suchen. Nach Montessori gelten für

die Freie Arbeit folgende Prinzipien: Die vorbereitete Umgebung und damit der

vorbereitete Pädagoge, die freie Wahl des Arbeitsmaterials, die freie

Zeiteinteilung, die Freiheit der Kooperation mit anderen Lernenden und die Wahl

des Bildungsniveaus. (vgl. Pütz, 2015)

1.2 Bild vom Kind – das Kind als „Baumeister seiner selbst“

Kinder sind bei der Geburt nicht alleine überlebensfähig, sondern auf eine

menschliche Umgebung und eine von Liebe geprägte Erziehung angewiesen.

Der Mensch wird in der Pädagogik Montessoris als ein von Beginn an

geistbegabtes Wesen und Subjekt angesehen, welches ins Zentrum aller

pädagogischen Bemühungen gestellt wird. Somit liegt der Pädagogik ein

christlich-personales Menschenbild zugrunde. Die menschliche Entwicklung

beruht nach Montessori auf einem komplexen Wechselspiel von Anlage,

Umwelt und Eigenaktivität. (vgl. Klein-Landeck/Pütz, 2012)

„Erst in der Interaktion mit seiner Umwelt baut sich das Individum auf und

vollendet sich. Der Mensch gilt […] als aktiver Baumeister und konstruktiver

Bildner der eigenen Persönlichkeit und somit als Schöpfer seiner selbst“ (Klein-

Landeck/Pütz, 2012., S. 19). Montessori ist von der Selbstverwirklichungskraft

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des Menschen überzeugt, zum Ausdruck kommt dies im Bild des sich auf Kosten

seiner Umwelt entwickelnden Kindes.

Menschliche Entwicklung lässt sich nach Montessori als das Erreichen

„sukzessiver Grade von Unabhängigkeit“ auffassen. Bereits mit der Geburt setzt

dieses Streben ein und beginnt damit, dass das Neugeborene sich ein erstes

Welt- und Selbstbild aufbaut, indem es ganzheitlich Sinneseindrücke aufnimmt.

Das Kind sammelt immer mehr neue Eindrücke, erweitert seinen Horizont und

demonstriert immer neue Grade von Selbstständigkeit (vgl. ebd.). „Jeder

Kompetenzzuwachs stellt einen Entwicklungsschritt dar, erweitert die

Handlungsmöglichkeiten des Kindes und steigert damit seine Unabbhängigkeit.

Immer weniger ist es auf die Hilfe durch Erwachsene angewiesen. Dieses

universell zu beobachtende Streben nach Unabhängigkeit erfolgt aus einem

inneren Antrieb heraus. Ihm liegt eine im Kind angelegte schöpferische Kraft

zugrunde, […] die das Kind veranlasst sich selbst unbewusst aufzubauen“ (Klein-

Landeck/Pütz, 2012, S. 20). Kinder entwickeln also ihre Fähig- und Fertigkeiten

und bauen Kompetenzen auf, weil sie ihre Bedürfnisse ausleben und dabei ihrem

eigenen inneren Antrieb folgen.

Maria Montessori geht davon aus, dass das Kind von Natur aus gut ist, es muss

nur gut sein dürfen. Das ist unter anderem die Aufgabe des Pädagogen, die gute

Natur des Kindes zu erhalten beziehungsweise zum Vorschein zu bringen. Das

individuelle ‚Ich‘ eines jeden Kindes steht hierbei im Vordergrund. Die Kinder

sollen ein starkes ‚Ich‘, eine starke Persönlichkeit entwickeln, um später auch

stark in der Gesellschaft zu sein. Erst über diese Ich- Bezogenheit entwickelt sich

dann auch Empathie und die Kinder können vom ‚Ich‘, zum ‚Du‘ und schließlich

zum ‚Wir‘ kommen.

Montessori bezeichnet das Kind als „Baumeister seiner selbst“. Damit ist

gemeint, dass jedes Kind seinen eigenen inneren Bauplan hat und danach lernt.

Es weiß selbst ganz genau, was es wann will und braucht und entscheidet in

welcher Phase es welche Fähigkeiten erlernt. „Die Biologie wird für Montessori

zum zentralen Bezugspunkt ihrer Entwicklungstheorie, in deren Zentrum ein

universaler Bauplan der Natur als Erklärungsschema für jeglichen

Entwicklungsprozess auf physischem, psychischem und sozialem Bereich steht“

(Fuchs, 2003, S. 56) Jedes Kind ist in einer bestimmten Phase besonders

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sensibel für das Erlernen bestimmter Fähigkeiten. Das bedeutet, das Lernen fällt

ihm in dieser Phase besonders leicht. Die Kinder sollen selbst handeln,

unabhängig ihre eigenen Aufgaben in ihrem eigenen Rhythmus erledigen und

ihre Handlungen so oft,wie sie möchten, wiederholen. Diese sensiblen Phasen

werde ich später in 1.2.1 noch genauer erläutern. Die Pädagogische Fachkraft

muss diesen inneren Bauplan und die sensiblen Phasen eines jeden Kindes

berücksichtigen. Dementsprecchend muss sie die Umgebung bedürfnisorientiert

vorbereiten und auch bedüfrsnisorientiert mit den einzelnen Kindern arbeiten.

Ein Leitgedanke Maria Montessoris war, „Kinder sind anders“, Kinder müssen

anders sein dürfen und brauchen Lernumgebungen, die ein Anderssein

zulassen. Kinder brauchen Entwicklungsfreiheit, weshalb das Thema Freiheit in

der Pädagogik auch eine entscheidende Rolle spielt. Den Kindern wird Freiheit

gegeben, damit sie selbstständig werden und lernen unabhängig zu handeln,

denn das ist die Vorraussetzung für Individualität. Die freie Entwicklung der

Persönlichkeit gilt als Erziehungsziel. Der Persönlichkeitsaufbau vollzieht sich

durch die Arbeit des Kindes, welche durch sein aktives Tun verrichtet wird.

Wie bereits im ersten Teil meiner Arbeit erwähnt, werden die Entwicklungs- und

Lernprozesse eines Kindes von seiner Eigenaktivität getragen, weshalb man

auch nie die Eigenaktivität eines Kindes unterdrücken sollte, denn das kann zu

einer Lernbehinderung führen. „Kinder, so lautet eine der Grundüberzeugungen

Maria Montessoris, dürfen nicht nach den Maßstäben der Erwachsenen beurteilt

oder gar manipuliert werden, sondern müssen in ihrer jeweiligen Art Ernst

genommen werden. Denn die wesentlichsten Impulse für die Entwicklung des

Kindes kommen aus ihm selbst“ (Klein-Landeck/Pütz, 2012, S. 16)

Das Kind arbeitet in der Freiarbeitszeit mit dem Material in der vorbereiteten

Umgebung, um die Welt zu verstehen und lernt dabei, konstruiert sich eigenes

Wissen und Fähigkeiten. Da es sich mit dem Freiarbeitsmaterial selbständig

befasst, verändert es stetig seine Konstruktion von Wirklichkeit, seine Strategien,

Problemlösungsansätze und Annahmen . Die idealen Enwicklungsbedingungen

finden sich also in einer verantwortlich vorbereiteten Umgebung durch die

Pädagogische Fachkraft wieder. Somit stellt die Freiarbeit einen Angelpunkt des

Persönlichkeitsaufbaus, auf den Montessori großen Wert legt, dar.

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„Erst aus Selbsttätigkeit kann Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme

für sich selbst erwachsen. Freiarbeit ist der notwendige Raum für Kinder zur

Entfaltung dieser Persönlichkeitsmerkmale“ (Drews/Wallrabenstein 2002, S.12).

1.3 Der vorbereitete Pädagoge

Auch wenn in der Montessori-Pädagogik immer wieder die Eigentätigkeit des

Kindes betont wird, so kommt dem scheinbar passiven Pädagogen trotz allem

eine wichtige Bedeutung zu. Ein vorbereiteter Pädagoge verfügt über

theoretisches Wissen und hat weitreichende Kenntnisse über die didaktischen

Prinzipien der Montessori Pädagogik. Dazu gehören unter anderem das Bild vom

Kind als ‚Baumeister seiner selbst‘, die Freiheit, welche als Entwicklungsaufgabe

angesehen wird, die Freiarbeit als didaktisches Herzstück der Pädagogik, die

Theorie der sensiblen Phasen als entwicklungspsychologisches Fundament der

Freiarbeit, das Phänomen der Polarisation der Aufmerksamkeit und die indirekte

Erziehung durch die vorbereitete Umgebung, welche als Hauptaufgabe gilt (vgl.

Pütz, 2009).

Weitere Voraussetzungen, wie das Sich-lösen von vorgefassten Vorstellungen

und allgemeinen Vorurteilen, die Überwindung von verfestigten Alltagstheorien

und das Offenhalten für die immer wieder überraschende Offenbarungen von

Kindern, wie Montessori sagt, sind für die Vorbereitung eines Montessori

Pädagogen unverzichtbar. Zur gründlichen Vorbereitung gehört auch die genaue

Kenntnis des Montessori Materials. Dabei ist es notwendig, sich sich selbst

intensiv mit dem Material auseinanderzusetzen, denn es braucht umfangreiche

Übung und Erfahrung mit den verschiedenen Materialien, um die Kinder mit ihnen

individuell fördern zu können und ihr Interesse dafür zu wecken. Der Pädagoge

selbst zählt für Montessori zum ‚lebendigsten‘ Teil der Umgebung und sollte

deshalb sehr auf seine äußere Erscheinung achten. (vgl. Klein-Landeck/Pütz,

2012)

„Wir müssen als Erzieherinnen Frauen haben, welche sich so schön wie möglich

machen wollen, selbst wenn sie allein im Zimmer mit kleinen Kindern von drei bis

sechs Jahren sind. Sie müssen etwas tun, das fast geheimnisvoll ist, sie müssen

die kleinen Seelen anziehen und Teil des Reizes der Umgebung sein“

(Montessori, 1989)

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Montessori möchte Bescheidenheit und Zurückhaltung in der Rolle des

Pädagogen sehen. Sie spricht vom ‚vorbereiteten Lehrer’ für den die innere

Vorbereitung, laut Montessori, besonders wichtig ist. Damit ist die klare innere

Haltung gemeint, die ein Pädagoge demnach haben muss.

Montessori kritisierte zur damaligen Zeit, dass der Erwachsene in seinem

pädagogischen Handeln egozentrisch sei, nicht bereit dazu, sich auf die

Perspektive des Kindes einzulassen. Er würde sich als ‚Schöpfer der kindlichen

Persönlichkeit‘ ansehen. (vgl. Klein-Landeck, Pütz 2012).

„Er hat sich die Rolle des Schöpfers angemaßt, und sein überlegener Stolz

oktroiert dem Kind die Meinung auf, er habe alles geschaffen was im Kind

vorhanden ist. Er allein mache es intelligent, gut und fromm, er allein verschaffe

ihm die Möglichkeit, mit Umwelt, Menschen und Gott in Fühlung zu kommen“

(Montessori 1988, S. 212)

Ein Pädagoge soll sich nach Montessori stattdessen innerlich vorbereiten und

sich selbst reflektieren, um eine gute Beziehung zum Kind aufbauen zu können.

Statt nach Fehlern bei den Kindern zu suchen, soll er eigenen Fehlern auf den

Grund gehen und sie sich eingestehen. „Nimm erst den Balken aus dem eigenen

Auge und du vermagst auch den Splitter aus dem Auge des Kindes zu nehmen“

(Montessori, 1988, S. 208). Er sollte keinerlei Machtansprüche hegen sondern

hinter das Kind zurücktreten und sich mit Bescheidenheit als ‚Diener der

Schöpfung‘ verstehen. „Die Vorbereitung, die unsere Methode vom Lehrer

verlangt, besteht in Selbstprüfung und im Verzicht auf die Tyrannei. Er muss aus

seinem Herzen Zorn und Stolz verbannen, muss lernen demütig zu sein, und sich

in Liebe kleiden. Das ist die innere Haltung, die er einnehmen muss […]“

(Montessori, S. 213).

Der Haltung des Pädagogen kommt also bei der pädagogischen Arbeit eine hohe

Bedeutung zu. Wichtig ist hierbei auch die Zurückhaltung, die der Pädagoge

ausübt. „Montessori sieht in der Zurücknahme der Lehrerin, das heißt ihrer

scheinbaren Passivität, die Chance für das Kind, aktiv werden zu können. Der

Lernende soll mitbestimmen, ob die Unterstützung in einem Lernprozess situativ

angebracht ist. […] Der Lehrer fungiert also als Beobachter und muss ein Gespür

dafür haben, wann und welche Materialien er anbietet und in die Arbeit einführt“

(Pütz, 2009, S. 8). Das Kind wird als aktiver, entdeckender Lerner angesehen,

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während der Pädagoge durch eine beobachtende, zurückgenommene Haltung

den Lernprozess des Kindes begleitet und es bei Bedarf unterstützt. Er bietet

einem Kind auch nur dann Material an, wenn es selbst keines findet. Denn

„direkte Aufforderung bewirkt oft Trotz und lenkt vom eigenen Blick des Kindes

auf den Gegenstand der Arbeit ab, verhindert daher das Interesse und die

Initiative.“ (Helming, 1998, S. 63) Falls er also bemerkt, dass ein Kind kein

Material findet, dann bietet er nur auf Grund von Beobachtungen der individuellen

Lerninteressen des Kindes Material an. Das bedeutet durch Beobachtung muss

der Pädagoge die sensiblen Phasen des Kindes entdecken und fördern (vgl.

Pütz, 2009).

Deshalb ist eine der zentralen Aufgaben eines Montessori-Pädagogen das

„exakte, verstehende Beobachten. Wer Kinder differenziert wahrnimmt, ihre

individuellen Stärken und Bedürfnisse sieht, ihre Leidenschaften richtig erkennt,

kann begründet entscheiden und gezielt Angebote machen. Als Beobachterin frei

arbeitender Kinder sollte die Pädagogin daher so exakt sein, wie eine

Wissenschaftlerin“ (Klein-Landeck, Pütz 2012, S. 51) Dazu gehört auch das

Interpretieren von Verhaltensweisen. Die Pädagogische Fachkraft muss

verschiedene psychische Zustände des einzelnen Kindes unterscheiden können.

Nur so kann sie aktiv werden, wenn das Kind Unterstützung benötigt oder sich

zurückhalten, wenn es konzentriert arbeitet. Das einfühlende Verstehen ist für

Montessori entscheidend für ein angemessenes pädagogisches Denken und

Handeln. (vgl. ebd.)

„Mit großer Wertschätzung und Achtung vor der Selbstbildungskraft des Kindes

soll der Erwachsene dem Kind geben, was es benötigt, um es selbst zu tun, d.h.

Dinge zu erkunden und auszuprobieren, aktiv seine Entdeckungen und

Eroberungen zu machen, kurzum: selbstständig zu werden“ (Klein-Landeck,

Pütz 2012, S. 46)

1.3.1 Sensible Phasen

Der Begriff sensible Phasen, oder auch sensitive Perioden steht für

Zeitabschnitte bestimmter Sensibilitäten, also Empfänglichkeiten im Leben eines

jungen Menschen. Die sensiblen Phasen zeichnen sich durch eine sehr hohe

Lernbereichtschaft aus, sind allerdings immer nur von vorrübergehender Dauer

und ermöglichen dem Kind, einen mit wenig Antrengung verbundenen Erwerb

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bestimmter Kompetenzen und Eigenschaften. Kinder geben sich innerhalb dieser

Empfänglichkeiten einer bestimmten Aktivität oder einem bestimmten Thema

vollkommen hin, wobei andere Themen für sie zu diesem Zeitpunkt eine deutlich

geringe bis zu keinerlei Bedeutung haben. Diese Theorie Montessoris stellt die

entwicklungspsychologische Grundlage ihrer Pädagogik dar. Montessori entwarf

nach der Annahme, der Mensch entwickle sich in sensiblen Phasen, ein

Stufenkonzept, welches mit denen von Sigmund Freud, Jean Piaget oder Erik H.

Errikson vergleichbar ist (vgl. Klein-Landeck, Pütz 2012), welches ich jedoch

nicht genauer ausführen werde.

Montessori selbst bezeichnet die sensiblen Phasen als „besondere

Empfänglichkeiten, die in der Entwicklung, das heißt im Kindesalter der

Lebewesen auftreten. Sie sind von vorübergehender Dauer und dienen nur dazu,

dem Wesen das Erwerben einer bestimmten Fähigkeit zu ermöglichen. Sobald

dies geschehen ist, klingt die betreffende Empfänglichkeit wieder ab. So

entwickelt sich jeder Charakterzug auf Grund eines Impulses und während einer

eng begrenzten Zeitspanne. Das Wachstum etwa ist nicht ein unbestimmtes

Werden, ererbt und dem Lebewesen eingeboren, sondern das Ergebnis einer

inneren Arbeit, die von periodisch auftretenden Instinkten sorgfältig geleitet wird“

(Montessori, 1988, S. 61).

Dem Pädagogen kommt dabei die Aufgabe zu, dem Kind die Möglichkeit zu

geben, innerhalb seiner Empfänglickeitsperioden handeln zu können und es nicht

dabei zu hemmen oder sogar daran zu hindern, denn das kann zu Frustrationen

führen. Er kann keinen direkten Einfluss auf die verschiedenen Phasen nehmen,

aber er kann dem Kind den optimalen Rahmen zum Lernen bieten.

„Auf diese grundsätzlichen Entwicklungsstadien vermag der Erwachsene in

keiner Weise von außen her einzuwirken. Hat das Kind aber nicht die Möglichkeit

gehabt, gemäß den inneren Direktiven seiner Empfänglichkeitsperioden zu

handeln, so hat es die Gelegenheit versäumt, sich auf natürliche Weise eine

bestimmte Fähigkeit anzueignen, und diese Gelegenheit ist für immer vorbei“

(Montessori 1988, S. 63). Sobald eine Phase vorbei ist, in der das Kind eine

spezifische Fähigkeit oder Kenntnis mit Interesse hätte erlernen wollen, hat das

Kind die Fähigkeit, diese zu erlernen, noch potenziell in sich. Dies ist allerdings

dann mit viel Mühe, Aufwand und Frustration verbunden, es geschieht nicht mehr

mit der Begeisterung und Leichtigkeit, wie in der dafür vorgesehenen Phase. Der

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Pädagoge sollte das Kind deshalb mit Leichtigkeit, also auf ‚natürliche Weise‘ wie

Montessori es ausdrückt, lernen lassen. (vgl. ebd.).

Nach Montessoris erlernt das Kind seine Fähig- und Fertigkeiten also in

Empfänglichkeitsperioden, welche der Grund dafür sind, dass das Kind einen

sehr intensiven Zusammenhang zwischen sich und der Außenwelt herstellen und

dabei ohne außerordentliche Anstrengung, sondern mit Begeisterung, Freude

und Leichtigkeit lernen kann. Sie vergleicht diese Perioden mit einem

Scheinwerfer, der einen bestimmten Bereich des Inneren erleuchtet oder einem

Zustand elektrischer Aufladung. Nachdem die entsprechende Fähigkeit erlernt

worden ist, entwickelt das Kind laut Montessori eine Gleichgültigkeit (vgl.

Montessori 1988). Jedoch würde sofort eine neue ‚seelische Leidenschaft‘ für

etwas Anderes entfachen, „und so schreitet das Kind von einer Eroberung zur

nächsten fort, in einem unablässigen Vibrieren von Lebenskraft, dass wir alle

kennen und als ‚Freude und Glück der Kindheit‘ bezeichnen“ (Montessori 1988,

S. 64).

Diese seelische Leideschaft wird heutzutage auch als intrinsische Motivation

bezeichnet, wenn ein Kind sich in einer Phase seines Lebens intensiv,

selbstständig mit einer bestimmten Tätigkeit beschäftigt. Oft wiederholen Kinder

ihre Tätigkeit dann, auch wenn aus Sicht der Erwachsenen die Tätigkeit längst

ihren Zweck erfüllt hat. Die Pädagogische Fachkraft ist dafür zuständig, diese

intensive innere Lernbereitschaft des Kindes zu fördern und entsprechende

Lernangebote zu machen. Ein Kind soll, wie bereits erwähnt, laut Montessori

nach seinen Interesssengebieten an dem arbeiten und lernen könnnen, was für

das Kind selbst gerade wichtig und von Bedeutung ist. Wenn dem Kind nicht die

nötige Entwicklungsfreiheit gegeben wird, zum Beispiel dadurch, dass der

Pädagoge keine individuellen Lernbedürfnisse berücksichtigt, lässt die

Lernfreude und das Interesse nach. „Wenn innere Impulse in den inneren

Tätigkeiten des Kindes sichtbar werden, muss der Erwachsene die sich

offenbarenden Bedürfnisse deuten können“ (Klein-Landeck, Pütz, 2012,S. 24)

1.3.2 Polarisation der Aufmerksamkeit

Bei der Polarisation der Aufmerksamkeit handelt es sich um den Ausgangspunkt

des pädagogischen Ansatzes von Maria Montessori. Ein Phänomen, welches sie

um 1907, während ihrer experimentellen Arbeit mit den Kindern in den ersten

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„Case dei Bambini“, die sie in Rom eröffnete, entdeckte. Sie beobachtete dort ein

dreijähriges Mädchen, welches in einem Zustand tiefer Konzentration, eine

Übung mit einem Material 44 Mal wiederholte, ohne sich dabei von seiner

Umgebung ablenken zu lassen. Dieses Phänomen ging als sogenanntes

„Montessori-Phänomen“ in die Literatur ein (vgl. Fuchs, 2003).

Da es immer wieder beobachtet werden kann, bezeichnet Montessori es als

konstanten Aspekt innerer Bildung. „Und jedes mal, wenn eine solche

Polarisation der Aufmerksamkeit stattfand, begann sich das Kind vollständig zu

ändern. Es wurde ruhiger, fast intelligenter und mitteilsamer. Es offenbarte

außergewöhliche innere Qualitäten, die an die höchsten

Bewusstseinsphänomene erinnern, wie die der Bekehrung“ (Montessori, 2008,

S. 70).

Montessori vesteht das Phänomen also auch als ein religiöses, meditatives

Bewusstseinphänomen. Das bedeutet, für sie ist die Polarisation der

Aufmerksamkeit noch mehr als Konzentration, Lernprozess oder „Flow“ wie es

heutzutage auch bezeichnet wird. Sie betrachtet es vielmehr als ein festes

Element ihres pädagogischen Systems, im Sinne eine zentralen religiösen

Beswusstseinsphänomens (vgl. Pütz, 2007).

„Montessori hat daraus in ihrer Erziehungslehre abgeleitet, die religiösen

Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt pädagogischer Arbeit zu stelllen und

das Kind in seinem Prozess der ‚Menschwerdung‘ zu unterstützen“ (Schulz-

Benesch, 1990)

Das Phänomen der Polarisation der Aufmerksamkeit findet seinen Platz in der

Freiarbeitszeit, welche sich durch die freie Wahl der Arbeit auszeichnet.

„Der Ansatzpunkt für die Einführung der freien Wahl der Tätigkeit bei Montessori,

war die Bildung des Kindes durch die Polarisation seiner Aufmerksamkeit auf

einen Gegenstand, dem es sich spontan zuwendete […] Intensität der

Aufmerksamkeit ist ohne freie Hingabe nicht möglich“ (Helming, 1998, S. 64)

Kindern soll in diesem Zeitraum ermöglicht werden, sich einem Thema nach

individuellen Lernbedürfnissen intensiv zu widmen und somit das Lernen auch

zu genießen. Die Polarisation der Aufmerksamkeit kann durch das optimale

Vorbereiten der Umgebung unterstützt werden. Das ist die Aufgabe des

Pädagogen und sein Ziel. Alle pädagogischen Bemühungen lassen sich an dem

Gelingen der Polarisation der Aufmerksamkeit messen. Wenn das Kind den

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Zustand der Polarisation nicht erreicht, so ist es laut Montessori nicht die Schuld

des Kindes, sondern die des Pädagogen, da er nicht die optimalen

Lernbedingungen für das Kind geschaffen hat.

Die Polarisation der Aufmerksamkeit unterteilt sich in drei Phasen, diese spiegeln

auch die Phasen der freien Wahl der Arbeit wieder. Die Kinder „wählen sich ein

Material, bereiten ihren Arbeitsplatz vor, üben, wiederholen und festigen im

Umgang mit dem Material die jeweiligen Lerninhalte und reflektieren diese

anschließend. Dieser Prozess schließt ein Lernen im Gleichschritt aus, da nicht

jeder zur selben Zeit offen sein kann für ein bestimmtes Thema.“ (Pütz, 2009,

S.7)

Die erste Phase ist die der Vorbereitung. Dazu gehört, dass das Kind sich selbst

in einem Zustand der inneren Ruhe befindet und sich auf das Material einlassen

kann. Ebenso wichtig ist, dass die körperlichen Bedürfnisse des Kindes gedeckt

sind. Es muss ausgeschlafen sein, und sollte keinen Hunger oder andere

Bedürfnisse verspüren. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ruhe im Raum und

die vorbereitete Umgebung. Dazu gehört unter anderem, dass die

Lernumgebung ansprechend gestaltet ist und, dass die Materialauswahl, welche

die pädagogische Fachkraft getroffen hat, den Interessen und dem Alter des

Kindes entsprechen. Das Material muss, wie bereits in einem vorherigen Punkt

erwähnt, seinen Platz haben und immer ästhetisch sein. Das Kind sollte die

Materialien nach Themen geordnet in den Regalen wiederfinden. Die

pädagogische Fachkraft muss den Kindern vermitteln, dass sie die Materialien

immer an ihren Platz zurückgestellt werden und dass während der

Freiarbeitszeit, in welcher damit gearbeitet wird, Ruhe im Raum herrscht. Unter

diesen Vorraussetzungen wählt sich das Kind dann in der Phase der

Vorbereitung ein Material aus und bereitet seinen Arbeitsplatz vor.

Dann kommt die zweite Phase, die Große Arbeit. Das Kind beginnt nun, nachdem

es sich ein Material ausgewählt hat, den intensiven Umgang mit diesem. Es

wiederholt seine Tätigkeit, übt und festigt seine Fähigkeiten in der Arbeit mit dem

Material. Charakteristisch für diese Phase sind das Vergessen von Zeit und das

Gefühl des Abgeschiedenseins von der Welt. Das Kind zeigt, in diesem tiefen

Zustand der Konzentration, keine Reaktion auf äußere Einflüsse. Es beschäftigt

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sich ausschließlich, sehr intensiv, mit seiner selbst ausgewählten Tätigkeit, geht

darin auf und ist darin versunken.

Die dritte und letzte Phase der Polarisation der Aufmerksamkeit, ist die der

Reflexion. Das Kind reflektiert nun seine Lernergebnisse, verspürt eine innere

Zufriedenheit und kehrt erschöpft in einen Zustand der Ruhe, verbunden mit

positiven Gefühlen über die getane Arbeit.

Das Ganze ist ein Arbeitszyklus, bei dem das Kind nicht gestört werden darf. Es

darf weder angefasst werden, noch kontrolliert oder angesprochen. Die

pädagogische Fachkraft darf dem Kind auch nicht über die Schulter schauen oder

ähnliches, da dies das Kind verunsichern könnte und es somit in seiner tiefen

Konzentration gestört werden könnte. Auch Leistungsdruck und eine

Übersättigung äußerer Reize können Lernhindernisse darstellen.

Damit das Kind überhaupt in einen solchen Zustand der tiefen Konzentration

gelangen kann, muss es selbst auch ein hohes Maß an Bereitschaft mitbringen.

Diese Bereitschaft zeigt sich unter anderem in der bewussten Auswahl eines

Materials, der Vorbereitung eines Arbeitsplatzes und der übenden,

wiederholenden Tätigkeit. Wenn die Pädagogische Fachkraft diese

Arbeitsbedingungen ermöglicht, kann starke Konzentration gelingen und das

Kind kann in seiner selbstgewählten Tätigkeit aufgehen. Manchmal entsteht

diese Bereitschaft des lernenden Kindes auch erst dann, wenn die pädagogische

Fachkraft auf Basis von Beobachtung ein bestimmtes Material anbietet, welches

den Lernbedürfnissen des Kindes entspricht (vgl. Pütz, 2009) „Hierin genau

bestünde die Kunst, ein guter Montessori-Lehrer zu sein; nämlich auf der Basis

von Beobachtungen Kinder durch entsprechende Angebote individuell zu

fördern“ (Pütz, 2009, S. 7).

1.3.3 Vorbereitete Umgebung

Für die Kinder sollen Bedingungen geschaffen werden, die eine Polarisation der

Aufmerksamkeit möglich machen. Darauf ist alles ausgerichtet, die freie Wahl,

das Beobachten, die sensiblen Phasen, die Zurückhaltung des Erziehers und vor

allem die vorbereitete Umgebung (vgl. Klein, 2005). Der Pädagoge ist für die

Vorbereitung der Umgebung zuständig in der die Kinder aktiv werden und

individuell lernen können. . Dafür müssen die „Gestaltungelemente der

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vorbereiteten Umgebung […] so beschaffen sein, dass sie die

aufeinanderfolgende Neigungen des Heranwachsenden seinem jeweiligen

Entwicklungsstand angemessen entsprechen, herausfordern und einen

weiterführenden Lernprozessen bewirken“ (Holtstiege, 2004, S. 130).

Die vorbereitete Umgebung macht einen Großteil der Erziehung aus. “Die

Hauptaufgabe besteht also nicht in der direkten Einflussnahme auf das Lernen

des Kindes, sondern in der indirekten Erziehung durch die Vorbereitung der

Umgebung“ (Pütz, 2009, S. 8)

Dem Kind soll die Hauptaktivität im Bildungsprozess überlassen sein. Der

Pädagoge muss alles bereitstellen, was das Kind benötigt, um die Welt zu

entdecken, statt es ‚unterrichten‘ zu wollen. Es soll selbstständig Erfahrungen

machen und Erkenntnisse gewinnen können. Nach Montessori darf man „nicht

den Versuch machen, das Kind zu beeinflussen, um es zu unterrichten, sondern

man muss ihm die Umgebung bereitstellen, in der es sich frei entfalten wird“

(Montessori, 1990, S. 48).

Die pädagogische Fachkraft kann dem Kind durch die Gestaltung einer

vorbereiteten Umgebung dabei helfen, unabhängig zu werden und frei zu

arbeiten. Dabei ist es besonders schwierig eine gute Balance zu finden (vgl.

Klein-Landeck, Pütz, 2012). Laut Montessori muss die pädagogische Fachkraft

„Überflüssiges vermeiden, doch sie darf das Notwendige nicht vergessen, […]

die Abgrenzungslinie zwischen beiden zeigt den Grad ihrer Vollkommenheit“

(Montessori, 2010, S. 193).

Durch die sorgfältig vorbereitete Umgebung haben die Kinder die Möglichkeit,

sich frei zu entfalten. Sie bietet ihnen die Möglichkeit zu entscheiden, womit sie

sich gerne beschäftigen möchten, die Selbsttätigkeit der Kinder wird also

ungemein gefördert. Nach Ansicht von Montessori weiß das einzelne Kind nicht,

“wie es sich diese Umgebung schaffen soll. Nur der Erwachsene kann es tun,

und das ist die einzige tatsächliche Hilfe, die man dem Kind geben kann" (vgl.

Montessori, zitiert nach Oswald, 2015, S. 93) Sie muss die Bedürfnisse des

Kindes erfüllen und gibt ihm damit Ordnung und Struktur. Die Kinder nehmen sich

aus der vorbereiteten Umgebung das Material, was sie zurzeit interessiert und

werden nicht in ihrem Wissensdrang und ihren Selbstbildungsprozessen

gebremst.

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Nach Ansicht Maria Montessoris „muss gerade die Umgebung dem Kind

angepasst werden, und nicht das Kind soll sich einer vorgefassten Umgebung

anpassen. Das Kind drückt sich in dieser Umgebung frei und freudig aus. Mit

anderen Worten, diese Umgebung ist befreiend und nicht formend. Das Kind

enthüllt darin seinen Charakter und Lebensrhythmus“ (Montessori, 1990, S. 48)

1.3.3.1 Entwicklungsmaterialien

Um der Aktivität der Kinder gerecht zu werden, muss es laut Montessori

„greifbare Dinge geben, an denen das Kind sich üben kann.“(Montessori, zitiert

nach Michael, 1996, S.45). Diese bietet die vorbereitete Umgebung den Kindern

in Form von Entwicklungsmaterial an. Die pädagogische Fachkraft ist dafür

verantwortlich, dass es sich säuberlich geordnet nach verschiedenen

Sachbereichen in Regalen auf Höhe des Kindes befindet. Es sollte jedes

beliebige Material problemlos und ohne Hilfe erreichen können. Die vorhandenen

Materialien müssen von der Fachkraft nach den sensiblen Phasen, dem

Entwicklungsstand und den Interessen der Kinder ausgewählt werden, damit sie

die Lernschritte eines jeden Kindes optimal begleiten kann.

Nach Montessori muss man „die Umgebung des Kindes so anpassen, dass es

darin alle Elemente findet, die für die Abschnitte seiner Entwicklung notwendig

sind und wo es verweilen und die erforderliche Hilfe finden kann. Von dem

Moment an kann die Persönlichkeit des Lehrers nicht mehr wie früher diejenige

eines Führers sein, der das Kind auf den Punkt hinführt, wo es ihm gleicht. Sie

muss bescheidener sein. Man darf nicht mehr von der Autorität des Lehrers

reden. Die äußere Autorität des Erwachsenen muss also abnehmen zugunsten

der Achtung vor der wahren Individualität jedes einzelnen“ (Montessori, 1990, S.

50)

Die Montessori-Materialbereiche sind eingeteilt in die Bereiche praktische

Übungen des täglichen Lebens, Sinnesmaterial, Sprache, Mathematik und

kosmische Erziehung. Hellbrügge betont, dass die Ordnung des Materials, die

Voraussetzung für Pädagogische Prozesse ist (vgl. Hellbrügge, 1984, S. 144).

Jedes Material hat deswegen seinen festen Platz und soll die Kinder zum

Entdecken und Lernen auffordern. Wenn ein Kind sich eine Übung nimmt,

begrenzt es seinen Arbeitsplatz indem es sich einen kleinen Teppich nimmt,

worauf es dann auf dem Boden arbeiten kann. Je nach Material kann alleine oder

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in Gruppen gearbeitet werden. Manche Materialien sind für besser für eine

gemeinschafltiche Arbeit geeignet, wodurch die sozialen Kompetenzen der

Kinder zusätzlich gestärkt werden.

Die praktischen Übungen des täglichen Lebens umfassen die Bereiche Pflege

der eigenen Person, Pflege der Umgebung, Pflege der sozialen Beziehungen,

Übungen der Stille und Übungen zur Koordination der Bewegung. Diese

Übungen führen die Kinder in die Handlungsabläufe des Lebensalltags ein und

dienen dabei auch der Sinnes- und der Bewegungserziehung. In den Übungen

des sozialen Lebens werden zwischenmenschliche Umgangsformen

erschlossen. Sie fördern sowohl die individuelle als auch die soziale Entwicklung

des Kindes und spielen deshalb eine große Rolle in der Montessori-Pädagogik.

Zudem unterstützen sie die Unabhängigkeit des Kindes, seine Selbstständgkeit

und damit auch seine Sicherheit und sein Selbstwertgefühl. Sie entwickeln ein

Verantwortungbewusstein für die Umgebung und gleichzeitig bildet sich auch das

Gespür für soziale und kulturspezifische Verhaltensweisen. (vgl. Deutsche

Montessori-Vereinigung e.V., 2014)

Das Sinnesmaterial, welches besonders im Bereich des Kinderhauses von

Bedeutung ist, regt das Kind zum Tun an. „Im Unterschied zu den sogenannten

didaktischen Materialien wird beim Sinnesmaterial die Aktivität nicht auf ein

bestimmtes Ziel gerichtet. Es stellt für das Kind vielmehr einen Schlüssel für seine

Umgebung dar, indem es befähigt wird, seine natürlichen Eindrücke in einer

nahezu wissenschaftlichen Weise klar zu ordnen“ (Fthenakis, 2013, S. 1). Es

fördert die Selbstständigkeit der Kinder unter anderem, indem es eine eigene

Fehlerkontrolle hat. Es sollte immer überschaubar sein, vollständig und sauber.

Außerdem besitzt es eine Isolierung der Schwierigkeit. Das bedeutet, jedes

Material ist auf ein Ziel abgestimmt, wobei jeder Sinn isoliert angesprochen wird,

um die Wahrnehmungskraft zu verstärken. Es dient der Unterscheidung von

Dimensionen, Farben, Formen, Oberflächen und Materialstrukturen, Gewichten,

Geräuschen und Tönen, Gerüchen, und Geschmacksqualitäten. Zudem soll es

den Kindern Ordnungsprinzipien nahelegen, wie zum Beispiel das Vergleichen,

Paaren oder das Beziehungen herstellen zwischen Einzelheiten.

Ordnungsstrukturen sollen dabei erkannt und erfunden werden. Zu den Zielen

des Sinnesmaterials gehören unter anderem die Verfeinerung und

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Differenzierung von Sinneswahrnehmung und Bewegungskoordination aber

auch die Entwicklung eines beziehungserfassenden Wahrnehmens und

Denkens. Das Sinnesmaterial legt den Grundstein zu den Sachkunde- und

Naturwissenschaften, zur Mathmatik und Geometrie, zum Schreiben und Lesen

sowie auch zu den musischen Fächern (vgl. Deutsche Montessori-Vereinigung,

2014)

Der Bereich Sprache bietet durch das Material einen anschaulichen Zugang zum

Schreiben, Lesen und im Grundschulalter auch zu den Wortarten und der

Satzzerlegung. Das Mathematikmaterial erschließt dem Kind einen Zugang zur

mathematischen Erfassung der Welt.

Das Material zur kosmischen Erziehung soll den Kindern den

Gesamtzusammenhang der Entwicklung des Universums und der Erde lehren

und eine Vorstellung vom Zusammenspiel der Teile der Natur untereinander und

mit dem Menschen zu vermitteln. „Unter kosmischer Erziehung versteht Maria

Montessori die Einführung des Kindes in die Entwicklung des Universums, der

Erde und der Gesellschaften, sowie die Anleitung zum Kennen- und

Verstehenlernen derselben“ (Fthenakis, 2013, S. 2).

Das gesamte Material enthält eine Steigerung vom Bildhaften, Anschaulichen hin

zum Abstrakten. Somit können die Kinder durch das Konkrete, das Abstrakte

später besser verstehen. Der Weg führt vom Greifen zum Begreifen, vom

Dreidimensionalen über das Zweidimensionale hin zur abstrahierten

Vorstellungskraft.

Dadurch, dass die Kinder frei wählen können, welches Material sie ausprobieren

möchten, beschäftigen sie sich intensiver damit. Was sie tun, liegt in ihrem

Interesse und somit lernen sie durch Neugier und sind durch ihren Drang etwas

Neues zu lernen, etwas zu verstehen, motiviert. Dem Material liegt immer eine

Fehlerkontrolle bei, wodurch sich das Kind selbst kontrollieren kann.

Nach Holtstiege soll das Kind sich in der vorbereiteten Umgebung frei bewegen

und wählen können. Wenn es sich jedoch um die erste Begegnung des Kindes

mit dem Material handelt, ist die Einweisung dieses von der pädagogischen

Fachkraft nötig (vgl. Holtstiege1991, 71-74).

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Es ist die Aufgabe der pädagogischen Fachkraft, das Kind in richtigem Maße zu

unterstützen und Hilfestellungen zu geben. Damit das Kind später frei wählen

kann, muss das Material von ihr eingeführt werden, wobei wenig gesprochen und

dafür umso mehr Wert auf anschauliches Lernen gesetzt wird.

„Sie sorgt dafür, dass sie selbst und ihre Worte die Unmittelbarkeit des Kindes

zur Sache nicht beeinträchtigen. Das Kind soll den Gegenstand und die

Arbeitsmöglichkeit selbst sehen und darauf antworten“ (Helming, 1998, S. 65).

Diese Einführung geschieht durch sogenannte Einführungslektionen. Diese

werden bestenfalls als Einzellektion gegeben, die die pädagogische Fachkraft

mit einer bestimmten Technik durchführt. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie

das Material genau kennt, gut damit arbeiten kann und genügend Zeit vorhanden

ist. Der Pädagoge setzt sich an die rechte Seite des Kindes, damit es seine

Hanbewegungen gut sehen kann. Während der Einfühung wird so wenig wie

möglich gesprochen, damit das Kind sich vollkommen auf die Tätitgkeit

fokussieren kann. Das Kind darf mitmachen, sobald es signalisiert, dass es die

Lektion verstanden hat und sich beteiligen möchte. Wenn das Kind die Arbeit mit

dem Material weiterführt, geht der Pädagoe und lässt dem Kind seinen Raum,

bleibt jedoch beobachtend in der Nähe.

Wenn das Kind nicht zurechtkommen sollte wird die Lektion zu einem anderen

Zeitpunkt nocheinmal gegeben. Dabei werden Fehler nicht durch eine negative

Bewertung korrigiert um das Kind nicht zu entmutigen. Stattdessen werden

Hinweise gegeben. Das Kind arbeitet am Ende selbstständig mit dem Material

und der Pädagoge gibt gegebenenfalls noch einige Impulse (vgl. Deutsche

Montessori-Vereinigung e.V.) Nach Montessori besteht das praktische

Fundament unserer Erziehung aus der Vorbereitung der Umgebung und des

Pädagogen (vgl. Montessori, zitiert nach Holtstiege, 1993, S. 128).

1.3.4 Freiarbeit

Die markante Arbeitsform in der Montessori-Pädagogik ist die Freiarbeit, die von

der freien Wahl der Arbeit bestimmt wird. In Diskussionen über die Montessori-

Pädagogik wird diese freie Wahl des öfteren kritisiert. Oft wird gefordert, „das

Kind müsse sich den Weisungen des Erziehers fügen, weil es auch später im

Leben seine Arbeit nicht frei wählen könne“ (Helming, 1998, S. 63). Laut Helming,

muss sich jedoch zuerst der Wille des Kindes bilden, „es muss stark, wendig und

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wissend werden und gern tätig sein; dann erst wird es fähig, auch nicht geliebte

Arbeit auf sich zu nehmen, diese Arbeit zu schätzen und ihr Gutes

abzugewinnen“. (Helming, 1998, S. 63, 64)

Maria Montessori ging schon damals davon aus, dass kleine Kinder in ihrer

Entwicklung darauf angewiesen sind, „dass sie dem Drängen von innen her

folgen dürfen. Sie sind noch wenig Herr über ihre Bewegungen und über ihre

Impulse; diese Beherrschung kann nur durch freies Tun erworben werden, denn

der eigene Wille beginnt erst sich zu konstituieren und sich die

Bewegungsorgane zu koodinieren, er besitzt sie noch nicht so, dass er sie auf

Aufforderung nach fremdem Willen gebrauchen kann. Für das kleine Kind gilt

daher besonders, […] die Forderung großer Sorge dafür, dass der Gehorsam

gegenüber dem Auftrag von innen nicht erstickt werde von dem Ruf nach außen.

Er muss sich damit einen können. Daher ist die indirekte Erziehung für dieses

Alter wichtig, eine von den Kindern in guter Umgebung gelebte Freiheit, die

anfängt, sich zu einer sittlichen Freiheit zu entwickeln. Die Erzieherin überlässt

zum großen Teil die Aufforderung zum Tun den Dingen der Umgebung […].“

(Helming, 1998, S. 63)

Somit erfordert die freie Arbeit von dem Pädagogen eine gründliche methodisch-

didaktische Vor- und Nachbereitung. Nach Maria Montessori müssen wir „dem

Kind dabei helfen, selbst zu handeln, selbst zu wollen, selbst zu denken; das ist

die Kunst derer, die danach streben dem Geist zu dienen“ (Montessori, 1998, S.

141)

Zu den zentralen Aufgaben eines Montessori-Pädagogen gehört, wie bereits

erwähnt die Vorbereitung, Ordnung, und Pflege der Lernumgebung. Diese sollte

allerdings nicht vom Erwachsenen allein übernommen, sondern auch von den

Kindern mitgestaltet werden, damit ihr Verantwortungsgefühl für die Umgebung

steigt.

Damit die freie Wahl und somit die Freiarbeit überhaupt möglich wird, darf auch

nur eine begrenzte Auswahl an Materialien vorhanden sein, die dem Alter des

Kindes entspricht und eine klare Ordnung aufzeigt.

„Jedes Ding muss an seinem Platz stehen und dem Kind zurufen, was mit ihm

zu tun ist“ (Helming, 1998, S. 66). Auch der Erhaltung der Freiarbeitsmaterialien

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kommt große Bedeutsamkeit zu. Sie könnnen nämlich nur über einen

Aufforderungscharakter verfügen und ihren Bildungszweck erreichen, wenn sie

vollständig und unbeschädigt sind. Zur Vorbereitung der Freiarbeit gehört unter

anderem auch, dass der Pädagoge das vorhandene Material gegebenenfalls zu

ergänzen muss. Er sollte kompetent genug sein selbst Material zu erarbeiten,

falls ein Kind Interesse an Themen zeigt, welche in der vorbereiteten Umgebung

nicht vorhanden sind. (vgl. Klein-Landeck, Pütz, 2012). Denn für die freie Wahl

ist „die vorbereitete, dem jeweiligen Alter des Kindes entsprechende Umgebung,

welche die Anregung zur Arbeit und die Dinge dafür bietet, die Vorraussetzung“

(Helming, 1998, S. 62)

Ebenso das Bereitstellen von Lernangeboten, welche an das derzeitige Interesse

einzelner Kinder anknüpfen, und die Planung von Einführungslektionen, um

einem einzelnen Kind, bei Interesse an einem bestimmten Material, zu zeigen,

wie dieses funktioniert, gehören zur Vorbereitung der pädagogischen Fachkraft.

Einerseits soll sie sich während der Freiarbeit zurückhalten, anderreseits soll sie

„als Bindeglied zwischen dem Kind und der Sache sehr aktiv werden […]

Motivierende Einführungslektionen sind ebenso wichtig, wie das gezielte

Heranführen unsicherer, unentschlossener Kinder an interessante Aufgaben und

Materialien“ (Klein-Landeck, Pütz, 2012, S. 54). Dazu gehört auch das Kind,

wenn es nach dem Abschluss einer Arbeit nach Bestätigung sucht, mit einem

Lächeln und zustimmenden Worten zu ermutigen.

Zur Nachbereitung gehört unter anderem „das Dokumentieren von

Beobachtungen über individuelle Lernfortschritte oder über das individuelle

Arbeits- und Sozialverhalten von Kindern […]. Auf Basis solcher Aufzeichnungen

lassen sich wiederum gezielte Hilfen, Erfolgskontrollen und weiterführende

Lernangebote für einzelne Kinder planen“ (Klein-Landeck, Pütz, 2012, S. 52).

Insgesamt kann man also sagen, wenn die Freie Arbeit erfolgreich verlaufen soll,

muss eine gründliche Vor- und Nachbereitung von Seiten der pädagogischen

Fachkraft erfolgen.

Sie gibt dem Kind die größtmögliche Entwicklungsfreiheit, damit es seine

Potenziale und Möglichkeiten entfalten und ausschöpfen kann. Diese Freiheit hat

aber nichts mit vollkommener Grenzenlosigkeit gemein. Die freie Wahl zu haben,

bedeutet nicht, „dass das Kind einfach tun kann, was es will. Es gehorcht dem

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inneren Drängen und dem Gesetz des Gegenstandes. Das Prinzip der freien

Wahl berücksichtigt das Bestehen von sensiblen Perioden, in denen das Kind

bestimmte Fähigkeiten entwickelt“ (Helming, 1998, S.62).

Mit der gegebenen Freiheit verantwortlich umzugehen ist eine individuelle

Fähigkeit und bei jedem Kind anders. Das ist unter anderem auch vom jeweiligen

Entwicklungsstand abhängig. Der Pädagoge muss also, damit die Kinder

angemessen frei arbeiten können, immer die Grenzen zwischen Freiheit und

Überforderung oder Vernachlässigung berücksichtigen. „Manche Kinder

benötigen eben die liebevolle, enge Begleitung während ihrer ersten Schritte in

die freie Arbeit - und oft auch darüber hinaus, länger als andere“ (Klein-Landeck,

Pütz, 2012, S. 54).

1.3.5 Kritik – Die Freiarbeit und das „Freie Spiel“

Dem freien Spiel kommt, in der heutigen Pädagogik, bei der Bildung und

Erziehung von Kindern eine grundlegende Bedeutung zu. Dabei stehen das Spiel

und das Lernen sich nicht gegensätzlich gegenüber, denn spielen bedeutet zu

lernen. Laut der Bildungskonzeption wurzelt das Spiel „in dem grundlegenden

Bedürfnis des Kindes, sich mit seiner sozialen und materiellen Umwelt vertraut

zu machen, sie zu begreifen und auf sie einzuwirken. Die treibenden Kräfte sind

seine Neugier und seine Eigenaktivität“ (Bildungskonzeption M-V, S. 85).

An diesem Punkt wird deutlich, dass diese Ansicht einen klaren Unterschied zu

Maria Montessoris Auffassung vom Lernen darstellt. Sie legt ihren Fokus mehr

auf die Freiarbeit der Kinder mit dem Entwicklungsmaterial und die freie Wahl der

Tätigkeit, als auf das freie Spiel. „Diese Wahl der Tätigkeit ist […] etwas anderes

als das, was man im Kindergarten das „freie Spiel“ nennt. Mit der Wahl ist die

Bindung an einen bestimmten Gegenstand und an einen Zuyklus der Tätigkeit

verbunden“ (Helming, 1998, S. 62).

Montessori lässt dem Spiel eine geringere Bedeutung zukommen. Es wird nicht

vollkommen ausgeklammert, aber es hat eine eher untergeordnete Funktion. Sie

grenzt sich deutlich davon ab, den Spielbegriff ins Zentrum ihrer Pädagogik zu

setzen, wie unter anderem Fröbel es getan hat. Montessori geht davon aus, dass

das Kind die Arbeit dem Spiel vorzieht „da sich in ihr die Entwicklung gemäß

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einem inneren Bauplan zeigt“ (Klein-Landeck, Pütz, 2012, S. 119) Nach heutigen

Ansichten der Pädagogik der frühen Kindheit entdecken Kinder allerdings

vorallem spielerisch ihre Welt. Sie lernen dabei viele bedeutende Dinge über sich

und auch über andere. Durch das Spiel lernen sie wesentliche Zusammenhänge

und erleben ihre Selbstwirksamkeit. „Das Spiel ist somit eine elementare Form

des Lernens und bringt die Kinder in ihren Lern- und Entwicklungsprozessen, d.h.

in der Aneignung von entwicklungsangemessenen Kompetenzen, entscheidend

voran“ (Bildungskonzeption M-V, S. 85).

2. Pädagogik der frühen Kindheit – ein Gegensatz zur Montessori-

Pädagogik ? 2.1. Verständnis von Bildung und Erziehung

Bildung wird in der Pädagogik der frühen Kindheit als ein lebensbegleitender

Entwicklungsprozess angesehen, dessen grundlegendes Ziel es ist, die

Kompetenzen der Kinder zu stärken. „Der moderne, dynamische und

ganzheitliche Bildungsbegriff steht für den lebensbegleitenden

Entwicklungsprozess des Menschen, bei dem er seine geistigen, kulturellen und

lebenspraktischen Fähigkeiten und seine personalen und sozialen Kompetenzen

erweitert. So steht nicht mehr die Vermittlung von Faktenwissen im Vordergrund,

sondern vielmehr die aktive Aneignung aller (einschließlich sozialer)

Kompetenzen, die ein Mensch, also auch ein Kind, zur Bewältigung seines

weiteren Lebens braucht. Bildung und Erziehung verfolgen somit primär das Ziel,

dessen Persönlichkeit und dessen Kompetenzen zu stärken […]“

(Bildungskonzeption M-V, S. 83).

Im Mittelpunkt steht also nicht der reine Erwerb von Wissen, sondern der Erwerb

von Kompetenzen, womit die frühkindliche Bildung und Erziehung einen

Angelpunkt beim Erwerb grundlegender Kompetenzen darstellt. Aber auch die

Aneignung von diversen Kenntnissen und die Erschließung der Welt ist Teil der

frühkindlichen Bildung. Sie beeinhaltet sowohl die selbsttätige Aneignung der

Welt – Selbstbildung - als auch einen Prozess der Bildung in der Interaktion mit

anderen, also von der Umwelt bzw. von den Mitmenschen geprägtes Lernen -

Ko-Konstruktion. (vgl. Becker-Stoll, 2009).

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Nach Gerd E. Schäfer (Professor der „Pädagogik der frühen Kindheit“ und der

„Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit“) sind „für die pädagogische

Betrachtung […] deshalb die inneren Verarbeitungsprozesse ebenso wichtig, wie

die soziokulturellen Austauschprozesse“ (Schäfer, 2005, S. 50). Durch diese

neue Ansicht reicht die Tragweite der Bedeutung des Pädagogen für kindliche

Bildungsprozesse in der Pädagogik der frühen Kindheit, über seine Rolle in der

Montessori-Pädagogik hinaus.

Während Maria Montessoris ein Verständnis von Bildung als reiner Selbstbildung

hatte, wird also heute davon ausgegangen, dass das Kind seine Entwicklung

mitbestimmt, allerdings immer begleitet von sozialen und kulturellen Bezügen.

Das Kind bringt seine Selbstbildungspotenziale in die Bildungsprozesse mit ein.

Ein solches Potenzial zeigt sich unter anderem in der Möglichkeit sich sozial zu

verständigen und sich mit der sozialen Umwelt auszutauschen. Um

Bildungsprozesse voranzubringen ist dies eine wichtige kindliche Ressource. Ein

weiteres Selbstbildungspotenzial besteht in der Möglichkeit, die Welt durch

sinnliche Erfahrungen bzw. Wahrnehmungen zu erforschen und sich somit ein

eigenes Bild von der Welt zu machen (vgl. Schäfer, 2005). Daran orientiert sich

auch die Montessori Pädagogik, was besonders deutlich an der Fülle von

Sinnesmaterialen zu erkennen ist, die der Pädagoge dem Kind bereitstellt.

Auf Grund von Ergebnissen von Hirnforschung, Lern- und

Entwicklungspsychologie werden Kinder heute als aktive Entdecker

wahrgenommen, die weitestgehend eigenständig lernen. Sie machen selbsttätig

Erfahrungen, erkunden voller Wissensdrang ihre Umwelt, entwickeln neue

Kompetenzen und eignen sich selbstständig immer mehr Wissen an. Allerdings

handelt es sich hierbei um keine völlig neuen Erkenntnisse, denn bereits in den

70er Jahren taucht der Begriff des „Kindes als Akteur seiner Entwicklung“ auf.

Dieses Bild vom Kind nahm bereits eine erste kindorientierte Perspektive in der

Pädagogik der frühen Kindheit ein und wurde später im 20. Jahrhundert von

Reformpädagogen, insbesondere auch von Maria Montessori, neu formuliert.

(vgl. Schäfer, 2005)

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2.2. Bild vom Kind – Das Kind als „Akteur seiner Entwicklung“

Die Kindheit gilt in der Frühpädagogik als eine bedeutsame Lebensphase für die

Entwicklung des Kindes. Laut Bildungskonzeption von Mecklenburg-

Vorpommern, wird das Kind „als ein aktives, kompetentes, seinen eigenen Lern-

und Entwicklungsprozess mitgestaltendes Kind mit individuellen Stärken und

Schwächen, das Freude am Spielen, Entdecken, Beobachten, Experimentieren,

Fantasieren hat, angesehen.“ (Bildungskonzeption M-V, S. 84) Das Kind wird mit

seinen individuellen Lernvoraussetzungen in den Mittelpunkt gestellt. Das gleicht

Maria Montessoris Grundhaltung dem Kind gegenüber und ihrer „Pädagogik vom

Kinde aus“.

Bildung wird heute als ein individueller und sozialer Prozess verstanden, der von

Kindern, pädagogischen Fachkräften und Eltern ko-konstruktiv, also gemeinsam

gestaltet wird (vgl. Bildungskonzeption). Der Mensch bildet sich demnach also

selbst, jedoch erfolgt dies in Auseinandersetzung und Austausch mit der sozialen

Umwelt. Wie bei Maria Montessori übernimmt das Kind die aktive Rolle im

Bildungsprozess. Allerdings hat, wie bereits erwähnt, nach heutigen Ansichten

das restliche soziale Umfeld einen noch wesentlicheren Anteil an den

Bildungsprozessen des Kindes. Zudem werden diese von der pädagogischen

Fachkraft noch aktiver begleitet. Nach Fthenakis schreibt dieser in der

Bildungskonzeption beschriebene Ansatz der Ko-Konstruktion „auch allen

anderen Akteuren eine aktive Rolle zu und erweist sich dabei als der erste

didaktisch-pädagogische Ansatz, der keine passiven Partner bei der

Organisation kindlicher Bildungsprozesse vorsieht“ (Fthenakis, 2013, S. 3).

Laut unserer Bildungskonzeption umfasst der Bildungs- und Erziehungsprozess

alle Aspekte der Persönlichkeit des Kindes. Demnach gestalten Kinder „ihre

Bildung und Entwicklung von Anfang an aktiv mit und übernehmen dabei

entwicklungsangemessen Verantwortung“ (Bildungskonzeption M-V, S. 86).

Kinder leisten einen aktiven Beitrag zur Aneignung ihrer Umwelt indem sie diese

erkunden und mit ihr in Interaktion treten. „Kinder wollen von sich aus lernen. Ihr

Lerneifer, ihr Wissensdurst und ihre Lernfähigkeit sind enorm. Dies gilt es zu

nutzen“ (ebd.) Der Interaktion mit der Umwelt und somit auch mit dem

Pädagogen, kommt hierbei also eine wichte Rolle zu. Becker-Stoll führt dazu aus,

dass die Pädagogische Fachkraft das Kind erst bei seinen

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Selbstbildungsprozessen unterstützen kann, wenn sie „das Kind, seine

Bestrebungen, Fragestellungen und Probleme wirklich verstanden hat […] Am

Anfang eines jeden Bildungsprozesses steht die emotionale Geborgenheit in der

sicheren Erzieher-Kind Beziehung“ (Becker-Stoll, 2009, S. 157)

2.3. Bedeutung des Pädagogen

Damit die Entwicklung des Kindes von Anfang an bestmöglichst unterstützt und

seine Kompetenzen gestärkt werden können, braucht es eine professionelle und

respektvolle Gestaltung kindlicher Erziehungs- und Bildungsprozesse. Nach der

Bildungs-Konzeption Mecklenburg - Vorpommerns, ist es Aufgabe der

pädagogischen Fachkraft, „Kinder stark zu machen, ihnen die Entwicklung eines

positiven Selbstkonzeptes, eines hohen Selbstwertgefühls und Selbstvertrauens

zu ermöglichen, damit sie widerstandsfähig gegenüber gesellschaftlichen,

sozialen, aber auch gegenüber gesundheitlichen und psychischen

Entwicklungsrisiken werden. Dazu gehören ein wertschätzendes

Erziehungsklima, sichere, d. h. belastbare, Bindungen zwischen Fachkraft und

Kind, ein zuversichtliches Lebenskonzept sowie Zuwendungsformen, die

Lernbegeisterung entfachen“ (Bildungskonzeption M-V, S. 84).Mit dieser

Aussage wird deutlich, dass die Pädagogische Fachkraft und ihre Beziehung

zum Kind eine zentrale Rolle einnimmt.

Auch Hedi Friedrich führt aus „Kinder können schon im ersten Lebenjahr, nicht

nur zu den Eltern, sondern auch zu anderen Personen eine intensive Beziehung

und Bindung aufbauen. […] Auch wenn die Mutter nach wie vor als wichtigste

Bezugsperson angesehen wird, so steht das Kind von Geburt an in einem

fortlaufenden Prozess wechselseitiger Kommunikation mit verschiedenen

Personen und kann zu ihnen eine tragfähige Bindung aufbauen, die es als Basis

für seine gesamte Persönlichkeitsentwicklung braucht“ (Friedrich, 2008, S. 16).

Damit sich ein Kind ganzheitlich und positiv entwickeln kann, braucht es als

Vorraussetzungen Bindung, Erziehung und Bildung. Darin besteht der Auftrag

der pädagogischen Fachkraft, Kinder zu erziehen, ihnen bei ihren

Selbstbildungsprozessen zur Seite zu stehen und Bildungsinhalte in Interaktion

zu erarbeiten. Sie „geht auf das Kind mit einem Beziehungs, und Bildungsautrag

zu […] In der Interaktion zwischen Erzieherin und Kind erfährt das Kind

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emotionale Sicherheit und Geborgenheit, wird sozialisiert, kann seine

Kompetenzen weiterentwickeln und sich neute Kenntnisse aneignen“ (Becker-

Stoll, 2009, S. 156).

Die Interaktion stellt somit einen weiteren wichtigen Faktor für gelingende

Bildungsprozesse dar. Luc M. Stevens spricht im Zusammenhang mit der

Bedeutung der Interaktion zwischen Fachkraft und Kind auch von der „Qualität

des Vertrauens“ durch die Kinder lernen, dass Lernen allgegenwärtig und

selbstverständlich ist, aber vor allem erleben, dass es „gefahrlos ist dass man es

selbst tun muss, und das man es ruhigen Herzens tun kann […] Kinder

konzentrieren sich auf den Prozess der Entwicklung, auf den Fortschritt, auf das

Ausprobieren, auf die Interaktion mit der Umgebung. In der sie sich immer fähiger

fühlen können […] In diesem Kontext von Verfügbarkeit anderer, von Vertrauen

[…], Entwicklung als Selbstverständlichkeit und einer gefahrlosen Atmossphäre

kann ein Kind persönliche Flexibilität und Autonomie entwickeln““ (Stevens,

2014, S. 114)

2.3.1. Denken lernen durch Beziehung und Interaktion

Der Psychiater Peter Hobson, beschäftigte sich mit der Frage, welche Rolle

Interaktionen und Beziehungen für die Gehirnentwicklung und das menschliche

Denken lernen spielen. Kinder brauchen laut Hobson viele Möglichkeiten des

Lernens und Erlebens, aber vor allem brauchen sie dazu Erwachsene, von denen

sie die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme lernen können. „Das Kind lernt

daduch, dass es sich auf eine gemeinsame Welt bezieht, zugleich auch etwas

über Menschen als Wesen mit einem Bewusstsein. […] es erkundet das

menschliche Bewusstsein“ (Hobson, 2002, S. 117). In diesem Kontext spricht er

auch vom „Gerüst des Denkens“. Aus zwischenmenschlichen Beziehungen

gehen neue Vorgänge im Bewusstsein des Kindes, also im Denken vor (vgl.

Hobson, 2002).

Demnach ist der menschliche Verstand das Ergebnis von erfolgreichen

Interaktionen zwischen Kind und Bezugsperson. Nach Hobson wird das Kind sich

seiner selbst bewusst, indem es lernt sich in andere hineinzuversetzen oder sich

mit ihrer Haltung zu identifizieren, also einen Perspektivenwechsel einzunehmen

(vgl. ebd.). „Das Kind identifiziert sich mit Haltungen, die andere gegenüber

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seinen eigenen Haltungen und Handlungen erkennen lassen. Es wird erneut von

seinem eigenen Blickpunkt weggelockt und in eine andere Perspektive

hineingezogen […] Es wird sich durch andere seiner selbst bewusst“ (Hobson,

2002, S. 113).

2.3.1.1 Das Entwicklungspsychologische Dreieck

Hobson stellt diese Zusammenhänge in einem Dreieck dar. Das Kind beschäftigt

sich demnach mit der Welt bzw. mit einem Objekt, auf das auch ein Gegenüber,

seine Aufmerksamkeit richten kann. „Das Kind steht mit drei Aspekten des

Dreiecks in Verbindung: mit der Welt; mit dem Anderen, der seinerseits zum Kind

in Beziehung tritt; mit der Beziehung, in der der andere zur Welt steht“. Dies wird

sichtbar, wenn ein Kind ein Objekt betrachtet und dieses nicht richtig einschätzen

kann. Es sucht dann Kontakt zu seinem Gegenüber, dem Anderen, um an dessen

Haltung zu dem Objekt anknüpfen zu können und „die eigenen Gefühle

entsprechend zu modifizieren“ (Hobson, 2002, S. 115)

Hobsen beschreibt in seinen Ausführungen die Mutter des Kindes. Durch den

wechselnden Blickkontakt der Mutter zwischen Kind und Objekt, merkt das Kind,

dass ihre Haltung dem Objekt gilt und sich auch ihre beruhigenden Signale darauf

beziehen. Das Kind nimmt die Beziehung der Mutter zu dem Objekt wahr und

wandelt eigene Empfindungen ihm gegenüber dementsprechend ab. Somit

bewegt die Haltung der Mutter das Kind dazu, die Welt anders zu interpretieren

(vgl. Hobson, 2002).

Hobson zeigt auf, dass das Kind erlebt, dass es sowohl seine eigene Haltung zur

Welt gibt als auch die eines anderen. Dadurch lernt es zum einen etwas über

bestimmte Dinge, zum anderen etwas über sein Gegenüber. Das Objekt verrät

dem Kind, dass die Mutter eine Haltung einnimmt, die von der Haltung des Kindes

selbst abweichen kann. Das Kind erfasst somit die Reaktion der Mutter auf ein

Objekt bzw. auf die Welt und lernt so auch etwas darüber (vgl. Hobson, 2002).

Psychoanalytiker gehen davon aus, dass die Erfahrungen eines Kindes in dieser

Dreierkonstellation (Kind, der Andere, Welt/Objekt) „für die Entstehung seines

psychischen Innenraums entscheidend sind“ (ebd., S.117).

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2.3.1.2 Das Didaktische Dreieck

Überträgt man dieses von Hobson entwickelte Modell auf die Bedeutung des

Pädagogen für das Kind und seine kognitive Entwicklung, stößt man auf das

Modell des Didaktischen Dreiecks. Laut Kraft, liegen diesem alle

pädagoggischen Handlungsbemühungen als Fundamentalstruktur zu Grunde

(vgl. Kraft, 2009).

Im Gegensatz zum Entwicklungspsychologischen Dreieck wird hier der ‚Andere‘

zum ‚Lehrer‘. Somit stellt es die Beziehungen zwischen dem Pädagogen, dem

Lernenden und dem Lerngegenstand dar. Die pädagogische Fachkraft

beeinflusst das Erleben, die Entwicklung und das Verhalten eines Kindes

„indirekt durch ihr Vorbild und direkt durch ihre Erziehungs- und

Bildungsmaßnahmen“ (Becker-Stoll, 2009, S. 157). Der Haltung des Pädagogen

kommt somit, wie bei Montessori, eine entscheidende Rolle zu, weil das Kind sich

an ihr orientiert und darauf sein Denken und Handeln ausrichtet.

Die Beziehung zwischen Pädagoge und Kind basiert auf dem Lehren. Der

Pädagoge soll die lernenden Kinder unterstützen, sich den Lerninhalt selbständig

oder mit Anleitung zu erschließen. Dabei hat der Pädagoge die Möglichkeit, den

Kindern den Lerninhalt durch Methodik, Visualisierung, Moderiation und

Präsentation zugänglich werden zu lassen.

Kraft beschreibt, im Zusammenhang mit dem didaktischen Dreieck, auch die

sogenannte Zeigestruktur, die Bedeutung des „Zeigens“ auf etwas. Das Zeigen

sei von Beginn an in der Erziehung enthalten. „Von Beginn an zeigen wir den

Kindern etwas, und irgendwann beginnen sie von sich aus, Zeigegesten zu

übernehmen und verwickeln uns mit deren Hilfe in ihre altersgemäßen Formen

der Welterkundung“ (Kraft, 2009, S. 113). Damit rücken, wenn es um die

kognitive Entwicklung des Kindes geht, die sozialen Bedingungen der

menschlichen Entwicklung in den Fokus der Entwicklungspsychologie.

„Pädagogisches Handeln ist demnach als die Entfaltung einer frühen intuitiven

Zeigestruktur zu verstehen. Denn das Zeigen ist jedem Lernen inhärent oder

implizit, und die Erzieher sind dazu da, genau diese formale Komponente des

Lernprozesses zum Vorschein zu bringen und sich ihrer zu bedienen, um

verlässlichere Wirkungen zu erzielen“ (Kraft, 2009, S. 118).

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Deutlich wird in all diesen Ausführungen zur Bedeutung des Pädagogen, dass

Bildung oder auch Lernen, eine gelingende Beziehung und Interaktion zwischen

dem Kind und pädagogischer Fachkraft braucht. Sie begleitet die

Bildungsprozesse des Kindes durch Beziehung und Interaktion. Auch Maria

Montessori stellt die Beziehung des Erwachsenen zum Kind in den Vordergrund

und hat ein Verständnis von „Erziehung als Beziehung“ (Klein –Landeck, Pütz,

2012, S. 99). „Das Kind, dass sie als von Natur aus gut betrachtet, soll vom

Erwachsenen begleitet und […] erzogen werden“ (ebd.). Sie spricht in Bezug auf

die Beziehung zwischen Kind und Erwachsenem auch von der „Schaukraft der

Liebe“ des Kindes und stellt ihre enorme Bedeutung dar: „so kommt es, dass das

Bewusstsein des Kindes von Liebe erfüllt ist, ja dass das Kind erst durch die

Liebe zur Selbstverwirklichung findet“ (Montessori, 1988, S. 144). Montessori ist

der Ansicht, das Kind würde den Erwachsenen über alle Maßen lieben und

dadurch bei ihm alles ersuchen, was es für seine Entwicklung braucht.

„Innerhalb der kindlichen Umwelt bildet der Erwachsene den wichtigsten

Gegenstand der Liebe; von ihm erhält das Kind die materiellen Hilfen , von ihm

nimmt es, mit intensiver Liebe, das, was es zur eigenen Formung benötigt […]

Wer wirklich liebt, ist das Kind, das den Erwachsenen bei sich haben will und

immer wieder seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen sucht“ (Montessori, 1988,

S. 145, 146).

2.4. Montessori im 21. Jahrhundert

Die Montessori-Pädagogik nimmt bei der Weiterentwicklung von Konzepten von

Kindertagesstätten heute einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Der zentrale

Punkt der Montessori-Pädagogik ist die Grundeinstellung und Grundhaltung dem

Kind gegenüber. „Wohl kaum ein Pädagoge vor oder nach Montessori hat so

großes Gewicht auf die Beobachtung und die Signale der Kinder gelegt. Sie

wollte die von ihr immer wieder bewunderte Kraft und die Macht des Kindes nicht

eindämmen, sondern dessen Eigenkräfte zur vollen Entfaltung bringen. Die

Erwachsenen hätten somit vom Kind zu lernen“ (Fthenakis, 2013, S. 1).

Es stellt sich die Frage: Entspricht ihr Konzept noch dem Verständnis kindlicher

Bildung und Entwicklung in der Gegenwart?

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2.4.1 Montessori-Pädagogik und Gehirnforschung

„Zwischen den Aussagen Montessoris zur kindlichen Entwicklung und den

Ergebnissen der modernen Gehirnforschung gibt es Ähnlichkeiten und

Parallelen, die zum Teil erstaunlich sind, die als Bestätigung der Erkenntnisse

Montessoris gewertet werden können und die sie z.T.auch ergänzen. Man könnte

auch sagen, die Gehirnforschung hat nun auch gefunden, was Montessori schon

erkannt hatte“ (Klein, 2005)

Dazu gehört unter anderem die Erkenntnis, dass Lernen kein passiver Vorgang

ist und die Entwicklung und die Lernprozesse eines Kindes von seiner

Eigenaktivität getragen werden. Zu diesem Ergebnis kam die Gehirnforschung

genauso wie Maria Montessori (vgl. Klein, 2005). Nach Spitzer erfolgt Lernen

„nicht passiv, sondern ist ein aktiver Vorgang, in dessen Verlauf sich

Veränderungen im Gehirn des Lernenden abspielen" (Spitzer, 2002, S.4).

Es wird deutlich, dass weder Montessori noch die Gehirnforschung das Prinzip

des Nürnberger Trichters, also die Ansicht, dass Kinder leere Gefäße sind,

welche man mit Wissen füllen muss, unterstützen(vgl. Klein, 2005). Nach

Montessori ist das Kind „nicht ein leeres Gefäß, das wir mit unserem Wissen

angefüllt haben und das uns so alles verdankt. Nein, das Kind ist der Baumeister

des Menschen, und es gibt niemand, der nicht von dem Kind, das er selbst einmal

war, gebildet wurde" (Montessori, 1978, S. 13).

Spitzer verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Rahmenbedingungen,

welche mit der vorbereiteten Umgebung bei Montessori vergleichbar sind, und

ihre Bedeutung für das Lernen. "Wer Lernen für einen passiven Vorgang hält, der

sucht nach dem richtigen Trichter. Wer aber Lernen als eine Aktivität versteht,

[…] der sucht keinen Trichter, sondern denkt über die Rahmenbedingungen

nach, unter denen diese Aktivität am besten stattfinden kann" (Spitzer, 2002, S.

4).

Auch bei den sensiblen Phasen, welche ich zum Anfang meiner Arbeit erläutert

habe, gibt es Übereinstimmungen zur Hirnforschung. So schreibt unter anderem

der Hinforscher Singer in einem seiner Werke: "Die Existenz zeitlich gestaffelter

sensibler Phasen für die Ausbildung verschiedener Hirnfunktionen führt zu dem

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Postulat, dass das Rechte zur rechten Zeit verfügbar sein oder angeboten

werden muss. Es ist nutzlos oder womöglich sogar kontraproduktiv, Inhalte

anzubieten, die nicht adäquat verarbeitet werden können, weil die

entsprechenden Entwicklungsfenster nicht offen sind. Da bislang nur wenige

Daten darüber vorliegen, wann das menschliche Gehirn, welche Informationen

benötigt, ist wohl die beste Strategie, sorgfältig zu beobachten, wonach Kinder

fragen". Singers Beschreibung entspricht dem, was Montessori zu den sensiblen

Phasen bereits ausgearbeitet hat. Es fällt auf, dass er, genau wie Montessori,

das sorgfältige Beobachten für die beste Lösung erachtet, um sensible Phasen

zu erkennen (vgl. Klein, 2005).

Wie bereits aufgeführt, gehört das Phänomen der Polarisation der

Aufmerksamkeit zum Herzstück Montessoris Pädagogik. Auch in der

Hirnforschung erfährt die Aufmerksamkeit eine besondere Beachtung, nämlich

die „selektive Aufmerksamkeit, die nur einem bestimmten Ausschnitt aus der

Wirklichkeit gilt. Ihre Funktion wird mit einem Scheinwerfer verglichen, der im

Feld des Bewusstseins bestimmte Dinge heller macht, wobei gleichzeitig andere

Sachverhalte ausgeblendet werden“ (Klein, 2005, S. 107) Auch Montessori hat

dieses Symbol des Scheinwerfers zur Beschreibung der Aufmerksamkeit in einer

sensiblen Phase gebraucht.

Wie bereits im oberen Teil der Arbeit erwähnt, wird bei der Einführung von

Entwicklungsmaterialien, also bei Einführungslektionen in der Montessori-

Pädagogik wenig bis gar nicht gesprochen. Im Hinblick auf die Hinforschung führt

Klein dazu aus: „Die selektive Aufmerksamkeit bewirkt die Aktivierung spezieller

Gehirnareale und zwar immer derjenigen Areale, welche die Informationen

verarbeiten, denen die spezielle Aufmerksamkeit gilt (Farben, Gesichter,

Sprache usw.). Diese Aufmerksamkeit kann sich allerdings nur auf eine Stelle,

eine Sache richten […] sie kann nicht zwei Dingen gleichzeitig gelten. Selektive

Aufmerksamkeit ist also an ein Objekt gebunden“ Spitzer verweist auf

Untersuchungen der Gehirnforschung, die deutlich machten, „dass die

Aktivierung der motorischen Areale im Gehirn dann am größten war, wenn nicht

gleichzeitig sprachliche Anfordenungen verarbeitet werden mussten, und

umgekehrt war die Aktivierung der sprachlichen Areale dann am größten, wenn

nicht zugleich auf motorische Leistungen geachtet werden musste“ (Spitzer,

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2002, S.144). Somit könnte Montessoris Ansicht, bei Einführungslektionen wenig

bis gar nicht zu sprechen begründet werden.

Auch Montessoris Standpunkt, Kindern nur eine solche Lektion zu erteilen, wenn

sie Interesse daran haben, findet sich in der Gehirnfoschung wieder. Nach

Montessori bemerkt die pädagogische Fachkraft, „ob sich das Kind für den

Gegenstand interessiert oder nicht. Sie wird sich davor hüten, dem Kind etwas

aufzudrängen, wenn es sich für das Gebotene nicht interessiert" (Montessori

1980, S.120, 121.). Heute belegt die Gehirnforschung die unverzichtbare

Verbundenheit zwischen etwas Behalten und aufmerksam sein. Im Gehirn

werden nämlich die Areale aktiviert, auf die sich die Aufmerksamkeit richtet. Laut

Spitzer behält ein Mensch bestimmte Dinge demnach umso besser, je

aufmerksamer er ist. Zudem führt er aus, "Ohne die Hinwendung der

Aufmerksamkeit zu den zu lernenden Reizen geschieht nichts" (Spitzer, 2002, S.

155).

In der Montessori-Pädagogik wird, wie erwähnt, viel Wert auf die Freiarbeit und

die dazugehörigen Materialien gelegt. Zudem sollen diese Wiederholungen

herausfordern und ermöglichen. Maria Montessori legt ihren Fokus auf die

wiederholende Tätigkeit des Kindes bei der es nicht gestört werden darf und

welche eine zentrale Funktion für die Entwicklung des Kindes hat. Auch die

Gehirnforschung hat die wesentliche Erkenntnis gemacht, „dass das Wissen und

Können durch die Synapsenstärken repräsentiert wird. Je häufiger eine

Synapsenbindung aktiviert wird, umso stärker wird sie. Dies geschieht beim

„Üben“ Wie gut die Zuordnung von Reizen gelingt, „hängt von den Stärken der

Synapsenverbindungen zwischen den Neuronen ab. Auch das Können, […] die

Fertigkeiten, das reproduzierbare Wissen werden von den Synapsenstärken

bestimmt. Darum spielt das Üben eine so große Rolle. (Klein, 2005, S. 111).

Somit bestehen viel Ähnlichkeiten und Parallelen zwischen den Erkenntnissen

Montessoris und den Ergebnissen der Gehirnforschung. „Montessori muss eine

geniale Interpretin kindlichen Verhaltens gewesen sein, da sie ohne all die

Hilfsmittel moderner Gehirnforschung zu den Erkenntnissen über die kindliche

Entwicklung kam, die wir heute bei der Gehirnforschung wieder finden“ (Klein,

2005, S. 114).

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3. Fazit

Maria Montessoris Verständnis von Bildung als reinen Selbstbildungsprozess,

kann in der heutigen Zeit nicht mehr bestehen und auch der pädagogischen

Fachkraft kommt eine größere Bedeutung im Bildungsprozess des Kindes zu. In

der heutigen Zeit herrscht ein neues Verständnis von kindlicher Bildung. „Bildung

als sozialer Prozess, der gemeinsam mit anderen gestaltet wird“ (Fthenakis,

2013, S. 3). Der auch in der Bildungskonzeption von Mecklenburg-Vorpommern

vorhandene Ansatz der Ko-Konstruktion stellt einen neuen Aspekt dar, der sich

in der Pädagogik Maria Montessoris so nicht wiederfindet. In der Montessori-

Pädagogik unterstützt und begleitet die Fachkraft die kindlichen

Bildungsprozesse, übt sich dabei allerdings in Zurückhaltung. „Sie stellt eine

anregende, bereichernde Lernumgebung bereit und beobachtet und

dokumentiert kindliche Bildungsfortschritte“ (Fthenakis, 2013, S.4). Nach

derzeitigen Erkenntnissen der frühen Kindheitspädagogik wird allerdings „eine

neue Qualität in diese Beziehung eingeführt, die Kinder und Fachkräfte aktiv und

ko-konstruktiv bei der Gestaltung von Bildungsprozessen einbindet“ (ebd.).

Wie bereits in dieser Arbeit erwähnt, kommt auch dem Begriff der Interaktion in

der heutigen Zeit eine wesentlich größere Bedeutung zu. Sogar die Forschung

kann belegen, dass die Interaktionsqualität die wichtigste Grundlage zur

Sicherung von hoher Bildungsqualität ist. Um das Konzept Montessoris zu

modernisieren, braucht es also eine neue Fokussierung auf die Interaktionen und

wie sie fachlich begründet gestaltet werden können (vgl. Fthenakis, 2013).

Für diejenigen Fachkräfte, die ihre pädagogische Arbeit nach Maria Montessoris

Pädagogik ausrichten, stellt es also eine Herausforderung dar, die Konzeption

Montessoris, in den genannten und sicherlich noch weiteren Punkten, auf Basis

neuer theoretischen Grundlagen, weiterzuentwickeln und in die heutige Zeit der

pädagogischen Arbeit zu transformieren.

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4. Literaturverzeichnis Becker-Stoll, F. (2009). Von der Eltern-Kind-Bindung zur der Erziehrin-Kind-Beziehung. In: K.H. Brisch und T. Hellbrügge (Hrsg.). Wege zu sicheren Bindungen in Familie und Gesellschaft. Klett-Cotta: Stuttgart. Hansel A. & Schneide I. (2011). Bildungs- und Erziehungsbereiche. In: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.) Bildungskonzeption für 0- bis 10-jährige Kinder in Mecklenburg-Vorpommern. Zur Arbeit in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Schwerin: TINUS. Drews, U. / Wallrabenstein, W. (2002). Freiarbeit in der Grundschule. Offener Unterrricht in Theorie, Forschung und Praxis. Frankfurt am Main: Grundschulverband. Deutsche Montessori-Vereinigung e.V. (2014). Montessori-Material. Übungen des täglichen Lebens und Sinnesmaterial in Kinderhaus und Schule (6. Auflage). Zelhelm: Nienhuis Montessori B.V. Fthenakis, W.E. (2013). Auf Spurensuche. In: Didacta – das Magazin für lebenslanges Lernen (Ausgabe 1). AVR: München. Fuchs, B. (2003). Maria Montessori. Ein pädagogisches Portrait. Weinheim und Basel: Betz. Helming, H. (1998). Montessori-Pädagogik. Ein moderner Bildungsweg in konkreter Darstellung (17. Auflage). Freiburg: Herder. Hobson, P. (2002). Wie wir denken lernen. Gehirnentwicklung und die Rolle der Gefühle. London: Walter Verlag. Holtstiege, H. (2004). Modell Montessori. Grundsätze und aktuelle Geltung der Montessori-Pädagogik (13. Auflage). Freiburg: Herder. Klein, G. (2005). Montessori Pädagogik und Gehirnforschung. In: Montessori. Zeitschrift für Montessori-Pädagogik (Heft 3). Aachen: Montessori-Vereinigung Deutschland e.V. Klein-Landeck, M. & Pütz, T. (2012). Montessori-Pädagogik. Einführung in Theorie und Praxis. Freiburg: Herder. Kraft, V. (2009). Pädagogisches Selbstbewusstsein. Studien zum Konzept des Pädagogischen Selbst.Paderborn: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG. Montessori, M. (1978). Das kreative Kind. Der absorbierende Geist (4. Auflage). Freiburg: Herder. Montessori, M. (1980). Die Entdeckung des Kindes. Freiburg: Herder. Montessori M. (1988). Kinder sind anders (12. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta.

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5. Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig

und ausschließlich unter Nutzung der verzeichneten Quellen angefertigt und die

angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Alle Quellen, die ich wörtlich oder sinnhaft

entnommen habe, wurden durch mich im Text kenntlich gemacht und verweisen

auf die im entsprechenden Verzeichnis notierten Literaturangaben und Quellen.

Neubrandenburg, den 23.06.2017 Julia Mielke