Die Beduinen der Steinwüste

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SYRIEN Beduinen der Steinwüste Es ist nicht besonders heiß in der Syrischen Wüste, jedenfalls nicht im Februar. Ich bin mit dem Motorrad von Deir Al Zor Richtung Damaskus unterwegs und die trockene Luft, voll mit braunem Staub, den man noch Tage später an diversen Körperstellen wiederfindet, macht die Lippen spröde. Die Straße zieht sich durch dieses riesige Geröllfeld, als ob jemand mit einem Lineal eine unendlich lange Linie gezogen hätte. Kein Fahrzeug weit und breit, nur Steine, Sand und Schafe… Seite 1 von 10

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Story about a Beduin family, living in the syrian desert...

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Beduinen der Steinwüste

Es ist nicht besonders heiß in der Syrischen Wüste, jedenfalls nicht im Februar. Ich bin mit dem Motorrad von Deir Al Zor Richtung Damaskus unterwegs und die trockene Luft, voll mit braunem Staub, den man noch Tage später an diversen Körperstellen wiederfindet, macht die Lippen spröde. Die Straße zieht sich durch dieses riesige Geröllfeld, als ob jemand mit einem Lineal eine unendlich lange Linie gezogen hätte. Kein Fahrzeug weit und breit, nur Steine, Sand und Schafe…

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Beduinen der Steinwüste

An den Rändern der Wüste Syriens existieren heute noch etwa 340000 Beduinen. Diese nomadischen Wüstenbewohner leben in Zelten und sind immer auf der Suche nach Weideplätzen, denn sie Bestreiten ihren Lebensunterhalt größtenteils immer noch durch traditionelle Viehzucht. Drei bis vier, aus Säcken und Planen zusammengeflickte Zelte, aufgestellt mit Holzpfählen und gehalten von Seilstücken und riesigen Eisenstäben, die im Boden stecken beherbergen meist eine Großfamilie mit mindestens drei Generationen. Mit einer solchen Familie wollte ich nun ein paar Tage verbringen um mehr über ihr Leben und die Schafzucht zu erfahren.

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Es ist kurz vor Sonnenuntergang und ich fahre von der Straße ab und steuere mein Motorrad geradewegs in die Wüste hinein. Nach ungefähr zwei Kilometern erreiche ich einen Platz mit einigen Fässern, einem Anhänger und vier Zelten. Sofort kommen einige Bewohner, aufgeschreckt durch das Motorengeräusch auf mich zu. Zwischen uns existiert keine gemeinsame Sprache und nur mit meinen Händen und Füßen versuche ich ihnen klar zu machen, dass ich gerne die Nacht bei ihnen verbringen möchte. Sie können nicht glauben, was ich ihnen zu verstehen gebe, wollen mich weiterschicken in die nächste Stadt, in ein Hotel. Ein Europäer nachts in der Wüste?Ich bleibe und bekomme sogar mein eigenes Zelt.

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Ich lade meine Sachen vom Motorrad und will mich in meinem neuen Reich einrichten, doch schon werde ich zum Tee ins Hauptzelt gebeten. Man weiß noch nicht so recht, was man mit mir anfangen soll, was ich genau will. Draußen hält ein Wagen, das Familienoberhaupt kommt mit Freunden aus der Stadt zurück. Es wird viel geredet aber ich verstehe kein Wort der arabischen Sprache. Plötzlich wird es still, die Großmutter (zumindest die älteste Frau hier), die mich vorhin noch freudig begrüßt hat, hockt nun draußen vor dem Zelt und weint. Ich versuche mich verständlich zu machen: Was ist geschehen? Per Handzeichen bekomme beschrieben, das die Nachricht vom Tod des Großvaters aus der Stadt gebracht wurde. Dies ist ein bedrückender Moment, ich fühle mich fehl am Platz, will am liebsten wieder verschwinden! Es macht mich traurig und gleichzeitig bin ich berührt, hier Zeuge sein zu dürfen.

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Bald danach werden jedoch wieder die alltäglichen Arbeiten aufgenommen. Die Schafe müssen versorgt werden und das ist hier Frauenarbeit. Zu zweit oder allein schleppen die verschleierten Beduininnen die riesigen Säcke mit einer Art Futtergetreide, von denen einer bestimmt 30 kg wiegt von einem Hänger zu den Trögen, die aussehen, wie umgestülpte LKW-Reifen. Staub wird aufgewirbelt, so dass man kaum etwas sieht und trotzdem wird darauf geachtet, dass alles gleichmäßig verteilt ist. Danach werden die Schafe, die in einiger Entfernung um die Zelte mitten in der Wüste umher trotten und nach einem Flecken Grün suchen, an die Futterschalen getrieben. Erneut wirbelt Staub auf, diesmal vom Getrampel der Herde. Über einhundert Tiere, darunter viele Lämmer stürmen nun genau in die Richtung in der ich mich mit meiner Kameraausrüstung befinde.

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Nur rund zehn Minuten dauert das Getöse und dann ist alles leergefressen. Plötzlich tauchen noch mehr Beduinen auf, die Nachbarn, die Herde wird zusammengetrieben und wechselseitig Kopf an Kopf gebunden. Von oben sieht man nun eine Reiher verwirrter Schafsköpfe und von außen zwei Reihen nervöser Hinterhufe und die dazugehörigen Schafshintern. Alles übertönt von einer ohrenbetäubenden Geräuschkulisse. Wieder sind die Frauen an der Reihe, diesmal mit großen Metallschüsseln. Auf dem Boden hockend bewegen sie sich seitwärts von Schafshintern zu Schafshintern und leeren mit ihren zerschundenen aber geschickten Händen ein Euter nach dem anderen. Nach dem Melken treiben die Männer die Tiere zur Nachtruhe in dem größten der Beduinenzelte zusammen. Wir gehen ebenfalls in ein Zelt, wo schon Frau und Kinder rings um einen Gaskocher sitzen (der gleichzeitig die Heizung ist) und darauf warten, dass das Familienoberhaupt diesen entzündet.

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Es wird zu Abend gegessen, das heißt die Männer Essen und die Frauen und Kinder sitzen in Warteposition daneben. Das Essen ist einfach und eintönig. Fladenbrot, welches direkt auf dem Gaskocher erwärmt wird, dazu etwas Schafsjogurt und Tee. Alle Männer (der Vater, der älteste Sohn und ich) essen gleichzeitig und aus einer Schüssel und zu Ehren des Gastes gibt es heute eine Orange zum Nachtisch. Ich bekomme außerdem eine Spezialität: Eine Schüssel heiße Schafsmilch und ich kann mir in diesem Moment nicht wohlschmeckenderes vorstellen. Sobald wir fertig sind, wird alles an die Seite gestellt, die Männer rauchen und nun dürfen sich auch die Frauen und die Kinder über die Reste hermachen. Ein kleiner Plastikeimer mit Wasser steht herum. Hieraus wird dem heißen Tee kaltes Wasser hinzugefügt, die Gläser werden darin gespült und später werden auch die Hände darin gewaschen…

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Früh wache ich am nächsten Morgen auf, pünktlich zum Sonnenaufgang, mit dem besten Licht zum fotografieren. Zwischen den Zelten herrscht jedoch schon geschäftiges Treiben. Die Frauen füttern die Tiere und entlassen sie in die Wüste. Der Boden zwischen den Zelten wird mit ein paar Ästen gefegt und so von größeren Steinen und Unrat befreit. Dazu sei gesagt, dass diese Menschen keine Müllentsorgung kennen und mit dem Einzug des Plastikzeitalters liegt hier alles Mögliche in der Wüste herum. Mittels Säcken wird alles einfach ein paar Meter an den Rand der Siedlung transportiert werden. Auf dem Gelände stehen blaue Fässer herum. Wasser für Tee und zum Waschen. In einem Teekessel wird dieses erhitzt und mir über die Hände geschüttet. Morgenwäsche. Die Frauen bereiten Tee und Essen (Brot und Jogurt) vor und es wiederholt sich der gleiche Ablauf wie am Vorabend. Zuerst Männer, dann Frauen und Kinder.

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Haben die Männer gegessen, getrunken und geraucht, brechen sie auf um ihrer Arbeit nach zu gehen. Sie machen sich auf in die Weiten der syrischen Wüste und suchen nach grünen Flecken und verschaffen den Schafen so etwas Abwechslung auf dem Speiseplan. Oft sieht man sie am Straßenrand oder etwas weiter entfernt herumliegen rauchen und reden. Ist ein Sohn alt genug, begleitet er seinen Vater um später einen eigenen Herdenanteil zu übernehmen. Die Frauen sorgen während des Tages für die Kinder, den Haushalt und machen aus der Schafsmilch Käse und Jogurt, der dann auf dem Markt in der Stadt verkauft oder eingetauscht wird.

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Nur zwei Tage verbringe ich bei dieser Familie, deren wertvollster Besitz täglich viele Kilometer durch die syrische Wüste streift, auf der Suche nach dem letzen Grün der vergangenen Regenzeit. Es ist beindruckend, mit welch wenigen und einfachen Dingen Menschen doch auskommen können und trotzdem zufrieden sind. Auch wenn diese Beduinen in unseren Augen nicht die gebildetsten Menschen sind, so bin ich mir sicher, dass wir doch einiges von ihnen lernen können.

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