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13 up grade 13 up grade Die Bildung von morgen Interview „Schulen und Universitäten müssen Zukunftslabors werden und dürfen nicht zu Museen verkümmern“, sagt der Betriebswirt und Unternehmensberater Andreas Salcher. Der Gründer der Sir-Karl-Popper-Schule fordert mehr Wettbewerb im Bildungssystem und erklärt, wie Bildung im 21. Jahrhundert aussehen sollte. Von Stephanie Arns Foto: Nico Formanek Andreas Salcher in Diskussion mit den Schülern der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien. Wissen upgrade: Worauf kommt es in der Bildung an? Salcher: Bildung muss vor allem Freude machen und individuelle Begabungen för- dern. Ob in der Schule, in der Universität oder später. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Schule zu. Wenn hier Ta- lente und der Spaß am Lernen zerstört wer- den, dann muss man sich später nicht über schlechte Ergebnisse wundern. Wir sollten generell weg davon kommen, Wissen in die Menschen „hineinzustopfen“ . Wir müssen vielmehr darüber nachdenken, was diese in

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Die Bildung von morgenInterview

„Schulen und Universitäten müssen Zukunftslabors werden und dürfen nicht zu Museen verkümmern“, sagt der Betriebswirt und Unternehmensberater Andreas Salcher. Der Gründer der Sir-Karl-Popper-Schule fordert mehr Wettbewerb im Bildungssystem und erklärt, wie Bildung im 21. Jahrhundert aussehen sollte.

Von Stephanie Arns

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Andreas Salcher in Diskussion mit den Schülern der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien.

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upgrade: Worauf kommt es in der Bildung an?

Salcher: Bildung muss vor allem Freude machen und individuelle Begabungen för-dern. Ob in der Schule, in der Universität oder später. Eine besondere Bedeutung

kommt dabei der Schule zu. Wenn hier Ta-lente und der Spaß am Lernen zerstört wer-den, dann muss man sich später nicht über schlechte Ergebnisse wundern. Wir sollten generell weg davon kommen, Wissen in die Menschen „hineinzustopfen“. Wir müssen vielmehr darüber nachdenken, was diese in

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30 Jahren können müssen. Aufgabe ist es, sie für die Zukunft vorzubereiten – von der wir jedoch nicht wissen, wie sie aussehen wird. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, brauchen wir daher vor allem zwischen-menschliche Fähigkeiten und Verantwor-tungsbewusstsein. Es muss ein Verständnis dafür vermittelt werden, dass wir Teil eines gemeinsamen Ganzen sind und unser Han-deln Konsequenzen für andere hat.

upgrade: Was läuft in unserem Bildungssys-tem falsch?

Salcher: Nehmen wir die Schulen: Die Schule in ihrer heutigen Form wurde in Zei-ten der industriellen Revolution geschaf-fen, mit den Anforderungen damaliger Zei-ten. Wir passen in dieses System jedoch nicht mehr hinein, weil wir uns von der In-dustriegesellschaft zur Wissensgesellschaft weiterentwickelt haben. Wir können in den Schulen nicht mehr mit den Instrumen-ten von vor 50 Jahren arbeiten: das Vermit-teln und die Wiedergabe von Fakten. Es ist daher höchste Zeit, dass man die wissen-schaftlichen Erkenntnisse über erfolgreiches Lernen in die Klassen und Hörsäle bringt – etwa die von Howard Gardner, der das Kon-zept der „multiplen Intelligenzen“ entwi-ckelt hat, die Forschungen zur „emotionalen Intelligenz“ von Daniel Golemans, die „ler-nenden Organisationen“ von Peter Senge oder aber die Erkenntnisse des Glücksfor-schers Mihály Csíkszentmihályi, des Ent -deckers des Flow-Effekts. Das sind alles Konzepte, die seit Jahrzehnten existieren, sie fi nden jedoch keinen Einzug in die Schu-len und Universitäten.

upgrade: Woran liegt das?

Salcher: Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist der Bildungssektor ein hochherr-schaftliches, bürokratisches System, das kaum Wettbewerb ausgesetzt ist. Bei den Universitäten ist man durch die Bologna-Reform schon etwas fortschrittlicher gewor-den. Die Ziele von Bologna unterschreibe

ich zu hundert Prozent: Schaffung eines eu-ropäischen Bildungsraums, mehr Internati-onalisierung und vergleichbare Strukturen. Das ist alles richtig, man darf aber nicht ver-gessen, dass Bologna ein von der Hochbü-rokratie in Brüssel initiierter und kein markt-wirtschaftlicher Prozess ist, der den Regeln des Wettbewerbs gehorcht. Wenn Interna-tionalität gefördert wird und mehr Studie-rende Auslandssemester machen, ist das sehr positiv. Das heißt jedoch nicht, dass die Universitäten dadurch automatisch besser werden. Top-Universitäten wie Harvard oder Stanford gibt es bei uns immer noch nicht. Uns fehlt auch ein Silicon Valley, also die Ein-bettung der Wissensstrukturen in ökonomi-sche Strukturen. Es gibt in Österreich keine Universität, um die herum ein wirtschaftli-cher Raum entstanden wäre. Die Universi-täten hierzulande produzieren zu wenig Un-ternehmer und zu viele Beamte. Was mir fehlt, ist mehr Unternehmergeist – auch im Forschungsbereich. Die Studierenden müs-sen die Möglichkeit haben, ihr Wissen auch während des Studiums schon praktisch an-zuwenden. Im Silicon Valley gründen Profes-soren mit ihren Studierenden nicht selten gemeinsam Firmen. Die dortigen Professo-ren sind häufi g geniale Wissenschaftler und Unternehmer in einem, davon profi tieren auch die Studierenden.

upgrade: Kann man da noch von freier Bil-dung sprechen oder ist diese vielmehr auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet? Existiert die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre überhaupt noch?

Salcher: Ich bin kein Wissenschaftshistoriker, aber Zeiten in der Geschichte, in der Freiheit in Wissenschaft und Lehre geherrscht hat, sind mir nicht bekannt. Hier wird – insbesondere von Bologna-Kritikern – häufi g eine heile Welt heraufbeschworen, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat. Wir waren noch nie so frei wie heute. Durch das Internet ist das Monopol der Lehrenden weggefallen. Heute können sich Studierende sehr schnell und umfassend schlaumachen und durchaus kompetent mit

Andreas Salcher Dr. Andreas Salcher studierte Betriebs-wirtschaft an der Wirtschaftsuniversi-tät Wien. Er arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater und entwickelt Konferenzen, Workshops und Semi-nare für internationale Unternehmen. Seine politische Laufbahn begann Sal-cher 1985 bei der Jungen ÖVP Wien. 1987 wurde er zum Mitglied des Wiener Landtags gewählt, dem er insgesamt 12 Jahre angehörte. 1993 gründete er die erste österreichische Schule für beson-ders Begabte, die Sir-Karl-Popper-Schule in Wien, deren geschäftsführender Vizepräsident er bis heute ist. 2004 initiierte Salcher die „Waldzell Mee-tings“ im Stift Melk. Salcher ist Autor der Bestseller „Der talentierte Schüler und seine Feinde“ und „Der verletzte Mensch“. Nach seinem Ausscheiden bei Waldzell rief er das Projekt „The Curri-culum Project – Creating the Schools of Tomorrow“ ins Leben.

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ihren Professoren diskutieren. Diese Freiheit muss jedoch auch genutzt werden. Von Stu-dierenden erwarte ich ein hohes Maß an Auto-nomie und Selbstständigkeit. Sie sind nicht an den Universitäten, um bloß Scheine oder Cre-dits zu sammeln. Es liegt in ihrer Hand, was sie aus ihrem Studium machen. Und Profes-soren müssen vor allem moralische Autoritä-ten sein, die einer dialektischen Auseinander-setzung mit ihren Studierenden gewachsen sind. Ein guter Professor weiß das zu nutzen. Gute Professoren verstehen es auch, hervor-ragende Forschungsarbeit zu leisten und diese entsprechend zu vermitteln. Forschung und Lehre ist kein Widerspruch. Professoren, die ihre Studierenden nur bei Prüfungen sehen, haben an Universitäten nichts verloren.

upgrade: Was kann und muss noch getan werden, um das Bildungssystem zu ver-bessern?

Salcher: Es muss mehr Flexibilität und Fan-tasie in ein nach wie vor starres System ge-bracht werden. Ein Hochschulabsolvent, der im Berufsleben Erfahrungen gesammelt hat, muss zurückkommen in den Prozess des Lernens – sei es in Form einer eigenen Weiterbildung, sei es als Lehrender. Die Strukturen im öffentlichen Bildungssektor sind darauf nicht ausgelegt. Warum sollen Unternehmer, Wissenschaftler oder Künst-ler, die im Berufsleben stehen oder bereits ausgeschieden sind, nicht in Schulen oder Universitäten unterrichten und ihren Erfah-rungsschatz weitergeben? Im privaten Aus-

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bildungsmarkt – wo Wettbewerb herrscht – funktioniert dies doch auch. Lebenslange Weiterbildung ist wichtig. Ich selbst bin je-mand, der jedes Jahr überproportional viel Geld in die eigene Weiterentwicklung inves-tiert hat. Langfristig hat sich das gerechnet.

upgrade: Kommen wir noch mal zurück zu den Schulen. Was muss aus Ihrer Sicht hier verändert werden? Wo liegen die Probleme?

Salcher: Wie bei den Universitäten muss auch unter den Schulen mehr Wettbewerb herrschen. Dieser kann nur durch eine „Au-tonomisierung“ der Schulen herbeigeführt werden. Das bedeutet: Die Macht gehört dem Direktor, der seine Schule wie ein Un-ternehmen führt: Er entscheidet, welche Lehrer eingestellt oder gekündigt werden. Direktor und Lehrer wiederum werden an den Leistungen der Schüler gemessen. Das machen international schon einige Länder mit Erfolg, in Österreich sind wir davon aber noch weit entfernt. Leider scheitern wir hier auch allzu oft am Widerstand der Lehrerge-werkschaften. 2007 hat die Unternehmens-beratung McKinsey eine Studie publiziert, die 25 Schulsysteme von OECD-Ländern weltweit vergleicht und die zehn Besten auf ihre Leistungsfähigkeit untersucht. Öster-reich gibt jährlich 9.803 US-Dollar pro Schü-ler aus, es besitzt das zweitteuerste Schul-system der Welt – die Ergebnisse sind je-doch mager. Länder wie Finnland, Singapur oder Korea haben weitaus geringere

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Ausgaben und besitzen dabei leistungs-fähigere Bildungssysteme. Am Geld kann es also nicht liegen. In diesen Ländern ist zum einen der Berufsstand des Lehrers hoch an-gesehen und zum anderen ergreifen nur die besten Absolventen eines Jahrgangs den Beruf des Lehrers.

upgrade: Dann kommt vor allem der Aus-wahl und der Ausbildung von Lehrern eine entscheidende Bedeutung für die Qualität des Schulsystems zu?

Salcher: Ja, denn Motivation und Leistungs-niveau der Schüler hängen von den jeweili-gen Lehrern ab. Die fortdauernden Diskus-sionen über die Schulorganisation, also über Gesamtschule oder ein differenziertes Schul-system, halte ich hingegen für irrelevant und nicht zielführend. Die richtige Auswahl und Ausbildung von Lehrern ist entscheidend. Hierzulande ist es immer noch so, dass Leh-rer wird, wer Lehrer werden will. In Finn-land, Singapur oder Korea werden Lehrer nach strikten Kriterien ausgewählt: weniger nach fachlichen als nach menschlichen und pädagogischen. Ein guter Lehrer muss zwei Dinge können: die Zuneigung zu Kindern und Jugendlichen besitzen und sie für seine Fächer begeistern. Nicht jeder kann das. Es kann auch nicht jeder Flugzeugpilot oder Chirurg werden, das wäre lebensgefährlich. Niemand käme auf die Idee, einen gerade ausgebildeten Piloten allein über den Atlan-tik zu schicken. Wenn ein Lehrer mit seiner Ausbildung fertig ist, steht er häufi g überfor-dert im Klassenzimmer. Und darunter leiden nicht nur die Schüler, sondern auch die Leh-rer selbst. Es gibt keinen Beruf, bei dem so hohe Berufsunzufriedenheit herrscht. Das ist eine Katastrophe, das muss geändert werden. Wir müssen geeignete Persönlich-keiten auswählen, diese dann adäquat aus-bilden und auf die Realitäten in der Schule vorbereiten. Das kann und muss die Politik leisten.

upgrade: Sie haben ein Projekt initiiert, das „Curriculum Project – Creating the Schools of Tomorrow“. Mit welchen Zielen?

Salcher: Die Grundidee ist, moralische Auto-ritäten und die wichtigsten Wissenschaftler auf diesem Gebiet mit den entsprechenden

Multiplikatoren zusammenzubringen. Wir er-arbeiten derzeit eine Agenda. Ziel ist ein glo-bal agierendes Netzwerk, eine Community zu schaffen, mit deren Hilfe Schüler, Eltern und Lehrer positiven Druck auf Schulen aus-üben können. Ein „Greenpeace für Schulen“.

upgrade: Wie muss die Schule von morgen aussehen? Sie propagieren die sogenannte ökologische Schule.

Salcher: Da fast alle Schulsysteme weltweit auf dem Modell der industriellen Revolution und dem Fließband aufbauen, sehe ich die „ökologische Schule“ als Gegenentwurf und zugleich als Zukunftsmodell. Als obers-tes Ziel steht dabei die Wiederbelebung des Lernprozesses: alte Lehrpläne nicht nur ent-rümpeln, sondern ganz abschaffen. Weg vom Pauken und Stillsitzen, hin zu mehr Kreativität und spielerischem Lernen, das Freude macht. Dabei gilt es, die Interes-sen und Talente der Schüler zu fördern und sich nicht in deren Schwächen zu verbeißen. Allem voran müssen Schulen auf das Leben vorbereiten, also auch die Fähigkeit vermit-teln, mit dem Wandel und der Komplexität in unserer Zeit umgehen zu können.

upgrade: Mit guter Bildung sind wir also für das 21. Jahrhundert gewappnet?

Salcher: Bildung ist weltweit Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand und eine de-mokratische Gesellschaft. Leider hat Bil-dung in unserer Gesellschaft nach wie vor nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. In asiatischen oder skandinavischen Ländern ist das ganz anders. Deutschland und Öster-reich gehören nach wie vor zu den wohlha-bendsten Ländern der Welt. Aber wenn wir jetzt nicht intensiv in Bildung investieren, dann werden uns die anderen schnell über-holen. Ich habe Bilder von Schülern und Stu-denten aus Afrika gesehen, die nachts unter Straßenlaternen gesessen sind und dort ihre Hausaufgaben und Arbeiten gemacht haben, weil sie zuhause in ihren Hütten kein Licht hatten. Diesen Menschen ist sehr wohl bewusst, wie wichtig Bildung ist, welche Chancen sie eröffnet. Umso schlimmer ist es, dass wir mit unseren vielen Möglichkei-ten so schlampig umgehen. Der Schlüssel für eine bessere Welt liegt in der Bildung.