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Eine Streitschrift zur beruflichen Bildung Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen Vorgelegt vom Wissenschaftlichen Beraterkreis der Gewerkschaften IG Metall und ver.di Bildung ist keine Ware

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Dr. Axel Bolder

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Dr. Ingrid Drexel

Prof. Dr. Peter Faulstich

Dr. Dieter Gnahs

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Dr. Roman Jaich

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Prof. Dr. Oskar Negt

Dr. Edgar Sauter

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Dr. Hartmut Seifert

Otto Semmler

Eine Streitschrift zur beruflichen Bildung

Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen

Vorgelegt vom

Wissenschaftlichen

Beraterkreis

der Gewerkschaften

IG Metall und ver.di

Bildung ist keine Ware

Das wollen wir erreichen:

· bessere Bildung

· mehr Bildung

· gerechte Bildung

· mehr öffentliche (gesellschaftliche)

Verantwortung

· eine berufliche Bildung

· mehr lernförderliche Arbeit

· Bildung als starker gesellschaftlicher

Zusammenhalt

· Beruflichkeit bewahren

· eine kraftvolle Berufsbildungspolitik

der Gewerkschaften

6966-11809

Herausgeber:

Vorstand ver.di

Bereich Berufsbildungspolitik

Paula-Thiede-Ufer 10

10179 Berlin

Vorstand IG Metall

Ressort Bildungs- und

Qualifizierungspolitik

Wilhelm-Leuschner-Straße 79

60329 Frankfurt M.

Redaktion:

Mechthild Bayer, Prof. Peter Faulstich,

Dr. Roman Jaich, Dr. Klaus Heimann,

Wolf-Gunter Brügmann

Gestaltung:

Werbeagentur Zimmermann GmbH

Frankfurt am Main

Druck:

Henrich Druck+Medien GmbH, Frankfurt

Berlin/Frankfurt/M., Januar 2006

Dr. Axel Bolder

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Dr. Ingrid Drexel

Prof. Dr. Peter Faulstich

Dr. Dieter Gnahs

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Dr. Roman Jaich

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Prof. Dr. Oskar Negt

Dr. Edgar Sauter

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Dr. Hartmut Seifert

Otto Semmler

Eine Streitschrift zur beruflichen Bildung

Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen

Vorgelegt vom

Wissenschaftlichen

Beraterkreis

der Gewerkschaften

IG Metall und ver.di

Bildung ist keine Ware

Das wollen wir erreichen:

· bessere Bildung

· mehr Bildung

· gerechte Bildung

· mehr öffentliche (gesellschaftliche)

Verantwortung

· eine berufliche Bildung

· mehr lernförderliche Arbeit

· Bildung als starker gesellschaftlicher

Zusammenhalt

· Beruflichkeit bewahren

· eine kraftvolle Berufsbildungspolitik

der Gewerkschaften

6966-11809

Herausgeber:

Vorstand ver.di

Bereich Berufsbildungspolitik

Paula-Thiede-Ufer 10

10179 Berlin

Vorstand IG Metall

Ressort Bildungs- und

Qualifizierungspolitik

Wilhelm-Leuschner-Straße 79

60329 Frankfurt M.

Redaktion:

Mechthild Bayer, Prof. Peter Faulstich,

Dr. Roman Jaich, Dr. Klaus Heimann,

Wolf-Gunter Brügmann

Gestaltung:

Werbeagentur Zimmermann GmbH

Frankfurt am Main

Druck:

Henrich Druck+Medien GmbH, Frankfurt

Berlin/Frankfurt/M., Januar 2006

Vorgelegt vom WissenschaftlichenBeraterkreisder Gewerkschaften IG Metall und ver.di

Eine Streitschrift zur beruflichen Bildung

Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen

Bildung ist keine Ware

Vorwort

Das Berufsbildungssystem in diesem Land steckt in einer Krise. In die-

ser politischen Situation, in der dringend notwendige Reformen nicht

oder nur halbherzig angepackt werden, haben die Gewerkschaften

ver.di und IG Metall den Dialog mit Aus- und Weiterbildungsexperten

gesucht.

Vierzehn prominente Wissenschaftler haben sich auf Bitten der Gewerk-

schaften bereit gefunden, über die Zukunft der beruflichen Bildung

nachzudenken. Wir haben dem Wissenschaftlichen Beraterkreis Gele-

genheit gegeben, die Praxis zu reflektieren, Kritik zu formulieren und

neue Ideen zu diskutieren. Nachzudenken war über die aktuellen Pro-

bleme, die gesellschaftlichen Herausforderungen, aber ebenso auch

über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,

unter denen berufliche Bildung stattfindet. Das schließt den Blick auf

die Arbeit und das Engagement der Gewerkschaften ein.

Wir wollten wissen:

· Wie soll eine moderne Berufsbildungspolitik aussehen, die sich an

den Grundprinzipien Gerechtigkeit und Chancengleichheit orien-

tiert?

· Welche Rolle spielt berufliche Bildung bei der Gestaltung der

zukünftigen Arbeitsgesellschaft? Welche Funktion hat Qualifikation

und Innovation in einer dauerhaften qualitativen Wachstumsstrate-

gie?

· Wie muss Aus- und Weiterbildung neu gedacht werden, die sich als

Bildung be-greift und nicht als Instrument zur Durchsetzung

betriebswirtschaftlicher Prinzipien einer radikalen Marktgesell-

schaft?

· Welche Aufgaben haben die Gewerkschaften in der Aus- und Wei-

terbildung? Taugt die Bildung als eines der Themen qualitativer

Politik, mit denen wir Gestaltungskompetenz zurückgewinnen kön-

nen? Gelingt es uns auch damit, aus der Defensive herauszukom-

men, in die wir durch eine neoliberal agierende Wirtschaft und eine

in weiten Teilen auf Deregulierung fixierte Politik geraten, die uns

immer mehr zum Erhalt und zur Verteidigung erworbener Vertei-

lungsstandards zwingen?

3

Wir freuen uns, dass das Beratungsprojekt so gut gelungen ist und hilf-

reich sein wird für uns selbst und die vielen gesellschaftlichen Akteure

in der Berufsbildung.

Wir begrüßen auch, dass der Diskurs in der jetzt vorliegenden „Streit-

schrift“ gebündelt und damit für alle Interessenten nachvollziehbar ist.

Und nicht zuletzt möchten wir uns bedanken für die ehrenamtliche

Arbeit, die der Wissen-schaftliche Beraterkreis geleistet hat. Wir wissen

sehr wohl, dass dies heute nicht mehr selbstverständlich ist. Zugleich

sehen wir in dieser Form der inhaltlichen Arbeit zwischen Wissenschaft

und Gewerkschaften ein gelungenes Modell der Zusammenarbeit, das

wir fortsetzen wollen.

Dank gilt auch Mechthild Bayer und Klaus Heimann von den Berufsbil-

dungsressorts unserer Gewerkschaften, die die Initiative zur Gründung

des Beraterkreises ergriffen und die inhaltliche Arbeit begleitet haben

und sie auch zukünftig moderieren werden.

Wir wünschen der Streitschrift eine umfassende Verbreitung und Dis-

kussion in den Gewerk-schaften, aber auch der Politik. Den Autoren ist

es gelungen, in Zeiten, in denen eine ‚konservative Revolution’ mit allen

unsozialen Folgen von ihren Vertretern als modern und unausweichlich

dargestellt wird, ein Gegenprojekt zu formulieren.

Dorothea Müller Regina Görner

Empfehlungen

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Dafür müssen die Gewerkschaften streiten

Der Wissenschaftliche Beraterkreis mischt sich mit dieser Streitschrift in

die berufliche Bildungspolitik ein. Zum einen verdeutlicht er, was erhal-

tenswert ist und zeigt zum anderen, wo mutige Reformschritte gegan-

gen werden müssen. Dazu wollen wir der Umdeutung emanzipatori-

scher Begriffe Einhalt gebieten und diese Begriffe in unser Verständnis

von Solidarität und Gerechtigkeit einbetten.

Bei der Erarbeitung dieser Streitschrift haben alle Unterzeichner Kom-

promissen zustimmen müssen, die mehr oder weniger weit reichen.

In erster Linie richten wir unsere Streitschrift an die Adresse der

Gewerkschaften, jedoch nicht nur, weil diese uns gebeten haben, die

Berufsbildungspolitik kritisch zu hinterfragen, sondern vor allem, weil

sie für uns einer der wichtigsten Akteure in diesem Feld sind. Darüber

hinaus wollen wir alle diejenigen erreichen, die der neoliberalen Politik

in diesem Lande überdrüssig sind und wirkliche Reformkonzepte disku-

tieren und umsetzen wollen.

Wir schlagen den Gewerkschaften nicht nur eine weiterentwickelte

Programmatik zur beruflichen Bildung vor, sondern geben ihnen auch

Ratschläge für eigene Aktivitäten. Wir tun dies nicht im Sinne akademi-

scher Besserwisserei. Wir sind vielmehr der Überzeugung, dass unsere

folgenden elf Empfehlungen den Gewerkschaften dabei helfen werden,

unsere gemeinsame Anliegen besser diskutieren zu können.

1. Empfehlung: Wir brauchen hochqualifizierte

Beschäftigte

Stärkt einen deutschen Kompetenzentwicklungspfad, der auf hoch-

qualifizierte Arbeitskräfte und ein personalorientiertes Pro-

duktionsmodell setzt.

Dazu braucht es mehr und bessere berufliche Bildung für alle.

Berufliche Bildung ist eine entscheidende Grundlage zur Stärkung

der Innovationsfähigkeit. Konzepte, die auf einen Niedriglohnsektor

und Ungleichheit als Preis für Beschäftigung setzen, führen auch im

internationalen Wettbewerb in die Sackgasse.

Empfehlungen

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2. Empfehlung: Wir brauchen mehr öffentliche

Verantwortung

Nehmt in euren Widerstand und eure Argumentation gegen den Neo-

liberalismus die Bildung auf. Streitet für ein gerechtes und solidari-

sches System lebenslangen Lernens als Aufgabe des Sozialstaates.

Marktradikale Bildungsmodelle und Strategien mit ihren Leitbildern

von verengter ökonomischer Anpassung, Individualisierung, Privati-

sierung und Konkurrenz sind nicht nur nicht gerecht, sondern auch

nicht effizient für die Gestaltung von Zukunft.

3. Empfehlung: Wir verteidigen das Berufsprinzip

Verteidigt das Berufsprinzip, das die Menschen in die Lage versetzt,

Handlungs- und Gestaltungskompetenz für ihren Berufsweg, für ihre

Arbeit und ihr Leben zu gewinnen. Fordert und gestaltet aktiv Kon-

zepte moderner Beruflichkeit.

Die Aufgabe des Berufsprinzips zu Gunsten wechselnder Ad-hoc-

Anpassungsqualifizierung und bloßer Beschäftigungsfähigkeit

gefährdet nicht nur Alternativen zu tayloristischer Arbeitsorganisati-

on, sondern auch die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers an

betrieblicher und überbetrieblicher Mobilität.

4. Empfehlung: Wir brauchen lernförderliche Arbeit

Setzt euch ein für die Integration schulischen und betrieblichen Ler-

nens.

Durch die Schaffung lernförderlicher Arbeitsplätze kann Arbeitsplatz-

gestaltung und berufliche Bildung verbunden werden. Dagegen wer-

den in einem retaylorisierten Produktionssystem, in dem die Arbeit

wieder stärker zergliedert und standardisiert wird, kompetente

Arbeitskräfte nur als Kostenfaktoren wahrgenommen und leicht weg-

rationalisiert.

5. Empfehlung: Wir sind für einen eigenständigen

beruflichen Entwicklungsweg

Setzt euch ein für einen eigenständigen beruflichen Entwicklungs-

weg. Fördert die Verbreitung und den Ausbau einheitlicher Aus- und

Weiterbildungsmodelle für einen beruflichen Bildungsweg und für die

Verbindung von der Ausbildung bis zu Hochschulabschlüssen.

Ohne solche Strukturreformen bleibt die Forderung nach Gleichwer-

tigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung nicht mehr als ein

Lippenbekenntnis.

Empfehlungen

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6. Empfehlung: Wir machen uns stark für berufliche

Schulen als öffentlichen Lernort

Bringt die Berufsschulen als regionale Zentren für berufliche Bil-

dung bzw. regionale Kompetenzzentren in die bildungspolitische

Diskussion. Setzt euch ein für die dafür notwendige Neuorganisati-

on der politischen Verantwortung, in der neben der Region als Trä-

ger und Aufsicht auch die Arbeitgeber und die Gewerkschaften ihren

Part übernehmen.

Die beruflichen Schulen können sonst die Chancen nicht nutzen,

nach der Erstausbildung unverzichtbare Lernphasen anzubieten.

7. Empfehlung: Wir nehmen Lernwiderstände ernst

Bedenkt bei bildungspolitischen Programmen und Aktivitäten, dass

viele Beschäftigte negative Erfahrungen mit Lernen haben.

Sonst besteht die Gefahr, dass ein Großteil der Beschäftigten, auch

der Gewerkschaftsmitglieder, den Weg zur „Wissensgesellschaft

nicht mitgehen, sondern als „Benachteiligte“ oder „Lernbehinder-

te“ zurückbleiben. Lernunlust und Abwehr von Lernanforderungen

haben oft berechtigte Gründe.

8. Empfehlung: Wir fordern einen neuen Fonds für die

berufliche Bildung

Schafft eine gemeinsame Lösung für die Ausgestaltung der Finan-

zierung für die Aus- und Weiterbildung in Form regionaler und bran-

chenspezifischer Fonds. Sorgt aber für getrennte Aufbringung der

Mittel. Bringt anders als in der Erstausbildung eine Zeitbeteiligung

der Beschäftigten an den Fonds als kollektiven Verhandlungsgegen-

stand in die Diskussion ein.

Ohne Fonds wird es nicht möglich sein, die Berufsbildungskosten zu

verteilen und strukturbedingte Unterinvestition zu verhindern, das

Finanzvolumen dauerhaft zu erhöhen, dadurch die Bildungsbeteili-

gung aller zu verbessern und mehr gesamtgesellschaftliche Steue-

rung des Berufsbildungssystems durchzusetzen.

Empfehlungen

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9. Empfehlung: Wir wollen eine öffentliche

Weiterbildungsförderung für Erwerbslose

Setzt euch dafür ein, dass an die Stelle der Förderung der beruf-

lichen Weiterbildung nach dem SGB III ein öffentlich getragenes

System tritt, das verhindert, dass Erwerbslose auf Dauer ausge-

grenzt werden.

Dazu ist dieser Teil beruflicher Weiterbildung steuerfinanziert zu

sichern. Wenn keine Möglichkeiten für Kompetenzerhalt und -ent-

wicklung vorgehalten werden, entsteht ein Heer von Dauerarbeits-

losen, die auch die Gewerkschaften in ihren Spielräumen schwächt.

10. Empfehlung: Wir wollen den europäischen

Bildungsraum mitgestalten

Unterschätzt die Dynamik und die Durchsetzungsfähigkeit der

Europäischen Bildungspolitik nicht. Sucht alternative Antworten auf

die Qualifikationserfordernisse des europaweiten Arbeitsmarktes

und gebt dem europäischen Druck zur Einführung eines outcome-

orientierten modularen Systems nicht nach. Klärt auf, sucht Allian-

zen und schließt Bündnisse mit den wirtschafts- und sozialstaatlich

orientierten Kräften in Parteien und Gesellschaft.

Die Zerstörung des dualen Systems ist mit einem sozialen Europa

nicht vereinbar. Dieser Zerstörungsprozess brächte erhebliche

Nachteile für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch

für die Gesellschaft insgesamt.

11. Empfehlung: Wir sehen berufliche Bildung als

öffentliches Gut

Haltet an beruflicher Bildung als einem öffentlichen Gut fest und

stärkt es. Bringt die grundlegende Reform des Berufsbildungsge-

setzes wieder auf die Tagesordnung, greift die wachsende Bedeu-

tung der Weiterbildung für die Arbeits- und Lebensbedingungen

eurer Mitglieder auf.

Ohne Strukturreformen erodiert das System der beruflichen Erst-

ausbildung. Das deutsche Weiterbildungssystem bleibt auch im

internationalen Vergleich weit zurück, erzeugt Barrieren für Teilnah-

me und wird selbst zur Innovations- und Wachstumsbremse.

8

Nach unserer Auffassung dürfen Bildungs- und Beschäftigungschan-

cen nicht als das Ergebnis ausschließlicher individueller Nutzen/

Kosten-Kalkulation und betrieblicher Entscheidungskalküle begriffen

werden.

Begriffe müssen ihre ursprüngliche Bedeutung zurückerhalten:

Reform verstehen wir als friedliche Neuerung, einen Schritt zu Mitbe-

stimmung und Teilhabe und nicht als Restauration frühindustrieller

Arbeitsbeziehungen. Unter Eigenverantwortung verstehen wir die Los-

lösung der einzelnen Menschen aus den Fängen verstaubter über-

mächtiger Institutionen und nicht die Verlagerungen von Risiken auf

den Einzelnen. Und schließlich verstehen wir unter Flexibilität die

Anpassung an eine veränderte Umwelt unter Berücksichtigung der

Interessen aller Betroffenen und nicht den unternehmerischen Traum

vom allzeit ein- oder freisetzbaren „entgrenzten“ Arbeitnehmer.

Als Kern des Sozialstaatsprinzips gilt die Aufgabe des Staates, sich

um eine solidarische Absicherung der Lebensrisiken der Menschen zu

kümmern. Eine Gesellschaft, die die Postulate von Gerechtigkeit und

Solidarität auf ihre Fahnen schreibt, muss die sozialen Sicherungen

erhalten und das Bildungssystem, auch die berufliche Bildung, nach-

haltig gestalten.

Wenn lebenslanges Lernen nur Anpassungsleistungen an parzielle

ökonomische Interessen meint und fremdgesetzten Individualisie-

rungs- und Flexibilisierungsstrategien unterworfen wird, erleben es

die Adressaten eher als Zumutung. Stattdessen braucht es für ein

zukunftsfähiges Konzept von Lernen, das sich am Lebenszyklus orien-

tiert, individuelle Zugangschancen, gemeinsame Verantwortung und

gesicherte Ordnung.

Eine Reform des beruflichen Bildungssystems, die am Berufsprinzip

festhält, erfüllt die gesellschaftlichen Anforderungen am besten.

Das Berufsprinzip ist die Form der Arbeitsorganisation, in der beson-

dere, beiden Arbeitsmarktparteien grundsätzlich einsichtige Qualifi-

kationsbündel als Ware angeboten werden, deren Spezialisierung

sich so weit von anderen abhebt, dass sie nicht ohne weiteres ersetzt

werden kann.

Vorweg: Die Kernaussagen der StreitschriftK

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Registrierte Erosionstendenzen der Beruflichkeit sind Indikatoren des

kontinuierlichen Wandels; sie signalisieren Anpassungsbedarf, nicht

aber die Hinfälligkeit des Berufsprinzips. Die Kontinuität diskontinu-

ierlicher Berufsverläufe ist Bestandteil der Geschichte kapitalistischer

Gesellschaftsverfassung.

Berufliche Handlungs- und Gestaltungskompetenz ist das Leitziel für

die berufliche Bildung. Es geht um ein Konzept, das am bewährten

Leitbild der Beruflichkeit menschlicher Arbeit festhält und gleichzeitig

Erstarrungen vorbeugt.

Statt das Berufsprinzip in Frage zu stellen, kommt es darauf an, die

Individuen in die Lage zu versetzen, sich Kompetenzen aneignen zu

können, die es ihnen erlauben, ihren Berufsweg aktiv zu gestalten.

Kernberufe bilden ein neues Fundament für eine enge Verzahnung mit

anschließenden und weiterführenden Fort- und Weiterbildungen, die

in zertifizierte Fortbildungsberufe einmünden kann.

Als über die berufliche Handlungskompetenz hinausgehende Zielset-

zung beruflicher Bildung ist die Entwicklung reflexiver Handlungs-

fähigkeit in der Arbeit anzusehen.

Wir brauchen ein Berufsbildungssystem, das die Abschlüsse verschie-

dener Lernwege aufnimmt, verzahnt und anerkennt. Wichtig ist dabei,

dass es um Konzepte geht, die Aus- und Weiterbildung zusammenfas-

sen, also eine berufliche Bildung denken.

Berufliche Bildung braucht lernförderliche Arbeit. Die Herstellung

einer lernförderlichen Arbeitsumgebung orientiert sich an Kriterien

und Maßnahmen: Handlungsspielraum, vollständige Handlungs- bzw.

Projektorientierung, Problem- und Komplexitätserfahrung, soziale

Unterstützung bzw. Kollektivität, individuelle Entwicklung und Refle-

xivität. Und sie bedarf der Begleitung und Beratung.

Eine lern- und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung ist in Anbin-

dung an Qualitätsstandards und berufliche Bildungsgänge vor-

zunehmen.

Eine Verengung der Kompetenzentwicklung auf betriebliche Lernorte

ist aus bildungspolitischer Sicht unhaltbar. Denn dies würde eine

Abkoppelung von den Strukturen des allgemeinen Bildungssystems

bedeuten. Daher kommt den Ansätzen zur Verbindung von informel-

lem und formellem Lernen ein erhebliches Gewicht zu.

Notwendig ist ein System berufsbezogener Schulen, das aus den

erwartbar zunehmenden Diskontinuitäten im Lebenszyklus des Ein-

zelnen Kontinuitäten macht, indem es Übergänge erleichtert, Durch-

lässigkeit garantiert und systematische Lernphasen ermöglicht. Es ist

deshalb ein schrittweiser Aufbau eines integrierten Berufsbildungssy-

stems anzusteuern, in dem die berufsbildenden Schulen ihren neuen

Part in einem konsequent dual aufgebauten System übernehmen.

Die beruflichen Schulen müssen aus ihrer reaktiven Rolle bei der Kri-

senbewältigung im System beruflicher Bildung herausgehen und

einen aktiveren Part übernehmen. Dazu gehört die Entwicklung

attraktiver vollzeitschulischer Ausbildungsgänge mit integrierten

betrieblichen Praxisanteilen. Notwendig ist dafür eine Neuverteilung

der Verantwortlichkeiten zwischen Region, Arbeitgeber und Gewerk-

schaften.

Menschen werden in ihrem Fühlen und Denken von jeweils konkreten

Gründen bewegt, zu lernen oder nicht zu lernen; diese Gründe sind

eng an die biografischen Erfahrungen, Erwartungen und Interessen

gebunden. Entscheidend für die Bereitschaft zu lernen sind die Lern-

gründe und nicht die Lernorte.

Mit der Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) und

dem Europäischen Kredittransfer und -akkumulationssystem für beruf-

liche Bildung (ECVET) käme es zu einer „outcome“-Orientierung der

beruflichen Bildung, zu einer Ablösung breiter gesellschaftlich nor-

mierter Qualifikationen durch schmale betriebsspezifische Kenntnisse

und Fertigkeiten und zu einer Modularisierung der Bildungsgänge.

Die Folgen für die berufliche Bildung wären die Entstehung eines

Markts für Ausbildungsmodule, eine Individualisierung der Ausbil-

dungswege sowie eine tendenziellen Verlagerung der Anerkennung

von Qualifikationen an Zertifizierungsagenturen oder -unternehmen.

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Das auf dem Berufsprinzip aufbauende Duale Berufsbildungssystem

wäre hierdurch gefährdet und es könnte wichtige Funktionen für Wirt-

schaft und Gesellschaft nicht mehr erbringen: Horizontale Mobilität ver-

löre ihre Basis; Sozialparteien und Staat würden aus ihrer Verantwortung

für die Ausbildung entlassen, stattdessen wären die Jugendlichen selbst

für die Gestaltung ihrer Ausbildung verantwortlich; Einrichtungen zur

Erfassung, Validierung und Zertifizierung von Kompetenzen würden

zusätzliche Kosten verursachen und schließlich würden Lohnverhand-

lungen von der tarifvertraglichen Ebene auf die betriebliche oder indivi-

duelle Ebene verlagert.

Die Diskussion um die konkrete Form, in der auf unterschiedliche Weise

entstandene Qualifikationen transparent gemacht werden sollen, war

und ist eine Sache von Insidern und massiv durch die Politik der EU-Kom-

mission beeinflusst. Eine solche wenig demokratische Begrenzung der

Entscheidungsfindung auf einige Insider verhindert eine breite kritische

Diskussion der Folgen von EQR und ECVET und über die Entwicklung von

Alternativen und Widerstand.

Es müssen Alternativen einer Berufsbildung entwickelt werden, die den

realen Anforderungen der sich allmählich entwickelnden europäischen

Arbeitsmärkte gerecht werden. Zur Durchsetzung solcher Alternativen ist

ein Bündnis von Gewerkschaften, Wirtschafts- und Branchenverbänden

sowie sozialstaatlich orientierten Kräften in Parteien und Gesellschaft

notwendig.

Die Teilbereiche im System der beruflichen Bildung in Deutschland

haben unterschiedliche Ausprägungen im Spektrum „mittlerer Systema-

tisierung“ zwischen Marktregulation, gesellschaftlicher (sozialpartner-

schaftlicher) und öffentlicher Verantwortung erhalten. Um eine Zukunfts-

fähigkeit der Berufsbildung zu sichern, müssen der anstehende

Reformbedarf aufgegriffen und Gestaltungshorizonte erweitert werden.

In sozialpartnerschaftlicher, gegebenenfalls auch öffentlicher Verantwor-

tung müssen stärkere finanzielle Förderung, institutionelle Trägerschaft,

infrastrukturelle Unterstützung und juristische Absicherung erfolgen.

Zentrales Finanzierungsinstrument eines beruflichen Bildungssystems

sollen von den Sozialparteien verantwortete Branchenfonds sein. Der

Staat widmet seine Zuschüsse zur einzelbetrieblichen Berufsausbildung

um und finanziert mit diesen Mitteln die Verwaltungskosten der Sektor-

fonds. Diese Fonds verteilen die Berufsbildungskosten auf alle Unter-

nehmen und ermöglichen es, das Finanzvolumen insgesamt zu erhöhen.

Die Einrichtung und Ausgestaltung des Berufsbildungsfonds ist Aufgabe

der Sozialparteien im Rahmen gesetzlicher Vorgaben.

Für die Aus- bzw. Weiterbildung ergeben sich unterschiedliche

Gewichte. Für die Finanzierung der Erstausbildung sollen allein die

Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen in die Fondsfinanzierung

einbezogen werden. Bei der Weiterbildung ergeben sich je nach

Machtkonstellation und Interessenausgleich in den einzelnen Wirt-

schaftsbereichen unterschiedliche Modelle von „cost-splitting“ und

„time-sharing“. Die Aushandlungsfelder zwischen Unternehmen und

Beschäftigten werden erweitert und neu bestimmt.

Neben der Geldfrage ist auch die Zeitfrage relevant. Die Ausweitung

der Weiterbildungszeit ist stets eine verteilungspolitische Entschei-

dung. Wer die Zeit für zusätzliche Weiterbildung aufbringt, trägt einen

relevanten Teil der gesamten Weiterbildungskosten. Da sich die Mach-

balance zwischen den Arbeitsmarktparteien verschoben hat, gilt es

den weit vorangeschrittenen Prozess der Privatisierung von Weiterbil-

dungskosten zu durchbrechen und ein vertretbares Neuarrangement

zwischen Eigenbeteiligung und generellen Anspruchsrechten zu fin-

den.

Der Anteil der öffentlichen Haushalte an der Bildungsfinanzierung ist

als dritte Komponente in das Gesamtmodell der Ressourcenverant-

wortung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern einzubeziehen.

Kernkonzept ist der Berufsbildungsfonds, der durch verschiedene

Quellen gespeist wird. Öffentliche Finanzverantwortung greift vor

allem orientiert am Prinzip kompensatorischer Gerechtigkeit. Es geht

darum, soziale Ungleichheiten auszugleichen und Teilhabemöglich-

keiten an Weiterbildung zu sichern.

Wir sprechen uns für einen kritisch-reflexiven Umgang mit der Qua-

litätsdiskussion aus. Die unvermeidliche Wertebindung eines interes-

senbezogenen Qualitätsverständnisses verweist auf die Beschränkt-

heit instrumenteller Zertifizierungs- und Akkreditierungsverfahren. Es

kommt darauf an, deutlich zu machen, dass Qualität in einem diffe-

renzierten System von beruflicher Bildung unterschiedlichen „Leitbil-

dern“, Werten, Normen und Interessen folgt.

Im Zuge der Hartz-Reform hat die Weiterbildungsförderung nach dem

SGB III unter dem Einfluss neuer Nutzenvorstellungen und -einschät-

zungen zu einem Prioritäten- und Systemwechsel geführt. Die Zielset-

zungen der Neuorientierung der SGB III-Förderung sind jedoch im

Wesentlichen verfehlt worden und müssen daher korrigiert werden.

Berücksichtigt werden muss, dass langfristige Weiterbildungsmaß-

nahmen für Arbeitslose die nachhaltigen Eingliederungschancen

erhöhen.

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Eine zukunftsgerichtete Weiterbildung für Arbeitslose nach dem SGB

III muss sich an den folgenden Kriterien orientieren: SGB III-Förde-

rung muss am Primat der Nachhaltigkeit festhalten; sinnvolle Qua-

litätsstandards und -sicherungen; Information und Beratung für Risi-

kogruppen und schließlich muss Weiterbildung für Arbeitslose

„Kerngeschäft“ der SGB III-Förderung bleiben.

Angesichts der aktuellen Defizite in der Weiterbildungsförderung für

Arbeitslose müssen alternative Finanzierungsinstrumente und -per-

spektiven entwickelt werden. Kurzfristig müssen alternative Förde-

rungsmöglichkeiten für die von aktuellen Kürzungen betroffenen

Erwerbslosen gefunden werden. Langfristig muss ein steuerfinanzier-

tes Modell entwickelt werden.

Um gleiche Rahmenbedingungen herzustellen, ist es notwendig, dass

der Bund die ihm zustehenden Kompetenzen wahrnimmt, um Schwer-

punkte und Vorgaben für Aktivitäten auf Landes- und Gemeindeebene

sowie Anregungen für tarifliche und betriebsverfassungsrechtliche

Ansätze festzulegen. Für die Nutzungsmöglichkeiten von Weiterbil-

dung ist es sinnvoll, mindestens einen Rahmenbereich in gesetzlichen

Regelungen des Bundes zusammenzufassen.

Dazu müssen die Gewerkschaften allerdings eine Doppelstrategie

entwickeln. Sie müssen die beruflichen Bildungsinteressen der

Arbeitnehmer umfassend aufgreifen und zu politischen Strategien

verdichten. Dabei sind auch die Instrumente stärker als bisher einzu-

setzen, die die ureigensten der Gewerkschaften sind: Tarifverträge

und Betriebsvereinbarungen. Sie müssen ein attraktives Leis-

tungsangebot für die Mitglieder aus dem Themenfeld der beruflichen

Bildung generieren. Besonders Leistungen aus den Bereichen Infor-

mation, Orientierung und Beratung.

Mit einem geschärften Profil in der beruflichen Bildung kann es gelin-

gen, Arbeitnehmergruppen zu erreichen, die bislang den Gewerk-

schaften skeptisch gegenüberstehen. Dies insbesondere dann, wenn

die Gewerkschaften es schaffen, sich hier kompetent und attraktiv

aufzustellen.

Die Gewerkschaften müssen die berufliche Bildung als einen Kompe-

tenzentwicklungspfad begreifen, der auf hochquaifizierte Arbeitskräf-

te und entsprechend auf ein personalorientiertes Produktionsmodell

setzt.

14

Inhaltsverzeichnis

1. Wie und wofür wollen wir lernen? 161.1. Neue und alte Herausforderungen der Arbeitswelt 16

1.2. Der Kampf um die Begriffe 23

1.3. Kompetenzen für das Leben und die Arbeit oder

lebenslänglich lernen? 29

1.4. Warum Beruf statt training on the job? 32

Kernaussagen 34

2. Wie wichtig ist der Beruf? 352.1. Warum die Berufsförmigkeit erodiert – und warum nicht 36

2.2. Prinzipien der Beruflichkeit 37

Kernaussagen 42

3. Wo und wie soll was gelernt werden? 433.1. Lernen im Arbeitszusammenhang 43

Lernförderliche Arbeitsgestaltung 43

Lernformen, die Arbeiten und Lernen verbinden 47

3.2. Die beruflichen Schulen der Zukunft 48

3.3. Lernwiderstände durch fehlende Bedeutsamkeit 53

Fehlende Lerngründe 53

Bedeutsame Ordnungen 54

Subjektorientierte Lernberatung 55

Perspektiven expansiven Lernens 55

Kernaussagen 57

4. Welche Folgen wird Berufsbildungspolitik auf

europäischer Ebene haben? 584.1. Bescheidene Chancen, große Risiken 59

4.2. Aufklärung und Widerstand 64

Kernaussagen 69

Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen

Bildung ist keine Ware

15

5. Wer trägt die Verantwortung? 705.1. Zwischen Marktregulierung und Staatssteuerung 70

Öffentliche Verantwortung und Komplexität

der Berufsbildung 74

Diskrepanz zwischen Reformbedarf und

Gestaltungshorizonten 78

5.2. Finanzierungsverantwortung für die Berufsbildung 79

Branchenfonds als zentrale Finanzierungsinstrumente 80

Weiterbildungskosten und -zeiten 84

Öffentliche Finanzierungsverantwortung 88

Kernaussagen 90

5.3. Qualität in der beruflichen Bildung 92

Impulse der Qualitätsdiskussion 92

Interessenpositionen und die Notwendigkeit

von Wertebezügen 96

5.4. Berufsbildung angesichts steigender Erwerbslosigkeit 97

Von einer restriktiven wieder zu einer aktiven

Arbeitsmarktpolitik 97

Die Notwendigkeit alternativer Instrumente 102

5.5. Regelungsebenen für die Berufsbildung 103

Kernaussagen 105

6. Was sind die Herausforderungen für die

Gewerkschaften? 1086.1. Berufliche Bildung ist Kerngeschäft 109

6.2. Zukünftige Handlungsfelder 109

6.3. Gestaltungsoptionen 113

Kernaussagen 115

Anhang 116

Eine Streitschrift zur beruflichen Bildung

Kapitel 1

16

1. Wie und wofür wollen wir lernen?

Wie die Menschen heute und morgen leben, arbeiten und lernen wollen,

ist die ebenso umstrittene wie entscheidende Frage, wenn es um die

Gestaltung nachhaltiger Berufsbildung geht. Bildung ist die Vorausset-

zung für Teilhabe am Arbeitsleben und gleichzeitig Bedingung für

Wachstum. Zu fragen ist danach, wie in Zukunft berufliche Bildung als

Einheit von Aus- und Weiterbildung aussehen soll. Eine solche Gesamt-

sicht der beiden Bereiche, die bisher getrennt betrachtet werden, halten

wir für erforderlich, da diese Perspektive für beide Bildungsfelder neue

Möglichkeiten eröffnet, z.B. bei der Gestaltung von Ausbildungsgängen

und Weiterbildungsoptionen.

Der Wissenschaftliche Beraterkreis der Gewerkschaften ver.di und

IG Metall hält es für äußerst wichtig, aus den Zwängen der alltäglichen

Bearbeitung des Notwendigsten herauszutreten und über grundlegen-

de Fragen der Berufsbildung und ihrer Gestaltung in einer Gesellschaft,

die sich als Wissensgesellschaft versteht, nachzudenken. Dieses grund-

legende Nachdenken bedarf einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber

ungewohnten Perspektiven und innovativen Ideen, die im Alltag der ver-

öffentlichten Meinung nicht thematisiert werden. Insbesondere bedarf

es des Nachdenkens über die Hintergründe gegenwärtiger Abläufe und

Tendenzen, die den Rahmen einer Entwicklung bilden, die in der ein-

schlägigen Diskussion als „Erosion des Berufs“ und des damit ver-

knüpften Systems der Berufsbildung behandelt wird.

Wir verstehen unsere Streitschrift als Anstoß zu einer Diskussion auch

darüber, wie die lernenden und arbeitenden Menschen bei der Gestal-

tung der Berufsbildung aktiv beteiligt werden können.

Wir gehen davon aus, dass es im gesellschaftlichen, individuellen und

ökonomischen Interesse ist, gut ausgebildete Arbeitskräfte zu haben,

die letztlich die Innovationsfähigkeit der Unternehmen sichern. In die-

sem Sinne sind unsere Berufsbildungsstrukturen neu zu gestalten.

Bei der Erarbeitung dieser Streitschrift haben alle Unterzeichner Kom-

promissen zustimmen müssen, die mehr oder weniger weit reichen.

1.1. Neue und alte Herausforderungen der Arbeitswelt

Die Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, sind zum Teil

„alte Bekannte“. Da sind zunächst die zunehmende Dynamik der

Arbeitswelt mit u.a. der steigenden Erwerbsquote von Frauen sowie

Investitionen

Die Investitionen in

das Humankapital und

in Forschung und Ent-

wicklung stagnieren in

ihrer relativen Bedeu-

tung seit 1989.

Kapitel 1

17

dem zunehmenden Anteil atypischer Beschäftigter zu nennen. Die Trieb-

kräfte dieser Dynamik sind vielfältig: Die Globalisierung der Güter-,

Kapital- und Arbeitsmärkte verstärkt den internationalen Wettbewerbs-

druck und stellt die arbeitenden Menschen vor neue Anforderungen. Sie

müssen den Strukturwandel meistern, der zu einer Verschiebung vom

industriellen Sektor zum Dienstleistungssektor führt sowie Veränderun-

gen der Arbeitsorganisation, die neue Anforderungen an die Beschäftig-

ten mit sich bringen und auch die zunehmende Geschwindigkeit, mit der

sich technische Neuerungen, wie Informations- und Kommunikations-

technik durchsetzen.

Von neuer Qualität sind die Herausforderungen des demografischen

Wandels. Rückläufige Geburtenzahlen und steigende Lebenserwartung

werden das zahlenmäßige Verhältnis der Altersjahrgänge im Erwerbsle-

ben in den nächsten zwei Jahrzehnten schwergewichtig in Richtung der

älteren Jahrgänge verschieben. Der Anteil der Älteren, der über 50-Jähri-

gen am Erwerbspersonenpotenzial wird von heute 22 % auf 36 % im

Jahre 2020 steigen, ihre absolute Zahl wird einen Zuwachs von über 50 %

erfahren. Die Innovation des Wissens in den Betrieben kann also immer

weniger über den Generationenwechsel geleistet werden, sondern muss

zunehmend durch die Qualifizierung der Mitarbeiter erfolgen.

Wir können einen Prozess der Individualisierung – nicht nur in der

Berufsbildung – feststellen. Unter dem jahrelangen Meinungsdruck von

Wirtschaftsliberalen hat die Regierung soziale Reformen inszeniert, die

auf einen Abbau des Sozialstaats und eine Deformation der Solidarität-

sprinzipien hinauslaufen. Wenn wir ihre Auswirkungen auf das Bil-

dungs- und Beschäftigungssystem beurteilen, sehen wir sie durch vier

Merkmale gekennzeichnet: 1. Die Risiken, die nicht durch Fehlverhalten

des/der einzelnen Menschen, sondern durch gesellschaftliche Verhält-

nisse verursacht sind, werden individualisiert, d.h. auf den einzelnen

Menschen abgewälzt. Die fehlende tatsächliche, nicht bloß formale

Gleichheit der Zugangschancen zu Bildung und Arbeitsplätzen ist ein

solches gesellschaftliches Risiko. 2. Die solidarische Absicherung die-

ses Risikos wird tendenziell zurückgenommen und der privaten Vorsor-

ge übertragen. 3. „Bildungsgüter“ werden der Marktsteuerung überlas-

sen. Bildung und Erwerbsarbeit gelten zunehmend als Handelsware und

privater Tauschgegenstand. 4. Unter dem Vorwand einer Wissensgesell-

schaft werden ausschließlich technische und naturwissenschaftliche

Fachkompetenzen als „moderne“ Bildung ausgewiesen und damit per-

sonale, kommunikative, politische und moralische Kompetenzen ins bil-

dungs- und beschäftigungspolitische Abseits gedrängt.

Bildungsschwäche

Deutschland leidet

unter einer bildungs-

bedingten Wachstums-

und Innovations-

schwäche.

Kapitel 1

18

Dass unser Berufsbildungssystem nicht allen Menschen die gleichen

Entwicklungsmöglichkeiten bietet, ist hinlänglich bekannt. Besonders

deutlich zeigt sich dies im Weiterbildungssystem, das hochgradig

selektiv ist. Und altbekannt, aber immer noch nicht gelöst ist das Pro-

blem, dass das Berufsbildungssystem sehr anfällig auf konjunkturelle

Schwankungen reagiert. Neu hinzu kommt ein Qualitätsdefizit, das

zum Teil schon vor der Berufsbildung zu verorten ist, wie der PISA-Pro-

zess wieder einmal belegt, sich aber nicht auf die Zeit der schulischen

Ausbildung beschränkt, wie die Suche nach Qualitätssicherungsver-

fahren zeigt. Gesucht wird nach Systemqualität, die sich an den Inter-

essen der Lernenden misst.

Die Zukunft der Facharbeit wird in der öffentlichen Diskussion in Frage

gestellt. Gleichzeitig wächst der Druck, berufliche Bildung für Un- und

Angelernte bereit zu stellen, um deren Potenziale kurzfristig und

kostengünstig nutzen zu können. Angesichts steigender Flexibilität

der Arbeitsprozesse muss man sich gerade in diesen Erwerbsgruppen

mit der Frage der Modularisierung der Berufsbildung auseinander set-

zen.

Diese neuen und alten Probleme verschärfen sich vor dem Hintergrund

verfestigter Massenarbeitslosigkeit – über fünf Millionen Menschen

sind ohne Arbeit – die zu einer gesellschaftlichen Spaltung zwischen

Erwerbstätigen und Arbeitslosen geführt hat: Zu einer Spaltung zwi-

schen denen, die am steigenden wirtschaftlichen Wohlstand Anteil

haben, und denen, die davon ausgeschlossen sind. Zwischen den

Jugendlichen, die auf Grund der Einkommen und der Bildung der Eltern

einen ungehinderten Zugang zu den Bildungsgütern haben, und sol-

chen Jugendlichen, denen dieser Zugang versperrt ist. Die Schere zwi-

schen Arm und Reich geht auseinander. 1993 besaßen 10% der reich-

sten Haushalte fast 45 % des gesamten deutschen Nettovermögens,

2003 waren es knapp 47 %. Die ärmsten 10% der Haushalte waren

2003 in Höhe von 0,6 % des deutschen Nettovermögens verschuldet,

1993 hatte ihre Verschuldung erst bei 0,2 % gelegen. Verteilungsfra-

gen sind bildungspolitisch nicht neutral, sondern entscheidend für die

Bildungschancen der einzelnen Menschen. Die Armut allein erziehen-

der Frauen, die wachsende Armut Geringverdienender und Kinderar-

mut – heute wächst jedes fünfte Kind in Armut auf – lassen die gegen-

wärtige Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik unglaubwürdig werden.

Gestützt werden diese Entwicklungen durch ein marktradikales wirt-

schaftspolitisches Konzept, das einem ideologischen Glaubensbe-

kenntnis gleicht, da es sich gegen alle Einwände und Vorbehalte

Kapitel 1

19

immunisiert. Dieser ökonomische Fundamentalismus öffnet die Tür zu

mindestens vier auffälligen Fehldiagnosen:

1. Als erstes ist der alles beherrschende Mikroblick zu nennen.

Bildungs- und Beschäftigungschancen werden als Ergebnis einer

Nutzen/Kosten-Kalkulation begriffen, für die ausschließlich der ein-

zelne Mensch verantwortlich sein soll. Bildungs- und Beschäfti-

gungsrisiken werden so einem Unfallrisiko vergleichbar, gegen dass

man sich mit einer Autoversicherung schützt. Um die Nutzen/

Kosten-Kalkulation zu verbessern sowie die Anreize zu erhöhen, Bil-

dungsangebote anzunehmen bzw. sich dem regulären Arbeitsmarkt

zur Verfügung zu stellen, sei eine stärkere finanzielle Selbstbeteili-

gung der einzelnen Menschen an den Bildungsausgaben bzw. den

Kosten der Arbeitsverweigerung notwendig, meinen die marktradi-

kalen wirtschaftsliberalen Modellkonstrukteure.

2. Ähnlich verschleiernd wirkt zweitens die ausschließlich betriebs-

und einzelwirtschaftliche Deutung des Bildungs- und Beschäfti-

gungssystems. Unternehmen, die nicht autonom auf die Gesamt-

nachfrage und ihre längerfristigen Gewinnerwartungen einwirken

können, sehen sich genötigt, die Stellgrößen zu beeinflussen, die

ihnen kurzfristig zugänglich sind: die Lohnkosten, die Ausgaben für

berufliche Bildung, die Sozialabgaben und die Steuern. Eine solche

Vorgehensweise mag für das einzelne Unternehmen plausibel sein.

Verhalten sich jedoch alle Unternehmen so, trägt das zu einer

Abwärtsspirale bei, in welcher der gesamtwirtschaftliche Kreislauf,

die kaufkräftige Nachfrage, die Qualifikation des Arbeitsvermögens

und die eigenen Gewinnchancen schrumpfen.

3. Die dritte Fehldiagnose liegt darin, dass der Hauptschlüssel der Kri-

senerklärung und Krisenbewältigung im vermeintlich unflexiblem

Arbeitsmarkt gesehen wird. Die Lockerung der Beschäftigungsver-

hältnisse und die sozialrechtlichen Arbeitsgelegenheiten mit Mehr-

aufwandsentschädigung sollen die Betroffenen nötigen, den finan-

ziellen und persönlichen Aufwand für eine qualifizierende

berufliche Bildung zu erhöhen. Die bildungs- und beschäftigungsre-

levante Fehlsteuerung der Finanz- und Gütermärkte wird weithin

ausgeblendet. Die politisch geförderte Ausweitung atypischer

Beschäftigungsverhältnisse wird aber auf lange Sicht wirtschaftli-

ches Wachstum behindern und sich für das Funktionieren des

Arbeitsmarktes als dysfunktional erweisen. Bereits unter den gege-

benen Verhältnissen wächst der Anteil der Beschäftigten, die von

Weiterbildung ausgeschlossen sind. So findet z. B. in prekären

Ausbildungs-

betriebe

Nur noch 23,4 % aller

Betriebe bilden aus.

Diese Zahl ist zu

gering, um ein aus-

wahlfähiges Angebot

zu sichern.

Berufliche Bildung vermittelt Lebensqualität

und die Fähigkeit, selbstbestimmt zu handeln.

Daher bin ich der Auffassung, dass in demokra-

tischen Gesellschaften der gleiche Zugang zu

Bildungsgütern für alle Bürgerinnen und

Bürger zu einem Grundrechtsanspruch werden

muss. Ausgangspunkt ist das Teilhaberecht auf

Bildung, wie es das Bundesverfassungsgericht

anerkannt hat. Über eine Grundausstattung mit

Bildungsgütern müssen alle Mitglieder der

Gesellschaft unabhängig von ihrer Kaufkraft,

ihrem Arbeitsvermögen und ihrer Geschlechts-

zugehörigkeit verfügen können.

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Universität Kassel

Kapitel 1

22

Beschäftigungsverhältnissen (Fristverträge, Leiharbeit, Teilzeitar-

beit und geringfügige Arbeit) Weiterbildung kaum statt.

4. Die vierte Fehldiagnose liegt in der eindimensionalen marktwirt-

schaftlichen Betrachtung der beruflichen Bildung und der Erwerbs-

arbeit. Die marktradikalen, wirtschaftsliberalen Glaubenslehrer pro-

pagieren diese Güter häufig als Wirtschaftsgüter wie viele andere,

die der Marktsteuerung von Angebot und Nachfrage unterliegen.

Die berufliche Bildung und die Erwerbsarbeit restlos anderen Waren

und Dienstleistungen wie Fallobst, Kühlschränken und Ferienreisen

gleich zu stellen, ist jedoch ein Fehlschluss der neoliberalen Öko-

nomie.

Die marktradikale Perspektive vernachlässigt, dass in der modernen

Arbeitsgesellschaft die Beteiligung an der Erwerbsarbeit und der

allgemeine Zugang zu Bildung „für alle“ nach wie vor der Haupt-

schlüssel für gesellschaftliche Anerkennung, persönliche Identität

und wirtschaftlichen Wohlstand sind. Erwerbsarbeit und Bildung:

beides eröffnet für die Mehrheit der Bevölkerung erst die reale

Chance, ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben zu

führen, am wirtschaftlichen Reichtum beteiligt zu werden, in Part-

nerschaften mit Kindern zu leben, zumindest in Teilen autonom über

die Arbeits- und Lebenszeit zu verfügen, eine angemessene Balance

zwischen Erwerbsleben und Privatsphäre zu halten sowie im Ein-

klang mit der natürlichen Umwelt zu leben.

Und die marktradikale Perspektive vernachlässigt, dass Bildung,

berufliche Bildung und Arbeit keine Güter wie viele andere sind.

Wenn Menschen nach Bildung streben, sind sie dafür von einem

mehrdimensionalen Motivbündel bewegt. Folglich ist Bildung den

so genannten Vertrauensgütern zuzuordnen. Das heißt: Zwischen

denen, die „Bildungsgüter“ anbieten, und denen, die sie in

Anspruch nehmen, besteht ein ungleiches Verhältnis der Informati-

on und Kompetenz. Da die Nachfragenden die Qualität eines Bil-

dungsprozesses, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt,

nicht ganz und sofort durchschauen können, sind sie darauf ange-

wiesen, denen zu vertrauen, die diese Dienste anbieten. Sie brau-

chen außerdem eine Verhandlungsposition, die sie der Marktmacht

der Anbieter nicht ausliefert. Zudem hat Bildung externe, also

außerhalb des einzelnen Menschen liegende und über ihn hinaus-

weisende Wirkungen, die gesellschaftlich vorteilhaft, jedoch nicht

dem einzelnen Menschen zuzurechnen sind: Bildungsgüter werden

gemeinsam hergestellt und gemeinsam genutzt. Rein privatwirt-

Weiterbildungs-

ausgaben

Seit 1992 sinken die

öffentlichen und

stagnieren die betrieb-

lichen Ausgaben für

Weiterbildung.

Kapitel 1

23

schaftlich würden sie nur verzerrt angeboten und nachgefragt, weil

Marktsignale, die hinreichende Informationen liefern und kreative

Reaktionen auslösen, nicht zu Stande kommen. So gibt es aus der

Mikroperspektive bereits gute ökonomische Gründe dafür, Bildung

öffentlich bereitzustellen oder deren Bereitstellung in öffentlicher

Verantwortung zu regeln.

Berufliche Bildung sollte aus der instrumentellen Verengung befreit

werden. Berufliche Bildung schließt die Befähigung und Ermächti-

gung zum mündigen Subjekt ein, das Vermögen, „die eigene

Geschichte erzählen zu können“, kognitive, praktische und kommu-

nikative Kompetenzen – beispielsweise die Fähigkeit, technisches

und ökonomisches Wissen zu verarbeiten, ein Urteilsvermögen, das

Wichtiges von Unwichtigem, wahres von falschem Wissen unter-

scheidet, Bereitschaft zu Kooperation, Partnerfähigkeit, politisches

Interesse an der Gleichstellung der Geschlechter und demokrati-

scher Beteiligung, Zivilcourage und moralische Orientierung.

1.2. Der Kampf um die Begriffe

Eine immer unverhohlenere, weitgreifende, mediengestützte Umwer-

tung der Begriffe ist im Gange. Die Begriffe, die den Prozess der Befrei-

ung des Einzelnen und ganzer gesellschaftlicher Stände und Klassen

aus der Not der Fremdbestimmung durch den adligen Landesherrn und

später durch den frühkapitalistischen Unternehmer begleiteten, werden

einer nach dem anderen ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und

oft in ihr Gegenteil verkehrt. Der Kampf um die Begriffe ist ein Macht-

kampf. Wer sich die Begriffe wegnehmen lässt, ist im Machtkampf

stumm.

Das fängt an bei der „Reform“, die vor allem im 19. und 20. Jahrhundert

immer als friedliche Neuerung zum Besseren verstanden wurde, in der

Arbeitnehmerbewegung immer als Schritt hin zu Mitbestimmung und

Teilnahme an Gesellschaft. Heute bedeutet „Reform“ vielfach das

genaue Gegenteil, nämlich die Restauration frühindustrieller Arbeitsbe-

ziehungen; tatsächlich handelt es sich dabei um Rückwendungen zu

liberalen Diskursen des 18. Jahrhunderts. Und die Umdeutung hört bei

der „Selbstverantwortung“, die im Gefolge der europäischen Auf-

klärung die Loslösung des Individuums aus fataler Fremdbestimmung

bedeutete, nicht auf.

Kapitel 1

24

· Hervorhebenswert ist zuallererst die Pervertierung des Begriffs

„Eigenverantwortung“. In neuer Lesart soll er die Loslösung des

Individuums aus den Fängen vermeintlich übermächtiger, verstaub-

ter Institutionen signalisieren, die seinen Freiheitsdrang begrenzen

und seine Möglichkeiten beschneiden – wobei das trauernde

Gesicht des doppelköpfigen Januskopfes der diagnostizierten Indi-

vidualisierung tunlichst verschwiegen wird: die Vereinzelung der

Individuen. In einer wachsenden Weltgesellschaft sind die einzel-

nen Menschen in zunehmendem Maße auf eben die Institutionen

der Lebenssicherung angewiesen, aus denen sie jetzt „befreit“ wer-

den sollen. Tatsächlich bedeutet die auf sich selbst gestellte „Eigen-

verantwortung“ des wieder hervorgekramten neoliberalen Gesell-

schaftsentwurfs die Freisetzung der einzelnen Menschen in eine

Verantwortung ohne gesellschaftliche Ressourcen. Mit dieser so

definierten „Eigenverantwortung“ wird letztlich nur eine Umvertei-

lung von Kosten angestrebt, nicht aber die Förderung des mündigen

Bürgers, der in die Lage versetzt werden soll, tatsächlich über Wahl-

möglichkeiten zu verfügen. Denn dies würde bedeuten, die Bürger

auch mit den dafür notwendigen Ressourcen auszustatten. Da dies

nicht erfolgt, wird aus der Eigenverantwortung damit die „Selbst-

verantwortung“, auch für die Bildungsprozesse: Nach einer zuneh-

mend zu verkürzenden, zunehmend selbst zu finanzierenden Grund-

bildung sollen die jetzigen und mehr noch die kommenden

Erwerbstätigengenerationen alle aufbauenden, weiterführenden

und innovativen Bildungsprozesse selbst steuern, selbst organisie-

ren und natürlich auch selbst bezahlen. Der rasante Rückgang von

der Arbeitsverwaltung finanzierter Bildungsmaßnahmen indiziert

nur die allgemeine Verlagerung aller Risiken. Im Verein mit einem

chaotischen „freien“ Weiterbildungsmarkt fällt so auch das Risiko

dem selbstverantwortlichen einzelnen Arbeitnehmer zu: den

falschen Anbieter, einen ungeeigneten Kurs zu wählen, mehr noch:

zwar den geeigneten Kurs und den dafür richtigen Anbieter, aber

einfach eine schnell obsolete Qualifizierung zu wählen, weil die

Betriebe oft selbst nicht wissen, was sie brauchen.

· „Flexibilisierung“, der unternehmerische Traum vom allzeit, je nach

aktuellem Bedarf ein- oder freisetzbaren, „entgrenzten“ Arbeitneh-

mer – Leiharbeit hat in ihm ihren Ursprung und in der „Ich-AG“ fin-

det sie ihre Vollendung. Die „Ich-AG“ ist nicht nur Arbeitskraftunter-

nehmer, der die Probleme des Arbeitsmarktes in sich selbst hinein

verlagert, indem er als Arbeitskraftanbieter und Arbeitskraft sowohl

Kapitel 1

25

nachfragender als auch optimal (selbst-)ausbeutender Unterneh-

mer agiert. Denn als „Aktiengesellschaft“ repräsentiert die „Ich-

AG“ zugleich die Anteilseigner („Shareholder“), die gewinnorien-

tiert denken und mit Arbeitskraft bekanntlich nicht unbedingt

zimperlich umgehen. Selbstredend hat auch die „Ich-AG“ für die

Aktualisierung ihres Humankapitals selbst zu sorgen – ohne, anders

als ihre großen Schwestern, Kosten und Risiken über den Preisme-

chanismus auf Dritte überwälzen zu können. Tatsächlich handelt es

sich bei den „Ich-AGs“ weit überwiegend um auf sich selbst gestell-

te Arbeit(sauftrags)nehmer: um Schein-Selbständige, die aus dem

Arbeitsrecht ausgegrenzt sind.

· Bildungspolitische Kompetenz, wie wir sie in einem umfassenden

Sinne verstehen, wird in der internationalen Diskussion mehr und

mehr durch den verengten Begriff der „competencies“ ersetzt, der

aus dem Anglo-Amerikanischen entlehnt ist. Dieser Begriff meint

aber nur eine schmale Qualifikation, „skills“, die im „training on the

job“ vermittelt werden. Qualifizierte Arbeit braucht aber eine fun-

dierte berufliche Bildung. Ein bloßes „training on the job“ wird die-

sem Erfordernis nicht gerecht.

· Vorsicht ist auch geboten, wenn heute überall die Modularisierung

von Aus- und Weiterbildungsgängen gefordert wird. Modularisie-

rung ist nicht grundsätzlich falsch. Wir fragen aber, was modulari-

siert werden soll. Notwendige Zusammenhänge dürfen nicht zer-

stückelt und mit dem Ziel eines lediglich betriebsorientierten

Patchwork-Lernens aus der Bildung ausgeblendet werden.

· Verbunden mit der neoliberalen Umdeutung und der Rückverwei-

sung auf das Individuum erfahren auch die Begriffe Gerechtigkeit

und Solidarität eine Um- bzw. Abwertung. In Artikel 20 Abs. 1 des

Grundgesetzes steht: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein

demokratischer und sozialer Bundesstaat. Artikel 20 Abs. 3 ergänzt:

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die voll-

ziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht

gebunden. In diesen beiden Absätzen sind das Sozialstaatsprinzip

und das Rechtsstaatsprinzip verankert. Als Teil des Rechtsstaats-

prinzips werden die Rechtssicherheit und die materielle Gerechtig-

keit betrachtet. Als Kern des Sozialstaatsprinzips wird anerkannt,

dass der Staat sich um eine solidarische Bewältigung von Lebensri-

siken der Menschen kümmern muss.

Gleichheit und Gerechtigkeit sind Geschwister. Nach dem Differenz-

prinzip darf es den Wohlhabenden besser gehen, so lange die

Bessere Bildung ist gerecht. Diese Erkenntnis

muss ihren Niederschlag in einer verbesserten

beruflichen Bildung finden. Hier liegt vieles im

Argen. Wir brauchen Schulen, die soziale

Benachteiligungen nicht noch verstärken wie

gegenwärtig, sondern abbauen. Wir brauchen

mehr und bessere Angebote von Ausbildungs-

plätzen. Wir brauchen eine bessere und

umfangreichere Weiterbildung. Eine Gesell-

schaft, die das Postulat der Gerechtigkeit und

der Solidarität auf ihre Fahnen schreibt, muss

die sozialen Sicherungen erhalten und die

Bildung, auch und gerade die berufliche Bil-

dung, verbessern. Das ist sozial und gerecht.

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Philosophisch-theologische Hochschule

St. Georgen, Frankfurt

Kapitel 1

28

Lebensqualität der Benachteiligten nicht sinkt. In Deutschland

wurde dieses Maßverhältnis lange als Prinzip der „sozialen Markt-

wirtschaft“ anerkannt. Für die heutige veröffentlichte Meinung exi-

stieren diese Ziele nicht. Die Neoliberalen wollen eine möglichst

totale Marktwirtschaft, das sozialstaatliche Korrektiv soll so weit

wie möglich zurückgedrängt werden. Dahinter steckt der Irrglaube,

der Markt werde „es schon richten“. In diesem Zusammenhang wird

Marktversagen geleugnet und in ein Staatsversagen uminterpre-

tiert. Folglich sollen der Sozialstaat und die soziale Sicherung noch

weiter abgebaut werden. Das Scheitern dieser Politik ist manifest.

Die Menschen haben Angst. Sie halten in Erwartung weiterer so

genannter Reformen, mit denen der Abbau der sozialen Sicherun-

gen rhetorisch vertuscht wird, das ihnen verbliebene Geld zusam-

men und schränken ihren Konsum ein.

Es ist ein Irrglaube, dass Solidarität nicht effizient sei. Im Gegenteil:

Solidarität schafft die Basis für das gegenseitige Vertrauen, für das

Sicherheitsgefühl, auf dessen Grundlage Kreativität und Innovation

gedeihen. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht ist es effizient,

sowohl die Erwerbstätigkeit auszuweiten wie auch die Produkti-

vitätsfortschritte zu nutzen. Die Erwerbstätigen erzeugen bei hoher

Produktivität eine Wertschöpfung, die sowohl für den eigenen

Lebensunterhalt als auch für den Lebensunterhalt der noch nicht

und nicht mehr Erwerbstätigen ausreicht. Mehr Solidarität in Wirt-

schaft und Gesellschaft würde den Menschen nicht nur die Angst

nehmen und ihre Konsumabstinenz beenden, sie könnte auch wirt-

schaftlich erfolgreich das so genannte Generationenproblem ange-

hen. Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil verbessern wir mit

einer Ausweitung der Solidarität in unserer Gesellschaft die Chan-

cen der nachfolgenden Generationen. Dies wird an den Bildungsin-

vestitionen deutlich. Eine gute Berufsausbildung – solidarisch von

der heutigen Generation finanziert – sichert die Zukunftschancen

der jungen Generation. Ineffizient ist es, die Menschen in Erwerbs-

losigkeit verharren zu lassen und die junge Generation von Bildung-

schancen auszuschließen.

Marktversagen

Nur noch 50 % der

Ausbildungsbewerber

wurden über Jahre hin-

weg mit Ausbildung

versorgt.

Kapitel 1

29

1.3. Kompetenzen für das Leben und die Arbeit oder

lebenslänglich lernen?

Die seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts geführte und seit Ende

der 80er Jahre verstärkte gesellschaftliche Debatte um das „lebenslan-

ge Lernen“ – heute heißt das aus Akzeptanzgründen öfter „lebensbe-

gleitendes Lernen“ – ist vor allem deshalb ein Dauerbrenner, weil allen

„Qualifizierungsoffensiven“ und „Lernkultur“-Revolutionen ein harter

Trend entgegen wirkt: Im globalen Wissens-Konkurrenzkampf bleibt das

deutsche Schulsystem – bei nur mittelmäßigem Abschneiden in den

internationalen Qualifikationstests – noch immer den Ordnungsvorstel-

lungen aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts verhaftet. Das duale

berufliche Bildungssystem erodiert. Die Beteiligungsquoten an berufli-

cher Weiterbildung gehen wieder zurück anstatt anzusteigen.

Die Karriere des Konzepts „Lebenslanges Lernen“ ist Ergebnis eines

Zeitbruchs. Die Behauptung vom permanenten Wandel – dass sich

Anforderungen an Lernen und Wissen mit fortschreitender Dynamik

ändern – ist zu einem zentralen Legitimationsmuster geworden. Der

Weg zur „Wissensgesellschaft“, in der Lernen allgegenwärtig, perma-

nent und total geworden sei, wird als das „zukunftsfähige“ und „nach-

haltige“ Entwicklungsmodell ausgemalt. Die traditionelle Abgrenzung

zwischen Lernzeiten und Erwerbszeiten im Lebenslauf wird zunehmend

fraglich. Das Dreiphasenschema der Erwerbsbiografie – Ausbildung,

Einsatz und Ruhestand – wird flexibilisiert. Dabei entstehen neue For-

men der Verschränkung von Arbeiten und Lernen. „Lifelong learning“

erhält biografische Kontinuität über alle Phasen des Lebens und ent-

grenzt sich aus den traditionellen Institutionen. Lernen wird im Konzept

„Lebenslanges Lernen“ über die Lebensspanne verteilt gegliedert in

kürzere Abschnitte und erhält wachsenden Umfang.

„Lebenslanges Lernen“ ist gekennzeichnet durch große Spielräume für

Ausgestaltung und Umsetzung in einer Ambivalenz von Zwang und Frei-

heit: Wenn auf ökonomische Anpassung hingewiesen wird, droht eine

permanente Umstellung. Dies hat die Kritik provoziert, es gehe um

„lebenslängliche“ Zumutung.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Zweifellos ist eine Individualisie-

rung aller Lebenswahlen eine Last. Gleichzeitig ermöglicht Individuali-

sierung aber auch Gestaltungsoffenheit gegenüber der eigenen Lebens-

zeit, gelungenen Kompetenzerwerb, biografische Neuorientierung und

persönliche Arbeitsplatzsicherung.

Teilnahme

1997 haben sich 48 %

der 19- bis 64-jährigen

weitergebildet, 2003

waren es nur noch

41 %.

Einen wesentlichen Grund für die mangelnde

Bereitschaft, sich permanent zu bilden, sehe ich

darin, dass eine an den Lebensinteressen der

Arbeitnehmer orientierte Zielrichtung fehlt.

Es herrscht die Erfahrung vor, dass die Ver-

sprechungen, nach Lernanstrengungen einen

gesicherten, vielleicht mit Aufstiegschancen

verbundenen Arbeitsplatz zu bekommen oder

zu erhalten, nicht eingelöst werden.

Dr. Axel Bolder

Universität Duisburg-Essen

Institut für Berufs- und Weiterbildung

Kapitel 1

32

Wenn beim „Lebenslangen Lernen“ nicht „Lernen ohne Ende“ angesagt

sein soll, braucht es gleichzeitig persönliche Beteiligungsbereitschaft,

gemeinsame Verantwortung und gesicherte Ordnung. Wenn „Lebens-

langes Lernen“ lediglich Individualisierungs- und Flexibilisierungsstra-

tegien unterworfen wird, wird es für die Lernenden eher negative Effek-

te haben und als Zwang erlebt. Wenn aber in einem System

„lebensentfaltender Bildung“ Identitätsentwicklung ermöglicht wird,

kann es die Gestaltungschancen und Lernbereitschaft der Lernenden

erhöhen.

Mit dem Versuch, Einstellungen und Motive derer zu manipulieren,

umzulenken, die auf abhängige Arbeit angewiesen sind, sollen diese

auf den Weg der „am Wohl der Wirtschaft“ orientierten „Eigenverant-

wortung“ geführt werden. Die Anbindung der (potenziellen) Erwerb-

stätigen, ihrer Sozialisations- und Lernprozesse, ihres Denkens und

Trachtens an die wechselnden Bedarfe der Unternehmen, kann jedoch

nicht das Ziel einer demokratischen Gestaltung von Berufsbildung sein.

Im Mittelpunkt der Bildungsprozesse für den Beruf und des Lernens im

Arbeitsleben haben viel mehr die lernenden und arbeitenden Menschen

zu stehen: die Träger der zu vermittelnden Kompetenzen, die in die Lage

versetzt werden, neue Entwicklungen zu erkennen, Innovationen voran-

zutreiben und Gestaltungsaufgaben initiativ zu übernehmen und zu

lösen.

1.4. Warum Beruf statt training on the job?

Wir haben uns bei unseren Überlegungen von der Grundüberzeugung

leiten lassen, dass auch in Zukunft die Erwerbsarbeit für den größten

Teil der Menschen in Deutschland die zentrale Einkommensquelle sein

wird. Anders als die Stimmen, die ein Ende der Erwerbsarbeit voraussa-

gen und einer Ablösung des Normalarbeitsverhältnisses das Wort

reden, sind wir der Auffassung, dass eine Vielfalt von Erwerbs- und

Beschäftigungsformen, die es in unterschiedlichem Ausmaß immer

schon gab, nicht zwangsläufig zur Auflösung gesicherter Arbeitsverhält-

nisse führen dürfen.

In Deutschland ist Erwerbsarbeit an Beruflichkeit gebunden. Wir sind

der Auffassung, dass eine Reform des beruflichen Bildungssystems, das

am Berufsprinzip festhält, auf Grund seiner gesellschaftlichen Funktio-

nalität sinnvoll ist. Demzufolge müssen nicht nur „competencies“, also

lediglich am aktuellen Arbeitsplatz verwertbare „skills“ als „training on

Privates Invest

500 € wenden Weiter-

bildungsteilnehmer im

statistischen Durch-

schnitt pro Jahr für die

eigene berufliche Qua-

lifizierung auf, insge-

samt 14 Mrd. €.

Die Hauptlast der

Finanzierung tragen

die Privatpersonen.

Kapitel 1

33

the job“, sondern Fähigkeiten, Handlungs- und Urteilsfähigkeiten, Fer-

tigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden, die berufliche Handlungs-

und berufsbiografische Gestaltungskompetenz vermitteln. Ein System-

wechsel hin zu einem angelsächsischen Konzept der Modularisierung

im Bereich der Berufsausbildung würde das System der Berufe in

Deutschland zerstören.

In unserer ersten Veröffentlichung sind wir darauf ausführlich eingegan-

gen. Im zweiten Kapitel dieser Streitschrift setzen wir uns noch einmal

mit den Argumenten für und wider die Beruflichkeit auseinander und

skizzieren, wie Beruflichkeit zukunftsfähig ausgestaltet werden kann. Im

dritten Kapitel thematisieren wir die zentrale Frage der Lernorte.

Die Gestaltungsreichweite europäischer Initiativen gegenüber nationa-

len Optionen ist nach wie vor beschränkt. Auf der europäischen Ebene

werden aber Strategien zur Vereinheitlichung der beruflichen Bildung

verfolgt, die auf eine „outcome“-Orientierung nach angelsächsischem

Muster setzen – mit nicht unerheblichen Risiken für eine Berufsbildung,

die am Berufsprinzip orientiert ist. Auf diese Entwicklungen, auf Risiken

und Strategien, gehen wir im vierten Kapitel ein.

Zentral für die Ausgestaltung der beruflichen Bildung ist die Verteilung

der Verantwortungen auf den Staat, die Betriebe sowie die einzelnen

Menschen. Diese Verteilung bezieht sich einerseits auf die Finanzie-

rungsverantwortung, die in der Berufsausbildung grundsätzlich bei den

Betrieben liegt – im Gegensatz zur Weiterbildung, für die eine gemein-

same Finanzverantwortung der beteiligten Akteure diskutiert wird.

Andererseits bezieht sich die Verteilung auf die Verantwortung für eine

lernförderliche Infrastruktur. Diese Problematik und unsere Auffassung

dazu führen wir im fünften Kapitel aus.

Abschließend gehen wir auf die Rolle und die zukünftigen Aufgaben der

Gewerkschaften im Prozess der Gestaltung der Berufsbildung ein.

34

Kernaussagen

Nach unserer Auffassung dürfen Bildungs- und Beschäfti-

gungschancen nicht als das Ergebnis ausschließlicher individuel-

ler Nutzen/Kosten-Kalkulation und betrieblicher Entscheidungs-

kalküle begriffen werden.

Begriffe müssen ihre ursprüngliche Bedeutung zurückerhalten:

Reform verstehen wir als friedliche Neuerung, einen Schritt zu Mit-

bestimmung und Teilhabe und nicht als Restauration frühindustri-

eller Arbeitsbeziehungen. Unter Eigenverantwortung verstehen

wir die Loslösung der einzelnen Menschen aus den Fängen ver-

staubter übermächtiger Institutionen und nicht die Verlagerungen

von Risiken auf den Einzelnen. Und schließlich verstehen wir unter

Flexibilität die Anpassung an eine veränderte Umwelt unter

Berücksichtigung der Interessen aller Betroffenen und nicht den

unternehmerischen Traum vom allzeit ein- oder freisetzbaren „ent-

grenzten“ Arbeitnehmer.

Als Kern des Sozialstaatsprinzips gilt die Aufgabe des Staates, sich

um eine solidarische Absicherung der Lebensrisiken der Men-

schen zu kümmern. Eine Gesellschaft, die die Postulate von

Gerechtigkeit und Solidarität auf ihre Fahnen schreibt, muss die

sozialen Sicherungen erhalten und das Bildungssystem, auch die

berufliche Bildung, nachhaltig gestalten.

Wenn lebenslanges Lernen nur Anpassungsleistungen an parzielle

ökonomische Interessen meint und fremdgesetzten Individualisie-

rungs- und Flexibilisierungsstrategien unterworfen wird, erleben

es die Adressaten eher als Zumutung. Stattdessen braucht es für

ein zukunftsfähiges Konzept von Lernen, das sich am Lebenszyklus

orientiert, individuelle Zugangschancen, gemeinsame Verantwor-

tung und gesicherte Ordnung.

Eine Reform des beruflichen Bildungssystems, die am Berufsprin-

zip festhält, erfüllt die gesellschaftlichen Anforderungen am

besten.

Ke

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us

sa

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n

Kapitel 2

35

2. Wie wichtig ist der Beruf?

Es ist alles andere als Zufall, dass immer durchgängiger vom „Job“

gesprochen wird, wenn von Arbeit in Erwerbsverhältnissen die Rede ist.

Geradezu inflationär steigt der Gebrauch des Begriffes: da gibt es Job-

Aktiv-Gesetze, Jobbörsen, Jobvermittler. Diese Entwicklung, die zugleich

eine erhöhte gesellschaftliche Akzeptanz des „Jobs“ signalisiert, ist

bemerkenswert: In den 50er, 60er, aber auch noch in den 70er Jahren

wäre kein Facharbeiter auf die Idee gekommen, seine Arbeit als „Job“ zu

bezeichnen. Die jedenfalls, die eine berufliche Ausbildung aufweisen

konnten, waren in einem „Beruf“ tätig. Dabei war der Begriff „Job“

durchaus gängig. Jobs waren aber etwas für Gelegenheitsarbeiter,

Tagelöhner, für Studenten in den Semesterferien, nichts dagegen für

„ordentliche“ Leute. Berufstätigkeit wiederum war mit konkreten Rech-

ten versehen, die reklamierbar und manchmal auch einklagbar waren.

Im Beruf kommt es dazu, dass sich Fähigkeits- und Qualifikationsbün-

del, „heimliche“ Kompetenzen und tätigkeitsbezogene Handlungsent-

würfe im Laufe der Zeit verallgemeinern. Unterstützt durch Prozesse der

Verinnerlichung von Handlungsroutinen, die als richtig und sinnvoll

anerkannt sind. Sie lösen sich – und dieser Aspekt ist ganz entschei-

dend – im Laufe der Zeit von den konkreten betrieblichen Arbeitserfor-

dernissen und -abläufen ab. So wird Lernen für den Beruf schließlich

relativ unabhängig vom Lernen für einen konkreten Arbeitsplatz. Am

konkreten Arbeitsplatz aber kann man eingesetzt werden, wenn die

Zuschneidung des Arbeitsplatzes den jeweiligen beruflichen Kompeten-

zen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnissen annähernd entspricht.

Berufsförmigkeit ist also jene Form der Arbeitsteilung, die durch Sozia-

lisation in der Arbeit, Identifikation mit der eigenen beruflichen Tätig-

keit und Stabilität der Arbeitsanforderungen gekennzeichnet ist. Sie

sichert Entfaltungsmöglichkeiten in der Arbeitstätigkeit. Durch deren

Bündelung und Mindestzuschnitte erleichtert sie den Arbeitsmarktpar-

teien, grundsätzlich einsichtige Qualifikationsbündel zu tauschen. Auch

deren Spezialisierung hat sich so weit von anderen Tätigkeiten abgeho-

ben, dass sie nicht von „ungelernter“ Arbeit erreicht und ersetzt werden

kann.

Kapitel 2

36

2.1. Warum die Berufsförmigkeit erodiert –

und warum nicht

Die Rede von der Erosion der Arbeitsform Beruf stützt sich vor allem auf

soziologische Untersuchungen in industriellen Großbetrieben. Diagnos-

tiziert wurde die Entwicklung einer neuen betrieblichen „Rationalisie-

rungslogik“ – weg von funktionsbezogener zu prozessorientierter

Arbeitsorganisation, zu kostenbezogener Steuerung der betrieblichen

Austauschbeziehungen – die als Resultat schnell wechselnder Marktbe-

dingungen, beschleunigter Innovationszyklen und zunehmender Globa-

lisierung der Wertschöpfungskette anzusehen sei. Das traditionelle

deutsche Berufskonzept erweise sich vor diesem Hintergrund als zu

inflexibel, Beruflichkeit werde als Organisationsform von Erwerbsarbeit

damit zunehmend obsolet; stattdessen sei das Augenmerk auf Beschäf-

tigungsfähigkeit zu richten.

Ein zweites Argument zielt auf die Wahrnehmung zunehmend diskonti-

nuierlicher Verläufe des Erwerbslebens ab. Aus der Erfahrung eines

beschleunigten Wandels der technischen, betriebsorganisatorischen

und kulturellen Grundlagen, die dem Beruf als Organisationsprinzip von

Erwerbsarbeit und Lebenslauf zu Grunde liegen sowie dem kontinuierli-

chen Dahinschwinden tradierter Berufsbindungen ergebe sich für den

einzelnen Erwerbsmenschen eine neue Anforderungsstruktur. Diese

lasse den Beruf als Medium des Angebots von Arbeitskraft ebenso wie

als Folie der persönlichen Lebensführung zu Gunsten der Sorge um

„Beschäftigungsfähigkeit“, um immer neue persönliche Kompetenzen,

und eines „Arbeitskraftunternehmertums“ immer wertloser erscheinen.

Gegen die Richtigkeit dieser Argumentationsmuster gibt es zentrale Ein-

wände. Tatsächlich ist es zum einen fraglich, ob sich Tendenzen großbe-

trieblicher Arbeitsprozessorganisation, so wie sie in einigen Industrien

sicherlich anzutreffen sind, auf die gesamte Erwerbswirtschaft verallge-

meinern lassen. In den zunehmend beschäftigungsrelevanten Berei-

chen des Dienstleistungssektors etwa lassen sich Arbeitsorganisations-

modelle der untersuchten Art nicht oder nur begrenzt beobachten.

Zudem – und das scheint der wichtigere Aspekt zu sein – zeichnet

Berufsförmigkeit gerade die relative Unabhängigkeit des Trägers beruf-

licher Qualifikationen von je konkreter betrieblicher Arbeitsplatzzu-

schneidung aus.

Mit der Aufgabe des Berufsprinzips zu Gunsten je wechselnder Ad-hoc-

Anpassungsqualifizierungen würden den Betrieben billigere, weil nicht

fachqualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen – und dies umso

Kapitel 2

37

mehr, je größer das Arbeitskräftereservoir auf dem Arbeitsmarkt ist.

Längerfristig dürften aber auch hier die Transaktions- und Qualifizie-

rungskosten allen Betrieben zu schaffen machen.

Für die lediglich auf „Tätigkeiten“ hin getrimmten Arbeitskräfte wäre

neben Lohneinbußen in schnell wechselnden Perioden von Beschäfti-

gung, Erwerbslosigkeit und erzwungenen „selbstorganisierten“ Zusatz-

qualifizierungen letztlich die gesamte Lebensführung berührt. Fremd

gesetzte Diskontinuität würde dann zum Normalfall, auch wenn es

einen Trend zu höheren Qualifikationen zu beobachten ist.

Beruflichkeit ist so immer auch Ergebnis des jeweiligen Entwicklungs-

standes gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Die Erosionstendenzen, die

wir erkennen, sind Anzeichen für diesen kontinuierlichen Wandel; sie

signalisieren Anpassungsbedarf, nicht aber die Hinfälligkeit des Prin-

zips. Im Gegenteil: Wir haben es keineswegs mit dem oben postulierten

Neuen, sondern mit der Kontinuität diskontinuierlicher Berufsverläufe

in der Geschichte kapitalistischer Gesellschaftsverfassung zu tun. Die

„Normalbiografie“ im Sinne eines lebenslangen Verbleibs in einem ein-

zigen Beruf hat es im Normalfall ihrer Entwicklung übrigens auch nie

gegeben.

2.2. Prinzipien der Beruflichkeit

Wenn Beruflichkeit als ein Gesamt von Kompetenzbündeln, von berufli-

chen Anlagen und Neigungen, Erfahrung, und wachsender beruflicher

Kompetenz zu verstehen ist, ist damit angesprochen, dass das beruflich

konstituierte Arbeitsvermögen unhintergehbar an die arbeitende Per-

son gebunden ist. Erwerbsverläufe erweisen sich dann als komplexe

Prozesse, die durch gesellschaftliche, technologische und ökonomische

Entwicklungen, durch Effekte historischer Perioden zwar beeinflusst

werden, deren individuelle Abläufe jedoch nur bedingt voraussagbar

sind. Aus der Sicht der einzelnen Menschen als den Trägern der Kompe-

tenzen bleibt die Frage zu beantworten, inwieweit sie einem ungeklär-

ten und offenen Erwerbsschicksal ausgesetzt sind oder aber in die Lage

versetzt werden, erwerbsbiografische Wechselfälle im Interesse der

Wahrung ihrer persönlichen Identität und ihres legitimen Interesses an

sozialer Integration, wie sie gerade der Beruf herstellt, zu bewältigen

und selbst in die Hand zu nehmen. Aus der Sicht der Betriebe wäre

zudem zu fragen, ob Entberuflichung nicht gerade die positiven Funk-

tionen der Beruflichkeit für die betriebliche Organisationsentwicklung

Kapitel 2

38

zerstören und mit dem Qualifikations- und Arbeitskräftetypus des Fach-

qualifizierten nicht ein gut kalkulierbares Handlungs- und Verhalten-

spotenzial, Resultat der beruflichen Sozialisation von Facharbeitern,

verloren ginge.

Statt das Berufsprinzip infrage zu stellen, kommt es darauf an, die ein-

zelnen Menschen in die Lage zu versetzen, auf Veränderungen nicht

lediglich reagieren zu müssen, sondern sich auch Fähigkeiten aneignen

zu können, die es ihnen erlauben, ihren Berufsweg aktiv zu gestalten. Es

geht um die systematische Eröffnung alternativer Entwicklungspfade

zukünftiger Praxis mit dem Ziel, Kompetenz für die Mitgestaltung des

Wandels zu erwerben.

Berufliche Handlungs- und Gestaltungskompetenz ist und bleibt Leitziel

für die berufliche Bildung. Es geht um ein Konzept, das am bewährten

Leitbild der Beruflichkeit menschlicher Arbeit festhält und gleichzeitig

Erstarrungen vorbeugt. Gerade das Prinzip gestaltungsorientierter

Beruflichkeit verbindet die in beruflicher Qualifizierung und Erfahrung

gesammelte Kompetenz des einzelnen Menschen mit seiner Verpflich-

tung auf eine menschenwürdige Zukunftsgestaltung, auf gesellschaft-

lich rückgebundenen Wandel, auf Fortschritt, ohne sich auf dessen

Selbstlauf zu verlassen.

Für ein Konzept von Beruflichkeit sind die folgenden Kriterien konstitu-

tiv, zwingend erforderliche Bedingungen:

Rücknahme horizontaler Spezialisierung durch Einführung von

Kernberufen

Die Arbeitsteilung bis hin zur Arbeitszergliederung, wie sie in der funk-

tionsorientierten Arbeitsorganisation des 20. Jahrhunderts zum Aus-

druck kommt, findet sich auch in bestehenden Berufsstrukturen wieder.

Die Rücknahme von Arbeitsteilung, wie sie sich etwa in zunehmend pro-

zessorientierten Organisationsstrukturen zeigt, lässt es geraten

erscheinen, die Zahl der anerkannten Berufe zu verringern und „Kern-

berufe“ neu zu definieren.

Solche Kernberufe können nicht als „Kurzausbildungsberufe“ unterhalb

des Facharbeiterniveaus realisiert werden, da sie in ihrem Ausbildungs-

umfang meist mehr als einen traditionellen Beruf abdecken. Die Ver-

breiterung der beruflichen Basis stellt besondere Anforderungen an die

Herstellung gestaltungsorientierter Beruflichkeit. Kernberufe stellen

dabei eine breite Ausgangsposition für den Berufslebenslauf dar. Sie

bilden ein neues Fundament für eine enge Verzahnung mit einer curri-

cular zwar modularisierten, aber immer sinnvoll anschließenden und

Startalter

Das Durchschnittsalter

bei Ausbildungsbeginn

liegt bei 18,6 Jahre.

Die Ausbildungskon-

zepte tragen dem viel-

fach nicht Rechnung.

Kapitel 2

39

weiterführenden Fort- und Weiterbildung, die in zertifizierte Fortbil-

dungsberufe einmünden kann. Solche Kernberufe sind keine „Grundbil-

dungsberufe“ im Sinne traditioneller beruflicher Grundbildung.

Arbeitszusammenhänge als zentrale Orte der Entwicklung beruflicher

Kompetenz

Die Identifikation von Berufen über Arbeitszusammenhänge löst die

Berufsstrukturen von der Oberfläche des technischen Wandels und

abstrakten Tätigkeiten, erhöht zugleich die Qualität der Berufsorientie-

rung dieser Berufe und ihre Verankerung im gesellschaftlichen Bewusst-

sein. Als Arbeitszusammenhang soll dabei in Anlehnung an ein hand-

werkliches Berufsverständnis ein auch für Außenstehende klar

abgrenzbares und erkennbares Arbeitsfeld verstanden werden, das sich

aus umfassenden und zusammenhängenden Arbeitsaufgaben zusam-

mensetzt und einen im Zusammenhang gesellschaftlicher Arbeitsteilung

klar identifizierbaren und sinnstiftenden Arbeitsgegenstand aufweist.

Zeitliche Stabilität

Die Verankerung von Berufsbildern im gesellschaftlichen Bewusstsein,

ihre Tauglichkeit für die Orientierung bei der Berufswahl sowie das iden-

titätsstiftende Potenzial eines Berufes für Auszubildende und Beschäf-

tigte hängen entscheidend von der Stabilität der Berufe ab. Immer wie-

der neue Berufsbilder mit einer nur kurzen Lebensdauer sind

kennzeichnend für eine hektische Berufsbildungsplanung, die dem

Maßstab Stabilität unzureichend genügt. Die Entwicklung langlebiger

Berufe über Arbeitszusammenhänge entscheidet wesentlich über ihre

Lebensdauer.

Die zeitliche und inhaltliche Stabilität der Berufsbilder ist Vorausset-

zung dafür, dass sie in der öffentlichen Diskussion, bei der Berufswahl

und der Entwicklung beruflicher Identität wieder an strukturierender

Kraft gewinnen: Jener Kraft, die ihnen im Zuge der unablässigen Umbe-

nennungen durch eine Organisation von Unternehmen, die am Verrich-

tungsprinzip orientiert sind, verloren gegangen ist.

Kompetenzen und Reflexivität entwickeln

Als eine Zielsetzung beruflicher Bildung, die über die berufliche Hand-

lungskompetenz hinausgeht, ist die reflexive Handlungsfähigkeit in der

Arbeit anzusehen. Diese Fähigkeit bezieht sich sowohl auf die berufli-

che Handlungskompetenz als auch auf die Arbeits- und Lernbedingun-

gen sowie auf die Wechselbeziehungen zwischen der Kompetenz und

Kapitel 2

40

den Bedingungen. Mit der reflexiven Handlungsfähigkeit sind darüber

hinaus Qualität und Souveränität des tatsächlichen Handlungsvermö-

gens angesprochen. Reflexivität meint die bewusste, kritische und ver-

antwortliche Bewertung von Handlungen auf der Basis von Erfahrungen

und Wissen. In der Arbeit bedeutet dies zunächst die Fähigkeit, gedank-

lich analytisch und betrachtend vom unmittelbaren Arbeitsgeschehen

ein Stück abrücken zu können, sich sozusagen neben sich zu stellen, um

die Ablauforganisation, die Handlungsabläufe und Handlungsalternati-

ven aus etwas Abstand zu hinterfragen und in Beziehung zu eigenen

Erfahrungen und zum eigenen Handlungswissen zu setzen.

Dabei ist von einer zweifachen Reflexivität zu sprechen: der strukturel-

len Reflexivität und der Selbstreflexivität. Die strukturelle Reflexivität

hat zum Ziel, die Regeln und Ressourcen, die eigenen Strukturen und

sozialen Existenzbedingungen der Handelnden bewusst zu machen.

Hingegen beschreibt Selbstreflexivität das Nachdenken der einzelnen

Handelnden über sich selbst. Eigenbestimmung und Persönlichkeitsbil-

dung sind mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion und dem Erkennen

gesellschaftlich-betrieblicher Vorgänge aus eigenem Urteil untrennbar

verbunden. Im realen Arbeitsvollzug heißt reflexive Handlungsfähigkeit

demnach, in Verbindung mit der Vorbereitung, Durchführung und Kon-

trolle von Arbeitsaufgaben sowohl über Arbeitsstrukturen und -umge-

bungen als auch über sich selbst zu reflektieren. Dieser qualitativ zu

verstehende Anspruch der Anwendung und Umsetzung von beruflichen

Kompetenzen im Prozess der Arbeit ist umfassend und steht prinzipiell

für eine zu gestaltende zukunftsorientierte Berufsbildung.

Aus dem Spannungsverhältnis zwischen ökonomischer Dynamik und

beruflicher Kontinuität ergeben sich allerdings unterschiedliche Interes-

sen. Dieser Konflikt lässt sich an der Diskussion um Modularisierung fest-

machen. Module sind Bildungsabschnitte, die auf einen nur ausschnitt-

haften Arbeitszusammenhang bezogen sind und deren erfolgreiches

Absolvieren in Form eines Zertifikats bewertet wird. Entscheidend für die

Modul-Konzepte, die alternativ zu einer umfassenden Berufsausbildung

stehen, ist es, inwieweit sie Kerne von fachberuflichen Kompetenzprofi-

len sichern. Im negativen Fall verkommt das Modul-Konzept zu einem

Benachteiligten-Programm. In einem positiven Ansatz werden Flexibili-

sierungen der beruflichen Bildung durch profilorientierte Kombinationen

von Basisqualifikationen und Kompetenzprofilen möglich – wie sie z.B. im

Modell des Aus- und Weiterbildungssystems für den IT-Bereich ent-

wickelt worden sind. Zu prüfen ist, ob und unter welchen Bedingungen

eine Übertragung dieser Erfahrungen auf andere Branchen möglich ist.

Kapitel 2

41

Wir brauchen ein Berufsbildungssystem, das die Abschlüsse verschie-

dener Lernwege aufnimmt, verzahnt und anerkennt. Keine der Bildungs-

institutionen ist gegenüber einer anderen privilegiert, weder bei den

Abschlüssen, noch bei der institutionellen Absicherung. Es geht um ein

differenziertes System, das Beruflichkeit vermittelt, Profile und Lernab-

schnitte ermöglicht. Abschlüsse müssen die Lernenden auf gesicherte

Plattformen stellen, von denen sie ihr Leben und ihre Berufstätigkeit

entwickeln können. Die Lernenden selbst sind es, die über ihre Bil-

dungswege entscheiden, nicht allgemeine kapitalistische oder staatli-

che Interessen.

Wenn man mehr will als nur Pilotprojekte oder Modellversuche, wenn

man eine langfristige und nachhaltige Entwicklung des Berufsbildungs-

systems in Gang setzen will, muss es ein qualifiziertes und auf umfas-

sende Beruflichkeit modularisiertes Berufsbildungssystem geben, das

auch juristisch abgesichert wird.

4242

Kernaussagen

Das Berufsprinzip ist die Form der Arbeitsorganisation, in der

besondere, beiden Arbeitsmarktparteien grundsätzlich einsichtige

Qualifikationsbündel als Ware angeboten werden, deren Speziali-

sierung sich so weit von anderen abhebt, dass sie nicht ohne wei-

teres ersetzt werden kann.

Registrierte Erosionstendenzen der Beruflichkeit sind Indikatoren

des kontinuierlichen Wandels; sie signalisieren Anpassungsbe-

darf, nicht aber die Hinfälligkeit des Berufsprinzips. Die Konti-

nuität diskontinuierlicher Berufsverläufe ist Bestandteil der

Geschichte kapitalistischer Gesellschaftsverfassung.

Berufliche Handlungs- und Gestaltungskompetenz ist das Leitziel

für die berufliche Bildung. Es geht um ein Konzept, das am

bewährten Leitbild der Beruflichkeit menschlicher Arbeit festhält

und gleichzeitig Erstarrungen vorbeugt.

Statt das Berufsprinzip in Frage zu stellen, kommt es darauf an, die

Individuen in die Lage zu versetzen, sich Kompetenzen aneignen

zu können, die es ihnen erlauben, ihren Berufsweg aktiv zu gestal-

ten.

Kernberufe bilden ein neues Fundament für eine enge Verzahnung

mit anschließenden und weiterführenden Fort- und Weiterbildun-

gen, die in zertifizierte Fortbildungsberufe einmünden kann.

Als über die berufliche Handlungskompetenz hinausgehende Ziel-

setzung beruflicher Bildung ist die Entwicklung reflexiver Hand-

lungsfähigkeit in der Arbeit anzusehen.

Wir brauchen ein Berufsbildungssystem, das die Abschlüsse ver-

schiedener Lernwege aufnimmt, verzahnt und anerkennt. Wichtig

ist dabei, dass es um Konzepte geht, die Aus- und Weiterbildung

zusammenfassen, also eine berufliche Bildung denken.

Ke

rna

us

sa

ge

n

Kapitel 3

43

3. Wo und wie soll was gelernt werden?

Berufliche Bildung, insbesondere die duale Berufsausbildung, ist

dadurch gekennzeichnet, dass das Lernen an verschiedenen Lernorten

und in unterschiedlichen Lernumgebungen miteinander verknüpft wer-

den. Lernen erfolgt einerseits in den Lerneinrichtungen Schule, Ausbil-

dungswerkstatt oder Weiterbildungseinrichtung und andererseits am

Arbeitsplatz im Betrieb. Die Frage, welche Qualifikationen an welchen

Lernorten erworben werden sollen und können, muss im Zusammen-

hang der gesellschaftlichen Entwicklung gesehen werden. Die berufli-

che Bildung muss auf einer Allgemeinbildung aufbauen, die am besten

in Vollzeitschulen vermittelt werden kann.

3.1. Lernen im Arbeitszusammenhang

Mit dem Aufkommen posttayloristischer Unternehmens- und Arbeits-

konzepte, die die rigide Zergliederung der Arbeitstätigkeiten wieder auf-

heben, haben das Lernen im Prozess der Arbeit und eine darauf bezoge-

ne lernförderliche Arbeitsgestaltung erheblich an Bedeutung gewonnen.

Dabei ist Lernen in der Arbeit, das auf die persönliche und berufliche

Entwicklung bezogen ist, stets mit Spannungen und Widersprüchen ver-

bunden. Denn die Tätigkeiten am Arbeitsplatz unterliegen betriebswirt-

schaftlichen Merkmalen und Maßstäben sowie Absichten und Zwecken,

die man zu Bildungszwecken nicht einfach außer Kraft setzen kann. Ziel-

setzungen, die arbeitnehmerorientiert und persönlichkeitsbezogen

sind, hängen auch mit einer human orientierten Personalentwicklung

zusammen, die berufliche Entwicklungs- und Aufstiegswege im Blick

hat. Lernen nur unter Shareholder-Value-Rentabilitätskriterien, unter

dem Blickwinkel arbeitsorganisatorischer und qualifikatorischer Effizi-

enz, unterscheidet sich von einem didaktisch ausgewiesenen Lernen,

das auf Bildung und persönliche Entwicklung in sozialer Verantwortung

zielt. Gleichwohl stellt sich die Frage, von welcher Reichweite und Qua-

lität Lernen im Arbeitszusammenhang sein kann und inwieweit kontinu-

ierliche Verbesserungs- und Optimierungsprozesse und weitergehende

beteiligende Arbeitsformen möglich werden.

Lernförderliche Arbeitsgestaltung

Berufliche Bildung braucht lernförderliche Arbeit. Auf Grund veränder-

ter Formen der Arbeitsorganisation, veränderter Arbeitsinhalte und ver-

Bildungs-Budget

Lediglich 17 % der

Unternehmen haben

ein spezielles Budget

für die berufliche

Weiterbildung der

Beschäftigten.

Eine Grundvoraussetzung für eine zukunfts-

fähige berufliche Bildung ist, dass betriebliche

und öffentlich verantwortete Lernorte ver-

schränkt und kombiniert werden. Ich sehe das

als eine notwendige und unerlässliche staat-

liche Aufgabe, da gesellschaftliche Bildungs-

und Qualifikationsziele wie Beschäftigungs-

fähigkeit, Persönlichkeitsentwicklung und

Chancengleichheit nicht auf individuelle und

einzelbetriebliche Möglichkeiten und Perspek-

tiven reduziert werden können, wenn sie greifen

sollen.

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Helmut-Schmidt-Universität/

Universität der Bundeswehr, Hamburg

Kapitel 3

46

änderter Arbeitsprozesse sind bisherige Erkenntnisse über die Lernför-

derlichkeit von Arbeit bis hin zur Diskussion um die Humanisierung der

Arbeit aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Aus persönlichem und

beruflichem Blickwinkel ist die Frage, ob und wie Arbeit lernförderlich

gestaltet wird, auch damit verbunden, welchen Schutz die Arbeitsge-

staltung für die eigene Arbeitskraft und die eigene Entwicklung bietet.

Eine Arbeitsgestaltung, die dem Lernen und der Kompetenzentwicklung

förderlich ist, muss in Anbindung an Qualitätsstandards und berufliche

Bildungsgänge vorgenommen werden. Verantwortlich für eine lernför-

derliche Arbeitsgestaltung sind die Unternehmen und darin besonders

die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer. Aber auch die Beschäfti-

gen selbst sind zunehmend an der Mitgestaltung lernförderlicher Arbeit

zu beteiligen.

Insgesamt orientiert sich die Herstellung lernförderlicher Arbeitsumge-

bungen an Maßstäben und Maßnahmen, die schon länger in empiri-

schen Studien ausgewiesen sind und in unterschiedlichen Facetten als

Gestaltungsgesichtspunkte empfohlen werden. Zu nennen sind vor

allem: Handlungsspielraum; vollständige Handlung bzw. Projektorien-

tierung; Problem- und Komplexitätserfahrung; soziale Unterstützung

bzw. Kollektivität; persönliche Entwicklung und Reflexivität. Bei diesen

Gesichtspunkten steht die Selbststeuerung des Lernens sowohl für die

Kompetenzentwicklung des Einzelnen wie auch für soziale Gruppen im

Mittelpunkt. Ob und inwieweit diese Merkmale jedoch Gültigkeit erlan-

gen, ob sie Lernen eher fördern oder behindern, hängt von der Unter-

nehmenskultur, der Arbeitsorganisation und vom Zuschnitt der Arbeits-

aufgaben ab. Die Frage der Lernförderlichkeit der Arbeit unterliegt nicht

nur objektiven Kriterien der Lernpotenziale und Lernchancen, sondern

ist immer auch in Abhängigkeit von persönlichen Dispositionen zu

sehen. Je nach Persönlichkeitseigenschaften und Kompetenzstand kön-

nen bestimmte Kriterien als Förderung oder auch als Behinderung des

Lernens erlebt werden.

In komplexen Arbeitsprozessen wird die Begleitung und Beratung der

Lern- und Kompetenzentwicklung zunehmend wichtiger. Da insbeson-

dere sozial und beruflich benachteiligte Personen einen hohen Bedarf

an persönlicher Unterstützung haben, liegt die besondere Bedeutung

von Begleitung und Beratung darin, dass sie Selektions- und Ausgren-

zungsmechanismen entgegenwirkt. Lern- und Berufsbildungsberatung

dient der Unterstützung und Förderung von Beschäftigten, sie ist insbe-

sondere mit der Forderung nach Chancengleichheit bei der Teilnahme an

beruflicher Bildung und lebensbegleitendem Lernen zu verbinden. Not-

Kapitel 3

47

wendig ist es daher, Unterstützungsleistungen und -strukturen für die

einzelnen Menschen zu entwickeln und den Gewerkschaften, Betriebs-

und Personalräten anzubieten. Besonderen Unterstützungsbedarf

haben hier Betriebs- und Personalräte in kleineren und mittleren Unter-

nehmen (KMU). Zudem sind Konzepte für die überbetriebliche Perso-

nalentwicklung zu entwickeln.

Lernformen, die Arbeiten und Lernen verbinden

Für die Berufsbildung geht es bei der Herstellung lernförderlicher

Arbeitsstrukturen und Arbeitsumgebungen auch darum, die Lern- und

Arbeitsformen zu verbessern, in denen sowohl Prozesse der Kompeten-

zentwicklung als auch Optimierungs- und Innovationsprozesse statt-

finden. Von einem angemessenen arbeitsbezogenen Lernen kann dann

gesprochen werden, wenn in diesen Lern- und Arbeitsformen das infor-

melle Lernen bzw. Erfahrungslernen mit organisiertem Lernen und Re-

flektionsprozessen verbunden wird. Andernfalls ist Lernen im Prozess

der Arbeit der Zufälligkeiten unterworfen, erfolgt ohne Systematik und

es mangelt an Übertragbarkeit. Indem Erfahrungslernen und formelles

bzw. organisiertes Lernen miteinander verbunden sind, werden Arbeits-

plätze und Arbeitsprozesse unter lernsystematischen und arbeitnehme-

rorientierten Gesichtspunkten erweitert und angereichert. Es ist also

bewusst ein Rahmen zu schaffen, der das Lernen unter organisationa-

len, personalen und didaktisch-methodischen Gesichtspunkten unter-

stützt, fordert und fördert. Betriebliche Lernformen wie Coaching, Qua-

litätszirkel und Lernstatt, Lerninsel sind Beispiele, die dem von uns

vertretenen Prinzip der Verbindung von Erfahrungslernen und organi-

siertem Lernen folgen.

Auch wenn sich solche Lernformen in einzelnen Unternehmen durchge-

setzt haben, so sind sie insgesamt nicht stark verbreitet und ausgebaut.

Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Kriterien einer ange-

messenen beruflichen Bildung im Zusammenhang des Arbeitsprozesses

bisher zu wenig ausgewiesen und durchgesetzt sind. Zum anderen stellt

sich für die Unternehmen die Frage, inwieweit Lernen für betriebliche

Bedarfe nicht über Arbeitsformen wie Gruppenarbeit, Projektarbeit und

„Job Rotation“ abgedeckt werden kann. Denn auch für diese Organisati-

onsformen ist charakteristisch, dass sie in und bei der Aufgabenbear-

beitung systematisch auf Lernen angewiesen sind. Arbeitsintensität

und Arbeitsdruck sind in diesen Arbeitsformen aber leichter durchzu-

setzen, das Lernen wird hier einseitig an ökonomische Zwecke gebun-

den. Damit unterliegen das Lernen in der Arbeit und neu gestaltete Ler-

Teilnehmerquote

Bei der Chance auf

betriebliche Weiter-

bildung (Teilnehmer-

quote) liegen wir in

Europa auf Platz 16.

Kapitel 3

48

numgebungen verstärkt einem äußeren Druck. Das Lernen kann auf den

unmittelbaren betrieblichen Nutzen verengt und wirklich kompetenzori-

entiertes Lernen für auch gemeinsames Arbeiten von rein zweckgerich-

tetem und konkurrenzförderndem Handeln verdrängt werden.

Eine Verengung der Kompetenzentwicklung auf betriebliche Lernorte ist

aus bildungspolitischer Sicht nicht sinnvoll. Diese Beschränkung würde

ein Abkoppeln der beruflichen Bildung von den Strukturen des allge-

meinen Bildungssystems bedeuten und die Möglichkeit beeinträchti-

gen, über zertifizierte Abschlüsse beruflich aufzusteigen oder einen all-

gemeinen Bildungsabschluss zu erlangen. Vor diesem Hintergrund

kommt den Ansätzen zur Verbindung von informellem und formellem

Lernen eine erhebliche Bedeutung zu, wenn diese Verbindung über

betriebliche Lernorte und Lernumgebungen hinausgehend auch auf

außerbetriebliche Lernorte und das schulische bzw. hochschulische Bil-

dungswesen bezogen wird.

3.2. Die beruflichen Schulen der Zukunft

Auch der Lernort berufliche Schule unterliegt einem wachsenden Verän-

derungsdruck. Charakteristisch für das heutige berufsbildende Schulsy-

stem ist eine Vielfalt von Schulformen und Bildungsgängen, die sich in

vier Hauptstränge gliedern lassen:

· Den bedeutsamsten Strang bildet nach wie vor das „duale“ System

beruflicher Bildung mit seiner Teilzeitberufsschule.

· Vollzeitschulen (Berufsfachschulen) mit einem beruflichen

Abschluss sind vor allem im Bereich der naturwissenschaftlich-tech-

nischen Assistenzberufe, der Gesundheits- und Sozialdienste die

Regel, die traditionell eher von jungen Frauen nachgefragt werden.

· Daneben findet sich eine immer stärker ausdifferenzierte Land-

schaft von hinführenden, nachholenden oder überbrückenden

Angeboten (wie Berufsgrundbildungsjahr, Berufsoberschule, Facho-

berschule und -gymnasium, Fachschule).

· Zu diesen im engeren Sinne berufsbildenden Schulen kommen für

die oberen Qualifikationssegmente schon traditionellerweise die

Fachhochschulen. Und seit der Forcierung des so genannten Bolo-

gna-Prozesses mit seiner Aufteilung des universitären Studiums in

einen eher berufsfeldbezogenen Bachelor-Bereich und einen darü-

ber hinausführenden, stärker wissenschaftsbezogenen Master-

Kapitel 3

49

Bereich sind neben den Berufsakademien mit ihren prinzipiell dual

aufgebauten Bachelor-Studiengängen auch weite Teile der Hoch-

schulen faktisch als berufsbildende Schulen anzusehen.

Vielfalt ist für sich genommen weder ein Ausweis für Qualität noch für

Freiheit der Wahl des Berufsbildungsweges. Für die Lernenden stellt

sich das gegenwärtige Berufsbildungssystem eher als unübersichtliche

Ansammlung von Institutionen dar, sodass die Entscheidungen, die für

den Berufsweg wichtig sind, eher zufällig erfolgen.

Bereits mit der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG

1969) wurde eine Erblast festgelegt, die sich als schwere Hypothek für

weiter reichende Reformen erwiesen hat. Die konsequent rechtlich

getrennte Verankerung der betrieblichen Berufsausbildung (Bundes-

recht) und der Berufsschule (Landesrecht) mit dem faktischen Vorrang

der betrieblichen Ausbildung hatte die Berufsschule in eine Randstän-

digkeit hineinmanövriert. Als problematisch hat sich die rechtliche Tren-

nung schließlich auch für die Lernortkooperation zwischen Schule und

Betrieb erwiesen, denn sie ist nicht ausdrücklich vorgeschrieben, son-

dern der Koordination vor Ort überlassen.

Der Ausbau des Angebots an vollzeitschulischen Ausbildungsgängen in

den letzten Jahren erfolgte, weil es immer wieder weit weniger betrieb-

liche Ausbildungsplätze gab, als nachgefragt wurden. Die berufsbilden-

den Schulen haben hier eine Lückenbüßer-Rolle übernommen bzw.

übernehmen müssen, da keine ernsthaften Anstrengungen unternom-

men wurden, die Strukturkrise der Berufsbildung politisch zu bewälti-

gen. Darüber hinaus hat sich an den beruflichen Schulen ein beträchtli-

ches Potenzial von „Auffangbecken“ und „Ausweichpfaden“ für

diejenigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen etabliert, die ihre

Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz gezwungenermaßen verschieben

mussten.

Als notwendig sehen wir es von daher an, dass berufliche Schulen sich

zukünftig nahe am Beschäftigungssystem ausrichten und neben der Erst-

ausbildung verstärkt in „Übergangszonen“ operieren. Damit ist gemeint,

dass sie die Umwelt der „Schülerinnen“ und „Schüler“ zukunftsträchtig

mitgestalten, indem sie sich als regionale Innovationszentren für Aus-

und Weiterbildung aufstellen. Berufliche Schulen müssen daher inner-

halb eines konsequent dualisierten Systems ihren Bildungsauftrag neu

definieren, Formen der Kooperation eingehen, schon bestehendes

Zusammenwirken mit der regionalen Wirtschaft verstärken und sich neue

Aufgaben definieren, die über ihren bisherigen Auftrag hinausgehen.

Ausbildungsreife

24 % der Schulab-

gänger sind nicht

ausbildungsreif.

Es ist ein schrittweiser Aufbau eines integrier-

ten Berufsbildungssystems anzusteuern. In

diesem müssen die berufsbildenden Schulen

ihren neuen Part in einem konsequent dual

aufgebauten System aufeinander bezogener

Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Studien-

gänge übernehmen.

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Universität Duisburg-Essen

Kapitel 3

52

Die beruflichen Schulen müssen aus ihrer reaktiven Rolle bei der Kri-

senbewältigung im System beruflicher Bildung deutlicher herausgehen

und einen aktiveren Part übernehmen. Dazu gehört, dass sie attraktive

vollzeitschulische Ausbildungsgänge mit integrierten betrieblichen Pra-

xisanteilen entwickeln.

Wir schlagen vor, die beruflichen Schulen institutionell neu zu verorten.

Neben der Region (Kommunen/Kreise) müssen auch die Organisationen

der Arbeitgeber und Gewerkschaften umfassende Verantwortung für die

beruflichen Schulen übernehmen. Sie sollen die Aufgabe erhalten, aus

dem Lernort für die Jugend ein regionales berufliches Kompetenzzen-

trum für alle Menschen zu machen. Die Trägerschaft und Aufsicht dieser

Einrichtung muss weiterhin in staatlicher Hand liegen. Nur eine solche

Lösung macht es möglich, die erforderlichen beiden Funktionen unseres

Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zeitangemessen und nachhaltig

zu erfüllen: nämlich sowohl einen gesellschaftlich ausreichenden und

innovatorischen Qualifikationsstock aufzubauen als auch die persönli-

che Beschäftigungsfähigkeit des einzelnen Menschen langfristig zu

sichern. Nur so können hohe gesellschaftliche und persönliche (Trans-

aktions-)Kosten und Fehlqualifikationen vermieden werden.

Die Forderung, berufliche Schulen stärker in die Weiterbildung einzu-

binden, ist alt, zumal sie bestimmte Felder der Weiterbildung bereits

traditionell bedienen. Ohne Zweifel verfügen sie über Ressourcen und

Kompetenzen, die ein stärkeres Engagement in der Weiterbildung recht-

fertigen und auch mit der bildungspolitischen Forderung einer stärkeren

Verbindung zwischen Aus- und Weiterbildungsprozessen in Einklang

stehen. Die Erschließung neuer Aufgabengebiete und Betätigungsfelder

in der Weiterbildung und speziell in der beruflich-betrieblichen Weiter-

bildung ist jedoch an Voraussetzungen gebunden. Dazu zählen u.a. ein

angepasster rechtlicher und organisatorischer Status und ein erweiter-

ter Autonomiespielraum, um als Anbieter auf dem Weiterbildungsmarkt

auftreten zu können. Sichergestellt werden muss zudem, dass ein Enga-

gement in der Weiterbildung nicht zu Belastungen in der Ausbildung

führt. Diese neue Konfiguration von Politikgestaltung birgt eine Menge

von Reformelementen, kann den Schulen innovative Impulse geben und

Aktivitätsspielräume öffnen. Zugleich gibt es neue Grenzziehungen zwi-

schen ihnen, den Betrieben und den Trägern der Weiterbildung, die sich

auf die Bildungsbeteiligung in der Region positiv auswirken wird.

Prüfungen

Die abschlussorien-

tierte Weiterbildung ist

auf dem Rückmarsch:

1992 legten noch

171.000 Teilnehmer

eine Prüfung ab, 2003

waren es nur noch

125.000.

Kapitel 3

53

3.3. Lernwiderstände durch fehlende Bedeutsamkeit

Egal ob Lernort Schule oder Arbeitsplatz: beim „Lebenslangen Lernen“

spielen keineswegs alle mit. Die Zahl der Schulschwänzer ist erheblich,

die der Ausbildungsabbrecher steigt, diejenigen, die nicht oder nie an

Weiterbildung teilnehmen, ist groß. Sie alle entziehen sich den Lernan-

forderungen. Sie werden als „Bildungsbenachteiligte“ oder gar als

„Lernbehinderte“ ausgegrenzt.

Beim Nachdenken über Lernen stellt man fest, dass der Begriff Lernen

merkwürdig ambivalent, ja zwiespältig ist. Einerseits hat er einen posi-

tiven Klang: er klingt nach Chance zu Entfaltung und Aneignung. Im

Zusammenhang des „Lebenslangen Lernens“ wohnt dem Begriff Lernen

andererseits der negative Klang einer „lebenslänglichen“ Last inne,

nämlich als Zwang, dauernd und „schon wieder“ lernen zu müssen.

Sowohl gegenüber dem Lehrpersonal – Lehrern, Ausbildern, Dozenten –

als auch gegenüber den „Disziplinaranstalten“ des Lernens – Schule,

Lehrbetrieb, Weiterbildungsträger – entwickeln Lernende ganz offen-

sichtliche und oft berechtigte Widerstände.

In Lernsituationen treten Widerstandstaktiken in unterschiedlichen

Erscheinungsformen zu Tage: Blockieren, Nicht-Verstehen, Müdigkeit,

Ablehnung der Thematik, Ignorieren oder Provozieren der Dozenten,

Missverstehen, inszenierte Regelverstöße, Ablenken anderer Lernen-

den, Umdefinieren der Lernsituation, mutwilliges Beschädigen von

Inventar, Verbreiten permanenter Unruhe, Zuspätkommen, Fehlzeiten,

Abbruch: Diese Phänomene des Widerstands prägen über weite

Strecken die Normalität in „Lehranstalten“.

Fehlende Lerngründe

In der Schulzeit ist mit Lernen oft die Erfahrung von Unsinnigkeit, von

Druck, auch von Gewalt, von Versagen verbunden. Solche Erfahrungen

führen zu Lernmüdigkeit, die in der bildungspolitischen Debatte als

mangelnde „Lernfähigkeit“ von „Benachteiligten“ etikettiert wird. Per-

sönliche Lernerfahrungen setzen sich strukturell fort. Lernen ist immer

auch Anschlusslernen. Im Lebensverlauf häufen Menschen Lebens- und

Lernerfahrungen auf, die neues Lernen entweder mehr befördern oder

behindern.

Es gilt also den Blick auf Widerstände zu lenken, auf Bildungsabstinenz,

Motivationsverluste, Lernhemmnisse und Lernschranken, auf Spal-

tungslinien und Hürden: Auf Widerstände, die keineswegs nur durch

individuelle Dispositionen, sondern ebenso durch die bestehenden

Weiterbildungs-

hemmnisse

Aus Sicht der

Betriebsräte sind zen-

trale Weiterbildungs-

hemmnisse: der

Betrieb formuliert

keinen Bedarf und der

Betrieb übernimmt

die Kosten nicht.

Kapitel 3

54

Strukturen der Lebenswelt, insbesondere des Beschäftigungs- wie des

Bildungssystems erzeugt werden. Diese Erfahrungen sind dabei rück-

gebunden an die sozialen Zusammenhänge von Milieu und Geschlecht.

Menschen werden von konkreten Gründen bewegt, zu lernen oder nicht

zu lernen; diese Gründe sind eng an die Erfahrungen, Erwartungen und

Interessen im Laufe des Lebens gebunden. Die lernenden Personen

haben sich in spezifischen Milieus entwickelt, die zu Hemmnissen

geworden sein können und in institutionell bedingten Schranken verfe-

stigt sind. Wichtig für die klärende Bearbeitung und Überwindung von

Lernwiderständen ist die Erkenntnis, dass Hemmnisse und Schranken

nicht direkt verursachend wirken. Häufig werden sie erst dadurch

„intern“ im Fühlen und Denken bedeutsam, indem sie von den Lernen-

den erfahren und bewertet werden.

Wenn danach gefragt wird, was gelingendes Lernen sei, muss die Ant-

wort lauten: Wer glaubt, dass es eine herstellbare optimale Lernsituati-

on gibt, irrt gewaltig, Diese Annahme ist eine Illusion, die aufgegeben

werden muss. In den Lehrinstitutionen und besonders beim Lehrperso-

nal ist die Klage über Widerständigkeit, Faulheit und Widerborstigkeit

der Lernenden weit verbreitet. Es wird nach Rezepten gefragt, nach

Methoden, um solche Probleme instrumentell zu lösen. Dies ist frucht-

los. Wenn Lehrinstitutionen und Lehrpersonal glauben, Lernen „erzeu-

gen“ zu können, befinden sie sich in einer Sackgasse.

Nicht vorrangig Verfahren und Lernorte, sondern vor allem Inhalte sind

als Gründe des Lernens wichtig. Es geht bei der Selbstbestimmtheit

beim Lernen letztlich um Mündigkeit – einen Begriff, den man in seiner

Widerständigkeit gegenüber modischer Einfärbung kaum noch zu nen-

nen wagt, der aber in diesem Zusammenhang wieder stärker in den Vor-

dergrund rückt. Ebenso die Erkenntnis, dass Bildung nicht einfach „her-

stellbar“ ist.

Bedeutsame Ordnungen

Wenn die Lernenden berufliche Bildung nicht als für sie persönlich

bedeutsam erfahren, bleibt sie in die Disziplin vorgegebener Ordnun-

gen oder Anforderungen sowie kontrollierender Prüfungen einge-

zwängt, welche defensives Lernen erzwingen, weil ihr Sinn fremd und

somit äußerlich bleibt. Die Lernziele sind nicht durchschaubar und

erkennbar, die Lerninhalte nicht nachvollziehbar und die Prüfungsthe-

men kontrollierend. In der Folge entziehen sich die Lernenden bzw. rea-

gieren mit Lernwiderständen. Bei den verschiedenen Gruppen, die als

„Benachteiligte“ gefasst werden, kumulieren Lernschwierigkeiten. Die

Leistungsfähigkeit

Die Verbesserung der

beruflichen Leistungs-

fähigkeit ist für fast

80 % der Weiter-

bildungsteilnehmer

der entscheidende

Nutzen-Aspekt.

Kapitel 3

55

Betroffenen dürfen aber nicht ausgegrenzt, sondern müssen besonders

gefördert werden.

Eine Modularisierung der beruflichen Bildung, die – wie oben ent-

wickelt – an einem umfassenden Kompetenzprofil orientiert ist und die

die einzelnen Bausteine thematisch begründet und ihre Bedeutsamkeit

aufweist, könnte die negative Einstellung zum Lernen in positive Lust

auf Lernen verwandeln. Wenn Lernende die Bedeutsamkeit der Lernthe-

matiken als für sich bedeutsam verstehen, können sie eigene Lernin-

teressen entwickeln und einbringen. Die berufliche Bildung muss

betriebliche Verwertbarkeit und persönliche Interessen verbinden,

organisiertes und informelles Lernens sowie erfahrungsbezogenen und

systematischen Wissenserwerb kombinieren und schließlich die Lern-

wege durchlässig machen.

Subjektorientierte Lernberatung

Lerninteressen klären sich erst im Abgleich zwischen persönlichen

Motiven und als gesellschaftlich bedeutsam anerkannten Problemen.

Damit die Lernenden diese Abwägung selbst vornehmen können, brau-

chen sie unterstützende Beratung, die ihnen hilft, sich selbst und die

Entwicklungen der Gesellschaft zu erkennen. Bei der zunehmenden

Unübersichtlichkeit der Lernwege wird eine Lernberatung, die von den

Lebensinteressen der Lernenden ausgeht, also immer wichtiger.

Perspektiven expansiven Lernens

Auch wenn grundsätzlich unterstellt werden kann, dass Menschen

eigentlich immer lernfähig sind, ist nicht zu leugnen, dass für spezifisch

Lernende und konkrete Lernanforderungen Probleme und Schwierigkei-

ten entstehen können. Gleichzeitig wird deutlich, dass ein passives

Modell, dass so tut, als ob man einfach Inhalte quasi in leere Köpfe ein-

füllt, abwegig ist. Es ist von Anfang an klar, dass Lernende in vielfältigen

Zusammenhängen stehen, Situationen unterschiedlich wahrnehmen

und im Verlaufe ihres Lebens jeweils immer wieder auch ihre Vergan-

genheit verarbeiten.

Lernen erfolgt nie ohne Rückbezug auf Lebenserfahrungen, insbeson-

dere Lernerfahrungen: aus Kindheit, Schule, Arbeitsplatz, Familie usw.

Also muss etwa Lernmüdigkeit, die aus negativen Vorerfahrungen

herrührt, verarbeitet werden. Zum anderen entstehen Lernschwierig-

keiten, wenn die Sinnhaftigkeit von Lernbemühungen und Lernanstren-

gungen nicht nachvollzogen wird. Daraus ergeben sich Einflüsse auf

Lern- und Gedächtnisleistungen.

Lernbarrieren

13 % aller Personen im

erwerbsfähigen Alter

haben noch nie an

Weiterbildung teilge-

nommen.

Kapitel 3

56

Als „defensives Lernen“ wird „lebenslanges Lernen“ zum äußeren

Zwang. Es wird als Druck wahrgenommen, permanent, also „lebens-

länglich“, externen Anforderungen hinterher hetzen zu müssen. Damit

wird Lernen zur Entmündigung. Die Chance von Entfaltung von Kompe-

tenzen und Persönlichkeit durch Lernen wird kaum noch erfahrbar.

Im „selbstbestimmten Lernen“ könnte Interesse an der Entfaltung der

Persönlichkeit wieder aufscheinen und ein Lernen ermöglichen, das die

Lernenden für sich als bereichernd empfinden.

Ke

rna

us

sa

ge

n

57

Berufliche Bildung braucht lernförderliche Arbeit. Die Herstellung

einer lernförderlichen Arbeitsumgebung orientiert sich an Kriteri-

en und Maßnahmen: Handlungsspielraum, vollständige Hand-

lungs- bzw. Projektorientierung, Problem- und Komplexitätserfah-

rung, soziale Unterstützung bzw. Kollektivität, individuelle

Entwicklung und Reflexivität. Und sie bedarf der Begleitung und

Beratung.

Eine lern- und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung ist in

Anbindung an Qualitätsstandards und berufliche Bildungsgänge

vorzunehmen.

Eine Verengung der Kompetenzentwicklung auf betriebliche Lern-

orte ist aus bildungspolitischer Sicht unhaltbar. Denn dies würde

eine Abkoppelung von den Strukturen des allgemeinen Bildungs-

systems bedeuten. Daher kommt den Ansätzen zur Verbindung

von informellem und formellem Lernen ein erhebliches Gewicht zu.

Notwendig ist ein System berufsbezogener Schulen, das aus den

erwartbar zunehmenden Diskontinuitäten im Lebenszyklus des

Einzelnen Kontinuitäten macht, indem es Übergänge erleichtert,

Durchlässigkeit garantiert und systematische Lernphasen ermög-

licht. Es ist deshalb ein schrittweiser Aufbau eines integrierten

Berufsbildungssystems anzusteuern, in dem die berufsbildenden

Schulen ihren neuen Part in einem konsequent dual aufgebauten

System übernehmen.

Die beruflichen Schulen müssen aus ihrer reaktiven Rolle bei der

Krisenbewältigung im System beruflicher Bildung herausgehen

und einen aktiveren Part übernehmen. Dazu gehört die Entwick-

lung attraktiver vollzeitschulischer Ausbildungsgänge mit inte-

grierten betrieblichen Praxisanteilen. Notwendig ist dafür eine

Neuverteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Region, Arbeit-

geber und Gewerkschaften.

Menschen werden in ihrem Fühlen und Denken von jeweils kon-

kreten Gründen bewegt, zu lernen oder nicht zu lernen; diese

Gründe sind eng an die biografischen Erfahrungen, Erwartungen

und Interessen gebunden. Entscheidend für die Bereitschaft zu

lernen sind die Lerngründe und nicht die Lernorte.

Kernaussagen

Kapitel 4

58

4. Welche Folgen wird Berufsbildungs-

politik auf europäischer Ebene haben?

Das Ziel, Europa zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum und Arbeits-

markt mit unbegrenzter Mobilität von Unternehmen und Arbeitskräften

zu machen, erfordert Transparenz und wechselseitige Anerkennung der

Kompetenzen, die in den sehr unterschiedlichen Bildungssystemen

erzeugt werden. Diese Bedingungen zu schaffen macht sich die Europäi-

sche Kommission zur Aufgabe. Nach Art. 150 des EG-Vertrages muss sie

allerdings die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für die Inhalte und

die Gestaltung der beruflichen Bildung strikt beachten. Die Kommission

selbst ist auf unterstützende sowie ergänzende Maßnahmen

beschränkt.

Versuche, die nationalen Bildungssysteme einander anzugleichen, sind

bisher am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert. Allerdings hat

die EU-Kommission die berufsbildungspolitische Diskussion in den Mit-

gliedsländern nachhaltig durch Weißbücher und durch umfangreiche

Forschungsförderung zu Themen, die ihren Interessen dienen, beein-

flusst. Zu diesen Themen gehören vor allem die Aufwertung von infor-

mellem Lernen, zu „Kompetenz“ im Sinne der bereits erwähnten „com-

petencies“ (eng gezogene Fertigkeiten und Handlungsfähigkeit in

schmal geschnittenen Situationen) als Gegenkonzept zu Beruf sowie

zur Erfassung und Validierung solcher „competencies“, wie der zur Irre-

führung geeignete angelsächsische „terminus technicus“ dazu lautet.

Zusätzlich wurde zu Beginn des neuen Jahrhunderts für die berufliche

Bildung die Politik der so genannten „offenen Koordinierung“ in Gang

gesetzt, bei der die zuständigen Minister der Mitgliedsländer bei regel-

mäßigen Treffen konkrete Projekte festlegen, die sich weitgehend an

den Zielsetzungen der Kommission orientieren. Zugleich verständigen

sie sich auf nächste Schritte und verpflichten sich dazu, diese Projekte

auf nationaler Ebene innerhalb vereinbarter Fristen umzusetzen. Offene

Koordinierung bedeutet, dass jeder Mitgliedstaat die Standards der

anderen Mitgliedstaaten anerkennt. Im Ergebnis läuft diese Politik viel-

fach darauf hinaus, dass sich die niedrigsten Standards durchsetzen.

Gegenseitige Anerkennung kann formal noch als Koordinierung im

Sinne von Art. 150 des EG-Vertrages ausgegeben werden.

Kapitel 4

59

4.1. Bescheidene Chancen, große Risiken

Drei Projekte werden aktuell verfolgt; an ihrer Begründung und Ausge-

staltung zu Instrumenten wird derzeit gearbeitet, 2010 sollen sie in der

Fläche umgesetzt sein:

· das Projekt Europass: Der Europass soll allen Bürgern der EU

ermöglichen, ihre Qualifikationen und Kompetenzen durch einen

nach einheitlichen Vorgaben strukturierten europäischen Lebens-

lauf umfassend zu dokumentieren. Dieser soll Angaben zur Person,

zu Schul- und Berufsbildung, zu Arbeitserfahrungen und zu persön-

lichen Fähigkeiten und Kompetenzen enthalten, sowie „Diplomzu-

sätze“ und Nachweise von im Ausland absolvierten Bildungsab-

schnitten und Sprachkenntnissen. Diese schlichte Dokumentation

bewegt sich innerhalb des Kompetenzrahmens von Art. 150 des EG-

Vertrages.

· das Projekt Europäischer Qualifikationsrahmen (EQR): Qualifikati-

onsrahmen sind vertikal (von unten nach oben) und horizontal (auf

einer Linienebene) strukturierte Ordnungsschemata zur Beschrei-

bung, Systematisierung und Entwicklung der Beziehungen zwi-

schen Qualifikationen. Der Europäische Qualifikationsrahmen soll

Bezugssystem für zu schaffende nationale Qualifikationsrahmen

sein. Im Zusammenhang des EQR gelten als Qualifikationen nicht

die Lernergebnisse eines gesellschaftlich institutionalisierten Bil-

dungsgangs, sondern definierte schmale Bündel von Kenntnissen,

Fähigkeiten sowie beruflichen und persönlichen „competencies“,

die Ergebnis beliebiger formalisierter oder informeller Lernprozesse

sein können, sich aber in einer bestimmten Arbeits- oder Lernsitua-

tion als „Kompetenzen“ bewähren müssen („outcome-orientierte

Betrachtung“). Qualifikationen setzen sich aus schmalen Bündeln

von Wissen, Fähigkeiten und persönlichen „Kompetenzen“ zusam-

men – den so genannten Lerneinheiten – die in Teilen von Bildungs-

gängen („Modulen“) oder in informellen Lernprozessen erworben,

einzeln geprüft und einzeln im EQR verortet werden.

· das Projekt Europäisches Kredittransfer-System für berufliche Bil-

dung (ECVET), das auf dem EQR aufbaut: Jedem Niveau des EQR und

den hier eingeordneten Lerneinheiten soll eine bestimmte Zahl von

Kreditpunkten zugeordnet werden. Auch ECVET soll folglich nicht

von ganzheitlichen Berufsqualifikationen und gesellschaftlich defi-

nierten Bildungsgängen ausgehen, sondern von Lern-“outcomes“ in

Kapitel 4

60

Form schmaler Lerneinheiten und von in „Module“ fragmentierten

oder individualisierten Lernprozessen. Ziel des Systems von EQR

und ECVET ist, dass der „Lerner“ im Laufe seines Bildungs- und

Berufsweges zu beliebigen Zeitpunkten Lerneinheiten erwerben und

zu umfassenderen Profilen zusammenfügen („akkumulieren“) kann

und dass er einzelne Lerneinheiten im In- und Ausland auf andere,

auch höhere Bildungsgänge anrechnen lassen kann. Dieses System

soll zunächst für die berufliche Ausbildung eingeführt und später

auf Weiterbildung und informelles Lernen ausgedehnt werden.

Während der Europass bereits verabschiedet ist, werden die von Kom-

mission und so genannten Technischen Arbeitsgruppen entwickelten

Konzepte zu EQR und ECVET seit Mitte 2005 in Konsultationsprozessen

mit nationalen Regierungen, Vertretern der Sozialpartner und Bildungs-

anbietern diskutiert.

Sicher sind es sinnvolle Ziele, In- und Ausländern die Anrechnung von

im Ausland absolvierten Ausbildungs- und Studienphasen auf deutsche

Bildungsgänge zu ermöglichen, in betrieblichen Arbeitsprozessen

erworbene Qualifikationen transparent zu machen und Personen mit

dualer Ausbildung und Arbeitserfahrung das Hochschulstudium zu

erleichtern. Diesen möglichen Chancen stehen jedoch wesentlich

gewichtigere negative Gefahren für die Berufsbildung und daraus fol-

gend für die Gesellschaft gegenüber:

Für den Fall, dass EQR und ECVET in Deutschland eingeführt werden –

und dafür sprechen sowohl die Einbindung der deutschen Berufsbil-

dungspolitik in die „offene Koordinierung“ als auch die hinter den Kon-

zepten stehenden wirtschaftlichen Interessen – hätte dies weitreichen-

de Folgen für unsere berufliche Bildung:

· Die noch bestehenden beruflich geschnittenen Qualifikationen wür-

den in einzeln zertifizierte „Lerneinheiten“ fragmentiert, die sich

zwar zu traditionellen Qualifikationen, aber auch zu zufälligen Kom-

petenz-Patchworks addieren können: Breite und gesellschaftlich

normierte Qualifikationen würden zunehmend durch ganz hetero-

gene, oft betriebsspezifische und eng spezialisierte Fähigkeitsbün-

del abgelöst.

· Die Fragmentierung von Bildungsgängen in Module: Lernprozesse

wären nicht mehr auf breite Felder verwandter Tätigkeiten ausge-

richtet, sondern auf schmale Ausschnitte derselben.

· Die Individualisierung von Ausbildungswegen: Gesellschaftlich

geplante und normierte Lernprozesse würden abgelöst durch sol-

Ausbildungsquote

Die Ausbildungsquote

lag 1985 noch bei

8,8 %. Bis 2003 war sie

auf 6,4 % gesunken.

Kapitel 4

61

che, die bestenfalls vom einzelnen Jugendlichen oder Betrieb

geplant sind, ansonsten aber aus dem Angebot von Bildungsanbie-

tern, zufälligen Arbeitseinsätzen und lebensweltlichen Erfahrungen

resultieren.

· Die Verlagerung der Identifizierung und Anerkennung von Qualifika-

tionen: Sie würden Aufgabe des einzelnen Betriebes und/oder von

Validierungs- und Zertifizierungsorganisationen oder -unterneh-

men.

Die Realisierung dieser Konzepte ist, wie gesagt, noch nicht beschlos-

sen, aber durchaus wahrscheinlich. Konsequenz wäre die Eliminierung

des Berufsprinzips, des auf dem Berufsprinzip aufbauenden „dualen

Systems“ und vor allem die Eliminierung der Funktionalitäten für Arbeit-

nehmer, Wirtschaft und Gesellschaft, die aus seinem Systemcharakter

resultieren:

· Arbeitnehmer wären nicht mehr auf den vielen verwandten Arbeits-

plätzen eines Berufes in vielen Betrieben einsetzbar. Horizontale

Mobilität verlöre ihre Basis, Betriebswechsel würde jedes Mal einen

Neubeginn „von ganz unten“ erfordern („Zerstörung berufsfachli-

cher Arbeitsmärkte“). Dies würde zu einer stärkeren Abhängigkeit

der Arbeitnehmer vom Betrieb führen, aber auch zu tayloristischer

Arbeitsorganisation.

· Jugendliche würden selbst verantwortlich für die Gestaltung ihres

Ausbildungswegs, für Auswahl und Erwerb der zu akkumulierenden

Qualifikationen. Sozialparteien und Staat wären aus ihrer Mitver-

antwortung für die notwendigen Inputs in die Ausbildung des

Arbeitskräftenachwuchses und für dessen Struktur und Qualität

entlassen. Dass Nachwuchskräfte überhaupt die Möglichkeit

bekommen, in ausreichendem Umfang Qualifikationen zu erwer-

ben, und dass damit zugleich ein ausreichendes Qualifikationsan-

gebot für die Wirtschaft entsteht, wäre noch viel schwieriger sicher-

zustellen als heute.

· An allen größeren Orten müssten Institutionen für die Erfassung,

Validierung und Zertifizierung von „Kompetenzen“ aufgebaut wer-

den, mit Sachverständigen aus allen Arbeitsfeldern und komplizier-

ten Verfahren. Dies könnten entweder Behörden (bzw. „Agenturen“)

oder private Validierungs- und Zertifizierungsunternehmen sein;

angesichts von GATS (General Agreement on Trade in Services) und

europäischer Dienstleistungsrichtlinie kämen mit großer Wahr-

scheinlichkeit wohl die privaten Unternehmen zum Zuge. Die Folge

Die auf europäischer Ebene konzipierte

Berufsbildungspolitik gewinnt erheblich an

Durchsetzungsfähigkeit und Dynamik. Gemein-

sam ist ihren zentralen Projekten EQR und

ECVET, dass sie auf Outcome-Orientierung,

Modularisierung von Bildungsgängen und

Fragmentierung von ganzheitlichen Qualifika-

tionen in schmale Qualifikationspartikel zielen;

damit sind sie nicht kompatibel mit dem das

deutsche Berufsbildungssystem bestimmenden

Berufsprinzip.

Dr. Ingrid Drexel

Bildungsforscherin München

Kapitel 4

64

wären in jedem Fall zusätzliche Kosten. Staatliche Ausgaben zur

Unterstützung von dualer Ausbildung und Fortbildung würden

durch Ausgaben für Validierung und Zertifizierung von Lerneinhei-

ten abgelöst. Einsparungen sind angesichts des Aufwands individu-

alisierter Erfassung von „Kompetenzen“ und ihrer wahrscheinlich

privatwirtschaftlichen Form sehr fraglich.

· Die Bestimmung des Werts der Arbeitskraft – als Basis der Entloh-

nung – würde auf Grund der völligen Individualisierung der Qualifi-

kationsprofile von der Branchenebene in den einzelnen Betrieb und

eventuell sogar auf die Ebene persönlicher Aushandlung verlagert.

Arbeitnehmer würden den Schutz kollektiver Regelungen ihrer Ent-

lohnung (tariflicher Eingruppierungsregeln) verlieren.

Angesichts der erwartbaren negativen Folgen empfehlen sich alternati-

ve Lösungen, die keine vergleichbaren Folgeprobleme hätten und auch

viel weniger aufwändig wären. So insbesondere eine für Nutzer gut

„lesbare“ Dokumentation von Bildungs- und Berufswegen und der

dabei erworbenen formalen Qualifikationen und Erfahrungen, wie im

Europass bereits vorgesehen, ergänzt durch Einzelfall- bzw. Externen-

prüfungen für diejenigen, die den Eintritt in ein ausländisches Bil-

dungssystem bzw. ein anderes Bildungssegment (z. B. Hochschule)

anstreben.

4.2. Aufklärung und Widerstand

Die Entstehung eines europäischen Arbeitsmarktes, der den Bewohnern

ganz Europas das Recht auf Mobilität und Arbeitsaufnahme in jedem

Land einräumt, erfordert zweifellos neue Antworten (auch) der Berufs-

bildungspolitik. Doch sind EQR und ECVET sehr spezifische Antworten,

die sich nur durch zusätzliche, selten ausgesprochene, aber letztlich

dominante Interessen erklären lassen, welche von der Kommission und

den Kräften, die sie stützen, gefördert werden.

Im Vordergrund steht das Interesse an Bedingungen, die den Unterneh-

men die volle Nutzung der Arbeitskräfte aus ganz Europa trotz ihrer

unterschiedlichen Ausbildung ermöglichen. Vordringlich ist es aus die-

ser Perspektive zum einen, die persönlichen Profile der tatsächlichen

Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werte der Arbeitnehmer für

die Unternehmen „lesbar“ zu machen, um ihnen einen Vergleich des

Verhältnisses von Leistungspotenzial und Entlohnung in verschiedenen

Kapitel 4

65

Ländern zu ermöglichen, die ihnen eine Optimierung von Personalaus-

wahl und Standortwahl erlaubt. Zum anderen können die nationalen

Qualifikations- und Arbeitsmärkte durch eine Entwertung der nationa-

len Bildungsabschlüsse dereguliert werden; was die Mobilisierung und

flexible Nutzung der Potenziale des gesamt-europäischen Arbeitskräf-

teangebots erleichtert.

Die zentrale Rolle spielen aber die Interessen der nationalen und inter-

nationalen Anbieter von „Bildungsdienstleistungen“ im weitesten

Sinne: Bildungsanbieter und Bildungsberater, Validierungs- und Zertifi-

zierungsinstitutionen und -unternehmen sowie nicht zuletzt Forschung,

die im Auftrag der EU und nationaler Regierungen für ein kompetenz-

und outcome-orientiertes System technische Voraussetzungen und

Akzeptanz schaffen soll. All diese Akteure einer rasch wachsenden

Branche, die in Ländern mit kompetenz- und outcome-orientierten

Systemen (u.a. Großbritannien und USA) bereits heute große Bedeu-

tung haben, wollen im Zuge der Liberalisierung von Dienstleistungen

ihren Markt auf ganz Europa ausdehnen („Bildungsraum Europa“).

Dafür ist aber unabdingbare Voraussetzung, dass in Ländern wie

Deutschland die bestehenden Strukturen und Regelungen der Berufs-

bildung eliminiert werden.

Der Druck auf Einführung eines „outcome“-orientierten, modularen

Systems ist in der deutschen Öffentlichkeit wenig sichtbar, aber de facto

groß. Aktuell verstärkt er sich im Zusammenhang mit den erwähnten

Konsultationsprozessen. Doch ist resignative Hinnahme dieser Entwick-

lung nicht angebracht, aus mehreren Gründen:

Das Prinzip der „Freiwilligkeit“ von Systemveränderungen auf nationa-

ler Ebene ist nicht aufgehoben, das wird in den Verlautbarungen der EU

regelmäßig betont. Nur wird eben versucht, Freiwilligkeit durch das Ver-

fahren der „offenen Koordinierung“ auszuhebeln, in dem sich die Regie-

rungen in immer neuen Schritten zur Annäherung an die Ziele der EU

(und entsprechend orientierter Mitgliedstaaten) verpflichten, und durch

immense Werbungskampagnen in den Mitgliedsstaaten. Noch ist aber

die nationale Regierung die Entscheidungsebene. Also können Akteure

wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Parteien und Öffentlichkeit

auf die deutsche Regierung Einfluss nehmen, um die skizzierte Entwick-

lung zu verhindern.

Die Voraussetzungen für Widerstand sind nicht schlecht: Das ange-

strebte System brächte sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die

Mehrheit der Unternehmen große Nachteile – und für die Gesellschaft

insgesamt. Damit gibt es potenziell breites Interesse an seiner Verhin-

Kapitel 4

66

derung, die (explizite und stillschweigende) Allianzen und breiten

Widerstand begründen können. Solche Widerstandsallianzen haben

durchaus Erfolgschancen, da die Kommission für die Ingangsetzung des

geplanten Systems unabdingbar auf die Kooperation der nationalen

Akteure angewiesen ist. Zu diesen Allianzen können neben den Arbeit-

nehmern und ihren Gewerkschaften auch die Arbeitgeber gehören. Das

zeigen Erklärungen der Arbeitgeber gegen Modularisierung in der Ver-

gangenheit und das zeigt möglicherweise auch ein neuer Vorschlag, der

zwar bestimmte Argumente der EU-Kommission aufgreift, aber das

Berufsprinzip und seine Voraussetzungen absichern will, so insbeson-

dere die Gewährleistung des Ordnungsrahmens für Planung und Durch-

führung der Berufsbildung durch Berufsbildungsgesetz und Hand-

werksordnung und die Beteiligung der Sozialpartner. Der dritte große

Bündnispartner kann und sollte „die Öffentlichkeit“ sein; die sozialen

und finanziellen Folgen des angestrebten Systems müssten ja von der

Bevölkerung insgesamt mitgetragen werden.

Allerdings müssen diese Voraussetzungen für Widerstand gegen eine

Zerstörung des Dualen Systems der Berufsausbildung tatsächlich

genutzt werden – und zwar sehr rasch.

Dass die Kommission in Sachen Berufsbildung ihre Vorstellungen imple-

mentieren und die beschriebenen Veränderungsprojekte so weit voran-

treiben konnte, hat mehrere Gründe; bei ihnen gilt es anzusetzen:

Die Diskussion um die konkrete Form, in der Qualifikationen, die in ver-

schiedenen Ländern entstanden sind, transparent gemacht werden sol-

len, war und ist eine Sache von Insidern: einerseits des Personals der

EU-Kommission und von ihr beauftragter Berater und Wissenschaftler,

die an ihre Zielsetzungen gebunden sind, andererseits einiger weniger

Vertreter der zuständigen nationalen Ministerien sowie der europäi-

schen Dachverbände von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Auch in

den Konsultationsprozessen wird nur eine sehr begrenzte Öffentlichkeit

hergestellt; und es werden nur Fragen des Wie, nicht des Ob und der Fol-

gen diskutiert. Diese doppelte Begrenzung der Entscheidungsfindung

verhindert eine breite, auch kritische Diskussion und die Formulierung

von Widerstand und Alternativkonzepten. Dies gilt es zu verändern:

· mit einer breiten Information der Bevölkerung, insbesondere der

Arbeitnehmer: über die absehbaren Folgen eines modularen

Systems und über die Interessen, die mit diesem System verbunden

sind; die Information über die Interessen der „Bildungsdienstlei-

stungsunternehmen“ im In- und Ausland lässt sich verbinden mit

Kapitel 4

67

dem Widerstand gegen die generelle Liberalisierung der Dienstlei-

stungen;

· mit der Herstellung von Öffentlichkeit in Bezug auf die einzelnen

Schritte der „offen koordinierten“ Prozesse, d.h. mit öffentlicher

Vordiskussion der jeweils von der EU-Kommission vorgeschlagenen

nächsten Entscheidungen, damit weitere Selbstverpflichtungen der

deutschen Regierung zur Einführung eines modularen Systems

ebenso verhindert werden wie die Legitimation dieser Politik mit

angeblich unabweisbaren Vorgaben der EU;

· mit der Ausarbeitung solcher wie der skizzierten alternativen Ant-

worten auf die Erfordernisse eines europaweiten Arbeitsmarktes;

· und mit einem Bündnis von Gewerkschaften, Wirtschafts- und Bran-

chenverbänden und Unternehmen mit Fachkräftebedarf sowie sozi-

alstaatlich orientierten Kräften in Parteien und Gesellschaft.

Zu diesen Schritten auf nationaler Ebene sollten soweit als möglich

Bündnisse mit geeigneten Akteuren in anderen Ländern Europas kom-

men, die auch an breiten Qualifikationen und anspruchsvoller Ausbil-

dung festhalten wollen sowie die Entwicklung einer gemeinsamen Stra-

tegie und gemeinsamer Gegenvorschläge. Auf dieser Basis kann

versucht werden, die Teile des Europäischen Parlaments, die nicht an

neoliberalen Zielen orientiert sind, einzubeziehen.

Der erste Anlass für die genannten Schritte ist der erwähnte Konsulta-

tionsprozess, der für EQR und ECVET Akzeptanz herstellen und die

nationalen Regierungen und Sozialparteien für die Beteiligung Deutsch-

lands und die Schaffung der rechtlichen und institutionellen Vorausset-

zungen für EQR und ECVET gewinnen soll. Die Diskussion muss jedoch

endlich unter breiter Beteiligung der Bevölkerung geführt werden, die

von der EU-Kommission beabsichtigte Begrenzung auf die so genannten

Stakeholders ist inakzeptabel. Auf der Basis von umfassender Informa-

tion und Diskussion kann die Bevölkerung dann auch ihre Vertreter –

Gewerkschaften, nationale und europäische Parlamentarier – mit der

Vertretung ihrer Interessen in dieser Sache beauftragen.

Sollte, wie durchaus wahrscheinlich, das EQR/ECVET-Konzept nach dem

Konsultationsprozess im Wesentlichen unverändert durch den Europäi-

schen Rat verabschiedet und den einzelnen Staaten zur Umsetzung

empfohlen werden, dann steht Deutschland vor der Entscheidung über

eine Beteiligung. Es liegt auf der Hand, dass dann Kritik und Widerstand

noch einmal verstärkt werden müssen, um die Verdrängung des Dualen

Systems durch einen Markt von Modulen und Zertifikaten zu verhindern.

Kapitel 4

68

Zu bedenken ist dabei, dass Kritik an der aktuellen Berufsbildungspoli-

tik der EU-Kommission keineswegs die Ablehnung eines zusammen-

wachsenden Europa bedeutet. Sie ist im Gegenteil eine notwendige

Strategie, Akzeptanz für Europa zu erhalten und ein Anwachsen von

Europafeindlichkeit zu verhindern.

Ke

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ge

nKernaussagen

69

Mit der Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR)

und dem Europäischen Kredittransfer und -akkumulationssystem

für berufliche Bildung (ECVET) käme es zu einer „outcome“-Orien-

tierung der beruflichen Bildung, zu einer Ablösung breiter gesell-

schaftlich normierter Qualifikationen durch schmale betriebsspe-

zifische Kenntnisse und Fertigkeiten und zu einer Modularisierung

der Bildungsgänge.

Die Folgen für die berufliche Bildung wären die Entstehung eines

Markts für Ausbildungsmodule, eine Individualisierung der Ausbil-

dungswege sowie eine tendenziellen Verlagerung der Anerken-

nung von Qualifikationen an Zertifizierungsagenturen oder -unter-

nehmen.

Das auf dem Berufsprinzip aufbauende Duale Berufsbildungssy-

stem wäre hierdurch gefährdet und es könnte wichtige Funktionen

für Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr erbringen: Horizontale

Mobilität verlöre ihre Basis; Sozialparteien und Staat würden aus

ihrer Verantwortung für die Ausbildung entlassen, stattdessen

wären die Jugendlichen selbst für die Gestaltung ihrer Ausbildung

verantwortlich; Einrichtungen zur Erfassung, Validierung und Zer-

tifizierung von Kompetenzen würden zusätzliche Kosten verursa-

chen und schließlich würden Lohnverhandlungen von der tarifver-

traglichen Ebene auf die betriebliche oder individuelle Ebene

verlagert.

Die Diskussion um die konkrete Form, in der auf unterschiedliche

Weise entstandene Qualifikationen transparent gemacht werden

sollen, war und ist eine Sache von Insidern und massiv durch die

Politik der EU-Kommission beeinflusst. Eine solche wenig demo-

kratische Begrenzung der Entscheidungsfindung auf einige Insider

verhindert eine breite kritische Diskussion der Folgen von EQR und

ECVET und über die Entwicklung von Alternativen und Widerstand.

Es müssen Alternativen einer Berufsbildung entwickelt werden,

die den realen Anforderungen der sich allmählich entwickelnden

europäischen Arbeitsmärkte gerecht werden. Zur Durchsetzung

solcher Alternativen ist ein Bündnis von Gewerkschaften, Wirt-

schafts- und Branchenverbänden sowie sozialstaatlich orientier-

ten Kräften in Parteien und Gesellschaft notwendig.

Kapitel 5

70

5. Wer trägt die Verantwortung?

In Deutschland hat sich für das Aus- und das Weiterbildungssystem eine

besondere Form „mittlerer Systematisierung“ mit unterschiedlicher

Ausprägung herausgebildet. Gekennzeichnet ist dieses System durch

ein Spannungsfeld zwischen ökonomischer Regulierung über den Markt

und die Unternehmen einerseits und verschiedene Ebenen und Beteilig-

te der politisch-gesetzlichen Steuerung durch öffentliche Institutionen

und den Staat andererseits. Aus der Sozialstaatsklausel und aus dem

Recht auf Arbeit als Bestimmungen des Grundgesetzes lässt sich ein

Gebot zur Versorgung mit Bildungsmöglichkeiten durch die privaten und

öffentlichen Arbeitgeber ableiten, nicht allerdings ein umfassendes Ver-

sorgungsgebot in staatlicher Trägerschaft. „Öffentliche Verantwortung“

heißt keineswegs ausschließlich staatliche Trägerschaft oder staatli-

chen Mitteleinsatz, sondern die Verpflichtung des Staates, für ausrei-

chende Bildungsangebote zu sorgen, und dafür auch private Träger in

die Pflicht zu nehmen. Die bisher bestehende Form der Institutionalisie-

rung, beispielsweise im Dualen System der Ausbildung in Betrieb und

Berufsschule, die sich in einer Zwischenlage zwischen einer markt-

mäßig regulierten Ökonomie und dem Sozialstaatsprinzip ausgeprägt

hat, wird durch zunehmende Marktradikalität und daraus resultierende

fortschreitende Verringerung von Lernmöglichkeiten (Ausbildungsplät-

zen in Betrieben) ausgehöhlt. Es kommt deshalb darauf an, die Gestal-

tungsinstrumente zu stärken und finanzielle und gesetzliche Mechanis-

men in öffentlicher Verantwortung zu aktivieren.

5.1 Zwischen Marktregulierung und Staatssteuerung

Das Duale System, welches die deutsche Erstausbildung prägt, wird

dadurch dominiert, dass Unternehmen und öffentliche Verwaltungen

auf dem Lehrstellenmarkt über die Rekrutierung von Auszubildenden

entscheiden. Andererseits nimmt der Staat über Ausbildungsordnun-

gen, die korporatistisch entwickelt und als Rechtsverordnungen erlas-

sen werden, und über die Anteile der Berufsschulen öffentlichen Ein-

fluss. Gegen die bloße Betrieblichkeit der Ausbildung als Vorbereitung

auf Arbeitskrafteinsatz wird im Dualen System die Verbetrieblichung

partiell eingeschränkt durch Standardisierung in Qualifikationsnormen

der Beruflichkeit, welche in den Ausbildungsordnungen und schuli-

schen Rahmenplänen curricularisiert wird.

Kapitel 5

71

Gleichzeitig wird Weiterbildung fast ganz aus der berufsbildungspoliti-

schen Diskussion ausgeblendet. Weiterbildung wird viel mehr zur

„Bringschuld“ der Erwerbstätigen deklariert: sie sollen ihre Kompeten-

zen mitbringen und sich in eigener Verantwortung auch im chaotischen

Wandel auf dem Laufenden und damit beschäftigungsfähig halten. Die

in der Berufsbildung verstärkten und besonders in der Weiterbildung

immer schon verbreiteten Stichworte „mehr Markt – weniger Staat“,

„Privatisierung“, „Kommerzialisierung“ signalisieren eine ordnungspo-

litische Grundsatzdiskussion, die theoretisch eigentlich schon für über-

holt gehalten werden konnte. Die Interessen und Tendenzen, die darin

zum Ausdruck kommen, sollen lediglich Kosten von den Unternehmen

fernhalten und zielen generell auf die Erosion der Sozialstaatlichkeit.

Wir halten dagegen: Schon aus individualistischem Blickwinkel ist

erkennbar, dass eine ausschließlich nach dem Marktmodell funktionie-

rende Regulation des Bildungswesens auf Grund nicht zurechenbarer

Verantwortung, Erträge und Kosten und unabsehbarer externer Effekte

zu problematischen Defiziten führt. Diese Defizite verstärken sich für

kollektive Interessen, wenn man die Notwendigkeit umfassender Bil-

dung in Hinsicht auf die gesellschaftlichen Anforderungen demokrati-

scher Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit mit bedenkt. Vorhandene

Defizite im Berufsbildungssystem können geradezu als Paradebeispiel

für das Versagen des Marktes herangezogen werden.

Das heißt nun aber nicht, dass der Staat überall ordnend, kontrollie-

rend und steuernd eingreifen muss. Auch dies ist Ergebnis der Diskus-

sion: dass staatliche Eingriffe z.B. durch „Verschulung“ der Berufsbil-

dung keineswegs ein Allheilmittel sind. Der Bildungsbereich ist auch

ein Paradebeispiel für eine Überkomplexität im Verhältnis zur

beschränkten Verarbeitungskapazität staatlicher Politik. Notwendiger-

weise kommt es zu Steuerungsdefiziten, die aus mehreren Gründen

verursachet werden: durch unzureichende Information und daraus

resultierenden fehlenden Sachverstand; durch Ungeklärtheit der

Zuständigkeiten; durch Ressortegoismus der beteiligten Verwaltungen;

durch die Ebenenverflechtungen der Bundes-, Länder- und Kommunal-

behörden. Neben diesen Informations- und Organisationsproblemen

ergibt sich angesichts der (selbsterzeugten) Finanzkrise des Staates ein

zwingendes Umsetzungsdefizit, weil die „öffentliche Hand“ nicht über

die Ressourcen verfügt, umfassende Ziele zu realisieren. Es wäre auf

absehbare Zeit wenig aussichtsreich und auch nicht sinnvoll, die

Gesamtausgaben für die Berufsbildung über Steuermittel finanzieren

zu wollen.

Freunde

Die Tarifverträge zur

Weiterbildung haben

kaum Kritiker. Bei den

Managern liegt der

Anteil jener, die Quali-

fizierungstarifverträge

für unnötig und eher

behindernd als för-

dernd halten, bei 2 bis

7%, so belegen es

exemplarische Studien.

Gewerkschaften und Arbeitgeber sind zentrale

Akteure in der beruflichen Bildung. Der Staat

sollte ihnen auf dem Gebiet beruflicher

Aus- und Weiterbildung mehr Aufgaben als

bisher übertragen. Die Konsensbildung ist der

entscheidende Hebel zum Erfolg.

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Berufsbildungsforscher Bonn, ehemaliger

Generalsekretär des Bundesinstituts für

Berufsbildung (BIBB)

Kapitel 5

74

Die Gleichzeitigkeit von Marktversagen und Staatsversagen ist seit dem

Auslaufen der Bildungsreform in den 1970er Jahren bekannt. Trotzdem

sind bisher ausgleichende Regulationsmechanismen und Reformstrate-

gien zur Bereitstellung von Ressourcen für das allseits als unabdingbar

hochgehaltene „Lebenslange Lernen“ nicht entwickelt worden. Die herr-

schenden Politikansätze versuchen die Berufsbildungskrise zu verwal-

ten und durch Anreize, Androhungen und Appelle zu überspielen. Es ist

zwingend notwendig, sich aus der ordnungspolitischen Alternative

„Markt“ versus „Staat“, welche immer neue Grabenkämpfe erzwingt, zu

befreien.

Öffentliche Verantwortung und Komplexität der Berufsbildung

Mit dem Berufsbildungsgesetz von 1969 wurde die betriebliche Berufs-

ausbildung im Dualen System Teil des öffentlichen Bildungswesens.

Den Sozialparteien wurden in der Planung und Ordnung des Systems

sowie in der Berufsbildungsforschung des neu geschaffenen Bundesin-

stituts für Berufsbildung weitgehende Mitbestimmungsrechte einge-

räumt. Damit wurde erstmals ein Forschungsbereich geschaffen, der

gesellschaftlich verantwortet wird. Zwar blieb es weiterhin in die Ent-

scheidung der Unternehmen gestellt, Jugendliche auf Grund pri-

vatrechtlicher Verträge auszubilden. Mit der Entscheidung für eine Aus-

bildung müssen sie seitdem jedoch ihre Ausbildungstätigkeit nach den

staatlichen Normen des Gesetzes und den inhaltlichen Vorgaben von

Rechtsverordnungen (Ausbildungsordnungen, etc.) ausrichten. Und

zudem müssen sie seitdem nach den Vorschriften des Betriebsverfas-

sungsgesetzes oder Berufsbildungsgesetzes eine Qualitätskontrolle

der Ausbildung durch die Betriebsräte hinnehmen.

Das öffentliche Bildungswesen, besser: die allgemeine Bildung, hat die

jüngere Schwester Berufsbildung allerdings nie als gleichwertig aner-

kannt. Alle Reformansätze einer Integration oder einer Anerkennung

beruflicher Bildungsleistungen als gleichwertige und damit anrechen-

bare Leistungen wurden verhindert. Aber auch die Unternehmen nah-

men die Konsequenzen, die sich aus der Einbeziehung ihrer Ausbil-

dungstätigkeit in das öffentliche Bildungswesen ergaben, nur insoweit

hin, als es sich um die konkreten Regelungen des Berufsbildungsgeset-

zes handelte. In der verfassungsrechtlichen Diskussion wurde nämlich

herausgearbeitet, dass Bildung Voraussetzung ist für die freie Entfal-

tung der Person, für Freiheit der Meinungsbildung und Meinungsäuße-

rung, für Teilnahme an Kommunikationsprozessen, für freie Wahl und

damit auch Erhaltung von Beruf und Arbeitsplatz, für Freiheit und Wahl

Kapitel 5

75

der Arbeitsstätte. Die Verbürgung der Freiheitsrechte durch das Grund-

gesetz beinhaltet aber auch entsprechend Artikel 1 Abs. 3 Grundgesetz

(GG) einen Teilhabeanspruch. Demgemäß heißt „öffentliche Verantwor-

tung“, dass gesellschaftliche Prozesse nicht dem Belieben der einzel-

nen Menschen, der Familien und sonstigen Primärgruppen oder der

Unternehmen überlassen bleibt, also der privaten Sphäre, sondern in

gesellschaftlich organisierten Verfahren, also in einer öffentlichen

Sphäre, verantwortet wird. Das Demokratieprinzip reicht so über parla-

mentarische Delegationsprozesse, also die Wahl von Abgeordneten als

Stellvertreter des Volkes, hinaus und gilt auch für die Entscheidungs-

strukturen im Berufsbildungssystem.

Welche gesellschaftlichen Aktivitäten der privaten und welche der

öffentlichen Sphäre zugeordnet sind, ist keine feststehende Größe, son-

dern ausgehend von der Idee von Gerechtigkeit immer als Ergebnis von

Entscheidungsfindungsprozessen an demokratischen Zielsetzungen

und an Machtverhältnissen zu messen. Gesichtspunkte, die in der Dis-

kussion um eine „Mittlere Systematisierung der Weiterbildung“ heraus

gearbeitet worden sind können für die Berufsbildung generalisiert wer-

den.

Institutionelle Gewährleistung: In der Debatte um die Gestaltung von

Berufsbildung gilt – mit Ausnahme der akademischen Berufsausbildung

– mehrheitlich ein Verschulungsmodell als problematisch, obwohl auch

in der Oberstufe des Bildungswesens eine nicht unbeträchtliche Zahl

von Jugendlichen ausschließlich schulisch ausgebildet werden. Nichts-

destoweniger müssen Institutionen gesichert werden, welche verlässli-

che Grundangebote bereit stellen, zumal sich das Duale System seit

Jahrzehnten als unfähig erwiesen hat, ausreichend Ausbildungsplätze

bereit zu stellen.

Infrastrukturelle Unterstützung: Unter dem Stichwort Supportstrukturen

werden Leistungen wie Information, Beratung, Qualitätssicherung und

Kooperationsverbünde zusammengefasst.

Finanzielle Förderung: Obwohl das Bundesverfassungsgericht 1980

festgestellt hat, dass es die Aufgabe der privaten und öffentlichen

Arbeitgeber ist, genügend Ausbildungsplätze für die nachfragenden

Jugendlichen bereit zu stellen und die Kosten hierfür zu tragen, besteht

weitgehend Konsens darüber, dass der Staat die Garantie für die Aus-

bildung aller zu übernehmen und dafür auch die Finanzierung zu

Wenn man über Projektemacherei und Modell-

versucherei und den resultierenden Innova-

tionsnebel hinaus eine langfristig nachhaltige

Entwicklung des Berufsbildungssystems in

Gang setzen will, muss nach meiner Einschät-

zung eine entsprechende Strukturpolitik juris-

tisch abgesichert werden. Dabei geht es darum,

den Konsens über „Lebenslanges Lernen“

auszuloten und Rahmenbindungen für alle

Beteiligten im Sinne der Erhöhung von Lern-

chancen zu klären.

Prof. Dr. Peter Faulstich

Universität Hamburg

Kapitel 5

78

sichern. Bund und Länder haben dementsprechend in den vergangenen

Jahrzehnten ständig steigende Finanzierungsbeiträge zur beruflichen

Ausbildung geleistet. Die fortdauernde Finanznot der Staatshaushalte

macht es erforderlich, die vorhandenen Mittel gezielter einzusetzen und

alternative Modelle der Mittelaufbringung wie Berufsbildungsfonds zu

entwickeln.

Juristische Absicherung: Durch ein Bundesweiterbildungsgesetz kön-

nen die Rahmenbedingungen für die Handlungsspielräume der Lernen-

den, der Unternehmen und der Institutionen geklärt werden. Dies

betrifft vor allem Zugangsmöglichkeiten, Berechtigungen durch Zertifi-

zierung und Lernzeitansprüche.

Ansätze dafür und weitere Möglichkeiten für gesellschaftliche Vermitt-

lungs- und Entscheidungsformen bietet die Diskussion um „Netz-

werke“. Netzwerke stützen sich vorrangig nicht auf monetäre oder hier-

archische Verhältnisse, sondern auf Bedingungen, die Zusammenhang

konstituieren, wie Vertrauen, Anerkennung und die Aushandlung

gemeinsamer Interessen. Über einzelne Kooperationsaktivitäten hinaus

sind Netzwerke durch einigermaßen dauerhafte Kopplungen der betei-

ligten Akteure gekennzeichnet. Sie stellen somit eine neue Form von

Regulationsmechanismus neben Markt und Staat dar – jedenfalls wenn

man die gegenwärtigen, unzulänglichen Ausprägungen, wie sie sich in

den „Lernenden Regionen“ zeigen, auf ihre Perspektiven hin prüft und

diese offensiv interpretiert. An Beispielen von „Lernenden Regionen“

zeigt sich, wie staatliche und private Handlungsformen sich ineinander

schieben und eine Sphäre öffentlichen Handelns entstehen kann, an der

staatliche Instanzen, öffentlich-rechtliche Körperschaften, Verbände

und Organisationen sowie private Akteure beteiligt sind.

Diskrepanz zwischen Reformbedarf und Gestaltungshorizonten

Durch einen verstärkten und gezielten Einsatz öffentlicher Mittel sowie

durch regionalisierte kooperative Entscheidungsfindung können neue

Ansätze für eine Ressourcenaufbringung und Ressourcensicherung für

eine berufliche Bildung in öffentlicher oder gesellschaftlicher Verant-

wortung (Sozialparteien) gefunden werden. Allerdings hat die Dauer der

Probleme bisher keineswegs dazu geführt, dass entsprechende öffent-

liche Vorsorge getroffen worden ist, um Lernmöglichkeiten zu sichern

und auszubauen. Tatsache ist vielmehr, dass die Erosion der Erstausbil-

dung fortschreitet, weil zunehmend die betriebliche Hauptsäule des

Kapitel 5

79

Dualen Systems wackelt, und die Berufsschulen immer schon

schwächelten, auch wenn die Teilnehmerzahlen an Vollzeitschulen

erheblich gestiegen sind. Weiterbildung kann diesen Erosionsprozess

nicht ausgleichen, genau so wenig wie die berufliche Bildung das Feh-

len einer frühkindlichen Spracherziehung und die Mängel des dreiglie-

drigen Schulwesens ausgleichen kann.

Staatliche Gestaltung beschränkt sich zunehmend auf finanzielle Sub-

vention der fehlenden Lehrstellen und das Vorzeigen der „Folterwerk-

zeuge“ einer Berufsbildungsumlage, die allerdings zur Drohgebärde

verkommen ist. Der hohe staatliche Mitteleinsatz hat auch nicht zu einer

Stärkung öffentlichen Einflusses geführt.

Stattdessen käme es darauf an, Perspektiven in Richtung auf ein Berufs-

bildungssystem zu klären, das differenziert ist und die die Abschlüsse

verschiedener Lernwege anerkennt. Es geht um Profile, die auf Beruf-

lichkeit hin orientiert sind, das Lernen in Abschnitten ermöglicht und die

durchlässig sind.

5.2. Finanzierungsverantwortung für die Berufsbildung

Die „mittlere Systematisierung“ kennzeichnet auch eine Gemengelage

zwischen persönlicher, betrieblicher, gesellschaftlicher und öffentlicher

Verantwortung. Der Nutzen des Aufwands für Lernen ist verteilt. In der

Berufsausbildung gibt es immer noch eine breite Übereinstimmung,

dass nicht die Jugendlichen, sondern die Unternehmen und der Staat

die Kosten zu tragen haben. In der betrieblichen, arbeitsplatzbezogenen

Anpassungsweiterbildung bezweifelt niemand die Verpflichtung des

Arbeitgebers, für die entsprechenden Kosten aufzukommen. In der Auf-

stiegsweiterbildung kommt es darauf an einen Finanzmix zu schaffen,

der die beteiligten Interessen austariert.

Entsprechend ergeben sich je nach Machtkonstellation und Interessen-

ausgleich unterschiedliche Modelle von „cost-“ und „time-sharing“. Die

Aushandlungsfelder zwischen Unternehmen und Beschäftigten werden

erweitert und neu bestimmt. Außer finanziellen Beiträgen werden auch

zeitliche Anteile verhandelbar. Dabei sind Aufbringung und Verwendung

der Ressourcen insgesamt aufgeteilt: zwischen Unternehmen, Beschäf-

tigten und öffentlicher Hand. Wir schlagen ein Gesamtmodell der Res-

sourcenverantwortung vor, an dem die verschiedenen Interessenposi-

tionen beteiligt sind.

Potenziale

Deutsche Unterneh-

men schöpfen das

Lern- und Leistungs-

potenzial ihrer Beleg-

schaften im europäi-

schen Ländervergleich

nicht aus.

Kapitel 5

80

Branchenfonds als zentrale Finanzierungsinstrumente

Eine Ursache für die unzureichende Bereitschaft der Unternehmen,

sich in der Berufsausbildung und in der Weiterbildung zu engagieren,

liegt in der einzelbetrieblichen Finanzierung. Dies gilt für die berufli-

che Erstausbildung ebenso wie für die berufliche Weiterbildung.

Bildungsfonds sind geeignet, die Bildungsbeteiligung insgesamt zu

erhöhen und eine Teilnahme von Menschen aus allen betroffenen

Gruppen zu ermöglichen. Die Fondsfinanzierung entkoppelt die Aus-

bildungsbereitschaft bzw. die Weiterbildungsteilnahme von den ent-

stehenden Kosten, da die Arbeitgeber sich an der Finanzierung betei-

ligen, unabhängig davon, ob sie ausbilden, oder „ihren“ Mitarbeitern

Weiterbildung ermöglichen oder nicht. Für die Aus- bzw. Weiterbil-

dung ergeben sich unterschiedliche Gewichte.

Aus dem Rückgang der Ausbildungsverträge ergibt sich einerseits das

Problem, dass Jugendlichen nach Abschluss der allgemeinbildenden

Schule zu wenige Möglichkeiten geboten werden, einen berufsquali-

fizierenden Abschluss zu erwerben und damit die Grundlage für spä-

tere qualifizierte Erwerbsarbeit zu legen. Zum anderen führen

Schwankungen in der Ausbildungsbereitschaft für die Unternehmen

auch in regelmäßigen Zyklen zu einem Fachkräftemangel, mit der

Folge, dass, gesamtwirtschaftlich betrachtet, Wachstumspotenziale

nicht ausgeschöpft werden können. Eine Erstausbildung für alle

Jugendliche zu sichern ist für eine zukunftsfähige Entwicklung unab-

dingbar.

Zentrale Instrumente für die Sicherung einer zukunftsfähigen Erst-

ausbildung sind nach unserer Einschätzung Branchenfonds, die von

den Sozialparteien auf der Grundlage gesetzlicher Rahmenbedingun-

gen eigenständig verwaltet und vom Staat (Bund und Länder) bei den

Verwaltungs- und Organisationskosten bezuschusst werden. Sektora-

le Fonds ermöglichen die gleichberechtigte Verantwortung, d.h. Mit-

bestimmung von Gewerkschaften und Arbeitgebern für wirtschaftli-

che Prozesse. Sie weisen zudem die Vorteile auf, das sie sich an das

Eigeninteresse der Unternehmen richten, relativ leicht zu steuern

sind, geringe Kosten der Umsetzung verursachen, gerechte Erhe-

bungs- und Verwendungsparameter ermöglichen und nur relativ ein-

fache Verwaltungsstrukturen benötigen. Entsprechend dem Urteil des

Bundesverfassungsgerichts zur Finanzierung der Berufsausbildung

vom 10. 12. 1980 sollten diese Fonds durch eine Abgabe aller privaten

und öffentlichen Arbeitgeber gespeist werden. Entsprechende gesetz-

liche Rahmenbedingungen sind zu schaffen.

Bildungs-Fonds

Knapp 60 % der Aus-

bildungsbetriebe

halten einen Bildungs-

fonds für ein geeigne-

tes Instrument.

Kapitel 5

81

Die Steuerungsgremien der Fonds sollten paritätisch aus Vertretern der

Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammengesetzt werden.

Mit diesem Vorschlag wenden wir uns gegen die Einführung von Zen-

tralfonds. Diese können den unterschiedlichen Bedingungen verschie-

dener Wirtschaftssektoren nicht gerecht werden. Die Sozialparteien

würden sie auch nicht als die „eigenen“ Fonds betrachten, wie dies bei

Branchenfonds der Fall ist. Sektorfonds können alle Besonderheiten

des Wirtschaftszweiges durch Vereinbarung der Sozialparteien berück-

sichtigen, wie z.B. im Baugewerbe festzustellen ist. Kein Zentralfonds

kann die Flexibilität und Einklagbarkeit eines Sektorfonds erreichen.

weil beispielsweise der Nachweis von Berechnungsgrundlagen für Aus-

bildungskosten überflüssig ist. Im Sektorfonds wird nur vereinbart, was

beide Parteien für „angemessen“ halten.

Für die Weiterbildung ist die Interessenlage je nach Lernzielbestimmung

komplexer. Wenn es um persönliche Entfaltung des einzelnen Menschen

geht, müssen Eigenaktivitäten der Lernenden einbezogen werden.

Wenn es z.B. um politische Bildung geht, müssen staatliche Beiträge

eingebracht werden. Bei betrieblich veranlasster und notwendiger Wei-

terbildung ist es der Unternehmer, der die Kosten tragen muss. Insge-

samt ist es notwendig, die Ressourcen für die berufliche Bildung zu stär-

ken und zu verstetigen. Betrieblich gespeiste Umlagefonds sollten zu

einen System ausgebaut werden, das finanzielle und zeitliche Ressour-

cen aufbringt und verwendet. Die Aufbringung der Mittel für die Ausbil-

dung und der Mittel für Weiterbildung sollte aber getrennt erfolgen.

Betrieblich abgestützt sollten persönliche „Lernzeitansprüche“ möglich

sein. Darüber hinaus ist eine öffentliche Unterstützung der Lernenden

durch ein „Bildungsförderungsgesetz“ anzustreben.

Die Aufgabe des Gesetzgebers besteht darin, die rechtlichen Anforde-

rungen festzulegen, dass in Tarifverhandlungen branchenspezifische

Fondsmodelle vereinbart werden können. Das Engagement der öffentli-

chen Hand in der Finanzierung der beruflichen Bildung muss aus der

wenig effektiven Zuschussfinanzierung einzelbetrieblicher Ausbil-

dungskosten in eine Förderung der Sektorfonds umgewidmet werden.

Damit wird die von Mitnahmeeffekten gekennzeichnete Subventionie-

rung einzelner Ausbildungsbetriebe beendet und der Weg für eine dau-

erhafte Finanzierung der betrieblichen Berufsbildung geebnet. Zudem

erscheint in Einzelfällen eine direkte öffentliche Förderung von tarifver-

traglich ausgehandelten Fonds sinnvoll, etwa bei Modellen von Ausbil-

dung im Verbund, bei Modernisierungsmaßnahmen oder bei der Inno-

vationsförderung sowie bei der Förderung von besonderen Gruppen, vor

Manager

Eine Einengung des

betrieblichen Hand-

lungsspielraums oder

eine Abnahme an

Flexibilität durch Tarif-

verträge ist nicht zu

befürchten. Das

sagen 90 % der

Manager in exempla-

rischen Studien.

Obwohl die Ausgangssituation in der Aus- und

Weiterbildung nicht identisch ist, sollte eine

einheitliche Lösung gesucht werden. In beiden

Bereichen ist die kollektive Lösung gegenüber

der individuellen Finanzierung vorzuziehen, da

sie die Arbeitgeber zwingt, sich an der Finan-

zierung zu beteiligen, unabhängig davon, ob

sie ausbilden, oder „ihren“ Mitarbeitern Weiter-

bildung ermöglichen oder nicht.

Dr. Roman Jaich

wiss. Mitarbeiter im European Institute

for Globalisation Research (e4globe) Berlin

Kapitel 5

84

allem von Personen außerhalb bezahlter Beschäftigung. Von kompeten-

ten Beschäftigten profitiert die Gesellschaft insgesamt. Die erwiesenen

positiven externen Effekte legitimieren eine anteilige öffentliche Finan-

zierung.

Weiterbildungskosten und -zeiten

Kaum ein anderes gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Ziel findet

einen so breiten gesellschaftlichen Konsens wie die Forderung, „lebens-

langes Lernen“ als selbstverständliche Aufgabe im betrieblichen Alltag

zu verankern. Im Missverhältnis hierzu steht jedoch die Realität in den

Betrieben. Die Weiterbildungsaktivitäten der Betriebe stagnieren, die

öffentlich geförderten Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit sind

drastisch zusammen gestutzt. Keine bildungs- oder wirtschaftspoliti-

sche Sonntagsrede vergeht, auf der nicht das Risiko einer verspielten

wirtschaftlichen Zukunft beschworen wird, wenn zukünftig nicht mehr

Mittel in das gesellschaftliche „Humankapital“ investiert würden. Von

einem Aufbruch ist jedoch nichts zu spüren. In internationalen Verglei-

chen schneiden die Bildungsanstrengungen in Deutschland allenfalls

mittelmäßig ab.

In die Debatte über die Verteilung der Weiterbildungskosten ist durch

das verteilungspolitische Schlüsselwort Eigenverantwortung Bewegung

gekommen. Gemeint ist eine stärkere Privatisierung der Bildungskos-

ten. Die Beschäftigten selbst sollen die Kosten einer beruflichen Wei-

terbildung übernehmen. Indem der einzelne Beschäftigte in sein

„Humankapital“ investiert und damit auch Konsumverzicht leistet, so

locken die Protagonisten, fallen ihm die Erträge dieser Investition durch

höhere Löhne, Aufstiegschancen oder Beschäftigungssicherheit zu.

Eine solche Privatisierung ist im Modell perfekter Märkte vielleicht ver-

tretbar, nur sind weder der Arbeitsmarkt noch die Finanzmärkte alles

andere als perfekt. Die Undurchschaubarkeit von Kosten und Qualität

der Bildungsangebote sowie Unsicherheiten über zukünftige Entwick-

lungen auf einzelnen Teilarbeitsmärkten, aber auch eingeschränkte

Informationen der Nachfrager von Arbeitskräften über deren Qualifika-

tionen lassen es fraglich erscheinen, ob die Beschäftigten tatsächlich

mit entsprechenden Bildungsrenditen rechnen können.

Nichtsdestoweniger lässt sich unter dem Druck der anhaltenden Mas-

senarbeitslosigkeit und der dadurch geschwächten Machtposition der

Arbeitnehmerseite eine Tendenz beobachten, die Kosten der beruf-

lichen Weiterbildung schrittweise auf die Beschäftigten zu verlagern. In

der betrieblichen und zunehmend auch in der tariflichen Praxis begin-

Ältere

Nur 18 % der Betriebe

sehen einen steigen-

den, 52 % wenig oder

keinen Bedarf für die

Qualifizierung Älterer.

Kapitel 5

85

nen sich neue Verteilungsmuster zu etablieren. Ungeachtet aller Unter-

schiede besteht deren Gemeinsamkeit darin, dass die Beschäftigten

schrittweise mehr an den indirekten Kosten beteiligt werden, entweder

finanziell oder mit Zeitanteilen. Überwiegend erfolgt die erhöhte Eigen-

beteiligung in Zeit.

Mit den Strategien, betrieblich-berufliche Weiterbildungszeit mehr und

mehr in die Freizeit zu verlagern, sind auch Überlegungen für eine inve-

stive Arbeitszeitpolitik und für Lernzeitkonten aufgekommen, die dazu

beitragen sollen, die zukünftig benötigten zeitlichen und finanziellen

Ressourcen für ein Konzept des lebenslangen Lernens zur Verfügung zu

stellen.

Das Risiko möglicher Zeitkonflikte stellt sich für einzelne Personen-

gruppen unterschiedlich. Je nach den persönlichen Lebens- und Ein-

kommensbedingungen variieren die Spielräume, je nach Vorlieben

innerhalb des Zeitbudgets zwischen den einzelnen Verwendungsarten

umschichten zu können. Nicht alle Beschäftigten sind gleichermaßen in

der Lage, zusätzliche Weiterbildungszeit aufzubringen. Relevante Teile

des Zeitbudgets sind häufig für Familienarbeiten reserviert und können

nicht oder nur mit weitreichenden sozialen Folgen reduziert werden.

Wir gehen davon aus, dass eine Ausweitung der Qualifizierungszeiten

außerhalb der Arbeitszeiten vor allem Beschäftigte mit familiären Ver-

pflichtungen treffen würde. In prekäre Zeitkonflikte würden dann in

erster Linie Frauen und speziell Alleinerziehende geraten.

Aber auch unmittelbar kann die Ausweitung der Lernzeiten in den

Bereich der Nichterwerbsarbeitszeit spürbare Einkommensminderun-

gen bei den Beschäftigten zur Folge haben oder sogar zusätzliche

Kosten verursachen. Wenn Beschäftigte ihre Weiterbildungszeit nur auf

Kosten ihrer bisherigen Arbeitszeit steigern können, ist die Folge, dass

sie entweder weniger Überstunden leisten, Nebentätigkeiten einschrän-

ken/aufgeben oder auch Eigenarbeit zurückschrauben.

Fällt die Ausweitung der Weiterbildungszeit dagegen teilweise oder

vollständig in die Arbeitszeit, dann erhöhen sich die Arbeitskosten der

Betriebe. Bei gegebener bezahlter Arbeitszeit sinkt proportional der

Anteil der produktiven Zeit. Schätzungen beziffern die durch Weiterbil-

dung für Lohnausfall aufzubringenden Mittel auf fast 10 Milliarden Euro.

Der Anteil der Personalaufwendungen an den Gesamtkosten der Wei-

terbildung wird auf über 40% veranschlagt. Jede Ausweitung hätte ent-

sprechende Kostensteigerungen zur Folge.

Das bisherige, vor allem von den Gewerkschaften verteidigte Prinzip,

dass die Kosten für betriebsnotwendige Weiterbildung allein vom

Lernzeitkonten

In 11 % der westdeut-

schen Betriebe beste-

hen Lernzeitkonten.

Diese Betriebe haben

höhere Beteiligungs-

quoten als andere

Unternehmen, die in

Sachen Weiterbildung

aktiv sind.

Mit der zunehmenden Beteiligung der Beschäf-

tigten an den Weiterbildungskosten wird im

Gegenzug aber auch das von den Arbeitgeber-

verbänden vertretene Prinzip ausgehöhlt,

keine generellen Weiterbildungsansprüche zu

vereinbaren.

Dr. Hartmut Seifert

Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen

Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung,

Düsseldorf

Kapitel 5

88

Arbeitgeber zu tragen sind, wird zunehmend brüchiger. Es entstehen

neue Verteilungsmuster der Weiterbildungskosten. Verschiedene Erhe-

bungen beziffern den durchschnittlichen Anteil der von den Beschäftig-

ten in Form von Freizeit für betriebliche Weiterbildung aufgebrachten Frei-

zeit auf 20 % bis 25 %. Hinzu kommt die häufig implizit bestehende

Verpflichtung, dass die Beschäftigten die während der Weiterbildungs-

maßnahme liegen gebliebene Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt nach-

arbeiten müssen. Der Druck der Arbeitgeber, die Beschäftigten zukünftig

stärker an den Weiterbildungskosten zu beteiligen, wächst. In der Folge

werden betriebliche oder tarifliche Regelungen vereinbart, die auf Time-

Sharing-Modelle hinauslaufen. In zahlreichen Vereinbarungen haben die

Arbeitgeber Regelungen durchsetzen können, die den Beschäftigten

abverlangen, Freizeitanteile nicht nur für selbst initiierte sondern auch für

betriebsnotwendige berufliche Weiterbildung aufzubringen.

Dieser wildwüchsig verlaufende Prozess hat das bisherige Prinzip,

betriebsnotwendige Weiterbildung ausschließlich als bezahlte Arbeits-

zeit zu behandeln, erodieren lassen.

Wenn aber Regelungen über eine Beteiligung der Beschäftigten an der

Weiterbildungszeit bestehen, dann bieten diese meist auch generelle

Ansprüche auf Weiterbildung. Da sich die Machtbalance zwischen den

Arbeitsmarktparteien verschoben hat, gilt es, den weit vorangeschritte-

nen Prozess der Privatisierung von Weiterbildungskosten zu durchbre-

chen und ein vertretbares Neuarrangement zwischen Eigenbeteiligung

und generellen Anspruchsrechten zu finden. Eine Eigenbeteiligung

erscheint dann möglich, je stärker das vermittelte Wissen von betriebli-

chen Erfordernissen abweicht und vor allem der persönlichen Entwick-

lung nützt. Beide Verhandlungsgegenstände könnten ein Junktim für

eine zukunftsträchtige investive Arbeitszeitpolitik bilden.

Öffentliche Finanzierungsverantwortung

In der Weiterbildung gibt es auch eine öffentliche Finanzierungsverant-

wortung. Zum Ausgleich der Bildungsungleichheit und zur Unterstüt-

zung gleicher Teilhabe ist das „Meister-Bafög“ als steuerfinanziertes

Instrument geschaffen worden. An dieses Konzept schließt die „Exper-

tenkommission Finanzierung lebenslangen Lernens“ mit dem Vorschlag

für ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz (EBifG) und einheitli-

ches Bildungsförderungsgesetz (BifG) an. Sie schlägt vor, Erwachsene,

die schulische oder berufliche Abschlüsse nachholen, durch staatliche

Zuschüsse oder subventionierte Darlehen für die Kosten der Bildungs-

maßnahme und den Lebensunterhalt zu fördern.

Selektiv

Die Bildungschancen

sind ungerecht verteilt:

2003 nahmen 44 % der

Personen mit Hoch-

schulabschluss

an Weiterbildung teil,

Menschen ohne

Berufsausbildung taten

dies nur zu 11 %.

Kapitel 5

89

Die finanzielle Förderung bei Bildungsmaßnahmen für erwachsene Ler-

nende erfolgt zur Zeit aus unterschiedlichsten Quellen sowie über direk-

te und indirekte Maßnahmen. Resultat ist eine Förderlandschaft aus

sehr lückenhaften Maßnahmen, die nicht zukunftsfähig ist. Der notwen-

dige Ausbau der Bildungsförderung soll als Chance ergriffen werden,

die zersplitterte und unübersichtliche Landschaft neu zu ordnen. Die

Expertenkommission Finanzierung lebenslangen Lernens schlägt des-

halb vor, ausgehend von bestehenden Förderinstrumenten, alle Maß-

nahmen langfristig in einem einheitlichen Bildungsförderungsgesetz

(BifG) zusammenzufassen.

Wir halten es für sinnvoll, die bestehenden Fördermöglichkeiten und

-instrumente zu bündeln und in einem einheitlichen Bildungsförde-

rungsgesetz zusammenzufassen.

Öffentliche Finanzverantwortung greift vor allem, wenn sie sich am Prin-

zip ausgleichender Gerechtigkeit orientiert. Es geht darum, soziale

Ungleichheiten auszugleichen und Teilhabemöglichkeiten an Weiterbil-

dung zu sichern.

Damit wird der Anteil der öffentlichen Haushalte, der in die Berufsbil-

dung fließt, als dritte Komponente in das Gesamtmodell der Ressour-

cenverantwortung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern einbezo-

gen. Kernkonzept sind branchenspezifische Berufsbildungsfonds, die

durch verschiedene Quellen gespeist werden.

Finanzierungs-

volumen

Das gesamte Finan-

zierungsvolumen für

die Weiterbildung ist

seit 1986 relativ zum

Bruttoinlandsprodukt

rückläufig.

90

Die Teilbereiche im System der beruflichen Bildung in Deutschland

haben unterschiedliche Ausprägungen im Spektrum „mittlerer

Systematisierung“ zwischen Marktregulation, gesellschaftlicher

(sozialpartnerschaftlicher) und öffentlicher Verantwortung erhal-

ten. Um eine Zukunftsfähigkeit der Berufsbildung zu sichern, müs-

sen der anstehende Reformbedarf aufgegriffen und Gestaltungs-

horizonte erweitert werden. In sozialpartnerschaftlicher,

gegebenenfalls auch öffentlicher Verantwortung müssen stärkere

finanzielle Förderung, institutionelle Trägerschaft, infrastrukturel-

le Unterstützung und juristische Absicherung erfolgen.

Zentrales Finanzierungsinstrument eines beruflichen Bildungssy-

stems sollen von den Sozialparteien verantwortete Branchenfonds

sein. Der Staat widmet seine Zuschüsse zur einzelbetrieblichen

Berufsausbildung um und finanziert mit diesen Mitteln die Verwal-

tungskosten der Sektorfonds. Diese Fonds verteilen die Berufsbil-

dungskosten auf alle Unternehmen und ermöglichen es, das

Finanzvolumen insgesamt zu erhöhen. Die Einrichtung und Ausge-

staltung des Berufsbildungsfonds ist Aufgabe der Sozialparteien

im Rahmen gesetzlicher Vorgaben.

Für die Aus- bzw. Weiterbildung ergeben sich unterschiedliche

Gewichte. Für die Finanzierung der Erstausbildung sollen allein die

Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen in die Fondsfinanzie-

rung einbezogen werden. Bei der Weiterbildung ergeben sich je

nach Machtkonstellation und Interessenausgleich in den einzel-

nen Wirtschaftsbereichen unterschiedliche Modelle von „cost-

splitting“ und „time-sharing“. Die Aushandlungsfelder zwischen

Unternehmen und Beschäftigten werden erweitert und neu

bestimmt.

Neben der Geldfrage ist auch die Zeitfrage relevant. Die Auswei-

tung der Weiterbildungszeit ist stets eine verteilungspolitische

Entscheidung. Wer die Zeit für zusätzliche Weiterbildung auf-

bringt, trägt einen relevanten Teil der gesamten Weiterbildungsko-

sten. Da sich die Machbalance zwischen den Arbeitsmarktparteien

verschoben hat, gilt es den weit vorangeschrittenen Prozess der

Privatisierung von Weiterbildungskosten zu durchbrechen und ein

vertretbares Neuarrangement zwischen Eigenbeteiligung und

generellen Anspruchsrechten zu finden.

KernaussagenK

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n

91

Der Anteil der öffentlichen Haushalte an der Bildungsfinanzierung

ist als dritte Komponente in das Gesamtmodell der Ressourcen-

verantwortung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern einzu-

beziehen. Kernkonzept ist der Berufsbildungsfonds, der durch ver-

schiedene Quellen gespeist wird. Öffentliche Finanzverantwortung

greift vor allem orientiert am Prinzip kompensatorischer Gerech-

tigkeit. Es geht darum, soziale Ungleichheiten auszugleichen und

Teilhabemöglichkeiten an Weiterbildung zu sichern.

Kapitel 5

92

5.3. Qualität in der beruflichen Bildung

Angefangen vom Abschlussbericht der „Sachverständigenkommissi-

on Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung“ 1974, über Stan-

dards für die Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen der Bun-

desanstalt für Arbeit nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von

1977 und über Ansätze betrieblichen Bildungscontrollings wird die

Qualitätsfrage immer wieder neu aufgeworfen und mit Finanzfragen

verbunden, d. h. nach Qualität wird gefragt, wenn das Geld knapp

wird.

So entstehen immer neue Wellen der Qualitätsdebatte. Diese Debatten

sind Hinweise dafür, dass es tiefgreifendere Auseinandersetzungen

gibt: Es geht um veränderte Formen der Kopplung zwischen Politik und

Gesellschaft bei der Regulation gesellschaftlicher Teilsysteme. Diese

Regulation verschiebt sich von Intervention zur Evaluation, indem ver-

stärkt nach „Systemqualität“ gefragt wird, d.h. den Leistungen für über-

geordnete Gesichtspunkte. Da diese nicht durch staatliche Intervention

hergestellt werden soll, wird eine systemische Qualitätspolitik betrie-

ben, welche auf die Überprüfung der Leistungen durch die Akteure und

Institutionen selbst setzt.

Impulse der Qualitätsdiskussion

Wenn wir dem Verdacht nachgehen, dass hinter den Modewellen und

Sprachspielen um „Qualität“, „Controlling“ und „Evaluation“ grundle-

gend veränderte Probleme stehen, ist auffällig, dass die Diskussion mit

Begrifflichkeiten überschwemmt wird, die in hohem Maße normative

Bezüge haben: „Selbstorganisation“ und „Neue Lernkultur“ sind zwei

dieser zentralen, positiv besetzten Bilder. Allseits greift ein hochbewer-

tetes „Selbst“ um sich. Dieses wird aber zugleich auf Machbarkeit redu-

ziert und begrifflich mit instrumentellen Interpretationen über das Errei-

chen vorgegebener, nicht hinterfragter Ziele durch ableitbare Mittel

gefüllt. Bei der Regulation durch Qualität als „Selbst-Management und

„Selbst-Marketing“ ergeht ein Appell, an die einzelnen Menschen oder

auch Organisationen, „sich Selbst zu steuern“ und zu überprüfen. Die-

ser Appell ist eingelassen in vielfältige Programme neoliberaler Herr-

schaftsformen. Dies kann man als Hineinverlagerung in das Selbst der

Beherrschten kennzeichnen. Die Regulation sozialer Prozesse wird von

außen nach innen verlagert. Statt vorlaufender steuernder Vorgaben

greifen nachträgliche überprüfende Bewertungen als Qualitätssiche-

rung.

Qualifikations-

analysen

In 67 % der Unterneh-

men gibt es keine

Personal- oder Qualifi-

kationsanalysen.

Kapitel 5

93

Bei dieser „neuen ideologischen Konstellation“ geht es um Kontrollver-

suche angesichts des Unkontrollierbaren, für die die einzige Chance

darin zu bestehen scheint, dass Akteure und Organisationen sich selbst

kontrollieren, indem sie externe Zwänge akzeptieren. Als neue Regula-

tion greift Qualitätsmanagement: vom einzelnen Programm über den

Betrieb bis zur Gesamtgesellschaft.

Der dominierenden Marktmäßigkeit entspricht ein Rückzug des Staates.

Die Qualitätsdiskussion hat unter anderem deshalb Konjunktur, weil

planende Gestaltung angesichts der Finanzkrise des Staates bei stei-

gender Problemkomplexität kaum noch möglich ist, trotzdem aber

gleichzeitig der Versuch unternommen wird, Macht zu behalten.

Die Qualitätssicherung ist selbstverständliches Thema in der berufli-

chen Bildung geworden. Alle Ebenen des Lernens und womit Lernen

zusammenhängt, sind mittlerweile mit einem dichten Netz von Strategi-

en zur Qualitätssicherung überzogen. Das reicht von der lernbezogenen

Qualität, über die Kurs- und Programmqualität, die Institutionen bis zur

Systemqualität. Es geht nicht mehr darum, ob, sondern wie Strategien

eingesetzt werden sollen.

Die unterschiedlichen Qualitätsmodelle generieren immer neue Varian-

ten des schon 1974 von der „Sachverständigenkommission Kosten und

Finanzierung der beruflichen Bildung“ entwickelten Grundkonzepts von

Input- und Output-Faktoren. Es finden sich Kombinationen interner und

externer Evaluationskonzepte, wobei sich trotz der Vielfalt einige weni-

ge Grundtypen identifizieren lassen: die Ansätze bewegen sich in einem

Dreieck von ISO 9000, European Foundation for Quality Manangement

(EFQM) und Selbstevaluation. Vorgelegt werden mehr oder weniger

umfassende Systematiken von Qualitätsaspekten, welche als formal

messbar und instrumentell herstellbar erscheinen. Eigentlich handelt es

sich dabei eher in Merkmalslisten und Frageraster, die zusammentra-

gen, auf was man alles achten könnte, wenn man nach Qualität sucht.

Allerdings wird durch diese Systematiken ein Schein von Machbarkeit

und Messbarkeit vorgespiegelt, der dahinterstehende, grundsätzliche

politische und ethische Fragen ausblendet. Zum einen findet die Qua-

litätsdiskussion in einem Umfeld statt, in dem sich das Verhältnis von

Politik und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen – auch zum Bil-

dungswesen – strukturell verändert hat; zum anderen treten moralische

Handlungsbegründungen hinter unbefragt quasi natürlich sich durch-

setzende Marktbezüge zurück.

Was wichtig ist und wie es gewichtet werden soll, muss an den Maßga-

ben angebbarer Kriterien entschieden werden. Die in verschiedensten

Weiterbildungs-

programm

Nur 22 % der Betriebe

erstellen einen Weiter-

bildungsplan bzw. Wei-

terbildungsprogramm.

Als sich zu Beginn der neunziger Jahre die

Qualitätsdebatte intensivierte, glaubten viele an

eine Modeerscheinung. Sie haben sich geirrt:

Das Thema ist auch heute noch von großer

bildungspolitischer und wissenschaftlicher

Aktualität. Qualitätmanagement und Evalua-

tion gehören zum Kernbestand professionellen

Handelns in der Weiterbildung. Sie sind

Voraussetzung für teilnehmergerechte Lehr-

Lern-Arrangements und effektive Programm-

gestaltung.

Dr. Dieter Gnahs

Programmbereichsleiter beim Deutschen

Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Bonn

Kapitel 5

96

Modellen vorliegenden Merkmalslisten verschweigen ihre Leerstellen.

Sie verschleiern ihre Formalität, eine Formalität, die Bewertungs- und

Gewichtungsfragen weitgehend ausblendet. Wenn aber die dahinterste-

henden Interessenpositionen nicht aufgedeckt werden, wird der Markt

quasi automatisch zur letzten Instanz von Qualität.

Interessenpositionen und die Notwendigkeit von Wertebezügen

Beim monetär orientierten Controlling dominiert eine Sichtweise auf die

privaten Kalküle der Unternehmen und Haushalte. Gut ist, was Profit

oder Einkommen bringt. Das Menschenbild, das sich damit als Grundla-

ge für ökonomisches und politisches Handeln ausbreitet, ist das des

rationalen, kalkulierenden Individuums, das sich von egoistischen Nut-

zenerwartungen leiten lässt. Diese Denkweise setzt sich verstärkt als

Grundmuster des menschlichen Handelns durch, indem alles Handeln

grundsätzlich als rationale Entscheidung in Knappheitssituationen

betrachtet wird. Solches Denken und Handeln kennzeichnet einen „öko-

nomischen Imperialismus“, der gleichzeitig die Ökonomie der Markt-

wirtschaft zum grundlegenden ethischen Prinzip erhebt.

Die Gewichtung der formalen Aspekte der „Gestaltungsbereiche“ in den

Qualitätsaspekten und ihrer Bedeutung für die Bildungsarbeit ist

jedoch erst möglich, wenn man nach inhaltlichen, bewertenden Kriteri-

en fragt. Diese müssen sich letztlich auf die Werte, Ziele und das Selbst-

verständnis der beteiligten Personen und Institutionen beziehen.

Für eine weiterführende Diskussion ist es dann unvermeidbar, das

Selbstverständnis der Akteure des Lernens und Lehrens sowie der tra-

genden Institutionen offen zu legen und als Prämisse der Bildungsar-

beit und als Fokus der Qualitätskriterien zu kennzeichnen. Bildungsvor-

stellungen sind jedoch nicht unmittelbar vergleichbar und so

aufbereitet, dass sie im Sinne einer Ziel-Mittel-Ableitung direkt brauch-

bar wären, um Orientierungen für die Qualitätsdebatte zu bieten. Sie

müssen diskursiv konkretisiert und systematisiert werden.

Erst Wertebezüge und definierte Interessenorientierungen können Qua-

litätskriterien fundieren. Erst dann ist es möglich und notwendig, sich

auf tragfähige Maximen zu verständigen. Dazu sind die unterschiedli-

chen Interessenpositionen der verschiedenen Akteure in der beruflichen

Bildung einzubeziehen. In den immer wieder wiederholten Qualitätsa-

spekten sind implizite Interessenpositionen versteckt.

Mit der Reflexion von Werten und Interessenpositionen sowie dem

Rückbezug auf professionelles Handeln könnte rückwirkend die Qua-

litätsdiskussion genutzt werden, das Selbstverständnis der eigenen Bil-

Kapitel 5

97

dungsarbeit bei den beteiligten Akteuren und Institutionen zu präzisie-

ren. Dies ist ein wesentlicher Effekt, indem – im betriebswirtschaftlichen

Vokabular formuliert – Qualitäts- mit Organisations- und Personalent-

wicklung verbunden werden.

5.4. Berufsbildung angesichts steigender

Erwerbslosigkeit

Im Kern geht es um die Stellung des Menschen in der gesellschaftlichen

Verteilung der Arbeit. Die aktuellen Konflikte um die Entwicklung der

beruflichen Bildung sind untrennbar verknüpft mit der Gestaltung

gesellschaftlicher Zukunft. Sie dramatisieren sich angesichts des zen-

tralen gesellschaftlichen Skandals: der Erwerbslosigkeit. Seit mehr als

10 Jahren haben wir uns damit abgefunden, mit einer Zahl von mehr als

3 bis 5 Millionen registrierten Erwerbslosen zu leben, wobei die tatsäch-

liche Zahl um die – immer noch – „stille Reserve“ erhöht, mittlerweile

bei über 7 Millionen liegen dürfte. Illusion ist die Vorstellung von Voll-

beschäftigung, die real mit den herkömmlichen Instrumenten in den

nächsten Jahrzehnten nicht mehr erreicht werden dürfte. Vor diesem

Hintergrund registrieren wir Verschiebereaktionen, welche, da das zen-

trale Problem nicht beseitigt werden kann, zu Ersatzstrategien drängen.

Die Mauer der Erwerbslosigkeit versperrt alle Zukunftsaussichten und

alle Gestaltungsmöglichkeiten werden durch sie begrenzt. Berufliche

Bildung ist in alternative Entwicklungspfade und Gestaltungsmöglich-

keiten eingebunden. In diesen Zusammenhang sind die laufenden, oft

hilflosen Strategien, durch Reparatur in Teilbereichen die schlimmsten

Auswüchse und Fehlentwicklungen auszugleichen, eingeordnet. Drama-

tischstes Beispiel ist der Versuch im Rahmen der Verringerung der Aus-

gaben für soziale Sicherung (Sozialtransfers) die Weiterbildung für

Erwerbslose zu opfern, um Finanzspielräume rückzugewinnen. Der Sozi-

alstaat ist zunehmend in die Zwickmühle von Rationalisierung der

Arbeit und Globalisierung des Kapitals geraten. Die anhaltende Finanz-

krise der öffentlichen Haushalte ergibt sich hieraus jedoch nicht

zwangsläufig, wie sich z.B. in den skandinavischen Ländern zeigt, sie ist

zumindest zum Teil hausgemacht.

Von einer restriktiven wieder zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik

Ausgehend von der Arbeitsmarktpolitik wurde Weiterbildung im Rah-

men des AFG bzw. des SGB III seit den 70er Jahren zu einem weit gefas-

Kapitel 5

98

sten gesellschaftlichen Interventions- und Förderungsinstrument ent-

wickelt. Ökonomische, sozial- und bildungspolitische Aspekte und Ziel-

setzungen wurden gebündelt.

Obwohl die Weiterbildung grundsätzlich die in sie gesetzten Kompen-

sationserwartungen nicht erfüllen konnte, war die Kompensationslei-

stung der SGB III-Förderung weitgehend erfolgreich. Allerdings nur im

Rahmen eines reaktiven Ansatzes, d.h. dann, wenn ein Arbeitnehmer

arbeitslos geworden war bzw. arbeitslos zu werden drohte. In der Ver-

gangenheit ist es in der Regel gelungen, benachteiligte Gruppen über-

durchschnittlich in die Förderung einzubeziehen; dies gilt vor allem für

Personen ohne Berufsabschluss. Bei den Gruppen mit Berufsabschluss

hingegen entsprechen die Teilnahmequoten an geförderter Weiterbil-

dung weitgehend den qualifikationsspezifischen Erwerbslosenquoten.

Unter den Bedingungen der letzten Jahrzehnte konnte sich damit ein

Weiterbildungsbereich entwickeln, das arbeitsmarktlichen, sozialen

und bildungsbezogenen Zielen gleichermaßen verpflichtet war; damit

wurden z.T. auch Defizite und Fehlentwicklungen aus dem Sozial- und

Bildungsbereich aufgefangen.

Im Zuge der Hartz-Reform hat die Weiterbildungsförderung nach dem

SGB III unter dem Einfluss neuer Nutzenvorstellungen und -einschät-

zungen zu einem Prioritäten- und Systemwechsel geführt. Ein positiver

Effekt von Weiterbildung auf die Persönlichkeitsentwicklung oder eine

Bewertung des Weiterbildungsnutzens durch Teilnehmer reichen

danach nicht aus, um Weiterbildungsaufwendungen zu legitimieren.

Alle Arbeitsmarktinstrumente müssen sich daran messen lassen, wel-

chen Beitrag sie zu einer kurzfristigen Vermittlung der Erwerbslosen in

den ersten Arbeitsmarkt beitragen.

Eingliederungsbilanzen zeigen, dass sich die auf langfristigen Erfolg

und Nachhaltigkeit angelegte Förderung beruflicher Weiterbildung im

kurzfristigen Vergleich mit anderen Arbeitsmarktinstrumenten schwer

tut. Die „Reformaktivitäten“ sind vor allem darauf angelegt, zu rasch

nachweisbaren Eingliederungserfolgen zu kommen.

Weiter zugespitzt wurde die Lage für die Weiterbildung durch die

geschäftspolitische Vorgabe eines quantitativen Nutzen- und Erfolgs-

maßstabes für die Weiterbildungsförderung: Eine Ausgabe von Bil-

dungsgutscheinen für potenzielle Teilnehmer soll nur noch für Bil-

dungsziele mit einer prognostizierten Verbleibsquote von mindestens

70% erfolgen. Mit dieser Kennziffernvorgabe für den kurzfristigen Erfolg

wird praktisch die öffentliche Verantwortung für die SGB III-geförderte

Weiterbildung aufgekündigt, denn die besonders förderungsbedürfti-

Arbeitslosenrisiko

Berufliche Weiter-

bildung verringert das

Arbeitslosigkeitsrisiko

signifikant.

Kapitel 5

99

gen Personengruppen können bei der Weiterbildung weniger berück-

sichtigt werden; und die auf Nachhaltigkeit der Weiterbildung angeleg-

ten qualitativen Zieldimensionen der Weiterbildung, wie z.B. abschlus-

sbezogene Maßnahmen sowie längerfristige Beschäftigung, die auch

der Qualifikation angemessen ist, werden ausgeblendet.

Nichtsdestoweniger wird die restriktive SGB III-Politik fortgesetzt. Trotz

der bereits z.T. überdeutlich gewordenen Auswirkungen auf die Weiter-

bildungspraxis geht die Neuordnung der SGB III-Förderung weit über

das hinaus, was Hartz-Kommission, Gesetzgebung und Anerkennungs-

und Zulassungsverordnung – Weiterbildung (AZWV) als Zielsetzungen

vorgeben.

Im Rahmen einer Strategie des lebenslangen Lernens sind die in allen

Lebensphasen bedeutsamen Elemente des Lernens zu Entwicklungs-

schwerpunkten zu machen. In die Weiterbildung von Erwerbslosen

gehört auch die Kompetenz- und Qualifikationsentwicklung zur Bewäl-

tigung von Lern- und Arbeitsaufgaben, z.B. in der Form von Allgemein-

bildung oder beruflicher Erstausbildung, die auch im Erwachsenenalter

erworben werden können. Von daher gehört dieser Teil der Weiterbil-

dung als ein Schwerpunkt des Lernens in ein System des lebenslangen

Lernens.

Es ist Aufgabe der Wirkungsforschung, neue Grundlagen für eine ange-

messene und differenzierte Bewertung der Wirksamkeit von Weiter-

bildung zu legen. Neuere Evaluierungsstudien des Instituts für

Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zur Wirksamkeit aktiver

Arbeitsmarktmaßnahmen zeigen z.B., dass kurz- und langfristige Quali-

fizierungsprogramme (mit abschlussbezogenen Maßnahmen) sich mit-

tel- und langfristig durchaus positiv auf die Beschäftigungsrate von Teil-

nehmern/innen auswirken. Auswirkungen der Hartz-Reform, die so

eigentlich nicht intendiert waren, sollten auf der Grundlage der Ergeb-

nisse neuer Wirksamkeitsanalysen der aktiven Arbeitsförderung rasch

korrigiert werden.

Aderlass

Die Eintritte in Maß-

nahmen der Bundes-

agentur für Arbeit

gingen von 442.000

im Jahr 2001 auf

185.000 in 2004

zurück. Dies ist ein

Aderlass von 60 %.

Mit der Hartz-Reform sind die Zielsetzungen

der Neuorientierung der SGB III-Förderung

im Wesentlichen verfehlt worden. Ein zentraler

Faktor für das Scheitern ist, dass die auf

Nachhaltigkeit angelegten Ergebnisse des

Arbeitsmarktinstruments Weiterbildung nur

an kurzfristigen Erfolgen gemessen werden.

Dr. Edgar Sauter

Berufsbildungsforscher und Vorsitzender

des Anerkennungsbeirates der Bundesagentur

für Arbeit, Bonn

Kapitel 5

102

Die Notwendigkeit alternativer Instrumente

Durch neue Verfahren der Anerkennung von fachkundigen Stellen und

der Zulassung von Bildungsträgern und Maßnahmen wird die Qualitäts-

entwicklung der SGB III-geförderten Weiterbildung auf neue Grundla-

gen gestellt. Die dabei entwickelten Standards der Qualitätssicherung

dürften für die gesamte außerbetriebliche Weiterbildung wirksam wer-

den. Öffentlich verantwortete Weiterbildung für Arbeitslose erhält damit

eine von der Bundesagentur unabhängige Qualitätsperspektive.

Mit der Ausgabe von Bildungsgutscheinen an die SGB III-Klientel wird

eine neue Balance zwischen Eigenverantwortung und Betreuung bzw.

Subventionierung gesucht. Erste Erfahrungen zeigen, dass Weiterbil-

dung für Risikogruppen unter den Bedingungen von mehr Wahlfreiheit

nur erfolgreich sein wird, wenn zugleich die Infrastruktur für Beratung

und Information erheblich ausgebaut und verbessert wird. Angesichts

der zahlreichen und unterschiedlichen Beratungs- und Informations-

stellen bedeutet dies zugleich, dass damit ein wachsender Koordinie-

rungsbedarf entstehen dürfte.

Mit der starken Reduzierung der SGB III-geförderten Weiterbildung wird

eine Neuverteilung bzw. Neuschneidung der Aufgabenfelder und Ver-

antwortlichkeiten erforderlich, die von der Bundesagentur nicht mehr

angemessen wahrgenommen werden (können). Dabei handelt es sich

vor allem um Aufgaben, die die Bundesagentur für Arbeit nach und nach

in ihrer Rolle als „Ausfallbürge“ für das Bildungssystem (z.B. Sprach-

kurse für Aussiedler) übernehmen musste. Dieser Typ von Aufgaben

müsste längerfristig steuerfinanziert werden. Weiterbildung für Arbeits-

lose bleibt hingegen „Kern“ der SGB III-Förderung, die durch ihre Steue-

rung und ihren Finanzierungsmodus den gesellschaftlichen Charakter

dieser Aufgabe unterstreicht.

Angesichts der aktuellen Defizite in der Weiterbildungsförderung für

Arbeitslose müssen alternative Finanzierungsinstrumente und -per-

spektiven entwickelt werden. Dabei ist eine Differenzierung der Zeitho-

rizonte zu berücksichtigen.

Kurzfristig geht es um alternative Förderungsmöglichkeiten für die von

aktuellen Kürzungen betroffenen Erwerbslosen, für die Weiterbildung

nach wie vor eine Chance bietet, eine Beschäftigung zu finden. In diesen

Zusammenhang gehört auch der Personenkreis, der dem SGB II zuzu-

ordnen ist und für den neben den Arbeitsagenturen die Kommunen, ent-

weder in Arbeitsgemeinschaften oder in getrennter Trägerschaft zustän-

dig sind. Auch für diese Gruppe (Empfänger von Arbeitslosengeld II)

kann die klassische arbeitsmarktpolitische Maßnahme Weiterbildung

Vorteilhaft

Mehr als 70 % der

Teilnehmer bewerten

Weiterbildung vorteil-

haft. Die Motivation

stimmt also.

Kapitel 5

103

eingesetzt werden. Dabei erfolgt die Finanzierung der Eingliederungs-

leistungen nach dem SGB II aus Bundesmitteln, während die von den

Arbeitsagenturen initiierten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen über-

wiegend aus Beitragsmitteln (aus dem Haushalt der Bundesagentur)

finanziert werden. Dieses Förderungsengagement der öffentlichen Hand

für die Weiterbildung der Erwerbslosen sollte rasch verstärkt und aus-

gebaut werden.

Längerfristig geht es um die Einordnung der Weiterbildung von Erwerbs-

losen in ein Modell, das die Verantwortung für die Weiterbildungslei-

stungen neu verteilt. Für die Weiterbildung der Erwerbslosen ist eine

Steuerfinanzierung anzustreben.

5.5 Regelungsebenen für die Berufsbildung

Die Entwicklung der Berufsbildung ist auf Teilstrategien der Arbeits-,

Beschäftigungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik bezogen. Die Vielfalt der

Anforderungen hat dazu geführt, dass bei den institutionellen, perso-

nellen und juristischen Strukturen keine Entwicklung zu einem in sich

stimmigen und durchschaubaren System gegeben hat. Schon lange dau-

ern die Auseinandersetzungen um Reform des Berufsbildungsgesetzes

und Impulse für ein Weiterbildungsrahmengesetz. Mit beiden Gesetzes-

reformen könnten die juristischen Rahmenbedingungen für die Entwick-

lung der Berufsbildung gesichert werden. Man muss sich allerdings vor

der Illusion hüten, durch Gesetze sei alles zu klären. Mit ihnen wird aber

eine Arena definiert und die Spielregeln der Akteure werden verbindlich

festgelegt. Gesetze bieten so neue Entwicklungshorizonte und Blickrich-

tungen, die weitere aufbauende Schritte ermöglichen, um „Lebenslan-

ges Lernen“ alltäglich werden zu lassen. Als Handlungsfelder stehen

daher – neben der finanziellen Förderung, der infrastrukturellen Unter-

stützung durch Beratung sowie Informations- und Qualitätssicherungs-

systeme und institutioneller Gewährleistung – die juristische und ver-

tragliche Rahmensetzung und Absicherung weiter im Vordergrund.

Auf verschiedenen Ebenen staatlicher, tariflicher und betrieblicher Poli-

tik gibt es bereits eine Vielzahl von Regulationen unterschiedlicher

Reichweite. Die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes könnte über

die marginalen, eher nebensächlichen Korrekturen hinaus Strukturen

eines Berufsbildungssystems entwickeln, welches die notwendige Viel-

falt aufnimmt, Beruflichkeit des Arbeitskrafteinsatzes sichert und neue

Formen der Entscheidungsfindung einbaut.

Kapitel 5

104

Weder die Bundesregierung, noch das Parlament hatten aber 2005 den

Mut, beim Projekt Reform des Berufsbildungsgesetzes Großes zu

wagen. So enthalten die 107 neuen Paragrafen keine Regelung zur

Sicherung der Ausbildung für alle Bewerber, und die Gerechtigkeits-

lücke (nur 23 % der Betriebe beteiligen sich an der Ausbildung) ist wei-

terhin ungelöst. Auch zur Frage des lebenslangen Lernens und zum Aus-

bau eines Systems der beruflichen Weiterbildung wurden keine

Regelungen beschlossen. Für das Ausbildungs- und Weiterbildungsper-

sonal sind keine Qualitätsanforderungen vorgesehen – im Bildungssy-

stem gibt es dafür keine Parallele. Was bleibt ist eine Verwaltungsre-

form: defizitäre Gesetze wurden zusammengeschoben und Paragrafen

neu geordnet. Auf umfassendere strukturelle Veränderungen des

Berufsbildungssystems, die z.B. auch demokratischere Strukturen

schafft, wurde verzichtet. Die Notwendigkeit einer umfassenden Berufs-

bildungsreform besteht deshalb unverändert fort.

Während ein hoher Konsens darüber besteht, dass lebensbegleitendes

Lernen immer notwendiger wird, fehlen angemessene Strukturen, um

die wachsenden Lerninteressen zu bedienen und zu befriedigen. Eine

nur marktmäßig ablaufende berufliche Bildung führt zwangsläufig zu

negativen Folgen für die Lernenden und die Gesellschaft: Unterversor-

gung mit Angeboten, verstärkte soziale Selektivität, schwer wiegende

Qualitätsprobleme und hohe Undurchsichtigkeit gefährden den persön-

lichen und gesellschaftlichen Nutzen von Lernbemühungen.

Wenn man über Projektemacherei und Modellversucherei und den dar-

aus resultierenden Innovationsnebel hinaus eine langfristig nachhaltige

Entwicklung des Weiterbildungssystems in Gang setzen will, muss eine

entsprechende Strukturpolitik juristisch abgesichert werden.

GEW, IG Metall und ver.di haben mit dem Vorschlag zu einer Bundes-

rahmenordnung für Weiterbildung hierauf reagiert. Um gleiche Rah-

menbedingungen herzustellen, ist es notwendig, dass der Bund die ihm

zustehenden Kompetenzen wahrnimmt, um Schwerpunkte und Vorga-

ben für Aktivitäten auf Landes- und Gemeindeebene sowie Anregungen

für tarifliche und betriebsverfassungsrechtliche Ansätze festzulegen.

Für die Nutzungsmöglichkeiten von Weiterbildung ist es sinnvoll, min-

destens einen Rahmenbereich in gesetzlichen Regelungen des Bundes

zusammenzufassen. Entwicklungsrichtungen und strategische Ansätze

können sich an Leitkriterien orientieren, wie: Beteiligung, Verantwor-

tung, Finanzierungssicherung, Lernzeitkonten, Institutionenentwick-

lung, Koordination, Qualitätssicherung, Transparenz, Personalförde-

rung, Funktionsintegration und Systemintegration.

Weiterbildungs-

inaktiv

80 % der kleineren und

mittleren Betriebe sind

in Sachen Weiter-

bildung inaktiv.

Ke

rna

us

sa

ge

nKernaussagen

105

Wir sprechen uns für einen kritisch-reflexiven Umgang mit der

Qualitätsdiskussion aus. Die unvermeidliche Wertebindung eines

interessenbezogenen Qualitätsverständnisses verweist auf die

Beschränktheit instrumenteller Zertifizierungs- und Akkreditie-

rungsverfahren. Es kommt darauf an, deutlich zu machen, dass

Qualität in einem differenzierten System von beruflicher Bildung

unterschiedlichen „Leitbildern“, Werten, Normen und Interessen

folgt.

Im Zuge der Hartz-Reform hat die Weiterbildungsförderung nach

dem SGB III unter dem Einfluss neuer Nutzenvorstellungen und -

einschätzungen zu einem Prioritäten- und Systemwechsel geführt.

Die Zielsetzungen der Neuorientierung der SGB III-Förderung sind

jedoch im Wesentlichen verfehlt worden und müssen daher korri-

giert werden. Berücksichtigt werden muss, dass langfristige Wei-

terbildungsmaßnahmen für Arbeitslose die nachhaltigen Einglie-

derungschancen erhöhen.

Eine zukunftsgerichtete Weiterbildung für Arbeitslose nach dem

SGB III muss sich an den folgenden Kriterien orientieren: SGB III-

Förderung muss am Primat der Nachhaltigkeit festhalten; sinnvol-

le Qualitätsstandards und -sicherungen; Information und Bera-

tung für Risikogruppen und schließlich muss Weiterbildung für

Arbeitslose „Kerngeschäft“ der SGB III-Förderung bleiben.

Angesichts der aktuellen Defizite in der Weiterbildungsförderung

für Arbeitslose müssen alternative Finanzierungsinstrumente und

-perspektiven entwickelt werden. Kurzfristig müssen alternative

Förderungsmöglichkeiten für die von aktuellen Kürzungen betrof-

fenen Erwerbslosen gefunden werden. Langfristig muss ein steu-

erfinanziertes Modell entwickelt werden.

Um gleiche Rahmenbedingungen herzustellen, ist es notwendig,

dass der Bund die ihm zustehenden Kompetenzen wahrnimmt, um

Schwerpunkte und Vorgaben für Aktivitäten auf Landes- und

Gemeindeebene sowie Anregungen für tarifliche und betriebs-

verfassungsrechtliche Ansätze festzulegen. Für die Nutzungsmög-

lichkeiten von Weiterbildung ist es sinnvoll, mindestens einen

Rahmenbereich in gesetzlichen Regelungen des Bundes zusam-

menzufassen.

Eine sorgsame und weitsichtige berufliche

Bildung bedarf ganz besonderer gesellschafts-

politischer Aufmerksamkeit. Sie ist kein

Randproblem, das man mit technischen oder

juristischen Mitteln bewältigen könnte;

es ist vielmehr ein zentrales Problem der

Zukunftssicherung, weil damit die Entwicklung

tragfähiger Lebensperspektiven für die

heranwachsende Generation verbunden ist.

Prof. Dr. Oskar Negt

Hochschullehrer Hannover

Kapitel 6

108

6. Was sind die Herausforderungen für die

Gewerkschaften?

Wir leben in einer Zeit gewaltiger, durch Gesellschaftskrisen verursach-

ter Umbrüche. In den entwickelten Ländern haben wir es mit einer

Gesamtlage zu tun, in denen alte Werte nicht mehr unbesehen und all-

tagspraktisch gelten und neue noch nicht da sind, aber intensiv gesucht

werden. In dieser kulturellen Erosionskrise der Gegenwart sind persön-

liche Suchbewegungen auch dafür entscheidend, dass alte Loyalitäts-

bindungen gegenüber Institutionen, Parteien, Großorganisationen jegli-

cher Art sich lockern oder gar ganz auflösen, wie es sich im

Mitgliederschwund vieler Organisationen oder im wechselhaften Wahl-

verhalten zeigt. Diese schwankenden Orientierungen gehören heute

zum gesellschaftspolitischen Alltag. Diese Krisenart unterscheidet sich

von den ökonomischen Bewegungsabläufen, von Konjunkturen und

Rezessionen dadurch, dass sie nicht nur die objektiven Lebensverhält-

nisse beeinflusst, sondern auch die Subjektausstattungen erfasst, den

Bildungsprozess der einzelnen Menschen in ihrem Persönlichkeitskern

trifft.

Die skizzierte Krisensituation konfrontiert auch die Gewerkschaften mit

Herausforderungen, auf die sie langfristige Antworten finden müssen,

um gerade auch bei der jüngeren Generation, die in eine problematisch

gewordene Arbeitsgesellschaft Eingang zu bekommen versucht, über-

zeugend und glaubwürdig zu sein.

Das Politikfeld berufliche Bildung kann einen wichtigen Beitrag bei der

Veränderung der Gewerkschaften leisten. Dazu müssen die Gewerk-

schaften allerdings eine Doppelstrategie entwickeln: (1) Sie müssen die

beruflichen Bildungsinteressen der Arbeitnehmer umfassend aufgreifen

und zu politischen Strategien verdichten. Dabei sind auch die Instru-

mente stärker als bisher einzusetzen, die die ureigensten der Gewerk-

schaften sind: Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. (2) Sie müs-

sen ein attraktives Leistungsangebot für die Mitglieder aus dem

Themenfeld der beruflichen Bildung generieren. Besonders Leistungen

aus den Bereichen Information, Orientierung und Beratung.

Weiterbildungs-

aktiv

In Europa gibt es viele

weiterbildungsaktive

Betriebe. So bilden

z. B. in Dänemark 96 %

aller Betriebe weiter.

Deutshcland steht an

12. Stelle.

Kapitel 6

109

6.1. Berufliche Bildung ist Kerngeschäft

Es gibt gute Gründe, warum die Gewerkschaften der beruflichen Bildung

mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Die Veränderungen in der

Arbeitswelt, aber ebenso auch die Erwartungen der Arbeitnehmer an die

Qualität der Arbeitsplätze stellen neue Anforderungen an Lernen – und

zwar ein Leben lang. Mit der begonnenen Entwicklung, betriebliches

Lernen und Qualifizierung nicht mehr nur in Aus-, Fortbildungs- und

Umschulungsordnungen zu regeln, sondern zunehmend auch tariflich

und auf der Grundlage von Betriebsvereinbarungen zu gestalten, haben

die Gewerkschaften ein wichtiges und erfolgversprechendes Gestal-

tungsfeld eröffnet. Den Betriebs- und Personalräten ist die wachsende

Bedeutung von beruflicher Bildung im Zusammenhang mit der wach-

senden Arbeitsplatzunsicherheit und erhöhten Qualifikationsanforde-

rungen durchaus bewusst. Nicht wenige Arbeitnehmerinnen und Arbeit-

nehmer sehen diese Neuerungen keineswegs nur als zusätzliche

Chance, sondern auch als weitere Bedrohung, als Risiko von Ausgren-

zung oder Arbeitsplatzverlust.

Dennoch: Mit einem geschärften Profil in der beruflichen Bildung kann

es gelingen, Arbeitnehmergruppen zu erreichen, die bislang den

Gewerkschaften skeptisch gegenüberstehen. Dies insbesondere dann,

wenn die Gewerkschaften es schaffen, sich hier kompetent und attrak-

tiv aufzustellen. Dennoch warnen wir vom Wissenschaftlichen Berater-

kreis vor zu großer Euphorie: Die berufliche Bildung als Feld von Inter-

essenpolitik auszugestalten, um Mitglieder zu gewinnen und zu binden,

ist zwingend notwendig. Dennoch ist das Thema – das zeigen auch die

Erfahrungen in anderen europäischen Ländern – komplex und wird des-

halb nur bei einer nachhaltigen Politik auch Erfolge zeigen.

6.2. Zukünftige Handlungsfelder

Angesichts veränderter ökonomischer, demographischer und kultureller

Konstellationen stehen die Gewerkschaften vor der Herausforderung,

erweiterte und neue Politikbereiche aufzunehmen. Vier solcher Hand-

lungsfelder und Mandats-Erweiterungen sind zu nennen:

1. Die Gewerkschaften müssen sich darüber im Klaren sein, dass ein

Arbeitsbegriff, der auf das Spektrum Kapital-Lohnarbeit fixiert und

darauf beschränkt bleibt, zu eng gefasst ist. Damit würden immer

Vereinbarungen

Für weniger als ein

Drittel der Beschäftig-

ten regeln Tarifverträge

oder Betriebsvereinba-

rungen die berufliche

Weiterbildung im

Betrieb.

Die Gewerkschaften müssen sich daran

erinnern, dass die berufliche Bildung neben

der Tarifpolitik ihr eigentliches Kerngeschäft

ist. Sie müssen ihren Mitgliedern dabei helfen,

dass sie ihre beruflichen Lebensperspektiven

auch umsetzen können.

Otto Semmler

ehem. Vize-Präsident der Bundesanstalt

für Arbeit, Nürnberg

Kapitel 6

112

größere Anteile lebendiger Arbeit in die Bereiche unterschlagener

Wirklichkeit fallen. Auch die zur Zeit überwiegend von Frauen gelei-

stete Beziehungsarbeit würde in diese Wirklichkeitsschichten

abgleiten, die vom gesellschaftlichen Produktions- und Lebenszu-

sammenhang abgekoppelt sind und unsichtbar werden. So würde

den Gewerkschaften ein großes Potenzial verloren gehen: Auch der

Einfluss auf alle Formen der Bildungs-Arbeit. Demgegenüber wird

Berufsbildung immer deutlicher zum Thema zukunftsfähiger Ent-

wicklung.

2. Gewerkschaften bedürfen der Erweiterung ihres Interessen-Man-

dats. Die Vertretung betrieblicher Interessen hat nach wie vor

großes Gewicht; aber nicht nur durch die langfristig unumkehrbare

Politik der Arbeitszeitverkürzung verringert sich zwangsläufig die

Anwesenheitszeit der Arbeitnehmer im Betrieb. Auch die Streuung

und Entgrenzung der Arbeitsorte und -zeiten wird es auf lange Sicht

notwendig machen, neben dem betrieblichen ein zweites, ein

außerbetriebliches Organisationsstandbein zu entwickeln. Die

Gewerkschaften sind, ob sie wollen oder nicht, durch veränderte

gesellschaftliche Verhältnisse dazu genötigt, den Arbeitnehmerin-

nen und Arbeitnehmern dorthin zu folgen, wohin sie gehen, wo sie

sich in ihrem Alltagsleben aufhalten, und das sind zunehmend auch

außerbetriebliche Aktions- und Handlungsfelder, bis zu dem Punkt,

dass die Computertechnik eine Rückkehr zu einer Art Heimarbeit

ermöglicht. Außerdem erreichen sie nur durch ein außerbetriebli-

ches Engagement diejenigen, die durch Erwerbslosigkeit vorüber-

gehend oder auf Dauer von betrieblichen Arbeitsplätzen abgetrennt

sind. Kompetenzentwicklung und Kompetenzerhalt ist für diese zen-

trales Moment zum Schutz ihrer Identität.

3. Notwendig ist eine Erweiterung des kulturellen Mandats. Es zeigt

sich immer deutlicher, dass auch tarifpolitische Erfolge kaum noch

zu erzielen sind, wenn das kulturelle Symbol- und Sprachspektrum

durch eine gewerkschaftsfeindliche Atmosphäre bestimmt ist. Ein

kulturelles Mandat wahrzunehmen ist deshalb nicht mehr ins Belie-

ben gesetzt, sondern berührt den gewerkschaftlichen Existenz-

grund. Wenn es denn um einen „Kampf um die Köpfe“ geht, ist die

kulturelle Hegemonie ausschlaggebend. Auch dies ist eine Bil-

dungsfrage.

4. Ihr politisches Mandat müssen die Gewerkschaften erweitern.

Damit ist nicht gemeint, wie man abwehrend unterstellen könnte,

dass sie sich als eine Ersatzpartei verstehen. Die Gewerkschaften

Kapitel 6

113

müssen bei ihrem geschichtlichen Auftrag bleiben, eine Interessen-

vertretung zu sein, die wesentlich auf den Arbeits- und Lebenszu-

sammenhang abhängiger Menschen bezogen ist, die der kollekti-

ven Aktivität bedürfen, um Arbeit, Lebensperspektiven und Würde

zu sichern. Aber solche Zielsetzungen sind nur realisierbar, wenn in

jedem Schritt gewerkschaftlicher Politik auch der Blick auf das

Ganze gerichtet ist. Insofern können Gewerkschaften in Zukunft

überhaupt nicht mehr Politik betreiben, ohne sich auf eine Gesell-

schaftsutopie einzulassen und diese zu entwickeln. Damit ist nicht

ein abstrakter Entwurf gemeint, der jenseits der Realität und ihren

Veränderungspotenzialen angesiedelt ist. Viel mehr geht es dabei

um das Aufgreifen und Bündeln der in den Menschen selber

steckenden Entwürfe von einem befriedigenden, gerechten und

lebenswerten Leben in einer vernünftig organisierten gesellschaftli-

chen Ordnung. Die Idee eines Gemeinwesens, auf das sich die Ver-

antwortung der Einzelnen sinnstiftend richtet, muss wieder zu

einem konkret besetzten Öffentlichkeitsraum werden.

Für diese vier Handlungsfelder spielt die Berufsbildung eine zentrale

Rolle. Für die Erringung kultureller Hegemonie braucht es kompetente,

ihrer Interessen und Perspektiven bewusste Menschen, die zu eigenem

Engagement und verantwortlicher Solidarität bereit sind.

6.3. Gestaltungsoptionen

Aber es geht um mehr. Die Gewerkschaften waren in ihrer Tradition die

Organisation der Gruppen, die den gesellschaftlichen Fortschritt tragen.

Das Spektrum solcher aktiver Gruppen und ihre Themen haben sich

erweitert. Formen des Widerstandes gegen die neoliberale Hegemonie

und den sich globalisierenden Kapitalismus sind vielfältiger geworden.

Die Zukunft der beruflichen Bildung ist eingebunden in die Zukunft

unserer Gesellschaft und hier vor allem in die Entscheidung über die

Form der Arbeitsteilung. Denn die berufliche Bildung hat als Vermittlung

zwischen Wissenserzeugung und Wissensnutzung eine Schlüsselstel-

lung für eine zukunftsfähige Entwicklung der Arbeits- und Lebensver-

hältnisse. Wir gehen davon aus, dass Erwerbstätigkeit und Beruflichkeit

weiterhin zentrale gesellschaftliche Strukturprinzipien und Aspekte für

die Entwicklung persönlicher Identität bleiben. Viel wird davon abhän-

gen, ob es gelingt, aktuell aufscheinende Defizite zu beheben und neue

Betriebsrats-

Thema

Bei den Themen, die

die Betriebs- und

Personalräte in 2003

aktiv bearbeitet

haben, steht die Wei-

terbildung an zweiter

Stelle.

Kapitel 6

114

Perspektiven zu öffnen. Berufsbildung wird dann zum Kern eines neuen

Systems des Arbeitens, Lernens und Lebens.

Die Perspektiven von Berufsbildung sind eingebunden in Gestaltungs-

optionen der Zukunft der Arbeit. Grob gegenüber gestellt ergeben sich

zwei alternative Entwicklungspfade:

· Pfad 1 geht aus von einer Senkung der Lohnnebenkosten angesichts

steigender Konkurrenz im Zusammenhang mit der Globalisierung.

Die Globalisierungsstrategie setzt auf weitere Technisierung von

Produktion, Distribution und technologische Innovationspoten-

ziale. Der Arbeitskrafteinsatz erzwingt Niedriglöhne und flexible

Beschäftigungsverhältnisse, die je nach Marktlage abgeschlossen

oder aufgekündigt werden. Notwendige „unbezahlbare“ gesell-

schaftliche Bedürfnisse werden unter dem Stichwort „Bürgerarbeit“

ins Ehrenamt verlagert. Aber auch dieser Entwicklungspfad ist mit

dem Trend zur Wissensgesellschaft konfrontiert und hat hierzu noch

keine Antworten gefunden.

· Pfad 2 beharrt angesichts sinkender notwendiger Lohnarbeit auf

einer Verteilung der Arbeitszeit. Unter dem Stichwort „endogene

Potenziale“ geht es bei diesem Pfad auch um eine Regionalisierung

der Wirtschaftkreisläufe und um eine ökologisch achtsame Nutzung

natürlicher Ressourcen. Gesellschaftliche Bedürfnisse außerhalb

des durch Lohnarbeit erzeugten Marktes von Produkten und Dienst-

leistungen werden durch Ausbau eines „Dritten Sektors“ gewähr-

leistet. Zudem soll allen Bürgerinnen und Bürgern ein Anspruch auf

Grundsicherung gewährleistet werden.

Je nachdem, welcher Pfad eingeschlagen wird, erhält berufliche Bildung

einen anderen Stellenwert. Pfad 1 würde die Fortsetzung der beschrie-

benen Entwicklung auf europäischer Ebene bedeuten: berufliche Bil-

dung würde reduziert auf die Vermittlung von „Wissenseinheiten“ und

insbesondere die berufliche Weiterbildung wäre ausschließlich orien-

tiert an einer Lückenbüßerfunktion zur kurzfristigen Anpassung –

„passgenau“ an technische Umstellungen – an die Unternehmensinter-

essen. Pfad 2 würde dagegen berufliche Bildung als einen Kompetenz-

entwicklungspfad begreifen, der auf hochqualifizierte Arbeitskräfte und

entsprechend auf ein personalorientiertes Produktionsmodell setzt. An

diesem Pfad sollten sich die Gewerkschaften orientieren.

Ke

rna

us

sa

ge

nKernaussagen

115

Dazu müssen die Gewerkschaften allerdings eine Doppelstrategie

entwickeln. Sie müssen die beruflichen Bildungsinteressen der

Arbeitnehmer umfassend aufgreifen und zu politischen Strategien

verdichten. Dabei sind auch die Instrumente stärker als bisher ein-

zusetzen, die die ureigensten der Gewerkschaften sind: Tarifver-

träge und Betriebsvereinbarungen. Sie müssen ein attraktives

Leistungsangebot für die Mitglieder aus dem Themenfeld der

beruflichen Bildung generieren. Besonders Leistungen aus den

Bereichen Information, Orientierung und Beratung.

Mit einem geschärften Profil in der beruflichen Bildung kann es

gelingen, Arbeitnehmergruppen zu erreichen, die bislang den

Gewerkschaften skeptisch gegenüberstehen. Dies insbesondere

dann, wenn die Gewerkschaften es schaffen, sich hier kompetent

und attraktiv aufzustellen.

Die Gewerkschaften müssen die berufliche Bildung als einen Kom-

petenzentwicklungspfad begreifen, der auf hochqualifizierte

Arbeitskräfte und entsprechend auf ein personalorientiertes Pro-

duktionsmodell setzt.

Anhang

116

Die Langfassungen der einzelnen Beiträge, für die die Autoren verant-

wortlich sind, stehen unter www.igm-wap.de und

http://berufbildungspolitik.verdi.org zum Download bereit.

Weitere Veröffentlichungen des Wissenschaftlichen Beraterkreises:

Ohne Berufe geht es nicht. Die Reform des Berufsbildungsgesetzes

braucht eine andere Leitidee. Wissenschaftler und Gewerkschaftler für

eine innovative Reform. Berlin/Frankfurt 2004.

Mitglieder des Wissenschaftlichen Beraterkreises der

Gewerkschaften IG Metall und ver.di:

Dr. Axel Bolder

Universität Duisburg-Essen –

Institut für Berufs- und Weiter-

bildung

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Helmut-Schmidt-Universität/

Universität der Bundeswehr,

Hamburg

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Universität Duisburg-Essen

Dr. Ingrid Drexel

Berufsbildungsforscherin

München

Prof. Dr. Peter Faulstich

Universität Hamburg

Dr. Dieter Gnahs

Programmbereichsleiter beim

Deutschen Institut für Erwachse-

nenbildung (DIE) in Bonn

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Philosophisch-theologische

Hochschule St. Georgen, Frankfurt

Dr. Roman Jaich

wiss. Mitarbeiter des European

Institut für Globalisation

Research, e4globe Berlin

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Universität Kassel

Prof. Dr. Oskar Negt

Hochschullehrer Hannover

Dr. Edgar Sauter

Berufsbildungsforscher und

Vorsitzender des Anerkennungs-

beirates der Bundesagentur für

Arbeit, Bonn

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Berufsbildungsforscher Bonn

(ehemaliger Generalsekretär des

Bundesinstituts für Berufsbildung

(BiBB)

Dr. Hartmut Seifert

Leiter des Wirtschafts- und

Sozialwissenschaftlichen Instituts

in der Hans-Böckler-Stiftung in

Düsseldorf

Otto Semmler

ehemaliger Vize-Präsident

der Bundesanstalt für Arbeit,

Nürnberg

Dr. Axel Bolder

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Dr. Ingrid Drexel

Prof. Dr. Peter Faulstich

Dr. Dieter Gnahs

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Dr. Roman Jaich

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Prof. Dr. Oskar Negt

Dr. Edgar Sauter

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Dr. Hartmut Seifert

Otto Semmler

Eine Streitschrift zur beruflichen Bildung

Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen

Vorgelegt vom

Wissenschaftlichen

Beraterkreis

der Gewerkschaften

IG Metall und ver.di

Bildung ist keine Ware

Das wollen wir erreichen:

· bessere Bildung

· mehr Bildung

· gerechte Bildung

· mehr öffentliche (gesellschaftliche)

Verantwortung

· eine berufliche Bildung

· mehr lernförderliche Arbeit

· Bildung als starker gesellschaftlicher

Zusammenhalt

· Beruflichkeit bewahren

· eine kraftvolle Berufsbildungspolitik

der Gewerkschaften

6966-11809

Herausgeber:

Vorstand ver.di

Bereich Berufsbildungspolitik

Paula-Thiede-Ufer 10

10179 Berlin

Vorstand IG Metall

Ressort Bildungs- und

Qualifizierungspolitik

Wilhelm-Leuschner-Straße 79

60329 Frankfurt M.

Redaktion:

Mechthild Bayer, Prof. Peter Faulstich,

Dr. Roman Jaich, Dr. Klaus Heimann,

Wolf-Gunter Brügmann

Gestaltung:

Werbeagentur Zimmermann GmbH

Frankfurt am Main

Druck:

Henrich Druck+Medien GmbH, Frankfurt

Berlin/Frankfurt/M., Januar 2006

Dr. Axel Bolder

Prof. Dr. Peter Dehnbostel

Prof. Dr. Rolf Dobischat

Dr. Ingrid Drexel

Prof. Dr. Peter Faulstich

Dr. Dieter Gnahs

Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach

Dr. Roman Jaich

Prof. Dr. Bernhard Nagel

Prof. Dr. Oskar Negt

Dr. Edgar Sauter

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Dr. Hartmut Seifert

Otto Semmler

Eine Streitschrift zur beruflichen Bildung

Wie wir morgen arbeiten, leben und lernen wollen

Vorgelegt vom

Wissenschaftlichen

Beraterkreis

der Gewerkschaften

IG Metall und ver.di

Bildung ist keine Ware

Das wollen wir erreichen:

· bessere Bildung

· mehr Bildung

· gerechte Bildung

· mehr öffentliche (gesellschaftliche)

Verantwortung

· eine berufliche Bildung

· mehr lernförderliche Arbeit

· Bildung als starker gesellschaftlicher

Zusammenhalt

· Beruflichkeit bewahren

· eine kraftvolle Berufsbildungspolitik

der Gewerkschaften

6966-11809

Herausgeber:

Vorstand ver.di

Bereich Berufsbildungspolitik

Paula-Thiede-Ufer 10

10179 Berlin

Vorstand IG Metall

Ressort Bildungs- und

Qualifizierungspolitik

Wilhelm-Leuschner-Straße 79

60329 Frankfurt M.

Redaktion:

Mechthild Bayer, Prof. Peter Faulstich,

Dr. Roman Jaich, Dr. Klaus Heimann,

Wolf-Gunter Brügmann

Gestaltung:

Werbeagentur Zimmermann GmbH

Frankfurt am Main

Druck:

Henrich Druck+Medien GmbH, Frankfurt

Berlin/Frankfurt/M., Januar 2006