Jürgen Seifert: Theoretiker der Gegenrevolution - Carl Schmitt 1888-1985

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    J iirgen SeifertTheoretiker der GegenrevolutionCarl Schmitt I888-I98 5

    Carl Schmitt ist mehr als ein NS-KollaborateurIn fast allen Nachrufen ' zum Tode von Carl Schmitt am 7.4. 1985 geht es urn dieFrage: In welchem Umfang war Carl Schmitt ein Wegbereiter des Nationalsozialis-mus und in welchem Mage hat er sich im NS-Regime engagiert? Fur diese verkurzteFragestellung gibt es Griinde. Am Beispiel Carl Schmitt wird stellvertretend daslange Zeit verdrangte Thema Recht und Nationalsozialismus- diskutiert. CarlSchmitt wurde zum Sundenbock. Daran war er selbst nicht unschuldig. Es gibt vonkeinem anderen Juristen aus der NS-Zeit so einpragsarne und so skandalose Satzewie von ihm. Das gilt nicht nur fur die bekannt-beruchtigte Rechtfertigung macht-staatlicher Morde im Sommer 1934 durch den Satz Der Fuhrer schiitzt das Rechr.'Das gilt auch fur die Rede vom 4.10. 1936 Die deutsche Rechtswissenschaft imKampf gegen den jiidischen Geist- mit der Forderung nach einem -wissenschafrli-chen- Judenstern:-Ein jiidischer Autor hat fur uns keine Autoritat, auch keine 'rein wissenschafrliche- Autoritat .. . . Ein jiidischer Autor ist fur uns, wenn er iiberhaupt zitiert wird, ein jiidischer Autor. DieBeifiigung des Wortes und der Bezeichnung -jiidisch- ist keine AuBerlichkeit, sondern erwasWesentliches, wei! wir ja nicht verhindern konnen, daB sich der jiidische Autor der deutschenSprache bedient.-Das Thema Carl Schmitt und der Nationalsozialismust ist auch deshalb nichtbeendet worden, weil Carl Schmitt nie offentlich von seiner unbestreitbaren geisti-gen Mittaterschaft abgeriickt ist. Statt dessen hat er versucht, sich zu rechtfertigen.Er schreib 1946: -Ich bin der letzte, bewuflte Vertreter des jus publicum EuropaeumI Vgl. Gunter Maschke, Posinonen mrrutten des Hasses, Frankfurter Allgemeine Zeuung, 11.4. 19850Nr.84, S.25; Rodench Reifenrath, Der Propagandist des Ausnahmezustandes, Frankfurter Rund-schau, I!. 4. 1985, Nr.84, S. 18; Robert Leicht , Die unselige Lust an der Ausnahrne, SilddeutscbeZeuung; I!. 4. 1985, S.11; joachim Schickel, Die unerwiderte Liebe zur Macht-, taz, 11.4. 1985, S.3;Kurt Sontheimer, Der Macht naher als dem Recht, Die Zee, 19.4. 1985,Nr. 17,S.7; Sepp Schelz, -DieHieroglyphe des Westens. Carl Schmitt oder Das Ende der Staatlichkeit, Deutscbes AllgemeinesSonntagsblatt, 21.4. 1985, S.16; "Carl SChmitt to , Der Spiegel, 15.4. 1985, Nr. 16, S.269. Vgl. auch die-Leserbnefe- von Franz Thedieck und Ernst Wolf, Frankfurter Al lgememe Zeuung, 6.5.1985, Nr. 104,S72 Carl Schmitt, -Der Fuhrer schiitzt das Recht, Deutsche [unsten-Zettung, Jg.39, !. S. 1934, H.15,S.943"""950;Nachdruck m: Carl Schmitt, Posuumen und Begrif fe ,m Kampf mit Welmar-Genf- Versailles1923-1939, Hamburg, 1940, S. 199ff.3 Die deutsche Recbtsunssenscbajt 1mKampf gegen den judischen GeISt, H. I, Reihe DasJudentum m derRechtswissenschaft e , Berlin, o.J. (1936), S.34; diese Schlulansprachevon Carl Schmitt (S. 2S-34) wurdevorausabgedruckt unter dem Titel Die Deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jiidischenGeist, Deutsche [uruten-Zenung, Jg.4I, 15.10. 1936, H.20, S.1197-1199; m der Folgezeu heilt esdann bel Carl Schmitt m Veroffentlichungen wahrend der NS-Zelt : die Juden Karl Marx, Borne,Heme, Meyerbeer, Stahi-Joison, Kelsen. Vgl. Carl Schmitt, Der Leoiatban Iner Staatslehre des ThomasHobbes, Hamburg, 1936, S. lOS.4 Ennnert sei hrer an die Beitrage von Helmut Ridder, Kurt Sonrheimer, jiirgen Fijalkowski, IngeborgMaus, Chnsnan Graf von Krockow, Peter Schneider, Hasso Hofmann und Gunter Maschke.

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    194 . .. und erfahre sein Ende so, wie Benito Cereno die Fahrt des Piratenschiffserfuhr, d. h. alstodlich bedrohte Geisel.' Carl Schmitt hat bis zu seinem Tode seineRehabilitierung betrieben. Gerade das aber provoziert.Carl Schmitt hat den Ha6 auf sich gezogen, den ein Dberlaufer zu ertragen hat. CarlSchmitt gehorte 1932/33 zu den Beratern von Reichskanzler Kurt von Schleicher. Erwar - wie er nach 1945 immer wieder betont hat - am jc.januar 1933 einBesiegter. Doch Carl Schmitt hat dann auf die Seite der Sieger gewechselt. DemDberlaufer Schmitt galt die Kritik der Emigranten." Urn den Uberlaufer CarlSchmitt ging es 1936 auch in dem anonymen Angriff auf ihn im Schwarz en Korps,dem Organ der Reichsfiihrung SS:Schweigend und voller Bewunderung sahen die Kenner seiner Personlichkeit und seinesWerdeganges, wie er sich nun plotzlich zum Hiiter der nanonaisozialistischen Idee aufzu-schwingen verstand. Jetzt war die politische Entscheidung gegen das [udentum gefallen. AuchCarl Schmitt erwies sich nun als Antisernit.?Wer das Werk von Carl Schmitt reduziert auf die AuBerungen in jenen 12 Jahren,verkennt den Theoretiker Carl Schmitt und verdrangt damit das eigentliche Pro-blem. Das gilt auch fur Kurt Sontheirner, wenn er schreibt: Wem die liberale, dasheifst: die freiheitliche Demokratie am Herzen liegt, der braucht Carl Schmittnicht.! Doch Carl Schmitt uberwindet nicht, wer ihn ignoriert, sondern nurderjenige, der ihn ernst nimmt als Theoretiker.Wer sich mit Carl Schmitt auseinandersetzt, rnuf die Methode der geschichtlichenSpezifizierung anwenden.? Man kann Carl Schmitt nicht neutral verwerten, ohnedem spezifischen Denken Schmitts zum Opfer zu fallen. Es kommt bei Carl Schmittdarauf an zu fragen, gegen wen denkt er, fur wen, in welcher Situation. SeinDenkennannte er selbst in einem Buchtieel Positionen und Begriffe im Kampf;"Carl Schmitt enrwickelt Begriffe und Positionen als Theoretiker der Gegenrevolu-tion." Fur Carl Schmitt gab es nur einen wirklichen Feind: das sozialistischeProletariat. Er war ein Anti-Liberaler, weil die Liberalen in seinen Augen unzuver-lassig sind im Kampf gegen die proletarische Emanzipation. Schmitts spezifischeFrontstellung ist bestimmt durch die Ablehnung der biirgerlichen Konstitutionenund der Menschenrechte: das sind Schutzwalle fur verschiedenartige Interessen;"Das jus publicum Europaeum - von dem er spricht - war fur ihn das Recht vor1789.

    5 Carl Schmi tt , Ex captnntate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Koln, '950, S. 75; vgl. dazu HermanMelville, Benuo Cereno (1855) (vgl. N achdruck imnsel- Taschenbuch 644, Frankfurt/M., 1983 rrut demNachdruck von Sava Klickovic aus der Carl Schrrun-Festgabe 1968); Giinter Maschke (a.aO., Anm. I)hat emeut daran ennnert, aber auch das Schonende und Stilisierende daran betont.

    6 Giinter Maschke, -Zum -Leviathan- von Carl Schmitt, in: Carl Schmitt , Der Leouuban In derStaatslehre des Thomas Hobbes, Neudruck, Koln, 1982, S. 185 f.7 Es wird immer pemlicher, Das Schwarze Korps, Jg. 3, 10.12. 1936, Nr. 50; s. dazu Giinter Maschke

    (a. a. 0., Anm. 6) S. 186 ff; s. bel Maschke auch das Schreiben von Hermann Goring an den Chefredak-teur des Schwarzen Korps vom 21. 12. 1936, in dem es heiiit: ' ... mull ich doch mit Nachdruck daraufhinweisen, daB es rucht angeht, wenn Personlichkeiten, von denen bekannt ist, daB sie durch memVertrauen m em hohes offentliches Amt berufen sind, durch Ihre Zeitung m dieser Weise herabgewiir-d ig t werden (5.192).

    8 A.a.O. (Anm.j ).9 Diese Arbeit hat in iiberzeugender Weise auf sich genommen: Volker Neumann, Der Staat 1mBiirgerkrteg, FrankfurtIM., New York, 1980; vgl. aus anderer Sicht auch (in der Form emer -klassi-

    schen Biograplue) Joseph W. Bendersky, Carl Schmitt. Theorist For The ReICh, Pnnceton, 1983.10 A.a.O. (Anm..a).II SO smngemaB auch Ernst Niekisch, Das Reich der mederen Diimonen, Hamburg, 1953; Nachdruck:

    Ber lin, 1980, S. 198 ff.12 Carl Schmitt, -Gesunde Wirtschaft im starken Staat. Hauprvortrag-, Langnamverein, Hrsg., Mitteilun-gen des Verems zur Wahrung der gememsamen wirtscha ftiichen Inte ressen in Rhemland und Westfalen.

    Dusseldorf, 1932, 5.13 bis 32, hier 5.31.

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    Schmitts politische Parteinahme fiir die Gegenrevolution in Deutschland 5011 imfolgenden an Hand zentraler Fragen gekennzeichnet werden. Dabei werde ichversuchen, die Veranderungen zu registrieren, die Carl Schmitt in verandertenSituationen vornahm.

    Machtstaatliche EntrecbtlicbungSouveran ist, wer iiber den Ausnahmezustand entscheidet. I)Dieser bekanntestealler Carl Schmitt-Satze ist keine Definition. Er fordert auf zur Analyse derMachtkonstellarion: 1918 entschied iiber den Ausnahmezustand der Rat der Volks-beauftragten, beim Kapp-Putsch 1920 der Generalstreik der Gewerkschaften, in denHerbstkrisen 1923 die Diktaturgewalt des Reichsprasidenten, gestiitzt auf dieReichswehr. Im Kampf zwischen den gesellschaftlichen Fronten bedeutet die Verla-gerung der Entscheidung iiber den Ausnahmezustand eine fundamentale Verande-rung. Carl Schmitt ging es wesentlich darum, dem Reichsprasidenten fiir soIcheEntscheidungen Handlungsfreiheit zu verschaffen. Dazu diente die Formel vornReichsprasidenten als Hiiter der Verfassung. 14 Wichtig dabei war fiir CarlSchmitt, daB der Reichsprasident, indem er iiber die erforderlichen MaBnahmenentscheidet, bestimmen kann, was legal ist und was nicht.Bis 1932 gab es fiir Carl Schmitt noch ein spezifisches Verhaltnis von Norm undAusnahme. Nach dem 20.Juli 1932, dem Schlag gegen die sozialdemokratischeRegierung Preullens als der letzten Bastion des Weimarer Systems, erfuhr Schmittals Rechtsvertreter des Reiches vor dem Staatsgerichtshof, daB der Reichsprasidentim Verfassungsstaat nicht allein die Grenzen seiner Befugnisse bestimmen kann:Das Reich muflte sich ... vor die Schranken des Leipziger Staatsgerichtshofsziehen lassen. Dort hatte es sich als -Beklagter- fiir eine politische Entscheidung zuveranrworten.'! Carl Schmitt erkannte damals, daB verschiederiartige Interessenhinter legalen Wallen Deckung nehrnen konnen, daB Legalirat zum Schutzwallfiir die Arbeiterbewegung werden kann;" Wenn er sparer das in der Arbeiterbewe-gung vie! diskutierte Wort des konservativen franzosischen Politikers Odilon Barrotaufgreift la legalite nous tue (uns [den Regierenden] bringt Gesetzlichkeit denTod)17 und verkiirzt auf die Formel la legalite tue (Gesetzlichkeit toter), dannverschleiert er die entscheidende politische Aussage. Schmitt weili, warum. Fiir denFeind der Arbeiterbewegung ist die Vergesetzlichung des Rechts todbrin-gend." In dies em Sinn spricht Carl Schmitt von Verfassungsrecht als MagnaCharta der Hoch- und Landesverrarer." Volk und Reich diirfen nicht in einerliickenlosen Legalitat restlos gefesselt sein." Die Rechtfertigung der Morde imSommer 1934 durch Carl Schmitt ist - sofern sie in den Zusammenhang derEntwicklung des Schmittschen Denkens iiber Legalitat gestellt wird - sornit wedereine einmalige Entgleisung noch ein Kunsrwerk auBerster und halsbrecherischsterVieldeutigkeit- :Z l13 Carl Schrmt t, Poliuscbe Tbeologie, 2.Ausg., Miinchen, Leipzig, 1934, S. II.' 4 Carl Schmitt, Der Hiaer der Verfassung, Tiibingen 1931, Nachdruck: Berlin, 1969.15 Carl Schmit t, Staatsgefuge und Zusammenbruch des Zioeuen Retches, Hamburg, 1934, S.47.16 Carl Schmitt, Gesunde Wirtschaft un starken Staat, a. a . O . (Anm. 12), S. 3I.17 Vgl. dazu Jiirgen Seifert, Kampf um VerfassungspoSltlOnen,Koln, Frankfurt/M., 1974, S.93.18 Carl Schmi tt, Verfassungsrechtliche Aufsatze aus den Jahren 1924-1954. Matenalien zu einer Verfas-sungslehre, Berlin, 1958, Neudruck: Berlin, 1973, S. 423.19 Carl Schmi tt , -Der Fiihrer schiitzt das Recht, a. a. O. (Anm. 2), S. 200.20 Ebda.21 So Gunter Maschke, a. a. O. (Anm. I).

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    Die Tat des Fiihrers (war) echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht rucht der justiz, sondern warselbst hochste J ustiz, Es war niche die Aknon eines republikanischen Diktarors, der in einemrechtsleeren Raum, wahrend das Gesetz fiir einen Augenblick die Augen schlieflt, vollendeteTatsachen schafft, damit dann, auf dem so geschaffenen Boden, der neuen Tatsachen dieFiktionen der liickenlosen Legalitaten wieder Platz greifen konnen. "Die Begriffe konkrete Ordnung- und Nomos- sind fur Carl Schmitt Versuche,die Legalitat als Fessel im Kampf abzustreifen. z za Obwohl sich in der politischenPraxis nicht die Arbeiterbewegung der Legalitat als einer Waffe im Biirgerkriegbedient hat, sondern Hitler 1932/33, sieht er in der letzten Mahnung an seinepolitischen Freunde die eigendiche Gefahr in der legalen Weltrevolution!lAis das Ende des NS-Regimes abzusehen war, besann sich Carl Schmitt aufPrinzipien des Rechts- als unzerstorbaren Kern allen Rechrs gegenuber allenzersetzenden Satzungen. Zu solchen Prinzipien zahlt er unter anderem in einemerst nach 1945 erschienenem Text eine auch im Kampf nicht entfallende, aufgegenseitiger Achtung beruhende Anerkennung der Person und Sinn fur dasMinimum eines geordneten Verfahrens, einen due process of law, ohne den es keinRecht gibt!4 An diesen Kern allen Rechts hat er nicht erinnert, als er dermachtstaadichen Entrechtlichung den Weg bereitete gegeniiber den Fesseln derLegalitat.

    Das Freund-Feind- VerhaltnisDie Bestimmung des Politischen als Freund-Feind- Verhaltnis ist die gegenrevolu-tionare Anrwort auf die Klassenkampftheorie der Arbeiterbewegung. Carl Schmitthat die ersten Ansatze dazu 1927 vorgelegt, er hat 193 Idies en Text umgeschriebenund voll entfaltet; nach 1933 hat er die Schrift teilweise umgeschrieben."Die Klassenkarnpfrheorie der Arbeiterbewegung verbindet - besonders in derFreilich abstrakten Programmatik bei Rosa Luxemburg - okonomischen und politi-schen Kampf." Carl Schmitt erkennt auf Grund der spezifischen Machtkonstella-tion in der Weimarer Republik, daB die Linie des okonomischen Kampfes nichtnotwendig mit der Kampflinie der Politik identisch ist. Die Sozialdemokratie alspolitischer Funktionstrager eines wesentlichen Teiles der deutschen Arbeiterschaftentschied sich nach der Revolution von 1918 gegen die proletarische Revolution.Das hinderte Carl Schmitt (und einen Teil des Zentrums, Deutschnationale undNationalsozialisten) nicht, die Sozialdemokraten (ab 1932 offen) unter dem Sam-melbegriff rnarxistische Parteien zusammen mit der KPD zum wirklichenFeind- zu erklaren, Die Freund-Feind- Theorie entsprach teilweise der auf dasPolitische reduzierten Klassenkampftheorie der KPD und der KPdSU. Doch dieFreund-Feind-Theorie wurde zur entscheidenden Waffe von rechts gegen beideParteien der Arbeiterbewegung. Die Freund-Feind-Theorie bezieht sich nicht nur22 A.a. O. (Anm. 2), Nachdruck S.200.22a Carl Schmitt , a .a .O. (Anm. 18),Neudruck S.447 u. 450.23 Carl Schmitt, Die legale Weltrevoluuon., in: Der Staat, Jg. 17, 1978, H. 3, S.321-339.24 A. a.O. (Anm. 18), S.42.25 Carl Schmitt, Der Begriff des Polinschen, Arcbio fur Sozudunssenscbaft und Sozzalpolitik, Bd. 58,

    1927, S. 1-33, Nachdruck: Posuionen und Begriffe .. . , a.a.O. (Anm.z); 2.Aufl., Miinchen, Leipzig,1931, Neudruck dieser Aufl.: Berlin 1969; die 3.Auflage (Hamburg, 1933) wurde mcht nachgedruckt!26 Vgl. Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, Hamburg, 1906; Neudruck in:Gesammelte Werke, Bd. 2, Berlin (Ost), 1972, S.128: Der okonorrnsche Kampf ist das Fortleuende vonernern polinschen Knotenpunkt zurn andern, der polinsche Kampf 1Stdie penodische Befruchtung desBodens fiir den okonormschen Kampf.

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    auf aufsenpolitische Freund- und Feindgruppierungen, sondern auch auf denBurgerkrieg."Zum Begriff des Feindes gehort fur Carl Schmitt die Evenrualitat eines bewaffnetenKampfes, das bedeutet hier eines Krieges." Zum Krieg gehort auch der Burger-krieg. Das ist wichtig, wenn Carl Schmitt iiber das Wort Krieg sagt:Es bedeutet niche einen unpolitisch-agonalen Wettkampf, nicht blofseKonkurrenz, nicht denangeblich -rein geistigen- Kampf der Diskussion, und am aIIerwemgsten das symbolische-Ringen-, das schlie6Iich jeder Mensch irgendwie immer vollfuhrt, weil nun einmal das ganzemenschliche Leben ein -Kampf und jeder Mensch ein -Karnpfer- ist. Die Begriffe Freund,Feind und Krieg erhalten ihren realen Sinn dadurch, daB sie insbesondere auf die realeMoglichkeit der physischen Toning Bezug haben und behalten. "Carl Schmitt erinnert nicht nur an die -Aufgabe, Freund und Feind richtig zuunterscheiden, definiert den Biirgerkrieg als bewaffneten Kampf- und vergilltnicht hinzuzufiigen, daB es dabei urn die physische Totung von Menschen geht.3Es geht bei der Unterscheidung nicht nur urn ein blofses Freund-Feind-Denken,sondern urn ein Freund-Feind- Verhaltnis mit existentieller Bedeutung. Carl Schmitthat nicht nur vom physischen Toren- gesprochen, sondern aus dem Freund-Feind-Verhaltnis eine unabanderliche, echte und totale Feindschaft- und eine Totalitatder Feindschaft- gernacht.!'Erst nach dem zweiten Weltkrieg - selbst zum Opfer geworden - modifizierte erdiese Position: Die Theologen neigen dazu, den Feind als etwas zu definieren, dasvernichtet werden mull. lch aber bin Jurist ... Jetzt stellt sich Schmitt die Frage:"Wen kann ich iiberhaupt als meinen Feind anerkennen? Offen bar den, der mich auch in Fragestellen kann. Indem ich ihn als Feind anerkenne, erkenne ich an, daBer mich in Frage stellenkann. Und wer kann mich wirklich in Frage stellen? Nur ich mich selbst. Oder mein Bruder... Der Feind tst unsre eLgne Frage als Gestalt.e'1963 unterscheidet Schmitt zwischen dem wirklichen Feind- und dem absolutenFeind-s.!' Jetzt spricht er nicht mehr von der totalen Feindschaft, sondern von denGrenzen der Feindschaft!": Erst die Ableugnung der wirklichen Feindschaftmacht die Bahn frei fur das Vernichtungswerk einer absoluten Peindschaft.>' Imnuklearen Zeitalter- erlangt die Absolutsetzung des Feindes eine neue Qualitat:Solche absolute Vernichtungsmittel erfordern den absoluten Feind, wenn sie nichtabsolut unmenschlich sein sollen.e-?

    27 Der Begr iff des Poli t iscben , a.a.o. (Anm.26), zitiert nach dem Nachdruck der 2.Aufl., S.32.28 Ebda., S.33; m der 3.Aufl., a.a.0., S.'5 hat Schmitt das Wort -bewaffner- emgefiigt.29 Ebda.30 Ebda.31 Carl Schmitt, Totaler Feind, totaler Kneg, totaler Staat, '937, Nachdruck: Postttonen und Begrif] ... ,a.a. O. (Anm.z}, 5.235-239; insbes, 239; ders., .Uber das Verhaltrus der Begriffe Kneg und Feind,

    1938, ebda, S.244-25 I, zur -Totalitat der Feindschaft- und zur Totalitat des Kneges insbesondereS.244; ferner: Carl Schmitt, -Die Raumrevolunon, Durch den totalen Kneg zu emern totalen Fneden,m: Das Reich, 29.9. 1940, S.43.32 Carl Schmitt, Ex Captnntate Salus, a.a.O. (Anrn.j ), S.89f.; vgl. auch: Carl Schmitt , Theone desPart isanen. Zunschenbemerkung zum BegYif f des Poliuscben, Berlin, 1963,5.87; dorr hat C.S. rmt derFrage nach der -Doppelheit der Feinde- den Satz iibernommen: -Der Feind 1Stunsre eIgne Frage alsGestalt .

    33 Theone des Parttsanen, ebda., und 5.91 ff.34 Ebda. , S. 93 -35 Ebda., S.96.36 Ebda., S.94.

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    Totaler oder gerechter Kneg und die Hegung des KnegesCarl Schmitt hat nach dem zweiten Weltkrieg darauf verwiesen, daB er sich 1932gegen den jeweils -endgultig letzten Krieg der Menschheit- ausgesprochen habe:-Solche Kriege sind notwendigerweise besonders intensive und unmenschliche Kriege, weilsie, iiber das Politische hinausgehend, den Feind gleichzeitig in moralischen und anderenKategorien herabsetzen und zum menschlichen Scheusal machen miissen, das nicht nurabgewehrt, sondern definitiv vernichtet werden muli, also nicht mehr nur ein in seine Grenzenzuriickzuweisender Feind ist. "Doch in der NS-Phase hat Carl Schmitt die -Rechtfertigung von Kriegen, dieTheologie des gerechten Krieges selbst betrieben. Die Rede vorn 4.10. 1936 Diedeutsche Rechtswissenschaft im Kampf mit dem jiidischen Geist schlof er mit demSatz: vlndem ich mich des Juden erwehre- - sagt unser Fuhrer Adolf Hitler --kampfe ich fur das Werk des Herrnc-o" 1m Jahre 1940 - auf dem Hohepunkt derSiege Hitlers - bezeichnet Schmitt den weltgeschichtlichen Sinn dieses Krieges alsRaurnordnungskrieg- und pladiert fur den totalen Krieg:Die Tatsache des totalen Krieges ... vertieft das Problem des Friedens im gleichen Malle, wiesie die Intensitat des Krieges steigert. Jetzt mull der Friede wenigstens (sic!) fiir den Groliraum,den er neu ordnet, die Gefahr des totalen Krieges von Grund auf beseitigen. Solange einesolche Gefahr besteht, kann nicht vorn wirklichen Frieden gesprochen werden .J9In dies em Sinn lautet der Untertitel: Durch den totalen Krieg zum total enFrieden. Carl Schmitt wendet sich gegen Universalisrnus und britischen Welt-herrschaftsanspruch; doch die spezifische Wortwahl des 1940 in der von JosefGoebbels herausgegebenen Wochenzeitung Das Reich- erschienenen Beitragesweist schon auf den wirklichen Feind: Die Raumrevolurion- ist die Antwort aufdie wirkliche Herausforderung durch die Weltrevolution. Carl Schmitt hat 1937noch davon gesprochen, daB die Schuldzuschreibung- an der Enrwicklung zumtotalen Krieg- zur Totalitat der weltgeschichtlichen Auseinandersetzungen ge-hi:irt.40 Nach dem zweiten Weltkrieg versucht er, Lenin zum Erfinder der absolu-ten Feindschaft- zu stempeln. Carl Schmitt verdrangt auf diese Weise die eigeneRede von der unabanderlichen, echten und totalen Feindschaft und dem Gottes-urteil eines totalen Krieges." Erst jetzt machte er konsequent den Versuch einerHegung oder Begrenzung des Krieges."

    Carl Schmitt links wenden?Carl Schmitt verstand es, die Konsequenzen eines Gedankens bis zu groBer Scharfezuzuspitzen. Das fuhrt in Einzelfallen dazu, daB die entwickelte Position eineGegenposirion einbindet oder deutlich macht. Deshalb ist in den letzten J ahrenimmer wieder versucht worden, den Theoretiker der Gegenrevolution nutzbar zumachen fi.ir eine linke Theorie, kurz: Carl Schmitt nach links zu wenden.v

    37 Ebda., S.94 (Anm. 52); der Satz stammt aus: Der Begriff des Poliuscben , a. a. O. (Anm. 25), S.37.38 A. a. O. (Anm. 3), S. 1199.39 Carl Schrmtt, -Die Raumrevolunon, a. a . O. (Anm. 3 I).40 Carl Schrmtt, Totaler Feind, totaler Krieg, ... , a.a.O. (Anrn.j r ), S.239.4' Ebda.42 Carl Schmi tt , Theone des Parttsanen, a. a. O. (Anm. 32), S.94.43 Die spez ifische Form der Schrrutt-Rezepnon durch italienische Kommunisten muB hier ausgeklammert

    werden. Vgl. fiir die Bundesrepublik: Volker Neumann, -Carl Schmitt und die Linke-, in: Die Zeu, 8.7.1983, Nr.28, S.)2; Neumann versaurnt allerdings, darauf hinzuweisen, daB Franz L. Neumann emenk1aren Trennungsstnch gezogen hat und daB die Beziehung ZWIschen Otto Kirchheuner und Carl

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    Die ausgewahlten Kernstucke der Schmittschen Theorie zeigen, dag eine soicheUmkehrung der zentralen Positionen des Denkens von Carl Schmitt nicht moglichist, es sei denn, die eigene erreichte Position wird aufgegeben. Wer sich in dieserWeise auf Carl Schmitt einlafsc, geht zuriick vor die' Stufe der franzosischenRevolution und lagt sich ein auf die Totalisierung des Politischen.t'Teilweise hat es Schmitt dar auf angelegt, die politische Frontstellung der enrwickel-ten Begriffe zu verschleiern. Dem Feind soli auf diese Weise zum Beispiel die Waffeder Legalitat aus der Hand geschlagen werden, die Auseinandersetzung soli redu-ziert werden auf das Politische.An einer solchen Verkiirzung sozialer Konflikte auf den Freund- und die abstrakteNegation des Feindes- sind nur diejenigen interessiert, die sich zur Legitimationihrer Sonderinteressen auf nichts anderes berufen konnen als auf Kampf undGewalt, auf die Mobilisierung des gegenwartig in Menschen vorhandenen Zersto-rungspotentials. J ede Emanzipationsbewegung dagegen mug - sofern sie nicht selbstdie eigenen Voraussetzungen aufgegeben hat - einer Reduzierung der umfassendenAuseinandersetzung auf bloiie Politik entgegenrreten;" denn die reale Kraft einersozialen Emanzipationsbewegung liegt gerade nichr in der von den wirklichenLebensumstanden abgehobenen Ebene des Politischen, sondern in der Vielzahl derVeranderungen in den konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen, in Kunst,Wissenschaft und den Religionsgemeinschaften. Soiche gesellschaftlichen Wand-lungsprozesse erfassen zwar auch die politische Kultur und die politischen Institu-tionen; aber Politik und die ihr zugehorigenverdinglichren Grenzlinien stehen nichrim Vordergrund. Ein Beispiel dafiir ist die Veranderung der politischen Kultur derBundesrepublik und der Abbau mannlich-autoritaren Verhaltens durch neue For-men gegenseitiger Hilfe, durch Anerkennung des Andersdenkenden und durch einMehr an partnerschaftlicher Beziehung - auch in der Erziehung von Kindem. Deninnen- oder auBenpolitischen Feind dagegen braucht derjenige, der Angst davor hat,dag diese elementaren menschlichen Krafte sich entfalren und zum Schutze derSchwachen wirksam werden. Freund-Feind-Polaritat, Krieg und Gewalt sind derVersuch, die solidarischen Krafte im Menschen zu pervertieren in der Form einerSchein- oder Zwangsgemeinschaft, die nur mit Hilfe eines Feindes zusammengehal-ten werden kann.Carl Schmitt hat Anteil an der totalen Mobilmachung fur totale Politik und totaleFeindschaft. Sein Anti-Liberalisrnus und seine Gegenposition gegen die sozialisti-sche Emanzipationsbewegung haben in Deutschland Spuren hinterlassen, die nochzu tilgen sind. Die von Carl Schmitt entwickelten Positionen und Begriffe sindWaffen gegen Emanzipationsbewegungen.In der Auseinandersetzung mit Carl Schmitt ist es nicht nur eine Frage des Srils, obman fixiert bleibt auf den geistigen Tater auf dem Feld, das Carl Schmitt nach dem

    Schmm 1961 deshalb zerbrach, weil sich Otto Kirchheimer gegen die Arbeit von George Schwab (TheChallenge of the Exception, Berlin, 1970) stemmte. Kirchheirner hat Schrrurt zwischen '949 und 196[besucht, wollte jedoch den Versuch vereiteln, Carl Schnurr auf dem Umweg iiber Amerika zurehabiliueren. Die Besuche Kirchhe imers m Plettenberg zeIgen, dall die Ablehnung von Posrtionen nichtpersonliche Feindschaft bedeuten mull. Vgl. Volker Neumann, -Verfassungstheorren polinscher Ann-poden: Otto Kirchheimer und Carl Schrmtt, m: KJ, Jg. '4, 1981, H. 3, S.235-254

    44 Die Folgen einer Toralisierung des Polinschen werden besonders deudich irn polinschen Terronsmus.Das spezifische Verhaitrus von okonorruschern Kampf und polinschern Kampf (Anrn. 26) wird prelsge-geben zu Gunsten einer fur absolut erklarten Politik und gerade dadurch reduzrert auf -Schrecken- undkaltesten, plattesten Tod (Hegel). Vgl. dazu meinen Brief, in: .. Innerstaadiche Feinderklarung undKlassengesellschaft. Ein Bnefwechsei, Vorgange, Nr.21, Jg. [5,1976, H'3, insbesondere S. [6.

    45 Vgl. dazu Dedev Claussen, Die LISt der Gewalt. Soztale Revolutzonen und ihre Theonen, Frankfurt/M.,New York, 1982, S. 124: Die LISt de r Gewalt zeigt sich dann, dal l die Gewalt ihre elgene konterrevolu-nonare Logik hat, wenn sre rucht als sozialrevolunonare Gewalt ihre eigene emanzlpauve Bewegungs-form findet.

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  • 8/3/2019 Jrgen Seifert: Theoretiker der Gegenrevolution - Carl Schmitt 1888-1985

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    200 jo.januar 1933 bewuilr betreten hat, weiI er den politischen Schaltzentralen nahesein-." wollte. Der Auseinandersetzung mit den politisch-gesellschaftlichen Front-stellungen von Carl Schmitt sowie den von ihm entwickelten Positionen undBegriffen konnen wir nicht ausweichen. Immer dann, wenn die demokratischeLegalitat bei der Aufrechterhaltung antagonistischer Gesellschaftsstrukturen zurFessel wird, kommt die Stunde der Theorien von Carl Schmitt.

    46 Gunter Maschke, a.a.O. (Anm. I).