Die Energiewende gestalten lernen durch Reallabore€¦ · Die Energiewende wird zwar generell...

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Nachrichten der ARL • 2/2015 25 THEMA D ass sich Mut in Energiefragen auszahlen kann, zei- gen einige eindrucksvolle Geschichten: Da sind z. B. die Elektrizitätswerke Schönau, die aus der Initiative „Eltern für atomfreie Zukunft e. V.“ 1986 hervorgegan- gen sind und heute über 150.000 Ökostrom-Kunden bundesweit haben. Oder das kleine, 160 Einwohner zählende Bechstedt im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, Thü- ringen, das 2014 Bioenergiedorf des Jahres geworden ist. Die Dorfbewohner betreiben ein genossenschaft- liches Holzvergaser-Blockheizkraftwerk und einen Biomasse-Heizkessel. Beide sind angeschlossen an ein neues Nahwärmenetz, das bereits mehr als die Hälfte der Haushalte versorgt. Die Region Trier wiederum hat schon Anfang der 1990er Jahre eine intensive Debatte um die Zukunft der Energieversorgung geführt und eines der bundesweit ersten ausschließlich auf erneuerbarer Energieerzeugung und -nutzung basierenden regiona- len Energiekonzepte entwickelt. Die Dynamiken und die Vielfalt der Entwicklungen auf regionaler Ebene lassen sich noch kaum fassen. Besonderes Interesse wird in diesem Zusammenhang neuen Institutionen, wie z. B. Energiegenossenschaften, 100%-Erneuerbare-Energie-Kommunen, Bioenergiere- gionen und dergleichen zugesprochen, wie die oben aufgeführten Beispiele andeuten. Interessanterweise lässt sich zugleich eine verstärkte Debatte zu Akzep- tanzfragen beobachten. Die Energiewende wird zwar generell akzeptiert, aber nicht im eigenen Garten. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungspo- tenzial für Regionen scheint dabei ein wenig aus dem Fokus zu geraten. Aber ist Akzeptanz alles? Nur mit Akzeptanz allein lässt sich eine regionale Energiewende und damit auch nachhaltige Regionalentwicklung nicht gestalten. Viel interessanter ist es, in diesem Zusammen- hang den Blick auf die Fragen zu lenken, welchen Beitrag diese neuen Institutionen für die Regionalentwicklung Die Energiewende gestalten lernen durch Reallabore Auszeichnung als eine der aktivsten Regionen in der Energiewende in Sachsen-Anhalt im Jahr 2014 © Bettina Koch, Landesenergieagentur Sachsen-Anhalt

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Dass sich Mut in Energiefragen auszahlen kann, zei-gen einige eindrucksvolle Geschichten: Da sind

z. B. die Elektrizitätswerke Schönau, die aus der Initiative „Eltern für atomfreie Zukunft e. V.“ 1986 hervorgegan-gen sind und heute über 150.000 Ökostrom-Kunden bundesweit haben. Oder das kleine, 160 Einwohner zählende Bechstedt im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, Thü-ringen, das 2014 Bioenergiedorf des Jahres geworden ist. Die Dorfbewohner betreiben ein genossenschaft-liches Holzvergaser-Blockheizkraftwerk und einen Biomasse-Heizkessel. Beide sind angeschlossen an ein neues Nahwärmenetz, das bereits mehr als die Hälfte der Haushalte versorgt. Die Region Trier wiederum hat schon Anfang der 1990er Jahre eine intensive Debatte um die Zukunft der Energieversorgung geführt und eines der bundesweit ersten ausschließlich auf erneuerbarer Energieerzeugung und -nutzung basierenden regiona-len Energiekonzepte entwickelt.

Die Dynamiken und die Vielfalt der Entwicklungen auf regionaler Ebene lassen sich noch kaum fassen. Besonderes Interesse wird in diesem Zusammenhang neuen Institutionen, wie z. B. Energiegenossenschaften, 100%-Erneuerbare-Energie-Kommunen, Bioenergiere-gionen und dergleichen zugesprochen, wie die oben aufgeführten Beispiele andeuten. Interessanterweise lässt sich zugleich eine verstärkte Debatte zu Akzep-tanzfragen beobachten. Die Energiewende wird zwar generell akzeptiert, aber nicht im eigenen Garten. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungspo-tenzial für Regionen scheint dabei ein wenig aus dem Fokus zu geraten. Aber ist Akzeptanz alles? Nur mit Akzeptanz allein lässt sich eine regionale Energiewende und damit auch nachhaltige Regionalentwicklung nicht gestalten. Viel interessanter ist es, in diesem Zusammen-hang den Blick auf die Fragen zu lenken, welchen Beitrag diese neuen Institutionen für die Regionalentwicklung

Die Energiewende gestalten lernen durch Reallabore

Auszeichnung als eine der aktivsten Regionen in der Energiewende in Sachsen-Anhalt im Jahr 2014

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leisten und vor welchem Hintergrund sich diese Dyna-miken entwickeln bzw. entwickeln können.

Ein aktuelles Beispiel, das beide Aspekte in den Blick nimmt, also die gesellschaftliche Akzeptanz und die Regionalentwicklung, ist die Energieavantgarde Anhalt (www.energieavantgarde.de). In der Schrumpfungs-region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg streben regionale Akteure und externe Partner an, mithilfe eines Real-labors ein neues regionales Selbstverständnis für die Gestaltung der Energiewende zu entwickeln. Die Idee eines Reallabors ist es, Veränderungen auf gesellschaft-licher Ebene nicht am Reißbrett zu entwerfen, sondern in der und mit der Bevölkerung vor Ort zu erproben.

In diesem Artikel wird aus einer sozial-ökologischen Regionalentwicklungsperspektive die Energieavantgarde Anhalt untersucht und aufgezeigt, inwieweit dadurch tatsächlich das Potenzial besteht, eine nachhaltige Ent-wicklung der Region zu unterstützen.

Nachhaltige Regionalentwicklung und EnergiewendeDer Forschungsverbund „Blockierter Wandel?“ ana-lysierte den Strukturwandel in der Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg und kam mit Blick auf das zu-künftige Entwicklungspotenzial zu folgendem Schluss: „Nachhaltige Regionalentwicklung [...] erfolgt über die Ermöglichung, Sicherung und Stabilisierung von [...] Zwischenräumen, in denen Ziele und Prozesse einer sozial-ökologischen Transformation der Region im ge-meinsamen Lernen entworfen und gestaltet werden“ (2007: 176). Die Nutzung dieser Zwischenräume lässt sich gut mit der Idee, die hinter dem Reallabor steht, übersetzen. Es geht um die Nutzung der Möglichkeiten zwischen alt und neu, zwischen gestern und morgen, im Heute. Hier hat die Region bereits viel Erfahrung gesam-melt, und zwar bereits über die Jahrhunderte hinweg. In der Region liegen gleich drei UNESCO-Welterbestätten:

das Bauhaus Dessau, das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, die Reformationsstätten Wittenberg und das UNESCO-Biosphärenreservat Mittelelbe. Zu diesen Orten lassen sich eine Vielzahl an Geschichten über die Regionalent-wicklung erzählen. Es gibt in der Region jedoch auch noch andere Entwicklungen, die vor dem Hintergrund der Frage nach der Nutzung von Zwischenräumen in-teressant sind.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörten die Unter-nehmen in Bitterfeld zu den Pionieren der Chemiein-dustrie, was allerdings auch große ökologische Prob-leme mit sich brachte. Mit dem Zusammenbruch des Industriestandorts verloren Tausende ihre Arbeitsplätze und die Region erlitt damit zu großen Teilen auch einen Verlust ihrer Identität. Doch die dann ungenutzten Flä-chen wurden neu genutzt. Bis zur großen Insolvenzwelle in der deutschen Solarwirtschaft waren dort über 3.000 Menschen in der Entwicklung und Herstellung von So-lartechnologie beschäftigt, die die Region bundesweit bekannt machte. Aus dem Chemiekombinat wurde so das Solar Valley. Aktuell sieht die wirtschaftliche Entwicklung wiederum nicht ganz so rosig aus, da die Region besonders hart von den Folgen des demografi-schen Wandels betroffen ist.

Genau an dieser Stelle lässt sich an die oben auf-gezeigte Idee der Nutzung von Zwischenräumen an-knüpfen und ein gemeinsamer partizipativer Such- und Lernprozess initiieren, so wie er in den Reallaboren unternommen wird.

Aber tragen Reallabore auch zu einer nachhaltigen Regionalentwicklung bei? Und was verstehen wir ei-gentlich unter diesem Begriff? Das Verständnis einer nachhaltigen Regionalentwicklung, das diesen Artikel prägt, mag solche Zwischenräume nutzbar machen. Denn es geht nicht nur um einen geschickten Umgang mit räumlichen Konflikt- und gesellschaftlichen Akzep-tanzfragen, vielmehr geht es um das Zusammendenken einer Vielzahl von Prinzipien wie

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■ Dauerhaftigkeit (Vielfalt, Effizienz, Suffizienz, Risiko-vorsorge, Konsistenz),

■ Integration (Vernetzung), ■ Partizipation (Kooperation, Transparenz, erweiterte

Beteiligung) und ■ Verteilungsgerechtigkeit (intra- und intergenerative

Gerechtigkeit) (Hübler/Kaether/Selbig et al. 2000: 29).

Diese spielen bereits oft eine Rolle in Regionalen Entwicklungskonzepten und Regionalen Energiekon-zepten, wenngleich die Integration der Energiekonzepte in die Regionalentwicklung vielerorts noch verbesse-rungswürdig ist. Auch auf der Ebene der Regionalent-wicklung stehen häufig noch rein regionalökonomische Erwägungen im Vordergrund. Es gilt allerdings, diese mit anderen regionalen Fragen zu verknüpfen (vgl. Schnei-dewind/Scheck 2012: 55 f.), auf die es bislang keine nennenswerten Antworten gibt:

■ Wie gelingt die Kompatibilität von alten und neuen Technologien in einem dezentralen Energiesystem?

■ Lässt sich der Energiebedarf einer Region vollständig aus erneuerbaren Energien decken, wenn diese in der Region erzeugt wurden?

■ Woher kommen die notwendigen Investitionen und wer tätigt sie?

■ Wie werden die Netzinfrastrukturen aussehen und wer bestimmt sie?

■ Wie steht es um die Chancen und Risiken aus wirt-schaftlicher und technischer Sicht, gerade vor dem Hintergrund sozialer und kultureller Aspekte?

■ Wie gelingt die Einbindung breiter gesellschaftlicher Gruppen und Branchen, die bisher nicht beteiligt sind, an energiewirtschaftlichen Fragen?

Energieavantgarde AnhaltDie Energieavantgarde Anhalt, das Reallabor der Region, stellt sich genau dieser Art von Fragen. Und sie schlägt eine interessante erste Antwort vor: Es kommt auf die Gestaltung eines offenen Prozesses an. Der Begriff „Avantgarde“ wurde nicht zufällig gewählt; man will die Energiewende in der Region, anknüpfend an die Tradition der Werkstätten des Bauhauses Dessau, ge-stalten. Dieser Ansatz an sich ist schon besonders, weil er an die Stelle eines rein technischen Managements den Anspruch einer ganzheitlichen Gestaltung der Regionalentwicklung setzt. Es geht den Energieavantgar-distinnen und -avantgardisten darum, alle Interessen zu integrieren, und zwar auf regionaler Ebene. Dafür sind sie schon seit zwei Jahren aktiv und haben eine Vielzahl von Akteuren ins Boot geholt. Mit dabei sind nunmehr u. a. beide Landkreise der Region und die kreisfreie Stadt Dessau-Roßlau, die Ferropolis GmbH, die Stadtwerke Dessau und der Verein Energietisch Dessau. Die Ener-gieavantgarde will mit einer Vielzahl an Partnern ein auf

erneuerbaren Energiequellen beruhendes regionales Energiesystem aufbauen, das die regionale Wertschöp-fung potenziell stärkt. Die Versorgung mit Strom, Wärme und Kälte sowie Mobilitätsangeboten wird integriert. Versorgungssicherheit, Netzstabilität, Wirtschaftlichkeit und die gestalterischen Herausforderungen stehen im Mittelpunkt der Bestrebungen des Reallabors und Schaufensters der Innovationen. Weiterhin strebt die Energieavantgarde eine intensive Zusammenarbeit auch über die Region hinaus mit Forschungseinrichtungen und Stiftungen an, um die entstandene Dynamik weiter zu fördern. Zwei größere Partner konnten gewonnen werden: die RWE Stiftung und die 100 Prozent erneuer-bar Stiftung. Erstere fördert das Reallabor in den kom-menden drei Jahren mit 1,5 Millionen Euro, Letztere hat für die Region eine Reallast-Analyse als Grundlage für energiewirtschaftliche Weichenstellungen in der Region erstellt, die den Blick auf die Frage „Was ist eine 100%-Erneuerbare-Energie-Region?“ neu definiert.

„100%EE“: Nicht Bilanzen schreiben, sondern Lasten managenIm Lastmanagement wird die Stromnachfrage zeitlich gesteuert. Aber was bedeutet das für die Gestaltung einer 100%-Erneuerbare-Energie-Region? René Mono, Geschäftsführer der 100 prozent erneuerbar stiftung, fasst es im aktuellen Rundbrief der Energieavantgarde Anhalt folgendermaßen zusammen:

Im aktuellen Energiesystem gibt die sogenannte Grundlast nach wie vor den Ton an. So wird im Regel-betrieb der Kohle- und Atomkraftwerke immer gleich viel Strom produziert und zu Spitzenzeiten durch Gas-kraftwerke noch zusätzlich Strom in die Netze gegeben. Wenn wir dieses System nun vollständig durch stündlich und plötzlich schwankende erneuerbare Energiequellen „austauschen“ wollen, bedeutet dies eine Änderung der Perspektive auf Produktion und Konsum von Energie. Aktuell wird „100 Prozent Erneuerbare Energie“ oder „100%EE“ vielfach noch bilanziell berechnet, d. h. der jährliche Stromertrag aus regionalen Anlagen wird saldiert und in ein Verhältnis zu dem jährlichen regio-nalen Bedarf gesetzt. In einer Welt der Erneuerbaren wird es nicht mehr möglich sein, so zu denken. Es wird vielmehr um den viertelstundengenauen Abgleich zwi-schen erzeugter und benötigter Elektrizität gehen. Die Reallast-Analyse der Stiftung hatte folgende Vorgaben zu erfüllen: Der regional erzeugte Strom muss wirt-schaftlich sein. Er darf nicht mehr kosten als der Strom an der Börse. Und die Produktion muss an den Lastgang angepasst sein (Mono 2015: 3).

Bis 2045 wird es möglich sein, über 50 % erneuerbare Energie in der Region neu zu installieren und dort zu nutzen. Um die Nachfrage im Blick zu haben, muss man sich am Lastgang orientieren. Hintergrund dieses zunächst niedrig klingenden Anteils ist, dass der heute

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im Netz befindliche Strom ja vollständig Graustrom ist, also eine Mischung von Strom aus fossilen und erneu-erbaren Energieträgern. Man muss sich für die Zukunft eine vollständig regionale Energieproduktion aus er-neuerbaren Quellen mit einem regionalen Verteilnetz vorstellen. Voraussetzung ist dabei, dass die richtigen Anlagen an den richtigen Standorten in Betrieb gehen und ihr Energiegewinn tatsächlich in der Region genutzt wird. Damit wird auch die Herausforderung für die re-gionalen Verteilnetze deutlich.

Die oben dargelegten Prinzipien einer nachhaltigen Regionalentwicklung (Dauerhaftigkeit, Integration, Partizipation und Verteilungsgerechtigkeit) machen deutlich, dass das Vorhaben, eine „echte“ 100%EE-Region zu werden, nicht allein durch technisches Management lösbar ist, sondern die aktive Einbindung und den Ideenreichtum einer Vielzahl von Akteuren erfordert, bei gleichzeitig sehr guter Koordination des Prozesses. Für die Energieavantgarde Anhalt ist dies auch ein zentrales Ziel.

Mitmachen im ReallaborEin interessanter Akteur dieses Prozesses ist der Ko-Initiator der Energieavantgarde Anhalt, die Ferropolis GmbH. Sie hat ein Energieexploritarium aufgebaut, in dem sich die Besucherinnen und Besucher in Grä-fenhainichen, einem Ort, der ein halbes Jahrhundert hauptsächlich durch den Braunkohletagebau geprägt wurde, mit der Energiewende beschäftigen können. Die Gäste werden Teil des Reallabors, das sich auch den Aufbau von Bildungs- und Erfahrungsräumen an Orten der Energiewende auf die Fahne geschrieben hat.

Daran anknüpfend werden sich im kommenden Winter-semester 25 Studierende der Umwelt- und Nachhaltig-keitswissenschaften der Leuphana Universität Lüneburg auf den Weg machen, gemeinsam mit Akteuren der Energieavantgarde Anhalt an den drängenden Fragen des Reallabors zu arbeiten. Zentrales Lernziel des Seminars ist es, ein Verständnis für die Grundlagen, Annahmen, Kompetenzen und Instrumente zu gewinnen, die Ein-zelpersonen, Akteure und Institutionen benötigen, um eine regionale und dezentrale Energiewende bestmög-lich im Sinne nachhaltiger Entwicklung zu gestalten.

Damit dieses Lernziel erreicht wird, forschen Wis-senschaftler und Praxisakteure gemeinsam. Durch die Teilnahme und Mitwirkung am Reallabor bekommen die Beteiligten die Möglichkeit, Forschung und Entwicklung auf Augenhöhe zu praktizieren und dabei sozial ro-bustes Wissen zu generieren, d. h. Wissen, das Bestand haben und Wirkung(en) entfalten wird.

Ein Aufruf als ResümeeSelbstverständlich lässt sich am Anfang des Reallabors Energieavantgarde Anhalt noch kein abschließendes Resümee zur Qualität des Prozesses ziehen. Wenn man, wie in diesem Artikel, die Energiewende als Teil einer nachhaltigen Regionalentwicklung begreift, dann sind in der Region gute Ausgangsbedingungen gegeben. Es gibt eine breite Zustimmung bei Entscheidungsträ-gern. Es gibt eine Vielzahl von Aktiven, quer durch die gesellschaftlichen Gruppen und Branchen. Und es gibt das klare Ziel, eine „echte“ 100%EE-Region zu werden, was die Gestaltung des weiteren schwierigen Weges leichter machen kann.

Im Energieexploritarium in Ferropolis lernen schon die Jüngsten die Vorteile erneuerbarer Energie kennen

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Es gibt sie also, die gesellschaftlichen Akteure, die eine sozial-ökologische Transformation aktiv gestalten wol-len. Und auch in der Forschungslandschaft gibt es eine neue Dynamik, sich aktiv in die Transformationsprozesse einbringen zu wollen (weiter dazu u. a. Heilmann 2015). Diese beiden Trends gilt es zusammenzubringen – noch unter dem Vorbehalt, dass auch der „gestaltende Staat“ (WBGU 2011) dieser Form von Zusammenarbeit (noch) mehr Unterstützung zur Seite stellt.

LiteraturForschungsverbund „Blockierter Wandel?“ (Hrsg.) (2007):

Blockierter Wandel?: Denk- und Handlungsspielräume für eine nachhaltige Regionalentwicklung. München.

Heilmann, S. (2015): Nachhaltige und demokratische Gestal-tung der Energiewende. Der Beitrag sozial-ökologischer Regionalplanungsforschung. In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung, 1/2015, 49-54.

Hübler, K.-H.; Kaether, J.; Selwig, L.; Weiland, U. (2000): Weiterentwicklung und Präzisierung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung in der Regionalplanung und regionalen Entwicklungskonzepten. Berlin.

Mono, R. (2015): Regionale Energiewende richtig gemacht? In: Energieavantgarde Anhalt (Hrsg.): Energia. Rundbrief der Energieavantgarde Anhalt No. 2 März 2015. Dessau, 3.

Schneidewind, U.; Scheck, H. (2012): Zur Transformation des Energiesektors – ein Blick aus der Perspektive der Transition-Forschung. In: Servatius, H.-G.; Schneidewind, U.; Rohlfing, D. (Hrsg.): Smart Energy. Berlin, Heidelberg, 45-61.

WBGU (Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltverände-rungen) (2011): Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten. Berlin.

Dipl.-Umweltwiss. Sebastian Heilmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Nachhaltigkeitssteuerung der Fakultät Nachhaltigkeit an der Leuphana Universität Lüneburg und forscht dort zur „Planung für eine nachhaltige Regionalentwicklung in der ‚Energiewende’“.

Kontakt:

Sebastian Heilmann 04131 677-1349

[email protected]

Band 73

Heft 1

Februar 2015

Papierausgabe: ISSN 0034-0111Elektronische Ausgabe: ISSN 1869-4179

Wissenschaftliche Beiträge

Annett SteinführerBürger in der Verantwortung. Veränderte Akteursrollen in der Bereitstellung ländlicher Daseinsvorsorge

Frank Meyer, Judith MiggelbrinkSubjektivität und Kausalität in der Migration(sforschung) – Annäherungen an Rationalisierungen von Migrationsentscheidungen in schrumpfenden Regionen

Lutger Gailing, Andreas RöhringWas ist dezentral an der Energiewende? Infrastrukturen erneuerbarer Energien als Herausforderungen und Chancen für ländliche Räume

Patrick Küpper, Christian ScheibeSteuern oder fördern? Die Sicherung der Nahversorgung in den ländlichen Räumen Deutschlands und Südtirols im Vergleich

Bericht aus Forschung und Praxis

Elisabeth Sanglhuber, Gerda SchneiderSoziale Infrastrukturen im ländlichen Raum neu gedacht. Das Projekt „Betreutes Wohnen am Bauernhof“ als Perspektive für die Region Strudengau in Oberösterreich

Bestellungen nimmt der Verlag entgegen: Springer Customer Service Center GmbHHaberstraße 7, 69126 HeidelbergTel. (+49-6221) 3454303Fax (+49-6221) 3454229E-Mail: [email protected]/geography/human+geography/journal/13147

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