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DIE ENTWICKLUNG DES GOTTESBEGRIFFES BEl SCHELLING VON DEMETRIUS J. KRIKONIS D. Der transzendentale Idealismus. Die Naturphilosophie von Schelling kann von einer gewissen Seite als Erganzung der «Wissenschaftslehre)} von Fichte angesehen werden, da die letztere nicht Imstande war, objektive Erkenntnis darzubieten. Die Wissenschaftslehre hat das Prinzip des Ich als einzigesj das Pro- duzierte, das Nicht=lch, hat keine Selbstandigkeit. Die Natur, die ganze Welt, die Geschichte des Menschen und des Universums, sind nur fur das Ich; sie sind blosse Vorstellungen des Ich und daher nicht Gegenstand der Erkenntnis. Die Natur spiegelt nach Schelling die wirkliche Realitat des Wissens und begreift nicht nur die unaufgehobene Realitat, sondern sie ist selbst der in ihr ein'wohnende Geist. Als werdender Geist ist die N atur das Prius des Bewusstseins und eben deswegen kann sie nicht nur als Erganzung der «Wissenschaftslehre)} gehalten werden, sondern auch als eine Erweiterung. Als Erweiterung fordert sie die dung der «Wissenschaftslehre;) in ihren eigenen Elementen. Folglich ist das Gegenstuck der Neturphilosophie nicht die «Wissenschaftslehre>}, sondern der (<transzendentale Idealismus)}, worin Schelling seinen Ideen- gang weiter entwickelt 1 Wahrend er aber die Naturphilosophie all- mahlich von Werk zu Werk entwickelt hat, hat er die Geistesphilo- Der transzendentale Idealismus kann im ganzen als eine syn- thetische Verarbeitung der Naturphilosophie angesehen werden. Nun ist es die Aufgabe der Philosophie, die Wirklichkeit des Wissens zu erklaren und festzustellen. Der des Wissens ist die Ober- einstimmung unsorer-¥Ql'stellungen-mi't-4en Gegenstanden, uns existieren oder uns gegenuber treten, namlich die Obereinstimmung des Subjektiven mit dem Objektiven. Vor der endgultingen Losung 1) III, 331.

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DIE ENTWICKLUNG DES GOTTESBEGRIFFES BEl SCHELLING

VON

DEMETRIUS J. KRIKONIS

D. Der transzendentale Idealismus. Die Naturphilosophie von Schelling kann von einer gewissen Seite

als Erganzung der «Wissenschaftslehre)} von Fichte angesehen werden, da die letztere nicht Imstande war, objektive Erkenntnis darzubieten. Die Wissenschaftslehre hat das Prinzip des Ich als einzigesj das Pro-duzierte, das Nicht=lch, hat keine Selbstandigkeit. Die Natur, die ganze Welt, die Geschichte des Menschen und des Universums, sind nur fur das Ich; sie sind blosse Vorstellungen des Ich und daher nicht Gegenstand der Erkenntnis.

Die Natur spiegelt nach Schelling die wirkliche Realitat des Wissens und begreift nicht nur die unaufgehobene Realitat, sondern sie ist selbst der in ihr ein'wohnende Geist. Als werdender Geist ist die N atur das Prius des Bewusstseins und eben deswegen kann sie nicht nur als Erganzung der «Wissenschaftslehre)} gehalten werden, sondern auch als eine Erweiterung. Als Erweiterung fordert sie die dung der «Wissenschaftslehre;) in ihren eigenen Elementen. Folglich ist das Gegenstuck der Neturphilosophie nicht die «Wissenschaftslehre>}, sondern der (<transzendentale Idealismus)}, worin Schelling seinen Ideen-gang weiter entwickelt1• Wahrend er aber die Naturphilosophie all-mahlich von Werk zu Werk entwickelt hat, hat er die Geistesphilo-

Der transzendentale Idealismus kann im ganzen als eine syn-thetische Verarbeitung der Naturphilosophie angesehen werden. Nun ist es die Aufgabe der Philosophie, die Wirklichkeit des Wissens zu erklaren und festzustellen. Der des Wissens ist die Ober-einstimmung unsorer-¥Ql'stellungen-mi't-4en Gegenstanden, uns existieren oder uns gegenuber treten, namlich die Obereinstimmung des Subjektiven mit dem Objektiven. Vor der endgultingen Losung

1) III, 331.

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571 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling

Faktoren, Natur und Intelligenz, Subjekt und Objekt, an; dann stellt sich die Frage: wie kann die Natur zur Intelligenz kommen? wie kann sie vorgestellt werden? Andererseits fragt sich: wie kann die Intel-ligenez zur Natur kommen, mit ihr .

Jede Frage muss von ihrem eigenen Standpunkt gelost werden. Die erste Frage betrifft die N aturphilosophie, die zweite den «trans-zendentalen Idealismus». Nun hat Schelling in der Naturphilosophie das Objektive als das Prius dargestellt und daraus erklart, wie das Subjektive aus dem Objektiven hervorgebracht werden kann. In dem <<transzendentalem Idealismus)} versueht Schelling, wie das Objective aus dem Subjektiven hervorgebracht werdenkann, oder wie der Geist Neturprodukt wird, zu erklaren. Die Naturphilosophie und der <<trans-zendentale Idealismus}> sint die zwei Grundwissensehaften der Philo-sophie und beide haben dasselbe Ziel, namlich notwendige, reale Er-kenntnis zu erbringen, aber beide haben versehiedene Ausgangspunkte.

Die hOehste VervoHkommnung der Naturwissensehaft ist die Ver-geistigung aller Naturgesetze zu Gesetzen des Denkens. Das Materielle verschwindet durehaus und es bleibt nur das reine Formelle1 • Die Na-tur lost sieh in einer Intelligenz: «Die vollendete Theorie der Natur wtirde diejenige sein, Kraft welcher die Natur sieh in eine Intelligenz aufloste. Die toten und bewusstlosen Produkte der Natur sind nur misslungene Versuehe der N atur, siehselbst zu reflektieren, die soge-nannte todte Natur aber tiberhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phanomenen noeh bewusstlos, schon der intelligente Charakter durelfbliekt2• Der Ausgangspunkt der Naturwissensehaft ist das Un-bewusste oder das Bewusstlose und dieses muss zum Selbstbewusst-

Der <<transzendentale IdealismUSl} hat im Untersehied zurNa-turphilosophie die Aufgabe, daa Objektive aus dem Subjektiven zu erklaren. Wenn aber die transzendentale Philosophie daa Subjektive als das erste, das Prius, darstelIt, so beginnt sie notwendig mit einem Zweifel an aller Realitat der Objektivitat. In diesem Zweifel kommt daa Prinzip des Wissens zum Ausdruek: leh bin, da die allgemeine Ge-wissheit eine personliehe Dberzeugung ist;eine Dberzeugung abersetzt immer Etwas voraus wovon sie die Dberzeugungist. vVeilaberder«trans-zendentale Idealismus)} das Subjektive als das Prius setzt, wodurch er dae Objektive erklaren will, ist dieses Subjektive seinObjekt. Das

1) III, 3400. 2) III,3402,

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5?2 Demetrius 1. Krikonis

SUbjektive ist nieht ein Teil des Wissens, sondern es muss das gauze Wissen umfassen.

Nun gibt es ausser uns und unabhangig vonuns eine Welt von Dingen, die existieren. Es fragf, sieh jetzt, wie-weit unsere '1 gen mit den ausseren vorgestellten Dingen tibereinstimmen. Diese Uber-einstimmung hat einen doppelten Sinne: a) Entweder mtissen sieh die Vorstellungen als Abbilder zu den gegenstandliehen Dingen verhalten und daher richten sich die Vorstellungen naeh den Dingen. In diesem Fall werden die Vorstellungen dureh die Natur der Dinge bestimmt; die Vorstellungen die wir von den ausseren Gegenstanden haben, be-ruhen daher auf der Notwendigkeit und sie sind vorgegeben; diese tlbereinstimmung wird auf die Mogliehkeit der Erfahrung gesttitzt. Die Losung dieser Aufgabe ist der Gegenstand der theoretischen Philoso:-phie, die Schelling als einen Zweig der ganzen transzendentalen Philo-sophie annimmt.

b) Oder die Vorstellungen mtissen als Vorbilder der objektiven Welt gelten, d. h. die Dinge richten sich nach den Vorstellungen. Die Welt oder die ausseren Gegenstande sind nicht mehr gegeben, sondern von uns geschaffen; sie sind Produkt unserer Freiheit und daher ve-randerlich. Die Losung dieses Problemes dureh die Moglichkeit un-seres freien Handelns ist Aufgabe der praktischen Philosophie1•

Wenn aber die Vorstellungen in uns gemass der theoretischen Phi-losophie von aussen bestimmt werden und in der praktischen Philoso-phie von innen her, d. h. wenn die Gegenstande von uns bestimmt sint, dann fragt es sieh, wie konnen diese beiden Grundrichtungen, d.h. die theoretische und praktische Philosophie; {<des tranzendentalen Ideali-smus» tibereinstimmen. Es muss zwischen beiden eine vorherbestimmte Harmonie gewesen sein. Diese Harmonie besteht auf der Identitat der Natur und der Intelligenz. {<Diese vorherbestimmte Harmonie aber ist

jektive Welt produziert ist, ursprtinglich identisch ist mit der, welche im Wollen sich aussert, und umgekehrb2•

Unter dem Begriff der Identitat ist die Natur, die bewusstlose Tiiti

mit Bewusstsein hervorgebrachtes Werk, {<sie ist zweekmassig, ohne zweekmiissig erklarbar zu sein». Die Betrachtungen dieser Tiitigkeit

1) III, 34? 2) III,348.

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573 Die Entwicklung des Gottesbegl'iffes bei Schelling

der Natur ist die Philosophie der Naturzwecke oder der Teleologie1.

Dieselbe Identitat der bewussten und bewusstlosen Tatigkeit besteht auch in der Intelligenz, also im Bewusstsein. Hierin ist die asthetische oder die kunstlerische Tiitigkeit eingeschlossen, welche als die hochste Tiitigkeit des Bewusstseins erscheint. Schelling kntipft in diesem Punkt an Goethe an. Die idealistische Welt der Kunst uhd die objektive Welt der Dinge sind Produkte einer und derselben Tatigkeit, die bewusst-los die reale Welt der Natur, bewusst die iisthetische Welt der Kunst schafft. Der ganze Kosmos ist ein lebendiges Kunstwerk und die Kunst ist hier das Organ der Philosophie. «Die objektive Welt ist nur die ur-sprtingliche, noch bewusstlose Poesie des Geistes; das allgemeine Orga-non der Philosophie-und der ScWusstein ihres ganzen Gewolbes-die Philosophie der Kunst)}2. Ein wichtiger Unterschied des transzenden-talen Idealismus Schellings aus der <iWissenschaftslehre)} Fichtes bes-teht darin, dass Schelling einen dritten Teil in der Entwicklung der Intelligenz annimmt, wahrend dieser bei Fichte fehlt. Der trans zen-dentale Idealismus zerfallt daher in drei Teile: a) die theoretische Phi-losophie, b) die praktische Philosophie und c) die Philosophie der Kunst.

Fur die Durchfuhrung der Entwicklung der der Intelligenz ver-wendet Schelling als Organ die intellektuelle Anschauung, die erst Kartesius gefordert hat, die aber Fichte prinzipiell zur Geltung ge-bracht hat. Fichte hat sie auf die Selbstanschauung des lch bezogen, aber Schelling bezieht sich auf aIle transzend·entale Erkenntnis3 •

Die intellektuelle Anschauung verhalt sich zum transzendentalen Den-ken, wie der Reum zur Geometrie. Durch die intellektuelle Anschau-ung werden alle Handlungen oder Produktion des lch zum Bewusstsein

produziert mit Bewusstsein und Freiheit, was die unbewusste lntelli-genz mit Notwendigkeit produziert4•

Als Prinzip nimmt Schelling im <<transzendentalen ldealismus>} die Selbstanschauung, das Selbstbewusstsein, die Identitat des Sub-jektiven und Objektiven ans, weil es in diesem Prinzip keine Duplizitiit gibt, sondern reine ldentitiit (<in welcher sich nichts unterscheiden liisst)}6. Aus dem Prinzip des Wiseens muss die

1) III,349. 2) III,31i9. 3) III,369. 4) III, 345. 351-5) III, 353ft 624. 6) III,602.

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Methode ftir die Gescruchte des Selbstbewusstseins folgen; sie ist dia-lektisch und ahnlieh wie in der Naturphilosophie. Das Ieh muss ftir sieh selbst sein. Die Eingenttimliehkeit des Ieh ist das Handeln, aber weB das Ieh aueh ansehauend ist, muss seine Tatigkeit begrenzt wer-den. Das Ieh ist nieht nur Handeln, reine Tatigkeit, produktive An-sehauung, sondern es' schaut aueh zugleieh in seinem Handeln und sei-ner produktiven Ansehauung; weil es aber dieselbe Intelligenzist, Ansehauen und Angeschautes, Sein und Wirken, deswegen istes Selbstansehauung. Das Handeln des leh ist unendlieh, aber es gibt im-mer einen Zustand, worauf das Selbstbewusstsein sieh grtindet, den es wiederum unendlieh tiberwindet. .J ede H andlung der Entwieklungs-reihe ist eine bestimmte Bildungsform, wodureh die Intelligenz zu ho-heren Bildungsformen fortsehreitet. Die Aufgabe des transzendentalen Idealisus ist daher die not wendige Entwieklung der Intelligenz in einer sukzessiven Reihe von Handlungen. Die Methode und die Grundbe-griffe flir die Durehflihrung der Entwieklung der Intelligenz der theo-retisehen Philosophie sind von der «Wissensehaftslehre» Fiehtes abhan-gig und zwar in grosserem Masse als anderswo1•

I. Die theoretische Philosophie. Schelling bezeiehnet in der Geseruehte des Selbstbewusstseins drei

Perioden oder Epoehen. Die erste Hauptperiode ist die der Empfin-dung; die zweite die der produktiven Ansehauung und die dritte die der Reflexion. Die erste Epoehe reieht «von der ursprtinglichen Em-pfindung bis zur produktiven Ansehauung»2, die zweite «von der produ-ktiven Anschauung bis zur Reflexiom3 und die dritte «von der Refle-xion bis zum absoluten Willensakb)4.

Die Intelligenz ist an und flir sieh, ftir sieh selbst. Der erste Akt ihrer selbst ist, sieh selbst zu begrenzen, d. h. Selbstbegrenzung. Die

sein, weil das leh sieh selbst ansehauen muss, um zu erkennen, wases wirklich ist; dieses aber geschieht nur durch eine Begrenzung. Es sind demnach zwei Tl:l.tigkeiten in der Intelligenz; die unbegrenzte und die

;beide sind' . weil beide zu

'1) Vgl. K. F i s c her S. 49'7.500. Z e II n e r S. '75. '76. N. v. II art man n S. H4.

3) III, 354. 4) III,505.

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Der Akt der Intelligenz ist also die Selbstbegrenzung. Mit der Be-grenzung erseheint das Produkt der bewusstlosen Tlitigkeit der Intelligenz als etwas Fremdes, das nieht zu ihr gehOrt und mithin (<als Affektion des Nicht=lch», nlimlieh als von aussen gegeben, angesehen werden muss. Da aber dem Ich nichts entgegengesetzt werden kann, so empfindet das Ich dieses Etwas nur in sich selbst und da im Ich nichts anderes sein kann, als reine Tlitigkeit, so its das dem Ich Entgegengesetzte selbst die aufgehobene Tatigkeit, also die Negation der Tatigkeitl. Die Be-grenzung der Intelligenz ist bewusstlos; damit aber entsteht ein Zustand, der noch nicht hat objektiviert werden konnen.

Diesen Empfindungszustand verwandelt die Intelligenz zum Objektiven und damit tritt der Gegensatz zwischen Empfindungs-subjekt und Empfindungsobjekt ein. Dieser Akt der Intelligenz, sich zur Gegenstandlichkeit zu erheben, bezeichnet Schelling als {<Anschau-ung»; der gegenstlindliche Zustand ist der Anschauung gegenwlirtig, da er ihr Produkt ist. Diese «Anschauung» nennt Schelling «Produktive Anschauung». In dieser Epoche ist die Intellingenz objektiviert oder wie Schelling selbst sagt» die erste Epoche schliesst mit der Erhebung des leh zur Intelligenz»2.

Mit der Erhebung des Empfindungszustandes zum Gegenstand der Intelligenz gibt es dem Ich kein Bewusstsein, da der Gegenstand nicht anderes ist als das Ding an sich. Die Anschauung verschwindet in dem Subjekt=Objekt=Zustand. Die Intelligenz ist in diesem Entwicklungs-zustand Vorstellung der Dinge, im weiteren Sinne ist sie (<Weltanschau-ung». Die produktive Anschauung aber, die das Subjekt=Objekt setzt, ist eine hOhere Stufe als das Empfinden. Schelling nennt diese produ-

hervorgebrachte Zustand aus dem Empfindungszunstand, der den Ge-gensatz zwei verschiedener Welten voraussetst, ist das (<SelbstgefUhh, das der Erfindung nachfolgt, aber es ist vollig verschieden von ihr, denn es ist fUr sich, wahrend die Intelligenz des Empfindungszustandes in sich selbst etwas Fremdes Findet4. Mit der Erhebung des Zustandes fangt alles Bewusstsein an.

Der Gegensatz zwischen dem Ich als der subjektiven Empfin dung und dem Ding an sich als der objektiven Vorstellung, ist die innere und aussere Tlitigkeit, die produktive Anschauung der der Intelligenz; di-

1) III, 2) III, 3) III,

III, ... ...--..

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eser Gegensatz, der zu demselben Wesen der Intelligenz gehort, muss als solcher und als Gemeinschaft angeschaut werden. Dieses wird in der Weltvorstellung oder in der Vorstellung des Universums verwirklicht. Die Intelligenz in ihrer Erhebung zur Vorstellung des lebendigen Uni-versums schaut sich selbst als ein lebendiges Individuum, als Einzel-organism us, anI.

In diesem Punkt hat die produktive Anschauung ihren hochsten Punkt erreicht und hier setzt sich die Reflexion ein, da die produ-ktive Anschauung nicht fiber die Grenzen des Gegenstandes hinausge-hen kan. Die fiber den Gegensatz gehende Einsicht ist die Reflexion, die die letzte Epoche der werdenden theoretischen Intelligenz ist; sie ist, frei von jedem Objekt.

Die Natur ist das Subjekt des Bewusstseins und was sie mit Not-wendigkeit produziert, reproduziert die subjektive Intelligenz mit Freiheit; zwischen Ihnen besteht aber eine Harmonie wie bei Spinoza. Wie ordo rerum und ordo idearum bei Spinoza identisch sind, so sind auch die Formungen des Subjekts und die des Objekts, da die Natur und die IntelIigenz dasselbe Wesen sind. Hier geht die Entwicklungs-reihe des «transzendentalen Idealismus) und der Naturphilosophie parallel. In derEntwicklung der Intelligenz der theoretischen Philo-sophie unterscheidet Schelling drei Anschauungspotenzen: die erste Po-tenz ist der Empfindungszustand; die zweite ein hoherer Zustand, wo-durch der Intelligenz ein Objekt gegeben wird. In diesem Zustand ha-ben wir die Anschauung der Materie. Die dritte ist die in der Materie, namlich die Anschauung des Organismus2•

Der Gegensatz z.....vischen Empfindungssubjekt und Empfindungs-objekt wird dnrch die produktive Anschauung hervorgebracht. 1m Ge-biet del' Anschauung ist die theoretische Intelligenz in ihrer Tatigkeit unbewusst und daher noch nicht frei, weil sie in ihren Produkt aufgeht;

doch beides; sie ist theoretisch, insofern sie Anschauungszustande anzuschauen hat; frei insofern sie fiber die Anschauung hinausgeht.

Die Einsicht fiber das Anschauungsobjekt ist die Reflexion; An-

---.. ... unterscheidet, wahrend die letztere den entscheidenden Unterschied

2) m, 469. 476.

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zwischen Tatigkeit und Produkt macht. Das Bewusstwerden der Tatig-keit der Intelligenz ist die Abstraktion.

Die Anschauung im engeren Sinne bildet Objecte, wahrend die Reflexion durch die Unterscheidung der Tatigkeit von den Objekten Begriffe bildet. Die Reflexion rechtet sich auf das Objekt, auf die In-telligenz und auf das Verhalten beider. Durch die Entscheidung des Gegensatzes, der sich innerhalb der Anschauung befindet, durch die Reflexion, entsteht das Urteil. Durch die Art der Handlungen der Reflexion tritt der Gegensatz zwischen Subjektiven und Objektiven, Gott und Welt hervor.

2. Die praktische philosophie. Die transzendentale Philosophie von Schelling ist an Kant und

Fichte. orientiert. Wie Kant und Fichte neben der theoretischen Philo-sophie die praktische aufgestellt haben, so tut dies auch Schelling. Mit der Erhebung der InteUigenz tiber den Gegensatz der produktiven An-schauung bis zur Reflexion haben wir die absolute Abstraktion, die der Anfang des Bewusstseins ist, und sie <dst erklarbar aus einem Selbst-bestimmem>l. Dieses Selbstbestimmen aber ist se]bst das Wollen; das Wollen ist das ursprtingliche und ihm kann nichts vorausgehen. Das Wollen objektiv zu werden, fordert eine Reihe von Handlungen. Die Grundrichtungen aber des Handelns sind nicht dieselben wie der An-schauung, weil die Objekte der letzteren jenseits des BeV'msstseins, die des ersteren aber dieseits entstehen. «In der theoretischen Philoso-phie, d. h. jenseits des Bewusstseins, entsteht mir das Objekt gerade so, wie es mir in der praktischen, d. h. dieseits des Bewusstseins, entsteht»2.

Der Begriff der aturo stehen, fi:i.llt mit dem Objekt zusammen, wahrend der Begriff des woI-lendeu Bewusstseins (Handeln) dem Objekt vorausgeht und sich in dem-selben verwirklicht. Das Anschauen, dem der Begriff nachfolgt, 1st eine bewusstlose Tiitigkeit; dieses Anschauen ist selbst die Anschauung. Die bewusste Tatigkeit ist das Handeln, dem der Begriff vorausgeht und von diesem Einsichtspunkt aus ist es eine fortgesetzte Anschauung3•

Das praktische Bewusstsein ist zwecktatig; der Begriff, der das Vorbild

1) III,532. 2) III,536. 3) III,508.

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des Objekts ist, ist Zweck des praktisehen Bewusstseins und muss mit Bewusstsein verwirklieht oder realisiert werden1•

Das Wollen als solches liegt nieht im mensehliehen Wollen, son-dern es tragt sein Prinzip in sieh selbst; ohne seine Selbstbestimmung ist das Bewusstsein nicht moglich und gibt es keine Freiheit. Die Rea-lisierung der Zwecke des Praktisehen Bewusstseins ist eine Forderung und so tritt dem Wollen ein Sollen gegenUber ein. Dieses Sollen ist die Bedingung del' Bestimmtheit anes individuellen Willens und diese Bedingung ist das Zussammentreffenden aller lndividuen, womit die lntelligenz von Anbeginn verknupft ist2• Das praktische Bewuss-tsein des lch bezieht sieh auf Willen und Handlungen, vernUnftigen und fremden lntelligenzen, aber die Anfange alles wirkliehen Wollens mUssen nicht in einem einzelnen Vernunftwesen, sondern in dem ge-sehiehtliehen Strom del' Mensehheit gesueht werden, worin eine gegen-seitige Wechselwirkung der Personen besteht. Daher ist die lndivi-dualitat del' Mittelpunkt del' theoretisehen und praktischen Philoso-phie. Auf del' Weehselwirkung del' individuellen Wesen beruht aueh die objektive Welt, da sie }wige Trager des Universums sinds.

Das Wollen hat als Selbsbestimmtes, worauf das leh sich grUn-det, kein ausseres Objekt, sondern es riehtet sieh nach sich selbst. Daher solI das Wollen nul' als objektive Forderung, als Sittengesetz, wie bei Kant del' kategorisehe lmperativ, dargestellt werden4• Das Handeln, als das fortgesetzte Anschauen handelt vollig naturgemass, als Naturtrieb und daher notwendig. Die Freiheit des Wollens fallt hier mit dem Naturgesetz als ein {(Naturphanomem zusammen und daraus geht klar hervor, dass die Freiheit determiniert ist. Unter diesel' Voraus-setzung ist die Freiheit und die Moglichkeit des Bewusstseins unmoglich, da das Sittengesetz nieht selbst, sondern N aturgesetz ist. Die Freiheit aber besteht darin, dass sie in sich die mogliehkeit hat, fur oder gegen das Gesetz des Sollens zu

ese.n Erhebung Uber das naturliehe Frei-heitsgebiet; daher beruhrt die praktische Philosophie das Problem del' Geschichte als Entwieklungsgesehichte der menschlichen Freiheit. Die praktische Philosophie verbalt sich zur Geschichte genau wie theoretl-

1) III, 535.

3} III, 555ff. Ii) III, 573. 57ft.

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Die Gesehiehte kann weder Objekt der theoretisehen noch der praktischen Wissenschaft sein, da sie unserer Erfahrung, wodurch wir aIle Begebenheiten des konkreten Objekts des Wissens vorausbestimmen, entgeht. In der Geschichte gibt es keine Gesetzmassigkeit. Obwohl aber sie als Produkt der Freiheit bezeichnet werden kann, herrscht doch aueh die Willkur. « Die Willkur ist insofern die Gottin der Gesehichte»l. Die Gesehichte kann weder ihre Entwicklung vorausbestimmen, noch ihr letztes Ziel erreichen, da sie nicht naturgemass ist; das Ziel der Ge-sehichte ist ein unendlicher Fortsehritt. Was in der Geschichte unve-randerlieh bleibt, ist nur die Gattung, die Tragerin des Lebens ist, wa-hrend aIle Individuen und Generationen in der Zeit versehwinden. Die ganze menschliche Geschichte hat als Grundlage die Tradition und die Dberlieferung; aber in ihr fehIt der Masstab fur das Urteil der Ge-s3tzmassigkeit. Ais Masstab hatte es relativerweise nur die weltbur-gerliche Verfassung der Mensehheit gegeben2. Die Entstehung der welt-burgerliehen Verfassung ist nur moglich durch die Freiheit, aber sie ist beding durch die verborgene Notwendigkeit, die nichtsanderes ist a]s das Bewusstlose des Handelns. Diese N otwendigkeit, die Schelling bald Schicksal, bald Vorsehung nennt, herrscht in mensehliehen freien Hand-lungen, so dass das, was entstehen soIl, unabhangig von der mensehli-chen Entscheidung mit Notwendigkeit entsteht. Die Unterscheidung der Freiheit und der N otwendigkeit bei Schelling gilt nur in Bezug auf die Endlichkeit, wiihrend im absoluten Ich beide identisch sind. Diese Identitat nennt Schelling «das ewige Unbewusste» und sie kann nicht Objekt unseres Wissens sein, sondern nur Object des Glaubens werden.

AIle notwendigen Handlungen und Abweichungen in der Ent-im Absoluten zusammen das deren ab-

solute Synthesis ist3 • In der Entwicklungsgeschichte der und insbesonderes in der Menschheit offenbart sich die Gleichheit der Ge-setzmassigkeit und Freiheit. Hiitte sich das Absolute als Sein offenbart, so ware die Freiheit des Menschen aufgehoben. Das Absolute offenbart sich in der Geschichte nicht vollstandig, sondern allmahlich. Die ganze Geschichte ist eine alhnahliche Offenbarung Gottes, denn Gott offen-bart sich nicht als Sein in der objektiven Welt. Der Gang der Geschi-chte ist ein vollkornmener Beweis von dem Dasein Gottes, welcher Be-weis nur durch die Geschichte vollendet werden kaI1n'. Die Gesehichte

1) III,589. 2) III, 591,592. 3) III, 594. 598. 4) III, 603.

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gleicht einem Schauspiel, in dem Gott der Dichter und der Mensch der Schauspieler ist, aber der Mensch ist zugleich Mitdichter im ganzen Drama und Erfinder seiner besonderen Rolle; seine Handlung ist frei und zugleich determiniert durch den einheitlichen Geist, der in allen dichtet.

Obwohl Schelling hinder dem sittlichen Bewusstsein der Freiheit die verborgene Notwendigkeit, die alle Entscheidungen lenkt, annimmt, be7..eichnet er doch sein philosophisches System nicht ala Fatalismus, da sonst Gott in der Geschichte das· Fatum des Menschen ware. Das Absolute muss, nach Schelling, in· drei Arten von dem Menschen ver-standen werden; erstens: als «Fatalismus», d. h. als blindes Schicksal; zweitens: als «Atheismus)} oder <drreligiom, d. h. als Verneinung jeder iiberweltlichen Macht und drittens: als die «Religiom, welche aIle Ge-gensatze vereinigt.

Die Offenbarung Gottes in der Geschichte geschieht in drei ver-schiedenen Stufen oder Perioden: a) das Schicksal; diese Periode ist tragisch und gehOrt zur alten Kulturwelt, b) das Gesetz; es ist me-chanisch und gehOrt zur Herrschaft des romischen Staates und c) die Vorsehung; sle ist religi6s und gehOrt zur unbekannten Zukunftl.

3. Die Philosophie der Kunst. Aus der Entwicklung der Intelligenz der theoretischen und pra-

ktischen Philosophie gehtklar hervor, dass das lch die Identitat beider Grundrichtungen ist. Die bewusstlose Tatigkeit ist mechanisch und da-rum notwendig, diebewusste und freie Tatigkeit geschieht nach Zwe-cken. Die Vereinigung der Freiheit und der Notwendigkeit fallt im Ob-jekt zusammen, das aus der bewusstlosen Tatigkeit und aus zweckta-tigen und bewussten Handeln hervorgeht. Die Identitat der bewusstlo-sen und bewussten Tatigkeit ist die Selbstanschauung des lch, wodurch

Objektdes lch vorhanden ist, liegt in der Kunst, da Schelling im trans-zendentalen Aufbau des Bewusstseins die Asthetik als das Hochste bezeichnet2• Die intellektuelle Anschauung, die Selbstanschauung, kann aber nicht selbst objektiviert, sondern nur

ist die asthetische Anschauung. «Denn die asthetische Anschauung ehen ist die ohjektiv gewordene intellektuellel)8.

2) III,625. 3) III,625.

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581 Die Entwicklung des Gotteshegriffes bei Schelling

Die asthetische Anschauung ist die Kunstanschauung und die hohere Potenz. Das Kunstprodukt grenzt an das Natur=und Freiheits-produkt. In der asthetischen Anschauung sind Freiheit und Notwen-digkeit, bewusste und unbewusste Tatigkeit, vereinigt. Die Kunst, die hohere Potenz der Anschauung als der Punkt des Zusammentreffens der Entgegengesetzten ist das einzige wahre und ewige Organon und Dokument der Philosophie1•

Die Philosophie der Kunst ist der letzte Teil des transzendentalen Idealismus und sie wurde als eine besondere Periode der schellingschen Philosophie angesehen2• Andere sehen sie als Weg zum Identitatssystem, aber doch ist die Identitiit implizit schon in den ersten Schriften Schel-lings3.

Die Identitiit in der schellingschen Philosophie beruht auf dem Prinzip der Erkenntnis. Der Identitatsgedanke ist offensichtlich in der Naturphilosophie und dem <<system des transzendentalen Idealismus)}. Die Naturphilosophie und der «transzendentale Idealismus)} sind im Grunde genommen Gegenglieder eines und desselben Systems und beide stehen dem Prinzip und der Methode nebeneinander.

Schelling behandelt jeden wissenschaftlichen Zweig besonders, aber er hatte das ganze System der Philosophie vor Augen. In beiden liegt die unbewusste Intelligenz zugrunde, die sie als Entwicklungs-objekt haben. Die N aturphilosophie hat als Aufgabe, die Intelligenz aus dem ersten gesetzten Objektiven, aug den Stufen des bewusstlosen Geistes, der transzendentale Idealismus dagegen, das Objektive teils aus unbewussten, teils aus bewussten Funktionen zu entwickeln.

Die Grundgedanken in der N aturphilosophie sind realistisch ge-dacht, da die N aturobjekte durch einen Realprozess entstehen; das

Idealismus» ist auf idealistischen Grundgedanken aufgebaut. Diese Standpunkte, den Realismus der Naturphilosophie und den Ideali-smus cler transzendentalen Philo sophie versucht Schelling in seinem hervorragenden Werk «Darstellung meines Systems der Philosophie», 1801, zu vereinigen, da er beide Grundrichtungen bis hierher als ein-seitig gehalten hat « ... denn was Idealismus und Realismus, was also auch"ein mogliches Drittes aus beiden sei, ist eben das, was noch keines-wegs im Reinen ist, sondern erst ausgemacht werden 13011»4.

1) III, 627ft 2) Vgl. N. v. H art ill ann S. g2. K. J asp e r s S. 53. 3) Vgl. K. F i s c her R. 299. R ii t t e r S. 50.

IV,109.

6EOl\OrIA ToftoC; I\b.••. TEGxoC; 1:.:. 38

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582 Demetrius j. Krikonis

Der Zusammenhang dieser beiden ist aus sich selbst klar und selbstversUindlich, da das Grundprinzip und die Entwicklungs-reihe in heiden identisch sind. Um diese Klarheit festzustellen, schliesst er sich an Spinoza an, da er dessen System als Muster nicht nur wegen des Inhaltes und der Sache, dem (System) er sich anzunahern glaubte, sondern auch wegen der Evidenz der Beweise und der Klirze der Darstellung, angenommen hatl. Wieweit aber Schelling an Spinoza anschliesst, behandelt das nachste Kapitel.

II. KAPITEL

A. Schellings Einordnung Spinozas System in der Geschichte der neueren Philosophie.

Schelling ist in keinem Fall so nahe an Spinoza herangekommen, wie in der Identitatsphilosophie und zwar in den Werken: (iDarstellung mei-nes Systems der Philosophie», 1801, und «System der gesamten Philo sophie und der Naturphilosophie insbesondere», 1804. Besonders auf Grund der Auseinandersetzung zwischen seinem System und dem von Spinoza, wtirde das schellingsche System, was die Lehre vom All, des Absoluten, der Faktoren, sowie auch tiber die Natur der einzelnen Dinge, betrifft, als Neuspinozismus bezeichnet. So scheint es hier, dass Schelling sein Ziel erreicht hat: (iein Gegensttick zu Spinozas Ethik aufzustellen, Rea-litat zu gebem2.

Diese Bezeichnung ist nicht richtig, da die Systeme der beiden Philosophen prinzipiell verschieden sind, wenn man die Sache tiefer betrachtet. Die Entwicklung des philosophischen Systems von Schel-ling in der Identitatsphilosophie ist kein Anschluss an Spinoza, sondern eine ZusammenfasBung seiner zwei Grundwissenschaften. Der Sache nach ist BOWO hI die

VJJ!Jllii;(!JllCUll1 e Werk Schellings, wo er das spinozistische System als Muster hat, ganz verschieden vom spinozistischen System. Urn dies zu verdeutlichen, stellen wir zuerst das Bild Schellings von Spinoza und dann die Auseinandersetzung beider Philosophen dar.

..---

behandelt Schelling in der (iPropadeutik der Philo sophie», die er als Voraussetzung zum seines philosophischen Systems

2) 1,159.

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583 Die Entwicklung des Gotteshegriffes hei Shelling

hielt und in der in Mtinchen gehaltenen. Vorlesungen nur Geschichte der neueren Philosophie)}, 1827.

Spinoza geht, naeh Schelling, unmittelbar von dem Kartesianismus aus, nicht nur der Zeit naeh, weil er dessen Nachfolger war, sondern auch dem Fal}1. Er hat die Grundauffassungen von Karlesius iiber-nommen, die er weiter entwickelt hat. Mit seiner Meinung stimmt K. Fischer iiberein, aber doch sind dariiber eine Reihe verschiedener Mei-nungen ausgesprochen. Freudental sieht einen Einfluss der jiidischen und christlichen Philosophie des Mittelalters auf Spinoza; Gassirer und Dilthey sehen einen Einfluss der italienischen N aturphilosophie von Jordano Bruno. Dass Spinoza unter der italienisehen Naturphilo-sophie, wie auch unter Stoizismus, wenn man die natiirliche und unver-letzbare Ordnung des Kausalzusammenhanges bei seiner Lehre ansieht, steht, kann man nicht daran bestreiten, aber, dass Spinoza, wie Schel-ling mit Recht annimmt, unmittelbar von Kartesius ausgeht, springt in die Augen.

Kartesius hat die Welt in zwei Teile, Seele einerseits Leib anderer-seits, zerrissen, die er als vollig verschiedene, auseinanderliegende Sub-stanzen angenommen hat. Diese beiden selbstandigen Substanzen des Kartesianismus, hat Spinoza zu einer Substanz gemacht, die von zwei verschiedenen Seiten betrachtet werden soUte, namlich als denkende und ausgedehnte Substanz. Die Identifizierung von Spinoza der karte-sianischen Substanzen in der einen Substanz hat er als Prinzip seines Systems angenommen, wodurch er aIle metaphysisehen Probleme hat erklaren wollen.

Die Identitat der Attribute ist keine Erfindung von Spinoza; sie iibernommen. Der Materialismus ist ein

Versuch, eine Antwort iiber das Wesen der Welt, was das Ding an sich ist, zu geben. Zunachst muss, nach dem Materialismus, das Prinzip al-les Wirklichen in der Materie gesucht werden. Die Materie besteht aus scheinbaren Atomen, aber diese Atome oder wirkliche Dinge miis-sen in einem Prinzip gefasst werden. Hier aber sind zweierlei Auffassun-gen anzunehmen: Entweder ist die Materie, die Natur, absolut tot, aIle Dinge befinden sieh in der Differenzierung, oder die Materie muss ein lebendiges Prinzip haben und damit hat man den Hylozoismus2•

Das Prinzip des Hylozoismus ist aus sich selbst explizit und das Leben der Materie oder der Natur ist als machanisch zu betrachten.

1) VI, 93. 95. X, 33. 2) VI, 85. VII, 444.

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Demetrius 1. Krikonis

Der Hylozoismus steht· hoher als der Atomismus oder die unle-bendige Natur, wei! die Materie lebendig ist, er setzt in sich eine Intel-ligenz voraus und darum ist er nicht einfach, sondern er besteht aus dem Sein der Materie und aus seiuer Ursache oder der intelligiblen Materie, wodurch das Leben entsteht. Daher machen die Wechselwirkungen des Seins der Ursache die Identitat aus, wodurch die Substanz entsteht, in der aIle Dinge begriffen werden. Wei! aber das Leben in der Materie expli-zit ist, so ist das intelligible Prinzip der Materie untergeordnet1. Damit ist aher das lebendige Prinzip, der Geist, dem Endlichen untergeordnet und er ist als Akzidenz der Materie zu betrachten. Der Identittit des Gaistes und der Materie muss hier realistisch verstanden werden, als ein endlicher Ausdruck2., Solange aher der Materialismus der Materie den Geist unterordnet, geht es klar hervor, dass bei dem Materialismus zwei verschiedene Elemente sind, ganz abgesehen davon, ob der Geist Akzidenz der Materie ist. In diesem Fall kann der Geist nicht als iden-tisch mit der Materie angesehen werden, obwohl er eine Form des We-sens der Materie ist. Er gehOrt zu der Materie und ist mit ihr relati-verweise identisch, insofern er ihr untergeordnet ist.

Die Unterordnung bedeutet aber nicht, dass der Geist in der Materie aufge16st istj dieses kommt auch nicht der Materie zu, da sie die Ursprlinglichkeit ihrer selbst verliert, weil der Geist unter ihr steht. Die Materie ist hier das Produzierende, das Hervorbringende, das aber wieder das Endliche iat. Mit der Unterordnung wird eine Gegenwirkung des Geistes und der Materie vorausgesetzt, weil das Leben dem mate-rialistischen Verstandnis nach, nicht anders als Voraussetzung erklart werden sollte3•

Diesem hoheren Materialismus, dem Hylozoismus, steht der InteIle-ktualismus von Leibniz gegenliber, der die Materie dem Geist unterordnet. Die Monade bei Leibniz sind aIle geistige Wesen, Vorstellungskrlifte,

len kann ebenso wenig als Prinzip genau wie bei dem Materialismus angenommen werden. Die Identitat beider Systeme, ntimlich des Realen beim Materialismus und des Idealen beim Intellektualismus von Leib-

und kann nicht das Problem erfassen4• Indes-sen steht der Intellektualismus hOher als der Materialismus, da bei ihm das geistige Prinzip das herrschende ist.

1) VI, 85. 93.

3} VI,85. 4) VI, 91. 93. 105/107. 109. VII, 444. VIII, 3liO. X, 53.

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585 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling

Kartesius geht unmittelbar aus dem Materialismus hervor; er hat ein hoheres System, als der Materialismus ist, ausgemacht. Er hat einen neuen Weg der Philosophie gepragt und ist der revolutionare Geist der neueren europaisehen Philosophie. Sein revolutionares Denken faUt mit dem Bacon's zusammen. Er war 36 Jahre alter als Kartesius, aber ihre Werke fallen gleiehzeitig zusammen. Kartesius hat die Identitat des Materialismus aufgehoben und die in ihr liegenden Prinzipien aus-einander gasetzt; damit hat er von Grund aus den Materialismus zer-stort. Geist und Materie, Idee und Korper, und Seele, sind bei ihm unabhangig von dem anderen und vollig selbstandig. Diese radikale Unterseheidung der Entgegengesetzten ist das neue Problem der Philosophie.

Leib und Seele sind zwei versehiedene Substanzen, die beide fur sieh selbst existieren und den Kausalzusammenhang aussehliessen. Der von Kartesius hervorgebraehte Dualismus war notwendig, weil, wenn in dem Materialismus das Geistige der Materie untergeordnet ist, so tritt es sofort von sieh selbst entgegen ein. Der Versuch war, das Gei-

. stige von der Materie frei zu lassen, und ein vollkommenes System dar-zusteUen. Num besteht die grosste Sehwierigkeit bei dem kartesianisehen System, insofern die Seele und der Leib als selbstandige und vollig ver-schiedene Substanzen vereinigt werden mussen.

Wiiren beide Substanzen gleich, so konnten sie die eine a.bsolute Substanz ausmaehen, aber hier handelt es sieh um heterogene gegen-seitigen Substanzen unter denen keine Einwirkung aufeinander besteht. Eine neue Identifizierung beider Substanzen ist bei Kartesius undenk-bar, weil entweder er die materialistische Identitat nieht aufgehoben hatte, oder er einen anderen Vereinigungspunkt, worin beide Substan-zen e.

Kartesius hat weder die Identifizierung der Substanzen noeh die Unterordnung einer von beidendem anderen ertragen konnen, son-dern er hat beide Substanzen getrennt gelten lassen und deren Einheit der Zweiheit geopfert. Damit aber hat er nicht das Problem gelOst. So nimmt er an, dass Gott zur Vermittlung zwischen Leib und Seele ein-tritt und damit begrundet er den Rationalismus, wodurch die Substan-zen zur Einheit gekommen sind; durch jede Affektion des Leibes ent-steht in der Seele eine entsprechende Vorstellung dureh gelegentliehe Vermittlung Gottes, und umgekehrt bei jedem Entschluss in der Seele entsteht im Leib eine entspreehende Bewegung. Weil diese Vermitt-lung Gottes gelegentlich erklart ist, ist dieses System das System des

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586 Demetrius I. Krikonis

Occasionalismus genannt wordenl . Durch die Vermittlung Gottes ent-steht kein neues Wesen; die Substanzen bleiben getrennt und der abso-lute Dualismus befindet sich im Gipfel in der Geschichte der Philosopbie.

Spinoza hat diese schwachen Punkte des kartesianischen Systems vollig bemerkt und ein vollkommenes System zu konstruieren versucht. Das, was Spinoza, nach Schelling, aus dem Kartesianismus tibernahm sind die zwei verschiedenen Substanzen, die er zu einer Substanz va-reinigt und als allgemeine Substanz, als das Absolute, bestimmt hat. Die Substanzen des kartesiimischen Systems verwandelt Spinoza zu At-tributen; Leib und Seele entsprechen der Ausdehnung und dem Den-ken. Diese beiden Attribute bestimmt Spinoza als die unendliche Sub-stanz, aber die Substanz ist keine Synthesis, worin beide zusammenfal-len konnen, sondern umgekehrt die Attribute fliessen aus der Substanz heraus und unterscheiden sich nur dadurch, insofern sie ausser der Sub-• stanz sind, wahrend sie in der Substanz identisch sind2•

Die Einheit der kartesianischen Substanzen, durch die gelegent-Jiche Vermittlung Gottes, ersetzt Spinoza durch die Identitiit beider, aber sie bleiben auch bei ihm so fremd gegeneinander, genau wie bei Kartesius. Kartesius stellt das Denken in Gott, insofern Gott Vermit-tIer zwischen Denken und Sein ist; das Denken ist bei Spinoza in Gott zu begreifen, genau wie das Sein auch, weil beide dieselbe Substanz sind.

Das System von Spinoza ist eine Synthese von dem Materiali-smus und Dualismus von Kartesius, Spinoza nimmt die Identitat von dem Materialismus an, nicht aber mit dem materialistischen Verstandnis, da hier der Geist der Materie untergeordnet ist, Die Identitat bei Spi-noza ist eine hohere und setzt den vollkommenen Dualismus in sich voraus; Geist und Materie, Leibund Seele sind bei Spinoza weder untergeordnet dem anderen, noeh entgegengesetzt, sondern sie sind selb-standig. Die Ausdehnung und das Denken drticken die absolute Sub-stanz aus und di9 Identitat beider ist selbs!; die

Die Substanz, die IdentitiH der Ausdehnung und des Denkens Jiegt jenseits der empirischen Erfahrung, wah rend die Identitat des Materialismus eine endliche ist. Der Materialismus ist die erste Potenz

gehalten. Andererseits steht del' Spinozismus hOher als del' Dualismus von' ---.. --Siib-si"arii--annlm"in die heiden gleichen

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587 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling

Substanzen. d. h. Seele und Leib, die bei Spinoza die Akzidenzen einer h6heren Identitiit sind, zusammenfflllen. Der Dualismus ist die zweite Potenz des spinozistischen Systems. In dem Spinozismus, der die Ent-gegengesetzten. d. h. Seele und Leib, G'eist und Materie, Denken und Sein zu einer Substanz vereinigt, besteht der Organismus, das abso-lute All, und er ist die dritte Potenz des spinozistischen Systems. Mit dem Organismus vollendet sich der absolute Realismus, den Spi-noza als den hOchsten Punkt erreichtl.

Aus der bisherigen Darstellung des Ausgangspunktes des spino-zistischen Systems geht nach Schelling hervor, dass es sich aus der Zu-sammensetzung des Materialismus und Dualismus von Kartesius bil-det. Das Endliche entspricht dem Materialismus; der Kartesianismus erkennt die Uberlegenheit des Denkens, des Unendlichen, tiber die Materie an, da er es in Gott begreift. Spinoza nimmt das Unendliche von Kartesius mit seinem Gegensatz, dem Endlichen, und konstruiert sein System2. Spinozas System, als die Identitiit dasUnendlichen mit dem Endlichen, ist ein Einheitssystem. Er ist der erste, der wirklich verstanden hat, dass die Philosophie ein einheitliches Prinzip haben muss. Dieses Prinzip ist ftir ihn die Substanz3 • Seine Einheit setzt keine Zwei-heit voraus, sodass die Einheit eine synthetische ist. Umgekehrt setzt er die Einheit, die absolute Substanz voraus, woraus die Attribute ausfliessen. Die Substanz, als das einheitliehe Prinzip, steht nicht im Gegensatz zum Allgemeinen, weil das letzte wieder durch das besondere bedingt ist, sondern sie ist das Unbedingte und wird jenseits der em-pirischen Erfahrung postuliert. Num bestimmt Spinoza wieder das Unbedingte als Objekt im metaphysischen Sinne4•

nozistischen System in ({Philosophische Briefe tiber den Dogmatismus und Kritizismus», 1795, woraus er sein eigenes System bildet. Er er-kennt an, dass sowohl der Dogmatismus als auch der Kritizismus die Voraussetzungen der Philosophie erftillen, da beide Systeme das Abso-lute als das erste Prinzip haben, worin Denken und Sein, Geist und Ma-terie zusammenfallen und von da aus versuchen sie, den ganzen Kosmos zu erklaren. Das Absolute ist hier die Identitat, worin der Widerstreit der Entgegengesetzten aufhort.

Wie aber das Absolute von jedem System angenommen ist, ist

1) VI, 92/97. 103. 2) VI, 97. 3) I, 184. 185. VI, 94. X, 33. 4) I, 185.

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588 Demetrius I. Krikonis

eine Streitfrage fUr beide. Der notwendige Ausgangspunkt fUr beide ist die Identitat, aber die hebenentgegengesetzten Richtungen. Spi-noza geht unmittelbar auf die Identitat des Objekts und nur mittelbar auf die Ubereinstimmung des Subjekts mit dem absoluten Objekt ein.

Fichto umgekehrt; er geht auf die absolute Identitat des Subjekts und mittelbar auf die Ubereinstimmung des Objekts mit dem Sub-jekt ein i • Der Dogmatismus fangt dort an, wo das Subjekt vernichtet ist und hort dort auf, wo das Subjekt hervorgebracht ist. Der Kriti-zismus umgekohrt, fangt dort an, wo alles Objekt vernichtet ist und hOrt dort auf, wo das Objekt entsteht.

Beide Systeme gehen von dem Prinzip der Identitat mit verschie-denen Richtungen aus und endigen wieder im Absoluten. Beide haben das Unbedingte jenseits der menschlichen Erfahrung bestimmt. Die Bestimmung der Substanz von Spinoza liegt nicht in der Sphare der Erfahrung des endlichen Raumes, sondern sie ist transzendental be-stimmt und unserem Denken unzuganglich2•

Das Problem beider ist die Realisierung des Absoluten. Die abso-lute Substanz aber kann nicht als Gegenstand der Erkenntnis bestimmt werden, da sie als das Absolute kein Subjekt gelten lasst. Vielmehr unterscheidet Spinoza die Erfahrungserkenntnis aus der intuitiven oder der intellektuellen Anschauung, worauf die Erkenntnis der absoluten Substanz sich grUndet. Die Erfahrung ist bei Spinoza als eine Stufe der Erkenntnis zu sehen und beziehet sich auf die Endlichkeit.

Andererseits sieht der Kritizismus die menschlichen Vorstellun-gen nur als Produkt des Denkens ani sie haben keine Objektivitat, son-dern ihre wirkliche Realitat besteht . nur in der Subjektivitat, aber diese Realitat der Vorstellungen kann nicht aufgehoben werden. Der Idealismus hat kein Bestehen, sondern nur eine unaufhorliche Tathand-lung, ein fortdauerndes Werden ohne Ende. Aua dieser Einsicht gese-

stenz der objektiven Welt aufhebt. Seine Vorstellungen erreichen ihre Wirklichkeit im menschlichen Bewusstsein. Daher kann das Unbedingte beider Systeme. nicht theoretischer Gegenstand der Erkenntnis sein.

gmatIsmus, obwohl er das Unbedingte als Objekt bestimmt hat, wodurch,nach Schelling, viele Missverstandnisse entstanden sind, kann nicht theoretisch widerlegt werden, da er das theoretische Ge-

1) I, 298. 328. 2) I, Wi. 170. 171. 17<i. 18<i. 185. 188. IV, 377.

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589 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling

biet verliisst, urn es sich praktisch vollenden zu kannen. Er kann nur praktisch widerlegt werden, insofern sich ihm ein entgegengesetztes System realisiert1•

Andererseits ist der Idealismus von Fichte widerlegbar, da er kein Sein annimmt, weil ein absolutes SUbjekt kein Objekt neben sich exi-stieren liisst. Mithin kann die Lasung des Problems nur praktisch durch das Handeln, sein, wodurch beide Systeme sich vereinigen2• Der pra-ktische Ausgangspunkt des Realismus und des Idealismus ist die Frei-heit3, wodurch die Realisierung des Absoluten vollgezogen ist.

Das absolute Objekt kann nicht allein, von sich selbst realisiert werden, sondern es erwartet seine Realisierung von Etwas anderem. Daftir setzt man im Subjekt eine absolute «Passivitiit» voraus. Der Reali-smus fordert die Vernichtung des Menschen und den tlbergang zum Nicht=Sein4• Durch die Vernichtudg verengt man die menschliche Freiheit urn die Objektivitiit zu erweitern.

Hingegen erweitert der Idealismus von Fichte die Subjektivitiit, die menschliche Freiheit, urn die Welt der Objektivitiit, zu verengen. «Je mehr subj ektiv, desto weniger objektiv»5. Das spinozistische Sy-stem hat die Aufforderung an den Menschen, seine notwendige Ver-nichtung von sich selbst, ganz im absoluten Objekt unterzugehen, wiihrend der Idealismus von Fichte in der Aufforderung zur Freiheit gipfelt: Heben Sie alles objektive auf, lassen Sie alles im Subjekt unter-gehen. Sei! im Gegensatz-Sei nicht6 •

Die Freiheit ist fur beide Systeme Seligkeit 7. In beiden Systemen vollendet das Bewusstsein der Freiheit sich in der intellektuellen An-schauung; diese Vollendung ist die Erhebung des Menschen yom Endli-

in dem Fall der Freiheit an Fichte an und widerlegt die spinozistische Anschauung8, aber er schliesst an kein System an, was die Erkenntnis-theorie betrifft, weil bei Spinozismus das Subjektive ins Objektive verloren gegangen ist9 und weil die Erkenntnis des Idealismus von Fi-chte keine wirkliche Realitiit hat.

1) 1,339. 2) 1,307.333. 3) I, 307. 308. 4) I, 324. 325. 5) I, 334. 335. 6) 1,334.335. 7) I, 327ff. 8) 1,316/336 (8 und 9 Briefe). 9) I, 318ff.

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590 Demetrius 1. Krikonis

Der Grundunterschied zwischen diesen monistischen Systemen liegt darin, dass fur den Realismus das Unbedingte das Objektive ist, wahrend fUr den Idealismus das Subjektive. Fichte behauptet in der ersten Einleitung der Wissenschaftslehre, 1797, dass nur zwei philoso-phishe Systeme moglicb seien: der Dogmatismus und der Idealismus, den er gestiftet hat. Er behauptet, dass keines von diesen beiden Systemen das andere aufheben kann, noch konnen sie vereinigt werden, weil sie unvereinbar und radikal entgegensetzt sind. Die Annahme des einen oder des anderen Systems hangt, nach Fichte, von der Beschaffenheit der Natur des Menschen ab, weil ein philosophisches System kein Ding an sich oder Fatum sit, sondern es setzt personliche Erlebnisse vov-xaus. Nur durch das Postulat der Freiheit und der Autonomie des lch, sagt Fichte, kann der Dogmatismus aufgehoben werden, aber ge-nau diese Freiheit und Selbstandigkeit des lch leugnet der Dogmati-smus. Schelling aber behauptet, dass der Vorzug des einen oder des an-deren Systems von der Freiheit des Geistes abhangtl.

Der Realismus Spinozas und der Idealismus Fichtes sind dieGTund-lage des philosophischen Systems von Schelling, ohne dass es in ihnen aufgeht. Schelling bringt gegen Spinoza und Fichte ein wichtiges Ar-gument, dass das Absolute aHem Denken und aller Vorstellung voraus-geht und es ist nur durch das Absolute gegeben2• Damit widerlegt Schelling das spinozistische System, dass das Unbedingte objektiv ge rasst werden musse. Der Realismus entsteht durch die Annahme, dass das Reale die Prioritat vor dem Idealen hat, wahrend der Idealismus das Gegenteil behauptet; so ist die Identitat des spinozistischen Sy-

,stems real bestimmt3•

Schelling lehnt diese Annahme des Realismus ab und behauptet, dass das Reale eine Emanation des Idealen sein konne, aber nicht umge-kehrt, weil in Ansehung der Identitiit das Sein unmittelbar aus dem Den-. .

zistische System nur die realistische Seite erftiHt und halt es als relativ = Realismus.

Andererseit halt er den Idealismus von Fichte als relativ, da er ektivistisch umfasst.

Schelling hat die Schranke der Subjektivitat voh Fichte uberwunden;

3) VI, 98. X, 39. 4) VI,149.

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591 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bel Schelling

er hat das «offene Feld der Wirklichkeit;) anerkannt, wodurch das Nicht=Ich, das Object, zum Obergewicht des Subjekts gesteigert ist.

Aus dies en Alternativen der Einseitigkeit Spinozas=Fichte hat Schelling sein Absolutes weder als Objekt noch als Subjekt bestimmt, sondern er postuliert es als die Identitiit des Subjektiven und Obje-ktiven jenseits beider. Die absolute Identitiit Schellings ist weder Sub-jekt noch Object, sondern beide zugleich, und keines von beiden kann sie beweisen, sondern sie erscheint in beiden gleichzeitig1 , weil keins von beiden allein existieren kann, ohne das Siegel der absoluten Iden-titiit , so bezeichnet Schelling sein System im Gegensatz zum relativen Realismus von Spinoza und relativen Idealismus von Fichte als den absoluten Real=Idealismus.

Die wichtigen Werken, worin Schelling seine Identitatslehre dargestellt hat, sind: «Darstellung meines Systems der Philosophie;), 1801, «Bruno oder fiber das gottliche und natfirliche Prinzip der Dinge;), 1802, ({Fernere Darstellung aus dem System der Philo sophie», 1802, (lOber das absolute Identitatssystem und sein Verhaltnis zu dem neue-sten (ReinholdischWL) Dualismus», 1802, und aus dem Nachlass er-schienene Werk: «System der gesamten Philosophie und der Naturphi-losophie insbesonders», 1804.

B. Gesichtspunkte Sohelling an Spinoza.

I. Die Existenz Gottes. Zunachst hat Schelling die Ethik von den spinozistischen Schrif-

ten, vor Augen, wovon er beim Aufbau seines Identitatssystem aus-

Fichte andellcrseits sind die zwei fundamentalen Schriften, von denen her Schelling seine eigene philosophische Position versteht.

Spinoza hat Gott als Substanz gefasst, Schelling als das Absolute. Schelling verwendet anfanglich die fichtische Terminologie in Bezug auf den Gottesbegriff, aber er benfitzt nicht immer denselben Begriff von Gott, sondern er wechselt haufig; er bestimmt Gott als das Abso-lute, das absolute lch, die absolute Identitat, die Vernunft, die Ein-heit, das absolute Erkennen. Alles, was von jeden gilt, gilt also auch von Gott. Manchmal gebraucht er auch den Begriff Substanz, aber der von Schelling am meisten benfitzten Begriff ist eigentlich das Absolute.

Die Bestimmung Gottes als Substanz, wie Spinoza es get an hat,

1) IV, 1H. Hi. H7.

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592 Demetrius 1. Krikonis

falIt, nach Schelling, mit dem Erkenntnisgrund unserer empirischen Welt zusammen. Spinoza dachte, dass vor aHem Existierenden, Seien-den, Entstehenden und Vergehenden ein Sein in seiner Reinheit hatte vorausgesetzt werden mussen, das aHem zu Grunde liegt und das nicht dem Wechsel der Zeit und der Wandelbarkeit unterliegen kann, son-dern es ist ausser der Zeit und in die Urform der Unwandelbarkeit ge-setzV. Dieses ursprungliche Sein fordert die ganze Ordnung der sinn-lichen Dinge, woraus sie entstehen, da sie ohne ein vorausgesetztes Sein nicht hatten erklart werden konnen, denn vom Nichts kann nichts hervorgebracht werden. Das erste Ursprungliche also, das unabhangig von der empirischen Welt oder von allen Seienden ist, bestimmt Spi-noza als Substanz: <<Substantia prior est suis affectionibus»2.

Die Substanz bei Spinoza sieht Schelling nicht in der Zeit, sondern ausser aller Zeit und sie ist dasjenige, zu des sen Idee es gehort zu sein; sie ist ein Wesen schlechthin ohne weitere Bestimmungen3• Die Substanz als ausser der Zeit gesetzte ist die Ewigkeit, die die Voraussetzung del' Existenz Gottes ist. Ewigkeit bedeutet aber keine Dauer, denn Dauer ist selbst empiriseh, relative Form, die die Bedingung del' Existenz del' Dinge in del' Zeit ist. Ewigkeit bedeutet bei Spinoza' Form reiner intel-lektuellen Ansehauung, Anschauung in gar keiner Zeit4• Aus der Fas-sung der Natur der Substanz bei Spinoza, del' die Existenz zukommt, ruhren deren Pradikate der Unendliehkeit, Ewigkeit und Unteilbar·· keit her5.

Gott odeI' die unendliche Substanz ist das, was allein in sieh und . dureh sich selbst begriffen werden kann. Alles andere Seiende und Exi-stierende kann nicht dureh sich selbst begriffen werden, sondern es kann in Gott gefasst werden. Die Substanz, als das Prius alles Seienden, ist Eins. Sie ist die Einheit alIas Seienden, da ausser ihr nichts ist und nichts sein kannn 6, weil, wenn es etwas ausser ihr gabe, so waren es

Unbedingten nicht angemessen ware. Allein aber ist die Substanz eine, ein Wesen, worin das reine Sein involviert7. Dieses aber bedeutet, dass die Substanz keine /iussere Kausalitat hat, woraus sie abhangig ware,

1) 1,194.

3) V gl. Spin Eth. 1. Lehrs. 1. 7. Sehel. VI, 94. 4) Vgl. Spin. Eth. V. Lehrs. 23. Anmerkung.

6) VI,94. 7) VI,94.

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Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling 599

sondern sie die Ursache ihrer selbst «Causa suh) in sich einschliesstj sie ist durch sich slbst bestimmtl und ihre Selbstbestimmung ist ihre Vo-raussetzung. Als «Causa sui)} ist die Ursache nicht t:r:ansitiv, sondern immanent; sie geht nicht aus sich selbst heraus zu etwas anderem als Wirkung, sondern sie erschOpft sich in sich, sie ist in die Wir-kung aufgegangen und darum ist sie Substanz.

Die endliche Welt ist nicht ausser Gott; Gott als «Causa sui)} ist die immanente Ursache der Welt, weil diese Ursache in die Wirkung aufgeht; Gott und Welt stehen nicht im Verhiiltnis des Kausalzusam-menhanges als Ursache zur Wirkung, sondern Gott ist die in der Welt wohnende Ursache2• Das Wesen der absoluten Substanz ist die abso-lute Macht. Die Substanz, als das Selbstbestimmte Wesen ist frei; sie handelt nicht um etwas Ausseres zu erlangen, sie strebt nicht zu etwas zu gelangen und es gibt keinen Willen und keinen Verstand in ihr. Sie haridelt aber nach den Gesetzten ihrer Natur; als Unbedingte handelt sie aus ihrer Selbstmacht; es gibt keine Freiheit in Gott, sondern er handeIt der inneren Notwendigkeit gemiiss. Freiheit in Gott heisst Unab-hiingigkeit, Selbstbestimmung, was kraft der Notwendigkeit seiner Natur existiert3•

Daher 1St Gott nicht der sehaffende Geist der Welt durch ein Wollen; die Welt ist nicht durch die Bewegung Gottes entstanden, sondern sie ist dureh cine Art der inneren Notwendigkeit seiner Natur hervorge-bracht worden; sie ist eine notwendige Folge aus Gott, aber er hat sie nicht mit Zwang, sondern mit der Freiheit hervorgebraeht, da Frei-heit und N otwendigkeit in der unendlichen Substanz identisch sind. Folglich kann nichts willkurlich in der Welt sein und die Ordnung der

in der Welt . der Ordnung der Natuara Naturans4•

Immer und vergehen, nennt Spinoza geschaffene Natur, Natura Naturata, im Gegensatz zur Substanz, die geschaffene Natura Naturans ist; aber es handelt sieh hier nicht im cine schaffende Natur als Ursache ihrer Wir-kung im geliiufigen Sinne, sondern es handelt sich um die logischen Beziehungen zwischen Gott und der Welt.

Die Substanz, als das Subjekt aller Seitmden, existiert an sich nicht, sondern sie bleibt in der Verborgenheit und ist unserer Erfahrung unzu- .

1) I, 194. VII, 196. 2) I, 315. 3) I, 196. ilL 33'1. VgI. Spin. Eth. 1. Def. VII. Lehrs. 17. 31. 32. 3li. 4) Vgl. Spin. Eth. II. Lehrs. 7.

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594 Demetrius 1. Krikonis

ganglich; sie ist an sich das Unbegreiflichste1 . vVenn aber die Substanz nicht an sich existiert, so existiert sie durch die unendlichen Attribute, Denken und Ausdehnung, die Spinoza zwischen die unendliche Substanz und die erscheinende Welt setzt; aus den Attributen der Substanz ent-stehen die Affektionen, die selbst die endlichen Dingen sind.

Die Dinge, als die Modifikationen der unendlichen Attribute der Substanz, sind selbst die Darstellung des gottlichen Seins, da zwischen Gott und ihnen kein Kausalzusammenhang besteht; die Dinge beziehen sich auf die Substanz nicht wie das Gewirkte zum Wirkenden, sondern kraft ihrer Wesenbeschaffenkeit, d. h. sie haben substanzielle Bezie-hungen zu Gott, obwohl sie nicht selbst Gott sind; sie sind von Gott verschieden und an sich haben sie keine Realitat, weil sie von ihm ab-hiingig sind. Spinoza hat die Dinge nicht unmittelbar von Gott abge-leitet, sondern mittelbar, namlich durch ihre Attribute, das Denken und die Ausdehnung, worauf sie sich beziehen. Sic beziehen sich un-mittelbar auf das Denken und die Ausdehnung und bezeichnen dieselben Attribute, wovon sie stammen, aber Spinoza leuguet wieder die unmit-telbare Ableitung der Modifikationen von den unendlichen Attribu-ten der Substanz. Sie entstehe insoweit von Gott oder durch die Attri-bute desselben, insofern Gott oder die Attribute modifiziert gedacht sind, was nach Schelling kein positiver Beweis sein kann. Sie entstehen also weder von Gott noch durch die unendlichen Attribute Gottes, da sowohl von dem ersten als auch von den letzteren unendliche Produ-ktion abgeleitet wird. Die Dinge als in der Nicht=Realitat gesetzt, was nur ein negativer Ausdruck 1st, konnen weder im ganzen noch im ein-zeIn en unmittelbar aus Gott abgeleitet werden.

Als Modifikationen Gottes sind nur beschrankte Zustande der unendliehen Substanz und driicken das gottliehe Sein aus. Die Modi-fikationen unterscheiden sieh von den unendlichen Attributen Gottes, insofern die Attribute das gottlieheWesen ausdriieken, wahrend die

Uu'.. unenUH'vLlUU ohne sic nieht existieren konnten. Die Modifikationen sind von zweierlei Bedeutung: Erstens bezeiehnen sie das einzelne Ding als Affektion, das Endliche, und zweitens bezeiehnen sie den Zusammen-

nacheinander bestimmen. ---Wallierid liner Spinoza oehauptef;-dass die Modifikationen von Gott oder durch seine Attribute entstehen, insofern sic modifiziert

1) I, 184. 185.

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595 Die Entwieklung des Gottesbegriffes bei Schelling

gedacht sind, behauptet er ande!,erseits, dass jedes einzelne oder endli-ehe Ding zum Dasein durch ein anderes endliches bestimmt ist und dieses wieder durch ein lihnliches, d.h. die Dinge haben eine endliche Kausalitiit, so dass wir niemals und nirgends den unmittelbaren Ober-gang aus dem Unendlichen in das Endliche finden konnen.

Die Dinge haben keine wirkliche Realitat, sondern vielmehr sind sie in der Nicht=Realitat gesetzt. Jedoch sind sie als Negationen reell und als solehe entstehen sie nicht in der Zeit. Solange aber sie als Negatio-nen wirklich sind, mtissen sie ewig sein, genau wie das Unendliche. Die Negationen sind als solche Akzidenz des ewigen Eins und sie sind bei dem Eins nicht aus einer unendlichen Zeit her, sondern sie sind ausser aller Zeit; als wirkliche Dinge aber entstehen sie in der Zeit; das eine entsteht aus dem anderen, aber diese Zeit muss nicht als wirklich betrachtet werden, sondern sie muss als nie entstanden gedacht werden; sie muss als das ewige Akzidenz der unendlichen Substanz angesehen werdenl •

Die Dinge sind untereinander nicht gleich. Was sie gemeinsam haben, ist nur die endliche Substanz, wovon sie abstammen, als das Subjekt ihres Daseins; sie bleiben untereinander fremd ohne Wechsel-wirkung mid tragen ihr Ziel in sich selbst.Die Folge des spinozistischen Systems ist die Ableitung; Substanz-Attribute-Affektionen-Modi. Diese Ableitung ist geradling ohne weitere Bestimmungen. J eder Modus kann nur durch sein Attribut begriffen und erkllirt werden; die Modi blei-ben ohne Anziehung in ihrer Natur; die Modi der Ausdehnung bleiben geistlos und umgekehrt, die des Geistes materielos. Daher ist die Phy-sik des spinozistischen Systems mechanisch.·

Die Dinge, als Akzidenz der unendlichen Substanz, konnen ohne

nur in dem erfasst werden, wovon sie ausfliessen. Das allein Ursprtin-gliche und Seiende aber ist Gott selbst. Daher unterscheiden sich die Dinge vov Gott, aber die (Jeesamtheit der Dinge, die scheinbare Welt, ist als Einheit nicht von Gott verschieden sondern Gott gleichgesetzt. AIle endlichen Dinge zusammengenommen konnen weder Gott genannt werden noch ihn ausmachen. Die Welt aber als die Gesamtheit der Dinge, die absolute Totalitlit, worin die Vielheit der Dinge zusammen-falIt, bleibt Gott gleich.

Von dieser Seite her ist Gott, als Ein=Einheit, der dem Ganzen gleichgeaetzt ist, die inwohnende Ursache der Welt2• Gott, ala immanente

1) VI,10t. 2) 1,315.

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596 Demetrius 1. Krikonis

Ursache der Welt, ist die erste freie Ursaehe seines selbst. Das Wesen Gottes ist eins und die Natura Naturans ist die Gesamtheit der gottli-chen Attribute, wodurch das gottliehe Wesen existiert, wahrend die Natura Naturata die Gesamtheit der Modifikationen Gottes ist. Die G'leichsetzung Gottes mit der Gesamtheit der Dinge der Welt fiihrt zum Pantheismus. Wenn aber Gott selbst die Welt oder die Gesamtheit der Dinge ist, so ist er in der Welt explizitl. Der Satz Gott sei alles, be-deutet aber nicht, dass Gott dem Wesen nach den Dingen gleich ist; viel-mehr bleibt Gott in der Verborgenheit; Gott ist aber der Existenz nach den Dingen gleich.

Wenn aber das gottliche Sein sich in den endlichen Dingen dar-steUt, so behauptet Spinoza, dass Gott notwendig existiert. Diese Not-wendigkeit der Existez der Substanz ist nach Schelling nieht bewiesen worden, sondern nur als existierend durch die sinnliche Erfahrung vorausgedacht worden. Es gibt naeh Schellings Einsicht keinen a poste-riorischen Beweis der notwendigen Existenz der Substanz, sondern Spi-noza nimmt die Existenz der Substanz a posteriori genau wie Karte-sius an2. Spinoza setzt zwischen die unendliche Substanz und die Welt die Attribute des Denkens und der Ausdehnung oder des Seins ein, wodurch das gottliche Sein existiert, weil diese Attribute in der sinnli-chen Welt erscheinen. Dieses ist eine Schlussfolgerung Spinozas aus der Erfahrung, aber er hat nach Schelling nicht beweisen konnen, wie diese Attribute aus der Substanz ausfliessen. Er beweist nur, dass, wenn Den-ken und Ausdehnung sind, so sind sie dieselbe Substanz, aber die Ableitung der Attribute aus der Substanz kann er nieht begrifflich ma-chen3•

Die Identitat beider, das Denken und die Ausdehnung, solIte naeh Schelling die notwendige Form der absoluten Substanz sein. Die Form verhlilt sich ideal, wahrend die Substanz sieh real verhlilt; die Form ist ein Handeln wahrend die Substanz als Sein bestimmt ist4; weil

fikationen. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet Substanz des spinozistischen Systems als reine Natur, dehnung das allein wahrhaft Urspriingliche lSt S•

-t;-2) I, 171.

") VI, 99. H3. 5) VI, 95. 113. VII, 221.

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bie Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling 59'

Dinge unmittelbar aus der unendlichen Substanz oder ihren Attributen ableitet, sondern sie aus Gott ableitet, genau wie die Affektionen des Dreiecks aus der Natur des Dreiecks folgen. Zu dieser Annahme der Ableitung der Dinge ist Spinoza durch die mathematische Methode veranlasst worden. Die Dinge beziehen sich auf Gott, genau wie die jeweiligen Schemata zum Raum. Diese Emanation aber ist nicht phy-sisch, sondern logisch und eben deswegen ist die Existenz der Substanz bei Spinoza nach Schellings Urteil nicht bewiesen worden, sondern hypothetisch gedacht, und daher kann Spinoza nicht den Ubergang yom Unendlichen zum Endlichen rechtfertigen1 .

Schelling gibt mit Spinoza zu, dass vor allem Entstehenden und Vergehenden, ein Sein als SUbjekt alles Seienden vorausgesetzt werden muss: «Das Eine aber, was schlechthin ist, ist die Substanz aller Substan-zen, welche Gott genannt wird. Die Einheit seiner Vollkommenheit ist der allgemeine Ort aller Einheiten, .... Gott also ist die Idee aller Ideen, das Erkennen alles Erkennens, das Licht alles Lichtes. Aus ihm kommt alles und zu ihm geht alles»2. Alle Dinge miissen nur in Gott begriffen werden, da er das Wesen aller Dinge ist3• Alles, was existiert, alles end-liche Seiende fliessen von Gott aus4•

Schelling hat dem absoluten Ich alle spinozistischen Grundka-tegorien zugeschrieben5 • Das Absolute ist auch nicht in der Zeit, son-dern in Ewigkeit. Jedes Sein, sagt Schelling, das ein Verhaltnis zu der Zeit hat, ist verganglich. Die zeitliche Existenz der Dinge ist die Dauer; mithin ist sie Bestimmung .eines Seins in der Zeit, insofern es nicht seinem Begriff angemessen ist; andererseits behauptet Schelling, dass die Zeitlichkeit Unvollkommenheit bedeutet, was dem Absoluten nicht entspricht. Das Absolute als Subjekt-Objekt und deren Einheit, woraus en ist ein ewiger Prozess, aber dieser vollzieht sich nicht in der Zeit, sondern in der Ewigkeit, weil das Handeln des Absoluten ausser aller Zeit ist. Die Ewigkeit ist auch fiir Schelling die Voraussetzung der Existenz Gottes. Die U nend-lichkeit, Unveranderlichkeit und Unteilbarkeit bei Schelling entstehen aus der Auffassung der Einsichten oder der absoluten Identitat als das schlechthin Seiende6 •

1) Vgl. Spin. Eth. 1. Lehrs. 28. Schel. VI, 99. 100. 2) IV, 320. Vgl. IV, 376. 377. 3) VI,160. 4) IV, 119. 394. 405. VI, 199. VII, 164. 182. 5) Vgl. Kap. 1. A. S. 19. 6) I, 177. IV, 118.

- ------- - --- --eEOAO-rlA, To,",os AA.', Tiuxos A'. 39

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Demetrius 1. Krikonis

Die Unendlichkeit Gottes ist bei Schelling nicht empirisch durch eine blosse Addition von Endlichem zu Unendlichem1, sondern eine vollig zeit=und raumlose Unendlichkeit, die Kraft einer absoluten Po-sition ist2, wie bei Spinozaj sie ist als solche aktuelle Un(mdlichkeit und existiert als das Universum, weil sie unmittelbar aus der Idee Got-tes folgtS• Der Begriff der Zeitlichkeit bezieht sich sowohl fur Spinoza als auch fiir Schelling auf das Endliche, auf die endlichen Dinge, die willkiihrlich aus der absoluten Identitat heraustreten, da es sich keine Endlichkeit gibt4•

Aus der Unendlichkeit Gottes folgt die Unteilbarkeit und Unver-anderlichkeit; ware die Substanz oder das Absolute geteilt, miissten die verschiedenen Teile entweder die Unendlichkeit beibehalten und dann wiire nichts Unendliches und damit wiire die absolute HeaIitiit der Substanz oder des Absoluten aufgehoben. Das Unbedingte aber kann nicht geteilt werden, noch gibt es verschiedene Substanzen, son-dern Gott bleibt Eins in seiner Ewigkeit5•

Die Teilbarkeit bei Schelling liegtin dem quantitativen Unter-schied des Subjekt==Objekts in der erscheinenden Welt, aber das Wesen des Absoluten, als absolute Identitat, ist unteilbar und sie kann auch nicht als 80lche, als Identitat, in den konkreten Dingen aufgehoben werden, weil sie unabhiingig yom Subjekt=Objekt und deren Indif-ferenz ist6•

Was die «Causa sui» betrifft, so schliesst sich Schelling an Spinoza an, da das Absolute nicht von ausse,n bestimmt werden kann, weil dies dann seine Unbedingtheit aufheben warde und es damit aufhOren wiirde, Absolutes zu sein. Das Absolute oder die absolute Vernunft ist durch sich selbst bestimmt und es «gehOrt zum Wesen der absoluten Iden-titat zu seim>7.

Die Kausalitiit Gottes ist in sich selbst und die Wirkung tritt nicht

die Welt stehen nicht im Verhaltnis des Kausalnexus, sondern Gott ist hier die immanente Ursache der Welt, «alles dessen, was isb s. Das

1 232ft. 2) I, 186ff, IV, 118. 119. VI, 160ff. 233ff. 3) VI, 271.

. ·4PV, 119ff. 5) I, 192. IV, 157.

7) IV, 118. Vgl. I, 163. 177. 8) I, 195.

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599 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling

Universum ist niGht ausser Gatt, ist nicht unabhiingig van ihm, sondern Gott und Universum ist ein und dasselbe. Es gibt hier keine transitive Ursache von Gott zum Universum, sondern das Universum ist selbst die Explikation Gottes, aber das Universum an sich ist nicht selbst Gott. «Die absolute Identitiit ist nicht Ursache des Universums, sondern das Universum selbsh)l.

Das Wesen Gattes oder des Absaluten ist auch bei Schelling die Macht, da es sanst den Bedingungen der Zeit unterliegen miisste. Kraft ist das Wesen des Absaluten, insafern es unmittelbarer Grund von wir-klicher Realitat ist; diese Realitat entsteht nach Schelling, unter der Bedingung der Identitat von Subjekt und Objekt, insofern die abso-lute Identitiit auch immanenter Grund ist2• Die immanente Ursache Gattes ist frei und geht aus der Notwendigkeit seines Wesens hervol'. Das Absolute ist frei, insofern es sich durch seine Freiheit bestimmt, weil es unbedingt ist3 • Eben deswegen ist das Absolute, nach Schelling, notwendig4•

Die Freiheit und die Notwendigkeit fallen bei Schelling auch zu-sammen im Absoluten und sie sind identisch. In dieser Beziehung schlies-sen sich Schelling und Spinoza an Jordano Bruno an. Die Freiheit des Absoluten geht aus seiner Selbstbestimmung durch seine unbedin-gte Selbstmacht. Die Notwendigkeit falIt im Absoluten mit der Frei-heit zusammen, wei! sie nach den Gesetzen der inneren N otwendigkeit ihres Wesens und Seins handelt. Es gibt in Gott kein Gesetz und es ist keine B lstimmung denkbar; alIes geht aus der inneren Notwendigkeit seines Wesens oder seiner Natur hervor5• In Gott sind Freiheit und Not-wendigkeit in absoluter Harmonie. Gott bewegt sich nicht durch einen . . oder will; Gott ist absolut gut und vollkommen wegen der N atur seines Wesens 6•

Entsprechend der Natura Naturans bei Spinoza ist bei Schelling die absolute Identitat, die unter der Form der Subjektiv-Objektivitiit erscheint, wahrend der Natura Naturata die Objektivitiit ist, die Geist und Materie zusammenfasst 7.

1) IV, 129. 2) I, 203. IV, 145. 3) III,368. 4) VI, 161. 271. 5) III, 395. I, 179. 235. 331. IV, 374. 6) VI,553. 7) I, 167. 177, 178. 179. III, 283.373. IV, 128. VI, 199ff.

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600 Demetrius I. Rrikonis

Schelling schliesst an Spinoza an, was das Einheitsprinzip betrifftl, insofern bei ihm auch das Absolute oder die absolute Identitiit alles ist, was ist, und ausser ihm nichts sein kann2 , aber die Existenz Gottes hat er anders als Spinoza aufgefasst. Das Wesen des Absoluten ist nach Schelling die absolute Vernunft, die die Indifferenz des Subjektiven und Objektiven ist. Das Absolute hat Schelling im ({transzendentalen Idealismus)} als das «ewige Unbewusste» bezeichnet, das a]]er Weltentwick-lung, aller Entgegensetzung des Subjektiven, aHem Bewusstsein zu Grunde liegt und daher nicht Objekt unseres vVissens sein kann, son-dern durch den Glauben, d. h. durch Handeln, begriffen wird. So bleibt das Wesen des Absoluten bei Schelling verborgen, genau wie bei Spi-noza, und das, was existiert, sind die endlichen Dinge, die objektive Welt, wodurch das gottliche Sein sich darstellt. (<Das We sen des Abso-luten an und fur sich offerbart uns nichts, es erWllt uns mit den Vor-stellungen einer unendlichen Verschlossenheit, einer unerforschlichen Stille und Verborgenheiti}8.

Die Welt ist nichts anderes als die notwendige Folge der Existenz Gottes, wie bei Spinoza, aber die Auffassung der Existenz Gottes hat hier nur eine Ahnlichkeit. Schelling foIgt hier, was den Obergang yom Unendlichen zum Endlichen betrifft, der Auffassung Plotins, der be-hauptet, dass das Absolute, der Nous, um sich selbst zu erkennen und sein Selbstbewusstsein zu empfinden als Denken und Sein, im Gegen-satz zu sich selbst treten musse, woraus alles Entstehende in einer fort-gehende Reihe hervorgebracht wird. So tritt auch das Absolute bei Schelling in die Differenzierung des Subjektiven und Objektiven ein, die im Blick auf das Absolute identisch sind, um das Selbstbewusst-sein zu gewinnen oder das Selbstbewusstsein zu sein. Die Differenzie-rung, die Selbstspaltung des Absoluten, worin das Subjekt=Objekt sich

ubertritt, ist selbst die Totalitiit, wodurch der Obergang von Gott von

Schelling fasst hier die Totalitat oder das Universum nicht als Ding, sondern das Universum ist selbst Gott und nicht nur dessen Grund4•

Obwohl aber Schelling anders als Spinoza die Existenz Gottes begreift,

1) Vgl. II, 20. 35. 36. Hegel meinte, dass entweder Spinozismus oder keine ---Pho1osojiliTellbglicn-s81und: wenn-rITIurzullnmsophierenanfii-nge,miiss@ man.-Spi".

nozistisch denken. W. W. Ed. XV, S. 376. Vgl. Lessing: Sein Leben und Werke.-

2) IV, 118f. 2) IV,404. 4) IV, 128. 129. V, 336.

S. 373.

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Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling 601

schlie sst er sich hier an Spinoza an, wo es urn die All=Einheit=Lehre gehtl. Beide haben Gott als Einheit mit dem Universum oder der Welt gleich-gesetzt, da Gott durch die Welt oder durch das Universum ausge-drtickt wird und er nipht die transitive Ursache der Welt, sondern die immanente Ursache ist. Das Deus sive Natura Spinozas findet die Ent-sprechung bei Schelling, der gesteht, dass der wahre Gott nicht ausser der Natur ist und umgekehrt2•

Beide haben ein monistisches System und dazu pantheistische aufgebaut, aber sie unterscheiden sich, insofern das pantheistische Sy-stem von Spinoza ein ruhendes, stillstehendes ist, wahrend bei Schel-ling kein totes und unbewegliches ist, sondern einen evolutionistischen Charakter hat. Auf diesem Charakter oder dieser Beweglichkeit, dem Prozess, beruht das Selbstbewusstsein des Absoluten: also ist es ein Selbsterkenntnisakt, wahrend die Substanz ein unwissendes Wesen ist. Der Prozess des Absoluten geschieht in der absoluten Totalitat, im Uni-versum, und erfasst aIle Realistische und Idealistische, Materialisti-sche und Geistige, die Schelling in der Naturphilosophie und in dem <<transzendentalen Idealismus) behandelt hat. 1m Universum befindet sich wegen der Differenzierung der Identitiit die Polaritat, die wieder die Identitiit voraussetzt.

Die Differenzierung des Absoluten hebt nicht die Identitiit des Subjekt=cObjekts auf, da sie beide dem Wesen nach gleich, identisch sind. Sie unterscheiden sich in der Totalitat oder Differenzierung nur quantitativ; diese Unterscheidung bedeutet nur ein Ubergewicht des einen tiber das andere. Das Ubergewicht des einen oder des anderen bosteht amsorhalb der absoluten Identitat, wahrend sie in ihr das Gleich-

n Differenzen bei sind auf bestimmte Weise Art oder Grosse des Seins der absoluten sie sind nur Art oder Grosse des Seins, weil sie dem Wesen nach die Ein-heit von Subjektivitiit und Objektivitiit sind3 •

Die Identitiit existiert unter der Form der Subjekt=Objektivi-tat; die Welt des Subjektiven oder Objektiven kann nicht allein exi-stieren, weil sonst das Gleichgewicht und die Identitat hiitte aufgeho-ben werden mussen. Die subjektive und die objektive Welt mtissen gegenseitig erganzt werden, so dass die Indifferenz beider be-stehen bIeibt; die Identitiit des Subjekt=Objekts erscheint in allen Dinge. --- .. .. -

1) Vgl. III. Kap. B. 100. 2) Vgl. Tract. brev. de deo, Teil. I. Kap. III. 3) IV, 133f!.

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602 Demetrius I. Krikonis

In Bezug auf die Existenz Gottes ist bei Schelling folgendes be mer kens-wert: Das SUbjekt und das Objekt sind identisch, aber sie konnen nicht in actu existieren, wenn zwischen ihnen nicht der quantitative Unter-schied besteht oder gesetzt ist. Ohne diesen lJnterschied des tlber-gewichtes kann man nicht von der Existenz Gottes sprechenl. Daraus aber geht klar hervor, dass die Differenzierung, der quantitative Unterschied des Subjektiv=Objektiven, die Voraussetzung der Exi-stenz Gottes oder des Absoluten ist, da das Absolute oder die In-differenz dort anfangt, wo der quantitative Unterschied, Subjekt= Objekt als solche, aufgehoben wird.

Dieses aber ist als Grund der Existenz des Absoluten die not wen-dige Bedingung Gottes. Also ist Gott bedingt durch die Welt; an de-rel'seits ist Gott oder das Absolute der Einheitspunkt und Einheits-grund des Subjektiven und Objektiven. Das ist nicht so zu verstehen, dass die Welt Grund der Existenz Gottes ware, weil Gott oder die abso-lute Identitat jenseits des Subjektiven und Objektiven postuliert ist, sondern die Welt, worin die Mannigfaltigkeit besteht, ist der Grund der Explika-non, Offenbarung, des gottlichen Seins.

Mit der Differenzierung des Absoluten ve"rmeidet Schelling die Schwierigkeiten Spinozas, was die Ableitung des Endlichen betrifft, weil alle Endlichkeit, aIle Einzelheit auf der Differenzierung beruht. Dur<:h die Differenzierung des Absoluten hat Schelling eine stufenweise Rei-he der Potenzen, worin die Welt und die sinnlichen Dinge bestehen. Die Dinge konnen bei Schelling nicht allein existieren; sie konnen wedel' als Subjekt noch als Objekt, sondern als Subjekt=Objekt, d. h. unter del' Form der Identitat, existieren, es besteht zwischen ihnen ein quan-titativer Unterschied des einen oder des anderen. Sie beziehen sich eng aufeinander und zwischen ihnen besteht eine mittelbare Analogie. Die Dinge drucken das gottliche Sein auf eine bestimmte Weise aus, wie

Dinge deutlich, dass namlich die Modi entweder durch A oder B be-griffen werden miissen.

Das einzelne Sein oder Ding als solches kann nur ausser der Tota-litlit sein, aber es muss dann als Nicht=Sein betrachtet werden. Jedes

unter Form UIlterscQiedJ3sbjld!l:tl.Clie.Dinge_eine H(jihe _von. ander abhangig sind; alles Entstehende bildet eine ununterbrochene

2) Schelling gebraucht den Begriff Modus auch besonders in seinem Werk «System der gesamten Philosophiell.

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603 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling

Kette und jedes setzt ein anderes voraus, wahrend es Voraussetzung fUr das andere ist. Die Dinge haben nieht, die Ursaehe ihrer Existenz in sieh selbst, sondern jedes Ding ist dureh ein anderes einzelne bestimmt bis ins Endlose, genau \vie es bei Spinoza der Fall ist; das Ding kann nieht dureh Gott bestimmt sein, da es sich als einzelnes ausser der Tota-litat befindetl. AIle einzelnen sind in Gott du;rch ihre Idee ewig, wie bei Spinoza, aber sie sind in der erscheinenden Welt als Abbilder oder Re-flexe vorhanden2• 1m Absoluten sind die Dinge Eins, aber sie sind in der erscheinenden Welt unter der Bedingung der Zeit einbezogen und unterliegen der Entwicklung. Die Dinge reprasentieren die ganze Dar-stellung der Totalitat, aber sie sind nicht wie bei Spinoza, wo sie niehts miteinander zu tum haben, sondern sie sind selbst die modifizierte Iden-titiit. Das Einzelne, das die absolute Totalitat reprasentiert, ist «rela-tive Totalitat) und weil es unter der Form der Identitat existiert, ist diese Identitiit «relative Identitab). Die Dinge folgen kontinuierlieh, Glied fur Glied in der subjektiven und objektiven Reihe und sie schlies-sen sich auf derselben Stufe zusammen; sie sind notwendig, weil die absolute Identitat sich ihrer Reihe als Selbsterkenntnis entwickelt.

Der ganze Prozess des Absoluten beruht auf dem quantitativen Untersehied des Subjekt=Objekts und ist eine stufeweise fortgehende Selbsterkenntnis des Absoluten: 1m Selbstbewusstsein ist Gott fur sieh, aber dieseskann nur in der subjektiven Reihe der Potenzen sein; Gott offenbart sich dem Menschen. Der Mensch ist fur Gott ein notwendiges Produkt, worin das Selbstbewusstsein Gottes sich darstellt. Gott ohne den Menschen hatte kein Selbstbewusstsein erreichen konnen. Das Selbst-bewusstsein Gottes besteht naturlich nicht nur aus der subjektiven Rei-

Selbstbe\vusstsein Gottes bei Schelling zwischen beiden Welten, namlich zwischen der sUbjektiven und Objektiven Welt. Zur subjektiven Rei-he der Potenzen gehort nach Schelling alles lebendige Wesen im wei-teren Sinne, aber konkret gesehen ist die Existenz Gottes nichts ande-res als das Bewusstsein des Menschen aus der objektiven Welt; also liegt die Existenz Gottes im menschlichen Bewusstsein, das· eine Kombi-nation der menschlichen Subjektivitiit mit, der wirklichen Objektivi-tat der Welt ist. «Denn Gott ist nie, wenn Sein das ist, was in der objektiven Welt sich darstellt; ware er, so wiiren wir nicht; aber er offenbart sich fortwahrend ... 1st Gatt, d. h. ist die objektive Welt eine

1) IV, 126. 131ft VI, 194ft 2) VI, 189. 190, 197.

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60i Demetrius I. Krikonis

vollkommene Darstellung Gottes, oder was dasselbe ist, des vollstan-digen Zusammentreffens der Freien mit dem Bewusstlosen, so kann nicht anders sein, als es iSb l .

Von einer Subjektivitat, einer subjektiven Reihe der Potenzen im Sinne der Auffassung Schellings kann man b2i Spinoza nicht spre-chen, da alles Existierende und Seiende bei ihm als Ding zu betrachten ist; bei ihm gibt es kein Zusammentreffen des Subjektiv=:Objektiven in der erscheinenden Welt, so dass Bewusstsein hervorgebracht wUrde. Gott bleibt bei Spinoza in der Verschlossenheit. Die Bestimmung der Substanz als Objekt hebt alles Bewusstsein auf und darum bleibt die Substanz als eine blinde Macht ohne Wissen.

2. Die Attribute. Die unendliche Substanz bei Spinoza ist einfach, aber sie exi-

stiert durch ihre Attribute in der Objektiven Welt. Ihre Einfachheit besteht darin, dass sie die Einheit der verschiedenen, zahllosen Attri-bute ist, die Spinoza ihr zuschreibt2• Er behauptet, dass wenn die Sub-stanz Trager bestimmter Atributer ware, sie durch die numerischen Attribute beschrankt werden sonte. AIle Atribute aber der Substanz drUcken dieselbe Substanz unendlich verschiedenartig aus. Die Substanz ist keine Syntbesis zusammengesetzter Attribute, son-dern sie ist einfach und allen gleich. Die Attribute sind in der Substanz nicht getrennt, sondern sie los en sich in ihr. Jedes Attribut der Sub-stanz muss durch sich selbst begriffen werden3 •

Die Substanz aber ist an sich Trager nur zweier Attribute des Denkens und der Ausdehnung, die dem Wesen nach nicht verschieden von einander, sondern identish sind, aber sie sind zwei verschiedene Ausdrucksformen der unendlichen Substanz. Schelling ist sich mit Ja-kobi einig, dass der spinozistischen Substanz kein anderes Attribut als

Attribute des Denkens und der Ausdehnung, dass der Natur der unend-lichen Seele des Menschen ausser den obengenannten Attributen des gOttlichen Seins kein anderes Attribut zugesprochen werden dUde und dass die Seele auch kein anderes erkennen . Dieses

---- ,,-------- --- ,,-- ----------------------1) III, 603. VgI. III, 341. VI, 561. 562. 2) Vgl. Spin. Eth. I. Lehrs. 6. Schel. VI, 96.

4) Vgl. Opp. Posthum. p. 502. Schel. IV, 37'1, 378, V, 58, 59, VI, 96. Jakobii Briere tiber die Lehre von Spinoza. Bd. IV, Abteilung I. S. 183. 190; 191.

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605 Die Entwioklung des Gottesbegriffes bei Sohelling

nicht die Annahme aus, dass eine unendliche Reihe von Attributen der Substanz besteht, da Spinoza ausdrUcklich erklfu'te, dass jedes Attri-but durch sich selbst begreifbar ist, als das des Denkens und das der Ausdehnung, so ist nur durch dieses Attribut und nicht durch ein an-deres Gott zu erfassen. Eben deswegen hat Spinoza die intuitive kenntnis angenommen, weil ihm Gvtt oder die Substanz nicht durch die Dinge oder die Welt erkennbar ist.

Schelling erklart die Moglichkeit der Annahme mehrerer Attri-bute der Substanz als Mangel an einen zureichenden Erkenntnisgrund der Attribute der Substanz von Spinoza, aber er hat dem obengenan-nten Grunde wegen nicht Recht. Er hat insoweit Recht, als Spinoza einen hOheren Erkenntnisgrund als die Erfahrung haUe angegeben haben mUssen1.

Schelling sieht zuniichst mit Recht, dass Spinoza die Attribute, das Denken und die Ausdehnung, der unendlichen Substanz nicht a priori zugeschrieben hat, sondern a posteriori, weil sie in der endli-chen Welt, in der Natura Naturata, erscheinen; Ausdehnung und Denken, Materie und Geist, gehoren zusammen zu unserer WeHll.r

Wahrend aber Spinoza Gott die Attribute aus der Erfahrung zuschreibt, kann er andererseits nicht beweisen, wie sie aus der unendlichen Sub-stanz abgeleitet werden konnen, wenn er von dem Absoluten als Prinzip ausgeht3• Jedoch aber setzt Spinoza unmittelbar die beiden Attribute an die unendliche Substanz an'. Die Attribute, Denken und Ausdehnung, existieren unbedingt zusammen, aber sie konnen nicht aufeinander wechselseitig wirken; keins kann das andere hervorbringen oder. aufhe-ben, da Substanz nicht auf Substanz wirken kann, weil Substanz von

Substanz sind sie nur durch sich selbst begreifbar; es gibt in keinem Fall die Moglichkeit, das Attribut des unendlichen Denkens durch das Attribut der unendlichen Ausdehnung zu erkliiren. Das Denken als Denken und die Ausdehnung als Ausdehnung konnen nicht ver-schwunden oder identifiziert werden; sie bilden eine endlose Kette als DoppeJglieder, ohne sich in einem Punkt treffen zu konnen. Vorstel-lung an Vorstellung und Ding an Ding teihen sich ohne eine Vermi-schung oder gegenseitige Teilnahme; es herrscht im spinozistischen

1) VI, 96. 2) IV, 377. VI, 96. 3) VI, 102, 4) IV, 372.

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606 Demetrius I. Krikonis

System ein strenger Parallelismus, wodurch keine andere ErkHirung moglich ist.

Jedes der beiden Attribute druckt das gottliche Wesen aus, aber es selbst ist nicht das gottliche Wesen, weil es nicht an sich abso-lut ist, da in der unendlichen Substanz mehrere Attribute bestehen. J edes Attribut ist doch absolut auf seine Art. Diese Unterscheidung steht im spinozistischen System fest. Die Attribute gehOren zu dem-selben Wesen, das sie ausdrucken, aber sie unterscheiden sich, da sie dasselbe Wesen verschiedenartig ausdrucken d. h. sie haben eine an-dere Ausdrucksform. Sie existieren zusammen, aber unter anderer Form oder Gestalt, namlich dort, wo Denken ist, ist auch Ausdehnung und umgekehrt, wo Materie ist, ist auch Geist. Kein Attribut kann das andere ersetzen, aber beide sind zusammen unbedingt gesetzt. Darin unterscheiden sich das Denken und die Ausdehnung in Bezug auf die Existenz der scheinbaren Welt, der Natura Naturata, die selbst die sinnliche materielistische und geistige Welt ist. Die Welt ist von die-sem Gesichtspunkt aus, der Auszug oder die Zusammenfassung der Modifikationen Gottes, die die endlichen Dinge darstellen.

An sich ist die unendliche Substanz weder das eine noch das an-dere. Ware sie das eine, so ware die Substanz entweder die denkende oder die ausgedehnte.· Diese kategorische Form entspricht nicht der Meinung Spinozas. Das weder=noch aber des einen oder des anderen ist nur ein negativer Ausdruck der unendlichen Substanz. Positiv gesehen, ist das Denken und die Ausdehnung in der Substanz ein und dasselbe1. Die Substanz aber ist keine Synthesis von dies en zwei ver-schiedenen und negativ entgegengesetzten Attributen oder Faktoren; vielmehr ist sie einfach und geht ihren Attributen voran.

Die Attribute sind in der Substanz eins ohne Unterscheidung. Es gibt keine Form beider in der Substanz, auch sind sie nicht identisch;

fenheit aufgelost. Die Beziehungen zwischen den Attributen, dem Den-ken und der Ausdehnung, und der Substanz sind substanziell. Denken und Ausdehnung unterscheiden sich nicht in der Natura Naturans, der schaffender N zur in der absoluten und der unendlischen Substanz absolut als solche

ihrer ··Wesenheschaf:fe·nheit! •. DieSubstanz wir4 mer·

2) VgI.SchonbornS.118.

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607 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schelling

durch die Form A=A bezeichnet, d. h. A, die denkende Substanz, und A, die ausgedehnte Substanz, sind identisch. So sieht das Schema bei Spinoza aus: Substanz=denkende und ausgedehnte; als denkende A und als ausgedehnte wieder A, d. h. sie ist A=A, wobei in ihr beide gleich sind.

In der Substanz besteht kein ursprunglicher Gegensatz oder Zwei-heit, die in der Natura Naturata erschienen ist!. Die Parallelitat dieser Attribute ffihrt Spinoza fort; wie flUS der unendlichen Substanz das Denken und die Ausdehnung hervortreten, so entstehen auch von dem der Attribute die Modi, die Affektionen der unendlichen Attri-bute sind. Sie sind endliche Formen und konnen nicht anders als durch die Attribute Gottes hervorgebracht werden; als endliche Formen sind sie doch mittelbar Zustande der einen unendlichen Substanz, worin sie ihr Dasein begreifen, wie die Vorstellungen im Bewusstsein, ohne das-selbe Bewusstsein zu sein.

Modi des Denkens sind der Verstand und der Wille; Modi der Ausdehnung die Ruhe und die Bewegung. Verstand und Wille einer-seits, Ruhe und Bewegung andererseits, haben dasselbe Verhaltnis zueinander, wie Denken und Ausdehnung. Ruhe und Bewegung haben keinen Kausalzusammenhang; sie entstehen unmittelbar aus der Aus-dehnung, ohne die sie nicht hatten entstehen konnen. Sie beziehen sich unmittelbar auf die Ausdehnung und mittelbar durch die Ausdehnung auf die unendliche Substanz. Denselben Bezug auf die Substanz haben auch die Modi des Denkens. Die Seele ist Modus des Denkens und der Korper Modus der Ausdehnung. Beide existieren zusammen und keins kann ohne das andere sein. Sie konnen sich nicht gegenseitig ausschlies-

Die Seele ist Begriff des Leibes, eines einzelnen Dinges; also der Leib ist das Objekt des Begriffes, d. h. der Seele, aber hier hat der Leib die Prioritat, weil nach der spinozistischen Auffassung das Ursprungliche das Ausgedehnte ist2•

Beide Philosophen haben dieselbe Grundlage fur ihre Systeme; Spinoza spricht von den Grundbegriffen; Substanz, Attribute: Denken und Ausdehnung; Schelling von: Identitat oder dem Absoluten, Fa-ktoren oder Ansichten: Subjekt und Objekt. Schelling nimmt auch zwi-schen dem Subjekt=Obkekt kein Kausalverhaltnis an, weil beide in der absoluten Identitiit oder dem Absoluten Eins sind. «Weder ist das Ideale

1) IV, 372. 373. 2) IV, 373. VI, 98. 102fi •

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608 Demetrius I. Krikonis

als solches Ursache einer Bestimmung im Realen, noch dieses Ur-sache einer Bestimmung im Idealem1•

Die Kausalitiit sowohl der Attribute Spinozas, als auch die der Einsichten in Bezug auf das Subjekt=Objekt bei Schelling gehOrt zur Substanz oder der absoluten Identitiit. Wenn aber die Faktoren Schel-lings keine Kausalitiit haben und keins das andere hervorbringen kann und beide die Ursache ihrer selbst in der absoluten Identitiit haben, wie es bei Spinoza der Fall ist, sobedeutet dieses nicht, dass sie in der abso-luten Identitiit sich so verhalten, wie die Attribute zur Substanz. Die Attribute, Denken und Ausdehnung, sind in der Substanz selbst die Substanz kraft ihrer Wesenbeschaffenheitj ihre Einheit ist eine formale, eine Einheit «Idealiter»j sie verschwindet in ihr wegen ihrer Einheit.

1m Gegensatz zur unmittelbaren Einheit der Attribute Spinozas in der Substanz, worin keine Duplizitiit mehr besteht, hat Schelling die Duplizitiit in der absoluten Identitiit angenommen. Die spinozi-stische Substanz und die absolute Identitiit Schellings fallen nicht in demselben Punkt zusammen. Spinoza liisst das Denken und die Aus-dehnung in der unendlichen Substanz sich nicht unterscheidenj bei ihm ist das Denken und die Ausdehnung ein ewiger essentieller Gegensatz und dennoch eine ewige Ruhe. Schelling hat aber das Absolute ganz anders aufgefasst. Subjekt und Objekt, Denken und Sein, sind bei ihm gleich, identisch. «Gedanken und Ausdehnung also nie und in nichts, auch nicht im Gedanken lUld in der Ausdehnung, selbst getrennt, son-dern durchgiingig beisammen und Eins sind»2.

Daher ist die Indifferenz von Denken und Sein bei Schelling nicht einfach Identitiit von A als Denken und A als Sein, wie bei Spinoza, sondern sie ist bei ihm von A=A als Ausdruck des Denkens und A=A als Ausdruck des Seins3• Die Identitiit beider ist also eine Identitiit zweier gleicher Einheiten im Gegensatz von der Ununterschiedenheit der

Schelling nennt diese Identitiit der Einheiten Identitiit der Iden-titiit, die jenseits des Subjekt=Objekt postuliert ist. Die Identitiit ist hier weder synthetisch noch ist eine Einheit der anderen untergeordnetj sie und eben deswegen dieselben sind4•

1) IV, 304. VgI. II, 239. III, 407.

3) IV, 122. V, 63. 4) IV,134.

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609 Die Entwicklung des Gottesbegriffes bei Schellng

Die Identitat der Identitat ist der Schltissel des schellingschen Systems, wodurch es sich von der Ununterschiedlichkeit der Attribute in der Substanz von Spinozas System radikal unterscheidet. Die Iden-titat des Subjektiv=Objektiven ist tatig gedacht; sie ist ein Erkennen, dasunendlich real=ideal ist, also ein absolutes Erkennen; so ist also die absolute Identitat oder das Absolute ein Erkenntnisaktl, wahrend es bei Spinoza kein Erkennen, sondern ein unendliches Wirken gibt. Der ursprtingliche Gegensatz oder die Zweiheit verschwindet in der absoluten Identitat nicht, aber in Ansehung des Absoluten besteht zwischen diesen Faktoren kein Unterschied, weder quantitativ noch qualitativ. Diese Duplizitat in der Identitat und die Identitat in der Duplizitat ist der Kern des schellingschen Systems2 •

Nun hat Schelling kelnen Erkenntnisgrund des Absoluten aus der Erfahrung der objektiven Welt angenommen, wie Spinoza, sondern das Absolute hat einen Evolutionscharakter, es ist ein Prozess. Der Ubergang yom Absoluten zur wirklichen Welt geschieht bei Schelling durch die Differenzierung des Absoluten, namlich seine Offenbarung.

Mit der Differenzierung treten die Faktoren, Subjekt=Objekt, in Gegensatz. Zwischen ihnen besteht kein qualitativer Unterschied, da sie zwei gleiche Einheiten sind und also dem Wesen nach identisch, spndern nurein quantitativer und beide Faktoren existieren unter der Form der absoluten Identitat, die auf keinen Fall als solche aufgehoben werden kann3 • Dieses Ubergewicht des Subjekt=Objekts, namlich des einen tiber das andere, besteht nach Schelling nur in Hinblick auf das Endliche, keinswegs aber auf die Identitat; qualitativer Unterschied bestunde, wenn das Subjekt dem Objekt entgegengesetzt ware4•

. schied, da sie dieselbe Substanz, bald als denkende, bald als ausgedehnte, ausdrticken, wahrend sie quantitativ v511ig verschieden sind. Der quan-titative Unterschied des Subjekt=Objekts macht in der erscheinenden Welt den Charakter der Endlichkeit aus. Schelling bentitzt des Schema einer geraden Linie, urn den quantitativen Unterschied darzustellen. Der Mittelpunkt der Linie ist die absolute Indifferenz; in den Polen liegt das Ubergewicht des einen oder des anderen Faktors. Z. B. wenn

t A:=A die absolute Identitat bezeichnet, so haben wir A=B als das

1) II, 63. 239. 2) III,373. 3) IV, 119.

________t.)

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610 Demetrius 1. Krikonis

+ Ubergewicht des Idealen, der Subjektivitat, und A=B das Uberge-wicht des Realen, der Objektivitat.

+ A=B

_______________________________________1

Spinoza setzt die Heterogenitat der Attribute, und eben deswegen kann keines im anderen aufgehen. Schelling setzt umgekehrt die Ho-mogenitat, die wieder ihre Einheit im Absoluten begreift. Die Homo-genitat besteht hier nicht zwischen einem der beiden Faktoren zur Iden-titat, wie jedes Attribut Spinozas im Verhaltnis zur Substanz, sondern die Homogenitiit besteht zvtischen beiden Faktoren und ihrer Identi-tiit zusammen und jeder allein. Die Attribute, das Denken und die Aus-dehnung, gehen bei Spinoza parallel ohne Wechselwirkung. Bei Schel-ling gibt es eine differenzierte Identitiit mit dem Obergewicht des einen oder des anderen Faktors. Diese Ordnung setzt sich fur alle Einzelnen beider Faktoren fort. Schelling hat ausfUhrlich die Entwicklung beider Faktoren in der Naturphilosophie und im transzendentalen Idealismus behandeIt, wahrend bei Spinoza jede Entwicklung fehIt.

Der Grundunterschied zwischen Spinoza und Schelling in Bezug auf die Attribute oder Faktoren besteht darin, dass der letztere die Fa-ktoren nicht fur Attribute Gotte.:! oder des Absoluten gehalten hat, son-dern die Faktoren sind bei ihm Reihen komplementiirer Potenzen; daher kann das Identitiitssystem von Schelling nicht als spinozistisch angesehen werden.

Die niedrigsten Potenzen gehoren zur Materie, die das Uberge-wicht der Objektivitat bezeichnen, wiihrend die hOchsten Potenzen zum Geist gehoren. Zwischen Materie und Geist Hegen aIle sinnlichen Dinge

oder der Materie. Das Obergewicht des Geistes erzeugt die subjektive Reihe der Dinge, das der Materie die objektive. Die Modi Spinoza ent-sprechen der quantitativen Differenz von Schelling; durch das Ober-

die l\!IodiununtersuhNnnar-l:JtB"men,

3. Die Erkenntnis Gottes.

1) rv,137. 2) IV, 99.

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611 Die Entwicklung des Gottesbegriffes kei Schelling

nieht Gegenstand unseres Wissens sein, weB sie als das absolute Objekt bestimmt ist, wobei sie kein Subjekt neben sieh duldet1• Der. Spinozi-smus verlasst das theoretische Gebiet und lasst sich praktisch reali-sieren2• Spinoza fasst das Endliche als Sehranke des Unendliehen und zwischen Ihnen findet kein Vbergang statt, weder yom Unendlichen noch yom letzteren zum ersteren, sondern das Endliehe als Negation des Unendlichen soll sieh selbst im letzten erfassen; danaeh muss das Endliehe mit dem Unendlichen identiseh zu werden streben und in der Unendliehkeit des Absoluten unterzugehen versuchen.

Die praktisehe Forderung ist nach der spinozistisehen Auffas-sung die Selbstverniehtung des Subjekts, aber dieses ist ein Wider-spruch des spinozistisehen Systems, da bei ihm kein SUbjekt besteh t.

Die Forderung, dass das Endliche sieh selbst verlieren solle, heisst identisch mit dem absoluten Objekt zu werden. Die Verniehtung aber soUte nieht durch eigene Kausalitat stattfinden, sondern durch eine fremde, dureh die Kausalitat des Absoluten. Die endliehe Kausalitat ist nieht dem unendliehen Prinzip naeh verschieden, sondern den Sehran-ken naeh, aber sie bleibt unter der Herrsehaft der absoluten Kausali-tat.

Die Erhebung des endliehen Subjekts ZUlli Unendlichen und des-sen Identifizierung mit dem Absoluten hat Spinosa als die hOehste ab-solute Erkenntnis bezeiehnet und diese ist die letzte Stufe, die ein end-Hehes Wesen erreiehen kann3; diese Erkenntnis ist die Erkenntnis der intellektuellen Ansehauung4. Aus der inteIlektuellen Ansehauung Gottes entsteht die intelIektuelle Liebe Gottes, die Spinoza als die hohste Seligkeit bezeiehnet.

adaquate Erkenntnis ist, als gottliehes Attribut der unendliehen Sub-stanz gefasst, da sie eine Folge des Immanenenzverhaltnisses des menseh-lichen Geistes ist und damit der Modus des Denkens ist5• So fasst Spinoza die intellektuelle Anschauung als Selbstansehauung und be-hauptet, dass er mit dem Absoluten identiseh war und in der Unendlieh-keit des Absoluten verloren war, namlich er sehaute sieh selbst in ihm6•

In der Ansehauung des Absoluten hat Spinoza das emipirisehe Bewusst-

1) 1,333. 2) I, 306. 309, 339. 3) I,31? iL) Vgl. Spin. Eth. V, Lehrs. 25. 26. 2? 5) I,31? 6) 1,319.320.

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612 Demetrius 1. Krikonis

sein mit dem Absoluten verbunden; er hat beide vollig im absoluten Bewusstcin gesetztl. Die intellektuelle Anschauung nach Spinoza ist die QueUe aller Wahrheiten und Vollkommenheiten, wiihrend aus der Imagination, die die niedrigste Stufe der Erkenntnis ist, aIle Irrtiimer entstehen.

Schelling unterscheidet die Stufe der Erkenntnis bei Spinoza, aber er iiht keine Kritik ausserhalb der intellektuellen Anschauung in den philosophischen Briefenuber «Dogmatismus und Kritizismus». Die intellektuelle Anschauung oder die scientia intuitiva bei Spinoza als unmittelbare Gotteserkenntnis entspricht der intellektuellen Anschau-ung von Schelling, aber beide Philosophen haben die intellektuelle An-schauung anders verstanden. Dieses hiingt von der ihrer Systeme ab; beide sehen im Wesen der Dinge das Gottliche, aber sie unterscheiden sich, inwieweit das Gottliche sich erkennen liisst und wieweit es moglich ist, es zu bestimmen.

Schelling macht hier Spinoza den Vorwurf, dass er sich getiiuscht habe, dass er die Anschauung eines Subjekts ausser sich angenommen und so die Anschauung der inneren intellektuellen Welt als die An-schauung einer Welt ausser sich gehalten habj')2. Schelling schliesst sich in diesem Fall an Kants und Fichtes Gedankeniiber die Freiheit an, und heht die objektive Kausalitiit des Erkenntnis auf. «Nicht wir sind in der Anschauung der objektivenWelt, sondern sie ist in unserer An-schauung der objektiven Welt, sondern sie ist in unsere Anschauung verlorems. Daher tritt Schelling in Gegensatz zur spinozistischen Auf-fassung: Vernichte Dich;Sei, da sie aIle menschliche Freiheit aufhebt.

Wahrend Spinoza behauptet, dass er im absoluten Objekt ver-loren sei, nimmt Schelling andererseits die inteIlektuelle Anschauungals unmittelbare Erfahrung des Absoluten an, die durch die Freiheit her-

,",un""-,,, wird.«Diese Anschauung ist die innerste, eigenste Erfa-von

chen Welt wissen und glauben. Sie unterscheiden sich von jeder sinnli-chen Anschauung dadurch, dass sie nur durch Freiheit hervorgebracht und jeden andern fremd und unbekannt ist, dessen Freiheit, von der

gung des Bewusstseins hinreicht4•

2) I, 320. 321. 3) I,319. 4,) I, 318. Vgl. III, 369. VI, 151. 155.

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bie Entwicklung des Gottesbegritfes bei Schelling 613

Ed. v. Hartmann meint, dass Schelling seine intellektuelle AnM •

schauung von Spinoza entliehen hat;l dieses ist insofern wahr, als der Charakter der intellektuellen Anschauung die Unmittelbarkeit der Er-kenntnis ist. Schelling folgt der Alexandrinischen Schule in Bezug auf die Erkenntnis des Absoluten und greift besonders Philon und Plotin an; Plotin nahm die Seligkeit des Menschen in seiner vollkommensten Erhebung zum Absoluten an. Nikolaus von Kues und Jordano Bruno behaupten auch eine unmittelbare Erkenntnis Gottes, der erst ere eine intuitio intellektuallis, der letztere eine Species intelligibilis. Schelling hatte alle dies en Philosophen vor Augen, aber seine intellektuelle An-schauung ist besonders durch Fichte bestimmt, weil sie eine produktive Anschauung ist und durch einen Akt ohne empirischen Bestimmungen entsteht2•

Ausserdem ist die intelIektuelle Anschauung bei Schelling die ab-solute Form des Absoluten; sie ist die Identitat von Form und Wesen, wodurch das Absolute sich selbst verwirklicht. Durch diesen Unter-schied der Form, der Einheit des Denkens und des Seins, als Vernunft-anschauung, und ausserdem durch den Charakter der Produktivitat unterscheidet sich die intellektuelle Anschauung Schellings von der Spinozas3 .

Die intellektuelle Anschauung hat keinen ausseren Gegenstand und Schelling unterscheidet sie dadurch von der empirischen Anschau-ung, dass sie dann eintritt, wenn der sinnliche Gegenstand zu sein auf-hort; dann ist das anschauende Selbst mit dem Angeschauten identisch. In der intellektuellen Anschauung verschwindet die Zeit und die abso-lute Ewigkeit tritt in uns ein4• Die intellektuelle Anschauung bei Schel-. (', .. Mystik von Eckeharts und Bohme erinnert; Richard Kroner hat nicht Recht, wenn er behauptet, dass die intellektuelle Anschauung bei Schel-ling nur asthetisch gemeint ist 5•

Doch stimmen beide Philosophen in vielen Hinsichten uberein: Beide haben das Absolute als Prinzip der Philosophie, das selbst der Gegenstand der Erkenntnis ist. Die Erkenntnis des Absoluten ist fur beide unmittelbar die intellektuelle Anschauung; aIle andere Erkennt-

1) S.8. 2) I, 318. III, 369. 3) III, 369. IV 325. VI, 153. 4) 1,319. 5) Von Kant bis Hegel, 1929. II, S. 43H.

...____ 40

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bemetrius t krlkonis

nis ist mittelbarl. Die unmittelbare Erkenntnis der intellektuellen An-schauung ist weder synthetisch noch an alytisch, sondern spekulativ, sowohl fUr Spinoza als auch fUr Schelling. Sie umfassen nicht das ein-zelne Ding ala aolches, sondern unter der Form der Totalitat und der Absolutheit. Synthesis und Analysis fallen in der empirischen Welt des Besonderen zusammen, wahrend die Spekulation das Ganze um-fasst. Die Wissenschaft hat auch nach Schelling insofern Wert, ala sie spekulativ ist2• Die Gewissheit ala hochste Evidenz der Erkenntnia ist fUr beide dieselbe und von ihr geht aIle philosophische Evidenz aus3•

Die Erkenntnis der intellektuellen Anachauung oder Intuition geht fiber die ainnlichen Erfahrung hinaus, die nur empirische Gegen-stande hat und innerhalb der geschaffenen Natur bleibt4• Was das Ziel des endlichen Wesen anbelangt, so stimmen beide Philosophen fiber-ein, dass die Vereinigung mit Gott die Seligkeit ist.

Spinoza behauptet, dass die acientia Intuition allen Menschen zu-ganglich sei und allgemein Geltung habe; sie ist adaquate Erkenntnis. Die inteIlektuelle Anschauung ist auch bei Schelling adaquate Erkenntis, aber sie wird nicht von allen Menschen besessen; Schelling sagt, wie nicht alle Menschen das Talent zur Poesie haben, so konnen sie es auch nicht zur Philosophie haben. Die intellektuelle Anschauung ist hier ala das unveranderliche Organ alles transzendentalen Denkens und ohne dieses kann man nicht philosophieren5• Diese Unterscheidung macht Schelling nur in Bezug auf die theoretische Philosophie, wahrend er in der praktische Philosophie angenommen hat, dass aUe Menschen mit Gott vereinigt werden konnen. «Das Prinzip der absoluten Erkenntnis ist dasjenige von der Seele, wodurch sich selbst in Gott ist, das Prinzip der intellektuellen Anschauung, wodurch sie Gott in Gott schaut. Der intelIektuellen Anschauung Gottes ist daher jede vernunftige Seele fahig)}6.

tertii generi als die adaquate Erkenntnis an, sondern auch die Ratio (Vernunft) oder Cognitio aecundi generis, aber die scientia intuitiva geht fiber die Ratio hinaus7• Die Erkenntnis der Ratio oder der zweiten

1) VI,151. 2) IV, 362. VII, 15.8. 3) IV, 369. 4) IV, 371.

6) VI, 561. Vgl. 562. 7) VgL Spin. Eth. II, Lehrs. 40. Anmerkung I. II. Lehrs. 41. 48.

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· Die Entwicklung des GottBsbegriffes hei Schelling

Gattung entspricht der Reflexion bei Schelling, aber er nimmt sie nicht als unmittelbare Erkenntnis an, weil sie auf der Entgegensetzung des Denkens und des Seins beruht, d. h. discursive Erkenntnis ist. {,Ober-haupt also als absolutes Erkennen kann nur ein solches gedacht werden, in welchem Denken und Sein selbst nicht entgegengesetzt, von wel-chern beide selbst nur die in der Reflexion oder dem Verstande ge-trennten, in ihn selbst aber absolut ungetrennten, vollig gleichen For-men sind)l.

1m Gegensatz aber zu Spinoza nimmt Schelling an, dass das empi_ rische Bewusstsein keinswegs durch Gemeinschaft und Verbindung mit dem Absoluten zu sein aufhort, sondern er bleibt in der Einheit mit dem Absoluten, wahrend Spinoza es davon ausgeschlossen hat und nur das absolute Bewusstsein gelten liess2•

Schliesslich hat sowohl Spinoza als auch Schelling die empirische Fahigkeit verworfen, urn das Absolute zu erkennen.

(Fortsetzung folgt)

1) IV, 366. 367. Vgl. IV, 300. Spin. Eth. II, Lehrs. 40. Anmerkung 2. II. Lems. 41. 44.

I, 315. 316. 321,_ IV, 354, 355.