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Arne Zerbst SCHELLING UND DIE BILDENDE KUNST

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Arne Zerbst

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Arne Zerbst

SCHELLING UND DIE

BILDENDE KUNSTZum Verhältnis von

kunstphilosophischem System und konkreter Werkkenntnis

Wilhelm Fink

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Gefördert von der Internationalen Schelling-Gesellschaft und der

Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

Umschlagabbildungen:Guido Reni: Die Himmelfahrt Mariae, vollendet 1642

Raff ael: Sacra conversazione (Sixtinische Madonna), 1512/1513

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Meinen Eltern

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INHALT

9 VORBEMERKUNG

11 EINLEITUNG

25 AUFTAKT 25 Zwei Briefe an die Eltern, 1796 59 Der „Dresden“-Brief, 1798

69 HAUPTSTÜCK 69 „Philosophie der Kunst“, 1802/1803 und 1804/1805235 „Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur“, 1807

253 NACHKLANG253 Die „Th orvaldsen“-Briefe, 1811258 „Kunstgeschichtliche Anmerkungen zu Johann Martin Wagners

Bericht über die Aeginetischen Bildwerke“, 1817

263 SYNOPSE

267 BIBLIOGRAPHIE

323 KATALOG

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VORBEMERKUNG

„Die philosophische Beschäftigung mit der Kunst ist frei zu halten von den Zumu-tungen empirisch-positiven Wissens über Kunstwerke“ sagen die Philosophen. „Die abgehobene philosophische Spekulation läßt nichts wissen über die histori-sche Verortung der Kunstwerke“ erwidern die Kunsthistoriker. Tertium datur. Es gibt den hohen Anspruch, philosophische Spekulationen an die konkrete Kunst-geschichte zu binden und über die genaue Analyse der Werke ins Denken zu gelangen. Das System ordnet die Werke und gleichzeitig erläutert und beeinfl ußt das konkrete Kunstwerk die endgültige Gestalt des Denkens. Kriterium des Gelingens einer solchen Ästhetik kann somit die Frage sein, wie sehr sie vermag, den behandelten Kunstwerken auch in ihrer überlieferten Materialität gerecht zu werden. Auf der anderen Seite darf das kunsthistorische Faktenwissen die philoso-phische Originalität nicht niederdrücken und die gedankliche Tiefenschärfe nicht im Nebel der vereinzelten Werkkenntnis verschwinden lassen. Die Kunst ist kein beliebiger Gegenstand. Gerechtigkeit der Philosophie gegenüber der Kunst und Gerechtigkeit der Kunst gegenüber der Philosophie. Die Philosophie ist gewiß kei-ne beliebige Methode.

Friedrich Wilhelm Joseph Schellings „Philosophie der Kunst“ stellt den ersten Versuch dar, eine solche wechselseitige Durchdringung zu vollziehen. Zuvor gab es entweder auf historische Einordnung des Einzelwerks gerichtete Kunstbeschrei-bungen ohne nennenswerten spekulativen Esprit oder philosophische Systeme ohne substantiellen Bezug zu konkreten Werken. Diese Sonderstellung innerhalb der Geschichte der Ästhetik erwächst aus Schellings prinzipieller Hochschätzung der Kunst. Erst aus dem Gedanken der hierarchischen Gleichsetzung von Philoso-phie und Kunst kann ein Werk der Kunstphilosophie erwachsen, welches in sich selbst diese Gleichheit umzusetzen willens und in der Lage ist. Die Gleichberech-tigung von Philosophie und Kunst nimmt folglich auch die vorliegende Untersu-chung in die interdisziplinäre Pfl icht, dem die Ästhetik grundsätzlich bestimmen-den Verhältnis von konkreter Werkkenntnis und philosophischer Systematik am Beispiel Schellings nachzuspüren. Da allerdings die bisherige Forschung fast aus-schließlich zu Schellings philosophischer Spekulation und Systematik Stellung nimmt, soll hier erstmals der Versuch unternommen werden, neben der philoso-phischen zusätzlich die konkrete Seite, also die kunstgeschichtliche Dimension seiner Kunstphilosophie in den Blick zu nehmen. Dazu gehört zunächst die nicht immer gegebene Identifi kation der Werke nach dem heutigen kunsthistorischen, respektive archäologischen Kenntnisstand und freilich auch die Sammlung von Hinweisen auf Schellings Autopsie und auf zeitgenössische Literatur, welche ihm sicher oder möglicherweise bekannt war. Die Arbeit beschränkt sich in ihrem Kern somit bewußt auf die Frage, was es aus dem historischen Horizont positiv über die in Schellings kunstphilosophischen Schriften erwähnten Werke zu wis-

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10 VORBEMERKUNG

sen gibt. Darüber hinausweisende Aspekte, wie etwa die europäische Ausdehnung des Rezeptionsverlaufs oder die Frage der Anwendbarkeit Schellingscher Katego-rien auf die bildende Kunst der Gegenwart bleiben ebenso bewußt ausgespart.

Mein Dank für die herzliche Unterstützung bei diesem Unternehmen auf wei-tem Feld gilt zunächst und vor allem Professor Dr. Dr. Claus-Artur Scheier. Er hat mich über seinen Hinweis auf die Rede „Ueber das Verhältniß der bildenden Kün-ste zu der Natur“ zu Schelling gebracht und meinen weiteren Weg in die Tiefen und aus den Abgründen der Kunstphilosophie mit Rat und Tat begleitet. Über-dies führte er mich ein in den anregenden Kreis der „Internationalen Schelling-Gesellschaft“, deren Veranstaltungen und Gesprächsrunden meine Auseinander-setzung mit Schelling bis heute nachhaltig prägen. Stellvertretend möchte ich den Präsidenten dieser Institution danken, welche ich bei diesen Gelegenheiten ken-nenlernen durfte: dem zu früh verstorbenen Professor Dr. Hans Michael Baum-gartner, Professor Dr. Willi G. Jacobs und Professor Dr. Jörg Jantzen. Besonders der kunstbegeisterte Jörg Janzten nahm sich meiner an und ermutigte mich immer wieder zur Vollendung der vorliegenden Arbeit.

Außerdem danke ich auch Professor Dr. Hannes Böhringer, der mir die Türen öff nete zur anregenden Atmosphäre einer Kunsthochschule. Etliche Begegnungen mit Künstlern gaben mir – vor allem im Zuge vielfach bestrittener Diplomprü-fungen im Fach Freie Kunst – einen tiefen Einblick in die gegenwärtige Bedeu-tung des Verhältnisses von Kunst und Philosophie. Besonders gefreut hat mich überdies die anteilnehmende Durchsicht der vorliegenden Untersuchung durch Professor Dr. Gregor Wedekind. Seine Anmerkungen aus kunsthistorischer Sicht waren mir überaus wertvoll.

Über die Genannten hinaus habe ich liebenswürdige Ermahnungen zur Voll-endung dieses Buches ebenso erhalten wie persönlichen Zuspruch von Nikolas Wiesner, Sven Künne, Tobias Henkel und Privatdozent Dr. Cord-Friedrich Berg-hahn.

Schließlich danke ich – für alles – meiner Frau Britta Stinn.

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EINLEITUNG

Für die gesamteuropäische Geschichte der Ästhetik ist die Zeit um 1800 in Deutschland von entscheidender Bedeutung. Im Spannungsgefüge des Übergangs von Klassik und Romantik treff en herausragende Gestalten der Geistesgeschichte auch an räumlichen Kumulationspunkten zusammen. So sind es die Weimarer Klassiker Wieland, Goethe und Herder, die besonders über Schiller in unmittel-baren, zugleich anziehenden und abstoßenden Kontakt zu den Jenaer Frühroman-tikern geraten. Zu den wesentlichen Köpfen der nahen Universitätsstadt gehören Fichte, Hegel, Hölderlin, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Tieck, Novalis und mitten unter ihnen eben Schelling, der 1798 durch den Einsatz Goethes drei-undzwanzigjährig als außerordentlicher Professor für Philosophie nach Jena gelangt, wo er bis 1803 seiner sehr erfolgreichen Lehrtätigkeit nachgeht. Der Blick auf das eigentliche Gebiet der vorliegenden Untersuchung, auf die Kunstphiloso-phie, läßt die Werke von Johann Joseph Görres (1802 entstehen die „Aphorismen über die Kunst“) und Johann August Eberhard (sein „Handbuch der Ästhetik für gebildete Leser aus allen Ständen“ erscheint ab 1803) hervorscheinen. Hinzudeu-ten ist auch auf Johann Heinrich Füsslis 1801 veröff entlichte „Lectures on Pain-ting“, welche bereits zwei Jahre später in der deutschen Übersetzung von Johann Joachim Eschenburg unter dem Titel „Vorlesungen über die Malerei“ publiziert werden.1 Unmittelbare Bedeutung für Schelling haben Friedrich Schlegels Aufsät-ze „Vom Raphael“ und „Nachricht von den Gemählden in Paris“, welche dieser in der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift „Europa“ 1803 erscheinen läßt. Gar nicht zu überschätzen ist schließlich der Einfl uß der Vorlesungen „Ueber schöne Litteratur und Kunst“, die August Wilhelm Schlegel zwischen 1801 und 1804 in Berlin hält.

Der hiermit freilich nur schemenhaft angedeutete Zeithorizont dieser so über-aus fruchtbaren Phase innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Ästhetik wird die Folie bilden, vor der vorliegende Schrift die Schellingsche Position herausar-beiten soll. Es ist die spezifi sche Stimmung dieses historischen Horizontes, die einer gespannten Sensibilität und leidenschaftlichen Empfänglichkeit für Werke der Kunst die Ausgangsbasis bietet.

Im Zentrum jeder ausführlichen Beschäftigung mit der Kunstphilosophie Schellings stehen die beiden Werke, welche sich ausschließlich ästhetischen Aspek-ten widmen: die 1802/1803 in Jena gehaltene und 1804/1805 auf dem neu ange-tretenen Lehrstuhl in Würzburg wiederholte Vorlesung „Philosophie der Kunst“ sowie die 1807 vorgetragene Rede „Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur“. Eine zweite Gruppe von Werken, welche sich kunstphilosophischen Problemen nur passagenweise zuwendet, ist geeignet, die Entwicklung des ästhe-

1 Füssli, Vorlesungen. Vgl. dazu Bungarten 2005.

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12 EINLEITUNG

tischen Gedankens Schellings über einen größeren Zeitraum synoptisch zu verfol-gen. Zu diesen zahlreichen kurzen Texten, die einen solchen Aufriß von Schellings Kunstphilosophie erlauben, gehören vor allem die 1795 publizierten „Philosophi-schen Briefe über Dogmatismus und Kritizismus“,2 das „System des transzen-dentalen Idealismus“ von 18003 und die 1842 einzuordnende „Philosophie der Mythologie“.4 Besondere Bedeutung kommt dem Dialog „Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge. Ein Gespräch“5 zu, da er in unmittel-barer zeitlicher Nachbarschaft der „Philosophie der Kunst“ 1802 entsteht. Zur Abrundung dieses Gesamtüberblicks seien schließlich einige derjenigen Schriften genannt, die aus der Tätigkeit Schellings als erster Generalsekretär der neugegrün-deten Akademie der Bildenden Künste in München (1808-1821) und als General-konservator der wissenschaftlichen Sammlungen (1827-1841) erwachsen. Darun-ter befi nden sich etwa: „Konstitution der Königlichen Akademie der bildenden Künste“, 1808,6 „Kunstgeschichtliche Anmerkungen zu Johann Martin Wagners Bericht über die Aeginetischen Bildwerke“, 1817,7 und „Über die Bedeutung eines der neu entdeckten Wandgemälde von Pompeji“, 1833.8

Mit Blick auf die Frage nach dem Verhältnis von Werkkenntnis und identitäts-philosophischer Systematik will die vorliegende Arbeit aus der Fülle der Texte zur Kunst einige beispielhaft auswählen, die Schellings konkrete Kunstanschauung spiegeln. So zeigt der „Auftakt“ diesen Weg zur „Philosophie der Kunst“ und ein „Nachklang“ sammelt paradigmatische Belege für Schellings späte Beschäftigung mit konkreter Kunst. Von den frühen Belegen (1796) bis zu späteren Auskünften (1817) kann dabei eine zwei Jahrzehnte währende Zeitspanne dokumentiert wer-den.9 Diese Pfade hinauf und hinab weisen die „Philosophie der Kunst“ als Mittel-

2 Schelling wird nach folgender Ausgabe mit der Sigle SW zitiert: Friedrich Wilhelm Joseph Schellings sämmtliche Werke, 14 Bde., hg. v. Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart / Augsburg 1856-1861. Danach stehen römische Ziffern für Bandangaben (dabei werden die Bände der zweiten Abteilung als XI-XIV gezählt) und arabische für Seitenzahlen. Nach Möglichkeit und Bedarf erfolgt unter der Sigle AA auch der Beleg nach der Historisch-kriti-schen Ausgabe (allerdings ohne textkritische Zeichen). Zu weiteren Siglen und Kurztiteln vgl. die Bibliographie. SW I, S. 281-341 (AA I, 3, S. 49-112), bes. der 10. und letzte Brief, S. 336-341. Am Ende seiner Diskussion des Kritizismus (Kant, Fichte) und des Dogmatis-mus (Spinoza) faßt bereits der zwanzigjährige Schelling den kunstphilosophisch richtungs-weisenden Gedanken, daß es in der Kunst zur Einheit von Subjekt und Objekt, von Frei-heit und Notwendigkeit kommt.

3 SW III, S. 327-634 (bes. der 5. u. 6. Hauptabschnitt, S. 612-629), vgl. auch AA I, 9. 4 „Erstes Buch. Historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie“ (1842):

SW XI, S. 47-66 (3. Vorl.), S. 239-243 (10. Vorl.); „Philosophie der Mythologie“ (1842): SW XII, S. 650-660 (28. Vorl.).

5 SW IV, S. 213-332. Vgl. auch Bruno. 6 Rariora, S. 311-337. Vgl. Jacobs 2002 u. Sziborsky 1986. 7 SW IX, S. 111-206. 8 SW XII, S. 675-685. 9 Und auch im hohen Alter verhält es sich nicht anders: Zahlreiche Dokumente weisen auf

Schellings lebenslange Beschäftigung mit der Kunst hin. Das Tagebuch von 1846 etwa ent-

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13EINLEITUNG

und Höhepunkt der Untersuchung aus. Die Rede „Ueber das Verhältniß der bil-denden Künste zu der Natur“ stellt die Verdichtung und Überhöhung der gewon-nenen Gedanken dar – und könnte, um im Bild des erklommenen Berges zu blei-ben, als Hissen der Gipfelfahne angesehen werden.

Methodisch hat sich in diesem Hauptteil ein paraphrasierendes Denken nahe-gelegt, da es für den Aufweis des Zusammenhangs von Schellings systematischer Gesamtkonzeption und seiner konkreten Werkkenntnis den höchsten Erkennt-nisgewinn verspricht, die Erwähnungen der Kunstwerke aus dem Kontext des Gedankengangs zu interpretieren. Nur der präzise nachgezeichnete Gang des jeweiligen Gedankens erlaubt es, das feingliedrige terminologische Gerüst der Schellingschen Kunstphilosophie so durchsichtig zu machen, daß sich eine voll-ständige Gesamtschau des Verhältnisses von konkreter Werkkenntnis und syste-matischem Anspruch gewinnen läßt. An detaillierte Analysen der einleitenden, den grundlegenden Anfang des Gedankens off enbarende Passagen schließt sich eine übergreifend-zusammenfassende Betrachtung des Textes an, welche immer dort innehält, wo Schelling Künstler und konkrete Kunstwerke erwähnt. Deshalb liegt das Hauptgewicht auf der „Construktion der Malerei“,10 da dort die Frage nach dem Verhältnis von konkreter Kunst und Systematik am deutlichsten beant-wortet werden kann. So geht die Untersuchung davon aus, daß die speziellen Fra-gen der bildenden Kunst bei Schelling nur im Zusammenhang des Gedanken-gangs einem Klärungsversuch unterworfen werden sollten, zumal sein Denken generell nicht bei systematischen Errungenschaften verharrt, sondern stets in frei-er Bewegung bleibt. Diese durch Paraphrasierung gewonnene Verortung versteht sich als Methode auch gegen die in der zeitgenössischen philosophischen Literatur allzu oft anzutreff ende Mentalität, die Geschichte der überlieferten Texte bloß als Selbstbedienungsladen für möglichst originelle Stichworte zu mißbrauchen.

Grundlage für Text- und Seitenangaben ist die Ausgabe: Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings sämmtliche Werke, 14 Bde., hg. v. Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart / Augsburg 1856-1861. Seitenangaben ohne nähere Bezeich-nung entstammen der „Philosophie der Kunst“ (SW V, S. 353-737). Zitatangaben aus der Rede „Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur“ (SW VII, S. 289-329) werden durch die Bezeichnung „Rede“ vor der Seitenangabe kennt-lich gemacht. Wörtliche Zitate erfolgen generell ohne die Hervorhebungen im Original (Sperrungen, Fettdruck, Kursivsetzungen, abweichende Drucktypen), mit einfachem Bindestrich statt doppeltem, mit der Wiedergabe eines e über Vokalen als Umlaut und mit editorischen Anmerkungen in eckigen Klammern.

hält umfangreiche Notizen über Kunstwerke, derer Schelling auf einer Reise nach Belgien, in die Niederlande und in das Rheinland ansichtig wurde (Tagebuch 1846, bes. S. 123/124). Es wird deutlich, daß Schelling mit vielen Künstlern und Kunstkennern Umgang pflegte und immer wieder ist von beglückenden Museumsbesuchen die Rede (vgl. ibid., S. 125). Eine Besonderheit stellt schließlich das Lob der niederländischen Meister dar, deren Werke in der „Philosophie der Kunst“ abfällig beurteilt werden.

10 SW V, S. 505-569.

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14 EINLEITUNG

Zitate aus der „Philosophie der Kunst“, der 14. Vorlesung der „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums“ und der Rede „Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur“ werden in Klammern direkt hinter dem Text nachgewiesen. Der Vorgabe einer präzisen Analyse des Gedankengangs entspre-chend, erfolgt dabei auch die Nennung des Absatzes und gegebenenfalls des Para-graphen. Folgen Zitate aus derselben Belegstelle, so erhalten sie keinen eigenen Nachweis.11 Aus dieser Behandlung des Werkes auf dem zugewiesenen Niveau eines Gesetzestextes ergibt sich sowohl die genaueste Auffi ndbarkeit als auch der sofortige Aufschluß über den gedanklichen Ort des Zitats.

FORSCHUNGSBERICHT

Der historische Horizont vorliegender Untersuchung erstreckt sich politisch von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß, umfaßt literarisch-künst-lerisch betrachtet die Epochen Klassik, respektive Klassizismus und Romantik und ist denkgeschichtlich zu bestimmen als Zeit des Deutschen Idealismus oder besser der klassischen deutschen Philosophie. Dieses weite Feld geschichtlicher Bezüge soll zwar nicht eigens dargestellt werden, bildet aber den Hintergrund für die Überlegungen zu Schellings Kunstphilosophie. Besonders aufschlußreich zur übergeordneten Erkundung des historischen Horizontes haben sich dabei folgen-de Werke erwiesen: Konzentrierte Auskünfte über die politische Situation in Deutschland zur fraglichen Zeit gewährt der Band „Reich, Reformen und sozialer Wandel. 1763-1806“ von Walter Demel innerhalb des „Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte“.12 Eine dankenswerte Ergänzung bietet die ebenfalls von Walter Demel zusammen mit Uwe Puschner herausgegebene Quellensammlung „Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß. 1789-1815“ der Rei-he „Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung“.13 Sehr breit angelegt zeigt sich das vom Epochenbegriff der Romantik ausgehende, die europäische Dimen-sion berücksichtigende und von Helmut Schanze herausgegebene „Romantik-Handbuch“.14 Eine Deutung der Grundstimmung dieser Aufbruchszeit um 1800 unternimmt Th eodore Ziolkowski mit seinem Buch „Vorboten der Moderne. Eine Kulturgeschichte der Frühromantik“.15 Noch stärker auf den Bereich der Literatur konzentrieren sich Lothar Pikulik („Frühromantik. Epoche – Werke – Wirkung“)16 und Gerhard Schulz („Die Deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration“).17

11 Dies gilt ebenfalls für die Nachweise aus sämtlichen anderen Schriften. 12 Demel 2005. 13 Demel / Puschner 1995. 14 Schanze 1994. 15 Ziolkowski 2006. 16 Pikulik 2000. 17 Schulz 1989 u. Schulz 2000.

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15FORSCHUNGSBERICHT

In bezug auf die Verortung Schellings im Zeithorizont der bildenden Kunst haben sich aus jüngerer Zeit drei Werke als besonders ergiebig erwiesen: Norbert Wolfs „Klassizismus und Romantik“,18 der dritte Band der „Geschichte der deut-schen Kunst“ von Heinrich Klotz mit dem Titel „Neuzeit und Moderne. 1750-2000“19 und das von Andreas Beyer herausgegebene Werk „Klassik und Roman-tik“20 innerhalb der umfangreichen „Geschichte der bildenden Kunst in Deutsch-land“.

Eine erste Orientierung auf dem Gebiet der Philosophie gibt Gerhard Gamms „Der Deutsche Idealismus. Eine Einführung in die Philosophie von Fichte, Hegel und Schelling“21 und das „Handbuch Deutscher Idealismus“, herausgegeben von Hans Jörg Sandkühler.22 Fragen zur Kunstphilosophie und Ästhetik um 1800 beantwortet vorzüglich der von Walter Jaeschke herausgegebene Sammelband „Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795-1805)“ innerhalb der „Philoso-phisch-literarischen Streitsachen“.23 Kürzlich widmete sich auch das „Internatio-nale Jahrbuch des Deutschen Idealismus“ dem Th ema „Ästhetik und Philosophie der Kunst“.24 Besonders hilfreich zur Erkundung kunsttheoretischer Zusammen-hänge an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert erwiesen sich ebenfalls die hervorragend zusammengestellten und kommentierten Quellenschriften der um-fangreichen Bände „Frühklassizismus“,25 „Klassik und Klassizismus“26 und „Romantische Kunstlehre“27 aus der Reihe „Bibliothek der Kunstliteratur“.

Eine ambitionierte Darstellung Schellings innerhalb der Geschichte der Kunst-theorie stammt von Regine Prange: „Die Geburt der Kunstgeschichte. Philosophi-sche Ästhetik und empirische Wissenschaft“.28 Der Untertitel macht bereits deut-lich, daß sich die Autorin zwar nicht in bezug auf Schelling aber auf übergeordne-ter geschichtlicher Ebene demselben Verhältnis von konkreter Werkkenntnis und philosophischer Systematik widmet, wie die vorliegende Untersuchung. Schelling nimmt bei Prange eine zentrale Stellung an der Schnittstelle von Philo-sophie und Kunstgeschichte ein und eine ihrer Kernthesen lautet, „dass vor allem Schellings romantische Aneignung von Winckelmanns archäologischer Schön-heitslehre wirksam war für die theoretische Begründung der Kunstgeschichte, während sie Hegels historischer Deutung der Kunst ausgewichen ist.“29 So gibt dieses Werk auch Auskunft über die explizite und implizite Rezeption von Moti-

18 Wolf 2002. 19 Klotz 2000. 20 Beyer 2006. 21 Gamm 1997. 22 Sandkühler 2005. 23 Jaeschke 1999. 24 Ameriks / Stolzenberg 2007. 25 Pfotenhauer 1995. 26 Pfotenhauer / Sprengel 1995. 27 Apel 1992. 28 Prange 2004. 29 Ibid., S. 9/10.

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16 EINLEITUNG

ven der Schellingschen Kunstphilosophie innerhalb der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. Freilich stößt Prange dabei nicht bis zu den hier versuchten Detail-analysen vor, welche das Verhältnis von konkreter Kunst und theoretischer Durch-dringung am Text selbst aufweisen.

Neben der speziellen Fachliteratur zu einzelnen Kunstwerken haben sich fol-gende drei Lexika30 bei der Aufgabe bewährt, erstmals stichhaltige kunsthistori-sche und archäologische Angaben über die von Schelling erwähnten Werke zu bündeln: Der zwischen 1996 und 2003 von Hubert Cancik und Helmuth Schnei-der herausgegebene „Neue Pauly“31 ebenso wie das weltweit umfangreichste allge-meine Kunstlexikon „Th e Dictionary of Art“32 von 1996 und das 2001 und 2004 durch Rainer Vollkommer besorgte „Künstlerlexikon der Antike“.33 Mit Francis Haskells und Nicholas Pennys „Taste and the Antique. Th e Lure of Classical Sculpture. 1500-1900“34 sei schließlich auf das lexikonähnliche Standardwerk zur klassischen Skulptur und ihrer Rezeption verwiesen.

Nach der Nennung neuerer Literatur zum historischen Horizont und zur allge-meinen Kunstgeschichte und klassischen Archäologie sind nun einige Werke der spezifi schen Schelling-Forschung vorzustellen. Zwischen Kants „Kritik der Ur-teilskraft“ und Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“ nimmt Schellings Kunst-philosophie eine zentrale Stellung innerhalb der idealistischen Ästhetik ein. Ent-gegen dieser Bedeutung ist Schelling im Vergleich zu Kant und Hegel bisher geringere Aufmerksamkeit zuteil geworden. Aber auch wenn die Kunstphiloso-phie Schellings noch keine ‚Flut‘ an Sekundärliteratur nach sich gezogen hat, so ist die Fülle des Materials doch umfangreicher, als daß sie vollständig in diesem Forschungsbericht dargestellt werden könnte. Folglich fi nden vor allem Werke Berücksichtigung, die sich monographisch mit der Kunstphilosophie beschäfti-gen oder ihr wesentliche Kapitel widmen. Aufsätze sind dann erwähnt, wenn sie den spezifi schen Gegenstand dieser Untersuchung berühren, nämlich Schellings Umgang mit Werken der bildenden Kunst im Kontext seines philosophischen Systems. Trotz der notwendigen Auswahl können so die entscheidenden Wegmar-ken der bisherigen Rezeptionsgeschichte abgeschritten werden. Dabei gilt, was schon Heidegger ermahnend an den Anfang seiner Freiburger Schelling-Vorlesung im Sommersemester 1936 stellte: „Das Neueste ist auch in der Wissenschaft nicht immer das Beste, und es ist der Tod der Wissenschaft, wenn sie ihre große Über-lieferung verliert.“35

Schon früh setzt die spezifi sche Auseinandersetzung mit Schellings Kunstphi-losophie ein. Dies zeigt etwa der 1827 erschienene erste Band der „Italienischen Forschungen“ des mit Schelling befreundeten Kunsthistorikers Karl Friedrich von

30 Diese werden in den Literaturangaben nicht mehr explizit genannt. 31 Cancik / Schneider 1996-2004. 32 Turner 1996. 33 Vollkommer 2001/2004. 34 Haskell / Penny 1981. 35 Heidegger 1936, S. 13/14.

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17FORSCHUNGSBERICHT

Rumohr, welcher sich stark an die oft zitierte „Philosophie der Kunst“ anlehnt.36 Die umfangreiche Gesamtwürdigung Schellings durch die von Karl Rosenkranz im Sommer 1842 an der Universität zu Königsberg gehaltenen Vorlesungen be-zieht auch die wesentlichen kunstphilosophischen Werke mit ein.37 Diesen Ansatz einer großangelegten Überblicksdarstellung nimmt Max Adams Werk „Schellings Kunstphilosophie. Die Begründung des idealistischen Prinzips in der modernen Ästhetik“ von 190738 auf und fokussiert ihn auf Schellings Schriften zur Kunst, so daß er den Gedankengang durch die verschiedenen Schaff ensperioden hindurch verfolgen kann. Dabei schreiten die Kapitel konsequent von Werk zu Werk fort und nehmen neben den einschlägigen kunstphilosophischen Texten auch noch Schellings Schriften nach der Rede „Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur“ in den Blick.

Die monographische Auseinandersetzung mit Schellings Kunstphilosophie bekommt in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts einen deutlichen Schub. Als Einleitung in die neuere Auseinandersetzung läßt sich der umfangreiche Aufsatz Lorenz Dittmanns über „Schellings Philosophie der bildenden Kunst“ von 1963 verstehen.39 Diese systematische Darstellung interpretiert die identitätsphiloso-phische Kunstphilosophie aus ihrer Anknüpfung an die Natur- und Transzen-dentalphilosophie und betont dabei ihre historische Besonderheit: „Es ist das erste und einzige Mal in der Geschichte der Philosophie, daß nicht ‚über‘ Kunst philo-sophiert wird, daß Philosophie sich nicht über die Kunst erhebt.“40 Gleichzeitig stellt Dittmann die Überleitung der Kunstphilosophie zur Freiheitsschrift und zur Spätphilosophie Schellings dar. Im Zusammenhang dieser Wirkungsfrage läßt sich der Autor auch zu Schelling ergänzenden Spekulationen hinreißen, wenn er schreibt: „Bringt man seine Kunstphilosophie vor das in der Freiheitsschrift neu aufgeworfene Problem, so läßt sich dies festhalten: Kunst, geboren aus der Kraft der Natur und des Geistes, hat teil am dunklen Grund der Existenz und muß ihn überwinden.“41 Obwohl der Aufsatztitel diese Hoff nung schürt, fehlt in Ditt-manns Darstellung ein Bezug auf konkrete Kunstwerke völlig.

Die auf das „System des transzendentalen Idealismus“ konzentrierte Schrift „Die Kunst in der Philosophie“ von Dieter Jähnig42 gehört bis heute zum unhin-tergehbaren Standard. Der erste Band wird 1966 unter dem Titel „Schellings Begründung von Natur und Geschichte“ publiziert, der zweite, „Die Wahr-heitsfunktion der Kunst“, folgt 1969. Hier fi nden sich auch erstmals nähere Er-läuterungen zu konkreten Kunstwerken, welche Schelling erwähnt. Allerdings

36 Rumohr 1827, bes. S. 13 u. 51. Vgl. dazu Prange 2004, S. 111-113 u. Waetzoldt 1986, Bd. 1, S. 292-318.

37 Rosenkranz 1843. 38 Adam 1907. Vgl. auch Adam 1907 a. 39 Dittmann 1963. 40 Ibid., S. 51. 41 Ibid., S. 72. 42 Jähnig 1966/1969.

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18 EINLEITUNG

geschieht dies nur am Rande und ohne den Anspruch systematischer und voll-ständiger Erfassung.

Für die Vermittlung der grundlegenden philosophischen Fragen in die Diszi-plin Germanistik sind Peter Szondis Studien zu Schellings Gattungspoetik von entscheidender Bedeutung. Mit den „Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kritizismus“ beginnt für Szondi der Übergang von einer Poetik der Tragödie zu einer Philosophie des Tragischen. Bereits im 1961 erschienenen „Versuch über das Tragische“ heißt es über Schellings frühe Schrift: „Mit dieser Deutung des König Ödipus und der griechischen Tragödie im allgemeinen beginnt die Ge-schichte der Th eorie des Tragischen, die ihr Augenmerk nicht mehr auf dessen Wirkung, sondern auf das Phänomen selber richtet.“43 Diesen nur skizzierten Grundgedanken entwickelt Szondi in Vorlesungsreihen weiter, welche ihrerseits auf ein 1961/1962 gehaltenes Kolleg über „Grundfragen der Poetik in den ästheti-schen Schriften der Goethezeit“ zurückgehen. So fi nden sich bedeutende Abschnit-te zu Schelling in der Vorlesung „Antike und Moderne in der Ästhetik der Goe-thezeit“, welche 1974 veröff entlicht wird. Darin geht es Szondi neben der Beto-nung der Diff erenz Schellings zu Hegel um nichts weniger als den „Beweis der engen Interdependenz von Dichtung und Philosophie im Zeitalter des Deutschen Idealismus“.44 Dieses Verständnis entspringt dabei aus einer umfassenden Analyse der philosophischen Quellen und führt Szondi zu seinem Ausgangspunkt für die-se Fragestellung, zu Schellings Ödipus-Interpretation zurück: „Kaum je hat ein Denken sich in der Dichtung so sehr wiedererkannt wie der Deutsche Idealismus in der Tragödie, zumal im Oedipus Rex.“45 Ebenfalls 1974 erscheint unter dem Titel „Schellings Gattungspoetik“ eine allein diesem Th ema gewidmete Vorlesung Szondis, deren Kernaussage ebenfalls aus der Beschäftigung mit den „Philosophi-schen Briefen über Dogmatismus und Kritizismus“ erwächst. Freilich behandelt dieser umfangreiche Text den gesamten literarischen und philosophischen Hori-zont der kunstphilosophischen Schriften Schellings sehr präzise, doch „die große Bedeutung Schellings für die Geschichte der Ästhetik im allgemeinen und der Gattungspoetik im besonderen liegt darin“, so faßt Szondi zusammen, „daß er die Einheit von Allgemeinem und Besonderem, von Objekt und Subjekt nicht bloß abstrakt als Wesen der Kunst postuliert oder psychologisch im Spieltrieb lokali-siert, sondern in der Handlung des König Ödipus, im Gehalt des Kunstwerks also, aufzeigt“.46

Außerhalb Deutschlands fi ndet die Schelling-Forschung vor allem in Italien und Frankreich statt. Die in diesem Zusammenhang bedeutendsten italienischen Arbeiten sind diejenigen von Rosario Assunto47 und Luigi Pareyson.48 Tonino

43 Szondi 1961, S. 157/158. 44 Szondi 1974, S. 221. 45 Ibid., S. 240. 46 Szondi 1974 a, S. 198/199. 47 Bes. Assunto 1962 u. Assunto 1965. 48 Bes. Pareyson 1950 u. Pareyson 1964.

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19FORSCHUNGSBERICHT

Griff eros Studie „L’estetica di Schelling“ von 199649 darf für sich in Anspruch neh-men, die bisherigen Bemühungen in Italien zu bündeln. Sein Werk zeichnet sich überdies durch die erstmalige Einbeziehung von frühen Briefen und ebenso selten beachteten späten Zeugnissen Schellings aus. Doch auch wenn Griff ero mehr kunstphilosophisch relevantes Material auswertet als die übrige Literatur, so geht er den konkreten Werkbeispielen nicht eigens nach. Für die französischsprachige Forschung kann Xavier Tilliette als paradigmatisch gelten und die große Biogra-phie aus dem Jahre 200450 stellt auch für seine bisherigen Untersuchungen zur Kunstphilosophie Schellings51 eine Summe dar.

Eine Wegmarke der Rezeptionsgeschichte fi ndet sich in der 1973 publizierten Schrift „Mythos und Poesie. Interpretationen zu Schellings ‚Philosophie der Kunst‘ und ‚Philosophie der Mythologie‘“ von Jochem Hennigfeld.52 Diese kon-zentrierte Auseinandersetzung nimmt das Verhältnis von Kunst und Mythos systematisch in den Blick und initiiert damit eine für Schellings Kunstphilosophie bis heute bestimmende Forschungsrichtung. Über diese, einer Neueröff nung ent-sprechende Bestärkung des Mythos-Th emas in Schellings „Philosophie der Kunst“, kommt Hennigfeld das Verdienst zu, die Stellung dieses Werkes innerhalb der Identitätsphilosophie ebenso präzise wie dankenswert knapp bestimmt zu haben. So stehen etwa die Arbeiten von Hans Freier („Die Rückkehr der Götter. Von der ästhetischen Überschreitung der Wissensgrenze zur Mythologie der Moderne. Eine Untersuchung zur systematischen Rolle der Kunst in der Philosophie Kants und Schellings“, 1976),53 Klaus Baum („Die Transzendierung des Mythos. Zur Philosophie und Ästhetik Schellings und Adornos“, 1988)54 und Can Zhai („F. W. J. Schellings ontologische Mythologie in seiner Philosophie der Kunst (1802-05)“, 2007)55 in diesem Zusammenhang der Mythos-Interpretation.

Eine besondere Blickrichtung auf die Frage der Mythologie entwirft Werner Beierwaltes. In der Einleitung seiner 1982 erschienenen Edition „F. W. J. Schel-ling. Texte zur Philosophie der Kunst“ verfolgt er einen Interpretationsansatz, dem es darum zu tun ist, „Schellings Philosophie der Kunst im Kontext neuplato-nischer Philosophie zu verstehen, die Kunst und deren Prinzip ‚Schönheit‘ aus einem Absoluten heraus denkt und von daher auch deren Funktion bestimmt“.56

49 Griffero 1996. 50 Tilliette 2004. Ausdrücklich hebt der Autor diese deutsche Übersetzung aufgrund einiger

Änderungen über die 1999 erschienene französische Erstausgabe. 51 Vgl. Tilliette 1970, Tilliette 1976 u. Tilliette 1978. 52 Hennigfeld 1973. 53 Freier 1976. 54 Baum 1980. 55 Zhai 2007. 56 Beierwaltes 1982, hier S. 5. Vgl. auch die knappe und lediglich allgemeine Diskussion zu

konkreten Kunstkenntnissen Schellings S. 33 u. 45. Beierwaltes verteidigt Schelling zwar gegen haltlose Äußerungen wie diejenigen Hans Jörg Sandkühlers, Schellings Kunstlehre sei „arm an kunsthistorischem Material“ (Sandkühler 1970, S. 95), seine Auswahlausgabe verzichtet gleichwohl vollständig auf den besonderen Teil der „Philosophie der Kunst“.

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Diese Beziehung zum Neuplatonismus nimmt der Beierwaltes-Schüler Bernhard Barth in seiner Monographie „Schellings Philosophie der Kunst. Göttliche Imagi-nation und ästhetische Einbildungskraft“ von 1991 auf.57 Als Basis seiner Überle-gungen dient die Annahme: „Mit seiner Defi nition des Verhältnisses von Philoso-phie und Kunst als Ur- und Gegenbild stellt sich Schelling in die Tradition der platonischen und neuplatonischen Ästhetik, welche das Schöne und die Kunst vor allem unter dem Aspekt ihrer anagogischen, das Denken auf die Erkenntnis der übersinnlichen Wahrheit hinlenkenden Funktion verstanden hatte.“58

Spezialuntersuchungen der Akademierede „Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur“ sind selten und fi nden ihre Zusammenfassung in der Editi-on dieses Textes durch Lucia Sziborsky 1983.59 Ihre Einleitung und vor allem die Anmerkungen geben einen ersten Hinweis auch auf die konkreten Kunstwerke, welche von Schelling erwähnt werden und betten Schellings Position stichwortar-tig-präzise in die zeitgenössische Kunstdiskussion ein.

Eine breit angelegte Studie, welche speziell die „Philosophie der Kunst“ unter-sucht, legt Berbeli Wanning 1988 unter dem Titel „Konstruktion und Geschichte. Das Identitätssystem als Grundlage der Kunstphilosophie bei F. W. J. Schelling“ vor.60 Die Autorin widmet sich dabei vornehmlich der Einbindung der Kunstphi-losophie in Schellings identitätsphilosophisches System. Da Wanning die Reihen der besonderen Kunstformen einbezieht, geht sie auch näher als die vorange-gangene Literatur auf die Problematik des systematischen Anspruchs ein: „Durch die Beschäftigung mit der Kunst und ihren besonderen Formen treibt das iden-titätsphilosophische System über sich selbst hinaus. Es wird potentiell gesprengt, indem seiner inhärenten Starre die Dynamik des Besonderen entgegentritt. Nur eine Kraftanstrengung des einen identischen Absoluten bewahrt es vor dem Zer-platzen.“61 Solche letztlich pauschal bleibenden, ihrerseits nur systematisch be-gründeten Aussagen sind auf den problematischen Umstand zurückzuführen, daß Wanning die besonderen Formen nicht bis zu einzelnen Kunstwerken hin analy-siert. Somit entgehen ihr zwangsläufi g die ebenfalls aufzeigbare Bereicherung der systematischen Bewegungsfreiheit durch die Anforderungen konkreter Werke und die Erweiterung des Interpretationshorizontes der Kunstwerke durch die Ein-bettung in Schellings kunstphilosophische Systematik. Es ist gerade nicht so, „daß der ästhetische Geschmack Schellings noch ganz von den Prämissen des Systems beeinfl ußt ist“,62 wie Wanning meint, denn dazu müßte Schelling über universelle kunsthistorische Kenntnisse verfügen. Die vorliegende Untersuchung kann dagegen belegen, daß – wenn überhaupt – die Problematik des Verhältnisses

57 Barth 1991. 58 Ibid., S. 11. 59 Sziborsky 1983. 60 Wanning 1988. 61 Ibid., S. 49. 62 Ibid., S. 136.

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21FORSCHUNGSBERICHT

von System und Einzelwerk auf der Einpassung eines eingeschränkten und abhän-gigen konkreten Wissens in die kunstphilosophische Systematik beruht.

Bereits vier Jahre zuvor erscheint mit Daniel Salbers „System und Kunst. Eine Untersuchung des Problems bei Kant und Schelling“63 eine weitere Arbeit, welche den systematischen Zusammenhang der Kunstphilosophie herausstellt, aber eher die Dynamik als die Starre betont. „Im Unterschied zu Kant“, so lautet eine zur Frage nach der Gesamtentwicklung der Schellingschen Philosophie leitende Grundeinsicht Salbers, „‚hat‘ Schelling jedoch zu keiner Zeit ‚das‘ System – sein System ‚hat‘ Schelling nur, indem er es bewegt und umbildet.“64

Zusammenfassend gilt für die besprochene Forschung, daß sich keine Position mit der systematischen kunsthistorischen Erfassung der von Schelling in seinen wesentlichen kunstphilosophischen Schriften erwähnten Kunstwerke beschäftigt. Somit kommt Lothar Knatz das Verdienst zu, 1999 erstmals nachdrücklich auf diesen Forschungsbereich der empirischen Seite der Kunstphilosophie hingewie-sen zu haben. In seiner Arbeit „Geschichte – Kunst – Mythos. Schellings Philoso-phie und die Perspektive einer philosophischen Mythostheorie“ widmet sich besonders das Unterkapitel „Die Wirklichkeit der bildenden Kunst“ den konkre-ten Kunstwerken.65 Grundsätzlich ist Knatz zuzustimmen in seinem Hinweis auf die Reibungen zwischen Th eorie und Empirie ebenso wie hinsichtlich des letztlich klassizistisch geprägten Kunstgeschmacks Schellings. Jedoch steht die Vehemenz der Behauptungen nicht in angemessener Relation zu einem kunsthistorisch fun-dierten Nachweis. Knatz spricht mit gewisser Redundanz von der „Spannung zwi-schen der philosophischen Konstruktion einer Philosophie der Kunst und dem empirischen Wissen über den ästhetischen Gegenstand“,66 von der „Inkongruenz von phänomenaler Werkebene und philosophischer Th eorie“,67 von der „Dissyn-chronität von philosophischer Th eorie und empirischem Gegenstand“ und von der „Diff erenz zwischen der philosophischen Th eorie und dem empirischen Gegen-stand“,68 als würde eine Behauptung durch variierte Wiederholung wahrer. Dies alles kann glaubhaft nur am konkreten Text- und Werkbeispiel gezeigt werden. Dabei tritt die vorliegende Untersuchung im Unterschied zu Knatz an, innerhalb des Verhältnisses von kunstphilosophischem System und konkreter Werkkenntnis neben den off enkundigen Divergenzen auch die wechselseitigen Befruchtungen darzustellen.

Knatz wählt nur einige Beispiele zur bildenden Kunst aus und verzichtet zudem bewußt auf die Darstellung kunsthistorischer Tiefendimensionen. Er läßt die für Schelling so bedeutenden Werke der Plastik vollständig außen vor und konzen-

63 Salber 1984. 64 Ibid., S. 9. Vgl. auch die rückblickenden Bemerkungen S. 228: „Im Unterschied zu Kant

‚hat‘ Schelling nie das Eine System – oder er ‚hat‘ es nur, indem er es ‚dreht‘ und immer wieder von einem anderen Aspekt her aufrollt.“

65 Knatz 1999, hier S. 225-247. 66 Ibid., S. 242. 67 Ibid., S. 243. 68 Ibid., S. 246.

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22 EINLEITUNG

triert sich allein auf die Malerei und ihre paradigmatischen Vertreter in der „Phi-losophie der Kunst“. Als wenig hilfreich erweist sich die dabei vorgenommene Kontrastierung der Schellingschen Position mit Kunsttheorien der Zeit, weil diese nicht konsequent auf ihre spezifi schen Wirkungen hin analysiert werden. So kommt es etwa zu einer Überbetonung Friedrich Schlegels, obwohl dessen durch-aus von Knatz erwähnter Bruder August Wilhelm den maßgeblichen Einfl uß auf Schelling ausgeübt hat. Auch die Hinweise auf Winckelmann, die Weimarer Kunstfreunde und Hegel sind nur selten ergiebig. Knatz gelingt es allenfalls, ein grobes kunsttheoretisches Stimmungsbild des historischen Horizontes zu zeich-nen, nicht aber, Einblicke in das diffi zile Einfl ußgefüge zu geben. Allzu oft ver-schwimmen die Ebenen von Ursache und Wirkung, obwohl sich durchaus kon-krete Nachweise zu den von Schelling genutzten Quellen führen lassen. So gibt Knatz Goethes Schrift „Winckelmann und sein Jahrhundert“ an, um Schellings Nähe zum Kunstkanon des Weimarer Klassizismus zu erweisen,69 ohne zu beden-ken und entsprechend ohne dem Leser mitzuteilen, daß diese Schrift erst 1805 erschien und mithin zwar durchaus ein wichtiges Dokument dieses Kanons dar-stellt, keineswegs aber eine Quelle Schellings sein kann, wie der Kontext sugge-riert.

„Schellings kunsthistorischer Kenntnisstand wird“, so lautet eine zusammen-fassende Wertung der Untersuchung, „dem Anspruch einer hinlänglichen Kennt-nis des empirischen Gegenstandes nicht gerecht.“70 Dabei läßt auch Knatz selbst gelegentlich „die distinkte Kenntnis der Kunstwerke“71 im Stich. Etwa, wenn er Pietro Perugino unter die Beispiele zählt, mit denen Schelling seine Zugehörigkeit zur „Tradition des Klassizismus“72 bekunde, ohne darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem im Kontext der „Philosophie der Kunst“ eindeutig zu entschlüsselnden Werk tatsächlich um ein Gemälde Francesco Francias handelt. Ebenfalls in die-sem Zusammenhang und an einer weiteren Stelle nennt Knatz Hans Holbein den Jüngeren, ohne zu erwähnen, daß es sich bei dem Gemälde, „das Schelling in Dresden gesehen hat“,73 gerade nicht um ein Originalwerk Holbeins handelt, son-dern um ein Fälschung Bartholomäus Sarburghs. Schließlich unterläuft ihm auch noch der gravierende Fehler, Benvenuto für einen nicht zu identifi zierenden Künstlernachnamen zu halten. Indes bezieht sich Schelling an der entsprechenden Textstelle der „Philosophie der Kunst“ nicht auf ein Bild Michelangelos, welches er Knatz zufolge „off enbar als Kopie von Benvenuto kennt“74 – und wer sollte das auch sein? –, sondern eindeutig auf die 1796/1797 von Goethe übersetzte Autobio-graphie Benvenuto Cellinis.75 Kurz: Gerade bei den in Frage stehenden kunsthi-

69 Ibid., S. 228 (Anm. 144). 70 Ibid., S. 242. 71 Ibid., S. 243 (Anm. 206). 72 Ibid., S. 229. 73 Ibid., S. 236. 74 Ibid., S. 229. 75 Vgl. Goethe, Cellini.

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storischen Kenntnissen weist auch die Habilitationsschrift von Lothar Knatz Defi zite auf. Zudem argumentiert sie selbstverständlich aus dem eigenen systema-tischen Zusammenhang und nicht aus dem Verlauf des Schellingschen Gedan-kengangs. So kann auch bei Knatz keine vollständige Erfassung der von Schelling genannten Werke und ihre detaillierte Darstellung aus dem Denkverlauf erwartet werden. Diese Lücke zu schließen, tritt die vorliegende Untersuchung an. Nur auf diese Weise nämlich läßt sich die Besonderheit der Schellingschen Kunstphiloso-phie als erste systematische Darstellung, welche umfangreiches empirisches Mate-rial verarbeitet, tatsächlich erweisen.

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AUFTAKT

ZWEI BRIEFE AN DIE ELTERN, 1796

Blicken wir von dem bereits knapp dargestellten historischen Horizont auf die Äußerungen zur Kunst in Schellings Gesamtwerk, so fi nden wir ihn von frühen Studententagen an bis ins hohe Alter hinein mit Fragen der Kunst beschäftigt. Bald nach dem Verlassen der Universität erhält der Zwanzigjährige Anstellung als Hauslehrer der Barone Hermann und Wilhelm von Riedesel zu Eisenbach, mit denen er am 28. März 1796 gen Leipzig aufbricht. Der Weg dorthin wird veran-staltet als eine kleine Rundreise durch Deutschland, während der Schelling bedeu-tende Kunstdenkmäler besichtigt. Seine kritischen Beobachtungen hält er in Brie-fen an seine Eltern fest, welche in Form und Umfang an Reisetagebücher erinnern, wie Schelling selbst bemerkt.1 Besonders aufschlußreich für seine Beziehung zur Kunst ist ein solches, auf den 3. April 1796 datiertes Zeugnis seiner Erlebnisse,2 in dem er rückblickend zu sprechen kommt auf eine Reise nach Heilbronn und „einen Besuch bei dem Gerichtsassessor Lang, der den Almanach für den deut-schen Adel herausgibt, und eine artige Sammlung von Gemälden und Kupfersti-chen besitzt. Er zeigte mir ein Originalgemälde von Rubens, die Weiber am Grab Christi.“3 [Abb. A1].4 Dabei handelt es sich um ein heute im Norton Simon Muse-um of Art in Pasadena (USA) befi ndliches Werk, welches auf die Zeit zwischen 1611 und 1614 datiert wird und eine Szene nach Lukas 24,4 vergegenwärtigt.5 Die direkt anschließende Beschreibung stellt ein Zeichen dar für die Bedeutung kon-kreter Bilderfahrung als Quelle späterer systematischer Ausarbeitung der Kunst-philosophie: „Es trägt wie alle Gemälde von Rubens die Farbe des Feuers und der Glorie. Einige Köpfe sind darauf, wie sie nur die Phantasie eines Malers ersinnen kann. Über das ganze Gemälde ist die Stille des Erstaunens verbreitet. Die Engel haben die Glorie um den Kopf, es ist viel, sehr viel für Rubens Zeitalter, daß er die

1 AA III, 1, S. 52. 2 Ibid., S. 51-65. 3 Ibid., S. 52. 4 Die Abbildungen von „Auftakt“ und „Nachklang“ erfahren eine zusätzliche Markierung

mit Großbuchstaben (A für Auftakt und N für Nachklang), damit eine klare Unterschei-dung zu den ausschließlich mit Ziffern gekennzeichneten Abbildungen des Hauptteils ge-währleistet ist. So kann die Vollständigkeit des Katalogs betont werden, welcher die Künst-ler und Kunstwerke in Schellings „Philosophie der Kunst“ und der Rede „Ueber das Ver-hältniß der bildenden Künste zu der Natur“ erfaßt.

5 Vgl. Burchard 1969 ff., Bd. 7 (1984), S. 39-42. Zur allgemeinen Rubens-Literatur sei hin-gewiesen auf die Kommentierung der Rubens-Erwähnung in der „Philosophie der Kunst“ (§ 87, Abs. 79, 554).

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Flügel wegließ.“6 Neben diesem Versuch einer kunsthistorischen Bewertung gibt Schelling sogar noch eine Kostprobe vergleichenden Sehens, indem er Gemälde und Reproduktionsgraphik gegenüberstellt: „Herr Lang hat noch eine alte Copie dieses Gemäldes, einen Kupferstich, der merkwürdig ist, nicht nur, weil man an ihm die Fortschritte, die wir in dieser Kunst gemacht haben, erkennen kann, son-dern auch, weil er noch älter ist als mehrere Correkturen, die Rubens auf dem Ori-ginalgemälde gemacht hat. Man kann so dem Auge und dem feinen Künstlersinn jenes Mannes folgen; ein gewöhnliches Auge bemerkte die Fehler nicht, ohne sein Gemälde dagegen zu halten.“7

6 AA III, 1, S. 52/53. 7 Ibid., S. 53.

Abb. A1Peter Paul Rubens: Die heiligen Frauen am Grab1611-1614Öl auf Leinwand87,6 x 107,3 cmPasadena (USA), Norton Simon Museum of Art

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27ZWEI BRIEFE AN DIE ELTERN, 1796

Derselbe Brief gibt ebenfalls Auskunft über Schellings Kenntnis der Mannhei-mer Antikensammlung und spiegelt damit frühe, faszinierende Seherfahrungen wider, auf welche der Philosoph später nachweislich zurückgreift. „Endlich be-suchten wir noch den Statuensaal, der Copien von römischen Statuen enthält. Das merkwürdigste für mich war die Gruppe des Laocoon, der Farnesische Hercules, der Vaticanische Apoll, die Mediceische Venus, der Gladiator moriens u. einige andre. Wir blieben, bis uns die Nacht den weitern Genuß versagte.“8 Der im Auf-trag des Kurfürsten Carl Th eodor von Peter Anton von Verschaff elt eingerichtete Mannheimer Antikensaal9 gehörte zur „Zeichnungsakademie“ und bestand ledig-lich 34 Jahre von 1769 bis 1803. Bevor ihm die Dresdner Sammlung den Rang ablief,10 lockte er als zunächst einzigartige Einrichtung über die Mitglieder der Akademie hinaus auch zahlreiche Kunstfreunde an und erhielt damit epochale Bedeutung für die Etablierung des Klassizismus. Schelling ging auf den Spuren Lessings, Herders, Goethes, Lavaters und Wilhelm von Humboldts, welche vor ihm Mannheim besuchten, um die wesentlichen Werke der Antike wenigstens als originalgetreue Kopien zu sehen. Möglicherweise hat Schelling auch Schillers „Brief eines Reisenden Dänen“ gekannt, welcher eine anschauliche Vergegenwär-tigung des Antikensaals bietet und 1785 in Schillers Zeitschrift „Rheinische Th a-lia“ erschien.11

Nach der Rundreise kommt der junge Hauslehrer mit seinen beiden Eleven am 25. April 1796 in Leipzig an, um bald wieder zu Ausfl ügen aufzubrechen. Vor allem für die unmittelbare Anschauung von Architekturdenkmälern bieten die Briefe Schellings aus dieser Zeit reiche Belege. Besonders eindrücklich sind dabei seine Beschreibungen eines zweitägigen Aufenthalts im „berühmten fürstlichen Lustgarten Wörlitz“12 in einem Brief an die Eltern vom 1. Juli 1796,13 welcher auf das Verhältnis von Architektur und Gartengestaltung, von Kunst und Natur aus-führlich eingeht. Dies geschieht bereits anläßlich der Besichtigung des Residenz-schlosses Oranienbaum [Abb. A2],14 an dem der Weg von Leipzig nach Wörlitz vorbeiführt. „Das Schloß selbst ist äußerst einfach, u. wie mir scheint höchst feh-

8 Ibid., S. 60. Die fünf namentlich genannten Abgüsse sind nicht erhalten. Bleibt zu bemer-ken, daß Schelling die ebenfalls in Mannheim ausgestellte Kopie des Torso vom Belvedere, welcher in der „Philosophie der Kunst“ eine wichtige Stellung erhält, hier nicht eigens her-vorhebt.

9 Vgl. Schiering 1981. 10 Die Basis der Dresdener Abgußsammlung stammte aus dem 1783/1784 erworbenen Nach-

laß von Anton Raphael Mengs. 11 Schiller, Werke, Bd. 5, S. 879-884. Vgl. auch Pfotenhauer / Sprengler 1995, S. 804-813. 12 AA III, 1, S. 81. Bis auf Griffero 1996, S. 11-15 (Kap.: Un „Grand Tour“ in miniatura) wur-

de dieser Brief als Beleg für Schellings Kenntnis konkreter Kunst noch nicht ausgewertet. Vgl. den Hinweis von Tilliette 2004, S. 502 (Anm. 78).

13 AA III, 1, S. 81-88. 14 Vgl. die einschlägige Sekundärliteratur zu Oranienbaum: Ausst.kat. Oranienbaum 2003,

Bechler 2003, Bechler 2007, Gazdar 2006, S. 312/313, Savelsberg / Quilitzsch 2006, Trau-zettel o.J. a, S. 40-42 u. Weiss 2001, S. 64-71.

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lerhaft gebaut; der Garten, der daran ligt ist in englischer Manier. Sonderbar, daß der Fürst hier noch neue Anlagen macht, (so läßt er z. B. einen neuen chinesischen Th urm auff ühren), während alles übrige anzeigt, daß er diesen Lustort in Verfall kommen läßt.“15 Schellings knappe Wertung zeigt sich stark von der empfunde-nen Diskrepanz zwischen Architektur und umgebendem Garten geprägt. Die Abwertung des Schlosses mag auf die frühe Bauzeit zurückzuführen sein, welche nicht mehr dem zeitgenössischen Geschmack und noch nicht der Wertschätzung des ehrenwerten Alten genügen konnte. Schloß und Park Oranienbaum nämlich entstanden nach 1681 oder 1683 gleichzeitig mit der holländisch-barocken Stadt-gründung unter Henriette Catharina von Anhalt-Dessau, einer gebürtigen Prin-zessin von Oranien-Nassau. Der von Schelling erwähnte Regent Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau ist der Urenkel der Gründerin und schuf zwischen 1793 und 1797 eine englisch-chinesische Parkerweiterung, welche der Hofgärtner Wilhelm Neumark nach den theoretischen Vorgaben des Garten-künstlers William Chambers ausführte.16 Der bei Schellings Besuch gerade im Bau befi ndliche „neue[n] chinesische[n] Th urm“ [Abb. A3] gehört zu einem unter

15 AA III, 1, S. 81. 16 Vgl. Weiss 1997.

Abb. A2Schloßfassade Oranienbaum

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29ZWEI BRIEFE AN DIE ELTERN, 1796

Abb. A3Pagode 1794-1797Oranienbaum, Englisch-chinesischer Garten

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Georg Christoph Hesekiels Baulei-tung errichteten architektonischen Ensemble aus Pagode, Teehaus und Brücken. Die Popularität ostasiati-scher Kleinarchitekturen in Deutsch-land läßt sich etwa ablesen am Chine-sischen Teehaus (1755-1764) Johann Gottfried Bürings im Potsdamer Schloßgarten [Abb. A4] oder an Jo-hann Baptist Lechners Chinesischem Turm (1789/1790) im Englischen Garten zu München [Abb. A5]. Auch die Diff erenz von spätbarockem Haupthaus und chinesischer Garten-gestaltung mag Schelling in seiner

raschen Abwertung dieser Anlage bestärkt haben. Ihre heutige Bedeutung liegt dagegen gerade darin, der einzig original erhaltenen Park dieser signifi kanten Stil-auff assung in Europa zu sein.

Stilistische Gegensätze besitzen für Schelling off enkundig keine bereichernde, sondern eher eine irritierende Wirkung und so berichtet er weiter: „In Wörlitz17

17 Vgl. die einschlägige Sekundärliteratur zu Wörlitz: Ausst.kat Braunschweig 1992, Ausst.kat Wörlitz 1996, Böttiger, Reise, Buttlar 1989, S. 141-152, Gazdar 2006, Harksen 1939, Klotz 2000, S. 45-52, Niehr 1999, S. 136-140 u. Suckale 2005, S. 413-421. Mit gewisser Nähe zur hier vorgelegten Untersuchung berichtet Adelheid Müller in bezug auf Schellings

Abb. A4Johann Gottfried Büring: Chinesisches Teehaus1755-1764Potsdam, Schloßgarten

Abb. A5Johann Baptist Lechner:Chinesischer Turm1789/1790München, Englischer Garten

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