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Gulliver 1361 Die Farben meiner Seele Die Lebensgeschichte der Frida Kahlo Bearbeitet von Maren Gottschalk 1. Auflage 2012. Taschenbuch. 224 S. Paperback ISBN 978 3 407 74361 9 Format (B x L): 12,5 x 18,7 cm Gewicht: 222 g schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Gulliver 1361

Die Farben meiner Seele

Die Lebensgeschichte der Frida Kahlo

Bearbeitet vonMaren Gottschalk

1. Auflage 2012. Taschenbuch. 224 S. PaperbackISBN 978 3 407 74361 9

Format (B x L): 12,5 x 18,7 cmGewicht: 222 g

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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Leseprobe aus: Gottschalk, Die Farben meiner Seele, ISBN 978-3-407-74361-9© 2012 Beltz Verlag, Weinheim Basel

http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-407-74361-9

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Fridamanía

Der Palacio de Bellas Artes, ein Prachtbau aus weißemMarmor, befindet sich im Herzen von Mexiko-Stadt. Abernicht wegen der schönen Glaskuppel des Zuschauerraumsoder der Lust auf Smalltalk ist das Publikum schon einehalbe Stunde vor einer Opernaufführung fast vollzähligda, sondern weil es den Vorhang aus Tiffany-Glas, aufdem die beiden Haus-Vulkane von Mexiko-Stadt, Popo-catépetl und Ixtaccíhuatl zu sehen sind, bewundern will.Der Vorhang ist das berühmte Prunkstück des Palacio deBellas Artes und wird jeweils 30 Minuten vor Beginn einerVeranstaltung von hinten beleuchtet, ein spektakuläresLichtspiel. An einem Abend Mitte der 40er-Jahre erreg-te aber plötzlich etwas anderes die Aufmerksamkeit derZuschauer noch mehr: Frida Kahlo betrat eine der Logen.»Das Klimpern von üppigem Schmuck überstimmte dieTöne aus dem Orchestergraben, und etwas, stärker nochals das Geräusch, zwang uns alle, nach oben zu schauenund die Erscheinung zu sehen ... Es war der Auftritt eineraztekischen Göttin ... Oder vielleicht sahen wir die spani-sche Mutter Erde ... Die Bänder, die Schleifen, die Röcke,die raschelnden Unterkleider, die Spitzen, die mondartige

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Frisur, die ihr Gesicht wie die Flügel eines dunklen Schmet-terlings erschloss: Frida Kahlo, die uns allen zeigte, dassihre unendliche Vielfältigkeit weder durch Leiden verdorrtnoch durch Krankheit verkümmert war.«1 So schildert dermexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes seine erste Be-gegnung mit der Malerin Frida Kahlo.

Mit 18 Jahren ist Frida Kahlo bei einem Verkehrsunfallbeinahe ums Leben gekommen. Monatelang musste siedanach – eingegipst in ein Korsett – still liegen. In dieserZeit begann sie zu malen. Zuerst war es nur eine sinnvolleBeschäftigung, dann wurde es zur Berufung, ihr ganz eige-ner Weg, das Leben zu bewältigen.

Etwa 150 Ölgemälde von Frida Kahlo sind erhalten, je-des dritte davon zeigt die Malerin selbst. Es sind vor allemdiese Selbstporträts, die sie zum »Postergirl des Feminis-mus«2 gemacht haben. Wir sehen darauf eine exotischeSchönheit, die ihre indianischen Trachten mit der majestä-tischen Haltung einer Königin trägt. Doch ihr besondererReiz besteht in dem Zusammentreffen von Gegensätzen:Unter ihren herrlichen Gewändern verbarg Frida Kahloeinen schwer verletzten Körper und eine nicht minderverletzte Seele. Die seelischen Wunden fügte ihr der überalles geliebte, aber notorisch untreue Ehemann DiegoRivera zu. Dennoch zerbrach Frida Kahlo nicht daran.Selbstbewusst schuf sie sich selbst die Rolle ihres Lebens:Künstlerin und Liebende. Ihr Heimatland gehörte dabeiuntrennbar zu ihr. Frida Kahlos Beziehung zu Mexiko warsinnlich und existenziell, sie schloss die Menschen, ihre

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Kultur und Rituale mit ein, aber auch die Erde, die Naturund das Licht.

In den 80er-Jahren wurde Frida Kahlo von feministi-schen Kunstkritikerinnen in Europa als kranke, betrogeneFrau gefeiert, die sich mit Hilfe ihrer Malerei emanzipier-te. Aber das Etikett »Malerin der Schmerzen« wird ihrnicht gerecht. Frida Kahlo war eine Frau voller Lebens-freude und Humor. Sie sang und lachte, sie unterhielt ihreFreunde mit lustigen Geschichten, sie war schlagfertig,frech und mutig. Es gab unzählige Dinge, die ihr Freudemachten. Sie liebte Menschen, Tiere und die Natur; siegenoss gutes Essen, Ausflüge und Musik. In ihr Tagebuchschrieb sie: »Nichts ist wichtiger als das Lachen.«3

»Frida ist heute neben Picasso und Andy Warhol diegrößte Pop-Ikone«4, meint Juan Coronel Rivera, Enkeldes mexikanischen Malers Diego Rivera. Ihre Bilder er-zielen Preise in Millionenhöhe, wenn sie – was selten vor-kommt – einmal auf dem Kunstmarkt landen. In Mexikoist inzwischen eine wahre Fridamanía ausgebrochen. Te-quilaflaschen, Turnschuhe, Schmuck und Unterwäsche – esgibt nichts, was man nicht mit einem Bild von Frida Kahlobedrucken könnte. In Mexiko stolpert man an jeder Eckeüber kuriose Frida-Kahlo-Souvenirs, und das nicht nur inCoyoacán, wo ihr berühmtes Blaues Haus, die Casa Azul,heute als Museum zu besichtigen ist.

Inzwischen ist Frida Kahlo in ihrer Heimat fast nochpopulärer als ihr Ehemann Diego Rivera und wird wieeine Heilige verehrt. Juan Coronel Rivera kann das gut

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verstehen: »Sie hat mit ihrer Kunst die Seele der Menschenberührt.«5

Wer sich mit Frida Kahlos Leben und Werk beschäftigt,kommt an zwei Büchern nicht vorbei. Die argentinisch-mexikanische Kunstkritikerin und Journalistin RaquelTibol war die Erste, die 1977 Briefe und Erinnerungenvon der Malerin herausgab und durch ihre eigenen Beob-achtungen ergänzte: Frida Kahlo. Über ihr Leben und ihrWerk nebst Aufzeichnungen und Briefen, heute unter demTitel Frida Kahlo – Ein offenes Leben bekannt.

Tibol lernte die Malerin ein Jahr vor ihrem Tod kennen,ließ sich ihre Lebensgeschichte erzählen, und auch wennnicht alle Details stimmen, erlaubt ihr Buch einen sehrguten Blick auf Frida Kahlos Leben und Persönlichkeit.Tibol, die inzwischen auch fast alle Briefe und Texte Kah-los herausgegeben hat, nahm sich freundlicherweise Zeitfür ein zweistündiges Interview in ihrem Büro in Mexiko-Stadt und beantwortete auch danach jede meiner Anfra-gen per E-Mail schnell und präzise.

Die US-Amerikanerin Hayden Herrera ist ebenfallsKunstkritikerin und verfasste 1983 die erste Biografieüber Frida Kahlo. Ihr Buch Frida Kahlo. Ein leidenschaft-liches Leben hat weltweit Verbreitung gefunden und liegtauch dem Drehbuch des Filmes Frida zugrunde. Die Co-Produzentin und Hauptdarstellerin Salma Hajek prägtein dem 2003 mit zwei Oskars und einem Golden Globeausgezeichneten Film das Bild von Frida Kahlo für einMillionenpublikum.

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Auch wenn es inzwischen eine wahre Flut an Büchernund Internetseiten über Frida Kahlo gibt, bleiben dieBücher von Tibol und Herrera Ausgangspunkt für allespäteren Biografien, weil die Autorinnen mit Zeitzeugensprechen konnten, die heute nicht mehr leben. Letztlichbleibt es aber unerlässlich, sich auf die Sprache der Künst-lerin Frida Kahlo selbst einzulassen, ihre Briefe und Ta-gebuchaufzeichnungen zu lesen und vor allem ihre Bilderzu betrachten. Unverzichtbar dafür sind der von HelgaPrignitz-Poda herausgegebene Bildband Frida Kahlo. DieMalerin und ihr Werk sowie die Ausstellungskataloge derLondoner Tate Gallery of Modern Art und des BuceriusKunst Forums in Hamburg.

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Doch in mir wurde es hell

Im Mai 1890 verlässt der 18-jährige Wilhelm Kahlo, derspätere Vater von Frida Kahlo, den Hamburger Hafen anBord des Schiffes Borussia und geht erst zwei Monate spä-ter in der mexikanischen Hafenstadt Veracruz an Land. ImGepäck hat er verschiedene Adressen von deutschen Un-ternehmen in Mexiko-Stadt, bei denen er sich vorstellenwill. Wilhelm Kahlo ist ein gut aussehender, intelligenterjunger Mann und er hat große Pläne. In Pforzheim hatteer eine kaufmännische Ausbildung im Juwelierhandel ab-solviert und die Kunstgewerbeschule besucht. Dass FridaKahlo später fälschlicherweise erzählt, ihr Vater stammeaus einer ungarisch-deutschen Familie und habe jüdischeWurzeln, muss ihrer Enttäuschung über Hitlerdeutschlandzugeschrieben werden. In Mexiko-Stadt findet Kahlo eineAnstellung als Buchhalter bei deutschen Unternehmen derJuwelierbranche. 1894 wird sein Einbürgerungsantrag be-willigt, da ist er bereits verheiratet und hat auch schon einKind. Seinen Vornamen Wilhelm ändert er nun in Guiller-mo um. Kahlos erste Frau stirbt bei der Geburt der zwei-ten Tochter und noch im selben Jahr heiratet er erneut.

Matilde Kahlo, geborene Calderón y Gonzales, war ei-

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nes von zwölf Kindern. Sie wurde äußerst katholisch er-zogen und ist fromm bis zur Bigotterie. Ohne Zweifel istsie eine Schönheit, »wie eine kleine Glocke aus Oaxaca«,erinnert sich Frida später. »Wenn sie zum Markt ging,gürtete sie ihre schlanke Taille und trug ihren Korb ausge-sprochen kokett.«1

Matildes Vater stammt von Indios ab und arbeitet in derHauptstadt als Fotograf. Von ihm leiht sich der Schwie-gersohn für die Hochzeitsreise eine Kamera und entdecktseine Begeisterung für das Fotografieren. Guillermo Kahlowird nun aus dem neuen Hobby einen Beruf machen. Errichtet sich in Mexiko-Stadt ein Fotostudio ein, doch ei-gentlich fotografiert er viel lieber Landschaften, Interi-eurs, Häuser und Fabriken als Menschen. Er hat Erfolgund sein guter Ruf verschafft ihm bald einen ehrenvollenund lukrativen Auftrag des mexikanischen Diktators Por-firio Díaz: Kahlo soll durch das Land reisen, alle großen,repräsentativen Gebäude fotografieren und somit das na-tionale Erbe Mexikos mit der Kamera dokumentieren. Esentstehen über 1000 Fotos von Kirchen, Denkmälern undoffiziellen Gebäuden. Erst in den letzten Jahren wurdesein Werk – nicht nur in Mexiko – wiederentdeckt undmit Ausstellungen und einem Bildband gewürdigt.

Eine Erbschaft nach dem Tod des Vaters in Deutschlandversetzt die Kahlos in die Lage, ein 800 Quadratmetergroßes Grundstück in Coyoacán zu kaufen, damals nochein Dorf am südlichen Rand von Mexiko-Stadt. Adlige,Großbürger und Geschäftsleute lassen sich hier nieder,erst 1950 wird Coyoacán der Hauptstadt zugeschlagen.

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An der Ecke Calle Londres/Allende lässt Kahlo 1904 dasspäter so berühmte Blaue Haus bauen, die Casa Azul, bisheute eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Mexi-ko-Stadt. Das u-förmige Haus ist im Kolonialstil gebautund so haben alle Zimmer einen Durchgang zum nächstenRaum und einen Ausgang zum Innenhof. Dicke Mauern,vergitterte Fenster und hohe Tore schirmen die Familievon der Straße ab. Nach außen geben sich diese Anwesenabweisend, doch an den prächtigen Bougainvillen oderden hohen Bananenstauden und Palmen, die über die Fas-saden ragen, kann man erahnen, wie üppig die Innenhöfebepflanzt sind. Blau angestrichen wird das Haus erst einpaar Jahre später. Mexikaner lieben bunte Fassaden undauch heute stehen in der Calle Londres – wie überall inMexiko – Häuser in Ockergelb, Altrosa, Mintgrün oderHimmelblau. Von der Casa Azul ist es nicht weit bis zumMarktplatz von Coyoacán, in der anderen Richtung liegtein schöner Park, die Viveros de Coyoacán.

Frida Kahlos Vater ist ein schweigsamer Mann. Er leidetseit seiner Jugend an epileptischen Anfällen und zieht sichoft zurück. In seiner Freizeit malt er kleine Ölgemälde,Stillleben und Landschaftsbilder. Die Mutter, kränklichund häufig unter depressiven Stimmungen leidend, kommtmit ihrem in sich gekehrten Mann nicht gut zurecht. Fridawird später bezweifeln, dass Matilde ihren Mann geliebthat. Vielleicht gab sie seiner Werbung nach, weil sie sichmit 24 Jahren schon als »spätes Mädchen« fühlte.

Matilde Kahlo ist intelligent, ihrem Mann aber an Bil-dung weit unterlegen. »Sie war reizend, lebhaft und klug,

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allerdings konnte sie weder lesen noch schreiben – nurdas Geld zusammenhalten.«2 Zärtlichkeit und Mitgefühlsind ihr fremd, und so gibt sie, ohne zu zögern, die beidenTöchter ihres Mannes aus erster Ehe fort. Die ältere derbeiden, María Luisa, erinnert sich an Matilde Kahlo nurals »eine böse Frau, die mich in ein Waisenhaus steckte,kurz nachdem sie sich mit meinem lieben Papa verheiratethatte ... Ich nannte sie den schwarzen Vogel.«3

Ihre eigenen vier Töchter erzieht Matilde Kahlo mitgroßer Strenge. Matilde, die älteste, wird 1898 geboren,Adriana 1902 , Magdalena Carmen Frieda Kahlo y Calde-ron am 6. Juli 1907. Viele Jahre später, nach dem Beginndes Zweiten Weltkriegs, wird sie das deutsche »ie« ausihrem Namen tilgen und sich nur noch »Frida« nennen.Ein Jahr nach Frida kommt Christina auf die Welt und sokann die Mutter Frida nur kurze Zeit stillen und holt eineAmme ins Haus. Der Umstand, dass sie von einer Indio-frau genährt und aufgezogen wurde, wird Frida Kahloimmer viel bedeuten, ebenso die indianische Abstammungihres Großvaters.

Frida hat von Beginn an eine Sonderrolle in der Fami-lie. Sie ist ein wildes, übermütiges Kind, das zu heftigenTemperamentsausbrüchen neigt. Auf einem Foto aus demJahr 1911 wirkt sie zwar freundlich pummelig, aber dieGeschichten, die über sie erzählt werden, klingen anders.Eines Tages würgt sie ein Mädchen aus dem Kindergar-ten so lange, bis es zu röcheln beginnt. Als sie ihre Halb-schwester María Luisa einmal mitsamt dem Nachttopfumschubst, brüllt diese sie an: »Du bist nicht die Tochter

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von meiner Mama und meinem Papa. Dich haben sie ineinem Müllkübel aufgelesen.«4 Eine Kränkung, die Fridanie vergessen hat.

Matilde Kahlo ist fest entschlossen, ihren vier Töchterneine gute Haushaltsführung beizubringen. Dazu gehörennicht nur das sparsame Wirtschaften mit knappen Mitteln,exzellente Kenntnisse im Stricken, Nähen und Kochen,sondern auch der tägliche Gang in die Kirche und das in-nige Gebet. Doch an Frida und Christina prallt die religi-öse Erziehung ab: »Es war die Religion, die meine Mutterin die Hysterie trieb. Wir mussten vor den Mahlzeiten be-ten. Während die Übrigen in sich selbst versunken waren,sahen Christi und ich uns an und versuchten krampfhaft,nicht zu lachen.«5 Wann immer sie es schaffen, schwänzensie den Kommunionsunterricht.

Mexiko ist ein armes, geschundenes Land, »aus seinenWunden gemacht«6, sagt Carlos Fuentes. In der Vorko-lonialzeit hatten sich dort bedeutende Hochkulturen ent-wickelt wie die Olmeken, die Zapoteken und die Maya,deren im Dschungel halb verborgene gewaltige Tempel-pyramiden und Städte bis heute Millionen Besucher ausaller Welt ins Land locken. Noch sind viele Geheimnissevom Werden und Vergehen der mexikanischen Ureinwoh-ner nicht entschlüsselt. Gut dokumentiert ist hingegen dieGeschichte der Azteken, die etwa 1200 nach Christus ihreHauptstadt Tenochtitlán auf den Inseln des Texcoco-Seeserbauten, genau dort, wo heute Mexiko-Stadt liegt.

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