Die Lateralität und Lateralitätsinstabilität in der Diagnostik und Therapie

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Akupunktur German Journal of Acupuncture & Related Techniques Deutsche Zeitschrift für DZA Fortbildung | Education O. Mastalier Die Lateralität und Lateralitätsinstabilität in der Diagnostik und Therapie Laterality and instability of laterality in diagnostics and therapy Dr. med. dent. Oskar Mastalier incomed-Institut Ganzheitsmedizin – Naturheilverfahren – Algesiologie Am Schlossberg 5 D-83080 Oberaudorf/Inn [email protected] Zusammenfassung Die Lateralitätsstörungen und Instabilität sind Diagnose- und Therapiehindernisse, deren Korrektur vor Behandlungsbeginn erforderlich ist. Sie sind auch Grund definierter gesundheitlicher Probleme sowie unspezifischer Krankheiten. Zahlreiche wissen- schaftliche Forschungen belegen eindeutig die Bedeutung der ungestörten Lateralität in der Diagnostik und Therapie. Techni- ken von Testungen und therapeutische Korrekturen ermöglichen optimierte Therapieerfolge. Schlüsselwörter Lateralität, Händigkeit, Lateralitätsinstabilität, klinische Erschei- nungsbilder, Split-Brain, Callostomie, Steuerpunkt der Laterali- tät, Omega-Hauptpunkt, Myelination, Hämisphärendominanz, Reflexwege, Test-Techniken, therapeutische Korrekturen, dys- symmetrische elektromagnetische Therapie Abstract The disturbance and instability of laterality are obstacles to di- agnostics and therapy. Correction prior to starting therapy is required. They also predispose toward defined health problems and unspecific diseases. Numerous research activities provide evidence of the relevance of undisturbed laterality in diagnos- tics and therapy. Techniques of testing and therapeutic correc- tions will allow for optimized therapy success. Keywords Laterality, handedness, laterality-instability, clinical symptoms, split brain, callostomy, auricular laterality steering point, Omega Main-Point, myelination, hemispheric dominance, reflex path- ways, techniques of testing, therapeutic corrections, dissymmet- ric electromagnetic therapy Hintergrund: Strukturen des Gehirns Das Gehirn eines jeden Menschen hat eine etwas differente Or- ganisationsart und jeder Mensch eine einzigartige Persönlich- keit und Struktur seiner individuellen Fähigkeiten. Die zu Kompensationen taugliche Gehirnorganisation ist wohl zu ei- nem erheblichen Grad genetisch festgelegt, darauf wirken sich aber auch Umwelteinflüsse und Erziehung aus. Die revolutio- näre Entdeckung der Macht des logischen Denkens im linken Gehirn ermöglichte einen gewaltigen technologischen Fort- schritt. Dazu ist die Synergie eines von der Logik kontrollier- ten intuitiven Denkens in Kooperation mit der Analyse im linken Gehirn erforderlich, das also ein synergisches Denken der beiden Hemisphären eingeleitet hat. Der vorher auf seine Umgebung auf natürlich-unmittelbare Weise reagierende Mensch hat entdeckt, wie mächtig das Denken in logischen, abstrakten Begriffen sein kann. Die Entwicklung des Compu- ters leitete die weitere revolutionäre Fähigkeit des linken Ge- hirns zum abstrakten logischen Denken ein. Nach Denkensart des rechten Gehirns ist der Computer total ungeeignet, er kann aber die Aufgaben des linken Gehirns millionenmal schneller als der Mensch erledigen. Die Synergie zwischen Computer und Mensch ist die Partnerschaft mit beiden Gehirnhälften. Das rechte Gehirn kann seine Intuition weder überprüfen noch Menschen oder Computern mitteilen. Das linke Gehirn hat Zu- gang zu Intuitionen des rechten Gehirns, kann sie überprüfen und in die logische Sprache anderer Menschen oder Computer übertragen. Durch millionenmal größere Genauigkeit und Geschwindigkeit als jene des Gehirns kann der Computer die Fähigkeiten des linken Gehirns steigern. Die Großhirnrinde mit einem gigantischen Netzwerk von Zellen und deren Verbindungen ist in zwei nicht ganz symmetrische Hälften geteilt. Das Corpus callosum (Balken) verbindet die bei- den Hemisphären, die auf differente Aufgaben spezialisiert sind: Die linke Hemisphäre ist außer für abstraktes und logisches Den- ken auch für die Sprache zuständig. Die rechte Hemisphäre ist assoziiert mit ihrem eigenen separaten Gedankenablauf, die nicht aus Worten bestehen. Sie denkt in sensorischen Bildern, die zur Erkennung befähigen, bestimmt unsere Handlungen zur Problemlösung, sich an etwas zu erinnern, sowie die Emotions- empfindung. Das rechte Gehirn besitzt das uneingeschränkte visuelle Gedächtnis und Kreativität. So ist das menschliche Gehirn eindeutig ein Doppelorgan. Beide Hirnhälften sind immer an komplizierten Aufgaben beteiligt. Die neuralen Verbindungen zwischen den Hemisphären sind beim Neugeborenen unvollständig entwickelt. Der langsame Reifungs- vorgang der Myelination ist erst mit etwa sechs Jahren abge- schlossen. Die sich hierbei herausbildende Lateralisation ist in diesem Reifungsprozess gegenüber Umwelteinflüssen sehr emp- findlich. Bei am Rücken liegenden Neugeborenen konnte die Dominanz des linken Gehirns durch die Beobachtung der Kopf- haltung bewiesen werden: Von 100 Säuglingen haben 88 % den Kopf nach rechts gewandt, nach links nur 9 % [1]. Neugeborene zeigten auch viel stärkere EEG-Veränderungen der linken Hemi- sphäre beim Hören sprachlicher Laute. EEG-Veränderungen wur- den dagegen durch nichtsprachliche Geräusche in der rechten Hemisphäre registriert. Sexualhormone bestimmen pränatal die Händigkeit und die Sinne Riechen, Hören und Tasten. Die Entwicklung der linken Hemisphäre wird durch den Testosterolspiegel beeinflusst, Links- händer haben pränatal stärkere Ausstöße des Stresshormons Adrenalin. DOI: 10.1016/j.dza.2013.11.008  26 26 Dt. Ztschr. f. Akupunktur 56, 4/2013

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O. Mastalier

Die Lateralität und Lateralitätsinstabilität in der Diagnostik und Therapie

Laterality and instability of laterality in diagnostics and therapy

Dr. med. dent. Oskar Mastalierincomed-Institut Ganzheitsmedizin – Naturheilverfahren – Algesiologie

Am Schlossberg 5D-83080 Oberaudorf/[email protected]

ZusammenfassungDie Lateralitätsstörungen und Instabilität sind Diagnose- und Therapiehindernisse, deren Korrektur vor Behandlungsbeginn erforderlich ist. Sie sind auch Grund defi nierter gesundheitlicher Probleme sowie unspezifi scher Krankheiten. Zahlreiche wissen-schaftliche Forschungen belegen eindeutig die Bedeutung der ungestörten Lateralität in der Diagnostik und Therapie. Techni-ken von Testungen und therapeutische Korrekturen ermöglichen optimierte Therapieerfolge.

SchlüsselwörterLateralität, Händigkeit, Lateralitätsinstabilität, klinische Erschei-nungsbilder, Split-Brain, Callostomie, Steuerpunkt der Laterali-tät, Omega-Hauptpunkt, Myelination, Hämisphärendominanz, Refl exwege, Test-Techniken, therapeutische Korrekturen, dys-symmetrische elektromagnetische Therapie

Abstract The disturbance and instability of laterality are obstacles to di-agnostics and therapy. Correction prior to starting therapy is required. They also predispose toward defi ned health problems and unspecifi c diseases. Numerous research activities provide evidence of the relevance of undisturbed laterality in diagnos-tics and therapy. Techniques of testing and therapeutic correc-tions will allow for optimized therapy success.

KeywordsLaterality, handedness, laterality-instability, clinical symptoms, split brain, callostomy, auricular laterality steering point, Omega Main-Point, myelination, hemispheric dominance, refl ex path-ways, techniques of testing, therapeutic corrections, dissymmet-ric electromagnetic therapy

Hintergrund: Strukturen des GehirnsDas Gehirn eines jeden Menschen hat eine etwas diff erente Or-ganisationsart und jeder Mensch eine einzigartige Persönlich-keit und Struktur seiner individuellen Fähigkeiten. Die zu Kompensationen taugliche Gehirnorganisation ist wohl zu ei-nem erheblichen Grad genetisch festgelegt, darauf wirken sich aber auch Umwelteinfl üsse und Erziehung aus. Die revolutio-näre Entdeckung der Macht des logischen Denkens im linken Gehirn ermöglichte einen gewaltigen technologischen Fort-schritt. Dazu ist die Synergie eines von der Logik kontrollier-ten intuitiven Denkens in Kooperation mit der Analyse im linken Gehirn erforderlich, das also ein synergisches Denken der beiden Hemisphären eingeleitet hat. Der vorher auf seine Umgebung auf natürlich-unmittelbare Weise reagierende Mensch hat entdeckt, wie mächtig das Denken in logischen, abstrakten Begriff en sein kann. Die Entwicklung des Compu-ters leitete die weitere revolutionäre Fähigkeit des linken Ge-hirns zum abstrakten logischen Denken ein. Nach Denkensart des rechten Gehirns ist der Computer total ungeeignet, er kann aber die Aufgaben des linken Gehirns millionenmal schneller als der Mensch erledigen. Die Synergie zwischen Computer und Mensch ist die Partnerschaft mit beiden Gehirnhälften. Das rechte Gehirn kann seine Intuition weder überprüfen noch Menschen oder Computern mitteilen. Das linke Gehirn hat Zu-gang zu Intuitionen des rechten Gehirns, kann sie überprüfen und in die logische Sprache anderer Menschen oder Computer übertragen. Durch millionenmal größere Genauigkeit und Geschwindigkeit als jene des Gehirns kann der Computer die Fähigkeiten des linken Gehirns steigern.Die Großhirnrinde mit einem gigantischen Netzwerk von Zellen und deren Verbindungen ist in zwei nicht ganz symmetrische

Hälften geteilt. Das Corpus callosum (Balken) verbindet die bei-den Hemisphären, die auf diff erente Aufgaben spezialisiert sind: Die linke Hemisphäre ist außer für abstraktes und logisches Den-ken auch für die Sprache zuständig. Die rechte Hemisphäre ist assoziiert mit ihrem eigenen separaten Gedankenablauf, die nicht aus Worten bestehen. Sie denkt in sensorischen Bildern, die zur Erkennung befähigen, bestimmt unsere Handlungen zur Problemlösung, sich an etwas zu erinnern, sowie die Emotions-empfi ndung. Das rechte Gehirn besitzt das uneingeschränkte visuelle Gedächtnis und Kreativität.So ist das menschliche Gehirn eindeutig ein Doppelorgan. Beide Hirnhälften sind immer an komplizierten Aufgaben beteiligt. Die neuralen Verbindungen zwischen den Hemisphären sind beim Neugeborenen unvollständig entwickelt. Der langsame Reifungs-vorgang der Myelination ist erst mit etwa sechs Jahren abge-schlossen. Die sich hierbei herausbildende Lateralisation ist in diesem Reifungsprozess gegenüber Umwelteinfl üssen sehr emp-fi ndlich. Bei am Rücken liegenden Neugeborenen konnte die Dominanz des linken Gehirns durch die Beobachtung der Kopf-haltung bewiesen werden: Von 100 Säuglingen haben 88 % den Kopf nach rechts gewandt, nach links nur 9 % [1]. Neugeborene zeigten auch viel stärkere EEG-Veränderungen der linken Hemi-sphäre beim Hören sprachlicher Laute. EEG-Veränderungen wur-den dagegen durch nichtsprachliche Geräusche in der rechten Hemisphäre registriert.Sexualhormone bestimmen pränatal die Händigkeit und die Sinne Riechen, Hören und Tasten. Die Entwicklung der linken Hemisphäre wird durch den Testosterolspiegel beeinfl usst, Links-händer haben pränatal stärkere Ausstöße des Stresshormons Adrenalin.

DOI : 10. 10 16/ j .dza .20 13 . 1 1 .008   2626    Dt. Z tschr. f. Akupunktur 56, 4 / 20 13

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In der Evolution bescherte eine rasante Entwicklung der Groß-hirnrinde dem Menschen seine Intelligenz. Dem Neokortex wer-den Bewusstsein, schöpferische Tätigkeit, Handeln und Fühlen zugeordnet.

Die HändigkeitBeim Normalfall des eindeutigen Rechtshänders sind das rechte Ohr und die linke Hemisphäre dominant. Beim Linkshänder ist es umgekehrt. Statistisch gibt es schätzungsweise 10–15 % Linkshänder unter der Bevölkerung [2].Zur Linkshändigkeit gibt es zahlreiche Meinungen wie künstle-rische Begabung, aber auch nicht beweisbare Assoziationen wie Neigung zu Aggressivität. Den Spekulationen sollte man über-lassen, ob Linkshänder kreativer und musisch begabter sind, oder ob es eine besondere Begabung dafür gibt, einfach „alles mit links zu machen“. Intelligenter sind aber Linkshänder des-halb nicht. Laut Untersuchungen ist der durchschnittliche IQ unabhängig von der Händigkeit [3]. Die zwei möglichen Arten der Partnerschaft der Gehirnhälften sind die volle Lateralisation mit der Partnerschaft zwischen zwei ausgesprochenen Spezia-listen (verbal links, nichtverbal rechts) oder die Partnerschaft von zwei Generalisten (links und rechts verbal und nichtverbal) ohne konkrete Lateralisation. Linkshänder sind weniger latera-lisiert als Rechtshänder [4]. Das erzwungene Umschulen von links nach rechts wurde verlassen.Experimentell hat sich herausgestellt, dass die Teamarbeit von zwei spezialisierten Hemisphären gleich gute Resultate wie Teamarbeit von zwei Generalisten bringen kann. Hinweise zur

Linkshändigkeit sind spontane alltägliche Verrichtungen wie Zähneputzen, Kämmen, Spielwürfel werfen, die mit links ge-macht werden.Beim Kleinkind deutet beim Lesen und Schreiben das Verdrehen einzelner Buchstaben oder unschlüssiges Wechseln eines Mal-stiftes von einer zur anderen Hand auf Linkshändigkeit hin.

Die Split-Brain-ForschungDie historischen Experimente an Patienten mit voneinander ge-trennten Gehirnhälften (Split Brain) des Teams um Dr. Roger Sperry haben fundamentale Erkenntnisse zur richtigen Einschät-zung der tatsächlichen Funktionsaufteilung zwischen der rech-ten und der linken Hemisphäre gebracht [5].Jede Gehirnhälfte hat ihren eigenen Ablauf bewusster Gedanken und auch ihr eigenes Gedächtnis: Das linke Gehirn denkt in Worten, das rechte Gehirn unmittelbar in sensorischen Bildern. Bei allen Säugetieren und beim Menschen ist die natürliche Arbeitsteilung zwischen rechts und links in einer neuralen Verknüpfung angelegt. Jede Gehirnhälfte ist nur mit der gegen-überliegenden Körperseite verbunden. Ein Informationsaustausch zu Sinnen oder Bewegungen wird durch Nervenverbindungen zwischen den Hemisphären ermöglicht. So hat die linke Hemi-sphäre z. B. direkte neurale Verbindungen zur rechten Körper-seite. Indem sie Bewegungsbefehle über das Corpus callosum zur rechten Hemisphäre schickt, kann sie auch die linke Körperseite indirekt bewegen. Tast- und visuelle Informationen sind auch verfügbar, weil die rechte Hemisphäre diese durch das Corpus callosum hinüberschickt. Die Messung der elektrischen Spannung (EEG) an jeder Gehirnhälfte während der Ausführung verschie-dener Aufgaben bestätigt dies. Galin und Ornstein, University of California, beobachteten getrennte EEG-Aufzeichnungen von Signalen der linken und der rechten Gehirnseite bei gesunden Personen, während die Probanden verbale oder räumliche Auf-gaben bewältigten. Bei verbaler Aufgabenerledigung war der Alpharhythmus auf der linken Seite vermindert und blieb auf der rechten Seite unverändert. Während das linke Gehirn die Aufgabe bearbeitete, blieb also das rechte Gehirn untätig. Bei räumlichen Aufgaben zeigte sich die Arbeitserledigung durch das arbeitende rechte Gehirn [4].Abb. 1: Split-Brain-Forschung

Nervenverbindungen zu den Gehirnhemisphären

Rechtes Gehirn Linkes Gehirn Funktion

nichtverbal verbal

linke Gesichtsfeldhälfte rechte Gesichtsfeldhälfte Sehen

rechte Nasenchoane linke Nasenchoane Riechen

beide Ohren, links stärker

beide Ohren, rechts stärker

Hören

linke Seite, grobe Wahr-nehmungen rechts,beide Kopfseiten

rechte Seite,grobe Wahrnehmungen links, beide Kopfseiten

Tasten, Druck und Berüh-rungssinn

beide Seiten, links stärker

beide Seiten, rechts stärker

Gesichts-muskeln

linke Seite, rechts nur Grobbewegungen

rechte Seite, links nur Grobbewegungen

Hände

linke Seite, rechts etwas Mobilität

rechte Seite, links etwas Mobilität

Körper-muskulatur

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Die Statistik zur genetischen HändigkeitStatistisch sehr diff erente Angaben zur genetischen Händigkeit schwanken zwischen 10 und 30 % von Linkshändern, die in der Jugend „umgeschult“ wurden und deshalb nicht so wie in angel-sächsischen Ländern auff allen. In der medizinischen Literatur wer-den etwa 90 % Rechtshänder und 10 % Linkshänder angegeben. Früher wurde angenommen, dass die Entwicklung zum Links- oder Rechtshänder erst im dritten oder vierten Lebensjahr fest-gelegt wird. Irische Forschung leitet jetzt zum Umdenken: Schon ab der 15. SSW saugt das Baby im Mutterleib bevorzugt am Dau-men jener Hand, mit der es später schreibt. Noch nicht verstan-den ist, wie es zum seitenorientierten Daumenlutschen kommt. Bekannt ist, dass das Gehirn vor der 20. Woche noch gar keine Kontrolle über die Bewegungen von Extremitäten hat. [2]Die bis in die 70er-Jahre unheilvoll angewandte „Umschulung“ zur aufgezwungenen Rechtshändigkeit führte zu einem schäd-lichen Eingriff in das Gehirn mit negativen Auswirkungen in der Schulzeit, Ausbildung und Beruf – sowie zu psychischen Beeinträchtigungen. Heute wird die Linkshändigkeit als eine erblich bedingte natürliche Entwicklung angesehen. Welche Hand man stärker benutzt, hängt davon ab, welche Gehirnhälfte die Bewegungen dominant steuert.

Neue Forschung zur Lateralität und HändigkeitForscher der University of California in Los Angeles haben entdeckt, dass die Rechtshändigkeit beim Menschen durch ein spezielles Gen verursacht wird [2]. Beim Fehlen des Gens kann sich sowohl Rechts- als auch Linkshändigkeit entwickeln. Der Neurogenetiker Daniel Geschwind untersuchte mithilfe der Ma-gnetresonanztomographie Gehirne von 72 eineiigen Zwillingen mit identischem Erbgut. Beim Vorhandensein des Rechts-händigkeits-Gens waren beide Testpersonen Rechtshänder und wiesen identische Hirnstrukturen auf. Beim Fehlen des Gens konnte sich der eine Zwilling zum Rechtshänder, der andere zum Linkshänder entwickeln. In diesem Falle unterschieden sich die Gehirne der eineiigen Zwillinge.Während bei Rechtshändern die linke Gehirnhälfte größer als die rechte ist, sind bei Linkshändern symmetrisch große Hirn-hälften vorhanden.

Händigkeit und Akupunktur/Aurikulomedizin –

Bedeutung für die Therapie

Für die gesamte Therapie, besonders aber für die Aurikulome-dizin/Aurikulotherapie ist die eindeutige Abklärung der Hän-digkeit von großer Bedeutung. Die bestehende Lateralitätsinstabilität gilt in der Aurikulomedi-zin als Diagnose- und Therapiehindernis. Lateralitätsteste wer-den daher vor Behandlungsbeginn durchgeführt. Während Organpunkte immer auf der gleichsinnigen Ohrseite genadelt werden, haben psychische und sog. übergeordnete Punkte mit Wirkung nicht nur auf lokales Krankheitsgeschehen, sondern auf den Gesamtorganismus, eine feste Abhängigkeit zur Hän-digkeit. Zu den übergeordneten Punkten in der Aurikulomedizin zählt man u. a. die medikamentvergleichbaren, hormonellen und Stoff wechselpunkte, die Antischmerzpunkte, die zonendomi-nanten Punkte und den Lateralitätssteuerpunkt [6].Wichtige wissenschaftliche Erforschung zur Bedeutung der Lateralität leistete das französische Team um den Neurophysio-logen Prof. René Bourdiol und Dr. Paul Nogier [7]. Zur einfachen

Überprüfung der Lateralität gibt es neben zahlreichen Beobach-tungen zwei langzeitig überprüfte Erfahrungshinweise.

Testverfahren1. Bilaterale Sensibilitätsüberprüfung am Omega-Hauptpunkt Beide Daumen bilden auf die Unterseite des Lobulus ein Gegen-lager, während mit der Kante der Mittelfi ngernagel auf beide Punkte mäßig gedrückt wird. Die drucksensiblere Seite gibt den Hinweis auf die genetische Händigkeit.

2. Der Augen-Stift-Test nach MastalierDer Patient hält in vorgestreckter Hand einen schwarzen Stift/Kugelschreiber und bringt diesen in Deckung mit einer senk-rechten Linie in ca. 3–4 m Entfernung, wobei beide Augen off en sind. Dann wird das rechte Auge zugedeckt. Der Stift wandert beim Rechtshänder nach rechts. Anschließend schaut der Pati-ent wieder mit beiden off enen Augen auf die Deckungslage des Stiftes mit der Senkrechtlinie. Beim Abdecken des linken Auges bleibt beim Rechtshänder der Stift auf der anvisierten Senk-rechtlinie stehen. Beim Linkshänder sind alle Vorgänge umge-kehrt. Dieser Test gilt als sehr zuverlässig.Hinweisgebend sind Fragen nach der „führenden Hand“ bei Frauen: Welche Hand hält den Faden, welche fädelt ein? Die aktive, lateralitätsbetonte Hand fädelt ein.Ein Mann kann zwar mit beiden Händen einen Nagel einschla-gen, schrauben tut er aber nur mit der lateralitätsbetonten Hand. Mundwinkelmimik beim Sprechen und handbetonte Gestikula-tion geben meist richtige Hinweise.

3. Testtechniken der Aurikulomedizin Erfahrene Aurikulotherapeuten nutzen zur Lateralitätsbestimmung einen frequenziellen Low-Laser-Test mit der diagnostischen Fre-quenz G 146 Hz (mit Kontrolle mittels Pulsrefl exantwort – VAS = vaskulär-autonomes Signal n. Nogier) die über dem Präfrontalhirn über der rechten und linken Stirn schwenkend eingestrahlt wird. Zuerst lässt man den Patienten von 100 abwärts in Dreierreihe laut zählen (100, 97, 94, 91 …) und fährt mit der Laserdiode über beide Stirnhälften. Beim Rechtshänder wird über der linken Seite (ratio-nale Hemisphäre) eine Pulsrefl ex-Antwort ausgelöst, beim Links-händer viceversa. Dann lässt man den Patienten etwas Emotionales erzählen (z. B. Urlaubserlebnisse) und prüft wieder, über welcher Stirnseite (emotionale Hemisphäre) ein Pulsrefl ex ausgelöst wird. Ist der Patient gut lateralisiert, nach Hemisphären gut ausge-richtet, verlaufen auch die Refl exwege zum Gehirn richtig, und die Refl extherapie ist erfolgreich. Eine eingetretene bzw. bestehende Lateralitätsinstabilität kann aber die Eff ektivität der Therapie ungünstig beeinfl ussen. Bei der Instabilität handelt es sich um eine Störung in der Dominanz ei-ner Hemisphäre zur anderen. Unter Lateralitätsstörungen versteht man Refl exüberwanderungen zwischen den Hemisphären infolge gestörter Kommissurenbahnen. Die Lateralitätsinstabilität bewirkt eine teilweise Fehlleitung der Refl exe und Informationen über die Kommissurenbahnen und die Formatio reticularis.

Ursachen und klinische Manifestationen

einer Lateralitätsinstabilität

Sowohl beim Rechtshänder als auch beim Linkshänder kann es durch verschiedene Belastungen zur Lateralitätsinstabilität kom-

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men. Ursachen der Instabilität sind meist physische und psychi-sche Überlastung und Stress.Lateralitätsprobleme sind oft der Grund der vegetativen Dysto-nie, der Legasthenie, Enuresis nocturna, des Stotterns, der Schlafstörungen, der sprachlichen und feinmotorischen Störun-gen, von Schwangerschaftserbrechen, Reifungs- und Alterungs-problemen, Stress und unspezifi schen Krankheiten. Hinweise auf Lateralitätsinstabilität sind Störungen im Orientierungssinn, in der Entscheidungsfi ndung, motorische Schwierigkeiten bei komplizierten Bewegungsabläufen. Auff allend ist auch, dass diese Betroff enen signifi kant auf schulmedizinische Medikation nur schlecht oder gar nicht ansprechen. Als Folge der Laterali-tätsstörung ist die Dominanz einer Hemisphäre gestört, z. B. kann sich ein pathologischer Punkt nicht nur auf dem Ohr der betroff enen Körperseite, sondern auch auf dem Ohr der gesun-den Körperseite manifestieren (Zeichen der instabilen, gestörten Refl exwege sogenannter Beidhänder) [9].

Kenntnis oder Empirie der antiken chinesischen Akupunktur-lehre empfahl beispielsweise auch bei unilateralen Schmerzen grundsätzlich Behandlung beider Körperhälften. Manifestiert sich z. B. bei einer nur rechten Kniearthrose der Refl expunkt nicht nur am rechten, sondern auch am linken Ohr, dann gilt dies in der Aurikulotherapie als Hinweis auf gestörte Hemisphärendo-minanz und Instabilität der Refl exwege.Rein intuitiv haben schon altchinesische Akupunkturärzte, de-nen die Ursache Lateralitätsinstabilität unbekannt war, gehan-delt. Sie haben nicht nur einen Punkt der betroff enen Seite, sondern bei Nichtwirksamkeit auch den spiegelbildlichen Ge-genseitenpunkt genadelt, der dann Wirksamkeit zeigte.

Der LateralitätssteuerpunktTherapeutische Korrektur der Lateralitätsinstabilität besteht in der Aurikulomedizin in der Punktur des sog. Lateralitätssteuer-punktes. Der Punkt ist nur im Falle einer Lateralitätsinstabilität, jeweils nur auf der Seite der genetischen Lateralisation manifest. Seine Lokalisation ist 25–30 mm vor der Tragusmitte in der Ge-sichtshaut. Die Nadelung erfolgt nach P. Nogier entsprechend der Auffi ndung (mit +3V Pol des Elektrodipoltasters) mit einer Goldnadel (alternativ Stahlnadel) [8].

Therapie der LateralitätsinstabilitätMedikamentöse Hilfe bietet die Verabreichung von Ginseng-Präparaten, z. B. Ginsana, für Kinder Ginsana-Tabs, roter kore-

anischer Ginseng (Rödler), Eleuthero-coccus senticosus (Eleukokk), Procain-hydrochlorid mit Hä-matoporphyrin (KH 3) und Nachkon-trollen, ob der Late-ralitätssteuerpunkt noch nachweisbar ist.Eine dyssymmetri-sche elektromagneti-sche Therapie mit pulsierendem Mag-netfeld nach Nogier/Abb. 2: Ausgerichtete Lateralität

Abb. 3: Aurikulomedizinische Therapie der Lateralitätsinstabilität. Die Lateralitätssteuerpunkte zur Therapie der instabilen Lateralität – Angabe für Rechtshänder – Lage: 3 cm vor der Tragusmitte auf der Gesichtshaut.

Kovacs mit dem Theramagnetic-Gerät oder dem Magnetostom nach Mastalier mit Frequenz 25 Hz, ca 10–100 Gauss, techni-sche Gerätwerte: 20–25 Hz, Feldstärke 60–600 Gauss, Applika-tion der Magnetspulen der Kopfhörergeräte erfolgt an den Ohren Theramagnetic (Sedatelec); Südpol am rechten, Nordpol am lin-ken Ohr des Rechtshänders, die Anwendung von 7–10 Minuten wirkt stark lateralisierend. Das Magnetostom ist ein 2-Kanal-Magnetfeld-Generator. Die Polung der Magnetfelder in Ohrmu-scheln, die auf die Ohren aufgesetzt werden, ist für jeden einzelnen Kanal von Nord auf Süd umschaltbar. Die Magnet-feldstärke ist wählbar auf 60 und 600 Gauss. Die lateralisierende Wirkung wurde von Mastalier experimentell ermittelt und in zahlreichen Anwendungen mit der Löschung des Lateralitäts-steuerpunktes bestätigt. Das Magnetostom wurde von Mastalier mit der Medizintechnik schwa-medico auch mit speziellen Fre-quenzen (1,56 Hz, 2 Hz, 4 Hz, Hz, 15 Hz, 25 Hz) für zahnmedi-zinische Indikationen der Magnetfeldtherapie, insbesondere der Schmerztherapie konzipiert. Eine publizierte klinische Testreihe mit 292 Patientenfällen bestätigte signifi kante Therapievorteile ohne unerwünschte Nebenwirkungen [10].

Resümee aus PraxislangzeiterfahrungenBesonders in Fällen der klassischen Symptomatikhinweise, bei unzufriedenstellendem Therapieverlauf sowie Non-Responder-Verhalten ist es ratsam, sich mit der Problematik der Auswir-kung einer Lateralitätsinstabilität auseinanderzusetzen.Das kann nicht nur den Therapieverlauf begünstigen und verkür-zen, sondern auch oft unnütze Medikation von Psychopharmaka oder anderer Präparate abwehren.

Literatur 1. Antke C. Neurolog. Klinik Heinrich-Heine Universität. Düsseldorf, 2001 2. Fiedler L. Universität Leipzig, Händigkeits-Gen, internat. Forschung, 2007 3. Ratgeber-gesund: Oberhausen: Gebr. Stork Verlag, 2013, 10 4. Bruckner B. domendos consulting 2013, Die linke und rechte Gehirnhälfte 5. Sperry R. American Scientist ,1952, Eng. Sci. 20, 24–9, 1975, Science 133,

174–75 1961, Handbook Clin. Neurol. 4, 273–90, Levy J., Sperry RW. Proc. 19th, Int. Cong. Psychol., 1975, 224

6. Nogier PFM. Treatise of Auriculotherapy. Moulins-lès-Metz, France: Maison-neuve 1972; Strittmatter B. Taschenatlas Ohrakupunktur n. Nogier/Bahr, Stuttgart: Hippokrates, 2001

7. Bourdiol JR. Elèments d’Auriculothèrapie, Maisonneuce Ed. 1980, Moulins-lès-Metz, France: Maisonneuve, 1972

8. Bahr F. Wissenschaftliche Ohrakupunktur in der Praxis, Heidelberg: vfm Verlag, 1977; Blakeslee ThR. Das rechte Gehirn, Freiburg/Br.: Aurum Verlag, 1980; Bucek R. Lehrbuch der Ohrakupunktur. Heidelberg, Haug, 1994

9. Christian-Albrechts Universität zu Kiel, Kongress Broschüre Legasthesie und Dyskalkulie, 2012

10. Mastalier O. Langzeitversuchsreihe mit dem neuen Magnetostom. Refl extherapien in der ZMKH, 1992; Mastalier O. Refl extherapien in der Zahn-Mund-Kieferheil-kunde, 2. erw. Aufl ., Berlin-Chicago-Sao Paulo-Tokio: Quintessenz-Verlag, 1992

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