Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die...

43
www.claudia-wild.de: HBS_00074__[Druck-PDF]/08.03.2013/Seite 56 56 „Dies ist mein Bundesblut“ (Mk 14,24) Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für liturgisch beeinflusste Transformationsprozesse 1 Hans-Ulrich Weidemann In einem 2009 erschienenen programmatischen Aufsatz arbeitet Michael Theobald instruktiv das gegenseitige Verhältnis von Gottesdienst und Neuem Testament heraus. 2 Es geht ihm dabei um das „höchst komplexe und vitale Wechselspiel, das sich zwischen dem Gottesdienst der (frühen) Kirche und dem Neuen Testament in beiden Richtungen entwickelt hat und, insofern die Schrift den lebendigen Gottesdienst nach wie vor nor- miert, weiterhin entwickelt“. 3 Im Folgenden soll am Beispiel der markinischen Abendmahlserzäh- lung (Mk14,18–25) ein konkreter Aspekt dieses Wechselspiels fokussiert werden, die Frage nämlich, ob und inwiefern in neutestamentlichen Texten Transformationsprozesse rekonstruierbar sind, die durch gottesdienstliche Praxis der hinter ihnen stehenden Ortskirchen ausgelöst wurden. Nun gibt es gute Gründe für die Annahme, dass der Evangelist Markus an seiner Abendmahlserzählung redaktionell gearbeitet hat. Seine Eingriffe, insbe- sondere in das sog. Becherwort Jesu (14,24 f.), sind zweifellos teilweise lite- rarischer Natur, sind also – um ein beliebtes Bild der älteren Forschung erneut zu bemühen – aus alttestamentlich-jüdischen Texten wie Ex 24,8 und Jes 53,11 f. „herausgesponnen“. Allerdings hat Markus daneben offen- bar auch die ihm aus seinen Gemeinden bekannte Mahlpraxis in die litera- rische Gestaltung der Erzählung von Jesu letztem Abendmahl einfließen lassen, was anhand von dessen Datierung als Paschamahl aufgezeigt wer- den soll. 1 Für eine kritische Lektüre des Aufsatzes und wertvolle Anregungen danke ich Herrn Kollegen Clemens Leonhard, Münster. 2 Michael Theobald, Der Gottesdienst der Kirche und das Neue Testament. Erwägungen zu ihrem gegenseitigen Verständnis, in: ThQ 189 (2009) 130–157. 3 Theobald, Gottesdienst (s. Anm. 2), 156.

Transcript of Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die...

Page 1: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 56 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 57

56

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die markinische Abendmahlserzaumlhlung als Beispiel fuumlr liturgisch beeinflusste Transformationsprozesse1

Hans-Ulrich Weidemann

In einem 2009 erschienenen programmatischen Aufsatz arbeitet Michael Theobald instruktiv das gegenseitige Verhaumlltnis von Gottesdienst und Neuem Testament heraus2 Es geht ihm dabei um das bdquohoumlchst komplexe und vitale Wechselspiel das sich zwischen dem Gottesdienst der (fruumlhen) Kirche und dem Neuen Testament in beiden Richtungen entwickelt hat und insofern die Schrift den lebendigen Gottesdienst nach wie vor nor-miert weiterhin entwickeltldquo3

Im Folgenden soll am Beispiel der markinischen Abendmahlserzaumlh-lung (Mk 1418ndash25) ein konkreter Aspekt dieses Wechselspiels fokussiert werden die Frage naumlmlich ob und inwiefern in neutestamentlichen Texten Transformationsprozesse rekonstruierbar sind die durch gottesdienstliche Praxis der hinter ihnen stehenden Ortskirchen ausgeloumlst wurden Nun gibt es gute Gruumlnde fuumlr die Annahme dass der Evangelist Markus an seiner Abendmahlserzaumlhlung redaktionell gearbeitet hat Seine Eingriffe insbe-sondere in das sog Becherwort Jesu (1424thinspf) sind zweifellos teilweise lite-rarischer Natur sind also ndash um ein beliebtes Bild der aumllteren Forschung erneut zu bemuumlhen ndash aus alttestamentlich-juumldischen Texten wie Ex 248 und Jes 5311thinspf bdquoherausgesponnenldquo Allerdings hat Markus daneben offen-bar auch die ihm aus seinen Gemeinden bekannte Mahlpraxis in die litera-rische Gestaltung der Erzaumlhlung von Jesu letztem Abendmahl einflieszligen lassen was anhand von dessen Datierung als Paschamahl aufgezeigt wer-den soll

1 Fuumlr eine kritische Lektuumlre des Aufsatzes und wertvolle Anregungen danke ich Herrn Kollegen Clemens Leonhard Muumlnster

2 Michael Theobald Der Gottesdienst der Kirche und das Neue Testament Erwaumlgungen zu ihrem gegenseitigen Verstaumlndnis in ThQ 189 (2009) 130ndash157

3 Theobald Gottesdienst (s Anm 2) 156

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 56 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 57

57

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die markinische Mahlerzaumlhlung ist demnach eine Manifestation der Christologie und der Bundestheologie des aumlltesten Evangelisten sie stellt aber zugleich eine bislang unterschaumltzte Quelle fuumlr die fruumlhchristliche Symposialpraxis dar

I Abendmahlserzaumlhlung und Liturgie zur Einfuumlhrung

Die Frage ob die markinische Abendmahlserzaumlhlung bei ihrer Gestaltwer-dung liturgischen Einfluumlssen ausgesetzt war ist nicht neu wie die drei im Folgenden knapp skizzierten exemplarischen Positionen aus der aumllteren Forschung zeigen Dabei ergeben sich aus dem Textbefund zwei Ansatz-punkte fuumlr die Ruumlckfrage nach der bdquoliturgischen Praxisldquo die moumlglicher-weise hinter dem Text steht einmal die Frage ob Markus aufgrund seiner Datierung des letzten Abendmahles Jesu als Paschamahl ein bdquochristliches Paschaldquo voraussetzt (1) und zum anderen ob die markinische Fassung der sog Gabeworte Jesu deren liturgischen Gebrauch erkennen laumlsst (2)

1 Abendmahlserzaumlhlung und Gemeindemahl Forschungspositionen

Fuumlr Georg Bertram stellt die Leidensgeschichte Jesu die bdquoKulterzaumlhlung des Christentumsldquo dar die der Christusverehrung der aumlltesten Gemeinde entstammt4 Schon 1922 stellte er die These auf dass bdquodie Gemeindebraumlu-cheldquo auf die Uumlberlieferung einwirkten sie umgestalteten und zthinspT sogar verdraumlngten5 Diesen Verdraumlngungsprozess sieht er vthinspa im Falle der Uumlber-lieferung vom Paschamahl Jesu am Werk Bertram geht von einem alten Mahlbericht aus in den bdquoder aus dem Kultus stammende Abendmahlsbe-richtldquo eingefuumlgt sei6 Dieser bdquoeigentliche Abendmahlsberichtldquo der den

4 Georg Bertram Die Leidensgeschichte Jesu und der Christuskult Eine form-geschichtliche Untersuchung (FRLANT 15) Goumlttingen 1922 96 und 100 bdquoKult-erzaumlhlungldquo versteht Bertram im Unterschied zu profaner Geschichte aber auch zur Missionslegende Konkret meint Bertram damit dass der erhoumlhte Herr der bdquoKultherosldquo in der Leidensgeschichte seiner Gemeinde entgegentritt In den Passionserzaumlhlungen seien die persoumlnlichen Jesuserinnerungen bereits zu kultischen Gemeindeerzaumlhlungen umgewandelt (24)

5 Im Anschluss an Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 28 formuliert Ebd 96 Der urchristliche Christuskult wirke an einzelnen Stellen zthinspB der Abend-mahlsperikope ein

6 Konsequenterweise ist Lukas fuumlr Bertram der Kronzeuge Er habe noch am meisten von der urspruumlnglichen Tradition bewahrt die Mk (und Mt) verdraumlngt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 58 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 59

58

Hans-Ulrich Weidemann

alten Paschabericht nachtraumlglich verdraumlngt habe sei in all den Formen in denen er uns uumlberliefert ist aus dem Kultus uumlbernommen7 Markus setze an die Stelle des alten Pascha das Abendmahl als Abschluss der Pascha-mahlzeit Die uumlberlieferten Bezuumlge auf das Pascha dienten dabei der His-torisierung der Uumlberlieferung vom letzten Mahl in Verbindung mit der Kulterzaumlhlung sollten sie die historische Wurzel des Gemeindebrauches aufzeigen8

Laut Gottfried Schille (1955) ist bdquodie Beziehung zwischen dem Bericht von der letzten Nacht Jesu und der urchristlichen Eucharistie recht engldquo9 Schille schlieszligt aus einer Reihe von eucharistischen Anklaumlngen bdquodass der Bericht uumlber das letzte Mahl Jesu auch abgesehen von den Einsetzungs-worten durch eine Abendmahlsgemeinde gestaltet worden ist Denn bei der Erklaumlrung all dieser Zuumlge sollte man methodisch erst die urchristlichen Feiern heranziehen ehe man auf juumldische oder religionsgeschichtliche Vorbilder verweist die der erzaumlhlenden Gemeinde ferner stehen als ihre eigenen Mahlfeiernldquo10

und durch die Kultaumltiologie Mk 1423ndash25 ersetzt haben Bei Mk sei bdquodas christ-liche Abendmahlldquo an die Stelle des Pascha getreten Mk 1425 sei Uumlberrest und zugleich bdquoHauptinhaltldquo der alten Tradition und Beweis dafuumlr dass auch Mk den alten Paschabericht kannte ihn aber fortlieszlig (Bertram Leidensgeschichte [s Anm 4]) 27thinspf) Mk und Mt bdquobringen beide wohl als dramatische Steigerung am Schluss ihrer ganzen Erzaumlhlung von der letzten Mahlzeit den Schlusssatz des lukanischen Paschaberichtesldquo (ebd 31)

7 Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 29 Bertram geht von der einfachen Form bdquoDas ist mein Leib ndash Das ist mein Blutldquo aus alle Zusaumltze sowie der sog Wiederholungsbefehl entstammten der Gemeindetheologie

8 Vgl Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 319 Gottfried Schille Das Leiden des Herrn Die evangelische Passionstradition

und ihr bdquoSitz im Lebenldquo (1955) wieder abgedruckt in M Limbeck (Hg) Redak-tion und Theologie des Passionsberichts nach den Synoptikern (WdF 481) Darmstadt 1981 154ndash204 172 Fuumlr Schille ist der Bericht von Jesu letzter Nacht eine eigene abgerundete Traditionseinheit Bemerkenswert seine Hinweise ebd 172ndash174 auf die mit dem Hahnenschrei abbrechende Erzaumlhlung der letz-ten Nacht Jesu als bdquoeine eigene Einheit mit eucharistischer Praumlgungldquo Interes-sant vthinspa seine Beobachtung dass der Kreuzestod Jesu nur insofern themati-siert werde bdquoals er aus der letzten Nacht mit Notwendigkeit folgtldquo und statt dessen die bdquoAuslieferungldquo (παραδιδόναι) im Zentrum stehe Auch werde nir-gends auf die Auferstehung ausgeblickt vielmehr blicke die Mahlgemeinde mit 1425 bdquovoraus auf das eschatologische Mahlldquo Vgl zusammenfassend auch ebd 192

10 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 169

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 58 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 59

59

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Schille lenkt dabei den Blick insbesondere auf die Zeitangaben in Mk 15 Die explizite Erwaumlhnung der dritten sechsten und neunten Stunde (152533thinspf) ist fuumlr Schille ein Hinweis auf eine gottesdienstliche bdquoBege-hungldquo des Karfreitags Fuumlr die Gemeinde die laut Did 83 dreimal taumlglich betet werden die Gebetszeiten am Karfreitag mit zentralen Ereignissen der Kreuzigung verbunden11

Schille hat ebenfalls bereits gesehen dass die Datierung des letzten Abendmahles Jesu als Paschamahl in Mk 1412 nicht in erster Linie dazu dient Jesu Tod auf den 15 Nisan zu verlegen Statt dessen habe sie den Sinn bdquoJesu letztes Mahl eindeutig als Passamahlldquo zu kennzeichnen Schille neigt zu der Ansicht dass die Gemeinde hier bdquodie aumlltere Ostertradition auf ihr ererbtes Oster-Passamahl uumlbertragen und deshalb die neue Datierung aufgenommenldquo habe Das Datum in 1412 entspringe demnach einem bdquoliturgischen Beduumlrfnisldquo12

Auch fuumlr Eacutetienne Trocmeacute flieszligen in der markinischen Abendmahlserzaumlh-lung Uumlberlieferung und Gemeindeliturgie zusammen bdquothe story of the Last Supper was told in relation with the celebration of the eucharistldquo13 Die hinter den kanonischen Passionserzaumlhlungen noch sichtbare bdquoearliest Passion narrativeldquo hatte laut Trocmeacute einen liturgischen Sitz im Leben14 Diesen erschlieszligt Trocmeacute aus Mk 1412ndash16 denn hier werde die Verbin-dung der eucharistischen Worte Jesu mit dem juumldischen Pascha grundge-legt15 Die genaue liturgische Funktion des Passionsberichts definiert er in Analogie zu juumldischen bdquoFesttagsrollenldquo bdquothe Markan Passion story origi-nated as the megillah the scroll to be read at an early Christian celebra-tion of the sufferings and death of Christ held on the occasion of the

11 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19112 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19513 Eacutetienne Trocmeacute The Passion as Liturgy A Study in the Origin of the Passion

Narratives in the Four Gospels London 1983 78 (unter Hinweis auf 1Kor 1123ndash26)

14 Dies schlieszligt Trocmeacute zthinspB aus den beiden Mahlerzaumlhlungen (Salbung zu Betha-nien und Letztes Abendmahl) aber auch aus Mk 1412ndash17 sowie der zeitlichen wie strukturellen Gliederung der Passionserzaumlhlung Zum Ganzen vgl Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 77ndash82

15 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 78 Die Passionserzaumlhlung habe daher bdquoliturgical settingldquo und bdquoliturgical rootsldquo (80)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

60

Hans-Ulrich Weidemann

Jewish Passoverldquo16 Also bdquothe Passover celebration (hellip) gave birth to the Passion narrativeldquo17

Fazit Die in der aumllteren Forschungsliteratur zur markinischen Abend-mahlserzaumlhlung aufgeworfenen Fragen wurden bislang nicht angemessen beantwortet und sollen daher noch einmal neu gestellt werden Laumlsst sich dieser Text fuumlr eine Rekonstruktion von fruumlhchristlicher gottesdienstlicher Praxis konkret eines sog bdquojudenchristlichen Paschafestesldquo heranziehen Aber auf welchem methodischen Fundament lieszlige sich ein solches Vorge-hen bewerkstelligen Dass die neutestamentliche Exegese hier ihre literar- wie uumlberlieferungskritischen Ergebnisse mit den Einsichten der Liturgie-wissenschaften ins Gespraumlch zu bringen hat ist offensichtlich und soll im Folgenden auch (notgedrungen exemplarisch) versucht werden

2 Die bdquoEinsetzungsworteldquo als Teil der Liturgie

Zunaumlchst sei aber noch kurz eine Diskussion angerissen die sich eben durch das genannte Zusammenspiel exegetischer und liturgiewissen-schaftlicher Forschung inzwischen faktisch erledigt hat naumlmlich die Frage nach der liturgischen Verwendung der sog bdquoEinsetzungsworteldquo Denn es war insbesondere die auffaumlllige Parallelisierung von Brot- und Kelchwort im markinischen Mahlbericht (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης) die als Hinweis auf eine bdquoEinwirkung der liturgi-schen Verwendungldquo18 der Deuteworte und als bdquooffenkundige Anzeichen einer liturgischen Formungldquo19 gewertet wurde in der liturgischen Praxis

16 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 81 im Anschluss an Ph Carring-ton Ebd 82 bdquoThe Sitz im Leben of the original Passion narrative thus was doubtless the liturgical commemoration of Christrsquos death by Christians during the Jewish Passover celebrationldquo Vgl ebd 84 konkret auf Jerusalem bezogen

17 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 8518 Joachim Jeremias Die Abendmahlsworte Jesu Goumlttingen 41967 107 Jeremias

vermutet im Anschluss an 1Kor 1126 eine Rezitation der Deuteworte mit anschlieszligender Auslegung Vgl ebd 130 die bdquogottesdienstliche Verwendung der Abendmahlstexteldquo habe ihre Uumlberlieferung und ihre Formulierung bdquoin mannigfacher Weise beeinflusstldquo Vgl auch Hans Lietzmann Messe und Her-renmahl Eine Studie zur Geschichte der Liturgie (AKG 8) Berlin 31955 219 Aus juumlngster Zeit (allerdings am Beispiel des matthaumlischen Mahlberichts) Gerd Theissen Sakralmahl und sakramentales Geschehen Abstufungen in der Ritualdynamik des Abendmahls in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppen-identitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 176thinspf mit Anm 18

19 Herrmann Lichtenberger bdquoBundldquo in der Abendmahlsuumlberlieferung in F AvemarieDers (Hg) Bund und Tora (WUNT 92) Tuumlbingen 1996 217ndash228

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

61

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

habe sich das Bestreben durchgesetzt Brot- und Weinwort zu parallelisie-ren20 Der Fokus liegt dabei auf der bdquoAngleichungldquo des Becherwortes an das Brotwort (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμάαἷμά μου) wobei dessen bdquoEntkleidungldquo (sthinspu) in der Regel keine groszlige Beruumlcksichtigung findet Auch der Impera-tiv λάβετε wurde als Hinweis bdquoauf einen direkten Gebrauch der Formulie-rung in der Feierldquo gedeutet21

Doch die oft unhinterfragte Voraussetzung dieser Konstruktion ndash naumlm-lich die Annahme dass die Gabeworte im Kontext der Gemeindeliturgie rezitiert wurden also selbst Teil der Liturgie waren ndash diese Annahme ist nicht mehr aufrechtzuerhalten Neuere liturgiewissenschaftliche exegeti-sche und patristische Forschungen haben gezeigt dass eine liturgische Rezitation weder der sog Einsetzungsberichte noch der Gabeworte Jesu selbst fuumlr das 1 und 2 Jh zu erweisen ist22

Dass die unbestreitbare Parallelisierung der Worte Jesu keineswegs ein Argument fuumlr deren liturgischen Gebrauch ist zeigt auch das Beispiel Justins bei dem diese Parallelisierung ja bekanntlich radikal durchge-fuumlhrt ist In Apol I 66 begruumlndet Justin seine Aussage die Christen naumlh-men das eucharistische Brot und den eucharistischen Wein keineswegs bdquowie gewoumlhnliches Brot und gewoumlhnlichen Trankldquo (662 ὡς κοινὸν ἄρτον οὐδὲ κοινὸν πόμα) zu sich mit dem von den Aposteln in ihren bdquoErinne-

219 Lichtenberger spricht ebd von der bdquoliturgisch motivierten Parallelisie-rungldquo und erkennt bdquoZuumlge eines liturgischen Charaktersldquo

20 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 Zweifellos fuumlhrt Matthaumlus die markinische Parallelisierung noch weiter indem er im Brotwort hinter λάβετε ein φάγετε einschiebt und parallel dazu die mk Notiz καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες dass alle aus dem Kelch tranken in direkte Rede Jesu umformuliert (πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες) Ob darin die bdquobekannten Tendenzen liturgischer Text-gestaltung bei Mt am Werkldquo sind (Lietzmann Messe [s Anm 18] 214) ist aber die Frage Auch Ulrich Luz Das Evangelium nach Matthaumlus IV (EKK I4) Duumlsseldorf etc 2002 95 vermutet dass die mt Aumlnderungen bdquoauf die Gemein-deliturgieldquo zuruumlckgehen Ebenfalls verstaumlrkt Matthaumlus die markinische einsei-tige Gewichtung des Kelchwortes durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν noch weiter (auch dies koumlnnte nach Luz ebd auf die in der mt Gemeinde verwen-dete Abendmahlsliturgie zuruumlckgehen)

21 Wolfgang Schenk Der Passionsbericht nach Markus Untersuchungen zur Uumlberlieferungsgeschichte der Passionstraditionen Guumltersloh 1974 191

22 Vgl dazu zthinspB Paul F Bradshaw Eucharistic Origins London 2004 1ndash23 Andrew McGowan Rethinking Eucharistic Origins in Pacifica 23 (2010) 173ndash191 vthinspa 187ndash189 sowie den Uumlberblick bei Michael Theobald Leib und Blut Christi Erwaumlgungen zu Herkunft Funktion und Bedeutung des sogenannten bdquoEinsetzungsberichtsldquo in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppenidentitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 121ndash166 vthinspa 161ndash165

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

62

Hans-Ulrich Weidemann

rungenldquo (den Evangelien) uumlberlieferten Auftrag (ἐντετάλθαι) Jesu sie sollten zu seinem Gedaumlchtnis23 Brot und Becher nehmen und daruumlber jeweils ein Eucharistiegebet sprechen24 was die Gemeinde bei der Tauf-eucharistie wie bei der Sonntagseucharistie tut25 Die auf den bdquoWieder-holungsbefehlldquo folgenden Deuteworte Jesu (τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου) begruumlnden die in 662 entfaltete GrundaussageDer Befund bei Justin ist also aufschlussreich Die bei ihm anzutref-fende Parallelisierung der Deuteworte Jesu ist gerade kein Beleg fuumlr ihren liturgischen Gebrauch auszligerdem zeigt die mit ihrer Parallelisie-rung einhergehende Reduktion beider () Worte nochmals die Unter-schiede zu Markus

Fazit Die Auffassung dass sich in der Uumlberlieferung der sog Einsetzungs-worte Jesu liturgischer Gebrauch der Traumlgergruppen widerspiegle hat sich nicht bewaumlhrt Sie scheitert bereits daran dass sich ein liturgischer Gebrauch der Worte Jesu (sei es im Kontext der Eucharistiegebete sei es

23 Der sog bdquoWiederholungsbefehlldquo (τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου) steht bei Justin vor dem Brotwort er bezieht sich auf die direkt davorstehenden Handlungen Jesu (λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα) und gilt ebenso fuumlr die ὁμοίως vollzogene Becherhandlung (λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν) Die bdquoAnweisungldquo Jesu (ἐντετάλθαι) bezieht sich also gerade nicht auf die Rezi-tation der Deuteworte Jesu (sthinspu) Denn aus 662 wird auch deutlich dass Brot und Wein διrsquo εὐχῆς λόγου also doch wohl durch die Eucharistiegebete zu bdquoFleisch und Blutldquo Jesu werden Man kann also sagen dass Brot- und Kelch-wort in der Auffassung Justins das bdquoErgebnisldquo der Rezitation der Eucharistie-gebete bezeichnen und damit zur Begruumlndung von 662 dienen

24 Mit Recht bemerkt zwar Theissen Sakralmahl (s Anm 18) 176 Anm 18 dass ein Beauftragtwerden (ἐντετάλθαι) bdquoeher auf eine Handlung die man ausfuumlhrtldquo zielt bdquoals auf eine Lehre die man weitergibtldquo doch besteht diese bdquoHandlungldquo zu der die Juumlnger beauftragt werden eben aus dem direkt im Anschluss stehenden λάβοντα ἄρτον bzw τὸ ποτήριον ὁμοίως λάβοντα sowie dem jeweils auf das bdquoNehmenldquo folgenden εὐχαριστήσαντα Dass es also um die Erhebung der Gaben (λαμβάνειν) und das Sprechen des Eucharistiegebets uumlber sie (εὐχαριστεῖν) geht zeigt insbesondere der bei Justin den beiden Gabeworten vorangestellte bdquoWiederholungsbefehlldquo τοῦτο ποιεῖτε entspricht genau dem ἐντετάλθαι und bezieht sich auf die voranstehenden bdquoHandlungenldquo zuruumlck Kei-neswegs hat Jesus nach Justin also den Juumlngern bdquoaufgetragenldquo die Gabeworte zu wiederholen Dass man aus dem Stichwort ἐπίλογος im Kontext der anschlie-szligend geschilderten Mithrasmysterien auf die Praxis schlieszligen kann die Einset-zungsworte bdquoals Spendeformel nach dem eucharistischen Gebetldquo zu rezitieren (Theissen ebd) ist immerhin denkbar Das wuumlrde Justins Kurzform der Gabe-worte erklaumlren doch gilt die gerade nicht fuumlr die mkmt Fassung Allerdings fehlt jeder Beleg fuumlr einen Gebrauch der Gabeworte als Spendeformeln

25 Vgl Justin Apol I 6535 und 675

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 2: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 56 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 57

57

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die markinische Mahlerzaumlhlung ist demnach eine Manifestation der Christologie und der Bundestheologie des aumlltesten Evangelisten sie stellt aber zugleich eine bislang unterschaumltzte Quelle fuumlr die fruumlhchristliche Symposialpraxis dar

I Abendmahlserzaumlhlung und Liturgie zur Einfuumlhrung

Die Frage ob die markinische Abendmahlserzaumlhlung bei ihrer Gestaltwer-dung liturgischen Einfluumlssen ausgesetzt war ist nicht neu wie die drei im Folgenden knapp skizzierten exemplarischen Positionen aus der aumllteren Forschung zeigen Dabei ergeben sich aus dem Textbefund zwei Ansatz-punkte fuumlr die Ruumlckfrage nach der bdquoliturgischen Praxisldquo die moumlglicher-weise hinter dem Text steht einmal die Frage ob Markus aufgrund seiner Datierung des letzten Abendmahles Jesu als Paschamahl ein bdquochristliches Paschaldquo voraussetzt (1) und zum anderen ob die markinische Fassung der sog Gabeworte Jesu deren liturgischen Gebrauch erkennen laumlsst (2)

1 Abendmahlserzaumlhlung und Gemeindemahl Forschungspositionen

Fuumlr Georg Bertram stellt die Leidensgeschichte Jesu die bdquoKulterzaumlhlung des Christentumsldquo dar die der Christusverehrung der aumlltesten Gemeinde entstammt4 Schon 1922 stellte er die These auf dass bdquodie Gemeindebraumlu-cheldquo auf die Uumlberlieferung einwirkten sie umgestalteten und zthinspT sogar verdraumlngten5 Diesen Verdraumlngungsprozess sieht er vthinspa im Falle der Uumlber-lieferung vom Paschamahl Jesu am Werk Bertram geht von einem alten Mahlbericht aus in den bdquoder aus dem Kultus stammende Abendmahlsbe-richtldquo eingefuumlgt sei6 Dieser bdquoeigentliche Abendmahlsberichtldquo der den

4 Georg Bertram Die Leidensgeschichte Jesu und der Christuskult Eine form-geschichtliche Untersuchung (FRLANT 15) Goumlttingen 1922 96 und 100 bdquoKult-erzaumlhlungldquo versteht Bertram im Unterschied zu profaner Geschichte aber auch zur Missionslegende Konkret meint Bertram damit dass der erhoumlhte Herr der bdquoKultherosldquo in der Leidensgeschichte seiner Gemeinde entgegentritt In den Passionserzaumlhlungen seien die persoumlnlichen Jesuserinnerungen bereits zu kultischen Gemeindeerzaumlhlungen umgewandelt (24)

5 Im Anschluss an Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 28 formuliert Ebd 96 Der urchristliche Christuskult wirke an einzelnen Stellen zthinspB der Abend-mahlsperikope ein

6 Konsequenterweise ist Lukas fuumlr Bertram der Kronzeuge Er habe noch am meisten von der urspruumlnglichen Tradition bewahrt die Mk (und Mt) verdraumlngt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 58 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 59

58

Hans-Ulrich Weidemann

alten Paschabericht nachtraumlglich verdraumlngt habe sei in all den Formen in denen er uns uumlberliefert ist aus dem Kultus uumlbernommen7 Markus setze an die Stelle des alten Pascha das Abendmahl als Abschluss der Pascha-mahlzeit Die uumlberlieferten Bezuumlge auf das Pascha dienten dabei der His-torisierung der Uumlberlieferung vom letzten Mahl in Verbindung mit der Kulterzaumlhlung sollten sie die historische Wurzel des Gemeindebrauches aufzeigen8

Laut Gottfried Schille (1955) ist bdquodie Beziehung zwischen dem Bericht von der letzten Nacht Jesu und der urchristlichen Eucharistie recht engldquo9 Schille schlieszligt aus einer Reihe von eucharistischen Anklaumlngen bdquodass der Bericht uumlber das letzte Mahl Jesu auch abgesehen von den Einsetzungs-worten durch eine Abendmahlsgemeinde gestaltet worden ist Denn bei der Erklaumlrung all dieser Zuumlge sollte man methodisch erst die urchristlichen Feiern heranziehen ehe man auf juumldische oder religionsgeschichtliche Vorbilder verweist die der erzaumlhlenden Gemeinde ferner stehen als ihre eigenen Mahlfeiernldquo10

und durch die Kultaumltiologie Mk 1423ndash25 ersetzt haben Bei Mk sei bdquodas christ-liche Abendmahlldquo an die Stelle des Pascha getreten Mk 1425 sei Uumlberrest und zugleich bdquoHauptinhaltldquo der alten Tradition und Beweis dafuumlr dass auch Mk den alten Paschabericht kannte ihn aber fortlieszlig (Bertram Leidensgeschichte [s Anm 4]) 27thinspf) Mk und Mt bdquobringen beide wohl als dramatische Steigerung am Schluss ihrer ganzen Erzaumlhlung von der letzten Mahlzeit den Schlusssatz des lukanischen Paschaberichtesldquo (ebd 31)

7 Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 29 Bertram geht von der einfachen Form bdquoDas ist mein Leib ndash Das ist mein Blutldquo aus alle Zusaumltze sowie der sog Wiederholungsbefehl entstammten der Gemeindetheologie

8 Vgl Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 319 Gottfried Schille Das Leiden des Herrn Die evangelische Passionstradition

und ihr bdquoSitz im Lebenldquo (1955) wieder abgedruckt in M Limbeck (Hg) Redak-tion und Theologie des Passionsberichts nach den Synoptikern (WdF 481) Darmstadt 1981 154ndash204 172 Fuumlr Schille ist der Bericht von Jesu letzter Nacht eine eigene abgerundete Traditionseinheit Bemerkenswert seine Hinweise ebd 172ndash174 auf die mit dem Hahnenschrei abbrechende Erzaumlhlung der letz-ten Nacht Jesu als bdquoeine eigene Einheit mit eucharistischer Praumlgungldquo Interes-sant vthinspa seine Beobachtung dass der Kreuzestod Jesu nur insofern themati-siert werde bdquoals er aus der letzten Nacht mit Notwendigkeit folgtldquo und statt dessen die bdquoAuslieferungldquo (παραδιδόναι) im Zentrum stehe Auch werde nir-gends auf die Auferstehung ausgeblickt vielmehr blicke die Mahlgemeinde mit 1425 bdquovoraus auf das eschatologische Mahlldquo Vgl zusammenfassend auch ebd 192

10 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 169

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 58 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 59

59

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Schille lenkt dabei den Blick insbesondere auf die Zeitangaben in Mk 15 Die explizite Erwaumlhnung der dritten sechsten und neunten Stunde (152533thinspf) ist fuumlr Schille ein Hinweis auf eine gottesdienstliche bdquoBege-hungldquo des Karfreitags Fuumlr die Gemeinde die laut Did 83 dreimal taumlglich betet werden die Gebetszeiten am Karfreitag mit zentralen Ereignissen der Kreuzigung verbunden11

Schille hat ebenfalls bereits gesehen dass die Datierung des letzten Abendmahles Jesu als Paschamahl in Mk 1412 nicht in erster Linie dazu dient Jesu Tod auf den 15 Nisan zu verlegen Statt dessen habe sie den Sinn bdquoJesu letztes Mahl eindeutig als Passamahlldquo zu kennzeichnen Schille neigt zu der Ansicht dass die Gemeinde hier bdquodie aumlltere Ostertradition auf ihr ererbtes Oster-Passamahl uumlbertragen und deshalb die neue Datierung aufgenommenldquo habe Das Datum in 1412 entspringe demnach einem bdquoliturgischen Beduumlrfnisldquo12

Auch fuumlr Eacutetienne Trocmeacute flieszligen in der markinischen Abendmahlserzaumlh-lung Uumlberlieferung und Gemeindeliturgie zusammen bdquothe story of the Last Supper was told in relation with the celebration of the eucharistldquo13 Die hinter den kanonischen Passionserzaumlhlungen noch sichtbare bdquoearliest Passion narrativeldquo hatte laut Trocmeacute einen liturgischen Sitz im Leben14 Diesen erschlieszligt Trocmeacute aus Mk 1412ndash16 denn hier werde die Verbin-dung der eucharistischen Worte Jesu mit dem juumldischen Pascha grundge-legt15 Die genaue liturgische Funktion des Passionsberichts definiert er in Analogie zu juumldischen bdquoFesttagsrollenldquo bdquothe Markan Passion story origi-nated as the megillah the scroll to be read at an early Christian celebra-tion of the sufferings and death of Christ held on the occasion of the

11 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19112 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19513 Eacutetienne Trocmeacute The Passion as Liturgy A Study in the Origin of the Passion

Narratives in the Four Gospels London 1983 78 (unter Hinweis auf 1Kor 1123ndash26)

14 Dies schlieszligt Trocmeacute zthinspB aus den beiden Mahlerzaumlhlungen (Salbung zu Betha-nien und Letztes Abendmahl) aber auch aus Mk 1412ndash17 sowie der zeitlichen wie strukturellen Gliederung der Passionserzaumlhlung Zum Ganzen vgl Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 77ndash82

15 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 78 Die Passionserzaumlhlung habe daher bdquoliturgical settingldquo und bdquoliturgical rootsldquo (80)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

60

Hans-Ulrich Weidemann

Jewish Passoverldquo16 Also bdquothe Passover celebration (hellip) gave birth to the Passion narrativeldquo17

Fazit Die in der aumllteren Forschungsliteratur zur markinischen Abend-mahlserzaumlhlung aufgeworfenen Fragen wurden bislang nicht angemessen beantwortet und sollen daher noch einmal neu gestellt werden Laumlsst sich dieser Text fuumlr eine Rekonstruktion von fruumlhchristlicher gottesdienstlicher Praxis konkret eines sog bdquojudenchristlichen Paschafestesldquo heranziehen Aber auf welchem methodischen Fundament lieszlige sich ein solches Vorge-hen bewerkstelligen Dass die neutestamentliche Exegese hier ihre literar- wie uumlberlieferungskritischen Ergebnisse mit den Einsichten der Liturgie-wissenschaften ins Gespraumlch zu bringen hat ist offensichtlich und soll im Folgenden auch (notgedrungen exemplarisch) versucht werden

2 Die bdquoEinsetzungsworteldquo als Teil der Liturgie

Zunaumlchst sei aber noch kurz eine Diskussion angerissen die sich eben durch das genannte Zusammenspiel exegetischer und liturgiewissen-schaftlicher Forschung inzwischen faktisch erledigt hat naumlmlich die Frage nach der liturgischen Verwendung der sog bdquoEinsetzungsworteldquo Denn es war insbesondere die auffaumlllige Parallelisierung von Brot- und Kelchwort im markinischen Mahlbericht (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης) die als Hinweis auf eine bdquoEinwirkung der liturgi-schen Verwendungldquo18 der Deuteworte und als bdquooffenkundige Anzeichen einer liturgischen Formungldquo19 gewertet wurde in der liturgischen Praxis

16 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 81 im Anschluss an Ph Carring-ton Ebd 82 bdquoThe Sitz im Leben of the original Passion narrative thus was doubtless the liturgical commemoration of Christrsquos death by Christians during the Jewish Passover celebrationldquo Vgl ebd 84 konkret auf Jerusalem bezogen

17 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 8518 Joachim Jeremias Die Abendmahlsworte Jesu Goumlttingen 41967 107 Jeremias

vermutet im Anschluss an 1Kor 1126 eine Rezitation der Deuteworte mit anschlieszligender Auslegung Vgl ebd 130 die bdquogottesdienstliche Verwendung der Abendmahlstexteldquo habe ihre Uumlberlieferung und ihre Formulierung bdquoin mannigfacher Weise beeinflusstldquo Vgl auch Hans Lietzmann Messe und Her-renmahl Eine Studie zur Geschichte der Liturgie (AKG 8) Berlin 31955 219 Aus juumlngster Zeit (allerdings am Beispiel des matthaumlischen Mahlberichts) Gerd Theissen Sakralmahl und sakramentales Geschehen Abstufungen in der Ritualdynamik des Abendmahls in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppen-identitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 176thinspf mit Anm 18

19 Herrmann Lichtenberger bdquoBundldquo in der Abendmahlsuumlberlieferung in F AvemarieDers (Hg) Bund und Tora (WUNT 92) Tuumlbingen 1996 217ndash228

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

61

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

habe sich das Bestreben durchgesetzt Brot- und Weinwort zu parallelisie-ren20 Der Fokus liegt dabei auf der bdquoAngleichungldquo des Becherwortes an das Brotwort (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμάαἷμά μου) wobei dessen bdquoEntkleidungldquo (sthinspu) in der Regel keine groszlige Beruumlcksichtigung findet Auch der Impera-tiv λάβετε wurde als Hinweis bdquoauf einen direkten Gebrauch der Formulie-rung in der Feierldquo gedeutet21

Doch die oft unhinterfragte Voraussetzung dieser Konstruktion ndash naumlm-lich die Annahme dass die Gabeworte im Kontext der Gemeindeliturgie rezitiert wurden also selbst Teil der Liturgie waren ndash diese Annahme ist nicht mehr aufrechtzuerhalten Neuere liturgiewissenschaftliche exegeti-sche und patristische Forschungen haben gezeigt dass eine liturgische Rezitation weder der sog Einsetzungsberichte noch der Gabeworte Jesu selbst fuumlr das 1 und 2 Jh zu erweisen ist22

Dass die unbestreitbare Parallelisierung der Worte Jesu keineswegs ein Argument fuumlr deren liturgischen Gebrauch ist zeigt auch das Beispiel Justins bei dem diese Parallelisierung ja bekanntlich radikal durchge-fuumlhrt ist In Apol I 66 begruumlndet Justin seine Aussage die Christen naumlh-men das eucharistische Brot und den eucharistischen Wein keineswegs bdquowie gewoumlhnliches Brot und gewoumlhnlichen Trankldquo (662 ὡς κοινὸν ἄρτον οὐδὲ κοινὸν πόμα) zu sich mit dem von den Aposteln in ihren bdquoErinne-

219 Lichtenberger spricht ebd von der bdquoliturgisch motivierten Parallelisie-rungldquo und erkennt bdquoZuumlge eines liturgischen Charaktersldquo

20 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 Zweifellos fuumlhrt Matthaumlus die markinische Parallelisierung noch weiter indem er im Brotwort hinter λάβετε ein φάγετε einschiebt und parallel dazu die mk Notiz καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες dass alle aus dem Kelch tranken in direkte Rede Jesu umformuliert (πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες) Ob darin die bdquobekannten Tendenzen liturgischer Text-gestaltung bei Mt am Werkldquo sind (Lietzmann Messe [s Anm 18] 214) ist aber die Frage Auch Ulrich Luz Das Evangelium nach Matthaumlus IV (EKK I4) Duumlsseldorf etc 2002 95 vermutet dass die mt Aumlnderungen bdquoauf die Gemein-deliturgieldquo zuruumlckgehen Ebenfalls verstaumlrkt Matthaumlus die markinische einsei-tige Gewichtung des Kelchwortes durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν noch weiter (auch dies koumlnnte nach Luz ebd auf die in der mt Gemeinde verwen-dete Abendmahlsliturgie zuruumlckgehen)

21 Wolfgang Schenk Der Passionsbericht nach Markus Untersuchungen zur Uumlberlieferungsgeschichte der Passionstraditionen Guumltersloh 1974 191

22 Vgl dazu zthinspB Paul F Bradshaw Eucharistic Origins London 2004 1ndash23 Andrew McGowan Rethinking Eucharistic Origins in Pacifica 23 (2010) 173ndash191 vthinspa 187ndash189 sowie den Uumlberblick bei Michael Theobald Leib und Blut Christi Erwaumlgungen zu Herkunft Funktion und Bedeutung des sogenannten bdquoEinsetzungsberichtsldquo in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppenidentitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 121ndash166 vthinspa 161ndash165

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

62

Hans-Ulrich Weidemann

rungenldquo (den Evangelien) uumlberlieferten Auftrag (ἐντετάλθαι) Jesu sie sollten zu seinem Gedaumlchtnis23 Brot und Becher nehmen und daruumlber jeweils ein Eucharistiegebet sprechen24 was die Gemeinde bei der Tauf-eucharistie wie bei der Sonntagseucharistie tut25 Die auf den bdquoWieder-holungsbefehlldquo folgenden Deuteworte Jesu (τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου) begruumlnden die in 662 entfaltete GrundaussageDer Befund bei Justin ist also aufschlussreich Die bei ihm anzutref-fende Parallelisierung der Deuteworte Jesu ist gerade kein Beleg fuumlr ihren liturgischen Gebrauch auszligerdem zeigt die mit ihrer Parallelisie-rung einhergehende Reduktion beider () Worte nochmals die Unter-schiede zu Markus

Fazit Die Auffassung dass sich in der Uumlberlieferung der sog Einsetzungs-worte Jesu liturgischer Gebrauch der Traumlgergruppen widerspiegle hat sich nicht bewaumlhrt Sie scheitert bereits daran dass sich ein liturgischer Gebrauch der Worte Jesu (sei es im Kontext der Eucharistiegebete sei es

23 Der sog bdquoWiederholungsbefehlldquo (τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου) steht bei Justin vor dem Brotwort er bezieht sich auf die direkt davorstehenden Handlungen Jesu (λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα) und gilt ebenso fuumlr die ὁμοίως vollzogene Becherhandlung (λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν) Die bdquoAnweisungldquo Jesu (ἐντετάλθαι) bezieht sich also gerade nicht auf die Rezi-tation der Deuteworte Jesu (sthinspu) Denn aus 662 wird auch deutlich dass Brot und Wein διrsquo εὐχῆς λόγου also doch wohl durch die Eucharistiegebete zu bdquoFleisch und Blutldquo Jesu werden Man kann also sagen dass Brot- und Kelch-wort in der Auffassung Justins das bdquoErgebnisldquo der Rezitation der Eucharistie-gebete bezeichnen und damit zur Begruumlndung von 662 dienen

24 Mit Recht bemerkt zwar Theissen Sakralmahl (s Anm 18) 176 Anm 18 dass ein Beauftragtwerden (ἐντετάλθαι) bdquoeher auf eine Handlung die man ausfuumlhrtldquo zielt bdquoals auf eine Lehre die man weitergibtldquo doch besteht diese bdquoHandlungldquo zu der die Juumlnger beauftragt werden eben aus dem direkt im Anschluss stehenden λάβοντα ἄρτον bzw τὸ ποτήριον ὁμοίως λάβοντα sowie dem jeweils auf das bdquoNehmenldquo folgenden εὐχαριστήσαντα Dass es also um die Erhebung der Gaben (λαμβάνειν) und das Sprechen des Eucharistiegebets uumlber sie (εὐχαριστεῖν) geht zeigt insbesondere der bei Justin den beiden Gabeworten vorangestellte bdquoWiederholungsbefehlldquo τοῦτο ποιεῖτε entspricht genau dem ἐντετάλθαι und bezieht sich auf die voranstehenden bdquoHandlungenldquo zuruumlck Kei-neswegs hat Jesus nach Justin also den Juumlngern bdquoaufgetragenldquo die Gabeworte zu wiederholen Dass man aus dem Stichwort ἐπίλογος im Kontext der anschlie-szligend geschilderten Mithrasmysterien auf die Praxis schlieszligen kann die Einset-zungsworte bdquoals Spendeformel nach dem eucharistischen Gebetldquo zu rezitieren (Theissen ebd) ist immerhin denkbar Das wuumlrde Justins Kurzform der Gabe-worte erklaumlren doch gilt die gerade nicht fuumlr die mkmt Fassung Allerdings fehlt jeder Beleg fuumlr einen Gebrauch der Gabeworte als Spendeformeln

25 Vgl Justin Apol I 6535 und 675

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 3: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 58 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 59

58

Hans-Ulrich Weidemann

alten Paschabericht nachtraumlglich verdraumlngt habe sei in all den Formen in denen er uns uumlberliefert ist aus dem Kultus uumlbernommen7 Markus setze an die Stelle des alten Pascha das Abendmahl als Abschluss der Pascha-mahlzeit Die uumlberlieferten Bezuumlge auf das Pascha dienten dabei der His-torisierung der Uumlberlieferung vom letzten Mahl in Verbindung mit der Kulterzaumlhlung sollten sie die historische Wurzel des Gemeindebrauches aufzeigen8

Laut Gottfried Schille (1955) ist bdquodie Beziehung zwischen dem Bericht von der letzten Nacht Jesu und der urchristlichen Eucharistie recht engldquo9 Schille schlieszligt aus einer Reihe von eucharistischen Anklaumlngen bdquodass der Bericht uumlber das letzte Mahl Jesu auch abgesehen von den Einsetzungs-worten durch eine Abendmahlsgemeinde gestaltet worden ist Denn bei der Erklaumlrung all dieser Zuumlge sollte man methodisch erst die urchristlichen Feiern heranziehen ehe man auf juumldische oder religionsgeschichtliche Vorbilder verweist die der erzaumlhlenden Gemeinde ferner stehen als ihre eigenen Mahlfeiernldquo10

und durch die Kultaumltiologie Mk 1423ndash25 ersetzt haben Bei Mk sei bdquodas christ-liche Abendmahlldquo an die Stelle des Pascha getreten Mk 1425 sei Uumlberrest und zugleich bdquoHauptinhaltldquo der alten Tradition und Beweis dafuumlr dass auch Mk den alten Paschabericht kannte ihn aber fortlieszlig (Bertram Leidensgeschichte [s Anm 4]) 27thinspf) Mk und Mt bdquobringen beide wohl als dramatische Steigerung am Schluss ihrer ganzen Erzaumlhlung von der letzten Mahlzeit den Schlusssatz des lukanischen Paschaberichtesldquo (ebd 31)

7 Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 29 Bertram geht von der einfachen Form bdquoDas ist mein Leib ndash Das ist mein Blutldquo aus alle Zusaumltze sowie der sog Wiederholungsbefehl entstammten der Gemeindetheologie

8 Vgl Bertram Leidensgeschichte (s Anm 4) 319 Gottfried Schille Das Leiden des Herrn Die evangelische Passionstradition

und ihr bdquoSitz im Lebenldquo (1955) wieder abgedruckt in M Limbeck (Hg) Redak-tion und Theologie des Passionsberichts nach den Synoptikern (WdF 481) Darmstadt 1981 154ndash204 172 Fuumlr Schille ist der Bericht von Jesu letzter Nacht eine eigene abgerundete Traditionseinheit Bemerkenswert seine Hinweise ebd 172ndash174 auf die mit dem Hahnenschrei abbrechende Erzaumlhlung der letz-ten Nacht Jesu als bdquoeine eigene Einheit mit eucharistischer Praumlgungldquo Interes-sant vthinspa seine Beobachtung dass der Kreuzestod Jesu nur insofern themati-siert werde bdquoals er aus der letzten Nacht mit Notwendigkeit folgtldquo und statt dessen die bdquoAuslieferungldquo (παραδιδόναι) im Zentrum stehe Auch werde nir-gends auf die Auferstehung ausgeblickt vielmehr blicke die Mahlgemeinde mit 1425 bdquovoraus auf das eschatologische Mahlldquo Vgl zusammenfassend auch ebd 192

10 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 169

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 58 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 59

59

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Schille lenkt dabei den Blick insbesondere auf die Zeitangaben in Mk 15 Die explizite Erwaumlhnung der dritten sechsten und neunten Stunde (152533thinspf) ist fuumlr Schille ein Hinweis auf eine gottesdienstliche bdquoBege-hungldquo des Karfreitags Fuumlr die Gemeinde die laut Did 83 dreimal taumlglich betet werden die Gebetszeiten am Karfreitag mit zentralen Ereignissen der Kreuzigung verbunden11

Schille hat ebenfalls bereits gesehen dass die Datierung des letzten Abendmahles Jesu als Paschamahl in Mk 1412 nicht in erster Linie dazu dient Jesu Tod auf den 15 Nisan zu verlegen Statt dessen habe sie den Sinn bdquoJesu letztes Mahl eindeutig als Passamahlldquo zu kennzeichnen Schille neigt zu der Ansicht dass die Gemeinde hier bdquodie aumlltere Ostertradition auf ihr ererbtes Oster-Passamahl uumlbertragen und deshalb die neue Datierung aufgenommenldquo habe Das Datum in 1412 entspringe demnach einem bdquoliturgischen Beduumlrfnisldquo12

Auch fuumlr Eacutetienne Trocmeacute flieszligen in der markinischen Abendmahlserzaumlh-lung Uumlberlieferung und Gemeindeliturgie zusammen bdquothe story of the Last Supper was told in relation with the celebration of the eucharistldquo13 Die hinter den kanonischen Passionserzaumlhlungen noch sichtbare bdquoearliest Passion narrativeldquo hatte laut Trocmeacute einen liturgischen Sitz im Leben14 Diesen erschlieszligt Trocmeacute aus Mk 1412ndash16 denn hier werde die Verbin-dung der eucharistischen Worte Jesu mit dem juumldischen Pascha grundge-legt15 Die genaue liturgische Funktion des Passionsberichts definiert er in Analogie zu juumldischen bdquoFesttagsrollenldquo bdquothe Markan Passion story origi-nated as the megillah the scroll to be read at an early Christian celebra-tion of the sufferings and death of Christ held on the occasion of the

11 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19112 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19513 Eacutetienne Trocmeacute The Passion as Liturgy A Study in the Origin of the Passion

Narratives in the Four Gospels London 1983 78 (unter Hinweis auf 1Kor 1123ndash26)

14 Dies schlieszligt Trocmeacute zthinspB aus den beiden Mahlerzaumlhlungen (Salbung zu Betha-nien und Letztes Abendmahl) aber auch aus Mk 1412ndash17 sowie der zeitlichen wie strukturellen Gliederung der Passionserzaumlhlung Zum Ganzen vgl Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 77ndash82

15 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 78 Die Passionserzaumlhlung habe daher bdquoliturgical settingldquo und bdquoliturgical rootsldquo (80)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

60

Hans-Ulrich Weidemann

Jewish Passoverldquo16 Also bdquothe Passover celebration (hellip) gave birth to the Passion narrativeldquo17

Fazit Die in der aumllteren Forschungsliteratur zur markinischen Abend-mahlserzaumlhlung aufgeworfenen Fragen wurden bislang nicht angemessen beantwortet und sollen daher noch einmal neu gestellt werden Laumlsst sich dieser Text fuumlr eine Rekonstruktion von fruumlhchristlicher gottesdienstlicher Praxis konkret eines sog bdquojudenchristlichen Paschafestesldquo heranziehen Aber auf welchem methodischen Fundament lieszlige sich ein solches Vorge-hen bewerkstelligen Dass die neutestamentliche Exegese hier ihre literar- wie uumlberlieferungskritischen Ergebnisse mit den Einsichten der Liturgie-wissenschaften ins Gespraumlch zu bringen hat ist offensichtlich und soll im Folgenden auch (notgedrungen exemplarisch) versucht werden

2 Die bdquoEinsetzungsworteldquo als Teil der Liturgie

Zunaumlchst sei aber noch kurz eine Diskussion angerissen die sich eben durch das genannte Zusammenspiel exegetischer und liturgiewissen-schaftlicher Forschung inzwischen faktisch erledigt hat naumlmlich die Frage nach der liturgischen Verwendung der sog bdquoEinsetzungsworteldquo Denn es war insbesondere die auffaumlllige Parallelisierung von Brot- und Kelchwort im markinischen Mahlbericht (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης) die als Hinweis auf eine bdquoEinwirkung der liturgi-schen Verwendungldquo18 der Deuteworte und als bdquooffenkundige Anzeichen einer liturgischen Formungldquo19 gewertet wurde in der liturgischen Praxis

16 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 81 im Anschluss an Ph Carring-ton Ebd 82 bdquoThe Sitz im Leben of the original Passion narrative thus was doubtless the liturgical commemoration of Christrsquos death by Christians during the Jewish Passover celebrationldquo Vgl ebd 84 konkret auf Jerusalem bezogen

17 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 8518 Joachim Jeremias Die Abendmahlsworte Jesu Goumlttingen 41967 107 Jeremias

vermutet im Anschluss an 1Kor 1126 eine Rezitation der Deuteworte mit anschlieszligender Auslegung Vgl ebd 130 die bdquogottesdienstliche Verwendung der Abendmahlstexteldquo habe ihre Uumlberlieferung und ihre Formulierung bdquoin mannigfacher Weise beeinflusstldquo Vgl auch Hans Lietzmann Messe und Her-renmahl Eine Studie zur Geschichte der Liturgie (AKG 8) Berlin 31955 219 Aus juumlngster Zeit (allerdings am Beispiel des matthaumlischen Mahlberichts) Gerd Theissen Sakralmahl und sakramentales Geschehen Abstufungen in der Ritualdynamik des Abendmahls in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppen-identitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 176thinspf mit Anm 18

19 Herrmann Lichtenberger bdquoBundldquo in der Abendmahlsuumlberlieferung in F AvemarieDers (Hg) Bund und Tora (WUNT 92) Tuumlbingen 1996 217ndash228

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

61

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

habe sich das Bestreben durchgesetzt Brot- und Weinwort zu parallelisie-ren20 Der Fokus liegt dabei auf der bdquoAngleichungldquo des Becherwortes an das Brotwort (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμάαἷμά μου) wobei dessen bdquoEntkleidungldquo (sthinspu) in der Regel keine groszlige Beruumlcksichtigung findet Auch der Impera-tiv λάβετε wurde als Hinweis bdquoauf einen direkten Gebrauch der Formulie-rung in der Feierldquo gedeutet21

Doch die oft unhinterfragte Voraussetzung dieser Konstruktion ndash naumlm-lich die Annahme dass die Gabeworte im Kontext der Gemeindeliturgie rezitiert wurden also selbst Teil der Liturgie waren ndash diese Annahme ist nicht mehr aufrechtzuerhalten Neuere liturgiewissenschaftliche exegeti-sche und patristische Forschungen haben gezeigt dass eine liturgische Rezitation weder der sog Einsetzungsberichte noch der Gabeworte Jesu selbst fuumlr das 1 und 2 Jh zu erweisen ist22

Dass die unbestreitbare Parallelisierung der Worte Jesu keineswegs ein Argument fuumlr deren liturgischen Gebrauch ist zeigt auch das Beispiel Justins bei dem diese Parallelisierung ja bekanntlich radikal durchge-fuumlhrt ist In Apol I 66 begruumlndet Justin seine Aussage die Christen naumlh-men das eucharistische Brot und den eucharistischen Wein keineswegs bdquowie gewoumlhnliches Brot und gewoumlhnlichen Trankldquo (662 ὡς κοινὸν ἄρτον οὐδὲ κοινὸν πόμα) zu sich mit dem von den Aposteln in ihren bdquoErinne-

219 Lichtenberger spricht ebd von der bdquoliturgisch motivierten Parallelisie-rungldquo und erkennt bdquoZuumlge eines liturgischen Charaktersldquo

20 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 Zweifellos fuumlhrt Matthaumlus die markinische Parallelisierung noch weiter indem er im Brotwort hinter λάβετε ein φάγετε einschiebt und parallel dazu die mk Notiz καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες dass alle aus dem Kelch tranken in direkte Rede Jesu umformuliert (πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες) Ob darin die bdquobekannten Tendenzen liturgischer Text-gestaltung bei Mt am Werkldquo sind (Lietzmann Messe [s Anm 18] 214) ist aber die Frage Auch Ulrich Luz Das Evangelium nach Matthaumlus IV (EKK I4) Duumlsseldorf etc 2002 95 vermutet dass die mt Aumlnderungen bdquoauf die Gemein-deliturgieldquo zuruumlckgehen Ebenfalls verstaumlrkt Matthaumlus die markinische einsei-tige Gewichtung des Kelchwortes durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν noch weiter (auch dies koumlnnte nach Luz ebd auf die in der mt Gemeinde verwen-dete Abendmahlsliturgie zuruumlckgehen)

21 Wolfgang Schenk Der Passionsbericht nach Markus Untersuchungen zur Uumlberlieferungsgeschichte der Passionstraditionen Guumltersloh 1974 191

22 Vgl dazu zthinspB Paul F Bradshaw Eucharistic Origins London 2004 1ndash23 Andrew McGowan Rethinking Eucharistic Origins in Pacifica 23 (2010) 173ndash191 vthinspa 187ndash189 sowie den Uumlberblick bei Michael Theobald Leib und Blut Christi Erwaumlgungen zu Herkunft Funktion und Bedeutung des sogenannten bdquoEinsetzungsberichtsldquo in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppenidentitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 121ndash166 vthinspa 161ndash165

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

62

Hans-Ulrich Weidemann

rungenldquo (den Evangelien) uumlberlieferten Auftrag (ἐντετάλθαι) Jesu sie sollten zu seinem Gedaumlchtnis23 Brot und Becher nehmen und daruumlber jeweils ein Eucharistiegebet sprechen24 was die Gemeinde bei der Tauf-eucharistie wie bei der Sonntagseucharistie tut25 Die auf den bdquoWieder-holungsbefehlldquo folgenden Deuteworte Jesu (τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου) begruumlnden die in 662 entfaltete GrundaussageDer Befund bei Justin ist also aufschlussreich Die bei ihm anzutref-fende Parallelisierung der Deuteworte Jesu ist gerade kein Beleg fuumlr ihren liturgischen Gebrauch auszligerdem zeigt die mit ihrer Parallelisie-rung einhergehende Reduktion beider () Worte nochmals die Unter-schiede zu Markus

Fazit Die Auffassung dass sich in der Uumlberlieferung der sog Einsetzungs-worte Jesu liturgischer Gebrauch der Traumlgergruppen widerspiegle hat sich nicht bewaumlhrt Sie scheitert bereits daran dass sich ein liturgischer Gebrauch der Worte Jesu (sei es im Kontext der Eucharistiegebete sei es

23 Der sog bdquoWiederholungsbefehlldquo (τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου) steht bei Justin vor dem Brotwort er bezieht sich auf die direkt davorstehenden Handlungen Jesu (λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα) und gilt ebenso fuumlr die ὁμοίως vollzogene Becherhandlung (λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν) Die bdquoAnweisungldquo Jesu (ἐντετάλθαι) bezieht sich also gerade nicht auf die Rezi-tation der Deuteworte Jesu (sthinspu) Denn aus 662 wird auch deutlich dass Brot und Wein διrsquo εὐχῆς λόγου also doch wohl durch die Eucharistiegebete zu bdquoFleisch und Blutldquo Jesu werden Man kann also sagen dass Brot- und Kelch-wort in der Auffassung Justins das bdquoErgebnisldquo der Rezitation der Eucharistie-gebete bezeichnen und damit zur Begruumlndung von 662 dienen

24 Mit Recht bemerkt zwar Theissen Sakralmahl (s Anm 18) 176 Anm 18 dass ein Beauftragtwerden (ἐντετάλθαι) bdquoeher auf eine Handlung die man ausfuumlhrtldquo zielt bdquoals auf eine Lehre die man weitergibtldquo doch besteht diese bdquoHandlungldquo zu der die Juumlnger beauftragt werden eben aus dem direkt im Anschluss stehenden λάβοντα ἄρτον bzw τὸ ποτήριον ὁμοίως λάβοντα sowie dem jeweils auf das bdquoNehmenldquo folgenden εὐχαριστήσαντα Dass es also um die Erhebung der Gaben (λαμβάνειν) und das Sprechen des Eucharistiegebets uumlber sie (εὐχαριστεῖν) geht zeigt insbesondere der bei Justin den beiden Gabeworten vorangestellte bdquoWiederholungsbefehlldquo τοῦτο ποιεῖτε entspricht genau dem ἐντετάλθαι und bezieht sich auf die voranstehenden bdquoHandlungenldquo zuruumlck Kei-neswegs hat Jesus nach Justin also den Juumlngern bdquoaufgetragenldquo die Gabeworte zu wiederholen Dass man aus dem Stichwort ἐπίλογος im Kontext der anschlie-szligend geschilderten Mithrasmysterien auf die Praxis schlieszligen kann die Einset-zungsworte bdquoals Spendeformel nach dem eucharistischen Gebetldquo zu rezitieren (Theissen ebd) ist immerhin denkbar Das wuumlrde Justins Kurzform der Gabe-worte erklaumlren doch gilt die gerade nicht fuumlr die mkmt Fassung Allerdings fehlt jeder Beleg fuumlr einen Gebrauch der Gabeworte als Spendeformeln

25 Vgl Justin Apol I 6535 und 675

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 4: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 58 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 59

59

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Schille lenkt dabei den Blick insbesondere auf die Zeitangaben in Mk 15 Die explizite Erwaumlhnung der dritten sechsten und neunten Stunde (152533thinspf) ist fuumlr Schille ein Hinweis auf eine gottesdienstliche bdquoBege-hungldquo des Karfreitags Fuumlr die Gemeinde die laut Did 83 dreimal taumlglich betet werden die Gebetszeiten am Karfreitag mit zentralen Ereignissen der Kreuzigung verbunden11

Schille hat ebenfalls bereits gesehen dass die Datierung des letzten Abendmahles Jesu als Paschamahl in Mk 1412 nicht in erster Linie dazu dient Jesu Tod auf den 15 Nisan zu verlegen Statt dessen habe sie den Sinn bdquoJesu letztes Mahl eindeutig als Passamahlldquo zu kennzeichnen Schille neigt zu der Ansicht dass die Gemeinde hier bdquodie aumlltere Ostertradition auf ihr ererbtes Oster-Passamahl uumlbertragen und deshalb die neue Datierung aufgenommenldquo habe Das Datum in 1412 entspringe demnach einem bdquoliturgischen Beduumlrfnisldquo12

Auch fuumlr Eacutetienne Trocmeacute flieszligen in der markinischen Abendmahlserzaumlh-lung Uumlberlieferung und Gemeindeliturgie zusammen bdquothe story of the Last Supper was told in relation with the celebration of the eucharistldquo13 Die hinter den kanonischen Passionserzaumlhlungen noch sichtbare bdquoearliest Passion narrativeldquo hatte laut Trocmeacute einen liturgischen Sitz im Leben14 Diesen erschlieszligt Trocmeacute aus Mk 1412ndash16 denn hier werde die Verbin-dung der eucharistischen Worte Jesu mit dem juumldischen Pascha grundge-legt15 Die genaue liturgische Funktion des Passionsberichts definiert er in Analogie zu juumldischen bdquoFesttagsrollenldquo bdquothe Markan Passion story origi-nated as the megillah the scroll to be read at an early Christian celebra-tion of the sufferings and death of Christ held on the occasion of the

11 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19112 Schille Das Leiden des Herrn (s Anm 9) 19513 Eacutetienne Trocmeacute The Passion as Liturgy A Study in the Origin of the Passion

Narratives in the Four Gospels London 1983 78 (unter Hinweis auf 1Kor 1123ndash26)

14 Dies schlieszligt Trocmeacute zthinspB aus den beiden Mahlerzaumlhlungen (Salbung zu Betha-nien und Letztes Abendmahl) aber auch aus Mk 1412ndash17 sowie der zeitlichen wie strukturellen Gliederung der Passionserzaumlhlung Zum Ganzen vgl Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 77ndash82

15 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 78 Die Passionserzaumlhlung habe daher bdquoliturgical settingldquo und bdquoliturgical rootsldquo (80)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

60

Hans-Ulrich Weidemann

Jewish Passoverldquo16 Also bdquothe Passover celebration (hellip) gave birth to the Passion narrativeldquo17

Fazit Die in der aumllteren Forschungsliteratur zur markinischen Abend-mahlserzaumlhlung aufgeworfenen Fragen wurden bislang nicht angemessen beantwortet und sollen daher noch einmal neu gestellt werden Laumlsst sich dieser Text fuumlr eine Rekonstruktion von fruumlhchristlicher gottesdienstlicher Praxis konkret eines sog bdquojudenchristlichen Paschafestesldquo heranziehen Aber auf welchem methodischen Fundament lieszlige sich ein solches Vorge-hen bewerkstelligen Dass die neutestamentliche Exegese hier ihre literar- wie uumlberlieferungskritischen Ergebnisse mit den Einsichten der Liturgie-wissenschaften ins Gespraumlch zu bringen hat ist offensichtlich und soll im Folgenden auch (notgedrungen exemplarisch) versucht werden

2 Die bdquoEinsetzungsworteldquo als Teil der Liturgie

Zunaumlchst sei aber noch kurz eine Diskussion angerissen die sich eben durch das genannte Zusammenspiel exegetischer und liturgiewissen-schaftlicher Forschung inzwischen faktisch erledigt hat naumlmlich die Frage nach der liturgischen Verwendung der sog bdquoEinsetzungsworteldquo Denn es war insbesondere die auffaumlllige Parallelisierung von Brot- und Kelchwort im markinischen Mahlbericht (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης) die als Hinweis auf eine bdquoEinwirkung der liturgi-schen Verwendungldquo18 der Deuteworte und als bdquooffenkundige Anzeichen einer liturgischen Formungldquo19 gewertet wurde in der liturgischen Praxis

16 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 81 im Anschluss an Ph Carring-ton Ebd 82 bdquoThe Sitz im Leben of the original Passion narrative thus was doubtless the liturgical commemoration of Christrsquos death by Christians during the Jewish Passover celebrationldquo Vgl ebd 84 konkret auf Jerusalem bezogen

17 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 8518 Joachim Jeremias Die Abendmahlsworte Jesu Goumlttingen 41967 107 Jeremias

vermutet im Anschluss an 1Kor 1126 eine Rezitation der Deuteworte mit anschlieszligender Auslegung Vgl ebd 130 die bdquogottesdienstliche Verwendung der Abendmahlstexteldquo habe ihre Uumlberlieferung und ihre Formulierung bdquoin mannigfacher Weise beeinflusstldquo Vgl auch Hans Lietzmann Messe und Her-renmahl Eine Studie zur Geschichte der Liturgie (AKG 8) Berlin 31955 219 Aus juumlngster Zeit (allerdings am Beispiel des matthaumlischen Mahlberichts) Gerd Theissen Sakralmahl und sakramentales Geschehen Abstufungen in der Ritualdynamik des Abendmahls in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppen-identitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 176thinspf mit Anm 18

19 Herrmann Lichtenberger bdquoBundldquo in der Abendmahlsuumlberlieferung in F AvemarieDers (Hg) Bund und Tora (WUNT 92) Tuumlbingen 1996 217ndash228

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

61

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

habe sich das Bestreben durchgesetzt Brot- und Weinwort zu parallelisie-ren20 Der Fokus liegt dabei auf der bdquoAngleichungldquo des Becherwortes an das Brotwort (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμάαἷμά μου) wobei dessen bdquoEntkleidungldquo (sthinspu) in der Regel keine groszlige Beruumlcksichtigung findet Auch der Impera-tiv λάβετε wurde als Hinweis bdquoauf einen direkten Gebrauch der Formulie-rung in der Feierldquo gedeutet21

Doch die oft unhinterfragte Voraussetzung dieser Konstruktion ndash naumlm-lich die Annahme dass die Gabeworte im Kontext der Gemeindeliturgie rezitiert wurden also selbst Teil der Liturgie waren ndash diese Annahme ist nicht mehr aufrechtzuerhalten Neuere liturgiewissenschaftliche exegeti-sche und patristische Forschungen haben gezeigt dass eine liturgische Rezitation weder der sog Einsetzungsberichte noch der Gabeworte Jesu selbst fuumlr das 1 und 2 Jh zu erweisen ist22

Dass die unbestreitbare Parallelisierung der Worte Jesu keineswegs ein Argument fuumlr deren liturgischen Gebrauch ist zeigt auch das Beispiel Justins bei dem diese Parallelisierung ja bekanntlich radikal durchge-fuumlhrt ist In Apol I 66 begruumlndet Justin seine Aussage die Christen naumlh-men das eucharistische Brot und den eucharistischen Wein keineswegs bdquowie gewoumlhnliches Brot und gewoumlhnlichen Trankldquo (662 ὡς κοινὸν ἄρτον οὐδὲ κοινὸν πόμα) zu sich mit dem von den Aposteln in ihren bdquoErinne-

219 Lichtenberger spricht ebd von der bdquoliturgisch motivierten Parallelisie-rungldquo und erkennt bdquoZuumlge eines liturgischen Charaktersldquo

20 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 Zweifellos fuumlhrt Matthaumlus die markinische Parallelisierung noch weiter indem er im Brotwort hinter λάβετε ein φάγετε einschiebt und parallel dazu die mk Notiz καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες dass alle aus dem Kelch tranken in direkte Rede Jesu umformuliert (πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες) Ob darin die bdquobekannten Tendenzen liturgischer Text-gestaltung bei Mt am Werkldquo sind (Lietzmann Messe [s Anm 18] 214) ist aber die Frage Auch Ulrich Luz Das Evangelium nach Matthaumlus IV (EKK I4) Duumlsseldorf etc 2002 95 vermutet dass die mt Aumlnderungen bdquoauf die Gemein-deliturgieldquo zuruumlckgehen Ebenfalls verstaumlrkt Matthaumlus die markinische einsei-tige Gewichtung des Kelchwortes durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν noch weiter (auch dies koumlnnte nach Luz ebd auf die in der mt Gemeinde verwen-dete Abendmahlsliturgie zuruumlckgehen)

21 Wolfgang Schenk Der Passionsbericht nach Markus Untersuchungen zur Uumlberlieferungsgeschichte der Passionstraditionen Guumltersloh 1974 191

22 Vgl dazu zthinspB Paul F Bradshaw Eucharistic Origins London 2004 1ndash23 Andrew McGowan Rethinking Eucharistic Origins in Pacifica 23 (2010) 173ndash191 vthinspa 187ndash189 sowie den Uumlberblick bei Michael Theobald Leib und Blut Christi Erwaumlgungen zu Herkunft Funktion und Bedeutung des sogenannten bdquoEinsetzungsberichtsldquo in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppenidentitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 121ndash166 vthinspa 161ndash165

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

62

Hans-Ulrich Weidemann

rungenldquo (den Evangelien) uumlberlieferten Auftrag (ἐντετάλθαι) Jesu sie sollten zu seinem Gedaumlchtnis23 Brot und Becher nehmen und daruumlber jeweils ein Eucharistiegebet sprechen24 was die Gemeinde bei der Tauf-eucharistie wie bei der Sonntagseucharistie tut25 Die auf den bdquoWieder-holungsbefehlldquo folgenden Deuteworte Jesu (τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου) begruumlnden die in 662 entfaltete GrundaussageDer Befund bei Justin ist also aufschlussreich Die bei ihm anzutref-fende Parallelisierung der Deuteworte Jesu ist gerade kein Beleg fuumlr ihren liturgischen Gebrauch auszligerdem zeigt die mit ihrer Parallelisie-rung einhergehende Reduktion beider () Worte nochmals die Unter-schiede zu Markus

Fazit Die Auffassung dass sich in der Uumlberlieferung der sog Einsetzungs-worte Jesu liturgischer Gebrauch der Traumlgergruppen widerspiegle hat sich nicht bewaumlhrt Sie scheitert bereits daran dass sich ein liturgischer Gebrauch der Worte Jesu (sei es im Kontext der Eucharistiegebete sei es

23 Der sog bdquoWiederholungsbefehlldquo (τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου) steht bei Justin vor dem Brotwort er bezieht sich auf die direkt davorstehenden Handlungen Jesu (λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα) und gilt ebenso fuumlr die ὁμοίως vollzogene Becherhandlung (λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν) Die bdquoAnweisungldquo Jesu (ἐντετάλθαι) bezieht sich also gerade nicht auf die Rezi-tation der Deuteworte Jesu (sthinspu) Denn aus 662 wird auch deutlich dass Brot und Wein διrsquo εὐχῆς λόγου also doch wohl durch die Eucharistiegebete zu bdquoFleisch und Blutldquo Jesu werden Man kann also sagen dass Brot- und Kelch-wort in der Auffassung Justins das bdquoErgebnisldquo der Rezitation der Eucharistie-gebete bezeichnen und damit zur Begruumlndung von 662 dienen

24 Mit Recht bemerkt zwar Theissen Sakralmahl (s Anm 18) 176 Anm 18 dass ein Beauftragtwerden (ἐντετάλθαι) bdquoeher auf eine Handlung die man ausfuumlhrtldquo zielt bdquoals auf eine Lehre die man weitergibtldquo doch besteht diese bdquoHandlungldquo zu der die Juumlnger beauftragt werden eben aus dem direkt im Anschluss stehenden λάβοντα ἄρτον bzw τὸ ποτήριον ὁμοίως λάβοντα sowie dem jeweils auf das bdquoNehmenldquo folgenden εὐχαριστήσαντα Dass es also um die Erhebung der Gaben (λαμβάνειν) und das Sprechen des Eucharistiegebets uumlber sie (εὐχαριστεῖν) geht zeigt insbesondere der bei Justin den beiden Gabeworten vorangestellte bdquoWiederholungsbefehlldquo τοῦτο ποιεῖτε entspricht genau dem ἐντετάλθαι und bezieht sich auf die voranstehenden bdquoHandlungenldquo zuruumlck Kei-neswegs hat Jesus nach Justin also den Juumlngern bdquoaufgetragenldquo die Gabeworte zu wiederholen Dass man aus dem Stichwort ἐπίλογος im Kontext der anschlie-szligend geschilderten Mithrasmysterien auf die Praxis schlieszligen kann die Einset-zungsworte bdquoals Spendeformel nach dem eucharistischen Gebetldquo zu rezitieren (Theissen ebd) ist immerhin denkbar Das wuumlrde Justins Kurzform der Gabe-worte erklaumlren doch gilt die gerade nicht fuumlr die mkmt Fassung Allerdings fehlt jeder Beleg fuumlr einen Gebrauch der Gabeworte als Spendeformeln

25 Vgl Justin Apol I 6535 und 675

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 5: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

60

Hans-Ulrich Weidemann

Jewish Passoverldquo16 Also bdquothe Passover celebration (hellip) gave birth to the Passion narrativeldquo17

Fazit Die in der aumllteren Forschungsliteratur zur markinischen Abend-mahlserzaumlhlung aufgeworfenen Fragen wurden bislang nicht angemessen beantwortet und sollen daher noch einmal neu gestellt werden Laumlsst sich dieser Text fuumlr eine Rekonstruktion von fruumlhchristlicher gottesdienstlicher Praxis konkret eines sog bdquojudenchristlichen Paschafestesldquo heranziehen Aber auf welchem methodischen Fundament lieszlige sich ein solches Vorge-hen bewerkstelligen Dass die neutestamentliche Exegese hier ihre literar- wie uumlberlieferungskritischen Ergebnisse mit den Einsichten der Liturgie-wissenschaften ins Gespraumlch zu bringen hat ist offensichtlich und soll im Folgenden auch (notgedrungen exemplarisch) versucht werden

2 Die bdquoEinsetzungsworteldquo als Teil der Liturgie

Zunaumlchst sei aber noch kurz eine Diskussion angerissen die sich eben durch das genannte Zusammenspiel exegetischer und liturgiewissen-schaftlicher Forschung inzwischen faktisch erledigt hat naumlmlich die Frage nach der liturgischen Verwendung der sog bdquoEinsetzungsworteldquo Denn es war insbesondere die auffaumlllige Parallelisierung von Brot- und Kelchwort im markinischen Mahlbericht (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης) die als Hinweis auf eine bdquoEinwirkung der liturgi-schen Verwendungldquo18 der Deuteworte und als bdquooffenkundige Anzeichen einer liturgischen Formungldquo19 gewertet wurde in der liturgischen Praxis

16 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 81 im Anschluss an Ph Carring-ton Ebd 82 bdquoThe Sitz im Leben of the original Passion narrative thus was doubtless the liturgical commemoration of Christrsquos death by Christians during the Jewish Passover celebrationldquo Vgl ebd 84 konkret auf Jerusalem bezogen

17 Trocmeacute The Passion as Liturgy (s Anm 13) 8518 Joachim Jeremias Die Abendmahlsworte Jesu Goumlttingen 41967 107 Jeremias

vermutet im Anschluss an 1Kor 1126 eine Rezitation der Deuteworte mit anschlieszligender Auslegung Vgl ebd 130 die bdquogottesdienstliche Verwendung der Abendmahlstexteldquo habe ihre Uumlberlieferung und ihre Formulierung bdquoin mannigfacher Weise beeinflusstldquo Vgl auch Hans Lietzmann Messe und Her-renmahl Eine Studie zur Geschichte der Liturgie (AKG 8) Berlin 31955 219 Aus juumlngster Zeit (allerdings am Beispiel des matthaumlischen Mahlberichts) Gerd Theissen Sakralmahl und sakramentales Geschehen Abstufungen in der Ritualdynamik des Abendmahls in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppen-identitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 176thinspf mit Anm 18

19 Herrmann Lichtenberger bdquoBundldquo in der Abendmahlsuumlberlieferung in F AvemarieDers (Hg) Bund und Tora (WUNT 92) Tuumlbingen 1996 217ndash228

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

61

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

habe sich das Bestreben durchgesetzt Brot- und Weinwort zu parallelisie-ren20 Der Fokus liegt dabei auf der bdquoAngleichungldquo des Becherwortes an das Brotwort (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμάαἷμά μου) wobei dessen bdquoEntkleidungldquo (sthinspu) in der Regel keine groszlige Beruumlcksichtigung findet Auch der Impera-tiv λάβετε wurde als Hinweis bdquoauf einen direkten Gebrauch der Formulie-rung in der Feierldquo gedeutet21

Doch die oft unhinterfragte Voraussetzung dieser Konstruktion ndash naumlm-lich die Annahme dass die Gabeworte im Kontext der Gemeindeliturgie rezitiert wurden also selbst Teil der Liturgie waren ndash diese Annahme ist nicht mehr aufrechtzuerhalten Neuere liturgiewissenschaftliche exegeti-sche und patristische Forschungen haben gezeigt dass eine liturgische Rezitation weder der sog Einsetzungsberichte noch der Gabeworte Jesu selbst fuumlr das 1 und 2 Jh zu erweisen ist22

Dass die unbestreitbare Parallelisierung der Worte Jesu keineswegs ein Argument fuumlr deren liturgischen Gebrauch ist zeigt auch das Beispiel Justins bei dem diese Parallelisierung ja bekanntlich radikal durchge-fuumlhrt ist In Apol I 66 begruumlndet Justin seine Aussage die Christen naumlh-men das eucharistische Brot und den eucharistischen Wein keineswegs bdquowie gewoumlhnliches Brot und gewoumlhnlichen Trankldquo (662 ὡς κοινὸν ἄρτον οὐδὲ κοινὸν πόμα) zu sich mit dem von den Aposteln in ihren bdquoErinne-

219 Lichtenberger spricht ebd von der bdquoliturgisch motivierten Parallelisie-rungldquo und erkennt bdquoZuumlge eines liturgischen Charaktersldquo

20 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 Zweifellos fuumlhrt Matthaumlus die markinische Parallelisierung noch weiter indem er im Brotwort hinter λάβετε ein φάγετε einschiebt und parallel dazu die mk Notiz καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες dass alle aus dem Kelch tranken in direkte Rede Jesu umformuliert (πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες) Ob darin die bdquobekannten Tendenzen liturgischer Text-gestaltung bei Mt am Werkldquo sind (Lietzmann Messe [s Anm 18] 214) ist aber die Frage Auch Ulrich Luz Das Evangelium nach Matthaumlus IV (EKK I4) Duumlsseldorf etc 2002 95 vermutet dass die mt Aumlnderungen bdquoauf die Gemein-deliturgieldquo zuruumlckgehen Ebenfalls verstaumlrkt Matthaumlus die markinische einsei-tige Gewichtung des Kelchwortes durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν noch weiter (auch dies koumlnnte nach Luz ebd auf die in der mt Gemeinde verwen-dete Abendmahlsliturgie zuruumlckgehen)

21 Wolfgang Schenk Der Passionsbericht nach Markus Untersuchungen zur Uumlberlieferungsgeschichte der Passionstraditionen Guumltersloh 1974 191

22 Vgl dazu zthinspB Paul F Bradshaw Eucharistic Origins London 2004 1ndash23 Andrew McGowan Rethinking Eucharistic Origins in Pacifica 23 (2010) 173ndash191 vthinspa 187ndash189 sowie den Uumlberblick bei Michael Theobald Leib und Blut Christi Erwaumlgungen zu Herkunft Funktion und Bedeutung des sogenannten bdquoEinsetzungsberichtsldquo in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppenidentitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 121ndash166 vthinspa 161ndash165

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

62

Hans-Ulrich Weidemann

rungenldquo (den Evangelien) uumlberlieferten Auftrag (ἐντετάλθαι) Jesu sie sollten zu seinem Gedaumlchtnis23 Brot und Becher nehmen und daruumlber jeweils ein Eucharistiegebet sprechen24 was die Gemeinde bei der Tauf-eucharistie wie bei der Sonntagseucharistie tut25 Die auf den bdquoWieder-holungsbefehlldquo folgenden Deuteworte Jesu (τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου) begruumlnden die in 662 entfaltete GrundaussageDer Befund bei Justin ist also aufschlussreich Die bei ihm anzutref-fende Parallelisierung der Deuteworte Jesu ist gerade kein Beleg fuumlr ihren liturgischen Gebrauch auszligerdem zeigt die mit ihrer Parallelisie-rung einhergehende Reduktion beider () Worte nochmals die Unter-schiede zu Markus

Fazit Die Auffassung dass sich in der Uumlberlieferung der sog Einsetzungs-worte Jesu liturgischer Gebrauch der Traumlgergruppen widerspiegle hat sich nicht bewaumlhrt Sie scheitert bereits daran dass sich ein liturgischer Gebrauch der Worte Jesu (sei es im Kontext der Eucharistiegebete sei es

23 Der sog bdquoWiederholungsbefehlldquo (τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου) steht bei Justin vor dem Brotwort er bezieht sich auf die direkt davorstehenden Handlungen Jesu (λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα) und gilt ebenso fuumlr die ὁμοίως vollzogene Becherhandlung (λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν) Die bdquoAnweisungldquo Jesu (ἐντετάλθαι) bezieht sich also gerade nicht auf die Rezi-tation der Deuteworte Jesu (sthinspu) Denn aus 662 wird auch deutlich dass Brot und Wein διrsquo εὐχῆς λόγου also doch wohl durch die Eucharistiegebete zu bdquoFleisch und Blutldquo Jesu werden Man kann also sagen dass Brot- und Kelch-wort in der Auffassung Justins das bdquoErgebnisldquo der Rezitation der Eucharistie-gebete bezeichnen und damit zur Begruumlndung von 662 dienen

24 Mit Recht bemerkt zwar Theissen Sakralmahl (s Anm 18) 176 Anm 18 dass ein Beauftragtwerden (ἐντετάλθαι) bdquoeher auf eine Handlung die man ausfuumlhrtldquo zielt bdquoals auf eine Lehre die man weitergibtldquo doch besteht diese bdquoHandlungldquo zu der die Juumlnger beauftragt werden eben aus dem direkt im Anschluss stehenden λάβοντα ἄρτον bzw τὸ ποτήριον ὁμοίως λάβοντα sowie dem jeweils auf das bdquoNehmenldquo folgenden εὐχαριστήσαντα Dass es also um die Erhebung der Gaben (λαμβάνειν) und das Sprechen des Eucharistiegebets uumlber sie (εὐχαριστεῖν) geht zeigt insbesondere der bei Justin den beiden Gabeworten vorangestellte bdquoWiederholungsbefehlldquo τοῦτο ποιεῖτε entspricht genau dem ἐντετάλθαι und bezieht sich auf die voranstehenden bdquoHandlungenldquo zuruumlck Kei-neswegs hat Jesus nach Justin also den Juumlngern bdquoaufgetragenldquo die Gabeworte zu wiederholen Dass man aus dem Stichwort ἐπίλογος im Kontext der anschlie-szligend geschilderten Mithrasmysterien auf die Praxis schlieszligen kann die Einset-zungsworte bdquoals Spendeformel nach dem eucharistischen Gebetldquo zu rezitieren (Theissen ebd) ist immerhin denkbar Das wuumlrde Justins Kurzform der Gabe-worte erklaumlren doch gilt die gerade nicht fuumlr die mkmt Fassung Allerdings fehlt jeder Beleg fuumlr einen Gebrauch der Gabeworte als Spendeformeln

25 Vgl Justin Apol I 6535 und 675

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 6: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 60 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 61

61

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

habe sich das Bestreben durchgesetzt Brot- und Weinwort zu parallelisie-ren20 Der Fokus liegt dabei auf der bdquoAngleichungldquo des Becherwortes an das Brotwort (τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμάαἷμά μου) wobei dessen bdquoEntkleidungldquo (sthinspu) in der Regel keine groszlige Beruumlcksichtigung findet Auch der Impera-tiv λάβετε wurde als Hinweis bdquoauf einen direkten Gebrauch der Formulie-rung in der Feierldquo gedeutet21

Doch die oft unhinterfragte Voraussetzung dieser Konstruktion ndash naumlm-lich die Annahme dass die Gabeworte im Kontext der Gemeindeliturgie rezitiert wurden also selbst Teil der Liturgie waren ndash diese Annahme ist nicht mehr aufrechtzuerhalten Neuere liturgiewissenschaftliche exegeti-sche und patristische Forschungen haben gezeigt dass eine liturgische Rezitation weder der sog Einsetzungsberichte noch der Gabeworte Jesu selbst fuumlr das 1 und 2 Jh zu erweisen ist22

Dass die unbestreitbare Parallelisierung der Worte Jesu keineswegs ein Argument fuumlr deren liturgischen Gebrauch ist zeigt auch das Beispiel Justins bei dem diese Parallelisierung ja bekanntlich radikal durchge-fuumlhrt ist In Apol I 66 begruumlndet Justin seine Aussage die Christen naumlh-men das eucharistische Brot und den eucharistischen Wein keineswegs bdquowie gewoumlhnliches Brot und gewoumlhnlichen Trankldquo (662 ὡς κοινὸν ἄρτον οὐδὲ κοινὸν πόμα) zu sich mit dem von den Aposteln in ihren bdquoErinne-

219 Lichtenberger spricht ebd von der bdquoliturgisch motivierten Parallelisie-rungldquo und erkennt bdquoZuumlge eines liturgischen Charaktersldquo

20 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 Zweifellos fuumlhrt Matthaumlus die markinische Parallelisierung noch weiter indem er im Brotwort hinter λάβετε ein φάγετε einschiebt und parallel dazu die mk Notiz καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες dass alle aus dem Kelch tranken in direkte Rede Jesu umformuliert (πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες) Ob darin die bdquobekannten Tendenzen liturgischer Text-gestaltung bei Mt am Werkldquo sind (Lietzmann Messe [s Anm 18] 214) ist aber die Frage Auch Ulrich Luz Das Evangelium nach Matthaumlus IV (EKK I4) Duumlsseldorf etc 2002 95 vermutet dass die mt Aumlnderungen bdquoauf die Gemein-deliturgieldquo zuruumlckgehen Ebenfalls verstaumlrkt Matthaumlus die markinische einsei-tige Gewichtung des Kelchwortes durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν noch weiter (auch dies koumlnnte nach Luz ebd auf die in der mt Gemeinde verwen-dete Abendmahlsliturgie zuruumlckgehen)

21 Wolfgang Schenk Der Passionsbericht nach Markus Untersuchungen zur Uumlberlieferungsgeschichte der Passionstraditionen Guumltersloh 1974 191

22 Vgl dazu zthinspB Paul F Bradshaw Eucharistic Origins London 2004 1ndash23 Andrew McGowan Rethinking Eucharistic Origins in Pacifica 23 (2010) 173ndash191 vthinspa 187ndash189 sowie den Uumlberblick bei Michael Theobald Leib und Blut Christi Erwaumlgungen zu Herkunft Funktion und Bedeutung des sogenannten bdquoEinsetzungsberichtsldquo in M Ebner (Hg) Herrenmahl und Gruppenidentitaumlt (QD 221) Freiburg ithinspBr 2007 121ndash166 vthinspa 161ndash165

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

62

Hans-Ulrich Weidemann

rungenldquo (den Evangelien) uumlberlieferten Auftrag (ἐντετάλθαι) Jesu sie sollten zu seinem Gedaumlchtnis23 Brot und Becher nehmen und daruumlber jeweils ein Eucharistiegebet sprechen24 was die Gemeinde bei der Tauf-eucharistie wie bei der Sonntagseucharistie tut25 Die auf den bdquoWieder-holungsbefehlldquo folgenden Deuteworte Jesu (τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου) begruumlnden die in 662 entfaltete GrundaussageDer Befund bei Justin ist also aufschlussreich Die bei ihm anzutref-fende Parallelisierung der Deuteworte Jesu ist gerade kein Beleg fuumlr ihren liturgischen Gebrauch auszligerdem zeigt die mit ihrer Parallelisie-rung einhergehende Reduktion beider () Worte nochmals die Unter-schiede zu Markus

Fazit Die Auffassung dass sich in der Uumlberlieferung der sog Einsetzungs-worte Jesu liturgischer Gebrauch der Traumlgergruppen widerspiegle hat sich nicht bewaumlhrt Sie scheitert bereits daran dass sich ein liturgischer Gebrauch der Worte Jesu (sei es im Kontext der Eucharistiegebete sei es

23 Der sog bdquoWiederholungsbefehlldquo (τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου) steht bei Justin vor dem Brotwort er bezieht sich auf die direkt davorstehenden Handlungen Jesu (λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα) und gilt ebenso fuumlr die ὁμοίως vollzogene Becherhandlung (λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν) Die bdquoAnweisungldquo Jesu (ἐντετάλθαι) bezieht sich also gerade nicht auf die Rezi-tation der Deuteworte Jesu (sthinspu) Denn aus 662 wird auch deutlich dass Brot und Wein διrsquo εὐχῆς λόγου also doch wohl durch die Eucharistiegebete zu bdquoFleisch und Blutldquo Jesu werden Man kann also sagen dass Brot- und Kelch-wort in der Auffassung Justins das bdquoErgebnisldquo der Rezitation der Eucharistie-gebete bezeichnen und damit zur Begruumlndung von 662 dienen

24 Mit Recht bemerkt zwar Theissen Sakralmahl (s Anm 18) 176 Anm 18 dass ein Beauftragtwerden (ἐντετάλθαι) bdquoeher auf eine Handlung die man ausfuumlhrtldquo zielt bdquoals auf eine Lehre die man weitergibtldquo doch besteht diese bdquoHandlungldquo zu der die Juumlnger beauftragt werden eben aus dem direkt im Anschluss stehenden λάβοντα ἄρτον bzw τὸ ποτήριον ὁμοίως λάβοντα sowie dem jeweils auf das bdquoNehmenldquo folgenden εὐχαριστήσαντα Dass es also um die Erhebung der Gaben (λαμβάνειν) und das Sprechen des Eucharistiegebets uumlber sie (εὐχαριστεῖν) geht zeigt insbesondere der bei Justin den beiden Gabeworten vorangestellte bdquoWiederholungsbefehlldquo τοῦτο ποιεῖτε entspricht genau dem ἐντετάλθαι und bezieht sich auf die voranstehenden bdquoHandlungenldquo zuruumlck Kei-neswegs hat Jesus nach Justin also den Juumlngern bdquoaufgetragenldquo die Gabeworte zu wiederholen Dass man aus dem Stichwort ἐπίλογος im Kontext der anschlie-szligend geschilderten Mithrasmysterien auf die Praxis schlieszligen kann die Einset-zungsworte bdquoals Spendeformel nach dem eucharistischen Gebetldquo zu rezitieren (Theissen ebd) ist immerhin denkbar Das wuumlrde Justins Kurzform der Gabe-worte erklaumlren doch gilt die gerade nicht fuumlr die mkmt Fassung Allerdings fehlt jeder Beleg fuumlr einen Gebrauch der Gabeworte als Spendeformeln

25 Vgl Justin Apol I 6535 und 675

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 7: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

62

Hans-Ulrich Weidemann

rungenldquo (den Evangelien) uumlberlieferten Auftrag (ἐντετάλθαι) Jesu sie sollten zu seinem Gedaumlchtnis23 Brot und Becher nehmen und daruumlber jeweils ein Eucharistiegebet sprechen24 was die Gemeinde bei der Tauf-eucharistie wie bei der Sonntagseucharistie tut25 Die auf den bdquoWieder-holungsbefehlldquo folgenden Deuteworte Jesu (τοῦτό ἐστι τὸ σῶμά μου τοῦτό ἐστι τὸ αἷμά μου) begruumlnden die in 662 entfaltete GrundaussageDer Befund bei Justin ist also aufschlussreich Die bei ihm anzutref-fende Parallelisierung der Deuteworte Jesu ist gerade kein Beleg fuumlr ihren liturgischen Gebrauch auszligerdem zeigt die mit ihrer Parallelisie-rung einhergehende Reduktion beider () Worte nochmals die Unter-schiede zu Markus

Fazit Die Auffassung dass sich in der Uumlberlieferung der sog Einsetzungs-worte Jesu liturgischer Gebrauch der Traumlgergruppen widerspiegle hat sich nicht bewaumlhrt Sie scheitert bereits daran dass sich ein liturgischer Gebrauch der Worte Jesu (sei es im Kontext der Eucharistiegebete sei es

23 Der sog bdquoWiederholungsbefehlldquo (τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἀνάμνησίν μου) steht bei Justin vor dem Brotwort er bezieht sich auf die direkt davorstehenden Handlungen Jesu (λαβόντα ἄρτον εὐχαριστήσαντα) und gilt ebenso fuumlr die ὁμοίως vollzogene Becherhandlung (λαβόντα καὶ εὐχαριστήσαντα εἰπεῖν) Die bdquoAnweisungldquo Jesu (ἐντετάλθαι) bezieht sich also gerade nicht auf die Rezi-tation der Deuteworte Jesu (sthinspu) Denn aus 662 wird auch deutlich dass Brot und Wein διrsquo εὐχῆς λόγου also doch wohl durch die Eucharistiegebete zu bdquoFleisch und Blutldquo Jesu werden Man kann also sagen dass Brot- und Kelch-wort in der Auffassung Justins das bdquoErgebnisldquo der Rezitation der Eucharistie-gebete bezeichnen und damit zur Begruumlndung von 662 dienen

24 Mit Recht bemerkt zwar Theissen Sakralmahl (s Anm 18) 176 Anm 18 dass ein Beauftragtwerden (ἐντετάλθαι) bdquoeher auf eine Handlung die man ausfuumlhrtldquo zielt bdquoals auf eine Lehre die man weitergibtldquo doch besteht diese bdquoHandlungldquo zu der die Juumlnger beauftragt werden eben aus dem direkt im Anschluss stehenden λάβοντα ἄρτον bzw τὸ ποτήριον ὁμοίως λάβοντα sowie dem jeweils auf das bdquoNehmenldquo folgenden εὐχαριστήσαντα Dass es also um die Erhebung der Gaben (λαμβάνειν) und das Sprechen des Eucharistiegebets uumlber sie (εὐχαριστεῖν) geht zeigt insbesondere der bei Justin den beiden Gabeworten vorangestellte bdquoWiederholungsbefehlldquo τοῦτο ποιεῖτε entspricht genau dem ἐντετάλθαι und bezieht sich auf die voranstehenden bdquoHandlungenldquo zuruumlck Kei-neswegs hat Jesus nach Justin also den Juumlngern bdquoaufgetragenldquo die Gabeworte zu wiederholen Dass man aus dem Stichwort ἐπίλογος im Kontext der anschlie-szligend geschilderten Mithrasmysterien auf die Praxis schlieszligen kann die Einset-zungsworte bdquoals Spendeformel nach dem eucharistischen Gebetldquo zu rezitieren (Theissen ebd) ist immerhin denkbar Das wuumlrde Justins Kurzform der Gabe-worte erklaumlren doch gilt die gerade nicht fuumlr die mkmt Fassung Allerdings fehlt jeder Beleg fuumlr einen Gebrauch der Gabeworte als Spendeformeln

25 Vgl Justin Apol I 6535 und 675

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 8: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 62 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 63

63

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

bei der Distribution der eucharistischen Gaben) in der fraglichen Zeit gar nicht erweisen laumlsst

Nach wie vor im Raum steht aber die in der aumllteren Forschung aufge-stellte und bis heute vertretene These dass die markinische Abendmahlser-zaumlhlung auch jenseits der Gabeworte vom bdquoGottesdienstldquo der Adressatenge-meinden beeinflusst wurde und sich deswegen auch ndash mit aller Vorsicht ndash als Quelle fuumlr liturgische Praxis der fruumlhen Kirche auswerten laumlsst

Wir gehen das Thema in zwei Schritten an Zunaumlchst geht es (unter II) darum die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als redaktionel-les Anliegen des zweiten Evangelisten zu erweisen Sodann wenden wir uns (unter III) der markinischen Abendmahlserzaumlhlung selbst zu

II Die Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl

1 Die Neubewertung des Redaktors Markus

Von zwei Seiten wird in juumlngerer Zeit das in der aumllteren Forschung noch dominierende Bild des Markus als bdquokonservativen Redaktorsldquo26 in die Zange genommen seine Chronologie der letzten Tage Jesu wird skeptisch beurteilt auszligerdem fuumlhren neuere Forschungen zur johanneischen und zur lukanischen Passionsuumlberlieferung zunehmend zu einer Neubewer-tung der markinischen Redaktion der Passionserzaumlhlung

11 Die kritische Beurteilung der markinischen ChronologieDie markinische Chronologie der letzten Lebenstage Jesu steht sowohl in historischer wie in uumlberlieferungs- und redaktionskritischer Hinsicht in zweifelhaftem Ruf Selbst Martin Hengel und Anna Maria Schwemer beur-teilen sie bdquozumindest teilweise als fragwuumlrdigldquo und bdquonicht wirklich zu -verlaumlssigldquo27 Dieses Votum ist vthinspa auf dem Hintergrund ihrer sonst durch-weg optimistischen Annahmen uumlber die historische Zuverlaumlssigkeit der Markuspassion die sie in den allermeisten Faumlllen gegenuumlber den lukani-schen und johanneischen Paralleluumlberlieferungen bevorzugen bemerkens-

26 So noch Rudolf Pesch Das Markusevangelium II (HThKNT I2) Freiburg ithinspBr 31984 10 uouml

27 Martin HengelAnna Maria Schwemer Jesus und das Judentum Tuumlbingen 2007 555556

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 9: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

64

Hans-Ulrich Weidemann

wert28 Nicht zuletzt die markinische Chronologie zwingt sie dann aber doch zu der Aussage die Passionserzaumlhlung sei bdquoganz fragmentarisch und theologisch uumlberlegtldquo (557)29 Inkonsequenterweise verteidigen Hengel und Schwemer dann aber die markinische Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl mit Verve als authentische Uumlberlieferung30

Dieses Beispiel zeigt dass sich eine historisch und uumlberlieferungsge-schichtlich optimistische Wertung der Markuspassion nur in Kombination mit weiteren weitgehend unbeweisbaren Annahmen ndash wie den Rekursen auf petrinische Augenzeugenschaft und auf das hohepriesterliche Archiv sowie der Annahme literarischer Abhaumlngigkeit des Johannesevangeliums von den Synoptikern ndash halten laumlsst31

12 Markus- und JohannespassionNeuere Arbeiten zu den neutestamentlichen Passionserzaumlhlungen zeigen dass die Bewertung sowohl der redaktionellen bdquoKreativitaumltldquo des aumlltesten Evangelisten als auch der uumlberlieferungsgeschichtlichen Kontur des Johannesevangeliums zunehmend neu justiert werden Exemplarisch sei das im Folgenden im Anschluss an das Modell von Frank Schleritt gezeigt32 der unter Voraussetzung der literarischen Unabhaumlngigkeit des

28 HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 571 Ebd 555 Aus dem Johannesevan-gelium lieszligen sich nur bdquoim Ausnahmefallldquo plausible geschichtliche Erkennt-nisse uumlber Jesu Wirken gewinnen Ein solcher liege zthinspB in Joh 1812thinspff vor dem naumlchtlichen Verhoumlr Jesu vor Hannas (593thinspf) Ebd 586 ruumlgen sie die bdquoweit-gehende Freiheit gegenuumlber der geschichtlichen Wirklichkeitldquo die sich der vierte Evangelist herausnehme

29 Das auf die Verstockungstheorie und das eigentliche bdquoMessiasgeheimnisldquo hin-zielende theologische Programm des Markus skizzieren sie auf S 572 und dann ausfuumlhrlich auf S 573ndash575

30 Dazu HengelSchwemer Jesus (s Anm 27) 582ndash58631 Die markinische Passionserzaumlhlung ist laut HengelSchwemer der aumllteste

Zeuge fuumlr die Tage in Jerusalem zumal hinter ihr bdquopetrinische Traditionldquo stehe (Jesus [s Anm 27] 555) Der Kern des markinischen Leidensberichts gehe bdquoauf Augenzeugen vor allem aber auf Petrusldquo zuruumlck (572) Wo die angenommene petrinische Augenzeugenschaft abbricht so bei der naumlchtlichen Ratsversamm-lung rekurrieren HengelSchwemer auf das hochpriesterliche Archiv in dem Anklageschrift und Auslieferungsbeschluss gegen Jesus aufbewahrt wurden Auf diese Dokumente habe man sich beim spaumlteren Vorgehen gegen die Urge-meinde wieder berufen (599)

32 Frank Schleritt Der vorjohanneische Passionsbericht Eine historisch-kriti-sche und theologische Untersuchung zu Joh 213ndash22 1147ndash1431 und 181ndash2029 (BZNW 154) Berlin ndash New York 2007

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 10: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 64 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 65

65

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Johannesevangeliums von den Synoptikern33 die literarkritischen und uumlberlieferungsgeschichtlichen Zusammenhaumlnge der vorkanonischen Pas-sionsuumlberlieferung weitgehend uumlberzeugend dargestellt hat Schleritt und andere gehen von einem aumlltesten vermutlich muumlndlichen bdquoGrundberichtldquo aus der zweimal unabhaumlngig voneinander verschriftlicht wurde naumlmlich einmal in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung (PEMk) sowie in einer zweiten Passionserzaumlhlung Diese bildete die gemeinsame Grundlage sowohl der vorjohanneischen Passionserzaumlhlung (PEJoh) als auch einer zweiten die dem Evangelisten Lukas zusaumltzlich zum Markusevangelium vorlag (PELk)34 Lukas hatte demnach fuumlr seine Passionsdarstellung zusaumltz-lich zum Markusevangelium einen weiteren durchlaufenden Bericht zur Verfuumlgung der eng mit PEJoh verwandt war35

Waumlhrend dieses Modell weite Teile des Textbefundes uumlberzeugend erklaumlren kann sind Schleritts Einzelentscheidungen im Falle der vormarki-nischen Passionserzaumlhlung allerdings nicht von durchgaumlngiger Uumlberzeu-gungskraft Schleritt geht naumlmlich davon aus das die dem Evangelisten Markus vorliegende Passionserzaumlhlung (PEMk) von der alten bdquoGrunderzaumlh-lungldquo schon an mehreren Punkten charakteristisch unterschieden war ndash ihr Autor waumlre demnach bereits ein mindestens ebenso kreativer Redaktor gewesen wie Markus selbst Letzterer haumltte oft genug nur die bereits zuvor getroffenen Entscheidungen (wie zthinspB das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion) weiter ausgebaut (zthinspB durch die Verteilung von Tempelaktion und Vollmachtsfrage auf zwei Tage)36 Allerdings ist zu bedenken dass der Autor von PEMk bei der Verschriftlichung der Grunder-zaumlhlung aller Wahrscheinlichkeit nach eine ganz andere Intention ver-folgte als spaumlter der Evangelist Markus Letzterer integrierte die ihm vor-liegende Passionserzaumlhlung in ein groumlszligeres literarisches Werk ndash naumlmlich sein Evangelium ndash ein Werk das uumlbergeordnete erzaumlhlstrategische narra-tive und christologische Anliegen erkennen laumlsst wie auch immer man die Diskussion um das sog bdquoMessiasgeheimnisldquo exegetisch beurteilt Dagegen wird die mutmaszligliche vormarkinische Erstverschriftlichung der Passions-

33 Dazu Schleritt (s Anm 32) 93ndash106 sowie Michael Theobald Das Evange-lium nach Johannes I (RNT) Regensburg 2009 76ndash81

34 Ausfuumlhrlich Schleritt (s Anm 32) 107ndash114 im Anschluss daran Theobald Joh I 42ndash44 Lukas fuszlige literarisch auf Markus kenne aber aus dem Gottes-dienst seiner Gemeinde eine weitere Passions- und Ostererzaumlhlung die als gemeinsamer Ahn fuumlr ihn und PEJoh zu postulieren sei Schleritt (s Anm 32) 112 vermutet dass Lukas diese nicht-markinische Passionserzaumlhlung in muumlnd-licher Form kennenlernte

35 Schleritt (s Anm 32) 11136 Vgl dazu Schleritt (s Anm 32) 151thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 11: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

66

Hans-Ulrich Weidemann

erzaumlhlung katechetischen oder liturgischen Zwecken gedient haben die wir nicht mehr kennen in jedem Fall haben wir hier eine vollkommen andere redaktionelle Grundsituation vor uns als bei der spaumlteren Abfas-sung des aumlltesten Evangeliums Daher ist es mthinspE methodisch geboten dem Evangelisten Markus aus den genannten Gruumlnden weitaus mehr redaktio-nelle bdquoKreativitaumltldquo zuzutrauen als seiner Vorlage Natuumlrlich muss eine trennscharfe Aufteilung der Transformationen die im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung erfolgt sind auf verschiedene Haumlnde letztlich zumeist hypothetisch bleiben Es ist aber mthinspE grundsaumltzlich davon auszu-gehen dass sich PEMk und PELkJoh aumlhnlicher waren und demnach Markus kreativer mit seiner Uumlberlieferung umging als zthinspB Schleritt das im Falle von PEMk annimmt

2 Die Gestaltung des bdquoEingangsbereichesldquo der Passion durch Markus

Eine erste Beobachtung am Anfang Markus laumlsst bei der Gestaltung seiner Passionserzaumlhlung von dem Augenblick an in dem Jesus Jerusalem betritt (111) ein doppeltes Interesse erkennen Einerseits geht es ihm grundle-gend um den Jerusalemer Tempel Schon sein triumphaler Einzug in die Heilige Stadt fuumlhrt Jesus am Abend des Palmsonntags in den Tempel (1111) in den er an den naumlchsten beiden Tagen fuumlr die Tempelaktion (1115ndash19) sowie die ausgedehnten Streitgespraumlche mit verschiedenen Gruppierungen des Jerusalemer Judentums (1127ndash1244) zuruumlckkehrt37 Am Dienstagabend verlaumlsst er den Tempel endguumlltig und kuumlndigt dabei dessen Zerstoumlrung an (131thinspf)

Die hier beginnende Gestaltung einer Art bdquoPassionswocheldquo die von (bdquoPalmldquo)Sonntag zum (bdquoOsterldquo)Sonntag reicht38 zeigt das zweite das bdquochro-nologischeldquo Interesse des zweiten Evangelisten Es manifestiert sich neben dem Tagesschema noch in der Untergliederung des letzten Lebenstages Jesu in Dreistundenschritte wobei die als juumldische Gebetszeiten bekannte dritte sechste und neunte Stunde explizit genannt und mit Ereignissen der Kreuzigung verbunden werden39 Vor allem aber manifestiert es sich in der

37 Vgl noch 1235 sowie 124138 Pesch Mk II (s Anm 26) 323 Walter Schmithals Das Evangelium nach Mar-

kus II (OumlTK 22) Guumltersloh etc 21986 483thinspf Wilfried Eckey Das Markusevan-gelium Orientierung am Weg Jesu Neukirchen-Vluyn 1998 281

39 Dreistundentakt Hahnenschrei (1472) Fruumlhe (151) ndash dritte Stunde (1525) ndash sechste und neunte Stunde (1534) ndash Abend (1542)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 12: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 66 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 67

67

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Datierung des letzten Mahles Jesu als Paschamahl (sthinspu) Sowohl das Tages-schema als auch die Paschachronologie sind von Markus sichtlich bdquoeinem widerstrebenden Stoff aufgepraumlgtldquo worden40

21 Einzug und TempelaktionF Schleritt hat plausibel begruumlndet dass die im Johannesevangelium noch bewahrte Abfolge Aufstiegsnotiz ndash Tempelreinigung mit Tempelwort und Vollmachtsfrage ndash Toumltungsplan ndash Salbung in Bethanien ndash Einzug ndash Letztes Mahl der aumlltesten Passionsuumlberlieferung entsprach41 Folgt man dieser Sicht dann fallen beim Blick auf den markinischen Zweig der Passions-uumlberlieferung vor allem zwei Aumlnderungen ins Auge Das Vorziehen der Einzugsgeschichte vor die Tempelaktion sowie die Abkopplung von Voll-machtsfrage und Tempelwort von der Tempelaktion hinzu kommt die Gestaltung der Streitgespraumlche im Tempel Es ist davon auszugehen dass dies Teil einer chronologischen Gesamtkonzeption des zweiten Evangelis-ten ist und mit seiner Datierung des Letzten Mahles Jesu zusammenhaumlngt

Die sog Aufstiegsnotiz Vermutlich geht die Notiz in Mk 1032b auf die vormk Passionserzaumlhlung zuruumlck und bildete einst ihren Eingangssatz42 Markus hat sie mittels der an die Zwoumllf gerichteten dritten Leidensankuumln-digung zu einer eindruumlcklichen Szene ausgebaut (1032ndash34)43 an die er dann weiteres Material angefuumlgt hat (1035ndash52) Vor allem aber ergaumlnzt er die alte Aufstiegsnotiz in 1032 durch die Einfuumlhrung einer Gruppe von bdquoNachfolgendenldquo (οἱ ἀκολουθοῦντες) Vermutlich will er im Vorblick auf 118ndash10 damit eine Pilgergruppe evozieren mit der Jesus nach Jerusalem

40 Treffend Ernst Lohmeyer Das Evangelium des Markus (KEK I2) Goumlttingen 1967 288

41 Zum Eingangsabschnitt der alten Passionsuumlberlieferung vgl die Beobachtun-gen bei Schleritt (s Anm 32) 142ndash151 Schleritt weist uumlberzeugend nach dass es ein Joh 213bndash19 im Wesentlichen entsprechender Abschnitt war der am Beginn von PBG und PBJoh stand

42 Vgl Mk 1032b ἀναβαίνοντες εἰς Ἱεροσόλυμα mit Joh 213 Καὶ ἐγγὺς ἦν τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων καὶ ἀνέβη εἰς Ἱεροσόλυμα ὁ Ἰησοῦς Vielleicht gehoumlrt auch die (vage) Zeitangabe in Joh 213a noch zur alten Uumlberlieferung Markus bringt sie aber erst in 141 Bei Mk ist es die erste Nennung Jerusalems als Ziel des bdquoWeges Jesu

43 Die dritte Leidensankuumlndigung ist in 1033a mit der Aufstiegsnotiz 1032 ver-kettet ἰδοὺ ἀναβαίνομεν εἰς Ἱεροσόλυμα und auszligerdem viel deutlicher mit der Passionserzaumlhlung abgestimmt Dies gilt insbesondere fuumlr die Vorhersage der Verurteilung Jesu zum Tod durch Hohepriester und Schriftgelehrte (1033 καὶ κατακρινοῦσιν αὐτὸν θανάτῳ) die auf die markinische Darstellung der Synhedriumsversammlung in 1453ndash65 (mit 151) verweist

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 13: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

68

Hans-Ulrich Weidemann

hinaufzieht44 doch bleibt dies hier wie in 119 vage Markus bdquobenoumltigtldquo diese Menschen in jedem Fall um eine Art Statisterie fuumlr die Einzugsge-schichte zu haben45 Die Bruumlcke zwischen den beiden Szenen zeigt uumlber-dies dass Markus diese gegen seine Uumlberlieferung aufeinander abgestimmt hat46 um den Wegfall der in seiner Uumlberlieferung an dieser Stelle eigent-lich erzaumlhlten Tempelreinigung zu kompensieren

Die vermutlich urspruumlnglich direkt auf die Aufstiegsnotiz folgende Tempelaktion (1115ndash19) hat Markus von der Vollmachtsfrage und dem Tempelwort Jesu abgekoppelt47 Er tat dies deswegen um die Episode von der Verfluchung des Feigenbaumes (1112ndash14) und ihr Ergebnis (1120ndash26) einzufuumlgen die fuumlr seine Interpretation der Tempelaktion Jesu von grund-legender Bedeutung ist und die auch die Voranstellung der Einzugsge-schichte erklaumlrt (sthinspu) Denn durch die in 1112ndash25 hergestellte wechselsei-tige Verbindung von Tempelaktion und Feigenbaumgeschichte macht Markus deutlich dass erstere weit mehr als eine Kritik an aktuell im Tem-pel herrschenden Zustaumlnden darstellt Jesu Verfluchung des Feigenbaumes und seine Tempelaktion interpretieren sich bei Markus gegenseitig Der bdquofruchtloseldquo Feigenbaum der aber voller gruumlner Blaumltter steht entspricht dem Tempel mit seinem geschaumlftigen Treiben48 Die Angabe des Evangelis-ten der Baum trage aktuell deswegen keine Feigen weil es bdquonicht die Zeit (καιρός) fuumlr Feigen istldquo zeigt dass er in Zukunft durchaus Feigen tragen koumlnnte49 Dem entspricht wiederum dass das Tempelareal zwar voller

44 So zthinspB Pesch Mk II (s Anm 26) 148 der die Notiz mit 101 und 1046 verbin-det Von Festpilgern ist allerdings nie direkt die Rede (anders Joh 1212 ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν vgl 1155)

45 In Joh 1212thinspf wird Jesus von der in Jerusalem versammelten Festmenge in die Stadt eingeholt und akklamiert hier ist die aumlltere Uumlberlieferung bewahrt

46 οἱ ἀκολουθοῦντες werden auch in 119b genannt auszligerdem entsprechen sich die Aufstiegsnotiz 1032b und die Zielangabe 1111

47 Dass Tempelaktion Vollmachtsfrage und Tempelwort urspruumlnglich zusam-mengehoumlrten (wie es bei Joh 2 noch erhalten ist) zeigen die folgenden Beob-achtungen (1) Das Demonstrativum ταῦτα in Mk 1128 das sich auf die Tem-pelaktion bezieht (jetzt am Tag zuvor in 1115ndash17) haumlngt im jetzigen Kontext in der Luft (2) Die Anklage in Mk 1458 setzt eine oumlffentliche Proklamation des Tempelwortes voraus (ἡμεῖς ἠκούσαμεν αὐτοῦ hellip vgl auch 1529) bei Mk ergeht ein Tempelwort aber nur an die Juumlnger und ist auch nicht in der 1 Per-son Sg formuliert (132)

48 Schoumln beobachtet von Paul-Gerhard Klumbies Von der Hinrichtung zur Him-melfahrt Der Schluss der Jesuserzaumlhlung nach Markus und Lukas (BThS 114) Neukirchen-Vluyn 2010 32

49 Vgl 1113 Keineswegs ist der Baum also bdquounfruchtbarldquo (gegen Klumbies Hin-richtung [s Anm 48] 32) vielmehr war vor dem Paschafest nicht die Jahres-

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 14: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 68 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 69

69

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Betrieb ist der Tempel selbst aber aktuell eine bdquoRaumluberhoumlhleldquo und kein bdquoGebetshaus fuumlr alle Voumllkerldquo ist Letzteres hatte Jes 567 fuumlr die Zukunft des Tempels verheiszligen50 Jesu Fluch uumlber den Baum entspricht nun seiner symbolischen Aktion im Tempel die also eindeutig als Gerichts-Zeichen-handlung zu werten ist51 Das bdquoVergehenldquo von Feigenbaum wie Tempel besteht fuumlr Markus also darin den Anbruch der βασιλεία nicht realisiert zu haben ndash obwohl diese mit Jesu Einzug doch gerade in Jerusalem angebro-chen ist (1110)52

Nun wird auch deutlich warum Markus den Einzug Jesu vor die mit der Feigenbaumgeschichte verbundene Tempelaktion gestellt und jeden Hinweis auf ein vorgaumlngiges Wirken Jesu in Jerusalem getilgt hat Den Lesern wird deutlich dass sich Stadt und Tempelestablishment der mit Jesu Einzug anbrechenden βασιλεία gerade nicht unterstellen Tempel wie Fei-genbaum verpassen den angebrochenen καιρός Dies zeigt sich am folgen-den Tag wenn Jesus im Anschluss an die Verfluchung des Feigenbaumes den Tempel erneut betritt (1115) Haumltte sich der Tempel der mit Jesu Ein-zug in der Stadt angebrochenen Gottesherrschaft unterstellt waumlre Jes 567 schon Gegenwart und der Tempel bdquoGebetshaus fuumlr alle Nationenldquo also Zentrum der anbrechenden Voumllkerwallfahrt Doch das Heil fuumlr die Natio-nen wird Gott woanders schaffen (sthinspu 32)

Markus hat aber nicht alleine die Einzugsgeschichte (111ndash11) die einst unmittelbar vor der Erzaumlhlung vom letzten Abendmahl stand nach vorne

zeit fuumlr Feigen Unfruchtbar bdquoauf ewigldquo wird der Baum erst durch Jesu Fluch gemacht (1114ndash20)

50 Dieter Luumlhrmann Das Markusevangelium (HNT 3) Tuumlbingen 1987 192 sieht hier mit Recht die markinische Redaktion am Werk

51 Vgl dazu die mk Fassung des Tempellogions im Munde Jesu in 13252 Die angehaumlngte kleine Juumlngerbelehrung (1122ndash25) uumlber den bergeversetzen-

den Glauben und das Gebet hat Markus im Anschluss an die Entdeckung des verdorrten Feigenbaumes (1120thinspf) eingefuumlgt Dies deswegen weil der Glaube in V 24thinspf als Gebetsglaube verstanden wird was im Kontext eine tempelkriti-sche Note erhaumllt Petrus weist Jesus auf den verdorrten Feigenbaum hin der sich im mk Kontext auf den unter Jesu Gerichtsansage stehenden und fuumlr uumlber-holt erklaumlrten Tempel bezieht Angesichts des Endes des Tempelkultes ver-langt Jesus von seinen Juumlngern πίστις θεοῦ zu haben was als bergeversetzen-der Glaube entfaltet dann aber als Gebetsglaube erklaumlrt wird Jesu Juumlnger brauchen keinen Tempel weil sie in unmittelbarem Gebetsverhaumlltnis zum Vater stehen was sich auch auf die Suumlndenvergebung bezieht Hinzu kommt dass Markus mit der Gebetskatechese das Stichwort bdquoHaus des Gebets fuumlr die Hei-denldquo aus der Tempelaktion wieder aufnimmt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 15: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

70

Hans-Ulrich Weidemann

gezogen53 und die Gruppe der Jesus Zujubelnden veraumlndert54 er hat auch die Reihenfolge von Akklamation und Eselsritt umgekehrt55 In der johan-neischen Version der Geschichte reagiert Jesus auf die Einholung durch die Festpilger und die Akklamation als bdquoKoumlnig Israelsldquo indem er sich auf einen jungen Esel den er bdquofandldquo setzt (Joh 1212ndash15) Die Aktion mit dem Esel kommentiert und korrigiert also die Akklamation Jesus ist bdquoKoumlnig Israelsldquo im Sinne des von Sach 99 verheiszligenen Friedenskoumlnigs Bei Markus hinge-gen provoziert Jesus durch die Wahl des Eselfohlens als Reittier die Akkla-mation Dem dient auch die vorangestellte Episode von der wunderbaren Auffindung des Reittiers (111ndash6)56

Wie F Schleritt richtig beobachtet hat gehen beide Aktionen die Vor-anstellung der Einzugserzaumlhlung und die bdquoHinzudichtungldquo der Vorbe-reitung des Paschamahles (1412ndash16) auf dieselbe Hand zuruumlck denn die Erzaumlhlung der Entsendung zweier Juumlnger in die Stadt wird erst dann moumlglich wenn die urspruumlnglich direkt vor der Mahlerzaumlhlung stehende Einzugsgeschichte nach vorne verschoben wurde und sich Jesus daher immer noch in Bethanien aufhaumllt57

53 Laut Schleritt (s Anm 32) 145 erfolgte die Verschiebung der Einzugsge-schichte bereits vormarkinisch bdquoweil sie sich mit der (von PBMk hinzugedich-teten) Geschichte uumlber die Vorbereitung des Passahmahls nicht vertrugldquo Theobald Joh I (s Anm 33) 783 sieht hier mit Recht bdquomoumlglicherweiseldquo Mar-kus selbst am Werk

54 Durch die Voranstellung der Einzugsgeschichte muss Markus die Akklamation Jesu auf seine Begleiter beschraumlnken da Jesus laut Mk ja zuvor nicht in der Stadt war Die Gruppe selbst ist bei Mk auffaumlllig formuliert Schleritt (s Anm 32) 148thinspf unterscheidet vier zthinspT konkurrierende Teilgruppen Joh 12 12thinspf duumlrfte also auf aumllteres Gut zuruumlckgehen Zu den das Kommen bdquoder Koumlnigs-herrschaft unseres Vaters Davidldquo akklamierenden Pilgern gehoumlrt seit Jericho auch Barthimaumlus (1052) der Jesus schon dort (unwidersprochen) zweimal als bdquoSohn Davidsldquo angerufen hatte (1047thinspf υἱὲ Δαυὶδ Ἰησοῦ ἐλέησόν με)

55 Richtig Schleritt (s Anm 32) 218 Die Notiz uumlber die Auffindung des Esels ist dem Bericht uumlber die Huldigungen erst in dem Moment vorangestellt wor-den in dem sie zur legendenhaften Erzaumlhlung Mk 111bndash7 ausgestaltet wurde Laut Schleritt erfolgte dies aber bereits im vormk PB

56 Ludger Schenke Das Markusevangelium Literarische Eigenart ndash Text und Kommentierung Stuttgart 2005 263 bdquoJesus setzt in Gang was laumlngst von Gott zur Erfuumlllung der Prophetie von Sach 99 eingeleitet worden istldquo Als Koumlnig Israels fuumlhre Jesus hier Regie Mit Recht spricht Schenke daher ebd 264 von der bdquoInszenierung seiner Ankunft als messianischer Koumlnigldquo Zum Messias-Esel vgl Pesch Mk II (s Anm 26) 178thinspf

57 Allerdings laut Schleritt (s Anm 32) 145 schon im vormk PB Er begruumlndet dies mit der (ebenfalls nicht uumlberzeugenden) Zuweisung von 1412ndash16 an den PBMk beide Hypothesen tragen sich also gegenseitig

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 16: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 70 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 71

71

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Begleiter Jesu scheinen seine Aktion mit dem Esel sofort zu verstehen und reagieren entsprechend auch wenn ihre Erwartung des bdquokommenden Reiches unseres Vaters Davidldquo ein markinisch inszeniertes Missverstaumlnd-nis sein duumlrfte58 Das zeigt nicht nur der Rekurs auf bdquounseren Vater Davidldquo sondern auch die Tatsache dass Jesus in der Passion dann von allen verlas-sen wird (1450) Dennoch besitzt die Akklamation einen wahren Kern denn tatsaumlchlich kommt mit Jesu triumphalem Einzug die βασιλεία nach Jerusalem was im Tempel jedoch ignoriert wird

Auch die markinische Umgestaltung der Bethaniengeschichte (143ndash9) laumlsst sich von daher erklaumlren Bei Markus gieszligt die unbekannte Frau kost-bares Nardenoumll uumlber das Haupt Jesu59 Mit diesem Vollzug einer messiani-schen Koumlnigssalbung60 stellt sie sich in eine Linie mit den akklamierenden Begleitern bei seinem Einzug (Mk 119) Jesus nimmt sie zwar gegenuumlber den aus dem Juumlngerkreis erhobenen Vorwuumlrfen in Schutz deutet die Sal-bung aber zu einer Vorbereitung seines σῶμα zum Begraumlbnis um Indem sie dies vollzog gehoumlrt die Frau in das weltweit verkuumlndigte Evangelium (149) Dass der markinische Jesus in beiden Mahlszenen der Passion von τὸ σῶμά μου spricht ist sicher kein Zufall (sthinspu)61

22 Die Datierung des Mahles als PaschamahlIm Anschluss an die sog Endzeitrede (Mk 13) setzt Mk 141thinspf neu ein Mar-kus gestaltet bis zu Jesu Aufbruch Richtung Oumllberg eine Reihe von sechs konstrastierenden Szenen die durch die beiden Zeitangaben 14112 in zwei Dreiergruppen gegliedert sind wobei sich die bdquopositivenldquo und die bdquonegativenldquo Szenen jeweils entsprechen62

Mit 141 kehrt Markus zu dem in 111thinspff begonnenen Tagesrhythmus zuruumlck dessen Sinn nun deutlicher wird Mit 141 wird dieser Tagesrhyth-

58 Dazu Schenke Mk (s Anm 56) 264 laut dem die Begleiter Jesu gar bdquoin schwe-rem Irrtum befangenldquo sind Das Reich unsers Vaters David das die Menschen vom Sohn Davids erhoffen koumlnne nur ein Reich der Weltgeschichte sein Jesus aber verkuumlnde die Herrschaft Gottes Vgl dazu auch Mk 1235ndash37 wonach ὁ χριστός viel mehr ist als bdquoein Davidssohnldquo naumlmlich der Kyrios

59 Im Unterschied dazu salbt (ἤλειψεν) Maria laut Joh 123 die Fuumlszlige Jesu60 Vgl dazu 1Sam 101 2Koumln 93 96 sowie Ex 297 (bei Theobald Joh I [s

Anm 33] 771) Auch die Narde erscheint in Hld 112 im Kontext des Koumlnigsmo-tivs

61 Die Parallele Joh 1278 (aber auch Lk 73846) zeigt dass die Wendung τὸ σῶμά μου markinisch ist (vgl 1423)

62 141thinspf und 1410thinspf sind durch das Stichwort ἀρχιερεῖς 1410thinspf und 1418ndash21 durch Judas verbunden 143ndash9 und 1422ndash25 dagegen durch τὸ σῶμά μου Vgl auch 143 ἦλθεν γυνὴ mit 1410 Καὶ Ἰούδας Ἰσκαριὼθ ὁ εἷς τῶν δώδεκα ἀπῆλθεν πρὸς τοὺς ἀρχιερεῖς ἵνα αὐτὸν παραδοῖ αὐτοῖς

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 17: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

72

Hans-Ulrich Weidemann

mus auf das Paschafest ausgerichtet Erst jetzt erfaumlhrt der Leser dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufgestiegen war Falls diese Angabe bereits zuvor in der Passionsuumlberlieferung aufgetreten war hat Markus sie getilgt63 Die Paschanotiz stammt wie Joh 1155a zeigt offenbar aus der Uumlberlieferung allerdings passt Markus sie mittels der Angabe μετὰ δύο ἡμέρας in sein Tagesschema ein Der sog bdquoAnschlag der Hohenpriester und Schriftgelehrtenldquo (141thinspf) wie auch die Bethaniengeschichte spielen also am Mittwoch Allerdings liegt das markinische Interesse nicht auf dem Wochentag steht die Zeitangabe doch ganz im Dienste seiner Passions-chronologie Jesus stirbt am Paschafest das auf den Freitag (und also auf den Ruumlsttag zum Sabbat) faumlllt Der entscheidende Punkt dabei ist aber Jesu letztes Mahl ist das Paschamahl Wie das Johannesevangelium aber auch gewisse interne Spannungen in der markinischen Darstellung belegen war dies noch nicht die Chronologie der aumlltesten Passionsuumlberlieferung

Die beiden Datierungen in 141 und 1412 sind eigenartig deutlich ist zu erkennen dass Markus hier gegen seine Uumlberlieferung agiert Fuumlr Mar-kus ist bdquoder erste Tag der ungesaumluerten Broteldquo offenbar identisch mit τὸ πάσχα64 auszligerdem rechnet er bdquoroumlmischldquo bezieht beide Angaben also auf den Donnerstag65 Aber warum erwaumlhnt er uumlberhaupt eigens die bdquounge-saumluerten Broteldquo Vermutlich stellt Markus durch die Rede vom bdquoersten Tag der Ungesaumluertenldquo (ἡ πρώτη ἡμέρα τῶν ἀζύμων) in 1412 einen (indirek-ten) Bezug zu 814thinspf her Die Juumlnger die auszliger bdquoeinem Brotldquo (εἷς ἄρτος66)

63 Vgl Joh 213 1155 121 131 Laut Schleritt (s Anm 32) 158 stammt Joh 213a vom vierten Evangelisten 1155 (entspricht Mk 141a) enthaumllt dann die erste Erwaumlhnung des Paschafestes aus der Uumlberlieferung Aber warum sollte Jesus uumlberhaupt nach Jerusalem bdquohinaufsteigenldquo Vermutlich gehoumlrte also eine Joh 213a entsprechende Notiz (natuumlrlich ohne das johanneische τῶν Ἰουδαίων vgl 51 72 1022) zur Aufstiegsnotiz

64 Parallelen bei Josephus notiert Luz Mt IV (s Anm 20) 80 Jos Bell 599 Ant 2317 17213 1829 20106 Vgl auch Pesch Mk II (s Anm 26) 320

65 Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 unter Verweis auf 1542 1412 und 1417 Markus bezieht die Bezeichnung τὸ πάσχα faktisch auf den ganzen Tag mit dessen Sonnenuntergang streng genommen erst das (auf den folgenden Tag datierte) Fest beginnt

66 bdquoEin Brotldquo ist ein eucharistischer Terminus vgl 1Kor 1017 dort verbindet Pau-lus εἷς ἄρτος und ἓν σῶμα (ekklesiologisch) auszligerdem spricht er von einer durch das μετέχειν des gebrochenen Brotes hergestellten κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ Vgl auch Did 94 (Broteucharistie vor der Mahlzeit) hellip καὶ συναχθὲν ἐγένετο ἕν Anders als im 1Kor wird in der Did allerdings ein Bezug zwischen der Einheit des Brotes und der eschatologischen Sammlung der Kirche bdquovon den Enden der Erde in deine βασιλείαldquo hergestellt Das Motiv der Einsammlung der Erwaumlhlten findet sich (mit anderer Begrifflichkeit) auch in Mk 1327

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 18: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 72 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 73

73

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kein weiteres dabeihaben warnt Jesus vor dem Sauerteig der Pharisaumler und vor dem Sauerteig des Herodes67 Angespielt ist damit auf die Mahl-kontroversen mit den Pharisaumlern in 215ndash17 (Jesu Tischgemeinschaft mit Suumlndern und Zoumlllnern) und 71ndash23 (Einhalten von bdquoaumluszligerlichenldquo Reini-gungsriten vor dem Essen) sowie das Gastmahl des Herodes mit der militauml-rischen und gesellschaftlichen Oberschicht bei dem Johannes der Taumlufer ermordet wird (621ndash29) Markus setzt so ein intertextuelles Signal und stellt das Mahl Jesu (bzw die Eucharistiefeiern seiner Gemeinden) den anderen Maumlhlern polemisch gegenuumlber68

Eigentuumlmlich ist auch die Zeitangabe in Mk 1542 Mit der Wendung παρασκευὴ ὅ ἐστιν προσάββατον bestimmt Markus den Todestag Jesu als bdquoRuumlsttag naumlmlich der Tag vor dem Sabbatldquo Die johanneische Parallele in 1931 (vgl 1942) laumlsst vermuten dass παρασκευή urspruumlnglich den Ruumlst-tag vor dem auf den Sabbat fallenden Paschafest meinte was Markus durch die Ergaumlnzung ὅ ἐστιν προσάββατον etwas unbeholfen korrigierte69

Alle drei Zeitangaben dienen also letztlich dem Ziel Jesu letztes Mahl gegen die alte Uumlberlieferung als Paschamahl zu datieren Deswegen gestal-tet Markus70 auch die Szene 1412ndash16 nach dem Vorbild der Einzugsge-schichte In der Erzaumlhlung der Vorbereitung des Paschamahles dominiert der Aspekt der Schlachtung und des Essens des Paschalammes71 beides spielt fuumlr das Mahl selbst dann keine Rolle mehr Dies verschaumlrft nochmals die Frage warum Markus das letzte Abendmahl Jesu mit so groszligem Auf-wand uumlberhaupt als Paschamahl datiert

67 βλέπετε ἀπὸ τῆς ζύμης τῶν Φαρισαίων καὶ τῆς ζύμης Ἡρῴδου Pharisaumler und Herodianer als Gegner Jesu auch schon in 36 sowie dann in 1213

68 Dazu Martin Ebner Die Etablierung einer bdquoanderenldquo Tafelrunde Der bdquoEinset-zungsberichtldquo in Mk 1422ndash24 mit Markus gegen der Strich gelesen in DersB Heininger (Hg) Paradigmen auf dem Pruumlfstand Exegese wider den Strich (FS K Muumlller) (NtA NF 47) Muumlnster 2004 17ndash45 20ndash22

69 Richtig Luumlhrmann Mk (s Anm 50) 267 ὅ ἐστιν προσάββατον geht auf Mk zuruumlck damit erweist sich auch 1412 als sekundaumlr Die Datierung des Todes-tages Jesu als παρασκευὴ τοῦ πάσχα in Joh 1914 ist also die urspruumlnglichere

70 Anders Schleritt (s Anm 32) 247 Dafuumlr dass die Datierung des letzten Mahles auf Markus zuruumlckgeht spricht auch der Widerspruch zu Mk 142 wonach Jesus nicht am Fest selbst (μὴ ἐν τῇ ἑορτῇ) sterben soll ndash was aber dann faktisch geschieht ferner Mk 1521 wonach Simon von Zyrene ἀπ᾽ ἀγροῦ kommt Auszligerdem macht die in Mk 156 erwaumlhnte sog Paschaamnestie von der auch das Johannesevangelium weiszlig (Joh 1839) nur Sinn wenn die Delin-quenten zum Fest also am Ruumlsttag freigelassen werden um das Paschaopfer darbringen und das Paschamahl feiern zu koumlnnen

71 1412 ὅτε τὸ πάσχα ἔθυον [hellip] ἵνα φάγῃς τὸ πάσχα 1414 ὅπου τὸ πάσχα μετὰ τῶν μαθητῶν μου φάγω 1416 ἡτοίμασαν τὸ πάσχα

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 19: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

74

Hans-Ulrich Weidemann

23 Das markinische Paschamahl im fruumlhjuumldischen KontextDie voranstehenden Ausfuumlhrungen zeigen dass die Annahme wohlbe-gruumlndet ist der aumllteste Evangelist habe gegen die aumllteste Passionsuumlberliefe-rung und wohl auch gegen die ihm vorliegende schriftliche Passionserzaumlh-lung Jesu letztes Abendmahl als Paschamahl datiert Doch mit welcher Absicht bzw mit welcher theologischen Intention geschah diese Umdatie-rung im markinischen Zweig der Passionsuumlberlieferung

Zunaumlchst die These Markus datiert das letzte Mahl Jesu deswegen gegen seine Uumlberlieferung als Paschamahl72 weil seine Gemeinde am Abend vor dem Paschafest ein Mahl hielt73 Indem Markus das letzte Mahl Jesu zwar auf den Vorabend zum Pascha datiert das Mahl selbst aber kei-neswegs als Paschamahl sondern als bdquonormales Symposionldquo schildert74 stellt er eine Verbindung zwischen der Gemeindemahlfeier und Jesu letz-tem Mahl her allerdings nicht um erstere durch letzteres zu legitimieren Doch warum dann

Die These man koumlnne aus dem markinischen Mahlbericht Informationen uumlber ein bdquojudenchristliches Paschaldquo entnehmen hat unter Exegeten eine Reihe von Anhaumln-gern ist aber juumlngst stark in die Kritik geratenSo vermutet beispielsweise M Theobald dass bdquodie von Judenchristen begangene jaumlhrliche Paschanachtldquo der erste praumlgende kirchliche bdquoSitz im Lebenldquo des bdquoAbend-mahlsberichtsldquo war75 In dieser christlichen Feier des Paschanacht waren sowohl die Passionsuumlberlieferung als auch die bdquoKultaumltiologieldquo beheimatet76 Passionsuumlber-lieferung und Kultaumltiologie seien im markinischen Zweig deswegen literarisch zusammengetroffen weil sie beide am selben Ort beheimatet waren in einer christlichen Feier der Paschanacht Was vom bdquoSitz im Lebenldquo her schon benachbart war habe sich dann auch literarisch vereint77 Aber auch G Rouwhorst haumllt es fuumlr bdquozumindest denkbar dass das letzte Abendmahl wie es von den Synoptikern

72 Pesch Mk II (s Anm 26) 324 mit Anm 7 kann nur deswegen behaupten dass die vormk Passionsgeschichte bdquoin ihrer Chronologie keinerlei Tendenzen ver-raumlt die auf eine Umdatierung des Todes Jesus schlieszligen lassenldquo weil er den Paschamahlrahmen des Abendmahls fuumlr bdquourspruumlnglichldquo haumllt Die beiden The-sen stehen und fallen miteinander

73 Anders aber nicht uumlberzeugend Schmithals Mk II (s Anm 38) 483 laut dem bereits Mk ein christliches Osterfest als Sonntagsostern bezeuge

74 Nicht uumlberzeugend sind die Versuche Peschs oder Jeremiasrsquo einzelne Elemente der Mahlerzaumlhlung mit dem (in der Mischna bezeugten) Paschamahl kurzzu-schlieszligen

75 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 123 Vgl ebd 127thinspf in Aufnahme einer These von Fuller

76 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 130thinspf77 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 20: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 74 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 75

75

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

beschrieben wird im wesentlichen die Struktur einer fruumlhchristlichen Paschafeier widerspiegelt und dass der synoptische Abendmahlsbericht (zumindest auch) eine Aumltiologie der quartodezimanischen Paschafeier darstelltldquo78

Dieser Annahme ist C Leonhard in einer Reihe von Publikationen entge-gengetreten79 Laut Leonhard gab es vor und noch einige Zeit nach 70 kein Diasporapascha80 vor allem aber behauptet er bdquochristliche Gemeinden hal-ten vor der Mitte des 2 Jh kein Paschaldquo81 Auch die Apostelgeschichte falle als Zeugnis eines judenchristlichen Pascha aus82

Leonhard hat pointiert herausgearbeitet dass die nach wie vor weit-verbreitete Annahme eines schon vor 70 auszligerhalb Jerusalems ndash also sowohl in der Diaspora als auch im Land ndash gefeierten Pesach als einer vom Tempel unabhaumlngigen Hausfeier ebenso jeder Grundlage entbehrt wie die Annahme eines Nomadenpesach am Anfang der Entwicklung Laut Leon-hard waren die Pesachmaumlhler die zur Zeit des zweiten Tempels gehalten wurden Teil der Tempelliturgie (und nicht etwa Erbe von Ex 12)83 Das Pesach vor 70 war demnach wesentlich ein Jerusalemer Tempel- und Wall-

78 Gerard Rouwhorst Christlicher Gottesdienst und der Gottesdienst Israels in Gottesdienst der Kirche (HdL II2) Regensburg 2008 493ndash572 556

79 Zum Folgenden Clemens Leonhard Die Erzaumlhlung Ex 12 als Festlegende fuumlr das Pesachfest am Jerusalemer Tempel in JBTh 18 (2003) 233ndash260 Clemens Leonhard Die Urspruumlnge der Liturgie des juumldischen Pesach und das christli-che Osterfest in A GerhardsHthinspH Henrix (Hg) Dialog oder Monolog Zur liturgischen Beziehung zwischen Judentum und Christentum (QD 208) Frei-burg ithinspBr 2004 150ndash166 Clemens Leonhard The Jewish Pesach and the Ori-gins of the Christian Easter Open Questions in Current Research (StudJud 35) Berlin-New York 2006 Clemens Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo and the Develop-ment of Jewish and Christian Festivals in B Eckhardt (Hg) Jewish Identity and Politics between the Macabees and Bar Kokhba Groups Normativity and Rituals (SJSJ 155) Leiden-Boston 2012 189ndash208

80 Clemens Leonhard Art Mahl V (Kultmahl) [teilweise zus mit B Eckhardt] in RAC 23 (2009) 1012ndash1105 1053

81 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 106782 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 36thinspf sowie Leonhard Erzaumlhlung

(s Anm 79) 243thinspf Lukas spiele hier auf Ex 12 als Text an assoziiere aber keine Liturgie Keines der Elemente die er in Apg 12 aus Ex 12 aufnehme sei in einer Pesachliturgie als mimetische Komponenten des Ritus belegt Apg 12 doku-mentiere demnach ausschlieszliglich die Kenntnis des biblischen Textes

83 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 236 Ebd 238 bdquoDas Mahl des Pesachtieres zur Zeit des Tempels und der Seder nach 70 nthinspChr sind weder als Imitation noch im Hinblick auf den Gegenstand der Anamnese Nachfolger des aumlgypti-schen Pesachldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 21: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

76

Hans-Ulrich Weidemann

fahrtsfest84 bdquoGrundritual des Pesach ist die Pilgerschaft nach Jerusalem sowie das Schlachten Zubereiten und Essen des Pesachtieres am gemein-samen Terminldquo85 Das Pesachmahl vor 70 ist also weder Familienfest noch Hausliturgie vielmehr bilden in der Pesachnacht Pilger wie Hausgemein-schaften in den Haumlusern Jerusalems Gruppen um je ein Opfertier um im Anschluss an dessen Schlachtung ein gemeinsames Mahl zu halten Dieses gemeinsame Mahl ist charakteristisch fuumlr das Jerusalemer Tempelpesach und im Kontext hellenistischer Symposialkultur zu verorten86 was auch die bdquosympotic elementsldquo in den synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen erklaumlrt87

Das Mahl nach Mischna und Tosefta ist laut Leonhard keine Imitation des aumlgyptischen Pesach wie es in Ex 12 geschildert wird Grundparadigma ist vielmehr das Pesach am Tempel88 Nach der Tempelzerstoumlrung spielte Ex 12 zunaumlchst nur eine marginale Rolle bei der theologischen Interpretation des Pesach als Lesungstext ist Ex 12 ein Spaumltphaumlnomen in den Pesachlitur-gien89 Pointiert aus der Zeit des Zweiten Tempels und den ersten Jahrhun-derten nach seiner Zerstoumlrung existiert kein Beleg dass jemals ein Pesach mit den fuumlr Ex 12 typischen mimetischen Elementen gefeiert wurde90

Wenn diese zugespitzte Theorie Leonhards stimmt dann steht die Annahme eines bdquojudenchristlichen Pesachldquo tatsaumlchlich auf schwachen Fuumlszligen Vor 70 haumltte es demnach auszligerhalb Jerusalems uumlberhaupt keine Pesachfeier gegeben ndash und in Jerusalem selbst werden die an Christus glaubenden Juden weiterhin am Tempelpesach teilgenommen haben bdquoThere is no reason to assume that Judaean Jews who came to believe in Christ should have discontinued taking part in the celebrations of the Pesach at the Temple in Jerusalemldquo91 Der Annahme der Evangelist Mar-

84 Baruch M Bokser The Origins of the Seder The Passover Rite and Early Rab-binic Judaism New York 2002 81 uouml Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 256 Ex 12 verschleiere den Charakter des Pilgerfestes und versetze die Situation des Tempels in ein Dorf in Aumlgypten

85 Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 105386 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 77thinspf (Indeptedness of the seder to

the hellenistic symposium) Leonhard zeigt dass der Seder erst im Laufe der Zeit an mPes 10 angeglichen wurde und parallel dazu seines sympotischen Charakters verlustig ging Analog Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 uouml

87 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 3388 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 235 (ebd 236)89 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 237thinspf Erst im babylonischen Talmud werde

auf die bis heute uumlbliche synagogale Lesung aus Ex 12 als allgemeiner Brauch angespielt

90 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 24991 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 31

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 22: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 76 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 77

77

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

kus setze um 70 bereits den Vollzug eines bdquochristlichen Pesachldquo voraus waumlre damit der Boden entzogen

Doch wird man vorsichtig sein ob man aus dem ndash von Leonhard zurecht betonten ndash Schweigen der Quellen schlieszligen kann dass die Pascha-nacht fuumlr Juden auszligerhalb Palaumlstinas vor 70 keinerlei Bedeutung hatte Platt gefragt Was machen eigentlich Diasporajuden oder palaumlstinische Juden die nicht an der Paschawallfahrt teilnahmen am Abend des 14 Nisan Dass sie eine Art vor-rabbinische Paschaliturgie im Familienkreise feierten die an Ex 12 anschloss hat Leonhard uumlberzeugend widerlegt92 Aber heiszligt das dass sie den Termin ignorierten93 Wir wissen es nicht ndash jedoch erwaumlgt Baruch M Bokser mit guten Gruumlnden bdquothe probability that some Jews who lacked access to a paschal sacrifice felt the need to do something on Passover eveldquo Und er faumlhrt fort bdquoIt is not unreasonable to assume that Israelites who did not have access to a cultic center and could not eat of the paschal lamb may have wanted to celebrate the festival and may have gathered at a meal on the night of Passover (hellip) These people may have adopted the holidayrsquos existing structure of a mealldquo94 Auch G Rouw-horst erwaumlgt Aumlhnliches95 C Leonhard wiederum kann und will ein solches Symposion in der Diaspora am Vorabend des Paschafestes natuumlrlich nicht ausschlieszligen96 im Hinblick auf die Paschahomilie Melitos nimmt er ein

92 Vgl Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 259 Aus dem Judentum der Diaspora sei uns kein Zeugnis uumlberliefert dass man Ex 12 als liturgische Anleitung fuumlr das Fest fernab des Tempels verstand Ganz eindeutig ist allerdings der Befund bei Philo nicht anders daher Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 528

93 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 203 uouml geht davon aus dass juumldische wie christliche collegia in der Diaspora den biblischen Festzyklus im Prinzip ignorierten da es sich ja ausschlieszliglich um Wallfahrtsfeste handelte

94 Bokser Origins (s Anm 84) 54 (Hervorheb von mir) Dies gelte gerade auch fuumlr die Diaspora Ein solches Mahl allerdings bleibe Spekulation

95 Rouwhorst Gottesdienst (s Anm 78) 527 haumllt es fuumlr bdquokaum vorstellbar dass ihre Feier [ie die Feier der groszligen Pilgerfeste] auf die Opferriten im Tempel beschraumlnkt bliebldquo Auch er nimmt an dass Juden in der Diaspora diese fuumlr juumldische Identitaumlt so wichtigen Feste bdquoin ihrer Heimat in irgendeiner Form mit-gefeiert habenldquo Die von ihm genannten bdquoIndizien aus der Zeit des zweiten Tempelsldquo vthinspa Philo sind allerdings stark umstritten (dazu zthinspB Leonhard bdquoHerodrsquos Days [s Anm 79] 204)

96 Leonhard bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 bdquoJews living in the Western Dia-spora may or may not have convened the collegium in order to celebrate a symposium on the day of a pilgrim festival like Pesach or Sukkotldquo aumlhnlich vorsichtig ebd 204

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 23: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

78

Hans-Ulrich Weidemann

solches juumldisches Symposion von dem sich das quartodezimanische Oster-fest als Anti-Pascha polemisch absetzt sogar explizit an97

Der bdquomissing linkldquo zwischen dem Tempel- und Wallfahrtspesach in Jerusa-lem vor 70 und den spaumlteren quartodezimanischen Osterfeiern (wie auch dem spaumlteren rabbinischen Pesach) waumlre demnach gerade nicht der erst spaumlter belegte Sederabend sondern ein feierliches Mahl am Vorabend des Paschafestes im Kontext der hellenistischen Symposialkultur das man sich durchaus auch auszligerhalb Jerusalems vorstellen kann C Leonhard ist also einerseits Recht zu geben wenn er betont bdquoWenn sich Juden der Diaspora dem Glauben an Christus zuwandten konnten sie keine Hausfeier nach Ex 12 als liturgisches sbquoErbelsquo in ihre neue soziale Umgebung einbringenldquo98 Allerdings ist damit gerade nicht ausgeschlossen dass fruumlhe christliche Gemeinden an einen in der Diaspora sowie in Palaumlstina auszligerhalb Jerusa-lems bestehenden juumldischen Brauch anknuumlpfen konnten am Vorabend des Pascha ein Symposion abzuhalten

Was folgt daraus nun fuumlr Markus Die redaktionskritisch erarbeitete Erkenntnis dass der zweite Evangelist gegen seine alte Passionserzaumlhlung das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und die ganze vorangehende Passionswoche danach ausrichtet laumlsst mthinspE nur zwei Erklaumlrungen zu Markus wollte entweder eine literarisch-theologische Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem Pascha Israels oder eine noch naumlher zu bestim-mende Beziehung zwischen Jesu letztem Mahl und dem in seinem eigenen ekklesialen Umfeld am Vorabend des Paschafestes gefeierten christlichen Symposium herstellen Die erste Moumlglichkeit scheidet mthinspE aus da Markus keinerlei () Interesse an Ex 12 oder an den Inhalten des juumldischen Pascha-festes erkennen laumlsst99 Aber warum hat er dann Jesu letztes Mahl mit dem Paschasymposium seiner Gemeinden sozusagen uumlberblendet Zur Beant-wortung dieser Frage wenden wir uns nun der markinischen Abendmahls-erzaumlhlung selbst zu

97 Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 52 uouml bdquoHerodrsquos Daysldquo (s Anm 79) 201 Anm 51

98 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 260 und weiter bdquoAuch wenn Paulus je eine Gemeinde lehrte ein Paschafest zu halten konnte es nicht ausgesehen haben wie das Mahl in Ex 12ldquo

99 Mit Recht betont Michael Wolter Das Lukasevangelium (HNT 5) Tuumlbingen 2008 698 dass nur Lukas dem Sachverhalt dass Jesu letztes Mahl ein Pascha-mahl war auch inhaltliche Bedeutung fuumlr den plot seiner Jesusgeschichte zuschreibt Interesse an der Paschathematik zeigt auch das vierte Evangelium vgl dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 167thinspf Gerade im Vergleich mit Lk und Joh faumlllt das voumlllige Desinteresse des Mk auf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 24: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 78 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 79

79

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

III Die Gestaltung der Mahlerzaumlhlung Mk 1418ndash25

Seine Mahlerzaumlhlung (1418ndash25) gestaltet Markus zweiteilig dabei analog zu den vorangegangenen Szenen als bdquoDunkelHell-Szeneldquo der Vorhersage der Auslieferung durch Judas (1418ndash21) folgen Brot- und Becherhandlung samt Gabeworten (1422ndash25) So stellt Markus bdquoAuszligenseiteldquo und bdquoInnen-seiteldquo des Kreuzesgeschehens einander gegenuumlber Zwei Amen-Worte rah-men quasi die ganze Erzaumlhlung (141825 ἀμὴν λέγω ὑμῖν)

Das Mahl findet am Abend statt (1417 καὶ ὀψίας γενομένης) Mahl-teilnehmer sind die Zwoumllf mit denen er am Sonntag zuvor in Bethanien Quartier genommen hatte (1111) Nach der Erschaffung des Zwoumllferkrei-ses (314+16) und seiner Aussendung (67ndash13) ist das gemeinsame Pascha-mahl die dritte Symbolhandlung des markinischen Jesus mit den Maumlnnern die das endzeitlich gesammelte und erneuerte Zwoumllfstaumlmmevolk repraumlsen-tieren das sich der βασιλεία unterstellt hat Dieser Israelbezug ist fuumlr das Verstaumlndnis der Szene von grundlegender Bedeutung denn in diesem Horizont stehen Jesu beim Mahl gemachte Aussagen uumlber die in seinem gewaltsamen Tod errichtete Heilsordnung (bdquoBundldquo)100

Zunaumlchst erzaumlhlt Markus Jesu Vorhersage seiner Auslieferung Wich-tig ist hier dass die Mahlzeit bereits begonnen hat (1418ab) die Ausliefe-rung Jesu bedeutet insbesondere den Bruch der Tischgemeinschaft mit ihm ein Aspekt den Markus redaktionell noch verstaumlrkt101 Dass der Ver-raumlter bdquoeiner der Zwoumllfldquo ist wird eigens erwaumlhnt (1420) Bei der weiteren redaktionellen Uumlberarbeitung der Szene102 nimmt Markus kleinere inhalt-liche Ungereimtheiten in Kauf Obwohl er schon in 1410thinspf erzaumlhlt hatte dass Judas Iskarioth bdquojener Menschldquo ist bdquodurch den der Menschensohn aus-geliefert wirdldquo (1421) kann beim letzten Abendmahl keiner der Juumlnger ausschlieszligen dass nicht etwa er es ist (1419) ndash jeder der Mahlteilnehmer ist sozusagen potentiell ein Judas

Der Vorhersage der Auslieferung korrespondiert dann die kombinierte Brot- und Becherhandlung Jesu mit den Gabeworten (1422ndash25) Die Annahme dass Markus hier redaktionell eingegriffen hat kann aufgrund der paulinischen und der lukanischen Paralleluumlberlieferung noch als eini-

100 Instruktiv zu Jesu Tod als Sterben fuumlr Israel und zur Symbolik des Zwoumllferkrei-ses beim letzten Mahl Gerhard Lohfink Jesus von Nazareth Was er wollte wer er war Freiburg ithinspBr 2011 361ndash365

101 Der Vergleich mit Joh 1321 zeigt dass Markus ὁ ἐσθίων μετrsquo ἐμοῦ hinzufuumlgt die Wendung stammt offenbar aus Ps 4010 LXX (ὁ ἐσθίων ἄρτους μου)

102 Schleritt (s Anm 32) 278thinspf Die aumlltere Fassung laumlsst sich noch hinter Joh 1322ndash27 erkennen Einer der Juumlnger oder die Gruppe insgesamt fragt Jesus τίς ἐστιν und erhaumllt zur Antwort den Verweis auf einen ungenannt bleibenden Mahlteilnehmer der bdquomit mir eintunkt in die Schuumlsselldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 25: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

80

Hans-Ulrich Weidemann

germaszligen sicher gelten Ganz unklar ist allerdings nach wie vor wie die vormarkinische Passionserzaumlhlung an dieser Stelle ausgesehen hat Der Vergleich mit der Mahlerzaumlhlung des Johannesevangeliums in der ja eine Brot- und Becherhandlung wie auch dazugehoumlrige Gabeworte fehlen fuumlhrt meistens zu der Annahme dass zumindest die Verse 1422ndash24 urspruumlnglich nicht Teil der vormarkinischen Passionserzaumlhlung waren103

Man kann davon ausgehen dass sowohl PEMk als auch PELkJoh eine Mahlszene enthielten die den Rahmen fuumlr zwei Prophetien Jesu bildete naumlmlich die Vorhersage der Auslieferung (Stichwort παραδιδόναι vgl Mk 1418ndash20 par Joh 1321thinspf26) und die Vorhersage der Verleugnung durch Petrus (Stichwort ἀρνεῖσθαι vgl Mk 1429thinspf par Joh 1338)104 Markus hat offenbar die urspruumlnglich im Mahlbericht lokalisierte Vorhersage der Pet-rusverleugnung nach hinten auf den Weg nach Gethsemani verlagert (Mk 1427ndash31 anders Joh 1338Lk 2234)

Der Vergleich mit Paulus (1Kor 1123ndash25) zeigt zudem dass die Mahl-erzaumlhlung als Kultaumltiologie auch unabhaumlngig von den literarischen Passi-onsberichten uumlberliefert werden konnte und wurde allerdings wird auch die Kultaumltiologie auf die bdquoNacht in der er ausgeliefert wurdeldquo datiert (1123) steht also im Passionskontext

Schwieriger ist die Beurteilung des johanneischen Befundes Gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung kann naumlmlich mthinspE keineswegs ausgeschlos-sen werden dass der vierte Evangelist eine der vorlukanischen Fassung von Lk 2214ndash19 entsprechende Szene aus der vorjohanneischen Passionserzaumlh-lung getilgt hat Schon die lukanische Paschamahlerzaumlhlung zeigt ja dass Lukas an dieser Stelle gegen Markus auf aumllteres Uumlberlieferungsgut zuruumlck-greifen konnte zu dem vielleicht auch der vierte Evangelist Zugang hatte Dass ein bdquoBrotwortldquo im johanneischen Uumlberlieferungszweig bekannt war und dass dieses (trotz veraumlnderter Terminologie) strukturell eng mit dem paulinisch-lukanischen Brotwort verwandt ist zeigt Joh 651105 Ein analo-ges bdquoBecherwortldquo (Stichwort bdquomein Blutldquo) wird man aus Joh 653ndash56 (vgl

103 Vgl nur Wolfgang Reinbold Der aumllteste Bericht uumlber den Tod Jesu Literari-sche Analyse und historische Kritik der Passionsdarstellungen der Evangelien (BZNW 69) Berlin-New York 1994 133

104 Vgl Schleritt (s Anm 32) 330105 Zur These dass in Joh 651c bdquoeine selbstaumlndige Fassung des Deutewortes Jesu

zum Brot erhalten istldquo vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 101thinspf158 sowie Theobald Joh I (s Anm 33) 475ndash478 der auszligerdem Joh 623bc (bdquoSie aszligen das Brot nachdem Dank gesagt hatte der Herrldquo) in die Analyse miteinbe-zieht Die johanneische Formulierung steht der paulinisch-lukanischen Fas-sung nahe (ebd 476) was die markinische Version uumlberlieferungsgeschichtlich noch isolierter erscheinen laumlsst

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 26: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 80 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 81

81

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

151ndash5) erschlieszligen koumlnnen Es wird aber zuwenig beachtet dass in der johanneischen Version des letzten Mahles Jesu nicht nur die Szene mit Brot- und Wein samt den Gabeworten fehlt ndash auch bdquodie Zwoumllfldquo als Mahlteil-nehmer werden nicht erwaumlhnt der vierte Evangelist redet hier ganz unspe-zifisch von bdquoJuumlngernldquo (13522thinspf) bzw von bdquoden Seinenldquo (131) Und vom bdquoBundldquo (διαθήκη) ist im ganzen Corpus Iohanneum nirgendwo die Rede erst recht nicht bei Jesu letztem Abendmahl Andererseits zeigen Spuren in Joh 6 dass man auch im johanneischen Kreis den urspruumlnglichen Zusam-menhang von Zwoumllferkreis Eucharistiegebet Gabewort(en) und Jesu Aus-lieferung noch kannte (vgl Joh 611132751ndash5867ndash71)106 diesen Zusam-menhang aber mit anderen Inhalten uumlberblendet hat Das Thema der Eucharistie steht nun in der Fluchtlinie der wunderbaren Brotvermehrung und im Raum der oumlffentlichen Auseinandersetzung Jesu mit bdquoden Judenldquo um seinen Anspruch das vom Himmel gekommene Lebensbrot zu sein Der johanneische Jesus steht hier ndash wie so oft ndash bdquoden Judenldquo gegenuumlberUm diesen auffaumllligen Befund zu erklaumlren ist mthinspE nicht bei der (unbe-weisbaren) Annahme anzusetzen die vorjohanneische Passionserzaumlh-lung habe keinen bdquoEinsetzungsberichtldquo enthalten Vielmehr ist vom auch sonst feststellbaren Umgang des Evangelisten mit seiner Passions-uumlberlieferung auszugehen (sthinspu) und auszligerdem ist die innerjuumldische Konfliktlage der johanneischen Judenchristen in Anschlag zu bringen wie sie der vierte Evangelist im Buch verarbeitet ndash konkret der sog bdquoSynagogenausschlussldquo (92234 1242 vgl 162) Nach diesem Bruch mit der Synagoge war es fuumlr den vierten Evangelisten offenbar nicht mehr moumlglich Jesu Tod mit jenen bdquoSprachspielenldquo auszusagen wie sie die an den Zwoumllferkreis gerichteten Gabeworte bei Paulus und den Syn-optikern aktivieren als stellvertretende Suumlhne fuumlr das schuldig gewor-dene Israel und als Bundesschluss Im vierten Evangelium faumlllt gerade der Israelbezug beim Tod Jesu komplett aus der fuumlr die synoptisch-paulinischen Mahlerzaumlhlungen konstitutiv ist bzw er erscheint nur noch ironisch-gebrochen und kommentiert ausgerechnet im Mund des Hohenpriesters Kajaphas (1150 1814) Die Tilgung des Israelbezugs zeigt sich neben dem Verschwinden der Bundesterminologie und dem Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises aber auch in der Formulierung der ὑπέρ-Wendung in Joh 651 bdquoDas Brot das ich geben werde ist mein

106 Zum Zwoumllferkreis im JohEv vgl Theobald Joh I (s Anm 33) 498ndash502 Ergaumln-zend zu den dortigen Ausfuumlhrungen waumlre zu uumlberlegen ob das offensichtliche Zuruumlcktreten des Zwoumllferkreises (obwohl im vierten Evangelium ja zumindest acht seiner Mitglieder auftreten) mit dem Synagogenausschluss und der inner-juumldischen Frontstellung des joh Kreises und dem damit einhergehenden Zuruumlcktreten des Israelbezuges zusammenhaumlngen koumlnnte

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 27: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

82

Hans-Ulrich Weidemann

Fleisch fuumlr das Leben der Weltldquo In dieser Tilgung bzw Transformation des Israelbezuges wird man also das entscheidende Motiv erkennen koumlnnen warum der vierte Evangelist die entsprechende Passage samt dem Zwoumllferkreis aus der Mahlerzaumlhlung herausgeloumlst und bdquonach vorneldquo konkret nach Joh 6 verlagert hat Diese Annahme ist vor allem auch deswegen plausibel da der vierte Evangelist dieselbe Technik der bdquoVorverlagerungldquo von transformiertem Passionsstoff in die oumlffentliche Wirksamkeit Jesu noch bei der Tempelaktion (Joh 213ndash21) aber auch bei der Gethsemani-Szene (vgl Joh 122327thinspf 1430thinspf 1811 mit Mk 1432ndash42) und bei der zentralen Passage des hohepriesterlichen Verhoumlrs Jesu anwendet (vgl Joh 1024thinspf36 mit Lk 226770)107 Dieselbe redaktionelle Strategie legt sich dann auch fuumlr die Mahlszene nahe Dass die Bundesthematik zthinspB in der ersten Abschiedsrede aber auch in Joh 6 in andere Sprachspiele wie das der Immanenz transformiert wurde ist ebenfalls keine neue Erkenntnis108 dieses Phaumlnomen wird man allerdings staumlrker mit dem Synagogenausschluss und dem daraus folgenden Anliegen des Evangelisten eine eigene Identitaumlt der Chris-tusglaubenden bdquojenseits der Synagogeldquo zu konstruieren in Beziehung setzen muumlssen109 Nimmt man also den Israelbezug wie er sich im Zwoumllferkreis und der Bundesthematik zeigt schon fuumlr die alte Uumlberlie-ferung der Mahlerzaumlhlung an dann ist eine Tilgung bzw Transforma-tion dieses Textes durch den vierten Evangelisten durchaus plausibel

Vermutlich hat also Markus in der vormarkinischen Passionserzaumlhlung bereits eine Brot- und Becherhandlung Jesu samt Gabeworten vorgefunden und redaktionell uumlberarbeitet Geht man davon aus dass Brot- und Becher-handlung der bei Paulus in 1Kor 1123ndash25 belegten alten Kultaumltiologie

107 Dazu Theobald Joh I (s Anm 33) 796thinspf (Gethsemani) und 689thinspf (Kaiaphas-verhoumlr) sowie Schleritt (s Anm 32) 332ndash334 und 369ndash374

108 Zur bdquodurchgaumlngigen Praumlgungldquo von Joh 1415ndash24 durch die alttestamentliche Bundestheologie vgl Johannes Beutler Habt keine Angst Die erste johannei-sche Abschiedsrede (Joh 14) (SBS 116) Stuttgart 1984 51ndash86 sowie 112thinspf Aller-dings fragt Beutler leider nicht nach den Gruumlnden warum der vierte Evangelist die Bundesterminologie vermeidet und nur noch transformiert rezipiert Dass die sog Immanenzformel gerade im eucharistischen Zusammenhang von Joh 651ndash58 eine Transformation des biblischen Bundesgedankens darstellt vermerkt Theobald Joh I (s Anm 33) 482 im Anschluss an X Leacuteon-Dufour zu Joh 656

109 Dazu grundlegend Theobald Joh I (s Anm 33) 66ndash70 Die hier versammelten Textbeobachtungen weisen in dieselbe Richtung wie die oben entworfene (von Theobald allerdings nicht geteilte) These

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 28: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 82 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 83

83

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

ungefaumlhr entsprachen110 dann faumlllt zunaumlchst auf dass Markus die beiden Vollzuumlge zu einer Einheit verbunden und ans Ende der Mahlzeit gestellt hat Dies geht aus dem Duktus der Erzaumlhlung sowie der Wiederaufnahme von καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν in 1422a eindeutig hervor Brot- und Becher-handlung sowie der Lobgesang (καὶ ὑμνήσαντες) schlieszligen bei Markus die Mahlzeit ab Es ist vermutlich kein Zufall dass diese Vollzuumlge genau an der Stelle stehen an der im antiken Symposium die Weinlibation und der Gesang des Paian das Ende des Mahles und den Uumlbergang zum Trinkgelage markieren111 Letzteres entfaumlllt im Kontext der markinischen Leidensge-schichte da Jesus und die Juumlnger nach dem Gesang sofort zum Oumllberg auf-brechen (anders Lukas) Die Verschiebung der Brothandlung ans Ende der Mahlzeit direkt vor die Becherhandlung ist schon innermarkinisch bemer-kenswert denn in den beiden Speisungserzaumlhlungen eroumlffnet Jesus das Mahl mit dem Segnen Brechen und Verteilen des Brotes (Mk 64186thinspf)

Nimmt man diese Beobachtungen zusammen so muss man sagen dass Markus das letzte Mahl Jesu mit den Zwoumllfen (im Unterschied zu Paulus und Lukas) nicht als spezifisch juumldisches Mahl schildert fuumlr das Mahleingangsrituale wie eine Kelch- oder (und) eine Brotbenediktion charakteristisch waren112 Statt dessen naumlhert Markus das letzte Abend-mahl strukturell an ein bdquonormalesldquo hellenistisch-roumlmisches Syssition samt Ab schlussritual an Diese Umformung der Mahlstruktur ist mit der Datierung des Mahles auf den Vorabend des Pascha (sthinspo) zusammenzuse-hen und als Teil derselben redaktionellen Strategie des Evangelisten zu verstehen Man kann annehmen dass beides den bdquoliturgischen Brauchldquo besser die Mahlpraxis der markinischen Ekklesien widerspiegelt in denen dann Brot- und Becherhandlung den Abschluss eines gemeinsa-

110 So auch Robert H Gundry Mark A Commentary on his Apology for the Cross Grand Rapids 1993 829 Eine direkte Abhaumlngigkeit des Markus von Paulus vertritt mit beachtlichen Argumenten Wolfgang Schenk Die Rezep-tion der paulinischen Herrenmahlworte bei Markus in C Barnbrock (Hg) Gottes Wort in der Zeit verstehen ndash verkuumlndigen ndash verbreiten (FS V Stolle) Muumlnster 2005 261ndash270 Lukas haumltte in diesem Fall auf die aumlltere Fassung zuruumlckgegriffen wie sie vermutlich in seiner zweiten Passionsuumlberlieferung aufbewahrt war und sie mit Markus redaktionell ausgeglichen

111 Zur Beendigung des Mahls mit Libation und Paian vgl Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie fruumlh-christlicher Mahlfeiern (TANZ 13) Tuumlbingen 1996 101ndash109

112 Dazu ausfuumlhrlich Klinghardt Gemeinschaftsmahl (s Anm 111) 178 286thinspf 364 430thinspf uouml (unter Hinweis zthinspB auf 1QS 64thinspf 1QSa 217ndash22 Josephus Bell 2131 JosAs 85) Auch laut Leonhard Art Mahl (s Anm 80) 1066 gab es schon im Judentum der Zeit des zweiten Tempels Mahleingangsrituale auch wenn er die spaumltere rabbinische Beraka vor dem Essen und Trinken davon nochmals abhebt (weiter ebd 1090ndash1096)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 29: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

84

Hans-Ulrich Weidemann

men Mahles am Paschavorabend (und vielleicht den Uumlbergang zu einem sympotischen Teil) bildeten In diesem Fall haumltte sich also an ein nach den uumlblichen Parametern hellenistisch-roumlmischer Vereinsymposia ablaufen-des Mahl ein Vorgang angeschlossen den man ndash um erneut eine Formu-lierung C Leonhards aufzugreifen ndash als bdquoconsumption of consecrated foodldquo beschreiben kann113

1 Redaktionskritische Auslegung von Brotgestus und Brotwort (1422)

22 a Καὶ ἐσθιόντων αὐτῶν Und als sie aszligenb λαβὼν ἄρτον nahm er Brotc εὐλογήσας segnete es (vgl 86)d ἔκλασεν brach ese καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς und gab es ihnenf καὶ εἶπενmiddot und sprachg λάβετε bdquoNehmth τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου Dies ist mein Leibldquo

Jesus nimmt also beim Essen Brot und spricht das Lobgebet bricht das gesegnete Brot und gibt es den Zwoumllfen

Zur Analyse Dem Mahlbericht zugrunde liegt ein Geruumlst aus parallelen Ηandlungen Parallel ist insbesondere die Abfolge von (1) einer Form von λαμβάνειν gefolgt (2) von einem verbalen Gebetsterminus sowie (3) einer Form von διδόναι αὐτοῖς Auch die Gabeworte weisen eine paral-lele Struktur auf Demonstrativum τοῦτο + ἐστιν + Praumldikatsnomen114

113 So Clemens Leonhard Justin and the Initiation Meal Customs of the Early Church and Graeco-Roman Associations allerdings mit Bezug auf Justin der ja kein Symposium kennt (das bislang unveroumlffentlichte Manuskript wurde mir freundlicherweise vom Autor uumlberlassen) Ob die von Leonhard vorge-nommene bdquodistinction between meals and the mere consumption of consecra-ted foodldquo bzw den bdquorites of consumptionldquo so sauber durchfuumlhrbar ist muss sich allerdings noch erweisen die synoptischen Abendmahlserzaumlhlungen koumlnnten ebenso wie der 1 Korintherbrief darauf hindeuten dass sich bdquomealsldquo und bdquoconsumption of consecrated foodldquo nicht ausschlieszligen muumlssen

114 Schlicht falsch Luz Mt IV (s Anm 20) 112 Das Neutrum τοῦτο koumlnne sich nicht auf das maskuline ἄρτος beziehen sondern beziehe sich bdquoauf den ganzen Vorgang des Brotbrechens Nehmens und Essensldquo Wenn aber das Subjekt ein Demonstrativpronomen ist richtet es sich bei Identifikationen fast immer nach der Subjektsergaumlnzung (Praumldikatsnomen) in diesem Fall also nach τὸ

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 30: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 84 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 85

85

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Die Terminologie der Tischgebete (εὐλογεῖν fuumlr den Mahleroumlffnungssegen uumlber dem Brot εὐχαριστεῖν als Mahlabschlussgebet uumlber dem Kelch) koumlnnte auf die Vorlage zuruumlckgehen da fuumlr Markus εὐλογεῖν und εὐχαριστεῖν synonym sind wie der Vergleich von 641 mit 86 zeigt wo beide Termini fuumlr den Brotsegen verwendet werden bdquoVerraumlterischldquo ist aber ndash mit den Worten J Jeremiasrsquo ndash der markinische Sprachgebrauch in 87 wo εὐλογήσας nicht absolut (wie in 641 und 1422) sondern mit Akku-sativobjekt αὐτά (sc die Fische) konstruiert ist115 Galt der uumlber den Nah-rungsmitteln gesprochene Lobpreis bei juumldischen Mahlzeiten eigentlich Gott (= absolutes εὐλογεῖν) so wird er hier auf Nahrungsmittel bezogen und dadurch zu einer bdquoWeihungldquo (analog Lk 916)116 Dass sich beides gerade nicht ausschlieszligen muss zeigt eine vielzitierte fuumlr diese Frage aber zu wenig ausgewertete Passage aus bdquoJoseph und Asenethldquo117 Diesen Bezug von SegenDanksagung auf die Nahrungsmittel wird man auch fuumlr das markinische Verstaumlndnis des Brotsegens in 1422 voraussetzen duumlrfen (wo ein Akkusativobjekt ja auch bei ἔκλασεν und ἔδωκεν fehlt) Jesus segnet Brot bevor er es bricht und den Juumlnger gibt

Das Brotwort selbst ist bei Markus von jeder weiteren Praumldikation (dthinsph von einer ὑπέρ-Formulierung wie sie in 1Kor 1123 Lk 2219 und

σῶμά μου und τὸ αἷμά μου vgl HS 263e (Bsp Mk 1516 Joh 319 Phil 128 usw) anders bei Interpretationen wo das Neutrum Singular formelhaft gebraucht wird und weder das Genus des Bezugwortes noch das des Praumldikats-nomens beruumlcksichtigt (ebd 263f) Analog BDR sect 132 Ist ein Pronomen Sub-jekt so tritt es in Kongruenz mit dem Praumldikatsnomen (Bsp Mt 2238 usw) auch bei Identifizierung wird gern an das Praumldikatsnomen assimiliert Vgl auch Gundry Mk (s Anm 109) 831 Damit haben sich auch die weitergehen-den Ausfuumlhrungen von Luz zum Thema Realpraumlsenz erledigt

115 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 91 Anm 4116 Mit Wolter Lk (s Anm 99) 342 sowie Jeremias Abendmahlsworte

(s Anm 18) 167 Wilfried Eckey Das Lukasevangelium I Neukirchen-Vluyn 22006 416 spricht anlaumlsslich von Lk 916 (εὐλόγησεν αὐτοῦς sc Brote und Fische) davon dass Jesus durch die Segnung die Gotteskraft in ihm auf die Lebensmittel uumlbertraumlgt wie bei Heilungen auf Kranke Auch in 1Kor 1016 ist der bdquoSegensbecherldquo Objekt des Segnens (τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλογοῦμεν) vgl JosAs 89 195 (ποτήριον εὐλογίας)

117 In JosAs 85thinspf (ed Reinmuth 68thinspf) gebraucht Joseph εὐλογεῖν zunaumlchst mit τὸν θεὸν τὸν ζῶντα als Akkusativobjekt es geht also um ein an den lebendigen Gott gerichtetes Tischgebet Durch diese bdquoBenediktion Gottesldquo wird nun aber das Brot zu ἄρτον εὐλογημένον ζωῆς der Becher zum ποτήριον εὐλογημένον ἀθανασίας das Salboumll zu χρίσματι εὐλογημένῳ ἀφθαρσίας Diese juumldische Quelle zeigt dass ein Verstaumlndnis von εὐλογεῖν als ein an Gott gerichtetes Tischgebet keineswegs die Vorstellung einer dadurch erfolgten bdquoSegnungldquo von Nahrungsmitteln (samt ihrer Ausstattung mit Lebenskraft) ausschlieszligt

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 31: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

86

Hans-Ulrich Weidemann

Joh 651 belegt ist) entkleidet und dadurch gegenuumlber dem Becherwort ext-rem verknappt Uumlberschaut man den markinischen Mahlbericht faumlllt bdquodie sbquoAchterlastigkeitlsquo der Einsetzungsworteldquo118 und die bdquoempfindliche Asym-metrieldquo zwischen Brot- und Becherwort unmittelbar auf das Becherwort ist gegenuumlber dem Brotwort bdquomit Deutung geradezu uumlberladenldquo119 Ob man aufgrund dieser zweifellos vorhandenen Asymmetrie dann aber mit Joa-chim Jeremias von einer bdquoraumltselhafte[n] sbquoLeerelsquo des Brotwortesldquo sprechen sollte das bdquoohne jede theologische Deutungldquo bleibe120 ist aber zu pruumlfen

Fragt man nach der bdquoinneren Kongruenz von Gestus und Deutewortldquo121 so sind von den vier genannten Gesten (zu denen wir auch den Segen rech-nen) ἔκλασεν und ἔδωκεν αὐτοῖς als finite Verben eigens hervorgeho-ben122 Das Brechen des Brotes ist die Voraussetzung fuumlr seine Verteilung der Vorgang des Gebens wird durch den das Gabewort einleitenden Impe-rativ λάβετε noch unterstrichen auf ihm liegt also offenbar der Akzent Durch die Identifikation des Brotes mit seinem Leib vertieft Jesus die Gemeinschaft der Juumlnger untereinander zur Gemeinschaft mit seinem Leib

Die weiteren Erwaumlhnungen des σῶμα Jesu in der Markuspassion zeigen dass das Wort nicht einfach bdquoichldquo meint sondern bdquokonkret den Koumlrperldquo123 also Jesu Leib insofern er fuumlr das Begraumlbnis gesalbt (148) und vom Kreuz abgenommen (1543) wird124 Es geht also nicht allgemein um Jesu bdquoPer-sonldquo sondern um seine leibhaftige Anwesenheit die mit seinem Tod been-det wird Das gebrochene und verteilte Brot ruumlckt als τὸ σῶμά μου an die Stelle des fuumlr das Begraumlbnis gesalbten gekreuzigten und schlieszliglich begra-benen Todesleibes Jesu

118 Schmithals Mk II (s Anm 38) 619119 Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 220120 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 160 (im Anschluss an W Michaelis)121 Michael Theobald Das Herrenmahl im Neuen Testament in ThQ 183 (2003)

257ndash280 262 allerdings als Kriterium der Ruumlckfrage nach dem historischen Jesus Das plausible Kriterium der inneren Kongruenz von Gestus und Deute-wort spricht aber mthinspE eher dafuumlr dass die Mahlteilnehmer in der aumlltesten Form der Kultaumltiologie direkt angesprochen wurden (ὑπὲρ ὑμῶν)

122 Fraglich ist ob mit dem Brechen des Brotes Jesu Tod symbolisiert werden soll In diese Richtung Gundry Mk (s Anm 109) 830 der in Brotritus und -wort bdquoanother Passion predictionldquo sieht

123 So mit Recht Luz Mt IV (s Anm 20) 113 bzgl der matthaumlischen Fassung des Brotwortes Drastisch Gundry Mk (s Anm 109) 831 bdquocorpseldquo

124 Dabei ist die Wendung προέλαβεν μυρίσαι τὸ σῶμά μου εἰς τὸν ἐνταφιασμόν redaktionell mk (vgl Joh 127 und dazu Schleritt [s Anm 32] 211thinspf) Die Erwaumlhnung des σῶμα Jesu im Kontext der Begraumlbnisgeschichte geht auf die alte Uumlberlieferung zuruumlck (vgl Joh 19313840 mit Mk 1543) In 1544 dagegen steht τὸ πτῶμα (bdquoLeichnamldquo)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 32: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 86 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 87

87

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Im Anschluss an Kristina Dronsch koumlnnte man also sagen dass Mar-kus seine Leser durch den Mahlbericht darauf hinweisen moumlchte wo der abwesende Leib Jesu zu finden sei125 Laut Dronsch fuumlllt Mk 1422ndash25 die textuelle Leerstelle von Mk 161ndash8 bdquoIn den Worten sbquodies ist mein Leiblsquo (Mk 1422) und sbquodies ist mein Blutlsquo (Mk 1423) erhaumllt der nicht anwesende Leib einen Ort wo er sich finden laumlsstldquo126 Das gebrochene und gegebene Brot tritt an die Stelle von Jesu Leib die durch seinen Tod und seine Aufer-stehung sozusagen frei geworden ist Doch bdquofunktioniertldquo dieser Vorgang auch in die andere Richtung Das Brot wird durch die markinische Abend-mahlserzaumlhlung unloumlsbar mit Passions-Erinnerung verbunden ein Aspekt der uns noch beschaumlftigen wird (sthinspu IV)

2 Redaktionskritische Auslegung von Bechergestus und Becherwort (1423ndash25)

23 a καὶ λαβὼν ποτήριον Und er nahm einen Becher

b εὐχαριστήσας sprach das Dankgebet

c ἔδωκεν αὐτοῖς gab ihn ihnen

d καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες und es tranken aus ihm alle

24 a καὶ εἶπεν αὐτοῖςmiddot und er sagte zu ihnen

b τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης

bdquoDies ist mein Blut des Bundes

c τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν

das vergossen wird fuumlr viele

25 a ἀμὴν λέγω ὑμῖν Amen ich sage euch

125 Zum Folgenden Kristina Dronsch Text-Ma(h)le Die skripturale Funktion des Abendmahls in Mk 14 in J Hartenstein uthinspa (Hg) bdquoEine gewoumlhnliche und harmlose Speiseldquo Von den Entwicklungen fruumlhchristlicher Abendmahlstradi-tionen Guumltersloh 2008 157ndash179 163thinspf

126 Dronsch Text-Ma(h)le (s Anm 125) 163 K Dronsch ebd treffend bdquoEs han-delt sich keineswegs um ein Abschiedsmahl sondern vielmehr um ein Anwe-senheitsmahl fuumlr die Zeit der LeserInnen naumlmlich fuumlr die Zeit seines abwesen-den Leibes Diese Zeit beginnt sozusagen narrativ mit Mk 166 und der Feststellung dass Jesus nicht hier ist und sie betrifft die Zeit der LeserInnen des MkEv Jesus kuumlndigt in den Einsetzungsworten an wo er zu finden ist ndash fuumlr die Zeit seines abwesenden Leibesldquo

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 33: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

88

Hans-Ulrich Weidemann

b ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω

ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου

Nicht mehr werde ich trinken

von der Frucht des Weinstocks

c ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης bis zu bdquojenem Tagldquo (vgl 1332)

d ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν

ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ

dann werde ich sie trinken von neuem

in der basileia Gottesldquo

Markus gleicht den Beginn des Becherworts syntaktisch an das Brotwort an indem er der Wendung τὸ σῶμά μου die Wendung τὸ αἷμά μου gegen-uumlberstellt Allerdings baut er das Becherwort im Unterschied zum bdquoentleer-tenldquo Brotwort stark aus Deswegen spricht der markinische Jesus das Becherwort auch erst nachdem bdquoalleldquo aus dem Kelch getrunken haben127

Zunaumlchst identifiziert Jesus sein Blut durch die Genitivapposition τῆς διαθήκης als bdquomein Blut des Bundesldquo (besser der Verfuumlgung der Setzung) und stellt damit einen noch naumlher zu bestimmenden Bezug zum bdquoBundes-blutldquo von Ex 248 (vgl Sach 911) her Der von allen Juumlngern aus dem Becher getrunkene Wein ist Jesu bdquoBundesblutldquo das Possessivpronomen μου stellt Jesu eigenes Blut dem am Sinai von Moses verwendeten Tierblut gegen-uumlber Diese Transformation ist offensichtlich das Ergebnis schriftgelehrter Reflexion

Vermutlich hat Markus selbst den (aumllteren) Bezug auf die bdquoNeue Dia-thekeldquo von Jer 3131 wie er in 1Kor 1124 und Lk 2211 bezeugt ist in die Anspielung auf das bdquoBlut der Diathekeldquo von Ex 248 transformiert und damit auch den Bezug vom kreisenden Becher auf den Becherinhalt verschoben Dies ist plausibler als die Annahme des umgekehrten Vorgangs Diese Transformation lag insofern nahe als die bdquoNeue Beritldquo in Jer 3132 explizit bdquoder Berit die ich geschnitten hatte mit ihren Vaumltern am Tag als ich sie bei der Hand nahm um sie aus dem Land Aumlgypten herauszufuumlhren die sie gebrochen haben ndash meine Beritldquo entgegengesetzt wird128 Umgekehrt gibt ndash wie R Pesch mit Recht bemerkt hat ndash die Bestimmung bdquomein Blutldquo der Wen-

127 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες καὶ εἶπεν αὐτοῖς hellip Anders Mt 2627thinspf128 Uumlbersetzung Walter Gross Zukunft fuumlr Israel Alttestamentliche Bundeskon-

zepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176) Stuttgart 1998 134 Zur philologischen Begruumlndung der Entgegensetzung von gebrochener Sinai-Berit und Neuer (nicht bdquoerneuerterldquo) Berit vgl ebd 148thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 34: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 88 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 89

89

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

dung einen bdquotypologischen Sinn das neue Bundesblut zielt auf den neuen Bundldquo129 Falls die Erwaumlhnung des Blutes im Kontext des bdquoNeuen Bundesldquo ebenfalls vormarkinisch ist ndash wovon aufgrund von 1Kor 1125 auszugehen ist ndash dann wuumlrde Ex 248 auch im Hintergrund des paulinisch-lukanischen Becherwortes stehen130 Vermutlich klingt das Adjektiv bdquoneuldquo noch im adverbial gebrauchten καινόν von Mk 1425 (sthinspu) nach

Markus baut das Becherwort sodann durch die Wendung τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν noch weiter aus Jesu bdquoBundesblutldquo wird bdquover-gossenldquo der bdquoBundldquo also durch Jesu gewaltsamen Tod geschlossen bzw in Kraft gesetzt131 Dieser gewaltsame Tod geschieht ὑπὲρ πολλῶν

Der Ausdruck οἱ πολλοί meint eine unzaumlhlbar groszlige Menge und spielt auf Jes 5311thinspf an Ist darunter im Kontext von Jes 53 zunaumlchst Israel zu verstehen so duumlrfte Markus von Jes 5214ndash15 her bereits die Voumllker im Blick haben (so auch in Mk 1045)132 Die Anspielung auf Jes 5311thinspf liegt auch insofern nahe als auch die vormarkinische Passionserzaumlhlung neben der Praumlgung durch die Klagepsalmen schon eine Reihe von Anspielungen auf das vierte Gottesknechtslied enthalten haben duumlrfte133

In gewisser Weise gegenlaumlufig zu der in Anlehnung an Jes 53 einge-brachten allgemein-universalen ὑπὲρ-πολλῶν-Formel akzentuiert Markus zugleich die Zwoumllf als Empfaumlnger des Brotes (1422 καὶ ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ εἶπενmiddot λάβετε hellip) wie des Bechers (1423 ἔδωκεν αὐτοῖς καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες) Viel deutlicher als bei Paulus und Lukas uumlbersteigt also der Kreis derer denen zugute das Blut Jesu vergossen wird den Kreis der anwesen-den zwoumllf Juumlnger

Die Intention des Evangelisten bei den Transformationen des Becherwor-tes ist nicht einfach zu bestimmen Unbestreitbar ist dass das Becherwort ganz im Dienste der Proklamation des Kreuzestodes Jesu als Heilstod steht134 Jesu gewaltsamer Tod erfolgt bdquofuumlr Vieleldquo und in ihm wird eine

129 Pesch Mk II (s Anm 26) 358130 So Gross Zukunft (s Anm 128) 158131 Vgl dazu die Belege fuumlr αἷμα ἐκχεῖν bei Wolter Lk (s Anm 99) 707 der

auszligerdem auf die in Ps 7214 Prov 118 sowie in Gen 94 und Lev 171114 belegte Parallelitaumlt von bdquoBlutldquo und bdquoLebenldquo verweist Zum Praumlsens ἐκχυννόμενον vgl Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 170thinspf

132 Vgl Peter Stuhlmacher Biblische Theologie des Neuen Testaments I Goumlttin-gen 21997 139thinspf

133 Vgl dazu Pesch Mk II (s Anm 26) 14134 Joel Marcus Mark II (AncB 27a) New Haven 2009 963 bdquoJesus here uses litur-

gical actions to prophecy his deathldquo Der Becher als Todessymbol auch in Mk 1038thinspf (δύνασθε πιεῖν τὸ ποτήριον ὃ ἐγὼ πίνω) sowie 1436 Praumlgnant Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131ndash133

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 35: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

90

Hans-Ulrich Weidemann

Heilsordnung (bdquoBundldquo) aufgerichtet Mit J Wohlmuth bdquoJesu Tod wird zur bedingungslosen Gabe des Bundesldquo135 Doch was ist der Grund fuumlr die bdquosprachliche Ruumlckbindung an die Sinailiteraturldquo136 Liturgischer Einfluss ist ja hier ganz unwahrscheinlich (sthinspo) Vielleicht stoumlrte Markus dass der bdquoNeue Bundldquo laut Jer 3131 bdquomit dem Haus Israel und dem Haus Judaldquo geschlossen wird und sich somit weniger fuumlr eine Ausweitung auf Nichtju-den eignete (sthinspu)137 Ausschlaggebend duumlrfte aber wohl gewesen sein dass der bdquoNeue Bundldquo von Jer 31 im Unterschied zum Sinaibund gerade nicht mittels eines Blutritus am Altar geschlossen wird und auch die in 3134 genannte Suumlndenvergebung erfolgt gerade nicht mittels eines Opferrituals

Konstitutiv fuumlr das Verstaumlndnis des Becherwortes ist also der Bezug auf den in Ex 248 erzaumlhlten sowohl im Opfer- wie im Berit-Kontext einzig-artigen Blutritus138 Doch worin besteht der Bezug des Naumlheren Markus geht es mthinspE weder darum dass der Sinaibund in Jesu Tod bdquoerneuertldquo noch dass er durch Jesu Bundesblut bdquoabgeloumlstldquo oder bdquoersetztldquo wird Ein Bruch des Sinaibundes (wie in Jer 3132) wird gar nicht thematisiert Zunaumlchst einmal wird ausgesagt dass Gott im Kreuzestod Jesu eine Diatheke aufrichtet In der Formulierung des Becherwortes durch Markus sind nun sowohl eine Analogie als auch ein Gegensatz zwischen der Diatheke die in Jesu Tod aufgerichtet wird und der Diatheke von der in Ex 24 erzaumlhlt wird enthal-ten Die Analogie besteht im suumlhnenden Charakter des bdquoBlutes der Dia-thekeldquo Wie die Sinai-Diatheke wird auch die in Jesu Tod aufgerichtete Diatheke durch Suumlhneblut geschlossen

Markus steht naumlmlich mit seinem Verstaumlndnis von Ex 24 in fruumlhjuumldi-scher Tradition Bekanntlich reformuliert ein Teil der Targume zu Ex 24 den Blutritus in Ex 248 so dass auch die zweite Haumllfte des Blutes auf den Altar gesprengt wird und dies erfolge bdquozur Suumlhnung fuumlr das Volkldquo (so Targum Onkelos und Targum Pseudo-Jonathan) Damit wird eine

135 Josef Wohlmuth Eucharistie als Feier des Bundes Ein Versuch das markini-sche Kelchwort zu verstehen in M TheobaldR Hoppe (Hg) bdquoFuumlr alle Zeiten zur Erinnerungldquo (Jos 47) Beitraumlge zu einer biblischen Gedaumlchtniskultur (FS F Muszligner) (SBS 209) Stuttgart 2006 115ndash132 126

136 So die Formulierung von Wohlmuth Eucharistie (s Anm 135) 118 121137 Allerdings scheint dies weder Lukas noch Paulus gestoumlrt zu haben138 Gross Zukunft (s Anm 128) 16 Zur Diskussion um Analogien zur Priester-

weihe ebd 17ndash19 sowie Christoph Dohmen Exodus 19ndash40 (HThKAT) Frei-burg ithinspBr 2004 203 Anders Nahum N Sarna Exodus Philadelphia 5751 [= 1991] 152 bei Bundesschluss und Priesterweihe bdquothe blood functions mys-teriously to cement the bond between the involved partiesldquo Vielleicht deutet Ex 196 den Blutritus von Ex 248 in diesem Sinne

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 36: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 90 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 91

91

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Verbindung zwischen Ex 248 und Lev 161114thinspf hergestellt139 Aus dem urspruumlnglichen Verpflichtungsritus ist ein Blutritus zur Suumlhnung und Entsuumlndigung des Volkes geworden Zweifellos hat diese Lesart bdquobeson-dere Auswirkungen auf einige der zentralen neutestamentlichen διαθήκη-Aussagen gehabtldquo140 und auch das markinische Becherwort duumlrfte diese Vorstellung voraussetzen141

Im Gegensatz zu der in Jesu Tod geschlossenen Diatheke wird aber die Sinai-Diatheke bdquoauf Grund einer schriftlichen Urkunde (244a7ab) ge -schlossenldquo142 Das zeigt sich vthinspa daran dass in Ex 24 das bdquoBundesblutldquo (LXX τὸ αἷμα τῆς διαθήκης) auf das bdquoBundesbuchldquo (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) bezogen ist

Wichtig fuumlr das Verstaumlndnis von Ex 24 ist die Einsicht dass sich das Bundesverhaumlltnis von der bdquoAnnahmeldquo der verkuumlndeten Bundesurkunde her konstituiert nicht vom Blutritus143 Das am Fuszlige des Berges ver-sammelte Volk reagiert nicht auf den Blutritus sondern auf die Verle-sung der Worte Gottes Nach seinem Abstieg vom Gottesberg berichtet Mose dem Volk alle Worte Gottes und alle Rechtsvorschriften (LXX πάντα τὰ ῥήματα τοῦ θεοῦ καὶ τὰ δικαιώματα144) das Volk verpflichtet sich daraufhin alle Worte Gottes (πάντας τοὺς λόγους) zu tun und zu houmlren145 Daraufhin schreibt Mose πάντα τὰ ῥήματα des Herrn auf Am naumlchsten Morgen errichtet er einen Altar unterhalb des Berges und zwoumllf Steine fuumlr die zwoumllf Staumlmme Israels Altar und Volk sollen eine Einheit bilden Es folgt ein Opfer das das Blut fuumlr die beiden folgenden Blutriten bereitstellt Mose faumlngt die eine Haumllfte des Blutes in Schalen

139 Texte bei Ernst Kutsch Neues Testament Neuer Bund Eine Fehluumlbersetzung wird korrigiert Neukirchen-Vluyn 1978 34thinspf

140 Kutsch Testament (s Anm 139) 34 vgl ebd 37 bdquoIn dieser Formldquo stehe Ex 248 bdquohinter dem Weinwort der Abendmahlsberichte nach Markus und Mat-thaumlusldquo

141 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 137 139thinspf Lichtenberger bdquoBundldquo (s Anm 19) 225 Pesch Mk II (s Anm 26) 359 Matthaumlus unterstreicht diesen Aspekt noch durch den Zusatz εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (2628) sowie durch die Ersetzung von ὑπέρ durch περί womit deutlicher auf die Entsuumlhnung ange-spielt wird (vgl zthinspB Lev 14 LXX ἐξιλάσασθαι περὶ αὐτοῦ 420 ἐξιλάσεται περὶ αὐτῶν 516 ἐξιλάσεται περὶ αὐτοῦ 97 ἐξιλάσαι περὶ σεαυτοῦ καὶ τοῦ οἴκου σου uouml)

142 Gross Zukunft (s Anm 128) 20143 Dohmen Ex (s Anm 138) 203144 Vgl damit Ex 211 καὶ ταῦτα τὰ δικαιώματα hellip145 So bereits in Ex 198 noch vor der Sinai-Theophanie

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 37: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

92

Hans-Ulrich Weidemann

auf die andere Haumllfte gieszligt er ndash wie bei Opfern uumlblich (vgl zthinspB Ex 245thinspf mit Lev 71114) ndash an den Altar womit das Opfer abgeschlossen ist Es folgt die Verlesung des zuvor verschriftlichten Bundesbuches (τὸ βιβλίον τῆς διαθήκης) das Volk wiederholt daraufhin seine am Vortag gegebene Verpflichtung alles zu tun und zu houmlren Im Anschluss daran sprengt Mose die andere Haumllfte des Blutes uumlber das Volk mit den Wor-ten ἰδοὺ τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς περὶ πάντων τῶν λόγων τούτων Die Verlesung des Bundesbuches erfolgt zwischen den beiden Besprengungsakten die also keineswegs gemein-sam einen bdquoBundesldquo-Ritus bilden146 Der Blutritus impliziert bdquodass die als unverzichtbarer Teil der so sakral begruumlndeten Gemeinschaft zwi-schen Gott und Volk uumlbernommene Verpflichtung das Volk auf Leben und Tod bindetldquo147 Obwohl also hier die Opfertiere nicht zerschnitten werden (wie in Gen 151017 und Jer 3418ndash20) sondern nur ihr Blut Verwendung findet handelt es sich bei dem Ritus wohl um einen Ver-pflichtungsritus eine Art Fluchsetzung gegen die Israeliten fuumlr den Fall ihres Ungehorsams148

Blickt man nun von Ex 24 zuruumlck auf das Markusevangelium dann faumlllt auf dass die fuumlr Ex 19ndash24 grundlegende Verbindung von Bund und bdquoBundes-buchldquo (Tora) bei Markus gerade fehlt G Guttenberger hat daher mit Recht betont bdquoDie Gabe der Tora wird nicht an die Bundes- oder Erwaumlhlungsvor-stellung gebundenldquo149 Im Unterschied zu dem Hauptstrom des Gesetzes-verstaumlndnisses im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels stehe fuumlr das Markusevangelium das Gesetz nicht primaumlr im Kontext der Bundesvorstel-lung150 Komplementaumlr dazu wird Mose im Markusevangelium zwar eng

146 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 29ndash33 Dass das Blut nach Ex 246 an den Altar gesprengt werde sei Bestandteil der Opferhandlung und habe mit dem Folgenden nichts zu tun Keineswegs werden also die beiden Akte des Blutsprengens als Teile eines bdquoBundesschlussritusldquo aufeinander bezogen Statt dessen haben wir laut Kutsch zwei verschiedene Akte vor uns einen Opferritus und einen Verpflichtungs- bzw Fluchsetzungsritus Keineswegs sei JHWH ein bdquoBundespartnerldquo des Volkes vielmehr gehe es um die Uumlbernahme der Ver-pflichtung Gottes Gebote zu tun

147 Gross Zukunft (s Anm 128) 19 Zum Folgenden ebd 19thinspf148 Vgl Kutsch Testament (s Anm 139) 32 bdquoWenn die Israeliten die Verpflich-

tung die ihnen Jahwe mit seinen sbquoWortenlsquo auferlegt hat nicht einhalten soll ihr Blut vergossen werden dthinsph sie sollen den Tod erleidenldquo

149 Gudrun Guttenberger Die Gottesvorstellung im Markusevangelium (BZNW 123) Berlin-New York 2004 163

150 Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 167

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 38: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 92 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 93

93

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

mit dem Gesetz verbunden als dessen Verkuumlndiger er gilt151 nicht aber mit dem Bund in Verbindung gebracht

Der Bezug auf den Sinaibund im markinischen Becherwort ist also im Kontext dieser Dissoziation von Bund und Tora bzw von Bund und Mose im Markusevangelium zu lesen152 Die in Jesu suumlhnendem Kreuzestod auf-gerichtete Heilsordnung ist im Unterschied zu derjenigen des Sinai gerade nicht an die Tora gebunden ndash auch nicht an eine im Sinne von Jer 31(38)33 auf das Herz also das Erkenntnis- und Willenszentrum des Menschen geschriebene Tora153 νόμος und διαθήκη sind also bei Markus quasi von-einander getrennt im Gegenzug ist letztere exklusiv christologisch und suumlhnetheologisch (bdquomein Bundesblutldquo) begruumlndet154 Die in Jesu Kreuzes-tod aufgerichtete Heilsordnung ist also von derjenigen des Sinai wesent-lich verschieden

Weil sie nicht an die Tora gebunden ist sondern in Jesu bdquozugunsten Vielerldquo erlittenem Kreuzestod errichtet wird geht diese Diatheke uumlber die Grenzen des Volkes Israel hinaus Wie im Falle des Sinaibundes ist es alleine Gott der den Bund aufrichtet aber sein Gegenuumlber sind nun ndash um es mit Mk 727thinspf zu formulieren ndash nicht mehr nur die bdquoKinderldquo (τέκνα) am Tisch also Juden sondern auch die bdquoHaushundeldquo (κυνάρια) unter dem Tisch also Nichtjuden Damit leistet Jesu Diatheke laut Markus das was der Tempel nicht leistete ja sogar verhinderte naumlmlich die Integration von Nichtjuden in die Gemeinschaft mit Gott Der Ruumlckbezug des markini-schen Kelchwortes zur Tempelaktion ist offensichtlich

3 Das Verheiszligungswort 1425

Abschlieszligend kroumlnt Markus das Becherwort mit dem Amen-Wort 1425 Der Ausblick auf die Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft im Reich Gottes ist somit das Ziel der markinischen Mahlerzaumlhlung

151 Vgl dazu Mk 144 (ἃ προέταξεν Μωϋσῆς) 710 (Μωϋσῆς γὰρ εἶπεν) 103thinspf (τί ὑμῖν ἐνετείλατο Μωϋσῆςἐπέτρεψεν Μωϋσῆς) und 1219 (Μωϋσῆς ἔγραψεν ἡμῖν)

152 Vgl dazu den Uumlberblick bei Guttenberger Gottesvorstellung (s Anm 149) 117ndash182

153 Zur bdquoImplantations-Perspektiveldquo von Jer 3133 vgl Gross Zukunft (s Anm 128) 150thinspf

154 Vgl auch die bei der Verklaumlrung Jesu in Anwesenheit des Mose () von Gott gesprochenen Worte (Mk 97 οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἀκούετε αὐτοῦ) mit Ex 243 (Πάντας τοὺς λόγους οὓς ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα) bzw 247 (Πάντα ὅσα ἐλάλησεν κύριος ποιήσομεν καὶ ἀκουσόμεθα)

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 39: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

94

Hans-Ulrich Weidemann

Es ist kaum noch moumlglich die Uumlberlieferungsgeschichte dieses Logions aufzuhellen Umstritten ist schon ob der Satz urspruumlnglich eine Einheit fuumlr sich bildete155 ebenfalls umstritten ist aus welcher Feder er stammt Unbeweisbar ist auch die Annahme V 25 sei Uumlberrest eines alten Mahl-berichts J Jeremias weist auf den hohen Anteil an Semitismen hin156 allerdings enthaumllt das Wort mit καινόν auch einen nicht uumlbersetzbaren Graezismus157 Hier duumlrfte die Hand des Markus zu erkennen sein158 Waumlhrend sich im Johannesevangelium kaum eine Spur des Wortes fin-det ist die Frage ob sich Mk 1425 mit 1Kor 1126 aufgrund des in beiden Texten anklingenden Motivs der Parusie zumindest beruumlhrt (ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης vs ἄχρι οὗ ἔλθῃ)

Es ist durchaus erwaumlgenswert ob dieser Ausblick auf das (erneute) Mahl in der Gottesherrschaft dem Bundesmahl in Ex 2411 entspricht das auf den Aufstieg von Mose Aaron Nadab und Abihu samt 70 Mitgliedern des Aumlltes-tenrates Israels auf den Berg und eine Theophanie folgt (καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ καὶ ἔφαγον καὶ ἔπιον) In V 9ndash11 treten so die bdquoRepraumlsentan-ten Israelsldquo159 vor das Angesicht Gottes und erleben stellvertretend die ver-heiszligene Gottesnaumlhe Das Mahl bdquodescribes a formal element in the conclu-sion of the covenantldquo160 Auffaumlllig ist ja dass das Amen-Wort Mk 1425 nur dort Teil des Becherwortes ist wo Jesus von seinem bdquoBundesblutldquo spricht naumlmlich bei Markus (und ihm folgend Matthaumlus) Wahrscheinlich haumlngt das eine mit dem anderen zusammen der markinische Jesus hat beim Becherwort offenbar diese Mahlszene vor Augen und blickt auf die endzeit-liche Tischgemeinschaft vor Gott Diskutiert wird ob das Mahl Ex 249ndash11 schon inneralttestamentlich mit dem Mahl Jes 256ndash8 verbunden wurde161

155 Ernst Haenchen Der Weg Jesu Eine Erklaumlrung des Markusevangeliums und der kanonischen Parallelen Berlin 1968 479 Anders mit vielen anderen Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 191 Vers 25 sei bdquoBestandteil eines alten Mahlberichtsldquo

156 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18) 174ndash176157 Schmithals Mk II (s Anm 38) 624 Jeremias Abendmahlsworte (s Anm 18)

177205 Schenk Passionsbericht (s Anm 21) 192 weist zudem auf οὐκέτι ὅτι rec und ὅταν als markinische Vorzugsworte hin

158 Vgl dazu 127 (διδαχὴ καινή) und 221 (αἴρει τὸ πλήρωμα ἀπ᾽ αὐτοῦ τὸ καινὸν τοῦ παλαιοῦ) 222 (οἶνον νέον εἰς ἀσκοὺς καινούς)

159 So Dohmen Ex (s Anm 138) 205160 Sarna Ex (s Anm 138) 153 unter Verweis auf 1812 als bdquoevidence of such a

solemn covenant meal as an integral part of treaty-makingldquo161 So Stuhlmacher Theologie I (s Anm 132) 140 In Jes 2423 werde der Aus-

blick auf das eschatologische Voumllkermahl von Jes 256ndash8 typologisch mit Ex 249ndash11 verbunden Darauf koumlnnten die bdquoAumlltestenldquo in Jes 2423 hindeuten

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 40: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 94 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 95

95

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

Das Amen-Wort 1425 bildet den Abschluss des markinischen Becher-wortes gehoumlrt also zu diesem noch hinzu Durch die Anfuumlgung des Amen-Wortes an die Aussage uumlber Jesu bdquofuumlr Vieleldquo vergossenes Bundesblut erhaumllt das markinische Becherwort dieselbe zweiteilige Grundstruktur wie die sog Leidens- und Auferstehungsankuumlndigungen (831 931 1033thinspf) die Jesus ja ebenfalls nur dem Juumlngerkreis laut 1032 den Zwoumllfen gegenuumlber aumluszligert Allerdings blickt Jesus ndash wie bereits G Schille festgestellt hat (sthinspo) ndash beim letzten Mahl nicht auf seine Auferstehung sondern auf seine Parusie bdquoan jenem Tagldquo und auf das Symposion ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ voraus Die Aussage vom bdquofuumlr Vieleldquo vergossenen Bundesblut steht demge-genuumlber an der Stelle der mit ἀποκτείνειν formulierten Ankuumlndigungen seines gewaltsamen Todes der Leidensankuumlndigungen Auch dies deutet darauf hin dass Markus fuumlr die Endgestalt des Becherwortes verantwort-lich ist

IV Schlussuumlberlegung Die markinische Mahlerzaumlhlung als Deutung eines christlichen Symposions am Vorabend des Pascha

In Anknuumlpfung an Michael Theobald wird man abschlieszligend sagen dass der markinische Abendmahlsbericht nicht kultbegruumlndend sein will und nicht dazu dient bdquoden praktizierten Kult der Gemeinde durch Darstellung seiner αἰτία seines Grundes zu legitimierenldquo Vielmehr ist er bdquovon christo-logischer Relevanzldquo162 soll er doch Jesu Suumlhnetod und gleichzeitig die Schuldverstrickung aller proklamieren163 Hinzu kommt dass im markini-schen Becherwort Jesu Suumlhnetod mit einer bestimmten Konzeption von διαθήκη verbunden wird naumlmlich als einer von jedem Torabezug geloumlsten exklusiv christologisch verstandenen Heilsordnung die uumlber Israel hinaus-reicht

Diese Einsicht ist aber nun im Anschluss an das oben unter Punkt 2 Ausgefuumlhrte noch um einen weiteren Aspekt zu ergaumlnzen Indem er das letzte Mahl Jesu als Paschamahl datiert und es erzaumlhlerisch an die Struktur eines hellenistischen Mahles angleicht wofuumlr er Jesu Brot- und Becher-handlung als Mahlabschlussritual (samt Lobgesang) gestaltet macht Mar-kus das in seiner Gemeinde gefeierte Symposion am Paschaabend zum Medium dieser seiner kreuzestheologischen Intention

162 Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 131thinspf163 Mit Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 132

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 41: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

96

Hans-Ulrich Weidemann

Auch hier erweisen sich C Leonhards Uumlberlegungen zur Geschichte des Pesach als anregend und produktiv Leonhard hat die nach wie vor gaumlngige These wonach in Ex 12 (bzw in manchen seiner literarischen Schichten) uraltes liturgisches Material uumlberliefert wurde und der Text somit fuumlr die Rekonstruktion einer Vorgeschichte des Tempelpesach auswertbar ist massiv in Frage gestellt Laut Leonhard bezieht sich Ex 12 auf das einzige Pesach das biblisch und nachbiblisch nachweisbar ist naumlmlich auf das Pesach am Jerusalemer Tempel das untrennbar mit einem Mahl verbunden war164 Daraus folgt laut Leonhard bdquoEx 12 ist Deutung nicht Vorschriftldquo der Text sei bdquoeine allegorische Erklaumlrung der Tempelliturgie in der Form von Geboten zu einer fiktiven Ur-Liturgieldquo165 Details des normalen Opfer-ablaufs die eigentlich mit dem Exodus nichts zu tun haben werden durch Ex 12 mit Exoduserinnerungen verknuumlpft Konkret meint das beispielsweise dass das Ausgieszligen des Blutes an den Altar sein literarisches Pendant in Ex 12 als Streichen des Blutes an die Tuumlren erhaumllt und damit in den Dienst der Exoduserinnerung genommen wird166

Nimmt man diese Uumlberlegungen als Anregung fuumlr eine Funktionsbestim-mung der markinischen Abendmahlserzaumlhlung dann duumlrfte diese eben darin bestehen einzelne Elemente der christlichen Symposien am Vor-abend des Pascha vthinspa den das Mahl abschlieszligenden Brot- und Weinritus in den Dienst des Todesgedaumlchtnisses Jesu zu nehmen und damit an sich uumlbliche und daher auch bdquomehrdeutigeldquo rituelle Vollzuumlge zu bdquoMedienldquo einer unter Rekurs auf Ex 248 und Jes 5311thinspf formulierten Suumlhnechristologie und Bundeskonzeption zu machen

Im Unterschied zu Ex 12 (aber auch zur Johannespassion) nimmt Mar-kus aber nicht auch das bdquoSchlachten des Paschaldquo (Mk 1412) in den Dienst seiner Passionserinnerung da das Opfer auszligerhalb Jerusalems nicht voll-zogen wurde und seit der Tempelzerstoumlrung sowieso obsolet war Nur das Symposium genauer der dieses abschlieszligende Brot- und der Becherritus werden dafuumlr in den Dienst genommen

Das setzt allerdings zwangslaumlufig den Gebrauch von Wein beim christ-lichen Paschasymposium zumindest im markinischen Einzugsbereich

164 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 253thinspf165 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 258166 Leonhard Erzaumlhlung (s Anm 79) 257 Weitere Beispiele ebd 257thinspf Der Cha-

rakter des Pilgerfestes der Verzicht auf das Kochen des Opfertieres das unge-saumluerte Brot Selbst die weniger angenehmen Seiten des Pilgerfestes wie die beengten Bedingungen werden durch Ex 12 als Mimesis des Ur-Pesach deut-bar und so eine de facto vorhandene Stimmung zum religioumlsen Nutzen der Feiernden auswertbar

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 42: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 96 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 97

97

bdquoDies ist mein Bundesblutldquo (Mk 1424)

voraus eine Annahme die durchaus nicht unplausibel ist Zunaumlchst ist Wein beim festlichen Symposion keine Besonderheit Aus Jub 496 kann man zudem schlieszligen dass bereits zum Tempelpesach vor 70 nthinspChr Wein gehoumlrte167 Dies geht indirekt auch aus Mischnah und Tosefta her-vor wo der Wein bdquoa distinctive element of the ritualldquo des rabbinischen Pesach wird168 Die Art des Weingenusses beim Pesachmahl unterschei-det sich laut der Mischna gerade von der des Symposiums ist also Teil der Strategie der Mischna das rabbinische Pesachmahl vom Symposium zu unterscheiden169 Das wiederum setzt voraus dass das hellenistisch-juumldische Symposion mit Wein am Anfang der rabbinischen Entwicklung steht und auch fuumlr die markinischen Ekklesien vorauszusetzen ist

Bemerkenswert ist auch dass Markus Jesus keineswegs spezifische Gebets-formulierungen in den Mund legt oder ihn den Juumlngern solche vorschrei-ben laumlsst Anders als bei Paulus und Lukas fehlt auch ein Anamnesiswort Viel bdquoeffektiverldquo wird durch das Gabewort der mit Wein gefuumlllte Becher selbst zum Medium des Passionsgedaumlchtnisses ndash unabhaumlngig vom Wortlaut der uumlber ihm gesprochenen Eucharistiegebete170 Um diesen Effekt zu erzielen reicht ndash wie im Falle von Ex 12 ndash die bloszlige Kenntnis des markini-schen Textes aus Woher die markinische Ekklesia diese Kenntnis hatte ob der Text in der Katechese oder auch direkt beim Symposion selbst vorge-tragen wurde wissen wir nicht

Ebenfalls in den Dienst der markinischen Suumlhne- und Bundestheologie genommen wird die am Paschabend versammelte Ekklesia selbst also die Mahlteilnehmerinnen und -teilnehmer In der Forschung besteht ja weitge-hend Einigkeit dass das Markusevangelium zumindest eine bdquogemischteldquo

167 Dazu Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 vgl auszligerdem Philo SpecLeg II 148

168 Bokser Origins (s Anm 84) 45 Aus tPes 104 schlieszligt Bokser dass der Wein nach 70 eine neue Bedeutung fuumlr den Seder bekommen hat Weiter Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 82ndash85 (von tPes 10 und tBer 5 zu den 4 Bechern in mPes 10 mit dem Ergebnis bdquoThe creation of sbquofour cupslsquo is therefore the result of a literary processldquo

169 Dazu Bokser Origins (s Anm 84) 62ndash64 Vgl Leonhard Jewish Pesach (s Anm 79) 28 Anm 31 bdquoWine entered the seder as an element of a normal Jewish as well as Hellenistic banquetldquo

170 Wie die Didache zeigt gab es durchaus Eucharistiegebete die ohne Verweise auf Jesu Kreuzestod auskamen Da einiges dafuumlr spricht dass man in der Ekklesia der Didache das Matthaumlusevangelium (mit seinem bdquomarkinischenldquo Becherwort) kannte konnte das in Did 92 genannte ποτήριον auch ohne explizit im Eucharistiegebet formulierten Passionsbezug zum Medium der memoria passionis werden Vgl dazu auch Theobald Leib und Blut Christi (s Anm 22) 142thinspf

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung

Page 43: Die markinische Abendmahlserzählung als Beispiel für ... · 18 Joachim Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967, 107. Jeremias vermutet im Anschluss an 1Kor 11,26 eine

wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 98 wwwclaudia-wildde HBS_00074__[Druck-PDF]08032013Seite 99

98

Hans-Ulrich Weidemann

vermutlich eine primaumlr heidenchristliche Ekklesia voraussetzt Die Anwe-senheit von Nichtjuden beim Mahl gibt dem im Becherwort formulierten bdquofuumlr Vieleldquo den eigentlichen von Markus gewuumlnschten Akzent Jesu bdquoBlut der Diathekeldquo ist vergossen fuumlr Juden wie fuumlr Nichtjuden

Es zeigt sich also dass bdquoLiturgieldquo ebenso wie bdquoSchriftgelehrsamkeitldquo hinter den Transformationsprozessen bei der Entstehung der neutestamentlichen Schriften steht doch ist deren Wechselspiel differenzierter zu bestimmen Literarisch motivierte Transformationen wie im Falle des markinischen Becherwortes und die Beeinflussung von Erzaumlhlungen durch die Mahlpra-xis von fruumlhchristlichen Gemeinden schlieszligen sich gerade nicht gegensei-tig aus Unsere Uumlberlegungen zur markinischen Abendmahlserzaumlhlung koumlnnten auszligerdem einen bislang kaum beachteten Aspekt dieses Wechsel-spieles ins Bewusstsein heben Texte wie Mk 1422ndash25 die die Jahrhun-derte dauernde Ausformung der spaumlteren christlichen Eucharistiefeier zu einer hoch stilisierten und ritualisierten Form des Kultmahls171 maszliggeblich steuerten waren urspruumlnglich selbst dafuumlr verfasst die Deutung von aumllte-ren christlichen Mahlformen zu regulieren in diesem Fall von Symposien die an Christus glaubende Juden wie Nichtjuden am Paschaabend feierten Auch die Liturgie der christlichen Eucharistiefeier wurde demnach bdquoaus Texten konstruiertldquo172 aus Texten jedoch die selbst nicht im luftleeren Raum sondern wiederum in Bezug auf biblische Texte wie auf bdquoLiturgieldquo entstanden sind Die Transformationen der urkirchlichen Mahlpraxis und die Transformationen der urkirchlichen Textuumlberlieferung haben sich also wechselseitig aber vermutlich abwechselnd beeinflusst

171 Zur Entwicklung von den bdquoaumllteren christlichen Kultmaumlhlernldquo die stark im Kontext der griechisch-roumlmischen Symposialkultur verortet waren hin zum bdquostilisierten Mahl der Eucharistiefeierldquo vgl Leonhard Art Mahl V (s Anm 80) 1014

172 Leonhard Urspruumlnge (s Anm 79) 165 in Bezug auf die Entwicklung der Pesachliturgie nach der Tempelzerstoumlrung