Die Materialisierung des Lichts - Laura Stillers...Farbe und textile Metaphern Ein solches Kleiden...

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6 Architektur Die Materialisierung des Lichts Formen aus Hell und Dunkel Der Küchen- und Essbereich des INOUT House von Joan Puigcorbé.

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Architektur

Die Materialisierung des LichtsFormen aus Hell und Dunkel

Der Küchen- und Essbereich des INOUT House von Joan Puigcorbé.

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Wie in einem Spiegelkabinett geleiten die gläsernen und (halb) verspiegelten Wände im SOHO Glass House (Aim Architecture, 2013, ohne Bild) in Shanghai durch das in-nere Wegenetz. Durch Glas fallendes Licht erhöht in diesem Teilprojekt der Fuxing Plaza nicht nur den Erlebnischarakter, sondern dient ebenso als raumdefinie-rendes Element. Doch das Abgrenzen von Raum gelingt lediglich in formaler Hin-sicht, denn im Verborgenen bleibt hier nichts. Zwischen den Verkaufs-, Büro- und Konfe renzräumen wird auf insgesamt 250 Quadratmetern Grundfläche Glas zum Protagonisten in dem diffusen Spiel aus

Zu greifen bekommt man es nicht, zu kaufen schon gar nicht. Dann lässt es sich also auch

nicht verbauen wie Stahl oder Beton? Doch kann Licht, sei es natürlich oder künstlich,

durchaus als Baumaterial verstanden werden. Im Kontext mit anderen konkret-haptischen

Materialien kann es Formen und Räume bilden, Blickbezüge ermöglichen – diese aber auch

verhindern, vorenthalten oder in die Irre führen. Wie die Wahrnehmung von Architektur

durch Licht und Schatten bewusst verändert und gesteuert werden kann, zeigen ausgewähl-

te Projekte, deren Zugriff jeweils aus spezifischen Perspektiven erfolgt.

dreidimensionalen Reflexionen, aus hori-zontal wie vertikal geschichtetem Hell und Dunkel. Lichtstreifen spiegeln sich an den mal klaren, mal milchigen Wänden und vermitteln so die Illusion eines endlosen Rasters. Je nach Perspektive wechselt das Material seine Intention zwischen Trans-parenz und Opazität und verdoppelt da-mit die Realität mit Blick auf das stets hin-durchschimmernde Downtown Shanghais: Offenbaren sich hier die Strukturen und Oberflächen, werden gleichsam Dimensio-nen durch vervielfältigte Motive und opti-sche Illusionen verschleiert und erzeugen räumliche Spannung. Gebrochen wird der

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Das kanadische Büro Uufie transportiert Licht in die Fassade eines Flagship-Stores.

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Entwurf durch steinerne oder aus Teppichsegmenten beste-hende Inseln an Böden und den Membrandecken, die in-mitten des dynamisch verkleideten Gebäudes wie statische Ruhepole wirken. Nicht nur in pseudomaterieller Sicht ist Licht hier von konzeptionellem Wert: Nach dem Leitmotiv „What you see is what you get“ vermittelt das Gebäude, das Mietbüros und -flächen beherbergt, potenziellen Geschäfts-partnern ein hohes Maß an Luxus, aber auch Durchlässigkeit und damit käufliche Authentizität.

Licht als Interior-Design

Mit der Objekthaftigkeit von Licht beschäftigen sich Atsu shi und Mayumi Kawamoto von mA-style Architects in ihrem Projekt Light Walls House im japanischen Toyokawa (2013). Helligkeit ist hier nicht nur Resultat aus dem Fehlen von Ma-terial beziehungsweise von Durchlässigkeit. Denn bei Tag zeigt es auch seine Qualitäten in puncto Interior Design: Durch Oberlichtbänder entlang einer Reihe von freiliegen-den Deckenbalken aus Holz wird Sonnenlicht in den Raum projiziert und durchflutet ihn. Die Öffnungen dieser Sky-lights, die aufgrund der dichten Nachbarbebauung Fenster in den Seitenwänden ersetzen sollen, zeichnen in Form einer filigranen Umrandung die Kanten des Daches mit einem 9,1 x 9,1 Meter-Raster nach. Nahezu skulptural anmutend legen sich die erhellten Flächen auf Laminatböden, weiß verputzte Wände und in den Raumecken nieder und kreieren einen visuellen Rhythmus. Es entsteht ein weiches, gleichmäßig verteiltes Licht, das den gesamten Raum umgibt. Gleichsam steht die auf diese Weise erzeugte Helligkeit in Beziehung zu den räumlichen Dimensionen. Wie eine leuchtende Klam-mer umfasst sie die jeweiligen Bereiche und Funktionen des Inneren und schließt sie wie einen Hof in sich ein.

Vermittler zwischen Innen und Außen

Um die Veränderung des Raumcharakters durch Licht geht es auch im Werk „Lightweeds“ (2005) von Simon Heijdens. In seiner Installation vollzieht Licht die Transformation zu Ma-terie, indem an Wänden Pflanzen illuminiert werden. Nicht

nur durch die Projektion an sich gewinnen die Abbilder an Gestalt. Vielmehr hat der Künstler sie als dynamische Or-ganismen konzipiert, durch die Natur den urbanen Raum beleben soll. Seine digitalen Gewächse reagieren auf ihren Kontext, entwickeln sich weiter. Sie wachsen durch Sonnen-licht, verändern ihr Aussehen, bewegen sich mit den Luft-strömen, die im Raum herrschen, und verteilen ihre Pollen auf andere Wände, auf denen wiederum neue Triebe aus Licht sprießen. Statik und Starrheit der Mauern werden so-mit aufgelöst, die natürliche Dimension Zeit wird ablesbar, neue, unberechenbare Elemente befüllen den Raum – und tun es auch wieder nicht: Sie sind zweidimensionale Lichtge-stalten, bleibt doch beim Ausschalten des Projektors nichts mehr als die nackte Wand. Etwas konkreter modelliert das kanadische Büro Uufie mit Licht die Interaktion von Um-gebung, Form, Material und Technik. Unzählige Blöcke aus Glas vermitteln an der Fassade des Flagship-Stores (2015) von dem Modeanbieter „Ports 1961“ in Shanghai zwischen Außen- und Innenraum. Das transparente Material weist dem Tageslicht den Weg in die Verkaufsräume, ermöglicht den Dialog zwischen verschiedenen Orten des Geschehens. Die satinierten, leicht reflektierenden Oberflächen jedoch geben Details des Inneren nicht preis. Diese Verschleierung wird außerdem begünstigt durch die skulpturale Ästhetik der Fassade.

Das transparente Material weist dem Tageslicht den Weg in die Verkaufsräume.

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Die Glasblöcke mit dem Format von jeweils 300 Millimeter x 300 Millimeter ergeben in ihrer vertikalen sowie ihrer An-ordnung über Winkel ein dreidimensionales Portal mit frei-tragenden Strukturen. Ebenso treten an weiteren Fassaden vier reliefierte Fenster aus der vertikalen Fläche hervor, bil-den den Rahmen für Fotomotive oder Videowalls, die von al-len Seiten sichtbar sind. In ihrer Gesamtgestalt entsteht bei dieser „tetrisartigen“ Glasmauerwerkskonstruktion der Ein-druck, das Gebäude würde durch das Hervor- und Zurück-treten der Bausteine und die durch reflektierendes Licht evozierte Objekthaftigkeit geformt. Nicht nur tagsüber funk-tioniert dieses Prinzip: Denn nachts strahlt der Kubus mittels in die Fugen des Mauerwerks eingebettete LED-Leuchten subtil aus sich selbst heraus und macht seine geometrische Erscheinung zu einer von wechselnden Betrachterperspek-tiven abhängigen, abgeschlossenen Form.

Farbe und textile Metaphern

Ein solches Kleiden in oder durch Licht, wennauch trans-poniert auf ein Bauwerk größeren Formates, zeigt sich am Grand Théâtre des Cordeliers (2014, Bild rechts) im fran-zösischen Albi. Nach dem Entwurf von Dominique Perrault Architecture ist der Bau aus Beton und Ziegelstein gebaut worden, um das sich – der kulturellen Funktion entspre-chend – ein leichter, transparenter Fassadenvorhang legt. Eingefasst von einem überdimensionalen Rahmen, dessen vier Seiten sich jeweils elliptisch nach innen wölben, hüllt es die klare Gebäudekubatur mit leichtem Metallgewebe aus rotem Kupfer ein. Werden die fein gewebten Maschen von Licht durchdrungen, verstärkt die so entstehende warme Farbe des metaphorisch als Bühnenvorhang zu verstehen-den Gewandes die des Mauerwerks und verändert gleich-sam die darunterliegenden reflektierenden Frontteile aus Glas. Es entsteht ein lyrischer Dialog, ein Spiel aus Brillanz und Reflexion, das die Funktionen des Theaters abschirmt, dabei jedoch keineswegs Anspruch auf seine explizite Tren-nung vom städtischen Raum erhebt. Das zarte Netz mutet an wie ein überdimensionales Ornament, das gleichsam Bühne für das Wechselspiel aus Licht und Metall, aus Imma-teriellem und Materiellem darstellt, und damit auf äußerst imposante Weise die Programmatik des Gebäudes im öf-fentlichen Raum kennzeichnet.

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Eine textile Gebäudehülle für das Grand Théâtre des Cordeliers von Dominique

Perrault Architecture.

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Grand Théâtre des Cordeliers, Dominique Perrault Architecture, Grundriss.

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Grand Théâtre des Cordeliers, Dominique Perrault Architecture, Längsschnitt.

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Zwischen Licht und Schatten

Wird Licht mit seinen form- und strukturstiftenden Eigen-schaften als Äquivalent zu herkömmlichen Baumaterialien betrachtet, muss auch notwendigerweise sein Gegenpart mitgedacht werden: Dort wo Licht ist, ist auch immer Schat-ten. Vielmehr noch, erst jene perspektivische Interaktion ist es, durch die Dreidimensionalität erst möglich oder zusätz-lich verstärkt wird. Eine Emphase der Plastizität durch Licht ist bei dem Projekt Bioinnova (2012, ohne Bild) von Tatiana Bilbao gut zu erkennen. Vier Geschosse stapeln sich bei dem Gebäude der Biotechnologischen Fakultät der Universität im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa über der Sockelzone. Variierend in ihrer Breite sind sie horizontal sowie vertikal gegeneinander versetzt. Es handelt sich hierbei jeweils um flache Quader, deren Außenhaut raumhohes Glas bildet. Ein gezielter Einsatz des durchlässigen Materials wird zur optischen Illusion: Mehrfach gerastert erwecken die Glasfas-saden den Eindruck einer Mehrstöckigkeit, obwohl die da-hinterliegenden, nur teilweise sichtbaren Büros lediglich aus einem einfach hohen Raum bestehen. Die Tatsache, dass das Glas über die oberen Enden der einzelnen Baukörper geführt ist, verstärkt diese Optik zusätzlich. Ebenso scheinen sich die Schichten jeweils oben und unten zu durchdringen: Dort wo das Glas endet, wächst bereits das nächste Ge-schoss heraus. Zur Hälfte verbergen also doppelte Fassaden und spenden, wie von den beteiligten Nachwuchskünstlern Rodolfo Diaz und Marco Rountree intendiert, in den Som-mermonaten wertvollen Schatten. Scheint bei Tag das Licht durch die gläserne Haut hindurch, erfährt das Bild eines transparenten Gebäudes Betonung. Leicht wirkt es dann, als

schwebten die Geschosse grazil übereinander, während die verschatteten Zonen der formalen Strenge, den konstruk-tiven Details sowie der horizontalen Gesamterscheinung ein markantes Gesicht schenken. Mit Trompe l’oeuil-Effekten spielt ebenso das INOUT House (2015, San José, Costa Rica) von Joan Puigcorbé. Wie der Name bereits anklingen lässt, geht es hier um Blickbeziehungen: Sie eröffnen Ein- und

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Aussichten, erweitern das Gebäudeinnere optisch, lassen es großzügig und weitläufig erscheinen – können aber ebenso gänzlich in die Irre führen.

Fluktuieren zwischen Räumen

Licht dringt durch die großzügigen, raumhohen Verglasun-gen, die nicht nur hier und da Außenwände ersetzen, son-dern auch im Inneren auf 651 Quadratmetern für ein offe-nes Raumsystem sorgen. INOUT House ist ganz im Fluss, so scheint es, ohne Unterbrechungen. Lediglich die horizonta-len Ebenen an Boden und Decke rahmen die Folge der Räu-me. Feste Materialien – Melina Holz und spiegelndes Granit – und ‚flüssige’ Elemente wie Licht und Schatten sind hier formdefinierend. So erscheint das Innere weich, während das äußere Gesicht die umgebende Landschaft mitgestaltet. In ihrer Formalisierung und Materialität wird die Erfahrung von Licht und Schatten, aber auch Erde, Wasser und Luft schließlich intensiviert. Ein ähnliches Versteckspiel erfinden auch Rojkind Arquitectos bei dem Liverpool Department Store (2010, Insurgentes, Mexiko City, ohne Bild). Die durch Farbe, Form und Ornamentik hervorgerufene Opazität soll-te durch den Einsatz innovativer Lichtmittel der bereits be-

stehenden Box einerseits eine neue Identität verleihen. Auf der anderen Seite galt es, dem Gebäude eine dynamische Präsenz im Stadtbild zu schenken und die Wahrnehmung der Marke zu beleben. Der Entwurf folgt der Idee, dem Bau-werk eine durchlässige, animierte Hülle überzustülpen, die als interaktive Projektionsfläche sowie auch als Raum oder internes Straßensystem genutzt werden kann.

Interaktive Walls

So gelingt es der bespielbaren und von innen begehbaren Mediawall, die Grenzen zwischen Innen und Außen zu ver-wischen. Inspiriert durch Moiré-Muster und Op-Art besteht die 2,8 Meter tiefe Mauerfassade aus einem dreischichtigen Sechskantsystem aus Glasfaser, Stahl, Aluminium und Glas. Licht spielt hier also im dreifachen Sinn eine wichtige Rolle: Nicht nur markiert es eine in Facetten und Silhouetten vari-iende Übergangszone. Auch macht es die darin wandelnden Menschen zu lebenden Protagonisten der Fassadengestal-tung, die schließlich durch die digitale Bespielung von außen zum steuerbaren und stets veränderbaren architektoni-schen Element wird.

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Das Light Walls House von mA-style Architects wird über das Dach belichtet.

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