Die Nic MEkDIZ-INKinder - · PDF fileVictoria-see ÄTHIOPIEN Betroffene Gebiete KENIA Juba...

download Die Nic MEkDIZ-INKinder - · PDF fileVictoria-see ÄTHIOPIEN Betroffene Gebiete KENIA Juba Kampala Gulu 250 km AFRIKA ... Kindern über die Lippen, bis die Nase tropfte. Damit, so

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  • Heft liest der Pfleger vor: Gewicht 21,5Kilogramm, Gre unbekannt. Ein Ma-band gebe es nicht. Aber es gehe demJungen besser, seitdem er Essen bekom-me und Medikamente gegen die Anflle.Es gebe nun Tage ohne Krmpfe.

    In seinem Heft hat der Pfleger die Flledrei Diagnosen zugeordnet: Nur Epilep-sie, Nur Kopfnicken, KopfnickenPlus. Bei Richard fangen die Anflle mitdem Nicken an. Dann zuckt er, kmpft,schlgt um sich: Kopfnicken Plus.

    Es sei eine Form von Epilepsie, sagendie rzte, darauf deuteten die Hirnstr-me im EEG hin. Sie wissen auch, wie dasNicken entsteht: Die Nackenmuskeln ver-sagen fr einen Moment, verlieren ihreSpannung. 20-mal pro Minute bei man-

    Wissenschaft

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    Kinderrztin Kaducu, Patient Richard Ein 17-Jhriger, der aussieht wie zehn

    SDSUDAN

    UGANDA

    TANSANIA

    SUDAN

    ZENTRAL-AFRIK. REP.

    Victoria-see

    THIOPIEN

    BetroffeneGebiete

    KENIA

    Juba

    Kampala

    Gulu

    250 km

    AFRIKA

    chen. Doch das, so scheint es, ist nur einfrhes Zeichen fr etwas, das nach undnach das ganze Gehirn zerstrt.Junge, ruft der Vater seinen Sohn.

    Aber der antwortet nicht. Richard hat auf-gehrt zu sprechen, auch hren kann ernicht mehr.

    Er bewegt sich nur noch selten, meistliegt er auf der Matratze und starrt nachoben, den Mund leicht offen, die Lippenangeschwollen. Speichel fliet aus seinemMund. Sein T-Shirt ist nass davon. Mais-krner kleben an seiner Backe.

    Kaducu streicht Richard ber das Haar,zupft an den wenigen Hrchen, die ernoch hat. Sie kniet hinter ihm, die Armeber seine Schultern gelegt, fhrt ihmmanchmal ber den Kopf.

    Ein Junge schiebt sich herein. Errutscht auf dem Po, hebt den Krper mitden Hnden auf dem Steinboden nachvorn. Die Beine hat er eng an den Ober-krper gezogen. Er kann sie nicht mehrstrecken, seit er whrend eines Anfalls inein Feuer gefallen ist. Als die Haut heilte,blieben seine Beine steif.Er braucht Physiotherapie, sagt Ka-

    ducu. Sie schaut den Pfleger an undseufzt: Ich wei, ihr seid wenige.

    Nickende Kinder, das gab es schon ein-mal. 1962 tauchten erstmals Berichte ausTansania auf. Der sterreichische Medi-ziner Erich Schmutzhard und die Mnch-ner Neurologin Andrea Winkler habendas Phnomen untersucht. Doch in Ugan-da, sagt Winkler, liege der Fall anders. InTansania ist nur eine Bergregion betrof-fen, der Zustand der Kinder verschlech-tert sich nicht so rasant, ein paar erholensich sogar. Heute ist die rztin nahezusicher: Wir haben es mit zwei unter-schiedlichen Krankheiten zu tun.

    Irgendwo im Grenzgebiet zwischen demSdsudan und Uganda muss etwas Neuesentstanden sein. Doch was ist es? Forscherwie Winkler und ihre Mitarbeiterin Kaducuwollen das jetzt herausfinden.

    Als Kaducu bei einer zweiten Klinikankommt, strmt eine robuste Frau inSchwesternuniform heran. Sie schimpftauf Acholi, der Sprache der Region: Kei-ne Fremden. Und keine Fotos. Niemanddarf hier hinein. Das Gesundheitsminis-

    M E D I Z I N

    Die Nick-KinderIm Grenzgebiet zwischen Uganda und dem Sdsudan ist eine rtselhafte Seuche

    ausgebrochen. Sie befllt Kinder, die erst unkontrolliert nicken. Es folgen Krmpfe, zuletzt fallen sie in Apathie. Was steckt dahinter?

    Das Mdchen tanzt. Es wippt mitdem Po auf und ab, bellt, verdrehtdie Augen. Beine und Po sindnackt, es trgt ein pinkfarbenes, schmut-ziges T-Shirt. High School Musical stehtdarauf. Die Mutter sitzt daneben auf demSteinboden. Was ist das, was mein Kindhat?, fragt sie.Lucluc nennen sie mancherorts in

    Uganda die rtselhafte Seuche, die nurKinder befllt. Nick-Syndrom sagenMediziner. Erst waren es nur wenige, einpaar Mdchen und Jungen. Inzwischengelten mehr als 3000 Kinder im NordenUgandas als krank, im Nachbarland Sd-sudan wahrscheinlich noch mal so viele.

    Es beginnt mit dem Nicken: Pltzlichsackt der Kopf der Kinder auf die Brust,und jedes Mal, wenn sie ihn hochnehmen,fllt er wieder herab. Dann kommt dasZucken, das Krampfen.

    Mglichst oft versucht Joyce Kaducu,die Kinder zu besuchen. Sie arbeitet alsKinderrztin an der Gulu University. VierStunden dauert es von dort bis in die be-troffene Region. Kaducu ist ein frhlicherMensch, sie lacht, quietscht und prustetlos. Wen sie mag, den herzt und umarmtsie. Whrend der Jeep durch den afrika-nischen Busch rumpelt, erzhlt sie vonihrem Heimatdorf Moyo an der Grenze;von ihrem Medizinstudium in der Haupt-stadt Kampala; vom Mysterium, wie siees nennt: den Nick-Kindern.

    Je weiter der Weg nach Norden fhrt,desto mehr franst die Strae aus, ist zu-letzt nur eine Piste aus rotem Sand. Frau-en balancieren Kanister auf dem Kopf,mannshohes Elefantengras wuchert amRand. Im Westen schimmern dunkelblauBerge, die Grenze zum Kongo.

    Vor einem hohen Zaun stoppt der Wa-gen, dahinter liegen Baracken mit Well-blechdach. Von den Wnden brckelt derPutz. Hier in der Atanga-Klinik leben dastanzende Mdchen und seine Mutter. Seitdrei Monaten ist die Klinik auch das Zu-hause von Richard.

    Anfang Juni hat der Vater den 17-Jh-rigen, der aussieht wie zehn, in die Klinikgebracht. Arme und Beine sind abgema-gert, die Knchel schmal wie Handgelen-ke, die Knochen verdreht. Aus einem

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    BRIAN SOKOL / PANOS / DER SPIEGELNick-kranker Junge: Die Eltern fesseln ihn, ehe sie bei Sonnenaufgang zur Feldarbeit aufbrechen

    terium hat das angeordnet. In Uganda istdas Nicken politisch geworden.

    Die Krankheit hat alte Konflikte wie-derbelebt zwischen dem reichen Sdenund dem armen Norden, alte ngste ausder Zeit, als die Acholi zwischen die Fron-ten des Brgerkriegs geraten waren. Ersthaben sie uns Aids geschickt, jetzt das,glauben manche zu wissen. Deshalb solles keine Fotos geben von Kindern wiedem Jungen hinter dem Klinikgebude.

    Der Junge hngt in seinem Rollstuhl,sie haben seinen Oberkrper mit einemGurt an den Stuhl fixiert, er wrde sonsthinauskippen. Auf dem Boden liegt einstaubiger Urinbeutel. Der Junge starrtaus dunklen leeren Augen, sein Mundsteht offen, ein paar letzte kaputte Zhnesind zu sehen, Speichel luft. Das hier sind nicht alle kranken Kin-

    der, sagt Klinikleiterin Beatrice Odoko-nyero. Viele Familien schafften es nichtbis hierher. Es fahren keine Busse, wiesollen sie da ihre kranken Kinder brin-gen? Deshalb fhrt Odokonyero mit ih-rem Team zweimal wchentlich zu ihnen.

    Gemeinsam geht es tiefer in den afri-kanischen Busch hinein. Vor ein paar Mo-naten, erzhlt sie bei einer Flussberque-rung, sei sie mit ein paar Amerikanern

    hier gewesen. Da war die Brcke ver-schwunden, vom Wasser weggerissen.

    Die US-Amerikaner gehrten zumCenters for Disease Control (CDC). Seitdrei Jahren untersuchen sie die Krankheit,sie haben ein paar Fhrten aufgenommen,die meisten allerdings fhrten in Sack -gassen. Vergiftetes Essen, Affenfleisch,Chemikalien aus dem Brgerkrieg, ver-schmutzte Flsse: alles negativ.

    Nur wenig gilt bisher als gesichert: DieKinder sind meist zwischen 5 und 15 Jah-re alt, wenn die Krankheit beginnt. Oftlst der Anblick von Essen die Krmpfeaus. Oder sie beginnen, wenn es kalt wird.Viele der kranken Kinder sind whrendder Rebellenkriege in Lagern aufgewach-sen, litten Hunger, sind traumatisiert.Manche mussten mitansehen, wie ihre Eltern erschossen wurden. Vielen fehlt eszudem an Vitamin B6. Eine Studie sollprfen, ob es einen Zusammenhang gibt.

    Die bislang vielleicht beste Spur: Diekranken Kinder sind hufig von einembestimmten Fadenwurm befallen, ber-tragen von einer Mcke. Doch vielesbleibt rtselhaft: Warum sind nicht allekranken Kinder mit dem Parasiten infi-ziert? Warum nicken nicht mehr Kinderin Afrika, wo der Parasit weit verbreitet

    ist? Und wie soll er das Hirn schdigen,wenn doch nichts darauf hinweist, dasser bis dorthin vordringt?

    Irgendwann deutet die Klinikleiterinaus dem Autofenster: Erwachsene mitKindern, die alle in eine Richtung streben,laufen am Straenrand. Bald taucht ihrZiel auf: eine Lichtung zwischen Palmen,auf der sich die Menge in Reihen aufstellt.

    Ein Mdchen hlt Kaducu ein zerfled-dertes Schulheft hin. Die rztin liest dieDiagnose: Kopfnicken. Ein Feuer hat demMdchen das rechte Auge genommen,Teile der Haut am Hals, an der Wangebis hoch an die Stirn. Weie, vernarbteHaut ist zurckgeblieben. Anderen Kin-dern fehlen Hnde. Manche sttzen sichauf Krcken. Einer trgt ein Krankenblattbei sich: Wegbleiben von Wasser undFeuer steht darauf. Viele Kinder sterben,weil sie whrend eines Anfalls in Feuer-stellen oder in den Fluss fallen.

    Kaducu fragt, wie hufig die Anflle sind,ob das Kind noch zur Schule gehen kann.Das Mdchen bekommt ein Medikamentgegen die Anflle, dazu zwei KilogrammBohnen und zwei Kilogramm Mehl.

    An einer der Menschenschlangen brei-ten Frauen Tcher aus, jemand lsst Boh-nen und Mehl hineinrieseln, schnrt zu

  • und hngt den Beutel an eine Waage, diean einem Ast baumelt. Ein anderer ver-teilt Nuss paste. Eine Frau mit Rastas zhltPillen in ein Ttchen: Medikamente frdie krampfenden Kinder.

    Jeden Patienten trgt sie in ein Buchein, gro wie ein Klassenbuch: Name,Dorf, Diagnose, Ration. Sie bekommenTabletten, meist Natriumvalproat.

    In einer Schubkarre liegt ein Mdcheneingewickelt in eine Decke. Es hustet,sein Atem geht schnell. Nicken, sagt dieMutter und verscheucht die Fliegen, dieversuchen, auf ihrer Tochter zu landen.

    Als Kaducu wieder in den Wagen sinkt,wirkt sie still. Immer diese Kinder zu se-hen; zu sehen, wie sie hinfallen, sich ver-brennen, wie es ihnen immer schlechtergeht. Das schmerzt, sagt sie zu ihrerKollegin. Diese berichtet, dass sie dasMdchen in der Schubkarre vor ein paarWochen schon mal gesehen habe. Dakonnte es noch laufen.

    Damals wollten sie das Kind mit in dieKlinik nehmen, aber die Mutter wehrtesich. Viele hier misstrauen den rzten.Liebe