Die Nutzung von Carsharing und dessen Folgen für die Stadt ...€¦ · Macht Carsharing das Leben...

12
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung Forschungsschwerpunkt Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel Forschungsabteilung Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung 24 Lisa Ruhrort Andreas Knie Franziska Zehl Die Nutzung von Carsharing und dessen Folgen für die Stadt – die Kernaussagen Eine Untersuchung am Beispiel von ‚WeShare‘-Carsharing auf Basis von Nutzer*innenbefragungen und Buchungsdaten Working Paper 24. September 2020

Transcript of Die Nutzung von Carsharing und dessen Folgen für die Stadt ...€¦ · Macht Carsharing das Leben...

  • Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

    Forschungsschwerpunkt

    Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel

    Forschungsabteilung

    Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung

    24

    Lisa Ruhrort Andreas Knie Franziska Zehl Die Nutzung von Carsharing und dessen Folgen für die Stadt – die Kernaussagen Eine Untersuchung am Beispiel von ‚WeShare‘-Carsharing auf Basis von Nutzer*innenbefragungen und Buchungsdaten

    Working Paper

    24. September 2020

  • Lisa Ruhrort, Andreas Knie, Franziska Zehl Die Nutzung von Carsharing und dessen Folgen für die Stadt – die Kernaussagen Eine Untersuchung am Beispiel von ‚WeShare‘-Carsharing auf Basis von Nut-zer*innenbefragungen und Buchungsdaten Working Paper 2020 Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2020)

  • iii

    Zusammenfassung

    Die Nutzung von Carsharing und dessen Folgen für die Stadt – die Kernaussagen

    Bei der Frage, wie man den privaten Autobesitz reduzieren kann, nimmt das flexible Carsharing eine Schlüsselstellung ein. Von den Befragten, die das Angebot von We

    Share nutzen und einen eigenen Pkw besitzen, kann sich rund die Hälfte vorstellen, zukünftig ihr Auto abzuschaffen. Von den Befragten, die bislang kein Auto im Haus-halt haben, würden rund 24 Prozent ein Auto anschaffen, wenn es kein Carsharing

    gäbe.

    Darüber hinaus spricht sich die Mehrzeit der Befragten für eine Verkehrspolitik aus, die mehr Platz für den Radverkehr schafft und dafür den Parkraum für private Fahrzeuge stark einschränkt.

    Die vom Carsharing Anbieter We Share erhobenen Daten zeigen, dass flexibles Car-

    sharing dabei helfen kann, den privaten Autobesitz zu reduzieren. Sie zeigen auch, dass eine Verkehrspolitik, die den privaten Autoverkehr deutlich eingrenzt möglich wäre und akzeptiert würde. Diese Spielräume werden aber bisher politisch nicht

    genutzt. Für die Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) wurden

    rund 1.600 Nutzer*innen von WeShare online, über einen standardisierten Frage-bogen befragt. Außerdem konnten Buchungsdaten von rund 600.000 Buchungen im

    Zeitraum von September 2019 bis Februar 2020 ausgewertet werden. Es handelt sich damit um die größte Untersuchung eines flexiblen Carsharing Angebotes in Deutschland.

  • iv

  • 5

    Fragestellung der Studie

    Angesichts von Klimakrise und zunehmendem Autoverkehr in den Städten wird ein ökologischer und stadtverträglicher Umbau des Verkehrssystems zunehmend als

    Notwendigkeit anerkannt. Zentraler Baustein ist eine deutliche Verringerung der Zahl der Autos sowie die damit gefahrenen Personenkilometer.

    Das gesellschaftspolitische Problem dabei ist: wie kann man das umsetzen? Wäh-rend in Berlin zwar rund 43 Prozent der Haushalte über keinen eigenen Pkw verfü-

    gen, steigt die absolute Zahl der zugelassenen Fahrzeuge jedes Jahr um 1 bis 3 Pro-zent. Und auch wenn der Anteil der Wege, die mit dem Auto absolviert werden, auf

    rund 25 Prozent gesunken ist, machen die damit zurückgelegten Entfernungen mit 60 Prozent immer noch den Löwenanteil des Verkehrs aus.

    Die Frage ist also: wie können noch mehr Menschen dazu motiviert werden, kein eigenes Auto zu besitzen?

    Als eine „Schlüsselbaustein“ wird dabei schon seit Jahren immer wieder auf das Carsharing verwiesen. Im Gegensatz zum stationären Carsharing, dem sehr hohe

    Einsparpotentiale attestiert werden, die aber nach wie vor als Nischenangebot gel-ten, sind flexible Angebote deutlich verbreiterter. Ungeklärt bleibt aber: welche

    Wirkung hat die Nutzung flexibler Carsharing-Angebote auf den Stadtverkehr? Kritisiert wird, dass durch das Carsharing noch mehr Autos in die Stadt kämen und

    zu viele Wege, die sonst mit Bus und Bahn getätigt würden, durch Carsharing ersetzt werden könnten. Zudem wird befürchtet, dass die im flexiblen Modus angebotenen

    Fahrzeuge, ähnlich wie private Pkw, die meiste Zeit ungenutzt bleiben und damit unnötig Platz wegnehmen könnten. Befürworter*innen sehen Carsharing hingegen als einen wichtigen Baustein in einer neuen Mobilitätskultur, bei der das private

    Auto nicht mehr im Zentrum steht, sondern stattdessen ein Verkehrsmittelmix ge-nutzt wird. Umweltvorteile werden insbesondere auch dann gesehen, wenn rein

    elektrische Fahrzeuge angeboten werden und das Carsharing dadurch lokal emissi-onsfrei ist. Was hierbei aber oftmals in der Debatte fehlt, ist die Perspektive der Nutzenden selbst.

    Buchungsdaten

    Ausgewertet wurden rund 600.000 Buchungen in einem sechsmonatigen Zeitraum von September 2019 bis Februar 2020. Insgesamt wurden 70 Prozent der Beförde-rungen an Werktagen getätigt. Zwei Drittel der Buchungen hatten eine

  • 6

    Nutzungsdauer von unter 30 Minuten – dies galt für Wochenenden und Werktage im gleichen Maße.

    Buchungen, die im Untersuchungszeitraum an einem Wochenende getätigt wurden,

    verteilten sich großflächig auf die Mittags- und Nachmittagsstunden (Abbildung 1). Carsharing-Ausleihen die unter der Woche getätigt wurden, erreichten hingegen ihren ersten Peak in den Morgenstunden und einen zweiten um die Feierabendzeit

    herum.

    0

    2

    4

    6

    8

    10

    12

    6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 0 1 2 3 4 5

    AN

    TE

    IL D

    ER

    BU

    CH

    UN

    GE

    N IN

    %

    TAGESSTUNDE

    Buchungen im Tagesgang (N = 599,029)

    Werktag WochenendeAbbildung 1

    Abbildung 2

  • 7

    Mit Blick auf die räumliche Verteilung der Buchungen (Abbildung 2) sind drei Hot-spot-Regionen für Carsharing-Ausleihen mit WeShare erkennbar – die Bezirke rund

    um den Prenzlauer Berg und Friedrichshain im Zentrum Berlins, die östlicher gele-genen Bezirke Neukölln, Treptow und Lichtenberg sowie die südwestlich gelegenen Stadteile Charlottenburg und Wilmersdorf.

    WeShare-Befragung: Soziodemografie und Verkehrsmittelnutzung

    Insgesamt konnten Befragungsdaten von 1.755 WeShare Nutzer*innen gewonnen

    werden. 80 Prozent der Befragten sind Männer. Die Hälfte ist zwischen 31 und 45 Jahre alt, rund 20 Prozent sind in der Altersgruppe unter 30. Zwei Drittel leben ohne

    Kind(er) im Haushalt; jeder fünfte Befragte lebt in einem Single-Haushalt und 45 Prozent der Befragten in einem Zwei-Personen-Haushalt. Rund zwei Drittel der Be-fragten (66 Prozent) haben keinen Pkw im Haushalt.

    Von den Pkw-losen Befragten fahren 65 Prozent mehrmals wöchentlich mit Bus und Bahn (Abbildung 3), mehr als die Hälfte mehrmals pro Woche mit dem Fahrrad. Rund 57 Prozent der Nutzenden ohne eigenen Pkw besitzen eine Zeitkarte für den ÖPNV.

    Auch 46 Prozent der Autobesitzer*innen nutzen den ÖPNV mindestens wöchentlich, 38 Prozent von ihnen besitzt eine ÖV-Zeitkarte. Außerdem nutzt nur knapp ein Drit-

    tel (fast) täglich den eigenen Pkw. Nach Einteilung der Befragten in Nutzungsgrup-pen, erweisen sich 30 Prozent der Befragten als unimodal (Abbildung 4). Im Gegen-satz zu diesen Befragten, die entweder ausschließlich den eigenen Pkw, Carsharing,

    das Rad oder den ÖV mindestens wöchentlich nutzen, bedienen sich 70 Prozent der Befragten auf mindestens wöchentlicher Basis an einem Verkehrsmittelmix, nutzen

    also zwei oder mehr Verkehrsmittel mindestens wöchentlich.

    7

    13

    8

    15

    21

    26

    31

    21

    34

    25

    0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

    PKW-lose Befragte

    PKW-BesitzerInnen

    Häufigkeit der ÖV Nutzung (N = 1,614) (fast) nie seltener als monatlich an 1-3 Tagen/Monat an 1-3 Tagen/Woche (fast) täglich

    Abbildung 3

  • 8

    Bedeutung von Carsharing als Ersatz für das eigene Auto

    Macht Carsharing das Leben ohne eigenes Auto attraktiver, so dass Menschen auf einen privaten Pkw verzichten oder überlegen, gar ihren Pkw abzuschaffen? Oder

    bringt Carsharing möglicherweise mehr zusätzliche Autos in die Städte und wird damit selbst zum Problem?

    Diese Fragen zielen letztlich darauf ab, wie eine Welt ohne Carsharing aussehen würde. Würde dies in den Städten einige tausend Pkw-Stellplätze freimachen oder

    würden sich noch mehr Menschen einen Pkw anschaffen, da die Alternative für die gelegentliche Autonutzung fehlt? Zu diesen Fragen gibt die Studie einige Hinweise.

    Auf die Frage, was WeShare-Nutzer*innen, die keinen eigenen Pkw besitzen tun würden, wenn es dauerhaft kein Carsharing mehr in ihrer Stadt gäbe, antwortete

    fast ein Viertel, dass sie sich in diesem Fall einen Pkw anschaffen würden. Weitere 22 Prozent (Abbildung 5) würden einen Pkw auf anderem Wege (privat oder Mietwagen) leihen. Diese Daten sprechen dafür, dass Carsharing zwar einige Autos

    zusätzlich in die Stadt bringt, aber auch dazu beiträgt, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen auf die Anschaffung eines eigenen Pkw verzichtet.

    Abbildung 4

  • 9

    Zum Vergleich wurden Personen, die bereits einen eigenen Pkw besitzen, gefragt, für wie wahrscheinlich sie es erachten, dass Carsharing zukünftig ihr privates Auto

    ersetzen könnte (Abbildung 6). Tatsächlich schließen rund 50 Prozent der Befragten diese Möglichkeit nicht aus – 33 Prozent halten es für eher wahrscheinlich und 16 Prozent halten es sogar für sehr wahrscheinlich, dass Carsharing zukünftig ihr ei-

    genes Auto ersetzt.

    6,6

    9,7

    10,3

    10,7

    11,6

    24,1

    27,1

    0 5 10 15 20 25 30

    auf bestimmte Wege verzichten

    öfter das Rad nehmen

    öfter einen privaten PKW leihen

    öfter andere Verkehrsmittel nutzen

    öfter einen Mietwagen buchen

    einen PKW anschaffen

    öfter den ÖPNV nutzen

    Gäbe es dauerhaft keinCarsharing mehr in Berlin würde ich ... (N = 1,014)

    Prozentualer Anteil an Befragten ohne eigenen PKW

    16

    35

    33

    16

    0 5 10 15 20 25 30 35 40

    sehr unwahrscheinlich

    eher unwahrscheinlich

    eher wahrscheinlich

    sehr wahrscheinlich

    Dass Carsharing zukünftig meinAuto ersetzt, halte ich für ... (N = 492)

    Prozentualer Anteil an Autobesitzer*innenAbbildung 6

    Abbildung 5

  • 10

    Die größte Motivation für die Abschaffung des privaten Pkw läge für die Befragten in einer deutlichen Preissenkung von Carsharing-Angeboten (knapp 20 Prozent),

    gefolgt von einem starken Ausbau des ÖPNV (17 Prozent).

    Carsharing und ÖPNV

    Um einzuschätzen, in wie fern Carsharing nicht nur als Ersatz für das private Auto,

    sondern auch für den ÖPNV fungiert, wurden WeShare Nutzer*innen gefragt, wie sie ihre jüngste Carsharing-Fahrt bewältigt hätten, wenn es kein Carsharing mehr gäbe. Unter den Befragten ohne eigenen Pkw, wäre die Wahlalternative in 46 Pro-

    zent der Fälle Bus und Bahn gewesen (Abbildung 7).

    Darüber hinaus geben aber auch rund 30 Prozent der Befragten ohne privates Auto an, sie hätten statt des Carsharing eine andere Form der Automobilität genutzt (5,6 Prozent Mietwagen; 5,6 Prozent Taxi/Uber; 6 Prozent Leihwagen; 13,6 Prozent geben

    an, dass sie auf jeden Fall einen Pkw hätten, wenn es kein Carsharing mehr gäbe).

    Bei den Autobesitzenden sind es 37 Prozent, die ohne Carsharing ein anderes Auto genutzt hätten: Knapp 26 Prozent hätten ihren Carsharing-Weg mit dem eigenen Pkw zurückgelegt, 11 Prozent ein Taxi oder Uber genutzt.

    1,7

    5,6

    5,6

    6

    8,3

    12,8

    13,6

    46,6

    0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50

    andere Verkehrsmittel

    Mietwagen

    Taxi/Uber

    Leih-PKW

    Wegeverzicht

    Eigenes Fahrrad

    Anschaffung PKW

    ÖPNV

    Alternative zu jüngster Carsharing-Fahrt für Befragte ohne eigenen Pkw (N =1,033)

    Prozentualer Anteil an BefragtenAbbildung 7

  • 11

    Wird nicht nach Pkw-Besitz, sondern nach dem hauptsächlichen, also in der wö-chentlichen Nutzung dominierenden Verkehrsmittel der Befragten differenziert,

    sind es vor allem die Personen, die den ÖV ohnehin wöchentlich nutzen, die auf diesen zurückgreifen würden, gäbe es kein Carsharing mehr. (Abbildung 8)

    Im Vergleich dazu würde ein erheblich geringerer Anteil an Befragten, die auf wö-

    chentlicher Basis das private Auto oder Rad nutzen, den ÖV als Ersatz für das feh-lende Carsharing wählen.

    Damit entkräften die Daten die These einer breiten Kannibalisierung des ÖPNV

    durch flexible Carsharing Angebote. Vielmehr zeigen sie, dass Carsharing zwar ei-nige Fahrten mit dem ÖPNV ersetzt, aber eben im Lager der Autoaffinen vielmehr auch Fahrten mit dem einem Verbrenner- Pkw. Da WeShare ausschließlich batte-

    rieelektrische Fahrzeuge einsetzt, ergibt sich in diesen Fällen zusätzlich noch ein deutlicher Umweltvorteil.

    2

    4

    2

    2

    15

    2

    5

    8

    5

    5

    21

    13

    2

    10

    5

    4

    13

    10

    35

    14

    17

    17

    8

    10

    32

    24

    38

    8

    10

    6

    2

    12

    5

    9

    6

    15

    7

    6

    5

    4

    18

    28

    13

    63

    38

    37

    50

    68

    69

    54

    27

    32

    22

    6

    1

    8

    6

    5

    8

    8

    9

    4

    6

    0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

    ÖV

    PKW

    Rad

    CS

    ÖV und CS

    ÖV und PKW

    ÖV und Rad

    PKW und CS

    PKW und Rad

    Rad und CS

    Alternative zu jüngster Carsharing-Fahrt nach Hauptverkehrsmitteln

    (N =1,256)

    andere Verkehrsmittel eigenes Fahrrad eigener PKW Leih-/Mietwagen

    Taxi/Uber ÖPNV Wegeverzicht Abbildung 8

  • 12

    Einstellungen zu verkehrspolitischen Maßnahmen

    Wie stehen eigentlich Carsharing-Nutzer*innen, die ja selbst zumindest gelegent-lich Autofahren, zu dem Leitbild einer Stadt mit weniger Autoverkehr?

    Die weit überwiegende Mehrheit befürwortet eine Verkehrspolitik, die mehr Platz

    für den Radverkehr schafft – auch wenn dies zulasten von Autoverkehrsspuren geht. Auch für andere Verkehrsmaßnahmen findet sich eine Mehrheit – jedoch zei-gen sich auch deutliche Unterschiede zwischen Pkw-Besitzer*innen und Personen

    ohne Pkw.

    Eine Reduktion von Autoparkplätzen zugunsten von anderen Nutzungszwecken be-fürworten mehr als 70 Prozent der Personen ohne Pkw, bei den Pkw-Besitzer*innen sind dies noch 48 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Erhöhung von Park-

    gebühren auch für Anwohner sowie bei autofreien Stadtvierteln: Die Zustimmung liegt bei den Personen ohne Pkw viel höher, aber auch unter den Befragten mit Auto

    befürwortet eine Teilgruppe die Maßnahmen.